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Am Porcupine.

Der noch andauernde arktische Winter hatte uns nach den ersten Einrichtungsarbeiten und einer mehr oder weniger genauen Untersuchung des Bodens zur Untätigkeit verurteilt.

Zwar war es nicht mehr Sitte, im Winter seinen Claim allein zu lassen und große Überwinterungslager aufzusuchen, wo die Zeit bis zur Schneeschmelze in Saus und Braus durchgejubelt wurde. Diese Winterlager gehörten der Vergangenheit an. Aus ihnen sind große Städte entstanden, Dawson City, Selkirk, Mayo auf der Yukonseite, Chitinal und Gulkana in Alaska. Großbetriebe arbeiteten das Jahr durch und zwischen ihrem Standquartier und den größeren Niederlassungen waren schon Schlittenrelais eingerichtet. Wir aber, im Neuland, Hunderte von Meilen von einer geschlossenen Siedlung entfernt, waren auf die alte primitive Art der Arbeit angewiesen.

Wir hatten den Claim abgesteckt, an der Uferböschung durch ein mächtiges Feuer den Schnee geschmolzen und die erste Erdschichte aufgetaut, die darunter liegende Kieslage mit kleinen Dynamitpatronen gesprengt und auf ihre Goldhältigkeit geprüft. Mit getautem Schnee wurde in der Pfanne der Kiessand gewaschen, die Abwaage ergab das immerhin günstige Resultat einer Ausbeute von sechs bis acht Unzen Unze – engl. Gewicht = 28 Gramm; 16 Unzen = 1 engl. Pfund = 454 Gramm. pro Pfanne. Diesen Versuch hatten wir mit gleichem oder ähnlichem Resultat an verschiedenen Stellen unseres Claims angestellt und konnten mit einer gewissen Ruhe die noch kurze Zeit bis zum Eintritt der Sommerszeit der Vorbereitung und Einrichtung widmen.

Zumindest waren wir sicher, die Kosten der Ausrüstung und Verpflegung, für die wir in Dawson etwas mehr als tausend Dollars gezahlt hatten, durch die erste Arbeit hereinzubringen.

Schwer aber lastete auf uns die noch herrschende arktische Nacht. Mit Ausnahme einer kurzen Zeit um die Mittagsstunde, wo ein Sektor des Sonnenballes wie eine fahl leuchtende Kuppel über dem Rand des Horizontes erschien, war der übrige Teil des Zeitabschnittes, den man in glücklicheren Strichen Tag nennt, von einer grauen, gespenstigen Dämmerung erfüllt, die uns beiden gründlich auf die Nerven ging.

Eine Reizbarkeit machte sich bei uns geltend, die das kameradschaftliche Einvernehmen stark erschütterte. Mißlaunigkeit des einen – – – Überempfindlichkeit des anderen.

Zu erzählen hatten wir uns nichts mehr, die beiderseitige Lebensgeschichte war bis zum Überdruß durchgekaut, eine versteckte Feindseligkeit zwischen uns wuchs auf und trat endlich offen zutage.

Einer beargwöhnte den anderen, keiner traute sich, zur Ruhezeit sorglos zu schlafen, der Revolver stak lose im Gürtel, die Büchse stand immer bei der Hand.

Tagelang lag man auf der Pritsche in einem bösen Dämmern, mechanisch wurden die wenigen Handgriffe des Haushaltes erfüllt.

Kleine Meinungsverschiedenheiten über Nichtigkeiten arteten in heftigen Streit aus, bei dem es aber nicht laut herging, sondern wo sich die angesammelte Wut in Bosheiten und Sticheleien Luft machte.

Dann wieder sprang ich plötzlich auf, schnallte die Schneeschuhe an und stürmte in die arktische Nacht hinaus. Sinn- und planlos lief ich über den Schnee. Nach und nach erfüllte mich ein derartiger Haß gegen Fred, daß ich erwog, einfach durchzugehen und ihn seinem Schicksal zu überlassen. Und gerade weil ich wußte, daß er allein ohne mich in seiner Unbeholfenheit und Unkenntnis der Verhältnisse so gut wie verloren wäre, bot mir dieser Gedanke teuflische Freude, – mir seine Verzweiflung und sein furchtbares Ende immer wieder auszumalen.

