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Als Mantao zu den Tälern Indiens gekommen war, da staunte er über die Pracht und den Reichtum an Leben, den Brahma über dieses Land der Wunder ausgegossen hatte aus seiner göttlichen Schöpferschale. Blumen von solcher Farbe und solchem Duft und Tiere von so seltsamer Gestalt hatte er oben in den einsamen Bergen Tibets nicht gesehen und er ahnte nicht, daß viele dieser herrlichen Blüten ein tödliches Gift enthielten und manche dieser schönen Tiere wild und reißend waren. Er segnete sie mit dem Segen des Erhabenen und die Giftblumen neigten ihre Kelche vor ihm, um ihm ihren tödlichen Hauch zu verbergen, und die wilden Tiere dankten ihm für seinen Segen und gaben ihm den Weg frei. Sogar die Schlangen rollten ihre schimmernden Leiber vor ihm zu gefälligen Mustern zusammen und der Tiger, Indiens Königskatze, schnurrte so laut, daß selbst seine Frau und die kleinen Tigerkinder einstimmig versicherten, so herrlich haben sie ihn noch nie schnurren gehört, obwohl er ein Meister im Schnurren war wie nur sehr wenige.
Als nun Mantao die ganze Wildnis durchwandert hatte, da erblickte er eines Tages eine sonderbare Gestalt, die gerade auf ihn zukam und sonderbarer war als die Merkwürdigkeiten, die er bisher gesehen. Es war ein ganz kleines Männchen 27 mit gewaltig großen Elefantenohren und die Ohren waren so groß und das Männchen so klein, daß es ganz in den Ohren eingehüllt war. Ja, wenn es ging, so schleiften die Ohren noch ein wenig auf der Erde und der Kleine nahm sie dann auf wie eine Schleppe, um sie zu schonen.
»Heil dir, König Mantao,« sagte der Kleine und neigte sich so tief, daß die Elefantenohren den Staub auf dem Erdboden aufwirbelten.
»Woher weißt du, wie ich heiße,« fragte Mantao, »und daß ich ein König bin?«
»Ich habe das gehört,« sagte der Kleine mit den Elefantenohren, »denn mit diesen Ohren höre ich alles.«
Er richtete sich wieder auf und ordnete die Ohren in hübschen Falten auf seinem Rücken wie einen Mantel.
»Ich kann mir schon denken, daß du mit diesen Ohren vieles hören kannst,« sagte Mantao, »aber ist es nicht seltsam, daß ein so kleiner Mann solche große Ohren trägt und noch dazu Elefantenohren? Ist es nicht sehr beschwerlich, solche Ohren zu tragen?«
»Sage das nicht,« erwiderte der Kleine, »siehe, es ist eine gewaltige Gnade, daß ich diese Ohren habe. Der alte und weise Elefant Mammamutra hat sie mir geschenkt. Ich habe ihm einmal eine Wunde verbunden. Man lernt besser hören, wenn man anderen die Wunden verbunden hat, sagte der Elefant Mammamutra und gab mir aus lauter Gefälligkeit diese Ohren, die er, dank einem leichten Zauber, aus seiner eigenen Haut geschneidert hat. 28 Er hatte viel Haut übrig, selten habe ich jemand gesehn, dem die Haut so in unzähligen Falten am Leibe hing, wie Mammamutra, dem alten und weisen Elefanten. Er hatte es wirklich übrig, aber doch war es eine sehr große Gnade, denn seit ich diese Ohren habe – der Erhabene segne Mammamutra und seine Kinder und Kindeskinder – seit der Zeit höre ich so leise Dinge, wie wenn der Keim einer Pflanze seine Hülle bricht im Schoß der Erde. Ich höre die Gedanken der Guten und die Ränke der Bösen und so hörte ich, daß Mantao, der Königsgaukler, in die Täler von Indien gekommen ist.«
»Wie hast du das gehört?« fragte Mantao, »klingt nicht ein Schritt wie der andere, wenn er dir nicht seit Jahren vertraut ist?«
»Siehe, ich hörte eine Lotosblume wachsen,« sagte der Kleine mit den Elefantenohren, »und ein Engel legte die Seele eines Kindes in ihren Kelch. Es war deine Seele, Mantao, mein Königsgaukler. Ich hörte, wie die Lotosblume sich drehte und hörte, wie sich viele feine Fäden aus ihr spannen zu den Bergen von Tibet und den Tälern von Indien. Deine Schritte brauche ich nicht zu hören, denn du wandelst den Fäden nach, die dich zu sich ziehen.«
»Gehe ich denn nicht mit festen Schritten auf dieser Erde, wie ich will und wohin es mir beliebt?« fragte Mantao stolz und schlug an das Schwert an seiner Hüfte.
