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Wenn ich jetzt in einem Kino die so beliebten Wild-West-Filme sehe, so weiß ich nicht recht, ob die Zeit, da ich selbst auf dem Rücken halbwilder Pferde durch die Prärie um die Herde herumstürmte, ein Traum ist, den ich in jener Verworrenheit gesehen habe, die allen Traumbildern eigen ist. Der Bluegrass-Ranch war groß, hatte den Umfang eines deutschen Fürstentums; die Herde, die zu bewachen war, zählte etwa fünfunddreißigtausend Stück; unser Posten, der unter Jims Führung stand, war durchschnittlich immer zwei Dutzend Männer stark, und solcher Posten gab es vier.
Aber wir waren weder so gestriegelt noch so gebügelt wie Tom Mix, noch hatten wir die Zeit zu Paraderitten oder um liebliche Jungfrauen zu befreien. Tapferen Mädchen in Breeches und verführerisch wallenden Locken bin ich zu meinem Leidwesen dort nie begegnet; wilde Rothäute überfielen nie das einsame Blockhaus – dieses einsame Blockhaus war, nebenbei bemerkt, ein großes, recht komfortables Steingebäude mit ordentlichen Zimmern und guten Betten. Das einzige weibliche Wesen um uns war eine Negerin, die auf den Namen Sarah hörte und allem Anschein nach eine Schulfreundin der biblischen Stammutter war; die einzigen Rothäute aber waren ein paar gute, stets besoffene und lungenkranke Jungen von der benachbarten Reservation, deren zitternde Hände nicht imstand gewesen wären, den Tomahawk zu schwingen. Aber Sarah, die Beherrscherin unserer Küche, verstand es, die Präriehühner und Round-Steaks Round-Steaks – Stücke gebratenen Rindfleisches, die aus den runden Schenkeln geschnitten werden. vorzüglich zu braten, und die roten Burschen besorgten die Verbindung zwischen unserer Küche und der Grocery-Store Grocery-Store – Kaufmannsladen, der hauptsächlich Zutaten verschleißt. in Lethbrigde brav und gewissenhaft.
Die Romantik des Lebens auf einem Ranch beruht also nicht auf unerhörten Vorkommnissen, sondern auf dem Leben selbst inmitten einer großartigen Natur, in der Urwüchsigkeit der Kameraden und in dem Hochgefühl körperlicher und geistiger Überlegenheit über das hochwertige Tier.
Wer die Psyche eines freien Pferdes wirklich studieren will, der gehe auf ein paar Monate als Pferdehirt in die Prärie. Und wer die Verlogenheit der Zirkusvorstellungen, mit denen gerissene Geschäftsleute ein entzücktes Publikum mit lebenswahren Bildern aus dem fernen Westen beglücken, erkennen will, wer die Aufschneidereien der Abenteuerliteratur und die auf dem rollenden Band auf ihren wirklichen Wert prüfen will: der lasse sich sagen, daß jenes wilde Pferd im Zirkus das Produkt sorgfältigster Dressur ist. Das Tier, aus der Herde mit dem Lasso gefangen, sträubt sich freilich gegen Sattel, und Reiter, aber nicht mehr und nicht anders als eine gewöhnliche westeuropäische Militärremonte. Aber auch die Reitkunst der Pferdeburschen und Cowboys ist nicht weit her. Es sind starke Leute, die ihre Reittiere durch ihre körperliche Kraft beherrschen und rohe Pferde durch Muskelgewalt brechen, und ich darf ohne Übertreibung sagen, daß jene Gäule, die ich mir aus der Herde heraus zugeritten habe, Gegenstand der Sensation der dortigen Fachkreise waren.
Den Besitzer des Ranchos, einen englischen Magnaten, habe ich nie gesehen, seine blondhaarige, blauäugige Tochter nie aus den Händen des Kinointriganten befreit und dann geheiratet, aber ich weiß, daß ein paar Pferde aus meiner Hand in seinen Stall nach England gingen.
Mein Debüt in der Schänke in Stavely und mein europäisch gebildeter Pferdeverstand sicherten mir bald nach meiner Wandlung zum Vaquero eine Position unter diesen harmlosen Jungen. Aus dem zerlumpten Tramp war ein stattlicher Reiter geworden, allerdings nicht ein Saloncowboy in einem Aufzug wie aus der Komparserie eines Revuetheaters. Aber immerhin stand mir das farbige Präriehemd, die Leggins und der breite Westener besser, als meine Ausrüstung à la Patachon.
