Isolde Kurz
Phantasieen und Märchen
Isolde Kurz

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Sternenmärchen.

Trotz der vorgerückten Jahreszeit – so erzählte ein Freund, der soeben von einer Vesuvbesteigung zurückgekehrt war – hatte die Sonne noch große Kraft und machte jeden Schritt auf dem weichen steilen Aschenboden beschwerlich. Unter Keuchen hatten wir endlich im Schlepptau unserer Führer den Aschenberg erstiegen und standen vor dem qualmenden Schlund, der jählings aufgerissen zu unsern Füßen lag. Ein leichter Wind hatte sich erhoben und trieb die Rauchwirbel nach der entgegengesetzten Seite, so daß wir tief in den Rachen des Kraters hinabblicken konnten. Ein dumpfes Getöse scholl aus der unheimlichen Tiefe herauf, das erst einem zornigen Stöhnen glich, dann aber immer lauter und lauter zu donnerartigem Brüllen anschwoll. Plötzlich prasselte ein Regen kleiner Steinchen über uns her, so daß ich erschrocken zurückprallte und, einen ferneren Ausbruch fürchtend, in Eile das Weite suchen wollte.

42 Aber mein Begleiter hielt mich zurück.

»Es ist keine Gefahr,« sagte er, »halten Sie sich nur dicht an mich, so haben Sie nie etwas zu befürchten.«

Betroffen von dem Ton seiner Worte blickte ich ihm ins Gesicht und wunderte mich aufs neue, wie falsch ich ihn zu Anfang unserer Bekanntschaft beurteilt hatte.

Der kleine Mann in dem abgetragenen grauen Reiserock mit dem schüchternen Gang und dem schmalen Gesicht, der sich schon in Neapel an unsere Gesellschaft angeschlossen hatte, war mir nämlich beim ersten Blick wie ein deutscher Magister auf der Ferienreise erschienen, der sich in dem ungewohnten freien Elemente noch nicht recht heimisch fühlt, und in dieser Vermutung war ich dadurch bestärkt worden, daß er mich unterwegs ein paarmal in deutscher Sprache anredete. Ich achtete übrigens nicht weiter auf ihn, nur fiel es mir im Lauf des Tages auf, daß er jedem Mitglied unserer aus den verschiedensten Nationalitäten gemischten Reisegesellschaft, wenn er angeredet wurde, in dessen Muttersprache Antwort gab und zwar so geläufig, als ob es seine eigene wäre.

Als wir auf der Haltestation anlangten und unsere Karawane sich bereit machen wollte, den vor uns steil anstrebenden und heftig dampfenden Kegelberg zu besteigen, da wurden unsere Führer plötzlich bedenklich 43 und erklärten das Unternehmen wegen der vielen ausgeschleuderten Steine für gefährlich. Die Gesellschaft schien verzichten und sich mit dem Anblick der Somma und des wunderbaren Golfs, der zu unsern Füßen lag, begnügen zu wollen. Wie erstaunte ich daher, als der kleine, graue Mann der einzige war, der sich meinem Protest anschloß und sich bereit erklärte, den Versuch mit zu wagen. Zwei Führer, junge kräftige Neapolitaner, ließen sich gleichfalls willig finden und in ihre Gürtel eingehängt, erreichten wir halb kletternd, halb geschleppt den Gipfel.

Hatten mich schon vorher hingeworfene Bemerkungen meines Begleiters überrascht, die von geradezu erstaunlichen Kenntnissen in allen Bereichen des Wissens zeugten, so fühlte ich mich jetzt noch mehr durch seinen Anblick betroffen. Er schien plötzlich gewachsen zu sein, seine Züge hatten einen Ausdruck von trauriger Sicherheit angenommen, sein Gesicht war gleichsam durchsichtig geworden, also daß eine ganze Reihe der verschiedensten Physiognomien daraus hervorblickte. Er machte mir jetzt den Eindruck eines Mannes, der viel gereist ist, viel erlebt und erfahren und Welt und Menschen vielleicht besser kennen gelernt hat, als er selber wünschen mochte.

Allein der Gegenstand meiner verwunderten Betrachtung schenkte derselben keine Aufmerksamkeit.

44 »Arme alte Mutter,« sagte er halblaut vor sich hin, indem er auf der Asche niederkniete und sein Ohr an den Rand des Abgrunds legte. »Wie das klopft und hämmert da innen. So hast du noch keine Ruhe gefunden, und die alte Wunde brennt immer noch fort. Deine Kinder kommen und legen ihre Finger darein und sehen sie nicht, und sie fühlen die Schläge deines Herzens und verstehen sie nicht. Aber einer ist, der dich versteht, denn er muß einsam wandern wie du.«

»Mein Herr!« rief ich entsetzt, denn ich glaubte nun einen Irrsinnigen vor mir zu haben. »Mit wem reden Sie hier?« Dabei wich ich vom Rand des Abgrunds zurück und sah mich nach den Führern um, die jedoch verschwunden waren.

Mein Begleiter stand auf, seine Augen glänzten und er lächelte geheimnisvoll. »Mit wem ich rede? Mit ihr, aus deren Schoß wir stammen und zu der zurückzukehren ein fluchwürdiges Schicksal mir verwehrt hat, mit der Unglücklichen, die Sie Erde nennen.«

»Wie?« rief ich mit steigender Verwunderung, »Sie werden doch nicht wirklich meinen, daß dieser Erdball, den die Dichter unsre Mutter genannt haben, ein bewußtes Wesen sei, wie Sie und ich, ein Geschöpf, das denkt und fühlt, sich freut und leidet?«

45 »Und wissen Sie ganz gewiß, daß dem nicht so ist?« gab er zurück. »Glauben Sie denn, diese ganze herrliche Schöpfung sei nur ein vernunft- und seelenloser Schauplatz für Eure erhabenen Thaten, und die Sonne gehe nur auf, um Eure Vortrefflichkeit zu bescheinen?«

»Es will mich freilich mitunter auch etwas seltsam bedünken,« gab ich kleinlaut zur Antwort, »aber unsere Gelehrten –«

»Bleibt mir mit Euren Gelehrten vom Hals!« rief er ärgerlich und stampfte mit dem Fuß. »Diese Brillenträger sehen ja den Wald nicht vor lauter Bäumen und stolpern schließlich über ihre eigenen Schatten. Haben Sie denn nie in einer klaren Sommernacht ans Firmament hinaufgeblickt und sich selbst gefragt, ob diese Myriaden unvergänglicher Wesen, die Sie da oben funkeln sehen, wirklich zu nichts anderem bestimmt sind, als höchstens, wie ihnen unsere Weisen gnädigst verstattet haben, ähnliche vollkommene Geschöpfe auf ihrer Oberfläche zu tragen, wie wir sind? Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, sie könnten vielleicht um ihrer selbst willen da sein, seelenvoll und vernunftbegabt und mit ganz anderen Fähigkeiten ausgerüstet, als wir armseligen Parasiten, winzige mißlungene Abbilder ihrer Herrlichkeit, die sich als den Endzweck der Schöpfung spreizen und 46 gar nichts von der Feuerseele ahnen, aus der sie ihr Leben geschöpft haben? Ist Ihnen mit einem Wort nie der Gedanke gekommen, daß diese Himmelskörper individuelle Wesen sind?«

