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In einer armen Weberfamilie war das zwölfte Kind geboren worden. Aber kein fröhlicher Willkomm ward dem Neuaugekommenen zu teil, der Vater blickte ihn sorgenvoll an, denn bei seinem kargen Verdienst und seiner zahlreichen Familie fiel ihm die neue Last schwer auf die Schultern; die Geschwister, deren junge Herzen schon in der Not des Lebens verhärtet waren, wandten sich unwillig von dem Eindringling ab, der ihnen ihr schmales Teil noch zu schmälern drohte, und das einzige Auge, das ihm einen freundlichen Blick gegönnt hätte, hatte sich soeben für immer geschlossen.
Nur eine mitleidige Nachbarin beschäftigte sich mit dem schreienden Kind und suchte es, wiewohl vergeblich, zu beschwichtigen.
»Lauft, lauft, Gevatter,« rief sie plötzlich, »und holt den Pfarrer, daß er ihm schnell die Taufe giebt, 79 das Kind liegt im Sterben; seht Ihr nicht, es ist ja schon ganz blau. Freilich, es ist dem armen Wurm zu gönnen,« setzte sie für sich hinzu.
Der Vater, der sich überzeugte, daß die Frau recht hatte, schickte den ältesten Knaben zum Pfarrer und empfahl ihm an, gleich auf dem Heimweg beim Schreiner das Särglein zu bestellen, damit er nicht zweimal von der Arbeit weg müsse. Die Nachbarin aber legte das kleine Wesen in einen Korb und ging ihren eigenen Geschäften nach.
Als der Knabe mit dem Pfarrer zurückkam, begegnete ihnen unterwegs eine weise Frau, die sah außerordentlich schön und huldreich aus, und der fromme Mann bat sie, ihm bei seinem Werk behilflich zu sein und das Kind aus der Taufe zu heben. Sie willigte ein, und als der Knabe an der Thüre des Schreiners stehen blieb, sagte sie: »Komm, dein Brüderchen wird nicht sterben.«
Als sie miteinander in die Hütte traten, kam ihnen der Weber entgegen und beim Anblick der schönen Frau heiterte sich sein Gesicht auf und er lächelte wie die Sonne nach vierzehn Tagen Regenwetter, denn er hoffte, die weise Frau würde ihrem Patchen wenigstens ein ansehnliches Geschenk zurücklassen.
Als diese den kleinen Knaben auf den Arm nahm, hörte er sogleich zu schreien auf. Sie hielt ihn, 80 während er die Taufe empfing, und gab ihm selbst den Namen Johannes. Nachdem die Ceremonie beendigt war, bettete sie ihr Taufkind wieder in den Korb, legte ihm die Hand auf die Stirn und murmelte einige unverständliche Worte. Alsbald schloß das Kind die Augen und fiel in festen Schlaf, wobei es freundlich lächelte und mehrmals die kleinen Händchen ausstreckte, als ob es nach einem schönen Gegenstand griffe. Dann wollte sich die weise Frau zurückziehen.
Der Vater aber, der sich zu seinem Verdruß überzeugt hatte, daß auf dem Kissen des Täuflings kein Geschenk lag, trat der weisen Frau in den Weg und bat sie mit übel verhehlter Enttäuschung, ihrem Patenkind wenigstens einen guten Wunsch und Spruch zu thun, wodurch vielleicht seine elende Lage in Zukunft erleichtert werden könne.
»Ihr irrt Euch in mir, guter Mann,« entgegnete die weise Frau. »Gerne hätte ich Eurem Kleinen ein kostbares Patengeschenk zurückgelassen, aber Geld und Gut habe ich nicht zu vergeben. Die eine Hälfte seines Lebens wird wie die Eurer andern Kinder Not und Kummer sein, das zu ändern steht nicht in meiner Macht; damit es aber doch nicht ganz ohne Nutzen für ihn bleibe, daß eine weise Frau an seiner Wiege gestanden, habe ich ihm das Beste verliehen, 81 was ich zu verleihen habe: ich habe die andere Hälfte seines Lebens vergoldet.«
Bei diesen Worten fuhr der Vater erstaunt und freudig auf, er ließ aber den Kopf tiefer und tiefer sinken, als die weise Frau fortfuhr:
»Sowie er das Auge schließt, werden goldene Träume um sein Bett stehen, und werden ihn für alles entschädigen, was er am Tage zu leiden hat, und sie werden nicht von ihm weichen bis zu seinem Lebensende, es wäre denn, daß er selbst sich ihrer entäußerte. Dies soll er ja unterlassen, denn es würde schwerer Kummer für ihn daraus entstehen. Auch soll er nie suchen, andere daran teilnehmen zu lassen oder sie ihnen zeigen zu wollen, er hätte nur Verdruß davon. Schärft ihm das ein in meinem Namen, sobald er imstande sein wird, Euch zu verstehen. Und nun gehabt Euch wohl.«
Damit war sie verschwunden. Der Weber machte sich verdrießlich wieder an sein Tagwerk.
»Träume,« brummte er vor sich hin, »das ist mir ein sauberes Präsent. Und von Gold? hm, das wird auch ein gutes Gold sein, so echt wie das, welches mir der Sonnenuntergang auf meine Gipswände wirft. Aber so sind die vornehmen Leute, wenn es ans Schenken geht.«
Doch gab er sich in der Folge zufrieden, als er 82 bemerkte, daß das Kind ihm gar keine Mühe machte, da es die ganze Nacht und den halben Tag anhaltend fortschlief, wobei es immer freundlich vor sich hinlächelte, und überhaupt sehr verträglich und leicht zu behandeln war.
Die seltsamen Worte der weisen Frau hatte der Alte längst vergessen, da er überhaupt kein Jota von allem verstanden hatte, und so fiel es ihm auch später nie ein, seinem Sohne etwas davon zu sagen.
Der kleine Johannes gedieh kräftig heran und empfand es nicht, daß ihm alles fehlte, was sonst die Kindheit verschönert. Er hatte keine Spielkameraden, denn seine älteren Geschwister mußten schon alle dem Vater bei der Arbeit an die Hand gehen und konnten sich nicht mit ihm abgeben; er hatte kein Spielzeug als die Kiesel, die er von der Straße, und die Muscheln, die er am Strande auflas, und keine Hand, die seine ersten Schrittchen leitete. Und doch war er immer guter Dinge, wenn auch viel stiller als alle seine Geschwister. Auch zeigte sich schon früh ein zerstreutes Wesen an ihm, das ihm während seines ganzen Lebens anhaftete.
