Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Weg nach Bayreuth

»Es vertraute einer auf deutsches Wesen;
In langen Jahren schuf er sein Werk
Und daß er sein Werk getrost vollende,
Reicht' ein König ihm selbst die Hände.
Im bayerischen Frankenland
Bot ihm der Bürger nun auch die Hand,
Daß der Welt sich bald solle zeigen,
Was deutsches Vertrauen sich schaffe zum Eigen.«

Dieses Gedicht schrieb Wagner zum Richtfest des Bayreuther Festspielhauses am 2. August 1873. Aber ganz so reibungslos lief das alles nicht ab, wie Wagner es wahrhaben wollte.

Wiederum erstanden ganze Berge, ja Alpenketten von Schwierigkeiten, die zu überwinden nur beiden gemeinsam gelingen sollte: König und Künstler. Man kann aber auch sagen: König, Künstler und Cosima!

Wagner und seine intimeren Freunde erwogen häufig die Frage: wie wird das neue Deutsche Reich zu Wagners Kunstideal und zur Frage von dessen Verwirklichung sich verhalten?

Wenn es sich aufnahmefähig verhielt und willig zur nationalkünstlerischen Tat, so konnte Wagner auch nicht länger in seinem Schweizer Schmollwinkel bleiben, in Triebschen. Triebschen, das einsame friedvolle hatte ihn schmeichelnd eingewiegt in den seligen Traum, endlich Ruhe für sein ferneres Leben gefunden zu haben.

Wagner hatte diese Ruhe ersehnt. Jetzt, wo »der Vielverschlagene« sie hatte, kamen Bedenken. War er nicht noch zu jung, um die Hände schon in den Schoß zu legen und nur hier und da noch ein paar Notenzeilen zu schreiben?

Hatte er denn alles geleistet, was er sich vorgenommen? Nur noch sein bereits entworfenes Musikdrama »Parsifal« hatte er zu vertonen, dann war er fertig.

Fertig? Und was wurde aus den anderen im Laufe der Jahre empfangenen Ideen zu musikalischen Dramen, deren Ausführung ihn immer noch weiter nach oben führen sollte, zu allerhöchster Vollendung?

Siebenundfünfzig Jahre war er 1870 erst alt geworden. Andere Komponisten fingen in diesem Lebensalter erst richtig zu schaffen an.

Giuseppe Verdi zum Beispiel, der mit ihm gleichalterig war, hatte soeben erst seine »Aida« uraufgeführt, diesmal sogar in Kairo. Während der Belagerung von Paris hatten die dort hergestellten Dekorationen zu dieser ägyptischen Oper nicht fortgebracht werden können. Jetzt gab es kein Hindernis mehr. Und »Aida« sollte ein glänzender Erfolg gewesen sein, wie alle Musikblätter und die Zeitungen schrieben.

Und der liebe Johann Strauß in Wien, der freilich zwölf Jahre jünger war, hatte jetzt erst seine erste Operette geschrieben: »Indigo und die vierzig Räuber« nannte sie sich. Auch der Tanzkomponist, der »Walzerkönig«, schritt heute zur Bühne hin, alles strebte zur gesungenen Dramatik, wenn das auch mit »deutschester Kunst« wenig zu tun hatte. Operetten klangen immer nach italienischem Singsang oder nach französischem Troulala. Und wenn es die Menschen hundertmal liebten: deutsch war das nicht.

Wo war man jetzt eigentlich so richtig »deutsch« in Deutschland? Eigentlich mußte man das jetzt in Berlin sein, der Kaiserstadt. Das alte Wien war keine deutsche Kaiserstadt mehr, nur noch eine osteuropäische.

Also Berlin! Dort regte sich, wie die Zeitungen schrieben, mächtiges neues Leben. Schon begann die neue Reichsmark schneller und schneller zu rollen. Da würde auch für die Kunst etwas übrigbleiben. Manches Veraltete würde verschwinden und den jungen Helfern zum Reiche Platz machen müssen zu neuen herrlichen Taten.

Das waren die altbekannten, die bei Beginn neuer Epochen immer wiederkehrenden idealen Wünsche und Hoffnungen. Die ebensooft auch enttäuscht wurden, und auf keinem Gebiete so oft wie auf dem aller Künste. Nicht die Größe oder Kleinheit einer neuen Epoche wirkt kunstfördernd; sie kann es auch nicht, wenn keine Künstler erstehen, die ihr Schaffen vom »Können« herleiten und nicht nur vom »Wollen«. Diese echten Künstler sind immer nur ganz seltene Geschenke der Götter, mit ziemlicher Willkür verstreut, hinweg über alle Jahrhunderte. Sehr oft – zuweilen lange Jahrzehnte hindurch – schlafen die Götter und behalten ihre Gaben für sich, diese eigensinnig Mißgünstigen, Unverantwortlichen. Weder durch gutes Zureden noch durch Flehen, Beschwören und Schelten lassen sie sich beeinflussen. Was mag dann so einschläfernd, entmutigend auf diese Götter gewirkt haben? Das blöde Tun und Treiben der Menschen wahrscheinlich, das keine Belohnung verdiente.