»Als Kind habe ich freilich oft dergleichen gedacht,« entgegnete ich betroffen, »und ich erinnere mich auch, daß ich damals zuweilen meine Eltern danach fragte; da die Erwachsenen aber immer darüber lächelten, so schämte ich mich später dieser Einbildung.«

»Nun,« sagte er, »wenn Ihnen die weise Einfalt Ihrer Kindheit nicht ganz abhanden gekommen ist, so hören Sie die Wahrheit von einem, der länger gelebt hat, als ihm lieb ist, und mehr weiß, als zu wissen wohl thut. Hier, setzen Sie sich auf diesen Mantel und hören Sie mir zu. Ich will Ihnen die Geschichte unserer Erde erzählen. Und fürchten Sie sich nicht vor den Blöcken und Steinen, die allenfalls an unserer Seite herabhüpfen werden, sie kennen mich und wissen, daß sie mir auszuweichen haben.«

Zögernd that ich, wie er geheißen hatte, dann setzte auch er sich auf dem ausgebreiteten Mantel zurecht und begann:

»Vor vielen Myriaden von Jahren wandelten jene leuchtenden Weltkörper, die wir Planeten nennen, noch nicht einsam wie jetzt ihre hoffnungslosen Bahnen am Himmel, sondern sie lebten als eine glückliche 47 Familie am Hof ihrer königlichen Mutter, der Sonne. Von ihr empfingen sie Licht und Wärme und alles, dessen sie bedurften, und ihr dienten sie alle in heiterer Eintracht. Unsere Erde war damals noch ein blühendes Geschöpf voll Feuer und Jugend mit tiefen meeresgrünen Augen und weicher Haut, aus der das feine Geäder herausschimmerte, und doch stand sie an Schönheit weit hinter ihrer älteren Schwester Venus zurück, denn diese war das Vollkommenste, was der Himmel gesehen hatte. Das wußte die Venus auch, denn sie war von je ein eitles und kokettes Ding gewesen, und obwohl sie mit dem Schönsten im ganzen Sonnenreich, mit dem großen Jupiter, vermählt war, so konnte sie es doch nicht lassen, auch andere Bewunderer ihrer Schönheit zu sich heranzuziehen. Besonders der junge Mars, noch ein unvergorener Gesell, lag ganz und gar in ihren Banden und wäre um einen Blick aus ihren schönen Augen zu jeder Tollheit bereit gewesen. Sie aber war viel zu klug, um ihre Gewalt zu mißbrauchen, sie freute sich vielmehr, den Wildfang durch ihre Nähe so hübsch gebändigt zu sehen. Ihr fürstlicher Gemahl störte sie nicht in diesen übrigens harmlosen Liebhabereien, sondern gönnte ihr von Herzen alle Huldigungen der andern, denn Eifersucht gab es damals noch nicht, weil bis dahin auch Falschheit, Verrat 48 und Lüge im Sonnenreiche noch unbekannt waren. Wenn einer wissen wollte, wie es der andere mit ihm meine, so brauchte er ihn nur anzublicken und auf seiner klaren Stirn und in seinen hellen Augen las er alle Gedanken wie in einem Buch und diese Gedanken waren rein und gut.

Nicht nur die Venus, sondern auch zwei andere Töchter der Sonne, die Juno und die Pallas, waren schon unter der Haube und die hohe Frau sah sich eben nach einer passenden Versorgung für ihr Lieblingskind, die Erde, um. Auf diese hatte der Saturn ein Auge geworfen; er war zwar gerade nicht mehr der Jüngste, aber er war stattlich begütert und machte ein großes Haus, denn er verfügte über bedeutende Länderstrecken und besaß außer einem prachtvollen und äußerst kostbaren Doppelring, den er als Gürtel trug und nie ablegte, noch sieben oder, wie andere behaupten, acht ansehnliche Monde, die ihm dienstbar waren und ihn als Vasallen überallhin zu begleiten hatten. Kurz, er war immerhin eine sehr anständige, ja sogar glänzende Partie für die kleine Erde, die gar keine großen Ansprüche machen durfte, denn sie hatte nur einen einzigen Mond als Mitgift beizubringen.

Die Werbung wurde also von seiten der Mutter höchst beifällig aufgenommen und auch die Kleine 49 hatte gegen den ihr bestimmten Bräutigam nichts einzuwenden. Die Liebe hatte bis dahin in ihr Herz noch keinen Eingang gefunden, aber sie war ihm freundlich zugethan, wie denn überhaupt die Planeten, trotz ihrer feurigen Natur, dieses Gefühl nur als ein sanftes herzerwärmendes Licht, nicht als eine verzehrende Flamme kannten. So wurde also die Verlobung mit großem Jubel gefeiert und im ganzen Sonnenreich herrschte Freude und Wohlgefallen wegen des fröhlichen Ereignisses. Ehe man mit den Zurüstungen zur Hochzeit begann, sollte das junge Paar auf den Wunsch der Frau Sonne zuvor noch einen Besuch bei ihren Tanten, den Plejaden, abstatten, denn diese würdigen sieben Stiftsdamen hatten ihren jungen Großneffen und Nichtchen immer viel Freundlichkeit erwiesen, und da sie schon etwas ältlich waren und das Reisen umständlich nahmen, man daher auch nicht hoffen konnte, sie beim Feste am Hof zu sehen, so war es ganz passend, daß sich das Brautpaar noch vor der Hochzeit zu ihnen begab, um ihren Segen in Empfang zu nehmen. Die Wohnung der guten Tanten lag etwas abseits und viele Himmelsmeilen vom Reich der Sonne entfernt, darum mußte sich das junge Paar beizeiten auf den Weg machen. Sie wandelten Arm in Arm, denn sie gingen trotz ihres hohen Ranges immer zu Fuße, und in ehrerbietiger 50 Entfernung folgte ihr zahlreiches Geleite, die acht Trabanten des Saturn, an die sich auch der kleine Diener der Erde angeschlossen hatte. Und wo sie vorüber kamen, riefen ihnen greise Sternenmütter ihre Glückwünsche zu, stolze Fixsterne nickten freundlich und fürwitzige junge Meteore kamen sogar herangeflogen, um ihnen die Hände zu schütteln. Sie grüßten und dankten artig nach allen Seiten, dann blickten sie sich still in die Augen und waren zufrieden.