Als er so weit herangewachsen war, daß sein Vater ihn bei der Arbeit verwenden zu können meinte und ihm das Weberhandwerk beizubringen suchte, da fingen für ihn die Schattenseiten des Lebens an, 83 denn bis jetzt hatte er nichts gekannt als die wundervollen Träume, die jeden Abend um sein Bettchen standen und um derentwillen er gewöhnlich in den hellen Tag hineinschlief. Ihretwegen lernte er auch viel später als andere Kinder sich mit der Welt um ihn her befassen, denn er hatte den ganzen Tag nichts als seine lieben Träume im Kopf. Oft versuchte er auch seinen Geschwistern davon zu erzählen und wollte sie ihnen zeigen, da er ein so gutes Herz hatte, daß es ihm der größte Kummer war, den andern nichts von seinem Schatz mitteilen zu können. Diese aber verstanden gar nicht, was er wollte, lachten ihn aus, und wenn er gar zu zudringlich wurde, so gaben sie ihm wohl auch eine Ohrfeige. Dann schlich er betrübt weg, setzte sich in eine Ecke und weinte bitterlich, bis ihm die Äuglein zufielen. Und alsbald standen sie wieder vor ihm, glänzend und schimmernd wie eitel Gold und er streckte die Händchen aus und lächelte im Schlaf.
Zu der Arbeit zeigte er sehr wenig Geschick und noch weniger Ausdauer, denn wenn er eben am Webstuhl saß, so fielen ihm plötzlich die Hände in den Schoß und er starrte mit großen Augen vor sich hin, was ihm Verweise und Schläge vom Vater und manche heimlichen Püffe von den Geschwistern eintrug. Sie schalten ihn bei solchen 84 Gelegenheiten einen unnützen Brotesser, der nie imstande sein werde, den Vater zu unterstützen oder sich selbst seinen Unterhalt zu verdienen, und wenn sie besser aufgelegt waren, so nannten sie ihn einfach »Hans den Träumer«.
So vergingen die Jahre. Der Vater war inzwischen schon gestorben, die Geschwister in die Welt hinaus verstreut, um ihr Fortkommen zu suchen. Einige waren verschollen, andere hatten ihre eigene Hütte, ihr Weib, ein Häuflein Kinder und ein Heer von Sorgen. Nur Johannes, der inzwischen zum Mann herangewachsen war, saß noch immer in seines Vaters Hütte, die ihm die andern, da sie ihn für schwachsinnig hielten, aus Mitleid abgetreten hatten. Da lebte er kärglich vom Ertrag seiner Arbeit, denn er verbrauchte alles von der Hand in den Mund und mochte nie mehr erwerben, als er für den andern Tag nötig hatte. Im ganzen Dorf nannten sie ihn jetzt »Hans den Träumer«, und er rechtfertigte diesen Namen vollauf, denn er ging immer mit dem Kopf in den Wolken umher und legte, sobald es irgend thunlich war, die Arbeit weg, um sich auszustrecken und die Augen zu schließen. Daß er bei solchem Tagwerk keine Seide spann, läßt sich denken, und in der That nach wenigen Jahren war sein Hüttchen, um dessen Ausbesserung er nie einen Finger rührte, 85 so zerfallen, daß ihm die liebe Sonne zum Giebel herein schien, und doch gelang es auch ihren stärksten Strahlen oft kaum, den Langschläfer vor Mittag zu wecken. Endlich erbarmte sich die Gemeinde und ließ ihm noch vor Eintritt der Regenzeit wenigstens sein Dach flicken. Diese Gelegenheit benützten seine Freunde und Gönner und auch die andern Bewohner des Dorfs, die ihm wegen seiner Gutartigkeit und seines einnehmenden Wesens eigentlich doch wohlwollten, und machten ihm dringende Vorstellungen, daß er sich aus seiner Trägheit aufraffen und ein fleißiger, brauchbarer Mensch werden solle. Als er nun aber anhub, von seinen Träumen zu erzählen, die nach seiner Behauptung nicht nur so ein Spukbild, sondern echte Goldgestalten sein sollten, als er ihnen Dinge schilderte, wie sie ringsum in der ganzen Welt nicht vorkommen, und dafür Worte gebrauchte, wie sie kein Mensch im Dorf je gehört hatte, da wurden sie böse auf ihn, schalten ihn und zogen sich, als er sie durchaus von der Wahrheit seiner Behauptung überzeugen wollte, mit Achselzucken von ihm zurück, indem sie ihn für einen ausgemachten Narren und unverbesserlichen Tagedieb erklärten.
Infolgedessen verbreitete sich schnell das Gerücht, Hans der Träumer sei im Oberstübchen nicht recht zu Haus, es sei deshalb gar nichts mit ihm zu 86 machen und man könne ihm auch keine Arbeit mehr anvertrauen. Von dieser Zeit an nahmen die Bestellungen bei ihm mehr und mehr ab, er geriet immer tiefer ins Elend, und schließlich ging es sogar ans Hungerleiden, da ihm kein Mensch etwas borgen mochte und er zum Betteln zu stolz war. Aber Hans blieb guten Muts, der kleine Hausrat, den er noch besaß, wanderte Stück für Stück zum Trödler und der Ertrag eines jeden gab wieder für mehrere Tage Brot. Wenn es auch immer kahler, immer armseliger um ihn her wurde, was kümmerte ihn das? Er brauchte ja nur die Augen zu schließen und alsbald glänzte und flimmerte es um ihn her, wie in keinem Königsschloß. Zuletzt verkaufte er auch das Bett, denn er hatte sich überzeugt, daß ihn seine goldenen Träume auch auf dem Stroh besuchten, ja sie blieben jetzt auch den Tag über bei ihm, da er sie nicht mehr um des Geschäftes willen zu verscheuchen brauchte, und er wäre jetzt eigentlich der glücklichste Mensch gewesen, wenn es ihn nicht immerwährend heimlich gekränkt hätte, daß niemand außer ihm seinen Schatz genoß. Als auch der Erlös des Bettes verzehrt war und ihn der Hunger wieder zu quälen anfing, da besann er sich nicht lang. »Es ist ja Sommer,« dachte er bei sich, hob die Fensterscheiben aus und verkaufte sie an den Glaser. Dann stillte er seinen 87 Hunger und träumte weiter. Desgleichen kam er später auf den klugen Einfall, die Thüren auszubrechen, denn er wußte wohl, daß die Diebe nichts bei ihm zu suchen hatten.