Aber die Gemeinsamkeit des Besitzes, den ich doch nicht aufgeben konnte, bildete ein starkes Band, das mich an meinen Gefährten fesselte – – – vielleicht auch die Angst vor der einsamen Reise durch die eisstarrende Wildnis.

Ich bin sicher, daß es Fred ebenso ging wie mir.

Eines Tages erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Er schrie und tobte, zerschlug, was ihm in die Hände fiel, überschüttete mich in seinem Rasen mit den gemeinsten Beschimpfungen, gab in seiner bewußtlosen Tollheit Gedanken und Plänen Ausdruck, daß ich tödlich erschrak, endlich griff er mich mit dem Messer an und nur meiner überlegenen Körperkraft gelang es, ihn zu bändigen. Nach einem tiefen, langen Schlaf wußte er nichts von seinem Anfall.

Und ich selbst, der ich doch durch die harte Schule langjährigen Abenteurerlebens gegangen bin, ich warf mich oft bei meinen Beruhigungslaufereien heulend und brüllend in den Schnee, verwünschte den armen unschuldigen Fred, daß er überhaupt auf der Welt war, verfluchte mich selbst und das Geschick, das mich in diese Hölle geführt hatte.

Einsamkeit und Lichthunger heißt diese Krankheit, – die schleichende Seuche der Einzelhaft und der Arktis.

Aber jetzt wurde der Sektor der Mittagssonne täglich größer; Menschen, Tiere und die sogenannte leblose Natur draußen spürten das Herannahen der wärmeren Jahreszeit in allen Fasern.

Fred und ich erwachten aus dem wüsten Traumzustand, die Hunde wurden lebhafter, es gab gelegentlich kleine Beißereien unter ihnen, das Eis im Flusse krachte, es zeigte bald auch eine leise schiebende Bewegung, mit sanftem Tapfen fiel der Schnee von den Zweigen der Bäume. Die Weiden unmittelbar am Flußbett schimmerten bereits in einem grün-silberigen Kleid und schwere Wolken kamen von Süden herauf, die den waschenden Regen bringen sollten.

Die kleine Tagesarbeit ist vorüber – wir sitzen in der Hütte am Porcupine und harren des Sommers.

Auf dem primitiven Steinherd brennt ein mächtiges Feuer. Der Rauch nassen Holzes vermischt sich mit dem Qualm unserer Pfeifen. Fred steht am kunstlos aus Fichtenbrettern gefügten Tisch und reinigt das Eßgeschirr, ich sitze am Rande meiner Koje und bastle am Griff einer Axt.

Die Huskies, unsere treuen Hunde, haben sich, sattgefressen, in einen Winkel zusammengedrängt und dösen, nur Balin, der Leithund, sitzt auf seinen Hinterkeulen mit gespitztem Ohr und gesträubtem Nackenhaar. Nun werden auch die anderen Hunde munter und knurrend heben sie die feinen Köpfe.

»Wölfe in der Nähe,« meinte Fred.

Ich bog lauschend den Kopf vor.

»Nein, ein Mensch,« sagte ich, »der Schnee knirscht unter Schneeschuhen.«

Die Büchsen schußbereit in der Hand standen wir wartend.

»Gut Freund,« warf ich zu Fred, »er nimmt die Rackets ab« – und ich öffnete die Türe.

Eine tiefgebückte Gestalt in der langen kuttenartigen Parka trat ein, Mokassins und die langen Strümpfe aus Leder vereist, einen hohen, schweren Packen am Rücken.

Als die Kapuze fiel, sahen wir in das verwitterte Bronzegesicht unseres Freundes Ollo-wan-ha, des »gefüllten Bauches« vom Stamme der Kut-chin Kut-chin – franz. Loucheux, Indianervolk zwischen dem Yukon und dem großen Bärensee. Ein hochedles Volk. oder Loucheux, der augenscheinlich wieder auf einem seiner Schmuggelgänge ins benachbarte Unionsterritorium Alaska begriffen war, wo er von den Stämmen an der Beringssee Robbenfelle, Tran und Walroßzähne holte, und denen er dafür das verbotene Feuerwasser brachte. Die Natur seines Geschäftes erlaubte es nicht, daß er den pfeilschnellen Hundezug benützen konnte; er mußte allein zu Fuß wandern, weil der einzelne Mann doch leichter Deckung vor spähenden Augen findet.

