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Als ich noch ein Leuchtkäfer war,« sagte die kleine Nerina eines Tages zu ihrem Vater, während eben ein ganzer Schwarm dieser Insekten wie ein goldener Regen durch den Garten zuckte, – »als ich noch ein Leuchtkäfer war, da flog ich immer ganz allein in den Wald, ohne mich zu fürchten, und jetzt habe ich Angst, wenn ich nur im Dunkeln bis auf die Wiese gehen soll.«
»Was unser Kind für ein gutes Gedächtnis hat,« sagte der Vater lächelnd zu der Mutter. –
Diese Worte der kleinen Nerina fielen mir wieder ein, als mir eines Tags ein Leuchtkäfer vom Grase weg auf einen Blumenstrauß schwirrte, den ich in der Hand hielt, und sich geduldig von mir nach Hause tragen ließ. Ich stellte den Strauß ins Wasser, und so lange es hell im Zimmer war, hielt sich der Käfer ganz still. Aber kaum hatte ich mich ins Bett gelegt und das Licht gelöscht, so fing er unruhig zu glänzen an.
159 »Wer weiß, was in dir steckt,« dachte ich.
»Ein Stern,« sagte der Leuchtkäfer, und flatterte auf mein Bett.
»Ein Stern wohl nicht,« entgegnete ich, »aber vielleicht ein Mensch.«
»Gott stehe mir bei,« sagte der Leuchtkäfer, »das wäre schrecklich. Dann würde ich mein Glühwürmchen nicht wieder sehen. Aber das kommt alles vom Sündenfall.«
»Was weißt denn du vom Sündenfall?« sagte ich lachend.
»Wer sollte es denn wissen, wenn nicht ich? Mir ist der Schaden ja selber zugestoßen. Hätte ich nur auf meine Mutter gehört!«
»Höre,« sagte ich, »wenn du nichts Besseres zu thun hast, so erzähle mir die Geschichte von deinem Sündenfall. Ich verspreche dir dagegen, dich zu deinem Glühwürmchen zurückzubringen.«
Da begann der Leuchtkäfer zu erzählen:
»Ich war ein Stern und keiner von den schlechtesten, ich saß droben am Himmel und hatte es sehr gut. Du machst dir gar keinen Begriff, wie herrlich so ein Sternenleben ist. Aber ich war sehr naseweis. Deshalb sagte mir meine Mutter beständig: ›Hüte dich vor dem Sündenfall.‹ Und ich versprach mich zu hüten und immer bei ihr zu bleiben. Aber als der Herbst kam, da erfaßte mich die Wanderlust, 160 mich und viele Tausende meiner Kameraden. In Scharen rissen wir aus. Das war eine wundervolle Reise, wir flogen so rasch, daß niemand daran denken konnte, uns einzufangen, und waren so vergnügt, daß wir jedem, der uns anrief, einen Wunsch freistellten, denn wir Sterne haben, wie du weißt, die Macht, auf unsern Reisen jeden Wunsch zu erfüllen. Aber ich weiß nicht, wie es kam – plötzlich erfaßte mich der große Schwindel, es riß und zog mich nach unten, ich stürzte kopfüber ins Bodenlose. Meinen Kameraden muß es nicht besser gegangen sein, denn ich hörte nachher, es seien an jenem Tag Tausende von Sternschnuppen gefallen. Mein Fall aber war so reißend, daß ich es nicht aushalten konnte. Mein Licht löschte aus und – ich starb. Bist du je gestorben?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nicht daß ich wüßte,« sagte ich.
»Dann kannst du dir auch keine Vorstellung machen, wie unangenehm das ist. Ein eisiger Wind schnitt mir durch Leib und Seele, daß mir der Atem verging, und etwas Kaltes löste sich von mir ab und fiel schwer zur Erde. – ›Sehen Sie nur den Block von einem Stein,‹ hörte ich eine Stimme neben mir sagen. ›Das gibt keinen übeln Briefbeschwerer.‹
Als ich wieder zu mir kam, da saß ich im Haar der schönsten Königin, die eben in ihrem abendlichen 161 Garten lustwandelte, und viele Hofleute drängten sich händeklatschend um mich und riefen: ›O seht, seht den schönen Stern.‹ Ich war sehr glücklich, ich fühlte mich so leicht und meinte, ich sei ganz Licht. Da sah ich, daß eine der Hofdamen einen großen schwärzlichen Stein in der Hand hielt. Das war ich, dachte ich mit Grausen.