»Das hört sich so äußerlich für menschliche Ohren an,« sagte der Kleine und raschelte vergnügt 29 mit seinen Elefantenohren, »aber wenn man mit Mammamutras Ohren hört – der Erhabene segne ihn und seine entferntesten Verwandten – dann hört man, wie die Fäden gesponnen werden, die die Schritte nach sich ziehen. Siehe die ganze Erde ist mit solchen feinen Fäden durchwirkt. Von den einen bist du frei, die anderen ziehen dich an und du folgst ihnen, ohne zu wissen, warum. Das ist die Kette der Dinge und du bist mit ihr verbunden aus früheren Leben, da du schon in anderer Gestalt auf dieser Erde wandeltest, oder aus deinem innersten Wesen heraus, das der Engel mit allem, was du warst und sein wirst, in den Kelch der Lotosblume senkte. So ist das ganze Leben wie ein Teppich, kunstvoll aus feinen Fäden gewoben und du bist mitten darin, um sein Muster auszuwirken, Fäden zu lösen und zu verbinden, bis du frei bist von allen Fäden, die dich halten und dein fertiges Muster heimtragen kannst in dein Königreich der Ferne.«
»Gerade in dieses Königreich der Ferne will ich,« sagte Mantao, »seit ich meine Königin der Ferne sah in der letzten Nacht, die ich in der Hütte meiner Kindheit schlief. Kannst du, der alles hört, mir nicht sagen, wo jetzt meine Königin der Ferne weilt?«
»Deine Königin der Ferne ist in ihrem und deinem Königreich über den Sternen und sie wartet darauf, daß du ihr noch heute einen Edelstein schenkst, den sie sich ins Diadem flechten kann.«
»Wie soll ich hier in der Wildnis einen Edelstein finden?« fragte Mantao.
30 »Geh und wirke deinen Teppich,« sagte der Kleine mit den Elefantenohren, »wirke deinen Teppich, Mantao, mein Königsgaukler. Ich aber will mich in meine Elefantenohren hüllen und schlafen, denn auch dazu sind diese herrlichen Ohren gut. Wenn ich mich in diese Ohren wickle, so ruhe ich wie in einer Bettdecke, die mich schützt und wärmt, daß kein Schlangenzahn hindurchkann, kein nasser Regen und kein kalter Morgentau. Dank diesen Ohren und der Erhabene segne Mammamutra und seine Kinder und Kindeskinder und die kleinsten Säuglinge seiner ganzen Elefantensippe.«
Mit diesen Worten wickelte sich der Kleine in seine Elefantenohren hinein, so daß er völlig darin verschwand, denn Mammamutra hatte diese Ohren überaus reichlich bemessen.
Mantao war seinen Weg weiter gegangen und dachte darüber nach, wie er wohl den Teppich seines Lebens wirken könne und wie es ihm gelingen möge, noch heute einen Edelstein für das Diadem seiner Königin der Ferne zu finden.
Da hörte er, abseits von seinem Wege, ein schwächliches Klagen im Gebüsch, ähnlich dem Weinen eines kleinen Kindes. Er ging den Klagelauten nach und fand ein Äffchen, das wimmernd und jammernd neben seiner toten Affenmutter hockte und ihn flehentlich aus seinen Kinderaugen ansah. Mantao brachte ihm Früchte und Wasser, aber das Äffchen aß und trank nichts. Es blieb auf dem Boden kauern und jammerte.
31 »Sein Leib hungert nicht, aber seine Seele hungert,« dachte Mantao und er wußte nicht, wie er dem kleinen Geschöpf helfen sollte. Da hörte er eine Stimme neben sich reden.
»Denke an eine kranke Frau, die im Straßengraben starb,« sagte die Stimme neben ihm, »es war eine Paria und die Pest hatte sie angesehen aus ihren hohlen Augen. Sie hielt ein Kind auf den Armen und sie flehte die Menschen an, sich ihres Kindes anzunehmen, aber niemand half ihr. Da kam ein alter Mann und nahm das kleine Kind in seine Arme und trug es in die Berge von Tibet. Denke daran, Mantao, mein Königsgaukler.«
Es war sein Engel, der neben ihm stand und redete. Mantao hörte seine Stimme, aber er sah seinen Engel nicht.
Da gedachte er der Königin der Ferne und seines Schildes und er erhob seinen Schild und hielt ihn über dem kleinen Affen. Es war das erste Geschöpf, über dem Mantao, der Königsgaukler, seinen Schild hielt.
Der kleine Affe aber hörte auf zu jammern. Er ließ sich von Mantao aufnehmen und schlang die dünnen, schwachen befellten Arme um seinen Hals.
»Dieser Schild von einfacher Arbeit und geringem Ansehn muß eine seltsame Zauberkraft enthalten,« dachte Mantao und eine Ahnung stieg in ihm auf, welch eine heilige Aufgabe es ist, solch einen Schild zu tragen und ihn zu halten über allem, was atmet.
32 Nun hatte Mantao seinen Weggenossen gefunden und er ging mit dem kleinen Affen seinen Pfad weiter.
Der Engel ging unsichtbar neben ihnen.
»Ein kleiner Affe ist dein Begleiter,« sagte er, »siehe, nun werden die Menschen über dich lachen und sagen, daß du ein Gaukler bist, wenn du Schild und Schwert trägst und ein Affe dich geleitet. Laß es die Menschen sagen. Du bist doch ein König, größer als alle ihre Könige, Mantao, mein Königsgaukler.«
Über den Sternen reichten sich eine Menschenmutter und eine Affenmutter die Hände, ein alter Mann mit einer sonderbaren spitzen Mütze freute sich und die Königin der Ferne flocht sich einen funkelnden Edelstein in ihr Diadem.
Mantao, der Königsgaukler, aber verließ die Wildnis und trat mit dem kleinen Affen hinaus auf die Straße des Lebens. 33