Denn der Bruder seiner Mutter, Pow-dah-nok, »das listige Wiesel«, wurde vor zwei Jahren in Sitka Sitka – Hauptort des Unionterritoriums Alaska. gehängt, nachdem er beim Alkoholschmuggel erwischt worden war. Das Wiesel war stets mit Hunden gereist.

Ollo-wan-ha hatte uns ein mächtiges Stück Renfleisch, zwei große weiche Decken aus fein gegerbtem Leder, fransengeschmückt und mit Muschelstickerei, gebracht, auch samtähnliche Elchhaut für Sommerkleider und gleich das Nähzeug dazu, spitze Nadeln von Lachsgräten und dünn gedrehte Sehnen als Zwirnersatz. Diese Waren hatten wir bei unserem Freunde anläßlich eines früheren Besuches bestellt.

Uns einsamen Goldgräbern war der Besuch dieses ehrenwerten roten Gentlemans immer ein Fest. Denn der brave Schmuggler ersetzte die Zeitung, und zwar den interessanten Teil einer Wochen- oder Monatsschrift; intime Details aus dem Leben der unmittelbaren Umgebung ließ er hören, er brachte den gesamten Tratsch vom nördlichen Eismeer bis hinunter nach Vancouver. Die ernsten Neuigkeiten, Politisches, Weltgeschehen und die großen Veränderungen innerhalb des Interessengebietes wurden durch die Peddlars, die wandernden Händler, verbreitet, die nebst Arbeitsgerät und Lebensmitteln auch die Gegenstände einer verfeinerten Lebensführung, Seifen, Kerzen, Zucker und andere Kolonialprodukte zuführten.

Wir hatten die schönen Sachen, die der rote Schmuggler gebracht hatte, in Empfang genommen und bezahlt, wobei unsere nur mehr geringe Barschaft nicht allzusehr litt, denn der größte Teil des Entgelts bestand im Inhalt einer Rumflasche, die unser Gast geleert hatte, während er seine Neuigkeiten auskramte.

Nachdem er noch die Reste unserer Mahlzeit, Bohnensuppe und heiße Maiskuchen, vertilgt hatte, verschwand er bald wieder mit dem Versprechen, auf seiner Rückreise uns wieder heimzusuchen.

Abermals herrschte Stille und Schweigen in der Hütte. Das Tagesgestirn stieg höher und immer höher, es begann einen guten Teil des Tages hell zu werden, das Eis im Fluß war von wilden Wassermassen gebrochen worden, nur hie und da noch schwammen Eisschollen mit zerrissenen Rändern in den Wirbeln. Die weite Ebene hatte sich mit jungem Grün bekleidet, die Knospen der Weiden am Ufer brachen auf, ab und zu strich ein Vogel vom Süden her und die Erde taute auf.

Mit steigender Erregung hatten wir den Einzug der warmen Zeit verfolgt, mit Ungeduld das täglich steigende Hervorkommen der Sonne kontrolliert; die während der kurzen Übergangszeit täglich angestellte genauere Untersuchung unseres Claims hatte systematischer Arbeit Platz gemacht.

Mit Picke und Schaufel wurde zunächst die sanfte Böschung des Ufers in Angriff genommen, wobei es zuerst darauf ankam, die obere Erdschichte von der darunter befindlichen Kieslage abzubauen. Das war nicht leicht.

Denn noch war die Erde mit Ausnahme einer vielleicht vier Hände breiten Decke fest gefroren. Es mußte daher erst eine künstliche Auftauung mit Feuer besorgt werden, wie dies schon bei den ersten Untersuchungen geschehen war, ehe wir die unteren Schichten mit der Picke auflockern und mit der Schaufel ausheben konnten. Fred, der von all diesen Arbeiten keine Ahnung hatte, warf die ersten Schaufeln Erde achtlos in den Fluß. Ich mußte ihn erst aufklären, daß an dem kleinen Fleck von 500 Fuß im Geviert, für welchen wir das Besitzrecht hatten, auch die Erde wertvoll sei. Denn es kommt oft vor, daß, abgesehen von Goldstaub, kleinere, aber auch größere Nuggets, also Goldkörner bis zu Fingernagelgröße, in die erste Erdschichte geraten, wo sie infolge des anhaftenden Humus beim Ausheben ganzer Erdschollen erst bei genauem Absuchen gefunden werden können.