Als sie die breite Milchstraße betraten, blieben sie plötzlich mit einem Ausruf des Erstaunens stehen und legten die Hände vor die Augen. Sie waren zwar am Hof der Sonne vielen Glanz gewohnt und konnten sogar der leuchtenden Mutter ins Antlitz sehen, ohne zu blinzeln, aber vor der überraschenden Erscheinung, die sich ihnen jetzt darbot, standen sie einen Augenblick wie geblendet. Ein Jüngling war ihnen entgegengetreten von so strahlender Schönheit, daß alle Gestirne ringsum verblaßten und nur noch von seinem Widerschein zu glänzen schienen. Er war hoch und schlank gewachsen, Adel und Kühnheit wohnten in seinen schönen Zügen und er blickte so übermütig aus den glänzenden Augen, als wäre der ganze weite Himmel mit all seiner Herrlichkeit nur um seinetwillen da. An seiner Seite blitzte ein blanker Degen und um die 51 Schulter trug er eine Laute an goldenem Band, darüber war mit nachlässiger Anmut ein Mantel geworfen, dessen prachtvolle, reich mit Gold gestickte Schleppe den halben Horizont bedeckte. So trat er ungezwungen auf die beiden zu, verbeugte sich höflich und fragte, ob er ein Fürstenpaar aus dem Sonnenreich vor sich sehe und ob sie ihm den Weg zum Hoflager der großen Königin weisen könnten.

Die Erde stand noch immer da, als ob der Blitz an ihrer Seite eingeschlagen hätte, und starrte den hohen Fremden, der sie mit freudiger Bewunderung betrachtete, sprachlos an. Saturn aber hatte sich gefaßt und erwiderte den Gruß mit Höflichkeit. Er nannte dem Fremdling seinen und seiner Braut Namen und erbot sich, ihn an den Hof der Frau Sonne zu geleiten, was der andere mit Dank annahm. So kehrte denn das junge Pärchen um, und führte den schönen Reisenden in das mütterliche Reich ein. Gern hätte nun Saturn seinerseits den Namen des Gastes erfahren, aber so lebhaft und gesprächig sich dieser auch unterwegs zeigte, so schweigsam blieb er über diesen Punkt, und Saturn, der zu wohlerzogen war, um einen Besucher mit Fragen zu belästigen, mußte seine Neugier bis auf weiteres bezähmen. Dagegen erzählte ihnen der Fremde, daß er eben vom Hofe des Königs Sirius komme, wo er 52 viele Wochen verweilt habe, und schilderte ihnen aufs verlockendste die herrlichen Feste, die man ihm dort angerichtet. Er rühmte auch die schönen Frauen und Jungfräulein, die den Hof dieses großen Königs schmückten, versäumte aber nicht mit einem Seitenblick auf die errötende Erde hinzuzusetzen, daß all diese Schönheiten keinen Vergleich aushielten mit dem, was der Ruf von den reizenden Töchtern der Sonne erzähle und was er nun mit eigenen Augen bestätigt und übertroffen sehe.

Als sie auf den Palast zuschritten, strömte alles Volk zusammen und begrüßte den schönen Fremdling mit lautem Jubel, und noch lange, nachdem sich die Thore hinter ihm geschlossen hatten, blieb die Menge vor den Stufen des Palastes gelagert, um, wenn sich zufällig die Thüren öffneten, wenigstens den Schimmer seines goldenen Mantels zu erhaschen.

Drinnen war inzwischen der Ankömmling mit adligem Anstand auf den goldnen Thron zugeschritten, auf dem die Sonne in königlicher Pracht saß. Ihr Jüngstes, der kleine Merkur, schmiegte sich in die Falten ihres Kleides und betrachtete den Fremden mit großen Augen. Dieser beugte vor der untersten Stufe ein Knie und überreichte in ehrerbietiger Stellung der hochüberraschten Frau Sonne, die ihm die Stufen herab entgegenschritt, ein Schreiben. 53

»Teure Muhme,« so lautete der Brief, »ich empfehle den Überbringer dieser Zeilen Euer königlichen Gewogenheit und bitte Euch, ihn zu behandeln, als ob er mein eigener Sohn wäre. Er ist von fürstlicher Abkunft und bereist zu seiner Ausbildung und Ergötzung, jedoch unter strengem Inkognito, die Höfe. Nur empfehle ich Euch, die Herzen meiner schönen Nichtchen vor ihm zu hüten, denn er ist ein gefährlicher junger Herr und hat hier manches niedliche Köpfchen verdreht. Indes ist er uns allen gar sehr ins Herz gewachsen und wenn Ihr ihm huldvoll begegnet, so werdet Ihr Euch sehr verpflichten

Euren alten Freund Sirius.«

Als die Sonne diesen Brief gelesen, da wurmte es ihr sehr, daß sie den Namen des schönen Fremden nicht erfahren sollte, sie reichte daher dem Gast, der noch immer in seiner ehrfurchtsvollen Stellung vor ihr verharrte, die Hand, ließ ihn zu sich auf den Thron niedersitzen und sagte:

»Seid mir willkommen, edler Gast, und schenkt uns die Ehre, so lange an unserm Hofe zu verweilen, als es Euch bei uns gefallen wird. Mein königlicher Freund hat Euch mir so warm empfohlen, daß ich wohl sehe, wie hoch Ihr in seiner Gunst steht, was mich auch gar nicht wunder nimmt. Nur Euren Namen hat er mir nicht genannt, laßt mich 54 den wissen, mein hoher Gast, damit wir Euch alle Ehre erweisen können, die wir Eurem Rang und Euren Verdiensten schuldig sind.«

»Durchlauchtigste Frau,« entgegnete jener, indem er die Hand der Königin an die Lippen drückte, »habt Dank für die Güte, die Ihr mir mit Eurem huldreichen Empfang erweist, und glaubt mir, daß Ihr von diesem Augenblick an keinen ergebeneren Diener besitzt als mich. Was aber meinen Namen betrifft, so gestatte mir Eure Majestät, ihn aus besonderen Gründen verschweigen zu dürfen. Damit Ihr indessen gewiß seid, keinen Unwürdigen und Niedrigen an Eurem Hofe zu empfangen, so wißt, daß ich von dem erlauchten Geschlecht der Kometen stamme, die alle im goldenen Buch verzeichnet stehen. Wenn Ihr Beweise dafür wünscht, so befehlet über mich, denn mein Degen ist Eurem Dienst gewidmet.«

Nach dieser ritterlichen Rede drang Frau Sonne nicht weiter in ihren Gast, sondern gab sich mit seinen Erklärungen zufrieden. Sie schickte nun eiligst einen Trabanten ab, um ihre Söhne, Töchter und Schwiegersöhne herbeizuholen, da sie den Ankömmling dem versammelten Familienkreis vorzustellen wünschte. Wie sehr sie aber auch im stillen ihr Gedächtnis anstrengte, sie konnte sich nicht entsinnen, je von dem Haus der Kometen etwas gehört zu haben, und sie 55 kannte doch sonst alle himmlischen Stammbäume und Geschlechtsregister auswendig. Doch hütete sie sich wohl, ihre Unkenntnis merken zu lassen, denn sie fürchtete, sich vor dem gewandten und vielgereisten Fremdling eine Blöße zu geben.