So fristete er sich bis zum Herbst, nun aber waren alle Mittel erschöpft und er wußte nicht, wie er sich weiter helfen sollte. An seine Brüder mochte er sich nicht wenden, da es ihnen selber am nötigsten fehlte, und die andern hatten ihn, wie wir wissen, längst als einen arbeitsscheuen Taugenichts aufgegeben. So suchte er denn die letzten Brotkrumen zusammen und streckte sich auf dem Heu aus, um das Knurren seines Magens zu beschwichtigen. In der Nacht aber fuhr ein eisiger Wintersturm durchs Haus, er raste durch die Fenster- und Thüröffnungen aus und ein, daß der arme Hans, der vor Hunger und Frost zitterte, sich tief im Heu vergrub. Seine Träume standen zwar treulich neben ihm und glänzten und schimmerten so schön wie immer, er konnte ihnen aber nicht mehr zulächeln, denn seine Zähne klapperten vor Frost. Und als ihm gar am Morgen beim Erwachen ein heftiger Schneewirbel ins Gesicht schlug, da besann er sich nicht länger. Er sprang auf, packte eilig, wiewohl mit schwerem Herzen, seine goldenen Träume zusammen, nahm sie unter den Arm und rannte mit ihnen fort in den Schneesturm hinaus. Er lief schnell, 88 damit ihn sein Entschluß nicht wieder gereuen sollte, und hielt erst an, als er in der nächsten Stadt vor dem Laden des Goldschmieds stand.
»Meister,« sagte er, indem er zur Thüre hineintrat, »ich komme, um Euch ein vorteilhaftes Geschäft anzubieten. Ich habe hier einen Schatz, der mit keinem Gold der Welt zu bezahlen ist, den ich Euch aber um ein Geringes ablassen will, denn ich befinde mich in großer Not.«
Der Meister warf einen zweifelhaften Blick auf seinen abgeschabten Anzug und sagte:
»Nun, so laßt einmal sehen, was sind das für Herrlichkeiten?«
»Träume!« entgegnete Hans, indem er seinen Pack auseinanderwickelte; »echte goldene Träume, auf die ein König stolz wäre.«
Dabei ließ er seine Träume los, die von seinem Arm herabglitten und nun langsam durchs Zimmer schwebten. Und es ging ein Glänzen und Funkeln von ihnen aus, das an allen Wänden widerstrahlte und einen ordentlich in die Augen biß.
Aber der Goldschmied wollte sich ausschütten vor Lachen.
»Träume,« rief er, »ha, ha, Träu–äume,« und lachte immerfort, daß ihm der dicke Bauch wackelte und die Thränen über die Backen liefen. »Und dafür 89 soll ich dir gutes bares Geld geben? Das wäre mir ein Geschäft, ha, ha, ha! O du guter Hans!«
Als Hans den Goldschmied so unmäßig lachen hörte, stand er ganz versteinert und auch ihm traten jetzt die Thränen in die Augen, aber nicht vor Vergnügen.
Im Zimmer aber war noch ein Dritter anwesend, der mehr als Brot essen konnte. Das war ein langer, magerer, fremder Herr, der bis jetzt am Fenster gestanden war und ein paar blitzende Armbänder prüfend gegen das Licht gehalten hatte. Der bemerkte wohl, daß vor dem Glanz, der von den goldenen Träumen ausging, alle Edelsteine im Laden plötzlich verblaßt waren. Er drehte Hans sein hageres erdfahles Gesicht zu, und seine tiefliegenden Augen funkelten vor Habgier, als er sagte:
»Wie viel verlangt Ihr für die goldenen Dinger? Ich zahle Euch jeden Preis, ohne zu handeln.«
Als der Goldschmied diese Worte hörte von einem vornehmen Mann, den er für einen Kenner halten mußte, da erwachte in ihm der Gedanke, es könne sich hier am Ende doch um ein gutes Geschäft handeln, und zugleich beschlich ihn die Furcht, er habe sich durch seine unzeitige Lustigkeit um einen Gewinn gebracht. Schnell nahm er eine ernsthafte Miene an und sagte zu Hans:
90 »Verzeiht, ich wollte Euch nicht auslachen, es wandelt mich nur zuweilen ein böser Lachkrampf an, für den ich gar nicht kann. Ich will mich gern mit Euch auf das Geschäft einlassen, nur muß ich mich durch eine genaue Schätzung von dem Wert Eurer Goldpüppchen überzeugen. Laßt einmal sehen, was ist eigentlich daran –«
Dabei setzte er seine Brille auf, watschelte auf die Träume zu und wollte einen fassen, aber Hans kam ihm zuvor und schrie:
»Nun sollt Ihr sie gar nicht haben. Nein, lieber will ich verhungern, als meine lieben Träume in Euren plumpen Händen lassen.«
Bei diesen Worten war es merkwürdig anzusehen, wie sich die Träume ganz von selbst wieder unter den Arm ihres rechtmäßigen Besitzers schmiegten und sich da zusammenlegten, daß sie nur einen ganz kleinen Pack bildeten. Mit diesem Päckchen rannte Hans wieder zur Thüre hinaus, wie er gekommen war, ohne den fremden Herrn nur eines Blicks zu würdigen.
Dieser aber warf dem ganz verdutzten Goldschmied schnell seine Armbänder hin. »Meister, ein andermal,« sagte er, und schon war er mit einem Sprung zur Thüre hinaus und rannte ebenso eilig hinter Hans her.
Hans lief, was er laufen konnte, und hielt seine 91 Träume fest an sich gedrückt. Erst als er das Stadtthor hinter sich hatte, blieb er stehen, um Atem zu holen. Da hörte er hinter sich ein bst, bst, und als er sich umsah, erblickte er den Fremden. Er sah ihn jetzt erst genauer an und fand gar kein Vergnügen an seiner Gesellschaft. Es war ein spitziges Gesicht, an dem kein Alter zu erkennen war, das heißt er konnte ebenso gut dreißig wie sechzig zählen, stechende graue Augen und ein ganz schwarzer tadelloser Anzug, unter dem eine schwere Goldkette hervorglänzte. Er trat freundlich auf Hans zu und klopfte ihm auf die Schulter. Dieser aber wich zurück und suchte sich den unheimlichen Kumpan so weit als möglich vom Hals zu halten.
»Laßt Euch's nicht verdrießen, guter Freund,« redete er den bestürzten Hans an, »daß der Goldschmied Euren Schatz nicht zu taxieren gewußt hat. Er ist eben am Werktag geboren und goldene Träume sind ihm in seiner Praxis noch nicht vorgekommen. Ich aber kann wohl sagen, daß ich, was solche Dinge betrifft, Kenner bin und gern einen Kauf mit Euch abschließen will.«
»Ich habe nämlich einen Störenfried da innen,« fuhr er mit heiserem Lachen fort, als Hans verlegen schwieg, »einen Störenfried, der mich bei Nacht nicht ruhig schlafen läßt, und da kann mir nichts erwünschter 92 kommen, als Eure goldenen Träume, damit sie nachts um mein Bett stehen. Ihr sollt selbst den Preis bestimmen. Sagt, wie viel wünscht Ihr dafür?«
Hans machte Bedenklichkeiten, aber der Hunger quälte ihn so heftig und der Fremde wurde so dringlich und machte ihm so große Anerbietungen, daß er schließlich nachgab, indem er bei sich dachte: »In Gottes Namen, wenn ich einen solchen Beutel Gold besitze, so kann ich alle Herrlichkeiten dieser Welt dafür haben und brauche dann ja im Grund meine goldenen Träume gar nicht mehr.«
So wurden sie Handels einig und Hans trug einen schweren Beutel, der fremde Herr die goldenen Träume davon. Aber beim Weggehen drehte er sich noch einmal um, beschrieb Hans aufs genaueste seine Wohnung und sagte zum Schluß:
»Wenn Euch je der Handel gereuen sollte, so kommt nur zu mir, wir werden uns alsdann schon verständigen.«
Und ehe noch Hans antworten konnte, war der Fremde verschwunden, als ob ihn der Boden verschlungen hätte.