Natürlich war unsere Arbeit vorläufig nur auf einen ganz bestimmten kleinen Fleck beschränkt, denn das Feuer konnte doch nur einen Kreis von etwa zwei bis drei Metern im Durchmesser auftauen. Wir hatten daher, weil wir zu zweit waren, eine Arbeitsteilung so durchgeführt, daß der eine nach Niedergehen eines Brandes sofort die aufgetaute Fläche mit dem Spaten bearbeitete, während der andere unmittelbar neben der ersten Feuerstelle ein neues Feuer zurichtete.

Von einer sofortigen Inangriffnahme der goldführenden Kieslage oder einem Vordringen zu der leicht zu waschenden Sandschichte waren wir abgekommen, um diesen Teil der Arbeit, bei dem viel mit Wasser hantiert werden mußte, in wirklich warme Zeit zu verlegen. – Die zunehmende natürliche Erweichung des Bodens ersparte uns bald das Feuer.

Nun ging intensive, schwere Arbeit an.

Wir hatten uns zunächst vorgenommen, ein Stück am Ufer in der Ausdehnung von etwa hundert Schritt durchzuarbeiten. Das angestrengte Graben und Schaufeln nahm uns im Anfang sehr her. Nach einem verhältnismäßig beschaulichen Leben während der kalten Zeit schmeckte die harte Arbeit nicht sehr gut. Das stete gebückte Stehen, das Ausholen und kräftige Niederschlagen mit dem Spaten, der Erdwiderstand, die ruckweisen Bewegungen beim Schaufeln und die Last des Erdreiches erlahmten die Arme, zerrten den Rücken, drehten die Gelenke aus – – – wir mußten im Anfang oft Pausen einschalten und waren oft, sehr oft ganz mutlos, wenn wir die Ausdehnung der noch zu bewältigenden Strecken überblickten.

Die Innenflächen der Hände bedeckten sich mit Blasen, diese sprangen bald auf, die Haut wurde hart und rissig, Schaufel und Spatengriff färbten sich mit Blut, die scharfe Luft brannte wie Feuer in den Wunden – – – aber unter Stöhnen und Heulen schufteten wir doch weiter, weiter ging die Arbeit, unaufhaltsam weiter – – – denn da lag ja das Gold vor uns – – – Gold in unserer Erde, der wir es in Kampf und Arbeit abringen mußten.

Um dieses Goldes willen waren wir doch hier herauf in die eisige Wildnis gekommen, hatten alle Zivilisation hinter uns gelassen, waren in der langen Winternacht wilde Tiere geworden mit all den Urinstinkten der Bestien, die uns in den sonnenlosen Zeiten umheult haben.

Also Tran, das Allheilmittel des Nordens, auf die Hände – – trotz unsäglicher Schmerzen fest die Schaufel in die Hand – – – hinein in die Erde gehauen die scharfe Picke – – – – denn da in dem Boden lag doch Gold, Gold, Gold!

Fred hatte das Wenige, das er von der primitiven Technik des Goldgrabens wußte, nur aus Büchern geschöpft, aus der Lektüre von Abenteurer- und Wildwestromanen, aus den Kurzgeschichten in den Neuenglandstaaten, wo der unerfahrene Held nach kurzem Aufenthalt in einem Goldlande plötzlich durch Zufall oder auf Grund einer Nase, wie sie die Kamele in der Sahara für Wasser haben, auf ein unerhörtes Lager stößt, ohne viel Mühe Gold gräbt oder wäscht und nach ein paar Monaten als Multimillionär zurückkehrt.

Ich möchte den Schreibern dieser Erzählungen, deren Phantasie so leicht und mühelos Gold gräbt, wünschen, einmal selbst ein unerschlossenes Land zu bearbeiten. Ich möchte sie auch bitten, mir zu sagen, wo diese märchenhaften Lager liegen, aus denen man eine Tagesausbeute von siebenhundert bis tausend Dollar als Einzelarbeiter gewinnt.