Inzwischen hatte sich die Familie, die schon durch den Lärm der Menge auf das außerordentliche Ereignis aufmerksam gemacht war, vollzählig eingefunden und begrüßte froherstaunt den glänzenden Gast. Er drückte den Männern die Hand, küßte den Frauen und den Fräulein die Fingerspitzen und wußte jeder etwas Schmeichelhaftes zu sagen.

Frau Venus, die sich etwas vor dem Spiegel verspätet hatte, trat zuletzt mit ihrem Gatten ein. Der Komet senkte bei ihrem Anblick wie geblendet die Augen, dann trat er auf sie zu, kniete vor ihr nieder und sagte, indem er die Hand aufs Herz legte:

»Heil meinen Augen, daß sie gewürdigt worden sind, solche Schönheit zu erblicken. Der weite Himmel hat kein zweites Wunder aufzuweisen, wie Euch. Gestattet mir, erlauchte Frau, Euch meine Dienste zu weihen, und nehmt mich huldvoll an als den treusten Eurer Vasallen.«

Solche Worte waren bis jetzt im Sonnenreich noch nicht gesprochen worden und sie drangen dem 56 eitlen Weib wie Gift in die Seele. Je länger sie den glänzenden Fremden anblickte, desto verführerischer dünkte ihr seine Erscheinung und sein ganzes Wesen; sie gab ihm die schönsten Worte zurück, sie scherzte und lachte mit ihm und hätte ihn am liebsten immer in ihrer Nähe festgehalten; das war aber bei der ewigen Beweglichkeit des Gastes nicht möglich, denn ehe sie sich dessen versah, war er ihr entschlüpft und stand bei einer ihrer Schwestern. Bald war er da, bald dort, er tanzte, sang, schlug die Laute und alles mit Meisterschaft, aber immer wenn allgemeiner Beifall ihm huldigte, kehrte er an ihre Seite zurück, als wollte er sagen: Euer Lächeln ist der schönste Lohn.

Ähnlich trieb er es aber auch mit den andern. Er besang das schöne Haar der Juno, rühmte den zierlichen Fuß der sonst etwas unscheinbaren Pallas, selbst die zwei kleinen Backfische Ceres und Vesta, die sonst noch nicht für voll galten, fanden Gnade vor seinen Augen, und mit welchem Entzücken diese die Huldigungen des ritterlichen Fremden aufnahmen, läßt sich denken. So kam es, daß jede glaubte, seine Verehrung gelte im Grunde doch nur ihr allein, und das war ganz natürlich, denn bisher hatte jedes gesprochene Wort für heilig gegolten. Welche von allen konnte auch zweifeln, daß seine Wahl gerade 57 auf sie gefallen sei, da doch eine jede, durch seine Schmeicheleien bethört, sich insgeheim für die Liebenswürdigste hielt. In kurzem hatte er sich übrigens die Gunst der Männer fast ebenso sehr erworben, wie die der Frauen. Sie hörten ihm mit klopfendem Herzen zu, wenn er von den Abenteuern seiner Reisen erzählte, und in allen erwachte die Lust, dies freie Wanderleben gleichfalls kennen zu lernen. Sie schämten sich fast im stillen, daß sie bisher immer so hausbacken auf dem Fleck gesessen hatten, und als er gar erzählte, wie er einst den großen Bären, der ihm den Eingang zum Hof der stolzen Berenice wehren wollte, nach schwerem Kampf siegreich aus dem Feld geschlagen, da war nicht einer, der sich nicht heimlich den Schwur that, auch auf solche Abenteuer hinauszuziehen. Ja, der wilde Mars sprang sogar in die Höhe und wäre ohne einen strafenden Blick der Sonne gleich davongestürzt, um irgend einen Gegner zu suchen. Er war bis jetzt der einzige gewesen, der sich mit einer stillen Abneigung von dem Gaste fernhielt, jetzt hatte ihm dieser aber mit seinen kriegerischen Reden gleichfalls gänzlich den Kopf verdreht, so daß er nichts sehnlicher wünschte, als Kämpfe und Gefahr an der Seite des ritterlichen Fremden aufzusuchen.

Wenn die Frauen nicht zugegen waren, sprach der 58 Komet auch mit Entzücken von den Schönheiten, die er auf seinen Reisen kennen gelernt hatte, und rühmte ganz besonders das heitere und genußreiche Leben am Hofe des Königs Sirius. Dabei ließ er auch hin und wieder ein Wörtchen fallen, daß es gar nicht gut sei, sein Herz nur an einen Gegenstand zu hängen, daß der größte Zeitvertreib im Wechsel bestehe und daß der Verständige an keiner schönen Sternenblume achtlos vorbeigehen sollte. Die Männer zollten ihm ungeteilte Bewunderung ob seiner überlegenen Weltkenntnis und nahmen sich seine Worte zu Herzen. Schließlich machte er sie auf die reizenden Erscheinungen aufmerksam, die er auch hierzuland unter den Asteroidenmädchen wahrgenommen, betonte, daß die Schönheit nicht nur in den hohen Regionen, sondern auch im niedern Stand ein Recht auf Anerkennung habe, und daß es selbst der weise König Sirius, der doch gewiß ein großer Monarch sei, nicht verschmähe, zuweilen zu den Töchtern seines Landes hinabzusteigen und sich bei ihnen von den Mühen der Regierung zu erholen.

