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Die Straße des Lebens, die Mantao, der Königsgaukler, betreten hatte, war staubig und häßlich für einen, der vom samtenen Pflanzenteppich der indischen Wildnis kam und von den schneegewaschenen Bergwegen Tibets. Zögernd setzte Mantao seinen Fuß auf den Pfad, den Tausende und Abertausende vor ihm gegangen waren und den er nun ging, selber nur einer von Tausenden. Fast sehnte er sich nach der reinen Einsamkeit der Berge, aber er war jung und das Leben auf der Straße war bunt, lärmend und farbenfroh und seine Jugend spann Fäden in dieses fremde Leben hinein. Das Äffchen lief neugierig und ein wenig ängstlich neben ihm her.
Immer bunter und gedrängter wurde die Straße des Lebens, je weiter die beiden Weggenossen wanderten. Sauberer und schöner wurde sie nicht, aber man gewöhnte sich nun allmählich daran. Unzählige Menschen, Männer, Frauen und Kinder liefen durcheinander, alle verschiedenartig gekleidet und geartet. Es waren viele darunter von Mantaos Bronzefarbe, die still ihres Weges gingen und selten und leise sprachen, das waren die Menschen Indiens. Gelbe kleine Menschen mit kurzen Beinen und geschlitzten Augen waren dabei, die schrieen und schwatzten, und schöne ruhige Gestalten von weißlich schimmernder elfenbeinerner Hautfarbe ritten auf geschmückten Dromedaren, deren Köpfe bei 34 jedem Schritt nickten, so daß die kleinen silbernen Glocken am Halfter zusammenklangen. Das waren fremde Reisende aus den fernen Ländern um Samarkand. Zwischen all der schweigenden und schwatzenden Menge aber zog sich wie eine endlose Kette die Reihe von Ochsenkarren, die, mit allerlei Warenballen beladen, langsam und bedächtig die knarrenden und quietschenden Räder durch den Staub der Straße schoben. Einige trugen bunte Zelte mit flatternden Wimpeln, mit Teppichen verhangen, aus denen zuweilen ein verschleierter Frauenkopf hervorschaute, um schnell wieder zu verschwinden, oder ein Papagei mit einem Gefieder von grellem Grün, Gelb und Rot erschien und ärgerlich und erbost auf die Vorübergehenden schimpfte. Das freute das kleine Äffchen, so daß es grinste und sich die Hände rieb vor Vergnügen. Aber bald wurde es müde und Mantao nahm es auf den Arm.
»Seht den Gaukler!« schrieen die Leute, »er trägt Schild und Schwert und einen Affen auf den Armen.«
Das waren die ersten Worte, die Mantao von den Menschen hörte.
»Seht den Gaukler, Gaukler, Gaukler!« kreischte ein bunter Papagei und wackelte spaßhaft mit dem Kopfe hin und her, wie ein Gelehrter, der seinen Tadel und sein Mißfallen zum Ausdruck bringt.
»Könnt ihr so genau Könige und Gaukler unterscheiden?« fragte Mantao und lächelte. Sein Lächeln aber war nicht das Lächeln eines Gauklers.
35 »Selten haben Gaukler so schöne Züge und so ebenmäßige Glieder,« sagte eine Frau aus Samarkand und lugte aus ihrem Zeltteppich hervor.
»Er redet sonderbar und er ist seltsam gekleidet, ähnlich wie die einsamen Weisen von Tibet,« sagte jemand aus dem Volkshaufen, »laßt ihn in Ruhe seinen Weg wandern, vielleicht ist er ein Heiliger und sein Fluch kann euch treffen.«
»Mir scheint, er ist kein Heiliger,« sagte die Frau aus Samarkand und zog den Teppich ihres Zeltes wieder zu.