Von dieser Stunde fing für Hans ein ganz neues Leben an. Er ging nicht mehr in sein Dorf zurück, sondern in die Stadt ins Gasthaus und bestellte sich das beste Essen. Dort fand er eine Gesellschaft von 93 lustigen Kameraden und hübsche Dirnen, die hielt er frei und durchzechte mit ihnen die ganze Nacht. Als er sich am andern Morgen den bleiernen Schlaf aus den Augen wischte, fand er sich in einem bequemen Schlafzimmer auf weichem Bett, aber die Welt kam ihm katzengrau und nüchtern vor, und erst nachdem er sich vergeblich nach seinen goldenen Träumen umgesehen, besann er sich mit Mühe auf das Vorgefallene. Doch blieb ihm keine Zeit, um Betrachtungen anzustellen, denn gleich darauf erschienen seine neuen Freunde, mit denen er gestern gezecht und Brüderschaft getrunken, und führten ihn zu einem reichlichen Frühstück, das er natürlich bezahlte. Dabei sagten sie ihm so viel Schmeichelhaftes über seinen Witz, seine gute Manieren und sein wohlgestaltetes Aussehen und auch der Wirt behandelte ihn trotz seiner schlechten Kleidung mit so viel Hochachtung, daß der arme Webersohn nicht wußte, wie ihm geschah, und daß er, wenn ihm auch heute morgen kein Bissen mundete, doch wieder ganz guter Dinge ward. Nach dem Frühstück führten sie ihn zum Schneider, bei dem er sich die besten Kleider aussuchte und sie ohne zu handeln bar bezahlte. Als seine Freunde sein vieles Gold sahen, wurden sie noch artiger und rieten ihm, ein schönes Haus zu kaufen und sich ganz in ihrer Stadt niederzulassen. Dieser Vorschlag leuchtete Hans ein, der 94 Kauf wurde noch am selben Tag abgeschlossen, er bewohnte nun eine prächtige Villa, hielt sich große Dienerschaft, Wagen und Pferde und lebte in Saus und Braus. Täglich gab er große Gastmähler, und es versteht sich, daß seine neuen Freunde ihn keine Stunde verließen und daß er deren immer mehr und mehr fand. Dabei war es zu verwundern, daß, obwohl er das Gold mit vollen Händen ausstreute, sein Beutel doch nie leer wurde.
Unser Hans, der jetzt Herr Johannes hieß, schwelgte im siebten Himmel; nur eins trübte sein Glück: er schlief sehr schlecht,. und wenn er endlich nach langem Wachen entschlummert war, so beunruhigten ihn schwere, ängstliche Träume. Um diese Quälgeister zu bannen, ließ er daher jeden Abend Musikanten kommen und machte bei Becher und Geigenklang die Nacht zum Tage, so daß er sich immer erst beim Morgengrauen niederlegte.
Bald drang auch in sein benachbartes Heimatdorf die Kunde, Hans der Träumer sei plötzlich ein reicher, vornehmer Herr geworden. Viele, die vorher über ihn die Achsel gezuckt hatten, machten sich nun auf, um ihn in der Stadt zu besuchen; auch seine Brüder kamen, die noch in der Gegend lebten, und er empfing sie alle mit großer Freude und gab einem jeden, was sein Herz begehrte. Seine Brüder mußten 95 bei ihm bleiben, in seinem schönen Hause wohnen und alle seine Freuden mitgenießen. Seiner Heimatgemeinde aber, die ihm einst sein altes Strohdach ausgebessert hatte, machte er aus Dankbarkeit so ansehnliche Schenkungen, daß sie nicht nur sämtliche alten Dächer im Dorf dafür flicken, sondern auch sonst allerlei wohlthätige und gemeinnützige Werke vornehmen konnte.
Nachdem er so viele Monate wie der Vogel im Hanfsamen gelebt hatte, kam allmählich ein großes Unbehagen über ihn. Das Schwelgen und Prassen, die schlaflosen Nächte, dazu die schweren Träume setzten seinem Körper und Geiste zu, auch machte er bei seinem natürlichen Verstand bald die Entdeckung, daß seine Freunde aus der Stadt eigentlich schlechte Gesellen waren, die nur seinen Reichtum benützten und sich im stillen über den dummen Bauerntölpel lustig machten. Es dauerte noch einige Monate, da war er der ganzen Wirtschaft so überdrüssig, daß ihm das Leben herzlich verleidet war. Auch bemerkte er, daß sein Geld keinen Segen brachte: viele, die er reich gemacht hatte, wurden so übermütig, daß sie allen möglichen Schaden stifteten und schließlich als Übelthäter bestraft wurden; Häuser, die er verschenkte, brannten über Nacht ab, und als er einst einem seiner Kumpane ein schönes Pferd zum Geschenk gab, da 96 fand der Besitzer am andern Morgen ein totes Aas im Stall. Diese und ähnliche Vorfälle brachten das Volk gegen ihn auf, man flüsterte sich zu, er sei ein Zauberer, der sein Sündengeld vom Satan habe, und hätte er nicht, um sie zu beschwichtigen, Gold mit vollen Händen unter die Leute gestreut, so wäre er vielleicht sogar aus der Stadt verwiesen worden.
Eines bösen Tages gar bekamen zwei seiner Brüder bei einem Zechgelag Streit; von Zorn und Wein berauscht, griffen sie zu den Messern, und ehe jemand abwehren konnte, lag der eine tot am Boden. Dieser Vorfall ergriff Hans aufs tiefste, er erwirkte mit großem Geldaufwand die Freisprechung des Schuldigen von den Richtern; als er aber ins Gefängnis kam, um ihm die Nachricht davon zu überbringen, fand er den Mörder mit seinem Taschentuch erhängt.
