Isolde Kurz
Von dazumal
Isolde Kurz

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Die Reise nach Tripstrill.

(Märchen)

Es war einmal eine arme, alte Frau, der wurde das Leben arg sauer gemacht, denn wo sie sich sehen ließ, kamen die Gassenjungen, verhöhnten sie, weil sie so alt war, und jagten sie mit Steinwürfen fort. Sie konnte kaum über die Straße wanken, daß ihr nicht ein ungezogener Junge Schmutz an den Mantel warf oder ihr im Vorübergehen schnell ein Bein stellte, darüber sie zu Boden fiel. Dann sprangen alle Kinder des Ortes um sie her, schlugen ein Gelächter auf und schrieen: »Fort mit Dir, Alte, fort in die Pelzmühle!«

Das alte Weiblein nahm sich diese Mißhandlungen sehr zu Herzen, denn sie hatte Niemandem ein Leids gethan, und daß sie alt und häßlich war, dafür konnte sie nichts, sie wäre selber viel lieber jung und schön gewesen. Hätte sich auch am liebsten in einen Winkel verkrochen und wäre gar nicht mehr zum Vorschein gekommen; aber sie mußte die Einkäufe besorgen, denn ihr Mann saß daheim und brummte, wenn das Essen nicht bei Zeiten fertig war. Von dem Manne bekam sie auch manches rohe Wort über ihre Runzeln und zittrigen Glieder zu hören, obwohl er selber ein alter Knasterbart war, nach dem kein junges Mädchen mehr umschaute, aber 240 daran dachte er nicht, sondern es schien ihm, als wäre die Jüngste und Schönste eben recht für ihn.

Wenn das arme alte Weiblein nach Hause kam und weinend erzählte, daß es die Gassenjungen ihr wieder so wüst gemacht hätten, dann fuhr er sie an: »Erwartest auch noch Flattusen, alte Hutzel, gerade als ob Du ein heuriges Häslein wärst!«

Darüber wurde die Alte vollends so verschüchtert und ängstlich, daß sie sich fast nicht mehr zu reden getraute und am Ende selber glaubte, das Unrecht sei auf ihrer Seite. Wenn sie auf der Straße nur von Weitem junge Leute sah, nahm sie gleich einen großen Umweg, um sie nicht durch ihren Anblick zu ärgern; nun aber wurden ihr die erst recht aufsässig; sie lauerten ihr an allen Ecken auf und verfolgten sie unter Hohngeschrei bis an ihr Haus.

Da stand gerade einmal ihr Mann unter der Hausthüre und sah, wie sie von einem Rudel wilder Jungen gehetzt wurde; der hob den Stock auf und trieb die Kinder auseinander, aber nachher sagte er: »Man kann's den Jungen nicht übel nehmen, Du siehst auch aus, daß die Gäule vor Dir scheu werden. Es wird Zeit, Alte, daß ich Dich nach der Pelzmühle schicke.«

Die Frau, die dieses Wort heute schon zum zweiten Male gehört hatte, fragte, was es mit der Pelzmühle für eine Bewandtniß habe, denn sie war nicht aus der Gegend gebürtig. Darauf belehrte sie der Mann, daß man in der Pelzmühle aus alten Weibern junge macht.

241 »Wo liegt die Pelzmühle?« fragte das Weiblein aufgeregt.

»In Tripstrill.«

»Ist's weit bis dahin?«

»Hm, wenn Du heut' noch aufbrichst und immer zugehst, so kommst gerade auf den Sanct Nimmerleinstag an.«

»Wann ist der Sanct Nimmerleinstag?« fragte die Alte, denn von diesem Kalenderheiligen hatte sie auch noch nie gehört.

»Wann die Eulen bocken,« war die Antwort.

»Und wann bocken die Eulen?«

»Am Sanct Nimmerleinstag.«

»Da will ich mich sputen, daß ich fortkomme,« dachte die Alte und machte sich schleunig auf die Beine. Sie war so eilig, daß sie sogar vergaß, ihren Mann zu fragen, wo der Weg nach Tripstrill gehe; aber kaum hatte sie ein paar Schritte gemacht, so begegnete ihr der ewige Jude mit einem Kramkasten auf dem Rücken, den redete sie an:

»Könnt Ihr mir nicht sagen, wo der Weg nach Tripstrill führt?«

»Gleich rechts um die Ecke,« antwortete der, ohne sich aufzuhalten, »und dann immer der Nase nach!«