Wenn an dem Standardpreis von sechzehn Dollar die Unze festgehalten wird und man die reiche Ausbeute von zehn Unzen pro Pfanne annimmt, ein Fall, der Tausende in die betreffende Gegend lockt, so macht dieses im Maximum hundertsechzig Dollar pro Pfanne aus. Nimmt man nun einen Durchschnittsertrag von drei Pfannen pro Tag, wobei die Arbeit bis zum Waschen nicht gerechnet ist, gibt dies rund fünfhundert Dollar tägliche Ausbeute. Zieht man jetzt die Kosten ab an Ausrüstung, Verpflegung, Regierungsabgaben und kalkuliert man die Gesamtarbeit nach den in diesen Gegenden herrschenden hohen Löhnen, dann ist schon nicht mehr so Fabelhaftes vorhanden, denn die Zeit, während der wirklich produktive Arbeit geleistet werden kann, beschränkt sich auf die eis- und schneefreien Monate, wenn nicht Großbetriebe in Frage kommen, die natürlich mit anderen Mitteln arbeiten.

Der zweite Rechenfehler ist der, daß man östliche Geldbegriffe auf die dortigen Verhältnisse anwendet, während der Newyorker Dollar am Yukon nur den fünften Teil seiner Kaufkraft hat.

Jedes Goldgebiet ist ein Land, das nicht nur Gold gibt, sondern es auch frißt. Das meiste Gold, das oben in den Bergen, in der Einsamkeit der weiten Ebene, in den Flußläufen gewaschen wird, wandert nicht weiter, als bis in das nächste größere Lager oder in die Stadt am Meere. Über Vancouver kommt selten ein Beutel hinaus. Eine Ausnahme bilden nur die Betriebe von großen Aktiengesellschaften, die Gold exportieren.

Fred war also von der Mühe und Plage, die er jetzt erst kennenlernte, nicht sehr erbaut, aber endlich blieb ihm nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und diese Einleitungsarbeiten durch Emsigkeit und Systematik abzukürzen, um endlich dazuzukommen, die vorbereiteten Lederbeutel mit Goldstaub zu füllen.

Trotzdem uns der Rücken weh tat und die lnnenseite unserer Hände der Haut des hörnenen Siegfried glich, waren wir guter Dinge. Es begann auch jetzt die Zeit, da zur Auffrischung der Nahrung, zur Beschaffung der bei der schweren Arbeit notwendigen kräftigeren Kost, besonders an frischem Fleisch, Jagdausflüge eingeschoben werden mußten.

Gewöhnlich ging einer allein, während der andere Erdarbeiten machte. Manchmal aber, wenn wir beide ausruhen mußten, gingen wir miteinander in die Wälder. Bei diesen Ausflügen vergaßen wir nie den Prospektorhammer zum Aufklopfen von Gestein, denn Fred träumte immer von der ergiebigen Goldader.

Das wirklich große Geschäft nämlich machen nicht die Gräber und Wäscher, sondern die Entdecker eines Ganges. Der wird an eine Gesellschaft verkauft, denn zur Aufschließung einer Ader bedarf es eines Apparates, der dem einzelnen in der Regel zu kostspielig ist.

Als wir einmal von solch einem Jagdausflug zurückkamen, einen Wapiti Wapiti – Hirschart des Nordens. auf den Schultern, erwartete uns in der Hütte eine Überraschung.

Beim Eintritt in unsere Shanty Shanty – elende Hütte. sahen wir an dem Feuer einen Mann sitzen, dessen Äußeres mir den erfahrenen Digger verriet.

»Halloh, Boys,« begrüßte er uns in unverfälschtem Yankee-Slang Yankee-Slang – Dialekt der Amerikaner, die ein singendes, vokalisierendes Englisch mit besonderen, dem Engländer nicht gebräuchlichen Ausdrücken sprechen.. »Seid wohl die Herren dieses gesegneten Palastes? War mächtig froh, als ich ihn fand!«

Und er schüttelte uns herzlich die Hände.