Tief erschüttert kam Johannes nach Hause, er schloß sich den ganzen Tag in seinem Zimmer ein und ließ niemand vor sich. In der Nacht aber folterten ihn entsetzliche Visionen: wohin er blickte, grinsten ihn Teufelsfratzen an, Schlangen und Skorpionen krochen über sein Bett und er konnte sich nicht regen, um sie wegzustoßen. Da ging plötzlich langsam die Thüre auf und unhörbar, Arm in Arm und ohne die Füße zu bewegen, glitten seine 97 beiden toten Brüder ins Zimmer, der eine setzte sich rechts, der andere links auf sein Bett und so flüsterten sie ihm von beiden Seiten in die Ohren:
»Judas, Judas, um schnödes Silber hast du deinen guten Engel verschachert!«
»Ihr lügt!« schrie Johannes, dem der Zorn plötzlich Kraft gab; »es war Gold, gutes Gold, und ihr habt euch lang genug darin gewälzt, aber jetzt soll es ein Ende haben.«
Am Klang seiner eigenen Stimme erwachte er. Der Morgen sah grau und neblig zum Fenster herein. Johannes rieb sich den Angstschweiß von der Stirn, sprang hastig in seine Kleider, rannte zu dem Schrank, in welchem sein Beutel lag und steckte denselben zu sich, der noch so schwer war wie am ersten Tag. Dann schickte er noch einen seiner Diener zum Pfarrer und ließ ihn bitten, hundert Messen für die Seelen seiner Brüder zu lesen. Nachdem verließ er das Haus und ging, ohne sich noch einmal umzusehen, der Wohnung zu, die ihm der fremde Herr, dem er seine Träume verkauft, beim Fortgehen bezeichnet hatte. Er fand sie auch ohne Mühe; es war ein prächtiger Landsitz, noch reicher als alles, was Johannes selbst besaß, und lag einige Minuten vor der Stadt am Eingang eines dunkeln Tannenwaldes. Ein prachtvoller Park mit Seen, fremden hohen 98 Pflanzen und Marmorstatuen umrahmte das ganze Haus und erstreckte sich tief in den Wald hinein, mit dem er zuletzt gleichsam zusammenfloß. Nur kam es Johannes vor, als ob der Wohnsitz des vornehmen Herrn etwas öd und melancholisch sei, aber er hielt sich nicht dabei auf, denselben näher zu betrachten, da ihm jetzt nur eins am Herzen lag: seine Träume wieder zu bekommen. Er zog die Klingel und der Diener, ein frecher Bursch mit verschmitztem Gesicht, führte Hans, ohne ihn zu melden, durch viele marmorglänzende, aber totenstille Korridore und Treppen in das Kabinett seines Herrn. Dieser saß in kohlschwarzer Kleidung, über einen großen Folianten gebeugt, an einem Schreibtisch. Hans ward es ganz eng ums Herz, als er in das Zimmer trat und das unheimliche Gesicht wieder vor sich sah, auf dem kein Alter und kein menschliches Gefühl geschrieben stand. Am liebsten wäre er gleich wieder davongelaufen, aber der Herr sprang bei seinem Eintritt in die Höhe und rief erfreut:
»Guten Tag, mein Freund, ich habe Euch schon lang erwartet. Ha, das läßt sich denken, daß Ihr Euch nach Euren hübschen Püppchen sehnt, ich hab' es mir gleich vorgestellt. Habe sie Euch gut aufgehoben und sind noch so schön wie immer, es ist auch keins davon abhanden gekommen. Seht her, hier 99 sind sie alle beisammen, sie haben mir inzwischen gute Dienste gethan.«
Bei diesen Worten öffnete er eine Seitenthür und aus einem Nebengemach fiel ein heller goldener Widerschein und übergoß die düstern Wände des Studierzimmers mit einem sanften Licht.
Mit lautem Freudenschrei stürzte Hans auf die Thüre zu, aber der Herr schloß sie rasch wieder ab und sagte:
»Gemach, gemach! Ihr sollt sie wieder haben, ich bitte Euch nur zuvor um eine kleine Gefälligkeit. Ich bin nämlich ein leidenschaftlicher Autographenfreund, das heißt, um mich deutlicher auszudrücken, ich sammle außer andern Merkwürdigkeiten auch die Handschriften bedeutender Männer. Da nun der erste und sozusagen natürliche Besitzer goldener Träume zu den interessantesten Erscheinungen der Mitwelt gehört, so liegt mir viel daran, daß Euer Name in meiner Sammlung nicht fehle.«
»Seht her,« fuhr er fort, indem er das große Buch vom Tisch nahm. »Hier findet Ihr die namhaftesten Berühmtheiten vertreten, welche insgesamt die Gewogenheit hatten, ihre Namen eigenhändig hierherzusetzen, ja sie waren sogar so freundlich, sich auf meinen besondern Wunsch dabei in die Finger zu ritzen und die Feder in ihr eigenes Blut zu tauchen, 100 wodurch sie nun gleichsam auch körperlich bei mir verewigt sind. Ich ersuche Euch um das gleiche, es ist ein kleiner Dienst, den Ihr mir nicht abschlagen könnt, und als Gegendienst gebe ich Euch Eure Träume zurück.«
Dabei präsentierte er ihm mit einer höflichen Verbeugung das Buch, auf dessen letzter Seite eine lange Reihe von rotgeschriebenen Namen stand, die jedoch, mit Ausnahme des letzten, alle ausgestrichen waren.
Aber Hans, dem während der letzten Worte des Unbekannten alles Blut aus den Wangen gewichen war, stieß jetzt einen lauten Schrei aus, ließ das Buch fallen und rief, während sich die Haare auf seinem Kopf sträubten:
»Weg von mir, Satan, verruchter. Ich weiß, was du von mir willst, meine Seele willst du, aber du sollst sie nicht bekommen. Du bist entweder der Gottseibeiuns selbst oder doch einer seiner Abgesandten. Hier hast du dein Sündengeld zurück (und dabei warf er ihm den Beutel klirrend vor die Füße,) und nun gieb mir meine Träume wieder und ich will nichts weiter mit dir zu schaffen haben.«
»Deine Träume?« entgegnete der andere höhnisch, während sich sein blasses Gesicht vor Wut verzerrte. »Deine Träume siehst du nicht eher wieder, als bis du unterschrieben hast. Um einen Beutel Gold waren 101 sie dir feil, jetzt bist du der Käufer und ich habe ihren Wert zu bestimmen. Hier ist ein Messer und hier eine Feder, ein kleiner Schnitt –«
Aber als er auf ihn zutreten wollte, war Hans schon mit einem »Gott steh mir bei!« zur Thüre hinausgestürzt und rannte ohne Umsehen durch die Korridore und Treppen hinaus ins Freie. Mechanisch eilte er den Weg zurück, den er gekommen war; als er aber die Stadt erreichte, sah er schon von weitem einen Volksauflauf und hörte von einigen Vorübergehenden, die ihn nicht kannten, seinen Namen nennen. Er erschrak und schlich auf die Seite, denn so viel hatte er aus ihren Reden vernommen, daß das Haus des reichen Herrn Johannes plötzlich am hellen Tag mit großem Gekrach zusammengestürzt und daß die ganze Bürgerschaft darüber in großer Aufregung sei. Später stellte sich auch heraus, daß zur selben Stunde sämtliche Besitzungen, die er für sein Gold angeschafft hatte, spurlos verschwunden waren mit Ausnahme der Gaben, die er für fromme Zwecke gespendet.