*

Eine kleine Vorfreude war Wagner von Berlin her bereits geworden. Im Jahre 1860 hatten Freunde ihn zum Mitgliede der musikalischen Abteilung der Königlich preußischen Kunstakademie vorgeschlagen; die Akademie hatte Wagner mit großer Mehrheit zurückgewiesen. Im Jahre 1869, am 9. Mai, war Wagner zum auswärtigen Mitgliede erwählt worden, wahrscheinlich nicht in Anerkennung seiner Kunst, sondern weil er der einflußreiche Freund des wichtigen bayerischen Königs war, der schaden oder nützen konnte.

Diese Mitgliedschaft verpflichtete Wagner zu einem Einführungsvortrage vor allen Mitgliedern. Er mußte sich also zu einer Berliner Reise entschließen.

Er reiste über Leipzig, wo er Verwandte besuchte, und traf am 25. April 1871 in Berlin ein. Drei Tage später hielt er seinen Vortrag: »über die Bestimmung der Oper.« Er entwickelte seine bekannten Grundsätze zur Veredelung der Oper, ohne zu verraten, wo deren Veredler herkommen sollten. Das alles war den Hörern nicht neu.

Einige Tage später durfte er im »Vereine Berliner Musiker« seine »Faustouvertüre« dirigieren. Zum ersten Male war einem seiner seltenen Berliner Aufenthalte ein festlicheres Gepräge verliehen.

In Berlin wohnte auch eine Verehrerin: die Gattin des Hausministers von Kaiser Wilhelm, die Baronin von Schleinitz. Sie hatte Wagner vor Jahren in Schlesien kennengelernt, als sie noch Mädchen war und ein Wagnerkonzert in Breslau besucht hatte. Die starke Opposition der Breslauer gegen Wagner halte ihr Mitleid erweckt. Jetzt setzte sie alle ihre zahlreichen Verbindungen in Bewegung, um zu veranlassen, daß Wagner zum Nachfolger des verstorbenen Generalmusikdirektors Meyerbeer an der Berliner Hofoper ernannt werde.

Als Wagner das hörte, erstarrte er vor Entsetzen. Als Königlicher Hofopernkapellmeister wäre er Untergebener des Königlichen Intendanten Botho von Hülsen geworden. Das war eine Aussicht auf neues Höllenleben.

Als Wagner ablehnte, wollte man ihm wenigstens Gelegenheit geben, den kaiserlichen Herrschaften sich zu zeigen. Man veranstaltete im Opernhause einen Konzertabend unter Wagners Leitung, worüber Herr Botho von Hülsen so wütend wurde, daß er verreiste. Vor der Abreise hatte er noch streng befohlen, ja nicht etwa das Dirigentenpult zu bekränzen. Wagner hatte also ganz recht, wenn er mit diesem großartigen Kunstschirmer nichts zu tun haben wollte.

Lothar Bucher, Bismarcks journalistischer Mitarbeiter, war seit langem befreundet mit Hans von Bülow, der ihn auch für die Wagnersche Kunst zu begeistern verstanden hatte. Bucher veranlaßte Wagner, doch seine Karte abzugeben bei Bismarck. »Das kann nicht schaden, vielleicht sogar nützen«, erklärte er.

Die Folge war die Einladung zu einem der intimen Familienabende bei Bismarck. Dieser nahm Wagner ungemein höflich auf, etwa wie den Minister eines befreundeten Staates. Dabei blieb es aber. Bismarck wußte, daß Wagner mit dem Minister-Ehepaar von Schleinitz befreundet war. Dieser Minister von Schleinitz, der täglich mit Kaiser Wilhelm zu tun hatte, gehörte aber nicht zu den Anhängern Bismarcks, im Gegenteil.

Es kam auch an diesem Familienabende die Sprache darauf, daß Bismarcks Bestrebungen zur Einigung Deutschlands auch in der Umgebung des preußischen Königs sehr viele hartnäckige Gegner gefunden hätten.

Aus Richard Wagner wurde Bismarck aber nicht klug, er, der kühle und unbestechlich sachliche Mann der Erfahrung, mit dem starken Bewußtsein der enggezogenen Grenzen für die Erfüllung der schönsten Wunschträume. In Wagners Deduktionen vermißte er das klare greifbare Ziel; und wenn Bismarck kein Ziel sah, dachte er gar nicht erst an den Start. An diesem beweglichen Kleinen Sachsen fand er auch persönlich sehr wenig Gefallen.

»Ein solch hochfliegendes Selbstbewußtsein ist mir noch niemals vorgekommen«, äußerte Bismarck zu Lothar Bucher.