Er war ein Kentuckymann, der schon in Colorado und in den Bergen Neu-Mexikos Gold gegraben hatte und nun auf den Ruf von dem ergiebigen Vorkommen hier oben von dem großen Strom heraufgeschwemmt worden war.

Er hatte in der Umgebung prospektiert und mit seinem geübten Auge einen guten Platz ein paar Minuten unterhalb unserer Hütte festgestellt. Der Claim war abgesteckt, sein Zelt stand aufgeschlagen. Mit der selbstverständlichen Gastfreundschaft der Einöde nahmen wir Jeremiah Wilkinson auf, den ersten Ansiedler unserer künftigen Stadt. Es war, als ob seine Ankunft erst das Eis gebrochen hätte, es war ein Mensch in der Nähe, der neue Nachrichten brachte, besonders die, daß neuer Zuzug im Anmarsch sei.

Jerry Jerry – Abkürzung für Jeremiah. hatte nicht die Absicht, erst lange in der Erde zu puddeln, sondern beschränkte sich darauf, eine Grundstückspekulation vorzunehmen, im übrigen aber dem Flußsand so viel Gold zu entnehmen, als er für seinen Lebensunterhalt bedürfe.

Er installierte sich also in hohen Wasserstiefeln mit seiner Pfanne, einer flachen Holzschüssel von zirka vierzig Zentimeter Durchmesser, mit einer Schaufel sowie ein paar Sieben im Fluß und begann zu arbeiten.

Über die Schüssel legte er ein grobmaschiges Netz und schaufelte darauf den Kies des Flußbettes. Der feine Sand und das Wasser fließen durch die Maschen des Siebes in die Schüssel und werden stehengelassen. Den groben Kies, der auf dem Sieb zurückblieb, untersuchte Jery genau nach Goldkörnern; und es geschah manchmal, daß eines oder das andere Nugget schon beim ersten Suchen gefunden wurde. Was in der Schüssel zurückgeblieben war, wurde nun so lange hin und her geschwenkt, bis das Wasser den feinen Sand über den Rand der Schüssel hinausgeschwemmt hatte. Auf den verbleibenden Bodensatz wurde so lange neues Wasser gegossen und wieder geschwenkt, bis der Goldstaub in Form eines gelben Schlammes sich am tiefsten Punkt der Schüssel angelegt hatte.

Dieser Schlamm wurde dann später nochmals gewaschen und getrocknet, der verbleibende Goldstaub sorgfältig abgekratzt, auf der Goldwaage gewogen und in Lederbeutel gefüllt.

Man darf aber nicht glauben, daß diese Arbeit, eine Schüssel Sand zu waschen, leicht und rasch ist. Die ungeheure Achtsamkeit, die man beim Schwenken beobachten muß, damit nicht das überfließende Wasser auch den feinen Goldstaub mitführt, das immerwährende Nachfüllen der Schüssel mit einer geringen Quantität Wasser, neuerliches Schwenken und immerfort genauestes Beobachten stellen große Anforderungen an die Geschicklichkeit und Geistesgegenwart des Arbeitenden. Es gehört eine gewaltige Konzentration des Geistes und eine Beherrschung jedes Muskels dazu. Dabei kann durch einen Zufall stundenlange Arbeit vergeblich werden, manchmal im letzten Augenblick eine rasche, unüberlegte Bewegung den ganzen Inhalt der Schüssel über Bord schwemmen.

Die Ausbeute einer so primitiven Flußwäscherei übersteigt selten drei bis vier Unzen pro Pfanne. Oft ist es dem achtsamen Wäscher nicht möglich, mehr als drei gewaschene Pfannen als Tagesbeute heimzubringen.

Auch Fred und ich waren nicht faul gewesen.

Die vorgenommene Strecke war abgebaut, der Kies zutage gebracht, und auch wir konnten jetzt mit dem Waschen beginnen.