Das Schlimmste war, daß der reizende Springinsfeld selbst die sonst so kluge Frau Sonne dermaßen behext hatte, daß sie gar nicht bemerkte, wie seit seinem Erscheinen die schlichten patriarchalischen Sitten an ihrem Hof in Verfall gerieten. Sie gab 59 es zu, daß ihr verzogener Liebling, der unerschöpflich im Ausdenken immer neuer Belustigungen war, die alte Hausordnung auf den Kopf stellte, indem er die hübschesten Asteroidenmädchen bei den Tänzen und Mummereien im Palast einführte. Über solchen Zuwachs ihrer Geselligkeit waren die Herren vom Hofe sehr erbaut und jeder hatte sich unter den flinken Tänzerinnen bald eine Freundin ausgesucht. Nach und nach stiegen sie auch selbst in die Reihen des Volkes hinab, wo ihren entzückten Augen täglich neue Schönheiten begegneten. Bald war es so weit gekommen, daß keiner mehr innerhalb seiner vier Wände zu finden war und daß sich die Ehegatten nur noch bei den gemeinsamen Festen sahen, wo sie sich dann so wenig wie möglich miteinander beschäftigten. Die Frauen beschwerten sich nicht über diese Vernachlässigung, der schöne Gast entschädigte sie reichlich für die Stunden ihrer Einsamkeit, denn er hatte sich's zur Aufgabe gemacht, all die liebenswürdigen Verlassenen zu zerstreuen und zu trösten. In seiner Nähe konnte keine Sorge noch Reue aufkommen, und mochte er seine geschmeidige Gestalt im Tanze schwingen, wobei ihm der goldgestickte Mantel anmutig um die Schultern flog, mochte er, zu den Füßen einer Schönen sitzend, ein Liebeslied zur Laute singen, immer war er gleich bestrickend.

60 Während der glänzende Abenteurer alles im Wirbel mit sich fortriß und jedes sich dem Zauber seiner Gegenwart hingab, war nur ein Herz, das sich in der allgemeinen Freude traurig und beklommen fühlte, und das war die gute Erde. Seit jener ersten Begegnung hatte der Komet kein Wort mehr mit ihr gewechselt, er richtete nie die Rede an sie und während er allen huldigte, schien er das anmutige junge Wesen völlig zu übersehen. Freilich durfte er einer verlobten Braut, die eben vor der Hochzeit stand, sich nicht mit Auszeichnung nähern, daß er sie aber so geflissentlich vernachlässigte, das kränkte sie in tiefster Seele und setzte in ihren eigenen Augen ihren Wert herab. Dabei wollte es ihr manchmal bedünken, wenn sie ihn von ferne beobachtete, als werfe er plötzlich einen langen ernsten Blick voll Kummer und Entsagung auf sie, daß sie bis ins tiefste Herz erschrak. Freilich sah sie ihn gleich darauf mit ihren Schwestern die ausgelassensten Scherze treiben, so daß sie an ihrer Bemerkung wieder ganz irre wurde, aber doch konnte sie die Erinnerung an einen solchen Blick nicht mehr los werden. Ihr Bräutigam vernachlässigte sie ebenfalls, denn er hatte, durch die Reden des Fremden und das Beispiel der andern verleitet, einen wenig löblichen Lebenswandel begonnen; er besuchte die Trinkstuben und vergnügte sich mit den hübschen Schenkmädchen.

61 So hatte sie sich auch eines Tages einsam vom Feste weggeschlichen und wandelte abseits, in traurige Gedanken versunken, als sie sich plötzlich bei der Hand ergriffen fühlte. Sie sah erschrocken auf und erblickte mit Verwunderung den Fremden neben sich, der ihr heimlich gefolgt war.

»Ihr zürnt mir, schöne Jungfrau,« begann er mit trauriger Miene, »ich fühle es schon lang und weiß doch nicht, was ich gegen Euch verbrochen habe. Ihr schweigt, als sei ich keines Wortes wert, und Ihr ahnt nicht, welchen Schmerz mir Eure Verachtung bereitet.«

Die Erde wollte antworten und ihm sagen, daß sie sich vielmehr von ihm verachtet glaubte, aber der plötzliche Schreck hatte sie so gelähmt, daß sie kein Wort hervorbrachte und nicht einmal den Blick zu erheben wagte. Daher fuhr der Komet noch niedergeschlagener fort:

»Daß Ihr mir nicht einmal Euer Auge gönnt, sagt mir deutlich, wie schlecht Ihr von mir denkt. Ich ahne nun wohl, was dieser stille Vorwurf besagen will: Ihr haltet mich für einen jener hohlen, aufgeblasenen Nebelsterne, windige Bursche, die mir oft den Weg gekreuzt haben und nur Verachtung verdienen. Aber Ihr irret Euch, glaubt mir, mein Wesen ist warm und tief, und wenn Ihr mich zuweilen 62 leichtfertig und ausgelassen gesehen habt, so war ich es nur, um die unheilbare Wunde zu verhehlen, die mir Euer erster Blick geschlagen hat. Ich weiß, daß ich nichts zu hoffen habe, aber laßt mir wenigstens den Trost, daß ich nicht mit Eurem Groll beladen scheide. Gebt mir ein freundliches Wort auf meine einsame Bahn mit und bewahrt mir, wenn ich fern bin, ein gütiges Andenken.«

»Ihr wollt fort?« sagte die Erde erschrocken und warf einen verstohlenen Blick auf ihn.

»Ja, meine einzig Geliebte,« antwortete er ermutigt, »mit dem nächsten Morgen muß ich scheiden, denn hier kann meines Bleibens nicht länger sein. Unstät und elend muß ich schweifen, ohne Hoffnung, ohne Ziel; durch alle Himmelsräume werde ich Euer Bild im Herzen tragen, wo es nie erlöschen wird. Von Unendlichkeit zu Unendlichkeit, bis zu den fernsten Nebelflecken, werde ich wandern und werde nirgends Euresgleichen finden. O schönste Erde, wenn wirklich Planetenfeuer Eure Adern wärmt, so habt Erbarmen und stoßt mich nicht ohne ein Wort des Trostes auf meine hoffnungslose Irrfahrt hinaus.«

Unter diesen Worten, die ihm mit wunderbarer Geläufigkeit von den Lippen strömten, war er auf die Kniee gesunken, hatte ihre Hand ergriffen und küßte sie inbrünstig. Der armen Erde wollte es 63 das Herz abdrücken, ihn so vom Abschied reden zu hören, als er aber gar mit nassen Augen beteuerte, er müsse gehen, um nie zurückzukehren, da konnte sie nicht länger an sich halten, sie fiel ihm um den Hals, legte den Kopf an seine Schulter und weinte bitterlich.

In diesem Augenblick zog ein Haufe lärmender Planetenjünglinge Arm in Arm mit leichtfertigen Asteroidenmädchen vorüber. Sie kamen von einem Gelage, wo sie sich sternvoll getrunken hatten und taumelten singend und lachend vorbei, ohne das Pärchen zu bemerken. Unter ihnen war auch Saturn, der sich an dem feuerflüssigen Weltlikör dermaßen berauscht hatte, daß ihm sein schöner Gürtel ganz unordentlich um die Hüften hing und daß seine acht Trabanten vollauf zu thun hatten, um den wankenden Gebieter zu stützen und ihm zu leuchten.