»Ich fluche euch nicht,« sagte Mantao, »wie soll ich euch fluchen, da ihr nicht wißt, ob einer ein König, ein Gaukler oder ein Heiliger sei. Aber sagt mir, wohin führt diese breite und staubige Straße, auf der sich so viele Menschen drängen, als gelte es ein herrliches Ziel zu erreichen?«
»Fragst du, wo du doch selbst diese Straße wanderst?« rief ein Krämer, der seine reichbeladenen Ochsenkarren führte, »du bist doch wohl ein Gaukler, daß du eine Straße gehst ohne Zweck und Ziel und ohne zu wissen, wohin dich dein Weg führt.«
»Viele glauben ein Ziel und einen Zweck zu haben, aber des Lebens Zweck und Ziel liegt nicht in deinen beladenen Ochsenkarren, viele glauben ihren Weg zu gehen und ihren Weg zu kennen und wandern doch nur dahin, wohin die Fäden sie ziehen,« sagte ein armer alter Bettelmönch und murmelte Gebete vor sich hin.
Ein kleines Mädchen spielte mit einem Ball und warf ihn gerade vor Mantaos Füße.
36 »Es ist die Stadt der bunten Lampen, wohin wir wandern,« sagte es.
Da tauchte ein violetter Schein ins verglimmende Abendrot, immer dunkler und dunkler hasteten die Schatten der Dämmerung über das Land und in der Ferne der breiten Straße lohten die ersten Lichter auf von der Stadt der bunten Lampen.
Es war Nacht geworden, als sie in der Stadt der bunten Lampen anlangten. Aber in der Stadt der bunten Lampen feierte man keine Nachtruhe. Durch die krummen engen Gassen fluteten die Menschen mit festlichen Lichtern in den Händen, die sie auf hohen Stangen trugen, und hoch über der drängenden Menge schwankten Baldachine von Samt und Seide auf den breiten Rücken geschmückter Elefanten. Es war, als sei die ganze breite Straße des Lebens in einen wirren Knäuel zusammengeworfen worden und strahlte all die zuckenden Lichter ihrer vielartigen Wesenheit aus.
Vor den kunstvoll geschnitzten hölzernen Toren der Häuser brannten bunte Lampen in allen Farben und aus den verhangenen Fensteröffnungen drang ein mattes verschleiertes Licht und der gedämpfte Klang leiser Saiteninstrumente.
Mantao irrte ratlos mit dem kleinen Affen im Arm durch all die unbekannte Wirrnis in der Stadt der bunten Lampen. Niemand beachtete ihn hier und er wagte niemand um eine Herberge anzugehen, denn alle die Menschen erschienen ihm 37 voller Unrast, er aber suchte Ruhe und ein Dach, unter dem Stille und Frieden war.
Schon wollte er die Stadt der bunten Lampen verlassen und draußen auf dem Felde schlafen, als er ein junges Mädchen erblickte, das vor seinem Hause unter einer bunten Lampe stand und ihn aus neugierigen Augen musterte. Ihre bronzenen Glieder waren mit goldenem Schmuck und zierlichen Ketten behangen und im kunstvoll geflochtenen Haar trug sie einen Kranz von roten Blüten, die Mantao nicht kannte und die einen betäubenden Duft ausströmten. Der goldene Schmuck und die Ketten klirrten, wenn das Mädchen sich regte, und schon wollte Mantao sich abwenden und weitergehen, denn die Fremde erschien ihm so fremd wie die anderen in der Stadt der bunten Lampen. Da schaute er ihr in die Augen und sah, daß diese Augen, so laut auch alles um sie war, still und ruhig und tief waren, ähnlich den Bergseen in Tibet.
»Willst du mir eine Herberge geben?« fragte Mantao, »mir und dem Affen auf meinem Arm?«
»Gerne,« sagte das Mädchen und lachte, »tritt ein in mein Haus. Ich bin Myramar, die Tänzerin, und habe nichts gelernt als lachen und die bunten Lampen in meinem Hause anzünden.«
»Einmal wirst du weinen lernen und deine bunten Lampen werden erlöschen,« sagte Mantao, »siehe, ich bin Mantao, ein König aus den Bergen von Tibet, aber die Menschen auf der Straße haben mich einen Gaukler genannt. Ich danke dir für 38 deine Herberge, aber ich habe keinen Lohn dafür zu geben, als den Segen Brahmas.«
»Ich will keinen Lohn von dir,« sagte die Tänzerin, »denn ich liebe dich, Mantao, mein Königsgaukler.«
Da war es Mantao, als habe die Tänzerin etwas in ihm erkannt, was in ihm war, als sie ihn mit diesem Namen nannte, und er folgte ihr in ihr Haus. Seidenweiche Teppiche lagen darinnen ausgebreitet auf dem Fußboden, so daß man darüber hinwegschritt auf lautlosen Sohlen, Brot und Früchte lagen auf einem kleinen Tischchen aus vergoldetem Rosenholz und an der Wand stand, von einem schweren Vorhang halb verborgen, eine purpurrote Lagerstatt, überstreut mit den gleichen roten Blumen, die das Mädchen im Haar trug. Über allem aber lag das matte Licht einer Ampel aus Alabaster.