Wir hatten zu diesem Zweck flußaufwärts von unserer Hütte kurz nach dem Eisgang, als das Hochwasser sich verlaufen hatte, aus während des Winters vorbereiteten Fichtenbrettern eine kleine Stauanlage gebaut und leiteten jetzt in gleichfalls vorbereiteten Rinnen das Wasser über den Kies, wobei wir hinter die Kieslage ein Drahtnetz einschalteten. Hinter dem Drahtnetz wurde das Wasser in ganz geringem Gefälle abgeleitet, so daß sich der Bodensatz vor dem Netz ablagern mußte. Dieser Satz wurde nun sorgfältig gereinigt und in genau derselben Weise gewaschen wie der Flußsand. Der Kies selbst wurde von Zeit zu Zeit gereutert und gleichfalls ausgewaschen. Vor dem Reuter wurden dann die Goldkörner ausgeklaubt, auch die ausgehobene und verwitterte Erde wurde sorgfältig untersucht und auch da wurden noch einzelne Nuggets gefunden.

Diese Methode genügte für den Anfang.

Später haben wir dann mit »long Toms« gearbeitet, vier bis sechs Fuß langen Schleusenkästen aus Fichtenholz, die an den beiden Enden durchlochte Platten haben. In den ersten Kasten wird die ausgehobene Kiesmenge geschaufelt; das Wasser, das durchgeleitet wird, schwemmt dann die kleinen Steine, alle Erde oder den Schlamm in den zweiten Kasten. Die größeren Kiesel bleiben zurück. Im zweiten Kasten wiederholt sich dieser Vorgang. Im dritten, dessen Boden mit Leisten bedeckt ist, wird dann das Gold, das schwerer als alles Gestein ist, durch diese Leisten zurückgehalten und entweder mit Quecksilber zu Amalgam verbunden oder ausgeklaubt und nochmals mit der Pfanne durchgewaschen.

Jerry stand uns mit Rat und Tat zur Seite, da er in allen Methoden der Goldgewinnung Meister war.

Unter diesen Arbeiten war der Sommer vorgeschritten und die frühere Einsamkeit am Porcupine war zu Ende. Schon waren längs des Flusses ein Dutzend Shanties entstanden, ein älterer Schotte, der bereits im Transvaal gearbeitet hatte, war sogar mit einem zusammenlegbaren Wellblechhaus erschienen; auch rückwärts im Gelände, wo leichte Felspartien aufstiegen, wuchsen Zelte auf.

Es wurde in allen Sprachen und den unmöglichsten Dialekten gesungen, geredet, geflucht.

Ich habe in meinem vielbewegten Leben schon viel fluchen gehört, von allen Rassen der Erde, das Konzert aber, das ich in dem nun pilzartig emporschießenden Lager am Porcupine von den Goldgräbern hörte, übertraf meine kühnsten Erwartungen.

Am meisten leistete sich der Wellblechmann, Iron Scotty genannt, weil er aus Schottland war und in einem Eisenhaus wohnte.

Aber seine Flüche, die die Grabesruhe von Generationen verwünschten, waren nicht böse gemeint, er schleuderte sie mit dem gutmütigsten Gesichte von der Welt dem anderen an den Kopf.

Den Gegensatz zu ihm bildete ein junger schmächtiger Engländer, der immer sorgfältig rasiert und stutzerhaft gekleidet auftrat, Sonntags sich mit dem Gebetbuch der Hochkirche unter eine Steineiche setzte und alle Welt mit »Sir« ansprach. Dieser Tenderfoot (Zartfuß) wurde bald von Iron Scotty als Little Lord Fauntleroy Little Lord Fauntleroy – Der kleine Lord F., Titel einer beliebten Novelle. bezeichnet, welcher Name ihm blieb, solange er am Yukon war.

Auch ein paar recht unerwünschte Elemente waren aufgetaucht, ein wüster Kerl aus halbspanischem Blut, von Kalifornien herauf, der nichts arbeitete, stets mit einem schmierigen Paket Spielkarten in der Tasche herumschlich und jeden bedrohte, der ihm eine Pokerpartie abschlug.

Und da kam auch schon der dicke Sam Parker, der zuerst die gloriose Idee hatte, den mitgebrachten Schnaps in seiner Hütte glasweise zu verschenken.

Jetzt marschierte die Zivilisation mit wehendem Banner bei uns ein, als Sam Parker eines schönen Tages ein mächtiges Fichtenbrett an seiner wackligen Hütte befestigte, auf dem in riesengroßen Buchstaben mit Kohle geschrieben stand: Saloon and Whisky-Palace.

Jetzt waren wir Großstadt geworden.


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