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Den 10. August.

»Ich brauche Niemand in der Welt?« – Zu meiner geistigen Existenz Niemand? Ach, ach! ich brauche viel, sehr viel; ich brauche einen Menschen, der mich duldet, ein Gemüth, in das ich all mein Denken und Fühlen still versenken kann, eine Seele, die es ruhig hinnimmt wie die Mutter das Empfängniß und es schweigsam trägt unter dem verschlossenen Herzen. Einen Leser wünschte ich mir, der mich liest, ohne daß ich schreibe, einen Geheim-Horcher, der mich versteht, ohne daß ich rede. Hätte ich einen solchen Menschen, dann schrieb' ich nichts und sagte nichts und brauchte blos zu athmen und zu hauchen, und hauchte Alles hinein in seine tiefste Seele, mein geheimstes Herzeleid, meine matt und schlaff gewordenen Todesgedanken; und wenn ich erschöpft wäre, lehnte ich mich an diesen Busen und horchte auf mein Echo in ihm. Wo ich bisher mit einem Menschen zusammentraf, sprang mir immer etwas Feindliches wie ein Dämon aus ihm entgegen, und ich mußte mit ihm ringen, statt daß ich sein Haupt nahm und an meine klopfende Brust legte, oder das meinige an die seinige. Ich fand noch Niemand in der Welt, der mich wirklich und in eigentlicher Bedeutung des Wortes geduldet hätte. Man ist sehr einsam auf Erden. Nur wenn man den Gott herausfühlt aus den Erscheinungen des Lebens, ist man geistig nicht isolirt. Sonst kennt uns Niemand, und wir Niemand. Ich weiß, daß es nur eine himmelschreiende Anmaßung ist, ein Wesen zu fodern, das eine so tiefe, lauschende Stille in sich birgt, um meine Seele ganz in seinen Schooß zu nehmen, und ich glaube auch, daß ich an dieser Arroganz zu Grunde gehe. Aber es ist doch nun einmal so, und wenn es wahr ist – und es ist wahr –, daß Jeder seinen Tod mit zur Welt bringt, so ist dies mein Tod, den ich schon vor dem Sterben wittere. Ich werde an Einsamkeit sterben müssen, und die Todesart ist nicht eben neu.

Ich bin hier in diesem Eulennest, wo der Uhu des Wahnsinns haust, nicht einsamer als sonst in der Welt; allein ich fühle es hier fürchterlicher. Ich bin hier auf dem Mondstein nicht verrückter als sonst, allein es nagt hier Alles schärfer und ätzender im stillen Kämmerlein der Seele.

Mit dem Mondstein ist's nicht abgethan, die ganze Welt ist ein Mondstein, ein Irren- und Irrthumshaus, eine weisheitsvolle Narrenanstalt, ein Gefängniß – – nicht wahr, Prinz Hamlet? ein Gefängniß! Der gute Dänenprinz gehört sowie Shelley zu meinen stillen Freunden, die ich oft um Rath frage, mit denen ich oft conversire. Ich muß meine lieben Todten um mich versammeln, um am Leben zu bleiben. Mit Schatten und bleichen Geistern muß ich mein Wesen treiben und meine Gedanken austauschen, wenn mir das vollgedrängte Herz nicht auseinanderspringen soll. So ging mir's von früh auf. Es konnte nicht anders sein, die Schuld liegt an mir oder an meinem innern Schicksal. Mein Schicksal und mein Ich sind freilich dieselben Mächte. Aus dem väterlichen Hause, wo ich den bittersten Wandel von äußerem Glück in Leid und Unglück erlebte, schon frühzeitig entfernt, trat ich, noch ein Knabe und mit doppelt knabenhafter Stimmung, weil ich im Schooße des Wohllebens verzärtelt, verweichlicht und vereigensinnt war, halb verwaist in eine fremde, feindliche Welt. Der plötzliche Wechsel des Geschicks hatte in meinem Vater eine gemüthskranke Spannung erzeugt, die sorgsam gehegt sein wollte. Meine Mutter konnte nur ihm leben, denn es galt hier den Versuch, mit der Macht der tiefsten Liebe ein Leben geistig zu erhalten, das die Neigung ergriffen, sich von der freien, heilig lichten Sonne des Daseins abzuwenden und in Nachtgedanken sich zu hüllen. Es war nothwendig, daß unter anderer Umgebung meine Erziehung vollendet wurde. So trat ich in einen Kreis von Menschen, unter denen der gemüthliche Verkehr und der geistige Austausch mir nicht so lebendig erschien, weil ich, der Verzärtelte, anmaßlicherweise mehr verlangte als ich selbst gab. Es war meine Schuld, daß eine harte Schale um mein plötzlich kalt berührtes Herz sich legte, es wird meine Schuld sein, wenn ich am umlarvten, umknöcherten Herzen einmal sterbe. Es wird Alles meine Schuld, mein Geschick und die Bedeutung meines Lebens sein. Wer kann siegreich gegen das Fatum, gegen sich, kämpfen!