Bei diesem Anblick schauderte die schöne Erde und schmiegte sich fester an den Kometen, der sie zärtlich in den Armen hielt. Sie gestand ihm, daß sie ihn liebe und nicht mehr von ihm lassen könne, und beschwor ihn unter Thränen, nicht von ihr zu gehen. Als er aber auf seinem Vorsatz beharrte, weil er, wie er sagte, nicht seinen Wünschen, sondern einem höheren Gesetz zu folgen habe, da erbot sie sich, ihn auf seiner Fahrt zu begleiten und in alle Ewigkeit 64 Freude und Leid mit ihm zu teilen. Er willigte ein und sie verabredeten, daß er sie heimlich vor Tau und Tage aus ihrem Mutterhaus entführen sollte, denn die Sonne, des langen Nachtwachens ungewohnt, pflegte in der letzten Zeit immer erst sehr spät aufzustehen. So verbrachten sie ein paar selige Stunden im Rausch ihres jungen Liebesglücks.

Unterdessen hatte die Sonne allgemach ihr Palastthor schließen lassen und es verbreitete sich ringsum tiefe Dunkelheit, in der nur der goldene Mantel des Kometen hell hervorglänzte. Die Erde erkannte, daß es Zeit sei, sich von ihrem Geliebten zu trennen und ins Schloß zurückzukehren, wo sie ihre Flucht vorzubereiten dachte. Sie riß sich unter erneuten Liebesschwüren aus seinen Armen los und eilte davon. Niemand war Zeuge ihrer Zusammenkunft gewesen, als ihr kleiner Mond und der verriet nichts.

Der Komet aber begab sich augenblicklich vor das Haus der schönen Venus, von der er sicher war, sie noch wach zu treffen, denn ihr Fenster war hell erleuchtet.

Dort schüttelte er seinen goldenen Mantel, daß die Sterne herausflogen, schlug seine Laute und begann mit schmeichelnder Stimme zu singen:

Du schönste Sternenblume,
Ich liebe dich, sei mein! 65
Es soll von deinem Ruhme
Der Himmel Zeuge sein.

O stiehl dich weg vom Schwarme,
Die Lauscher weilen fern,
Und komm in meine Arme,
Mein süßer Abendstern.

Mit den Lauschern meinte er aber niemand anders, als die vier Trabanten des Jupiter, die sonst vor der Wohnung ihrer Herrin Wache zu halten pflegten, heute aber auf des Kometen Veranlassung eine passende Verwendung gefunden hatten.

Der Komet hatte nämlich dem schwachen Jupiter so viel von den unvergleichlichen Reizen der wegen ihres prachtvollen Haares in den fernsten Regionen berühmten Prinzessin Berenice erzählt, daß dieser, uneingedenk des Glücks die schönste Frau im Sonnenreich zu besitzen, von leidenschaftlicher Liebe für die Prinzessin entbrannte und auf Anraten seines neuen Freundes seine Diener mit einem Brief und vielen kostbaren Geschenken an die Schöne abschickte. Bis zu ihrer Zurückkunft vertrieb er sich auswärts die Zeit. Als die vier Abgesandten aber den Hof der Prinzessin erreichten, fanden sie die Thore von dem großen Bären und einem grausam starken Löwen bewacht, also, daß sie es vorzogen, ihr Heil in der Flucht zu suchen, und des andern Tages unverrichteter Sache zurückkehrten.

Beim Klang der Laute öffnete sich leise die Thüre 66 und Frau Venus kam herausgeschlichen, ergriff den Sänger bei der Hand und zog ihn ins Haus hinein. Ein lauer Abendwind aber trug die verhallenden Klänge der Serenade vor die hohen Fenster der Erde, die mit klopfendem Herzen diesen vermeintlichen Grüßen ihres Getreuen lauschte.

Dann schlich sie auf den Zehen in das Gemach ihrer Mutter, von der sie wußte, daß sie die glänzenden Augen schon geschlossen hatte, beugte sich über die Schlummernde nieder und wollte heimlich einen Abschiedskuß auf ihre Lippen drücken. Dabei überwältigte sie plötzlich der bittere Schmerz, von einer so guten Mutter sich heimlich fortstehlen zu müssen, und eine glühende Thräne, die sie nicht zurückhalten konnte, tropfte auf das Angesicht der hohen Schläferin herab. Erstaunt und verschlafen schlug diese die großen Augen auf und fragte die Tochter, die verwirrt auf die Kniee gesunken war, um die Ursache ihrer Bewegung. Aufrichtigen Herzens bekannte die Erde das Vorgefallene und ihren Entschluß, mit dem Geliebten das mütterliche Haus zu verlassen, und bat die Sonne um ihre Verzeihung und ihren Segen. Diese war sehr erzürnt und betrübt, daß eines ihrer Kinder sie hatte heimlich verlassen wollen; da sie aber die große Liebe ihrer Tochter erkannte und, durch die glänzenden Gaben des Fremden verleitet, ihre Wahl 67 im stillen billigte, versprach sie zuletzt, selbst die Hand zu diesem Bündnis zu bieten und noch diese Nacht die Anstalten zu treffen, damit das junge Paar in der Frühe des andern Morgens die Reise antreten könne. Sie erhob sich daher und ließ eilig die ganze Familie zusammenrufen, dem kleinen Merkur aber, der bei dem Geräusch erwacht war und sich nicht mehr beschwichtigen ließ, gebot sie, den Kometen herbeizuholen.

Der Kleine, der schon über seine Jahre aufgeweckt war und manches bemerkt hatte, was den Großen entging, begab sich, als er den Fremden nicht in seiner Behausung fand, sogleich zu seiner Schwester Venus. Diese hatte soeben die Botschaft ihrer Mutter empfangen und verabschiedete sich von ihrem Freund. Der Kleine kam mit dem Kometen in den Palast zurück, wo sich inzwischen alle Großen des Reichs und der Familie eingefunden hatten. Frau Sonne trat dem Erstaunten, die bräutlich geschmückte Erde an der Hand, in aller Pracht entgegen und sprach huldvoll, wenn auch vielfach durch Thränen unterbrochen:

»Erlauchter Gast, Ihr wißt, daß es bisher bei uns Sitte gewesen, daß jedes hübsch daheim bleibe und sich sein Ehegemahl unter den Kindern des Landes suche. Daher war es auch bestimmt, daß meine Erde den würdigen Saturn zum Gatten nehmen sollte, 68 und so schien es in jeder Hinsicht recht und gut. Da es nun aber anders gekommen ist und Ihr vermöge Eures ritterlichen Anstandes das Herz meines Lieblings gewonnen habt, so will ich nicht dawider sein, denn lieber mag ich mein Kind entbehren, als es leiden sehen. Nehmt sie, ich gebe sie Euch freiwillig, und wenn Ihr nicht bei uns bleiben könnt und dürft, so ziehet mit ihr fort und mein mütterlicher Segen folge Euch.«