An einem der nächsten Abende lernte Wagner im Salon des von Schleinitzschen Ehepaares auch den Feldmarschall von Moltke kennen. Wagner las an diesem Abende den Gästen aus seiner »Götterdämmerung« vor. Auf Moltke machte diese Dichtung überhaupt keinen Eindruck; er blieb Wagner gegenüber der undurchdringbare Schweiger.

Sehr viele Leute hielten Wagner damals für größenwahnsinnig. Das ging auch aus einer Äußerung des Staatsanwaltes im Arnimprozeß hervor: Jede Vergleichung Richard Wagners mit Bismarck sei eine strafbare Beleidigung des letzteren.

Die Aussichten Wagners für eine Begünstigung seiner Pläne von oben her in der neuen Kaiserstadt waren also geringer, als er gehofft hatte.

Sein neues Festspielhaus brauchte aber nicht in Berlin zu stehen.

München, dieser wichtige Knotenpunkt für alle Reisenden zwischen Norden und Süden, wäre ihm lieber gewesen. Leider hatte auch hier der König versagt, gehemmt von seinen Beratern.

An andere deutsche Fürsten war erst recht nicht zu denken. Es konnte sich also nur darum handeln, daß eine Vereinigung kunstliebender deutscher Männer und Frauen die erforderlichen Geldmittel aufbrachte, damit eine erste Gesamtaufführung seines Nibelungenwerkes ermöglicht wurde.

»Wir können es jetzt wagen«, hatte Frau von Schleinitz zu Wagner gesagt, »unter dem frischen Eindruck der deutschen Siege werden wir einen solchen kunstliebenden Bund auch zusammenbringen.«

Auch Karl Tausig, der begabte Lisztschüler und begeisterte Verehrer Wagners noch aus der Wiener Zeit, hegte die gleiche Ansicht. Kurz vor dem Antritt seiner Berliner Reise richtete Wagner daher an alle seine Freunde und Gönner eine Mitteilung und eine Aufforderung, in freier Vereinigung »mein wahrhaft nationales Unternehmen einer Aufführung meines großen Bühnenfestspiels in meinem Sinne, zu begründen und tätig zu unterstützen«.

Der Widerhall war nicht unfreundlich. Anfang 1872 versandte Wagner einen neuen Bericht, der das Schicksal seiner bisher geschaffenen Werke schilderte: »Unter derselben Fahne, welche über das so hoffnungsvoll wiedererstandene Deutsche Reich dahinweht, solle auch der im deutschen Geiste lange unerkannt vorbereitete Bau einer wahrhaft deutschen Kultur und Kunst sich nun erheben.«

*

Nacheinander hatte Wagner im Laufe der Jahre für sein Nibelungen-Theater (oder »sei Theaterbuden«, wie die Münchner sagten), nach und nach die Orte Weimar, Zürich oder einen Flecken am Rhein ins Auge gefaßt, ehe König Ludwig von Bayern den Festbau auf den Höhen jenseits der Isar errichten wollte. Das war aber vorübergegangen wie Wahn und Traum. Wagner ersehnte, wie er schrieb, »mit Unterstützung der Nation« eine durchaus neue Schöpfung an einem Orte, der erst durch diese Schöpfung zur Bedeutung kommen sollte: also eine Art »Kunst-Washington«.

»Ich dachte dabei«, fügte er später hinzu, »von unseren höheren Kreisen zu gut

Bei den vielfachen Besprechungen des Kommenden erzählte Hans Richter:

»Im Münchner Opernorchester sprach einer von der riesengroßen Bühne des alten Opernhauses im fränkischen Markgrafenstädtchen Bayreuth –«

Wagner griff sofort zum Konversationslexikon. Dieses bestätigte, daß ein Markgraf von Bayreuth im Jahre 1747 ein Rokokotheater gebaut habe, dessen Bühne eine der größten in Deutschland sei. Seit langem stände diese Bühne außer Benützung. Die Gattin dieses Markgrafen war eine Schwester Friedrichs des Großen. Friedrich machte seiner Schwester sogar Vorwürfe wegen der hohen Kosten, welche dieses Prunktheater verursachte.

Wenn man dieses große Opernhaus benützen konnte, ersparte man sehr hohe Unkosten. Wagner und Frau Cosima beschlossen, auf der Rückreise von Berlin über Bayreuth zu fahren und dort zu besichtigen, was es zu sehen gab. Drei Tage lang wohnten Wagners unerkannt im Gasthof »Zur Sonne«.

Das für die großen italienischen Opern des 18. Jahrhunderts erbaute Opernhaus erwies sich schon bei der ersten Besichtigung als völlig ungeeignet für Wagners Zwecke. Aber das stille, reinliche Städtchen gefiel den Besuchern, auch die breite Anlage der Plätze und zahlreiche stattliche Bauten aus der Markgrafenzeit, vor allem auch die schöne Lage der Stadt innerhalb eines Kranzes waldreicher Hügel erregten Wohlgefallen.