Ich habe diese Wandlung schon verschiedene Male beobachtet. Oft kam mir der amerikanische Tramp wie das Raupenstadium bunter Falter vor, aus dem sich alle Berufe des fernen Westens entwickeln: Goldgräber und Cowboys, Arbeiter und Literaten – und nicht gerade die schlechtesten unter allen –, und vielleicht gerade diejenigen, die Amerikas Schätze und Ausbeutungsmöglichkeiten am besten erkannt haben. –
Sommerabend auf der Prärie. O du wundervoller, funkelnder, duftender Sommerabend auf der Prärie! In einer kleinen Terrainwelle brennt ein Feuer. Ums Feuer liegen fünf bis sechs abenteuerliche Gestalten, unrasiert, nicht sehr gewaschen. Über dem Feuer steckt an einem Holzstab ein Stück Fleisch, ein paar geöffnete Konservenbüchsen mit Sweet-Corn Sweet-Corn – süß eingemachte Maiskörner in Büchsen. liegen im Gras. Nicht weit von dieser Gruppe weiden sechs gesattelte Pferde mit gefesselten Vorderbeinen. Am Horizont eine dunkle, in steter Bewegung befindliche Masse, eine größere Herde Pferde, ein paar tausend Stück, die wir auf dieser Seite bewachen. Wir hatten eben die »Survey-Party« Survey-Party – Beobachtungsabteilung., die ein paar Tage und Nächte ununterbrochen draußen bleibt, um das Ausbrechen auf die Nachbargebiete zu verhindern. Denn jetzt vor Beginn des Round-up mußten wir trachten, die einzelnen Herdenteile hübsch beisammenzuhalten.
Man vertrieb sich die Zeit am Feuer mit Rauchen und Plauschen, Geschichten wurden erzählt, manchmal recht schauerliche, vom Geisterpferd oder irgendeinem mystischen Schimmel, oder Episoden aus dem Reiterleben und sonstige Ereignisse. Denn jeder einzelne dieser Jungens hatte eine Abenteurerlaufbahn hinter sich, deren Zwischenfälle das Entzücken stoffhungriger Geschichtenschreiber bilden würden.
Kein einziger von all diesen rauhen Reitern war ein Kind des Bodens, über den er jetzt hinwegstürmte. Alle waren sie von einer wilden Lebenswelle hierhergespült worden auf den wieder einmal rettenden Strand harter Arbeit, die aber unbändige Freude birgt. Da ja auch ich ein bißchen hin- und hergeschmissen worden war, konnte ich ganz nett in diesem Chor phantastischer Gesänge mitsingen, nur zeichneten sich meine Geschichten dadurch aus, daß der Schauplatz oft in Gegenden lag, die diese guten Jungen kaum vom Hörensagen her kannten. Insbesondere die Schilderung europäischer Verhältnisse erregte allgemeines Interesse und damals war es, daß ich meinen Abenteurernamen, »European Dick« European Dick – Europäischer Richard., bekam.
Interessant war es mir, zu konstatieren, daß im Leben dieser prachtvollen, gesunden, jungen Männer die körperliche Erotik gar keine Rolle spielte. Fast das ganze Jahr allein unter sich, hie und da nur mit einem weiblichen Wesen in Berührung kommend, räumen sie brutaler Sinnlichkeit fast gar keinen Platz in ihrem Dasein ein; hingegen sind sie imstande, zu schwärmen wie Backfische, begegnen selbst der Kellnerin oder der sich nicht gerade jungfräulich gebärdenden Tänzerin in der Schänke mit einer rauhen Ritterlichkeit, die geradezu rührend wirkt, und verfallen oft in Sentimentalität wie ein deutscher Lyriker. Meistens sind sie irgendeiner Mary oder Jessy, die irgendwo ein paar tausend Meilen weit entfernt sitzt, unbedingt treu; und wenn der Mond scheint und die Prärie duftet, wenn es still ist und nur dann und wann ein Pferd leise schnaubt, dann ziehen sie ihre geliebte Okarina hervor und blasen die seelenvollsten Schmachtfetzen in die Nacht hinaus.
Auch zum Alkohol stehen sie in einem merkwürdigen Verhältnis. Draußen auf der Prärie während der Arbeit enthaltsam wie die Blaukreuzler, saufen sie bei Gelegenheiten, wenn sie in die Stadt kommen oder ein Fest auf dem Ranch die sauren Wochen unterbricht, wie die Löcher. Daß es dabei laut und wüst hergeht, darf nicht wundernehmen, denn sie sind jung und stark und ihr Handwerk ist nicht dazu angetan, aus ihnen Salonlöwen zu machen.