Während dieser Worte waren alle anwesenden Sternenfrauen und Sternenfräulein tief erblaßt; sie sprachen aber kein Wort, sondern blickten erschrocken auf den Treulosen, der in großer Bestürzung dastand, aber bald seine Frechheit wieder gewann und mit kecker Stirn antwortete:

»Mit nichten, edle Frau Sonne, Euer holdes Töchterlein bleibe hier und ich ziehe allein von dannen. Ich schätze mich zwar hochgeehrt durch die Güte, mit der Ihr Euer Kleinod einem Namenlosen anvertrauen wollt, aber auf meinem Weg kann ich keine Gefährtin brauchen. Ich schweife von Land zu Land, ich singe meine Lieder, ich verbreite Freude um mich her, erwerbe mir den höchsten Preis und küsse überall die schönsten Lippen – das ist Kometenrecht. Dann aber ziehe ich weiter auf meiner leuchtenden Bahn und kein schönes weinendes Auge 69 darf mich halten. Und so sei auch du klug, meine schöne Erde, und tröste dich. Habe ich dir doch ein Glück gebracht, so groß, wie du vor mir keines kanntest, und die Erinnerung daran wird dir bleiben als ein unvergänglicher und leuchtender Besitz.«

Als der Falsche diese grausamen Worte gesprochen hatte, da entstand eine tiefe Stille. Keines wagte ein Wort zu reden, sie blickten alle auf die arme Erde, deren heißes Blut plötzlich zu Eis erstarrt war. Da näherte sich der kleine fürwitzige Merkur seiner Mutter und sagte:

»Ich weiß wohl, Mama, warum der Herr Komet die Erde nicht will, das kommt davon, daß ihm meine Schwester Venus viel besser gefällt. Er hat es ihr selbst gesagt und will sie mitnehmen auf seine Reise.«

Da warf die Sonne einen Blick auf ihre ältere Tochter und aus ihrem erbleichten Gesichte las sie ihre Schuld. Aber noch ehe sie ein Wort reden konnte, war Pallas aufgesprungen und rief zornbebend:

»Treuloser Verräter, das sind also deine Schwüre? Hast du nicht tausendmal beteuert, daß du keine liebtest als mich?«

Nun hielten auch die andern nicht mehr zurück; von allen Seiten überschütteten sie ihn mit Vorwürfen und auch die Männer schalten und tobten, daß er ihre Frauen und Bräute bethört und sie selbst zum 70 Abfall verleitet hätte. Am grimmigsten war Jupiter, der jetzt erkannte, warum der Fremde ihm zur Untreue gegen seine Frau geraten. Mit einem Schrei der Wut wollte er sich auf ihn stürzen, aber die Venus warf sich dazwischen, denn obwohl sie jetzt erkannte, daß der Springinsfeld sie betrogen, so zitterte sie doch für ihn, so sehr hatte er es ihr angethan. Da griff der junge Mars ungestüm zum Schwert, das war aber kein aus Eisen geschmiedetes, wie es die Menschen tragen, sondern ein Feuerbrand, ein Strom von geschmolzenem Erz, den er sich aus dem eigenen Busen riß. Doch so viel Hiebe er auch nach dem Kometen führte, er traf immer ins Leere, bis er endlich die Hand ermattet sinken ließ.

»Nichtswürdiger Landstreicher,« schrie er erbittert, »wenn du ein Herz hast, so zeige es jetzt und stelle deinen Mann.«

Der aber lachte mit seinem hellen, herzlosen Lachen, er schlug seinen Mantel über die Schulter und traf damit den Mars auf die Wange, so daß dieser ob der Schmach, die er nicht rächen konnte, über das ganze Gesicht errötete und bis heute diese Farbe behalten hat. Dann wandte sich der Verräter um, noch einen letzten lächelnden Gruß warf er den Betrogenen zurück, dann zog er vorüber leuchtend und kalt; noch lange sahen sie die Schleppe seines sternbesäeten 71 Mantels über den Himmel wallen, bis er auf immer aus ihrer Sphäre verschwand.

Als er nun unwiederbringlich für sie verloren war, da brach an der armen Erde völliger Verzweiflungsschmerz aus. Das war ein Schauspiel, wie der Himmel noch keines erlebt hatte. Sie warf sich nieder, ihr ganzer Leib zuckte und bebte, ihr flammender Gürtel Äquator sprang auf, Ströme von Feuer quollen aus ihrem Mund, die Meere ihrer Thränen überschwemmten ihren Busen und konnten doch die Glut nicht löschen, sie raufte sich ihr gelbes Haar, sie zerriß ihre Kleider und ihre ganze schöne Gestalt ward ein Raub der Verwüstung.

Die Sonne aber trat mit strengem Gesicht in die Mitte ihrer Kinder und befahl ihnen allen, durch aufrichtiges Geständnis ihre Schuld zu sühnen. Und sie sanken in die Kniee und bekannten offen, denn wenn sie sich auch wechselseitig die Treue gebrochen, lügen hatten die Sterne nicht gelernt. Da sprach die Sonne: »Ihr habt schwer gefehlt, und keines ist unter euch, das von Schuld frei geblieben wäre. Also habt ihr euch gegenseitig nichts zu vergeben. Wollt ihr nun alle das Vergangene vergangen sein lassen, euch versöhnen, und in Liebe eure Fehler bedecken, so will auch ich vergeben und vergessen.«

Bei diesen Worten blickten die Planeten einander 72 an und der Unmut erwachte in ihnen aufs neue. Ihre Herzen waren schon so verhärtet, daß keines dem anderen verzeihen mochte. Sie wandten sich grollend voneinander ab und schwiegen.

Da ergrimmte die Sonne und rief:

»Wohlan, so verstoße ich euch alle, denn Falschheit, Hartherzigkeit, Lieblosigkeit haben euren Glanz getrübt, ihr seid meine Kinder nicht mehr. Seid verflucht auf Äonen und Äonen, ihr selbst und euer eingeborenes Geschlecht. Einsam und hoffnungslos sollt ihr schweifen und kein Ende finden eurer Qual. Denn wie ihr einander nicht vergeben konntet, so will auch ich euch nicht vergeben und eure Kinder sollen euch fluchen, denn sie sollen hoffnungslos und elend sein, wie ihr!«

Und als sie diese Worte gesprochen, trieb sie ihre Kinder von sich. Den Uranus und Neptun stieß sie aber am weitesten hinaus, ob sie gleich am wenigsten verbrochen, nur darum, weil sie die ersten gewesen, die sich der Versöhnung geweigert hatten. Ihnen folgten alle anderen, als es aber an ihren Nestling, den kleinen Merkur, kam, der seine Schwester verraten hatte, da wollte ihr Mutterherz brechen, ihre Hand zitterte und sie hatte nur die Kraft, ihn eine ganz kleine Strecke von sich wegzustoßen, so daß er ihr auch jetzt noch immer der nächste ist.