In Bayreuth, auf dem Marktplatze, stand das Denkmal des deutschen Dichters Jean Paul Friedrich Richter, das dem bayerischen Könige Max II. seinen Ursprung verdankte. Hier in Bayreuth hatte Jean Paul im Geburtsjahre Richard Wagners, 1813, die weissagenden Worte niedergeschrieben:

»Wir harren des Mannes, der, indem er die Gabe der gleichzeitigen Dichter- und Tonkünstlerbegabung in sich vereint, uns eine echte Oper zugleich dichte und setze

Aus diesem Frankenlande waren dereinst auch die Hohenzollern ausgezogen, um auch die Mark Brandenburg vor slawischem Ansturm zu schützen: denn nicht allzuweit von Bayreuth lag Nürnberg.

Wie die Markgräfin Wilhelmine, des großen Friedrich Schwester, einmal geklagt hatte, wollte damals ein Bürgermeister von Bayreuth durchaus bei der »plumpen« deutschen Sprache bleiben. Das Französische lehnte er für den Umgang ab. Das war verbürgt und erweckte bei Wagner sofort volles Vertrauen zu Stamm und Art dieser Bürgerschaft.

Hochbefriedigt und entschlossen zu neuen Taten kehrten Wagner und Gattin nach Triebschen zurück.

Von dort aus teilte er König Ludwig mit, daß er vorhabe, im fränkischen Bayreuth sein Festspielhaus erstehen zu lassen; ob der König es auch erlaube?

Ludwig tat nicht nur das, sondern versprach auch einen namhaften Beitrag zu den Kosten des Baues. Unter der Bedingung, daß das Unternehmen in einer bayerischen Gemeinde zur Ausführung käme, stellte Ludwig auch sofort die Semperschen Baupläne zur Verfügung, was Wagner dankbar begrüßte.

Diese Semper-Pläne zeigten ein prunkvolles Festspielhaus »in Stein und edlen Metallen«, wie König Ludwig es damals erträumte für seine Münchner. Was das aber kosten sollte, danach hatte Ludwig noch nicht gefragt. Wenn ein König der Bauherr ist, läßt sich auch bauen, ohne daß man die Kosten weiß. Wenn aber, wie hier, ein armer Künstler das leisten sollte, gewann das Einmaleins auf einmal Bedeutung. Wagner hatte die Hoffnung: es würde schon alles zurechtkommen! Nur Baugeld hatte er nicht.

Bayreuth verdankte Richard Wagner sehr viel, wie die Zukunft beweisen sollte. Das konnten aber die damaligen Gemeinderäte nicht ahnen. Der treffliche weitsichtige Bürgermeister Muncker hatte schwere Kämpfe zu bestehen, als es sich nur darum handelte, dem Meister Wagner Grund und Boden für seinen Bau kostenlos zur Verfügung zu stellen. Später war der aufblühende Weltruhm Bayreuths auch mit einem bedeutenden Aufschwunge der Stadt verbunden. Muncker und Bankier Feustel erwiesen sich als Kleinstadtführer weitblickender als die hochmögenden Münchner Gemeinderäte.

Bei seinem nächsten Besuche Bayreuths erwarb Wagner auch das an den alten markgräflichen Schloßpark angrenzende Wiesenstück für sein neues Wohnhaus.

Wagner unterbreitete der Kabinettskasse in München den Vorschlag, sein ihm vom Könige geschenktes, aber leerstehendes Haus in der Briennerstraße zurückzunehmen und dafür die Kosten seines neuen Wohnungsbaues in Bayreuth zu tragen. Das war ein ehrlicher und vernünftiger Vorschlag. Aber Schwierigkeiten – haushohe Schwierigkeiten erhoben sich! Schon wieder ein unerhörter Angriff auf die königliche Privatschatulle. König Ludwig blieb aber fest, und Wagner konnte sein Wohnhaus bauen.

Inzwischen sollte die Familie Wagner in einem benachbarten Gasthause wohnen. Schon am 30. April 1872 waren alle in Bayreuth versammelt: das Werk konnte beginnen. Am 22. Mai, am 59. Geburtstage Wagners sollte der Grundstein gelegt werden.

Es fehlte aber noch immer an der Hauptsache, das heißt an Geld für den Baubeginn. Wagner wollte sogenannte »Patronatsscheine« verausgaben, solche im Werte von je dreihundert Talern. Tausend Spender würden zusammenkommen, was eine Gesamtsumme von annähernd einer Million Mark ergab. Dafür mußte der Bau in den einfachsten Formen zu ermöglichen sein.

Das waren sehr schöne Pläne. Aber die Menschen taten nicht das, was Wagner erwartete. Sie sprachen wieder von Größenwahn. Wie kam dieser sächsische Musiker dazu, für seine Stücke ein eigenes Theater zu fordern? Noch dazu mit dem Gelde der anderen Leute? Kein Mozart, kein Weber, kein Schiller und Goethe, die doch auch keine ganz zu verachtenden deutschen Dramatiker waren, hatte eine solche Forderung erhoben. Und die Werke dieses Herrn Wagner blieben noch dazu heftig umstritten.