In der Periode, wo ein religiöses Bewußtsein über den Gehalt des Lebens in der Jünglingsseele erwacht, quälte es mich, daß ich den Wundersinn des Abendmahlsgenusses nach Luthers Erklärung nicht fassen konnte. Ich war nicht kalt im Innersten, nicht unbefähigt für poetische Deutung eines wunderbaren Geheimnisses, allein die wirkliche Verwandlung in Blut und Leib vermochte ich nicht zu begreifen. Ich genoß damals den vorbereitenden Unterricht eines streng lutherischen Geistlichen, der kein Bezweifeln einer Wahrheit duldete, und ich schleppte trotz aller Ehrfurcht vor dem Mysterium des verkündeten Heils mein kleines Heidenthum so mit mir in stiller Scheu herum. Als wir angehenden, hoffnungsvollen Christen vor dem Altare standen, um durch die Einsegnung in die Gemeinschaft der Kirche als bewußte Gläubige aufgenommen zu werden, legte mir der Priester mit seiner strengen Gewichtsmiene eine Frage vor, die meiner Seele fast einen Stillstand geboten hätte. Er fragte mich, was die Worte des Apostels zu bedeuten hätten, wenn er sagte: Wer aber davon isset und trinket, und gläubet nicht, der isset und trinket sich selber das Gericht! – Ich war allezeit schwer bei Zunge, in der Regel wurde ich als Junge schamroth, wollte ich etwas für mich Bedeutsames über die Lippe bringen, denn so dem fremden Ohre preisgegeben, schien mir's unpassend, unstatthaft oder überspannt und verworren. An jener Stelle, wo ich stand, kam es aber rasch und feurig über mich, und ich sagte: Wir essen uns das Gericht, weil es überhaupt ein Frevel ist, sich die Wunder des Lebens wie eine Alltagskost zuzubereiten ohne alle Weihe der Seele! – »Das hat Dir nicht Fleisch und Blut offenbart!« sagte der Prediger feierlich, und ich erschrak über ihn und über mich selber. Geholfen war mir damit freilich nicht; das Räthsel blieb mir Räthsel nach wie vor, und ich mußte mich später jahrelang hartnäckig sträuben, zum Abendmahle zu gehen, solange die Angst blieb über den Zweifel an der Transsubstantiation. Ich überwarf mich mit Denen, die mich zur sogenannten Pflicht des Christen anhalten wollten, ich verkümmerte mir meine besten Verhältnisse. Später hörte ich auf der Universität Dogmengeschichte und vernahm mit wahrhaftem Entzücken, daß bedeutende Männer, ja ganze Secten den Zweifel ausgesprochen und sogar festgehalten hatten. Ich blieb bei Zwingli's nüchternem Verständniß der Sache, als einer Erinnerungsfeier, nicht stehen, allein ich wußte doch, daß der Zweifel menschlich sei. Mein Gemüth tauchte freier auf, und in Momenten der Art, wo sich die Seele einer Fessel entwindet, baut man sich die Grundsäulen seiner geistigen Freiheit. Ich lernte die Verwandlung als geistig gegenwärtig, die Wirklichkeit des als Thatsache angegebenen Wunders als spirituell, auffassen. Kann denn das Dasein des Gottes überhaupt anders als spirituell verstanden werden? Heißt es nicht, in der endlichen Materie befangen bleiben, wenn ich den Wein als reelles Blut trinke? Ist der Geist etwas Anderes als ein Gedanke, und gibt es irgendwo eine tiefere, reellere Wirklichkeit als im Gedanken? Nur der Gedanke hat wesenhafte Wirklichkeit, und der Gedanke, der, aller Form der Subjectivität des Denkenden entkleidet, von Ewigkeit her in sich selbst existirt, ist ja der Gott selber. So besteht auch die Wahrheit aller Wunder nicht in der blanken, baaren Äußerlichkeit der Thatsache, aller Mythus hat in seinem Begriffe, in der ideellen Bedeutsamkeit seine Realität. – So war ich denn damals vor Mysticismus und Rationalismus gesichert und pries mit lautem Herzen den Mann, der mir hier den rettenden Ausweg gezeigt, und dessen Namen ich damals mit Fracturbuchstaben in das Tage- und Nachtbuch meines Lebens setzte: es ist Philipp Marheineke. Es hatte aber eine Zeit gegeben, wo ich Alle, die das Wunder geleugnet, für meine innigsten Freunde hielt, weil sie mir den wesentlichen Dienst geleistet, mich an ihnen in mir selber zu sichern. So sucht und findet man seine nächsten Menschen unter ganz Fremden, oft unter Fernen, Niegesehenen, ja Todten. Es gibt keine größere Seligkeit, als einen sympathetischen Geist zu wissen, und wäre er längst dem Schauplatz der Erde entrückt. Das Herz des Menschen ist, wie ich sagte, ein Waldhorn, das sein Echo sucht.

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