So trippelte die gute Frau weiter und kam ganz unbehelligt aus dem Flecken hinaus; denn sobald die Gassenjungen des ewigen Juden ansichtig wurden, vergaßen sie die alte Frau und schrieen: »Sehet den Mauschel! Sehet den Bendelesjud!«

242 Sie pflanzten sich zu beiden Seiten der Landstraße auf, um den ewigen Juden Spießruthen laufen zu lassen. Der aber war pfiffiger als sie; er hob seinen Kasten vom Rücken, stellte ihn mitten auf den Weg und öffnete den Deckel. Als die Kinder alle diese Herrlichkeiten sahen, blinkende Taschenmesser und buntgeflochtene Peitschen für die Knaben, für die Mädchen aber seidene Tüchlein, Spiegelchen und Halsbänder von falschen Granaten, da kamen sie lüstern herzu, fingen an zu kramen und zu feilschen, riefen auch die Erwachsenen herbei, und der ewige Jude schmierte sie Alle an mit seiner Waare, die keinen Pfifferling werth war und die er ihnen um theures Geld verhandelte.

Unterdessen war die alte Frau rechts um die Ecke gegangen und kam auf eine Straße, die gerade aus nach Mitternacht führte. Sie ging und ging immer zu und spürte weder Hunger noch Müdigkeit; nur zuweilen beschlich sie die Sorge, ob sie auch nicht den Weg verloren habe, aber sie fand sich an ihrer Nase zurecht, wie ihr der ewige Jude gerathen hatte.

So kam sie endlich an eine Stelle, wo der Weg sich spaltete. Jetzt war guter Rath theuer, denn ihre Nase zeigte ebenso gut nach rechts wie nach links. Die eine Straße war mit schönen Obstbäumen bepflanzt, an der anderen wuchsen nur Hagedornen; aber die Alte wählte den letzteren, weil sie von dort her das Dröhnen eines Hammers vernahm. Sie fand auch nach wenigen Schritten schon eine offene Schmiede, wo ein bildhübscher junger Mensch unter 243 Feuerfunken auf dem Amboß ein Hufeisen zurecht hämmerte.

Die alte Frau blieb stehen und fragte: »Bin ich hier recht nach Tripstrill?«

»Freilich seid Ihr's,« sagte der junge Mann mit Lachen. »Nur immer grad aus – Ihr könnt nicht fehlen.«

Als sie schon eine Strecke weiter gegangen war, rief ihr der lustige Bursche nach: »He, Mütterlein, Ihr geht wohl nach der Pelzmühle?«

»Ja freilich.«

»Wenn Ihr zurück kommt, will ich Euch freien,« rief er und lachte dazu.

Die alte Frau nickte vergnügt, und im Weitergehen hüpfte ihr das Herz im Leibe, daß der stattliche Bursch sie freien wollte, und daß sie nicht nöthig hatte, zu ihrem alten Knasterbart zurückzukehren.

Sie wanderte weiter gen Mitternacht, an vielen Feldern und Dörfern vorüber, ohne von Jemandem angeredet zu werden, bis sie durch einen kleinen Flecken kam, wo bei einem der letzten Häuser ein altes Bauernweib unter einem Ziehbrunnen stand und einen Kübel voll grünen Salat wusch.

Die sah die alte Frau an ihrem Stab vorübertrippeln und rief: »Wo hinaus, gute Frau, so allein bei Euren Jahren?«

»Nach Tripstrill in die Pelzmühle,« war die Antwort, »wo man aus alten Weibern junge macht.«

»He, da seid doch so gut und wartet auf mich, ich gehe auch mit, muß nur noch meinen Kindern den Salat anrichten.«

244 »Kann nicht warten, muß zeitig dort sein, wenn die Eulen bocken,« entgegnete die Erste und ging weiter.

»Ist es so eilig?« dachte die Zweite, ließ ihr Grünzeug stehen und ging der Ersten nach.

Jetzt wanderten sie zu Zweien, und das war viel kurzweiliger.

»So ein altes Weib ist doch zu nichts mehr nütze,« sagte die Zweite; »es war besser, daß ich fortgelaufen bin. Wenn ich zurück komme, kann ich wieder tüchtig Hand anlegen auf dem Felde.«

Da erzählte ihr die Erste, daß ein hübscher junger Schmied sie freien wolle, sobald sie aus der Pelzmühle zurück sei.