Da rief plötzlich eine Stimme: ›O Gott, das ist ja nur eine garstige braune Raupe.‹
›Es ist keine Raupe,‹ sagte der Hofgelehrte, ›es ist ein Leuchtkäfer, Lampyris nohicula, fliegt des Nachts auf Wiesen und Feldern umher und giebt einen phosphorartigen Glanz von sich. Das Weibchen sitzt im Grase und leuchtet gleichfalls.‹
›Ich will keine Raupe, ich will keinen Käfer,‹ schrie die Königin, und schlug nach mir. Viele täppische Hände wollten nach mir greifen, ich aber verdunkelte mich, schlüpfte ihnen unter den Fingern durch und flog davon. Ich setzte mich in eine Mauerritze und war sehr traurig. Da fiel mir plötzlich ein, wie der Gelehrte gesagt hatte: Das Weibchen sitzt im Grase und leuchtet gleichfalls. Der muß es ja wissen, dachte ich und war sehr neugierig, das Weibchen zu sehen. Ich flog deshalb auf die große Wiese und da sah ich auf einem Grashalm ein so herziges Licht, daß ich gleich ganz gefangen war.
162 ›Guten Abend, Glühwürmchen,‹ sagte ich, ›was hast du für einen lieblichen Glanz!‹
Das Glühwürmchen bot mir einen freundlichen guten Abend und sagte: ›Ich habe keine Flügel und sitze immer da. Willst du mir nicht Gesellschaft leisten? Dann mußt du aber bei mir bleiben und darfst nicht gleich wieder davonflattern.‹
›Ich bleibe bei dir so lange ich lebe,‹ sagte ich, ›denn ich habe dich lieb.‹
Und das war mein Ernst, denn sie leuchtet gar so lieblich, selbst so lange ich noch ein Stern war und am Himmel saß, habe ich nichts Schöneres gesehen. Aber da kamst du zum Unglück vorüber mit dem Strauß, aus purer Neugier flog ich herauf und nun kann ich nicht mehr zurück zu meinem Glühwürmchen und muß hier sterben – ach das Sterben thut so weh und was nachher kommt, ist noch ärger!«
»Was kommt denn nachher?« fragte ich mitleidig.
»Du hast es ja selbst gesagt, und ich weiß es auch, ich muß ein Mensch werden. Das ist das Schrecklichste von allem.«
»Nun, nun, so schlimm ist es auch nicht,« versuchte ich ihn zu trösten. Aber er gab sich nicht zufrieden.
»Freilich ist es schlimm,« jammerte er. »Hätte ich doch auf meine Mutter gehört! Daß mir das passieren muß. Als ich noch ein Stern war, sagte 163 man mir immer, das sei das ärgste von allem. Fliegen könnt ihr nicht und leuchten ebensowenig, und wie es sonst mit euch steht, das will ich gar nicht fragen.«
»Ei,« sagte ich, »das Fliegen können wir noch lernen und was das Leuchten betrifft, so glänzen wir nach innen desto schöner.«
»Ja, wer das gewiß wüßte,« sagte er. »Zu meinem Mütterlein kann ich nicht mehr zurück, denn der Stein muß jetzt die Albumblätter der Hofdame beschweren; wenn ich nur wenigstens wüßte, ob ich im andern Leben das Glühwürmchen wiederfinde.«
»Vielleicht findest du es wieder,« tröstete ich ihn, »und dann ist es ein schönes Mädchen.«
»Ich will aber kein schönes Mädchen, ich will mein Glühwürmchen. O bringe mich zu meinem Glühwürmchen zurück.«
Da wollte ich aufstehen, um ihn hinauszulassen, ich stieß aber mit dem Kopf an die Wand und erwachte. Im Zimmer war alles dunkel.
Sobald es Morgen war, ging ich zu dem Strauß, um den Käfer zu suchen, der aber lag tot in einem Blumenkelch und sein schöner Glanz war erloschen.
Als ich die Treppe hinunterging, begegnete mir der Hausherr mit freudestrahlendem Gesicht und sagte:
»Wollen Sie nicht einen neuen Ankömmling sehen? Mir ist heute nacht ein Kind geboren worden.«
164 »Armer Leuchtkäfer,« dachte ich und trat mit ihm in seine Wohnung.
In einem dunkelverhängten Zimmer lag das Neugeborene in weiße Spitzen gehüllt, aber es schrie fürchterlich bei meinem Eintritt.
»O du armer Wurm,« sagte ich, indem ich den Kleinen auf den Arm hob. »Wärest du deiner Mama gefolgt, hättest du nicht dem großen Schwindel nachgegeben, so säßest du jetzt noch da droben und wärst ein schöner Stern. Jetzt hast du aber auch dein Glühwürmchen verloren und wer weiß was dir noch alles passieren kann.«
»Was halten Sie da für eine Predigt?« sagte der Vater, halb lachend, halb ärgerlich, indem er mir das Kind vom Arm nahm, wobei es noch ärger schrie.
»O, ich glaube, ich habe etwas geträumt,« antwortete ich leise.
Als ich aber am Abend von einem Spaziergang über Feld heimkehrte, da sah ich ein ganz kleines Glühwürmchen einsam im Grase glänzen. Das nahm ich mit nach Hause und legte es dem Kinde still aufs Kissen und das Kind lächelte plötzlich, als dämmere ihm eine Erinnerung.