»Willst du dem Affen die gleiche Herberge geben wie mir?« fragte Mantao.
Da lachte die Tänzerin, daß ihre weißen Zähne zwischen den dunklen Lippen blitzten, nahm den kleinen Affen auf den Schoß und fütterte ihn mit den Früchten von dem Tisch aus Rosenholz.
»Dafür will ich einmal meinen Schild über dir halten, wenn deine Lampe erloschen ist,« sagte Mantao, der Königsgaukler.
»Rede nicht von erloschenen Lampen,« sagte die Tänzerin, »siehe, dies ist die Stadt der bunten Lampen und über sie herrscht Prinzessin Amaranth. 39 Wir dürfen lachen, tanzen und unsere bunten Lampen brennen Nacht für Nacht, aber wir dürfen nicht von erloschenen Lampen reden, das hat Prinzessin Amaranth verboten in ihrem Reich.«
»Einmal müssen alle die bunten Lampen erlöschen,« sagte Mantao, »es ist besser, davon zu reden, als zu schweigen. Wohin gehen denn die von euch, deren Lampen erloschen sind?«
»Es gibt noch eine Stadt der erloschenen Lampen,« sagte die Tänzerin, »aber Prinzessin Amaranth hat verboten, davon zu reden. Ich will auch nicht davon reden, denn meine bunten Lampen brennen und ich will tanzen und lachen, denn etwas anderes habe ich nicht gelernt.«
Sie setzte den kleinen Affen mitten zwischen lauter seidene gestickte Kissen und begann zu tanzen, erst langsam, dann immer schneller und schneller, daß der goldene Schmuck und die feinen Ketten an ihren bronzenen Gliedern klirrten und die duftenden Blüten eine nach der anderen aus ihren Haaren fielen. Das Äffchen freute sich und schlug den Takt mit dem langen Schwanz dazu, den es wechselnd auf- und zusammenrollte, je nach den Klängen der Melodie. Die Melodie aber war die eines uralten indischen Liebesliedes.
Immer leiser und leiser wurden die Klänge des alten indischen Liebesliedes, das die Tänzerin vor sich hinsummte, und als es zu Ende war, da neigte sich Myramar und küßte Mantao, den Königsgaukler. Über ihnen brannte die Ampel von 40 Alabaster und um sie war die Nacht, Indiens weiche samtene Nacht mit ihren tausend Träumen und abertausend Wundern . . . .
Gegen Morgen erwachte Mantao von einem Rascheln in der Ecke des Zimmers, wie wenn große Elefantenohren sich bewegen. Da stand der Kleine mit den Elefantenohren, bewegte seine Ohren hin und her und raschelte vernehmlich damit.
»Siehe,« sagte der Kleine mit den Elefantenohren, »ich hörte mit meinen Elefantenohren – der Erhabene segne Mammamutra und seine Kinder und Kindeskinder – ich hörte, wie deine Lotosblume feine Fäden spann zu diesem Mädchen in der Stadt der bunten Lampen. Es ist nur eine Tänzerin, keine Königsgenossin, aber sie hat dir Herberge gegeben aus Liebe und sie hat deinen kleinen Affen in seidene Kissen gebettet. Zerschneide ihren Faden nicht ganz, Mantao, mein Königsgaukler.«
Mantao schaute auf die schlafende Tänzerin.
»Ich will meinen Schild über ihr halten, wenn ihre Lampe erloschen ist,« sagte er.
Der Kleine mit den Elefantenohren raschelte und verschwand auf die gleiche rätselhafte Weise, wie er gekommen war.
Die Sonne ging auf und die Stadt der bunten Lampen erwachte zu neuem Leben. 41