Man liegt also am Feuer, hat gegessen, sich Geschichten erzählt, die Shagpfeife brennt. Bill summt vielleicht das schöne Lied von der letzten Rose, um dann plötzlich in einen Gassenhauer überzugehen; Joe liegt am Rücken und träumt von seiner Susy; und ich schaue eigentlich gedankenlos in den leise wogenden Haufen von Pferdeleibern, deren Hüter wir sind. Plötzlich sehe ich, wie ein hoher Brauner den Kopf zurückwirft und sich mit seiner breiten Brust durch die Menge durchdrückt. Auf vier gespreizten Beinen steht er da, den Hals gereckt, die Ohren sichernd gespitzt, die Nüstern weit offen, den prächtigen langen Schweif wie eine Fahne erhoben. Ruhig weiden neben ihm die Stuten, die Fohlen drängen sich an die Mütter zur Abendmahlzeit, kein Ton ist zu hören, außer dem leisen Mahlen der Zähne. Aber der Leithengst sichert und wittert etwas, was unseren weniger scharfen Sinnen entgeht.
Ein scharfer Klopfton, der Hengst hat aufgestampft, dann ein durchdringendes Wiehern – und mit einem Male wird die ganze Herde lebendig. Wir sechs Wächter sitzen schon auf unseren Pferden, jeder hat die kurze Peitsche mit dem langen Schmiß, die an der Schlinge um das Handgelenk hängt, in der Hand, der Lasso hängt aufgerollt am Sattelknopf – und schon braust die Herde heran.
Den Anprall auszuhalten, wären wir gar nicht imstande, wir würden überrannt werden und wären in ein paar Sekunden nur eine zerstampfte Masse – ein Aufhalten in einer Linie gibt es nicht; deshalb heißt es die Pferde herumwerfen, um in gleicher Richtung mit der geschreckten Herde vorwärts zu stürmen, dabei immer den Leithengst im Auge behalten, um ihn entweder durch Abdrängen in die gewünschte Richtung weg von der Grenze zu bringen oder aber durch Einfangen mit dem Lasso ihn zu werfen, wonach die Herde, des Führers beraubt, unwillkürlich nachläßt und zurückgetrieben werden kann.
Weit vor auf den Hals unserer Reittiere gebeugt sausen wir dahin. Links von uns rast der braune Hengst, etwa zwanzig Galoppsprünge der Herde voraus. Zwei von uns biegen ab, um auf die andere Seite des Führers zu gelangen, zwei von uns trachten zwischen ihn und die Herde zu kommen, die zwei letzten rücken näher und immer näher an die rechte Flanke des erschreckten Mustangs heran. Aber das Führerpferd gibt uns an Schlauheit nichts nach. Blitzschnell hat es einen Bogen geschlagen, der ihn abermals in uns unerwünschte Richtung führt, die Herde ihm blind nach.
Wir waren gänzlich isoliert. Ein Abdrängen war vollkommen ausgeschlossen. Hoch standen wir in den Bügeln, um die Köpfe flogen die Schleifen des Lasso, wer das beste Pferd hatte, stürmte voraus, es galt, auf alle Fälle dem »General« so nahe zu kommen, daß er für den Riemen erreichbar würde. Sausend flog die Schlinge, legte sich um den Kopf des dahinstürmenden Gaules, noch ein paar Sprünge, dann fliegt ein zweiter Riemen, der sich um die Vorderbeine des Flüchtigen legt.
Im Augenblick, da die Schlinge vorschnellt, um den Boden so zu erreichen, daß das gefangene Pferd mit dem nächsten Galoppsprung in die Schlinge fährt, muß der Reiter sein eigenes Pferd zurückreißen, sich selbst weit im Sattel zurückwerfen, um sein ganzes Gewicht auf die Hinterhand zu legen. Denn der Ruck, der jetzt erfolgt und den hauptsächlich das Reitpferd auszuhalten hat, weil das Ende des Lasso am Sattelknopf befestigt ist, ist ein infernalischer, der schon manchem Roß und Reiter das Leben gekostet hat. Der »General« stürzt, der Reiter, der die Kopfschlinge hält, pariert gleichfalls, zieht die Schlinge fest zu und arbeitet sich jetzt, immer den Riemen fest in beiden Fäusten, langsam, sein eigenes Tier nur mit den Schenkeln regierend, an den Gefallenen heran, wobei er den Hals in der Schlinge immer fester zuschnürt. Man muß dem wilden Kerl die Luftröhre drosseln, um ihm beim Losschnüren der gefesselten Vorderbeine in der Hand zu behalten.