Alle geldhabenden Menschen zeigten sich ablehnend. Denn diese Beteiligungen am Bau eines Wagnertheaters boten kaum irgendwelche Gewinnchancen. Ja, wenn es eine Kleinbahn gewesen wäre oder eine Zuckerfabrik, aber ein Festspielhaus? Was brachte das ein? Wer würde bis nach Bayreuth reisen, um dort Zukunftsmusik zu hören?

Man darf aber nicht vergessen, daß man mitten in der Gründerzeit lebte, in der Zeit eines großen wirtschaftlichen Aufschwunges, der freilich mit einem furchtbaren Debakel endete; in Berlin so gut wie in Wien, wo in den ersten Tagen des Mai 1873, an einem sehr schwarzen Freitage, die gesamte österreichische Wirtschaft zusammenbrach. Die Schuldenverbindlichkeiten aus Investierung waren höher als das gesamte österreichische Nationalvermögen. Auch in Deutschland endete alles mit Ach und Krach – der Rest war Schweigen. Und in dieser Zeit erbaute Herr Richard Wagner sein Festspielhaus und harrte der freundlichen Geldgeber aus Idealismus!

Schon im Jahre 1872, im ersten Baujahre, knisterten hier und da die Balken des Scheingerüstes der neuen reichsdeutschen Wirtschaft. Die Menschen wurden sehr vorsichtig und hielten zurück, was sie hatten, oder legten ihre Taler in Unternehmungen an, bei denen man sich etwas vorstellen konnte.

Die wagnergegnerische »Kölnische Zeitung« jener Tage sprach sogar offen heraus von einem »Bayreuther Gründungsschwindel«.

Da rafften alle Wagnerfreunde in der Musik sich auf, um Konzerte zu geben. Löffelweise mußte der Betrag jetzt aufgebracht werden. Am eifrigsten zeigte Karl Tausig sich, der »rasende Klavierspieler«, wie Wagner ihn nannte, der selbst mit dem Klavier zeit seines Lebens ein wenig auf Kriegsfuß stand, genau wie Puccini später.

Tausig verwaltete ehrenamtlich den Verkehr mit den »Patronatsvereinen«, für die man dann »Wagnervereine« sagte. Noch im April 1874 gab es nicht mehr als fünfundzwanzig Wagnervereine, und die Zahl der übernommenen Patronatsscheine stieg niemals über fünfhundert, statt bis auf tausend.

»Ich habe mich in den höherstehenden Klassen gründlich getäuscht«, durfte Wagner von neuem bekennen.

Da starb auch plötzlich Karl Tausig, der uneigennützige Helfer und Freund; jetzt wurde alles noch schlimmer. Aber die anderen Freunde taten das ihrige, damit alles weiterging. Es war noch ein langer Weg zu beschreiten, ehe die ersten Festspiele in Bayreuth stattfinden konnten.

*

Die Grundsteinlegung sollte in feierlichster Weise stattfinden. Beethovens Neunte Symphonie sollte aufgeführt werden, große Opernhäuser sandten ihre Orchestermitglieder.

Auch Peter Cornelius war gekommen: vollkommen erschöpft von der endlosen Eisenbahnfahrt von München herauf mit der Bummelbahn.

Am Morgen des 22. Mai traf ein telegraphischer Gruß König Ludwigs ein, der in den Bergen weilte:

 

»Aus tiefstem Grunde der Seele spreche ich Ihnen, teuerster Freund, zu dem für ganz Deutschland so bedeutungsvollen Tage meinen wärmsten und aufrichtigsten Glückwunsch aus. Heil und Segen zu dem großen Unternehmen im nächsten Jahre! Ich bin heute mehr denn je im Geiste mit Ihnen vereint!«

 

Dieser Weihegruß wurde mit in den Grundstein eingesenkt, zusammen mit Wagners eigenem Weihespruch:

»Hier schließ' ich ein Geheimnis ein,
Da ruh' es viele hundert Jahr':
Solange es verwahrt der Stein,
Macht es der Welt sich offenbar.«

Der schlichte, nur in Fachwerkbau errichtete Kunsttempel Bayreuth sollte nur provisorisch sein. Wagner hatte gehofft, daß das ganze deutsche Volk eines Tages die Mittel zu jenem steinernen Prachtbau beisteuern wurde, wie er König Ludwig einst vorschwebte. Das Festspielhaus, wie es heute schon seit sechzig Jahren das Werk des Meisters betreut, steht in seiner Einfachheit immer noch fest und unversehrt, ohne daß man den Prunk vermißte: die Erbauer schufen trotz bescheidener Mittel ihr Bestes. Sie machten die Worte des Meisters wahr, die dieser bei den drei Hammerschlägen gesprochen:

»Sei gesegnet, mein Stein, stehe lang und halte fest!«

Als Wagner den Hammer weitergab, war er leichenblaß im Gesicht, und Tränen standen in seinen Augen. Er begann an diesem Tage sein sechzigstes Lebensjahr. War nicht alles Bisherige nur Vorbereitung gewesen auf diesen Augenblick?