»Wenn's so steht,« sagte die Bäuerin, »da kann ich auch noch einen finden. Ihr müßt wissen, daß ich in meinen jungen Jahren die sauberste Dirne im Ort gewesen bin.«

»Ei, denkt Ihr denn, ich habe immer die lange Nase und das zahnlose Maul gehabt wie jetzt,« antwortete die Erste. »Ich war Euch ein dralles Ding, wie Milch und Blut, und die jungen Burschen liefen mir auf der Straße nach – aber nicht um mich mit Steinen zu werfen, das könnt Ihr mir glauben. Und mein Mann, der meinte damals, er müsse sterben, wenn er mich nicht bekomme. Jetzt, nach einem langen Leben voll Müh' und Arbeit, was hab' ich von ihm als Zank und Spott, daß ich nicht achtzehnjährig geblieben bin?«

245 Während sie so klagten über die Ungerechtigkeit der Welt, hatten sie einen großen Tannenwald voll düsterer Pracht betreten. Die Sonne schien gedämpft durch die Zweige, aber köstlicher Harzduft drang erfrischend auf sie ein, und sie schritten mühelos auf dem schwellenden grünen Moose. Ein murmelndes Bächlein, dem sie nachgingen, führte sie an die schönste Stelle im Walde: ein lichter, grüner Rasenplatz wie von geschorenem Sammet, mit vielen bunten Waldblumen besät, und unter hohen Edeltannen ein Gebäude mit zackigen Mauern, nicht unähnlich einer Burgruine, nur daß das Gemäuer nicht vom Alter geschwärzt war, sondern gar weiß und lieblich durch die dunkeln Tannensäulen schimmerte.

»Sollte das schon der Eingang von Tripstrill sein?« dachten die Frauen und wollten sich froh der schönen Waldlichtung nähern. Aber widerlicher Geruch drang ihnen entgegen, und Eine stolperte über einen Pferdeknochen.

»Pfui, Schinder!« sagte sie mit Ekel. »Da sind wir fehlgegangen. Das ist die Kleemeisterei.«

So nennt man nämlich in jener Gegend die Wohnung des Abdeckers, und man wählt dafür immer im Walde die schönste Stelle aus, vermuthlich damit die armen Bestien sich ohne Widerstand herbeiführen lassen und nicht ahnen sollen, daß hinter dieser einladenden Schwelle das Beil auf sie wartet.

Die beiden alten Weiber kehrten schleunig um und stolperten über Tannenwurzeln auf die Waldstraße zurück.

246 Da begegneten sie einem alten siechen Mütterlein, das an einem Strick einen lahmen Esel daherführte, und man wußte, wenn man dieses Pärlein sah, nicht, wer von beiden wackliger auf den Beinen war.

Der Esel duckte zuweilen matt den Kopf, um duftende Kräuter am Waldrande auszuraufen, und das alte Weiblein ließ den Strick nach und blieb geduldig dabei stehen.

»Laß dir's schmecken,« sagte sie traurig, »es ist ja doch dein Henkersmahl. Armes Thier, du hast's am Ende noch besser als deine Frau.«

»Was fehlt Euch, gute Mutter?« fragten die beiden Pilgerinnen und blieben stehen.

»Da schicken sie diesen Esel in die Kleemeisterei, weil er alt ist und nicht mehr arbeiten kann. Und ich wollte nur, die Menschen wären so barmherzig und errichteten auch Kleemeistereien, wo man die alten Weiber abthut, wenn sie zu nichts mehr nütze sind.«

»Arme Frau,« sagte die Eine, »haben Euch die Gassenjungen mit Schmutz beworfen oder hat Euer Mann Euch eine alte Hutzel genannt?«

»Ich habe keinen Mann mehr, und aus den Gassenjungen wollte ich mir nichts machen. Aber meine Kinder, die ich mit Schmerzen geboren und mit noch mehr Schmerzen aufgezogen habe, sind in alle Welt gegangen und fragen nicht mehr nach mir. Nur der Jüngste, dem ich bisher Haus gehalten habe, wohnt noch im Ort. Vor acht Tagen hat er geheirathet, und die junge Frau hat mir den Stuhl vor die Thüre gesetzt. Jetzt schlafe ich in meinen 247 alten Tagen auf der Streu und drücke mich zwischen dem Vieh herum, denn auf der Ofenbank ist kein Platz mehr für mich.«

»So kommt nur,« sagten die beiden Anderen, »wir nehmen Euch mit in die Pelzmühle, wo man die alten Weiber jung mahlt.«

Das alte Weiblein machte große Augen. »In die Pelzmühle?« sagte sie. »Von der habe ich schon als Kind reden hören, aber ich wußte nicht, daß es so was wirklich gibt. Ja, da gehe ich gern mit, wenn Ihr's erlaubt.«

Sie band schnell ihren Esel los, der sich auch gleich am Waldrande zum Verenden niederlegte, dann zog sie mit den beiden Anderen ihre Straße, und die frohe Aussicht stärkte ihre Glieder, daß sie die Mühen des Weges nicht spürte.