Auf diese Nachricht wagte Johannes nicht mehr in die Stadt zurückzukehren, sondern schlug eine andere Straße ein und ging den ganzen Tag fort, bis er abends eine fremde Ortschaft erreichte. Es kam ihm aber vor, als ob alle Vorübergehenden ihm durchbohrende Blicke zuwarfen, deshalb hielt er sich am 102 Rand der Straße und ging mit niedergeschlagenen Augen, ohne jemand um den Weg zu fragen. Er fand denn auch von selbst die Herberge und brachte wiederum eine schreckliche Nacht zu, denn er hatte dieselben Träume von den Schlangen und Skorpionen und den beiden Brüdern, die ihn einen »Judas« schalten. Am andern Morgen eilte er, ohne Speise zu nehmen, wie von Furien gehetzt, weiter und kam wieder in eine fremde Ortschaft, wo er übernachtete. Da sich aber auch dort der gleiche Traum wiederholte und immer ängstlicher und drückender ward, beschloß Johannes, ehe er sich auf ganz von seinen goldenen Träumen entfernte, noch einen letzten Versuch zu wagen.
Er machte sich in der Frühe des nächsten Morgens auf und ließ sich durch einen Fuhrmann in die Nähe der Stadt zurückbringen. Dort hielt er sich versteckt, und als es Nacht war, schlich er mit klopfendem Herzen und sich vielfach bekreuzend zu der Wohnung des Mannes, den er jetzt für einen Zauberer erkannt hatte. Mit einem Kruzifix in der Hand, das ihn gegen bösen Zauber schützen sollte, kletterte er über die Parkmauer und spähte an den Fenstern hinauf, welches wohl das Schlafzimmer sein möchte. Als er um das Haus schlich, erblickte er einen hohen Cypressenbaum, dessen verschlungene Äste zu den 103 Fenstern hineingewachsen waren, und aus diesem Zeichen erkannte er, daß er vor dem Schlafkabinett des Zauberers stand, denn er hatte denselben Baum zwei Tage zuvor vom Zimmer aus bemerkt. Schnell besonnen kletterte er den Baum hinauf und schwang sich von seinen Ästen an das Fenstergesimse hinüber. Da hörte er langgezogene Töne, die ihm keinen Zweifel mehr ließen. Er kletterte vollends hinauf und erblickte innen auf weichem Ruhebett den unheimlichen Gesellen, der aber jetzt ganz ruhig schlief, als ob er das leichteste Gewissen von der Welt hätte, und auch so unschuldig aussah, wie ein neugeborenes Kind. Um ihn her aber standen glänzend und schimmernd wie eitel Gold die lieben, alten, wohlbekannten Träume. Als Hans oben am Fensterbrett erschien, da drehten sie sich nach ihm um und sahen ihn traurig an. Hans sprang herunter und wollte nach ihnen greifen, sie aber glitten ihm aus den Händen und schüttelten den Kopf. Gleichzeitig fuhr auch der Zauberer halb erwacht in die Höhe und Hans ergriff schleunigst die Flucht auf demselben Weg, auf dem er gekommen war.
Nun blieb der unglückliche Johannes viele Jahre lang verschollen. Er wanderte von Stadt zu Stadt, verdingte sich da und dort im Tagelohn, um sein Leben zu gewinnen, denn er war jetzt ganz verarmt; 104 er konnte es aber nirgends lange aushalten, denn er fand keine Ruhe; selbst wenn er nach angestrengter Arbeit abends die Augen schloß, so quälten ihn seine Spukbilder. So kam er endlich auf den Gedanken, nach Hause zurückzukehren in seine alte Hütte, denn dort, wo er immer so friedlich geschlummert, konnte er allein noch hoffen, die Ruhe wiederzufinden.
Es gelang ihm mit unendlichen Schwierigkeiten, die Heimat wieder zu erreichen. Er gab sich aber niemand zu erkennen, sondern ging gleich geradeswegs auf seine Hütte zu. Er fand sie noch im gleichen Zustand, wie er sie verlassen hatte, denn die Gemeinde, die ihn trotz der bösen Gerüchte, die von ihm im Lande gingen, immer noch als ihren Wohlthäter verehrte, hatte ihren Stolz darein gesetzt, seine einstmalige Behausung unversehrt zum Andenken an ihn zu erhalten. Thüre und Fenster fehlten, auch das Dach war schadhaft, wie damals als er es verließ, aber es war eine warme Sommernacht, so brauchte er keinen Schneesturm zu fürchten und er hatte auf seinen Wanderungen sich schon manchmal mit noch Geringerem begnügen müssen. Er streckte sich also an seinem gewohnten Plätzchen aus und zum erstenmal nach langen Jahren entschlummerte er leicht und heiter, ohne von schrecklichen Spukbildern gefoltert zu werden. In der Nacht erschien ihm sein 105 verstorbener Vater, der alte Weber, der trat vor ihn hin, schüttelte verdrießlich den Kopf und brummte:
»Schöne Geschichten das, so geht's mit dummen Präsenten. Aber komm morgen zu mir, ich kann dir vielleicht helfen.«
Als Hans am andern Morgen gestärkt aus einem ruhigen Schlaf erwachte und sich auf seinen Traum besann, verstand er zwar gar nicht, was derselbe bedeuten sollte, aber es dämmerte doch ein Hoffnungsstrahl in ihm auf. Er suchte in seinem Sack einige Brotrinden zu einem mageren Frühstück zusammen und begab sich dann auf den Gottesacker hinaus, denn nur so konnte er seines Vaters Aufforderung verstehen. Er setzte sich auf den schlichten, verwitterten Stein und wartete lange vergeblich, daß sich etwas ereignen sollte. Dann ging er im Friedhof auf und ab, der einem blühenden Garten glich, und betrachtete sich die Kreuze und Steine. Aber es verging Stunde um Stunde und er war immer noch allein im Schatten der hohen Bäume und hörte den Vögeln zu, die in den Zweigen saßen. Obgleich es ihm dabei ganz leicht ums Herz war und es ihm auch vorkam, als hätten die kleinen Sänger ihre Sache schon seit Jahren nicht mehr so gut gemacht, so verließ ihn doch endlich die Geduld, als er sah, daß die Sonne im Westen zu sinken begann.