*

Das war vorüber. Jetzt sollte sehr gut, aber auch sehr rasch gebaut werden. Keiner aber wußte: »Von was?«

Die bisher eingegangenen Beträge waren schon bald nach Baubeginn vergangen wie Schnee an der Sonne. Konzerte zugunsten des Baues geben, war die einzige Hilfsquelle. Diese Konzerte wurden von den bereits bestehenden Wagnervereinen veranstaltet. Wagner dirigierte sie dann. Er betrachtete das aber nicht als lästige Fron, die ihn von der Arbeit abhielt, sondern als eine angenehme Zerstreuung in seinem so zurückgezogenen Leben.

Wagner tat aber noch mehr: er wurde zum öffentlichen Redner in eigener Sache. Die Menschen sollten aus seinem eigenen Munde vernehmen, was er eigentlich wollte. Er veranstaltete Vortragsabende und konnte so Irrtümer berichtigen, die infolge der gefärbten Berichterstattung durch seine Pressegegner bei den Menschen sich eingenistet hatten. Die Menschen waren erstaunt und gestanden, daß dieser Herr Wagner eigentlich gar nicht so schlimm sei, wie er geschildert würde.

*

Noch ein anderer Helfer zum guten Werke meldete sich: Hans von Bülow, der am allerwenigsten Ursache dazu hatte, nach dem, was vorgefallen, jetzt mit in die Speichen zu greifen, damit der Wagen nicht stehenblieb. Er wollte nicht mit seiner edlen Gesinnung prahlen; er glaubte nur, einer Sache helfen zu müssen, für die er schon sehr viel Saft und Kraft und die besten Jahre seines Lebens geopfert hatte, er, »der kleine Günstling des großen Günstlings«, wie er sich nannte.

Im April 1872 gab er mit beispiellosem Erfolge in München ein Konzert zugunsten des Bayreuther Unternehmens. Beide, Bevölkerung und Presse, schienen auf seiner Seite zu stehen; alle perfiden Verdächtiger schwiegen auf einmal.

König Ludwig ließ Bülow wissen, daß er ihm dankbar wäre für eine Neueinstudierung des »Tristan«, vielleicht auch der »Meistersinger«. Bülow sah keinen Grund, abzulehnen, und nahm seinen alten Posten als Dirigent der Münchner Hofoper wieder ein, wenn auch nur auf drei Monate. Alles verlief in glücklichster Stimmung, kein Mißton störte die Harmonie. Drei Tage nach dem »Tristan« gab Bülow mit der Hofkapelle noch ein großes Konzert für den Münchner Wagnerverein, zum Vorteil Bayreuths.

Von neuem versuchte man, Hans von Bülow in München festzuhalten, aber von neuem lehnte er ab. Immer noch graute ihm vor einem Zusammenarbeiten mit Herrn von Perfall. Anstelle von Bülow wurde dann Hermann Levy von Karlsruhe nach München berufen.

Für Wagner war jetzt Wien an der Reihe. Diesmal war der Erfolg recht bedeutend. Die Wagner-Gemeinde war hier sehr zahlreich. Zu den alten Freunden aus der schlimmen Penzinger Zeit waren neue gekommen, eine neue Generation war herangewachsen. Zu den innigsten Wagnerverehrern gehörten Johann und Eduard Strauß, die in ihren Konzerten schon seit Jahren Bruchstücke aus Wagner-Opern zu Gehör brachten und nicht wenig dazu beitrugen, den Namen und die Werke des Meisters in alle Herzen zu tragen. Auch der in Wien lebende Symphoniker Anton Bruckner, der größte seit Beethoven, war ein begeisterter Wagneranhänger.

*

Schon jetzt, Herbst 1872, stand es fest, daß von einer Eröffnung des Bayreuther Festspielhauses im nächsten Jahre, wie vorgesehen, keine Rede sein konnte. Immer neue Verzögerungen gab es beim Bau wegen Geldmangels. Auch die Verpflichtung geeigneter Mitwirkender bereitete Schwierigkeiten: »Wagner-Sänger« gab es noch nicht.