Immer schwächer wird das Herumschlagen des Hengstes, der Reiter, der die Fußschlinge geworfen hat, sitzt ab, löst die Fessel, langsam läßt nun auch der andere die Halsschlinge nach. Der Hengst wird nun, den Lasso um den Hals, in die gewünschte Richtung zwischen zwei Reitern mitgezogen. Dabei muß man ungeheuer vorsichtig hantieren, dem Hengst gerade nur so viel Luft lassen, als er zum Laufen braucht, und bei jedem Temperamentsausbruch durch einen kräftigen Ruck dem Gefangenen den Atem beengen. Ich muß gestehen, daß mir persönlich dieser Teil der Besiegung einer »Stampede« immer als der schwierigste vorgekommen ist. In der Zwischenzeit haben die Kameraden die verdutzte, ihres Führers beraubte Herde mit Geschrei und ihren Peitschen, unterstützt von den herangerittenen anderen Wachen, zusammengetrieben. Das Donnern der Hufe auf dem Prärieboden hatte den ganzen Posten alarmiert, noch schnauben die aufgeregten Tiere, es zittern ihre Flanken, die Stuten mit ihren Fohlen drängen sich zusammen, die Hengste fetzen nach allen Richtungen aus und beißen sich gegenseitig: aber doch senkt sich schon hie und da ein Kopf in das nun taunasse Gras und allmählich beruhigt sich die ganze Gesellschaft.
Ein paar Kameraden machen sich auf, um die Ursache des Schreckens zu erkunden, alle anderen umkreisen in weitem Bogen die Herde.
Und als der Morgen herandämmerte, konnten wir uns wieder ins Gras strecken, ein paar Bissen essen und vielleicht ein wenig schlafen. Was war die Ursache all der Aufregung? Vielleicht das Blinken des Mondlichtes auf irgendeinem nassen Fleck, vielleicht der Schatten von einer Wolke, vielleicht ein Kaninchen, das in seinen Bau huschte, vielleicht das leise Kläffen eines Präriehundes, der seiner Schlangenfreundin eine Gefahr meldete.
Es gibt nämlich merkwürdige Lebensgemeinschaften in der Prärie. Manchmal stößt der Reiter plötzlich auf eine Anhäufung kegelförmiger Bauten, zwischen denen wohlgepflegte Straßen, frei von Gras und festgetreten, die Verbindung herstellen. Auf der Spitze eines jeden Kegels sitzt bei Tag ein kleines murmeltierartiges Nagetier. Bei Annäherung einer Gefahr läßt dieser Wächter ein scharfes, kläffendes Bellen hören, das ihm den Namen »Präriehund« verschafft hat. Gemeinschaftlich mit ihm im selben Bau leben noch eine Klapperschlange und eine kleine Eule. Geht einer der drei Kompagnons zugrunde, so hört auch die Gemeinschaft der beiden Überlebenden auf. Jedes begibt sich auf die Wanderschaft, sucht neue Wohnung und neuen Anschluß. Es ist, als ob das Leben in der Behausung, die an den toten Gefährten erinnert, ihnen unerträglich wäre.
Die Gelehrten haben natürlich für dieses Wunder der Natur einen prachtvollen wissenschaftlichen Namen gefunden, »Symbiose«. Sie erklären auch die Kameradschaft so heterogener Bettgenossen aus ganz prosaischen Motiven. Mir war es, wenn ich oft stundenlang die psychologischen Wechselbeziehungen zwischen dem Säugetier, dem Vogel und dem Reptil beobachten durfte, wie das Lesen eines wundersamen Kapitels aus dem großen Märchenbuch des Schöpfers.
Diese Kolonien, Städte genannt, waren wohl die ersten geschlossenen Ansiedlungen seßhafter Lebewesen in der Prärie vor den Menschen, denn was sonst noch in der weiten Ebene lebt und webt, ist umherschweifendes Nomadenvolk.
Die großen Rudel Wölfe haben sich nach Norden verzogen, weg von dem zweibeinigen Würger, der ihnen futterneidisch erschien. Selten mehr hört man das heisere Gekläff des Coyoten, der nur noch weitab von menschlicher Behausung sein Amt als Totengräber gefallener Tiere ausübt. Was frei einst in der Prärie herrschte, Büffel und Bär und das kleine Raubzeug, es ist ausgerottet oder abgewandert; an ihrer Stelle grasen friedliche Rinder- und Pferdeherden, Untertan dem Herrn der Erde, der jetzt hier als Autokrat sein Zepter schwingt – dem Menschen.