106 »So sind die Toten!« sagte er verdrießlich halblaut zu sich selber; »es ist kein Verlaß auf sie.«
Mit diesen Worten erhob er sich, um zu gehen, als er aber schon die Thüre erreicht hatte, blickte er noch einmal an den Himmel hinauf, der jetzt in leuchtendem Abendgold schwamm. Bei diesem Anblick fielen ihm wieder seine verlorenen, einzigen Freunde, seine Träume ein, die so golden waren wie die Wölkchen, die er hinter dem Berg versinken sah, und er weinte bitterlich.
In diesem Augenblick ging eine schöne, weißgekleidete Frau vorüber, die sich auf alle Gräber niederbückte und weiße Rosen zu einem großen Strauße brach.
»Was fehlt Euch, guter Mann?« sagte die schöne Frau mitleidig, indem sie stehen blieb. »Habt Ihr jemand Liebes hier zur Ruhe gebracht?«
Als er aber den Kopf aufrichtete, sah sie ihn schärfer an und fragte plötzlich:
»Seid Ihr nicht Hans der Träumer, der Sohn des Webers, der hier neben liegt?«
Als Hans dies erstaunt bejahte, fuhr die schöne Frau fort:
»Ich kenne dich wohl, ich habe dich als Kind auf dem Arm gehalten. Erzähle mir aufrichtig, was dir fehlt, ich kann dir vielleicht helfen.«
107 Da berichtete Hans der schönen Frau die ganze Geschichte, wie er aus Hunger seine goldenen Träume verkauft hatte und wie es ihm hernach ergangen war.
Die schöne Frau hörte ihm aufmerksam zu und sagte dann liebreich:
»Wenn nicht alle Zeichen trügen, so müssen deine Träume noch zu retten sein. Nur wenige Stunden später und sie wären dir für immer verloren gewesen. Jetzt aber mußt du sie schleunigst auslösen.«
Und als Hans sie erschrocken ansah, fuhr sie fort:
»Fürchte nichts, ich werde dir helfen, den alten Schlaukopf zu überlisten.«
Dabei griff sie in ihr weißes Gewand und zog einen gläsernen, mit roter Flüssigkeit gefüllten Stift hervor, an dessen Ende eine Feder befestigt war. Den überreichte sie Hans und gab ihm die genaueste Anweisung, wie er sich zu benehmen habe. Dann schärfte sie ihm noch aufs strengste ein, keinen Moment zu verlieren, sondern sich alsbald auf den Weg zu machen, damit er, noch ehe die Sonne völlig untergegangen sei, des Zauberers Wohnung erreiche. Hans dankte ihr mit Thränen und eilte dann dem wohlbekannten Walde zu. Es war als ob ihn Flügel trügen, denn mit den letzten Strahlen der scheidenden Sonne stand er schon vor der Thüre, wo ihn derselbe Diener mit dem verschwitzten Gesicht empfing; heute aber lächelte 108 er noch unverschämter als vor Jahren, denn er hatte gegründete Hoffnung, noch heute seinen Herrn zu beerben.
Als Hans, von ihm geleitet, des Zauberers Studierzimmer betrat, da saß derselbe wieder wie vor Jahren vor seinem Buche, diesmal aber sah er nicht mehr so vornehm aus, sondern sein Anzug war vernachlässigt, seine Haltung gebückt, sein Gesicht erdfahl und verzerrt, seine Augen hingen wie in tödlicher Angst an dem Buch, kurz, er glich einem armen Sünder, der auf den Scharfrichter wartet. Als Hans in das Zimmer trat, sprang er mit einem schrillen Schrei in die Höhe, sein Gesicht belebte sich wieder, er nahm sich mit Gewalt zusammen und ging ihm höflich wie sonst entgegen.
Hans erklärte ihm kurz, daß er gekommen sei, um den vor Jahren vorgeschlagenen Handel doch noch abzuschließen. Während dieser Worte leuchtete das Gesicht des andern auf, seine unheimlichen Augen funkelten und er sagte:
»Es freut mich um Euretwillen, guter Freund, daß Ihr Euch beizeiten eines Bessern besonnen habt. Ein paar Stunden später und ich selbst wäre nicht mehr imstande gewesen, Euch Euer Eigentum zurückzuerstatten. Aber nun eilt, daß wir keine Zeit mehr verlieren.«
»O, du Höllenhund,« dachte Hans im stillen, er sagte aber kein Wort, sondern nahm das Messerchen, 109 das ihm der Zauberer anbot und trat damit ans Fenster, wie um sich den Finger zu ritzen. Mittlerweile aber zog er seinen Stift hervor, schraubte ihn auf, daß etwas rote Flüssigkeit herauslief, und ließ dieselbe in die Feder und zum Überfluß noch über seinen Finger tropfen. Dann schrieb er seinen Namen in das Buch. Der andere bat ihn dann noch, daß er jetzt den obenstehenden ausstreichen möge, und Hans willfahrte. Dieser Name war aber des Zauberers eigener, wodurch er sich vor Jahren dem Satan verschrieben hatte als Ersatzmann für einen andern, dessen Name vorher in dem Buch gestanden, nun aber ausgestrichen war. Der Zauberer warf noch einen Blick auf das Buch, um sich zu überzeugen, daß alles in Ordnung sei, dann schlug er es grinsend zu und sagte:
»Es ist gut, Eure Träume stehen Euch jetzt zu Dienst; aber laßt Euch einen Vorschlag machen, Freund. Eßt heute mit mir zu Nacht, ich denke, es wird dann später noch einer zur Gesellschaft kommen; das ist ein sehr lustiger Gesell und es soll mich freuen, wenn Ihr seine Bekanntschaft macht.«
Hans, der den ganzen Tag noch nichts als eine alte Brotrinde gegessen hatte und einen gewaltigen Hunger verspürte, war des wohl zufrieden. Alsbald ließ der Zauberer ein köstliches Mahl mit den feinsten Weinen auftragen und beide thaten sich gütlich. Hans 110 hatte schon lange nicht mehr so gut gegessen und getrunken, und was sein Wohlbehagen vermehrte, war, daß seine lieben Träume um seinen Stuhl standen und ihm freundlich zulächelten. Aber auch der Zauberer war plötzlich wie vertauscht, er war in der besten Laune, scherzte und wußte tausend Späße, so daß Hans, der sich auch den Wein schmecken ließ, den Aufbruch ganz vergaß.