Am 10. November gingen Wagner und Frau Cosima auf Reisen, um geeignete Sänger und Sängerinnen ausfindig zu machen. Diese Reise führte in eine größere Anzahl von deutschen Städten: nach Magdeburg, Würzburg, Stuttgart, Frankfurt, Darmstadt, Karlsruhe und Mainz, dann auf der Rückreise über Köln, Düsseldorf, Hannover, Bremen und Leipzig zurück nach Bayreuth. Die Ausbeute an tauglichen Kräften war überaus dürftig. Für die Hauptrollen der vier Nibelungendramen gab es überhaupt noch keine Besetzung. Nach seiner Rückkehr hätte Wagner am liebsten sich der immer noch unvollendeten »Götterdämmerung« zugewendet, aber das durfte er nicht. Er mußte schleunigst wieder auf Konzertreisen gehen, um Geld zu schaffen. Alle bisher zusammengetragenen Summen verschwanden in einem Faß ohne Boden. Wie sollte das weitergehen?

Wagner glaubte schon nicht mehr daran, daß man auf dieser »Liedertafel-Konzertbasis« jemals die gesamten Baukosten aufbringen würde: »Alles Zusammenkommen, Reden, Musizieren – alles das hilft nicht.«

Die letzten Konzerte hatten alles in allem 15 000 Taler gebracht. Wieder nur ein Tropfen für das gefräßige Faß. Wagner sann über neue, andere Wege nach, die zum Erfolg führen konnten, er fand aber keine. Neue selbstlose Zeichner von Patronatsscheinen erstanden nicht. Für die Wagnersche Kunst hatte niemand höhere Beträge übrig. Man besuchte ein Wagnerkonzert und glaubte, daß man genug getan hätte.

Da kam von seiten Franz Liszts die Anregung, in Wien und Budapest gemeinsame Konzerte zu geben, was Wagner guthieß. Liszt wollte – wie er sagte – mit »seinen zehn alten Fingern« wieder einmal Beethovens Es-dur-Konzert spielen, um die Wiener und Budapester an die früheren schönen Zeiten zu erinnern, als er noch jung war. Eduard Strauß verschob sogar ein eigenes großes Promenadenkonzert, um Wagner keine Konzertgäste fortzunehmen.

Wagners erlebten auch einen festlichen Abend in der Villa des Malers Hans Makart, der Mitte der siebziger Jahre seine Hoch-Zeit erlebte. Hier erschienen die ersten Kreise der Kaiserstadt; berühmte Kunstgrößen und schönste Frauen fanden sich ein. Hans Makart selbst huldigte Wagner, wo er nur konnte.

Hier begegnete Wagner auch dem jetzt in Wien tätigen Gottfried Semper, der hier soeben lohnende Aufträge ausführte. Er war mit Semper ein wenig auseinander gekommen seit der letzten Begegnung in München. Semper hatte sein Honorar für die im Auftrage König Ludwigs hergestellten Baupläne zuletzt durch eine gerichtliche Klage gegen die königliche Kabinettskasse beitreiben müssen, was Wagner ihm übelgenommen hatte.

Als aber Wagner in Makarts Atelier den ebenfalls geladenen Semper erblickte, eilte er auf ihn zu, umarmte und küßte ihn herzlich. Das hatte der ebenfalls anwesende Franz Lenbach so arrangiert. Semper und Wagner setzten sich dann in einer Ecke an einen Tisch und tranken und schwatzten den ganzen Abend, ohne sich im mindesten um das Atelierfest zu kümmern.

*

Man war schon beim Jahre 1874 angelangt, und immer noch stockte der Bau in Bayreuth. Schon prophezeiten viele: dieser Bau würde sehr bald als eine Ruine enden.

Im Herbst 1874 erlitten alle Freunde des Meisters einen neuen sehr schweren Verlust. Wagners lieber Peter Cornelius, treuer Freund und Kampfgenosse, starb auf der Reise zu einem Besuche seiner Vaterstadt Mainz. Das war ein ganz schlimmes neues Leid für Wagner. Die Zahl seiner engeren Freunde war sehr gering, jeder Todesfall riß eine empfindliche Lücke. Cornelius hatte Wagner vieles Eigene geopfert. Er hatte wenig Glück mit seinen Kompositionen gehabt, sie waren den Menschen zu spröde. Cornelius war kein Melodiker, kein Einfallsmusiker, er mußte alles sehr schwer erarbeiten und fand nicht so recht den Weg zu den Herzen der Menschen, teilte also das herbe Los unzähliger anderer, die zwar den Willen zum Schaffen hatten, denen aber kein Genius half und keine glückhafte Muse zur Seite stand.