Im Weiterwandern fanden sich noch mehrere alte Frauen, die auf der Welt keinen Platz mehr hatten und sich gerne anschlossen zur Reise nach Tripstrill. Sie klagten alle einander ihr Schicksal, und Jede meinte, sie sei am schlimmsten daran, die Eine, weil sie von Mann und Kindern mißhandelt worden, die Andere, weil sie nie Mann und Kinder gehabt. Aber Alle hatten sie ob ihres Alters den Spott der Jungen erduldet und freuten sich nun, was die für Augen machen würden bei ihrer Rückkehr.

Da sie jetzt schon zu einer stattlichen Schar angewachsen waren, erregten sie großes Aufsehen, wo sie vorüber zogen, und der Ruf flog ihnen weit voran.

248 »Die alten Weiber kommen!« hieß es in den Flecken und Dörfern. »Kommt und seht die alten Weiber, die nach der Pelzmühle ziehen, wo man sie jung mahlt!«

Und überall wurden die Thüren und Fenster aufgerissen, und manches alte Weiblein kam ihrem Zuge eilig am Stecken nachgehinkt, während Anverwandte und Gefreunde hinter ihr her riefen: »Glückliche Reise, Mutter Urschel! Glückliche Reise, Jungfer Bärbel! Glückliche Reise nach Tripstrill!«

Da fürchteten sie, daß es ihrer am Ende zu viele werden möchten und daß sie der großen Zahl wegen nicht mehr rasch genug vorwärts kämen, um die Eulen bocken zu hören, und sie beschlossen darum, sich künftig abseits der Heerstraße zu halten und menschliche Ansiedelungen zu vermeiden. Sie nährten sich von Beeren und Wurzeln, die sie am Wege fanden, stillten ihren Durst aus klaren Waldquellen und gönnten sich nur die allernöthigste Rast, aber keine von Allen verspürte Ermattung, so groß war das Verlangen nach Tripstrill.

Nur waren sie nach Art der alten Frauen immer voll Unruhe, ob sie sich denn auch wirklich auf dem rechten Wege befänden, und obgleich sie genau der Nase ihrer Führerin nachgingen, hielten sie doch jeden Vorübergehenden an und fragten: »Sind wir gewiß auf dem Weg nach Tripstrill?«

Viele antworteten ihnen gar nicht, sondern nahmen Reißaus, weil sie glaubten, sie seien einem Hexenheer in den Weg gerathen, andere gingen 249 lachend vorbei; nur ein Spaßvogel sagte: »Ja, aber Ihr dürft Euch sputen, wenn Ihr noch vor dem Nimmerleinstag hinkommen wollt.«

Diese Nachricht versetzte die Frauen in große Aufregung, sie zappelten und drängten, um schneller vorwärts zu kommen; die Hintersten stürzten über die Vorderen herein, wie eine Gänseherde thut, der man ihr Futter vorwirft, und Jede beschuldigte die Andere, daß sie durch ihre Langsamkeit den Zug aufhalte.

So unter vielem Lärm und Gezänk erreichten sie endlich ein düsteres Mitternachtsland, wo keine anderen Bäume mehr wuchsen als schwärzliche Nadelhölzer, mit triefendem Tannenbart behängt, und die holperigen Pfade feucht und weich waren von dem Wasser, das allenthalben unter dem Moosgrund hervor quoll. Aber kein Vogel sang mehr zwischen den Zweigen, und weit und breit war nichts Lebendiges wahrzunehmen.

»Wir können nicht mehr weit von Tripstrill sein,« sagte die Führerin, denn eben sah sie auf einem moosigen Felsblock zwischen hängenden Farrnkräutern und Flechten die erste Eule sitzen. Alle Weiber machten Halt und drängten sich um die Eule her, ob sie wohl bocke, aber sie bockte nicht.