So rückte allmählich die Mitternacht heran, immer lärmender wurde der Jubel der beiden Zecher, an dem sich jetzt als Dritter der Diener beteiligte. Sie sangen allerlei Schelmenlieder, wobei auch Hans nicht zurückblieb, alle lustigen Erinnerungen seines tollen Stadtlebens waren in ihm erwacht, seine Augen funkelten, er hatte ganz vergessen, in wessen Gesellschaft er sich befand, und wollte eben seinem Zechbruder um den Hals fallen, als die Wanduhr warnte. In diesem Augenblick erdröhnte Hufschlag in der Ferne, der Zauberer fuhr in die Höhe, setzte sich aber gleich wieder und wollte Hans noch einmal einschenken. Aber seine Hände zitterten fieberhaft, so daß er den Wein Hans über den Ärmel goß. Dieser lachte gutmütig, da klirrte etwas auf der Treppe, die Thüre sprang mit einem Schlag auf und auf der Schwelle erschien ein fremder Herr im Jagdanzug, mit einem ganzen Büschel von Hahnenfedern auf dem grünen 111 Hütchen, das ihm schief auf den pechschwarzen Haaren saß. Sein Gesicht war noch fahler und spitziger, als das des Zauberers, aus seinen Augen sprühte ein grünliches Feuer, wie ein Höllenbrand, so daß das tückische Gesicht des andern im Vergleich zu ihm ordentlich gutmütig aussah.
»Guten Abend, Kamerad,« sagte er mit spöttischer Freundlichkeit, indem er auf den Zauberer zutrat, der sich erhoben hatte und ihm entgegenging. »Da finde ich Euch ja in recht lustiger Gesellschaft, Ihr habt Euch vermutlich etwas stärken wollen für die Reise. Nun, Ihr könnt nicht klagen, daß ich Euch warten lasse.« Dabei zog er die Uhr aus der Tasche, auf der nur noch eine Minute fehlte bis Mitternacht.
»Entschuldigen Euer Gnaden,« gab der andere mit ausgesuchter Höflichkeit zurück. »Ich sehe mich zu meinem Bedauern verhindert, meinen geschätzten Gast heute nacht zu begleiten. Indes wird dieser Herr hier« (und er zeigte auf Hans) »die Ehre haben, meine Stelle zu vertreten.«
»Du lügst,« schrie der andere, und zwei helle Flammen schlugen aus seinen Augen. »Du bist mir verfallen und über diesen habe ich keine Gewalt.«
»Belieben der Herr sich selbst zu überzeugen,« entgegnete der Zauberer schmunzelnd und trat an den Schreibtisch. Hans war unterdessen mit einem Glase 112 Wein auf den Ankömmling zugetaumelt und lallte mit schwerer Zunge: »Trink, Bruder Satan, du mußt ja höllischen Durst bekommen in deiner heißen Behausung.«
Der Fremde aber würdigte ihr keines Blicks, sondern hielt seine funkelnden Augen fest auf den Zauberer gerichtet, der mit dem großen Buch an das Licht trat und die letzte Seite aufschlug. Aber mit einem Angstschrei ließ er das Buch fallen, denn Hans' Name, sowie der Strich, der seine eigene Unterschrift vernichten sollte, war ausgelöscht, da die magische Tinte die Eigenschaft hatte, nach wenig Stunden gänzlich zu verblassen. Mit kreideweißem Gesicht und schlotternden Knieen wich der arme Sünder bis ans äußerste Ende des Zimmers zurück, der Satan aber brach in ein höllisches Gelächter aus, vor dem alle Wände des Hauses dröhnten, und vor dem sich die Haare des Zauberers in die Höhe richteten. Auch Hans kam bei diesen greulichen Tönen wieder ein wenig zur Besinnung und drückte sich erschrocken zur Seite, während seine goldenen Träume sich ängstlich um ihn drängten wie die Küchlein um die Henne.
Da that die Wanduhr den ersten Schlag. Der Satan hörte auf zu lachen und blickte sein Opfer an wie eine Riesenschlange den kleinen Vogel, den sie durch ihren Blick festbannt. Es wäre unmöglich, diesen Basiliskenblick zu schildern und die Todesangst, 113 die sich in dem Gesicht des Gerichteten malte; das greulichste aber war, daß er selbst, wie von diesem Blick magisch hergezogen, zitternd und wankend den Fuß erhob und stoßweis bei jedem Schlag der Uhr seinem Würger um einen Schritt näher kam.
Mit dem zwölften Schlag geschah zugleich ein furchtbarer Krach und der Boden wankte wie bei einem Erdbeben.
Hans verlor die Besinnung und als er wieder zu sich kam, da stand er in tiefer Nacht allein im Walde. Aber vor ihm her ging ein heller Glanz wie von schimmerndem Gold, es waren seine lieben Träume, die ihm voranschwebten und ihn den Weg zu seiner Hütte leiteten.
Am andern Morgen verbreitete sich im ganzen Dorf die Nachricht, Hans der Träumer sei zurückgekommen und liege wie vormals in seiner baufälligen Hütte. Alles strömte zu ihm, teils aus Neugier, teils aus Teilnahme. Er aber hütete sich wohl, den Besuchern seine wahre Geschichte zu erzählen, er sagte ihnen nur, daß er nach mannigfachen Schicksalen sein Leben in der Heimat beschließen wolle. Von seinen wiedergefundenen goldenen Träumen aber schwieg er, wie ihm die weise Frau befohlen hatte.
Die Gemeinde nahm sich nun mit Rat und That seiner an, sie ließ ihm seine Hütte ausbessern und sorgte ihm für Beschäftigung. Und als er alt ward und nicht mehr arbeiten konnte, da saß er den ganzen 114 Tag allein im Großvaterstuhl beim Ofen und sein Gesicht glänzte ganz golden, daß es ein Wunder zu sehen war. Er aber sagte niemand, was er sah, nur wenn abends nach der Schule die Kinder vom Dorf zu ihm hereinsprangen und sich um seine Kniee drängten, um seine schönen Märlein zu hören, dann erzählte er ihnen von seinen goldenen Träumen, denn das hatte die weise Frau ihm erlaubt. Die Kinder aber hörten ihm aufmerksam zu, lachten ihn auch nicht aus wie die Großen, denn sie verstanden ihn.
So vergingen die Jahre, seine Brüder und Gefreunde waren schon längst gestorben, die Kinder, denen er die Märlein erzählt, waren groß und kümmerten sich nicht mehr um ihn, denn sie hatten anderes zu thun. Nur seine Träume blieben ihm treu, sie wichen nicht von ihm und vergoldeten sein Alter wie einst seine Jugend. Und als er nach langen Jahren als müder Greis ohne Weib und Kind einsam in seiner Hütte lag und sein letztes Stündchen herannahen fühlte, da traten sie dichter an sein Bett, er heftete die brechenden Augen fest auf sie, lächelte noch einmal, streckte die Hand nach ihnen aus, ließ sie sinken und verschied.
Auf seinem Haupt aber lag ein schimmernder Strahlenkranz, den die goldenen Träume ihrem toten Freund als Scheidegruß zurückgelassen hatten. 115