73 Sie selber blieb einsam zurück und verhüllte ihr stolzes Angesicht und weinte.

Als die Erde sich wieder faßte und ihre Thränen allgemach spärlicher rannen, da war ihre Schönheit zerstört, ihre Haut war gefurcht und Schnee war auf ihr Haar gefallen. Da stimmte sie an das große Lied, ihrer und ihrer mitbetrogenen Schwestern Wehgesang, und die anderen fielen ein – es waren die ersten Akkorde jener entsetzlichen Weise, die ihr Morgen- und Abendlied geworden ist. Man nennt sie Sphärenharmonie, aber kein sterbliches Ohr hat sie je vernommen, und wohl euch, daß ihr sie nicht vernehmen könnt. Ich habe sie nur einmal gehört, und von diesen Lauten ist mein Haar erbleicht . . .

So wandeln sie nun auf ewig getrennt ihre unermeßlichen Bahnen. Zuweilen freilich begegnen sie sich, dann aber schlagen sie die Augen nieder und gehen still aneinander vorbei. Und doch wollen eure Astronomen bemerkt haben, daß die Venus und der Mars in letzter Zeit ein freundliches Wort miteinander gesprochen hätten.

Auch unsere Erde ist jetzt ruhiger geworden, aber ein Riß geht durch ihr Herz, der nie geheilt ist, und alle ihre Geschöpfe sind damit gezeichnet.

Und wenn sie sich auch gefaßt hat, so daß sie jetzt fast erkaltet erscheint, so glaubet ja nicht, daß sie 74 darum weniger leide: die heiße Quelle ihrer Thränen, die immerwährend hoch oben im Norden sprudelt, giebt Zeugnis von ihrem ewigen Gram. Und wer weiß, ob nicht wieder einmal beim Anblick des Verräters Feuer aus ihrem Innern brechen und alle eure kleinen Leidenschaften in ihrer Glut begraben?

Jener Komet aber ist nicht wieder in ihre Nähe gekommen. Nur zuweilen in schönen Nächten sieht man ihn in weiter Ferne vorüberziehen, schön und kalt wie je. Wer weiß, wie vieles Sternenglück er seitdem getrübt hat, wie viele Feuerthränen um ihn geflossen sind? Und so oft die unglückliche Erde seinen goldenen Mantel wallen sieht, bricht die alte Wunde wieder auf, dann gärt und wühlt es tief innen, krampfhaft hebt sich ihr Busen. Hier oben aber pflegt es alsdann nicht geheuer zu sein; es sind zwar nur Funken der früheren Glut, die aus der geborstenen Decke springen, aber sie können dem Parasitenvölkchen, das sich ringsum eingenistet hat, schon tüchtig einheizen, wie dazumal, als ich zum erstenmale hier oben stand und das liebliche Pompeji zu meinen Füßen in der Asche verschwinden sah –«

»Sie,« rief ich entsetzt, »Sie wären damals hier gewesen. So sind Sie niemand anderes, als –« hier stockte ich und wagte nicht fortzufahren.

»Nennt keinen Namen,« sagte er, »denn keiner ist 75 imstande, mein ganzes Wesen zu umfassen. Ich bin der unglücklichste Sohn meiner unglücklichen Mutter, denn ich bin unvergänglich wie sie, und so lange der Fluch auf ihr lastet, darf auch ich keine Erlösung hoffen. Dafür aber,« fuhr er mit aufleuchtendem Gesicht fort, »dafür stehe ich ihr auch am nächsten, ich darf mich an ihren Busen werfen und sie hört meine Klagen, und wenn ich das Treiben meiner sterblichen Brüder nicht mehr mitansehen kann, so komme ich hier herauf und lege die Hand an ihre klopfende Brust und fühle die Schläge dieses edlen Herzens, und in dem Donner, der Euch mit Zerstörung droht, höre ich die tröstende Stimme meiner Mutter. – Und nun lebt wohl, denkt an die Geschichte, die ich Euch erzählt habe und wenn Ihr könnt, so zieht einen tröstlichen Schluß für Euch und Euresgleichen daraus.«

»Großer Wanderer,« rief ich und sprang in die Höhe, »Ihr wollt fort, so laßt mich noch ein Wort von Euch hören.«

»Lebt wohl, ich darf nicht länger bleiben, ich muß zu den Menschen zurück, die mich nicht entbehren können, wiewohl sie mir fluchen. Wenn ich Euch aber je auf meiner Wanderung wieder begegne, so will ich Euch ein Erkennungszeichen geben.«

Mit diesen Worten wandte er sich zum Gehen, 76 und ehe ich noch ein Wort finden konnte, war er den Berg hinabgestiegen.

Ich sah ihm nach, bis er meinen Augen entschwunden war.

»O, ewige Mutter,« rief ich dann und warf mich zu Boden, »große himmlische Dulderin, hier schwöre ich dir, du sollst keine Klage mehr von mir hören. Was auch mein Leid sei, ihm ist ein Ziel gesetzt, denn ich darf sterben und du nimmst mich liebreich und erbarmungsvoll in deinen Schoß zurück. Du aber mußt kreisen ruhelos und elend durch Äonen fort und fort ohne Ende, wenn nicht deine stolze Mutter ihren Sinn erweichen läßt und dir ihre Arme öffnet, daß du ihr ans Herz fliegst, um dort zu vergessen und zu vergehen.«

So weit hatte der Freund ununterbrochen weiter erzählt; als er nun aber schwieg, da blickten sich die Zuhörer verwundert an und schüttelten die Köpfe, und einer, der ein starker Zweifler war, sagte:

»Ich glaube, lieber Freund, Sie haben oben am Rand des Kraters ein heißes Mittagsschläfchen gemacht und da hat Ihnen ein neckischer Kobold diese wundersame Geschichte ins Ohr geflüstert.«

Aber der Freund schüttelte den Kopf und erwiderte ernsthaft:

»Beinahe hätte ich es auch glauben mögen, als ich 77 wieder unten an dem lachenden Gestade stand und die leichten Dampfwolken an dem klarblauen Himmel hinaufsteigen sah. Als ich aber einige Monate später im Golf von Neapel die Anker lichtete, um in meine Heimat zurückzukehren, da fuhr ein kleiner Dampfer mit Menschen gefüllt in der Richtung nach Süden an uns vorüber. Am Bug stand ein kleiner grau gekleideter Mann, der mit übereinander geschlagenen Armen forschend in das blaue Wasser niedersah, als lese er in dem klaren Auge wie in einem Buch. Beim Vorüberfahren sah er auf und winkte mir mit der Hand, aber noch ehe ich ihn recht erkannte und seinen Gruß erwiedern konnte, hatte ihn das leichte Dampfboot weit hinweggetragen.« 78

 


 


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