»Das ist noch nicht Tripstrill,« entschied die Erste, und so zogen sie weiter. Aber immer feierlicher und einsamer wurde die Gegend; nackte Felsen und finstere föhrenbewachsene Schluchten wechselten mit kahlen Waldblößen, wo nichts gedieh als 250 dorniges Buschwerk; dann nahm sie abermals tiefes Tannendunkel auf. Am Stamm einer blitzgespaltenen Eibe war ein Täfelchen mit einer Inschrift angebracht. In der Dunkelheit konnten sie die Schrift nicht entziffern, aber den Weibern kam es vor, als sei das der Wegweiser nach Tripstrill.

Sie gingen also der Weisung nach und kamen bald an eine finstere Schlucht, wo es tief unten gurgelte und rauschte.

»Das muß der Mühlbach sein,« sagte Eine, und eine Andere rief: »Seht, seht, dort drunten im Thal die Stadt mit den weißen Häusern und Thürmen, das kann nichts anderes sein als Tripstrill.«

Wirklich öffnete sich hier eine Fernsicht, und jenseits der Schlucht im Thale schimmerte es herauf wie lauter Granit und Marmor, aber Qualm und Höhenrauch braute darüber.

Da sagte Eine: »Ich sehe den Rauch schon von den Schornsteinen steigen!«

Und die Andere rief: »Nein, so schön hätte ich mir Tripstrill meiner Lebtage nicht gedacht.«

Und Alle waren voller Freude, daß der Weg zu Ende sei, und daß sie nun bald in Tripstrill ihren Einzug halten würden.

»Ist denn heute vielleicht Sanct Nimmerleinstag?« sagte die Aelteste. »Seht doch nach, Gevatterin, ich hab' den Kalender zu Haus gelassen.«

»Ich auch, aber mir ist, ich höre eben die Eulen bocken.«

Alle spitzten die Ohren. »Ja, ja, die Eulen 251 bocken! Ich hör' es deutlich! – Ich auch! Ich auch!« riefen sie alle durcheinander, und die Harthörigsten waren ihrer Sache noch am sichersten.

Da sagte die Führerin: »Sollen wir zuerst Tripstrill besichtigen oder lieber gleich in die Pelzmühle gehen?«

»In die Pelzmühle!« riefen die Frauen wie aus einem Mund.

»Wir wollen doch nicht als garstige alte Schachteln in den schönen Straßen von Tripstrill herumlaufen, da müßten wir uns ja schämen,« sagte Eine.

»Und wenn wir aus der Pelzmühle kommen, so gehen wir gleich nach Tripstrill hinein und kaufen uns schöne Kleider und Bänder und Schmuck,« sagte die Andere. »O die prächtigen Läden von Tripstrill! Mir wässert schon der Mund.«

»Voran also,« sagte die Führerin, »haltet Euch dicht zusammen, damit wir einander nicht verlieren, und geht immer meiner Nase nach.«

Sie bahnte sich rüstig den Weg durchs Gestrüpp abwärts die Schlucht entlang, und die Weiber folgten, eine dicht auf den Fersen der anderen; die Erwartung verjüngte schon ihre Kräfte, und es war, als ob lauter achtzehnjährige Beine sie trügen.

Endlich standen sie auf ebenem Boden und erblickten den Bach, der schäumend aus seinem Felsenthor hervorbrach und sich nach kurzem Lauf wieder hinter dem Gestein verlor. Ein Baumstamm war quer über das Wasser geworfen und führte zu einem grauen Gemäuer, worin eine kleine Pforte eingelassen 252 war. Ueber der Pforte stand: »Eingang zur Pelzmühle.«

Auf ihr Klopfen öffnete sich die Pforte, und ein baumlanger Kerl mit grobknochigem Gesicht und weißer Schürze, wie sie die Müller tragen, kam hervor.

»Was soll's, Weibervolk?« schrie er barsch. »Soll man Euch jung mahlen?«

»Ach ja, Herr Müller, wenn Ihr das versteht,« antworteten die Frauen ängstlich.

Der Müller war ein Grobian, der nicht mit sich reden ließ. »Dummes Geschnatter!« gab er rauh zur Antwort, »ich werde wohl verstehen, wie man alte Weiber jung mahlt, ich thue ja das ganze Jahr nichts Anderes. – Heda, Müllersbursche,« rief er zu der kleinen Pforte hinein. »Hier ist ein neues Schock Weiber. Tummelt Euch! Rüstet die Säcke!«

Eine von den Frauen wollte durch das angelehnte Pförtchen hineinspähen, aber der Müller stieß sie weg und pflanzte sich breit vor den Spalt, indem er, das Gesicht nach innen, sagte: »Ah, da stecken sie eben eine hinein, ein scheußliches altes Gerüst. Pfui, zahnloses Wackelmaul, das ist die Wüsteste, die ich je gesehen habe. – So, jetzt fangen sie an zu mahlen – Ahi! Ahi! – Nur ruhig, wir sind gleich fertig. – Ah, da kommt ihr Köpfchen heraus! Langsam, langsam, daß die Zöpfe nicht hängen bleiben! – So, da ist sie ganz. O, Du herziges Goldmädel, gieb mir auch ein Schmätzchen mit Deinem Rosenmund. 253 Ja, Du hast gut tänzeln und schwänzeln, Du bist die Schönste von allen.«

»Laß uns hinein, laß uns hinein!« stöhnten die Weiber, die beinahe vor Begier vergingen und rannten alle mit einander gegen die Thür, daß diese aufflog.

Aber der Müller stellte sich mit ausgebreiteten Armen davor. »Halt, Halt!« sagte er lachend. »Was fällt Euch ein! Das Korn geht auch nicht aus eigenen Füßen in die Mühle. Kriecht nur in die Säcke. Aber fein langsam, Eine um die Andere! – Ihr kommt Alle dran.«

Eine, ehe sie hineinkroch, zupfte ihn am Rock und sagte: »Herr Müller, Ihr werdet mir doch nicht weh thun?«

»Ei, wasch mir den Pelz und mach ihn nicht naß!« sagte der Müller ärgerlich. »Wie kann ich Euch denn mahlen, wenn ich Euch nicht anrühren soll? Nur nicht zimperlich, Du bist nicht die Erste. – Wenn ich den Sack aufbinde, dann kriecht Ihr heraus und werdet gleich ins Mühlwerk gethan. Nur keine Furcht, Ihr Weiblein! Sind schon Tausende vor Euch dagewesen.«

Endlich war auch die Letzte eingekrochen, der Pelzmüller lächelte vergnügt, warf die Säcke einen um den andern seinen Knechten zu und sagte: »So, die wären versorgt!«

Dann schlug er das Pförtchen hinter sich ins Schloß. –

Es war schon eine geraume Weile seit dem 254 Auszug der Weiber verflossen, da fingen die Männer an sich zu fragen, was wohl aus ihren Frauen geworden sei. Sie hatten schon gemerkt, daß die Jungen doch nichts von ihnen wollten, und es war ihnen auch leid um ihre Alten, die so gut für sie gesorgt hatten und gegen die sie zum Dank den ganzen Tag nach Herzenslust mürrisch sein durften.

Da machten sich Viele von ihnen auf, Andere schlossen sich an, und es zog jetzt eine ganze Procession wackliger Greise gen Tripstrill, um zu sehen, was aus ihren Frauen geworden sei.

In jedem Flecken fragten sie, ob man keine Weiber gesehen hätte, die nach der Pelzmühle reisten. Da konnte man ihnen ganz genau den Weg weisen, den Jene eingeschlagen hatten, und während des Wanderns kamen die Männer überein, daß sie die Weiber zurücknehmen wollten, auch wenn das Jungmachen nicht geglückt sei.

Sie fanden auch wirklich das Mitternachtsland und jene Schlucht, in welcher der Mühlbach floß, aber sie hörten keine Eulen bocken und konnten auch nirgends den Eingang zur Pelzmühle entdecken. Sie mußten allein und sehr betrübt zurückkehren und haben von ihren Frauen niemals wieder etwas erfahren.

Nach der Zeit soll es viele schöne junge Mädchen in der Gegend gegeben haben, aber man konnte keine Auskunft über die Pelzmühle von ihnen bekommen, auch wußte man nicht genau, ob es dieselbigen waren, denn sie wollten sich auf nichts besinnen. 255 Wahrscheinlich hat man ihnen mit den Runzeln auch das Gedächtniß weggemahlen, denn was nützte einem die Jugend, wenn man sich an das, was nachher kommt, erinnern müßte!

Gewiß ist, daß noch alljährlich immer Tausende von Weibern nach der Pelzmühle wandern, und wenn wir alt werden, gehen wir auch hin.

 


 


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