Das Jahr 1875 brach an. Erst in diesem kam man der Erfüllung ein wenig näher. Im März dieses Jahres begannen die Proben zu »Tristan« auch an der Berliner Hofoper –, endlich war es soweit, daß Herr von Hülsen nachgeben mußte. Die Aufführung errang einen vollen Erfolg, die Oper wurde aber nach neun Wiederholungen trotz ausverkauftem Hause vom Spielplane wieder abgesetzt. Auch von den »Nibelungen«, die er noch gar nicht kannte, wollte Herr von Hülsen nichts wissen. Er äußerte: »Von diesen Nibelungen wird man in fünfzehn Jahren überhaupt nicht mehr sprechen. Ein Generalintendant der königlichen Schauspiele hat mehr zu tun und zu bedenken, als nur der Gegenwart unterhaltlich zu sein. Vor allem bei allen ›Wagner-Wagnissen‹, die einen so ungeheuren Kostenaufwand beanspruchen.«

Der ersten Berliner »Tristan«-Aufführung wohnte auch Kaiser Wilhelm bei, wofür Frau Marie von Schleinitz gesorgt haben mochte. Die von sechs bis zehneinhalb Uhr sich hinziehende Aufführung mochte für den betagten Kaiser keine kleine Anstrengung bedeutet haben. Als er gefragt wurde, wie Wagners »Tristan« ihm gefallen habe, meinte er: »Herr Wagner muß bei der Schaffung von ›Tristan und Isolde‹ furchtbar verliebt gewesen sein.« Womit der Kaiser freilich das Richtige ahnte.

In der ersten Pause hatte der Kaiser den Meister in seine Loge gebeten und ihm den Besuch der ersten Festspiele in Bayreuth versprochen.

*

Trotz allen neuen Erfolgen, die den Meister immer wieder zum Ausharren anspornten und frische Kraft verliehen, stieg überall in deutschen Landen auch wieder Unheil krächzendes Nachtgevögel auf. Immer wieder machten neue Übelwollende von sich reden.

In Königsberg erschien eine groteske Schmähschrift gegen die »Nibelungen«, und in München schrieb ein Doktor Theodor Puschmann, daß er, als ärztlicher Spezialist, Wagners Einschließung in eine Irrenanstalt für angebracht halte.

Von den Patronatsscheinen waren bisher erst 490 abgesetzt worden.

Dagegen beteiligten sich als Abnehmer von je zehn Anteilscheinen sogar der türkische Sultan und der Khedive von Ägypten. Sie beschämten manch' deutschen Fürsten. Nur die Großherzoge von Weimar, Baden und Mecklenburg und die Herzoge von Anhalt und Meiningen hatten Anteilscheine erworben.

Der wagnerbegeisterte Musikalienhändler Heckel in Mannheim hatte an alle deutschen Bühnen ein Ersuchen gerichtet, für das Festspielhaus in Bayreuth Benefizvorstellungen zu geben. Drei der Bühnendirektoren antworteten ablehnend, die anderen gaben überhaupt keine Antwort.

»So geht das aber nicht weiter«, jammerte der Meister händeringend, »wo nehmen wir Geld her?«

Bürgermeister Muncker von Bayreuth machte den Vorschlag: »Fahren wir zusammen nach München, Meister, zum Könige. Die Kabinettskasse soll nur die Zahlungsgewähr übernehmen, damit wir Kredit erhalten. Sie braucht keinen Barbetrag herzugeben.«

Was man auch tat, obwohl Wagner nicht ganz wohl war bei dem Gedanken an die Betreuer der Kabinettskasse in München. Mit dem neuen Kabinettskassierer Düffliep mußte verhandelt werden. Nach langer Wartezeit erhielt man die Antwort: »Seine Majestät König Ludwig weigert sich, die Bürgschaft zu übernehmen!«

Das schien das Ende zu sein! Wagner fühlte sich im Innersten getroffen und war ohne Hoffnung. Er rief: »Ich werde die noch offenen Seiten des Festspielhauses mit Brettern zuschlagen lassen, damit wenigstens die Eulen nicht darin nisten, bis weitergebaut werden kann.«

Immer wieder grübelten die Freunde darüber nach, was den König dazu bewogen haben mochte, seine sonst so freigebige Hand zu verschließen.

Wagner und seine Bayreuther Freunde wußten ja nichts davon, daß in der Kabinettskasse schon der Boden zu sehen war, und daß es schwieriger Tüfteleien bedurfte, um die laufenden und immer gewaltiger ansteigenden Kosten der königlichen Bauten decken zu können.

Merkwürdig erschien, daß Wagner sich hatte verpflichten müssen, die ablehnende Antwort des Königs geheimzuhalten. Das klang nach unklarer Ausrede. Wagner, der seine Kabinettsräte kannte, ahnte vielleicht nicht unrichtig, wenn er annahm, daß man König Ludwig wahrscheinlich überhaupt nicht gefragt hatte.

König Ludwig war aber auch nicht mehr der hoffnungsselige Jüngling, der alles in Rosa und Himmelblau sah, der 1864 Richard Wagner »mit banger Sehnsucht« und »heiliger Lust« zu sich berufen hatte. Sein Krankheitszustand hatte ihn mißtrauisch gemacht und die Erfahrungen mit aller Umgebung heftig verbittert. Nur mit sich selbst und seinen Phantomen hielt er noch Umgang. Nur von weiter Ferne her schlug der Welt Treiben und Fordern an sein nur noch inneren Stimmen lauschendes Ohr. Er schloß sich als einsamer König in sein Märchenschloß ein und fühlte sich von allen verlassen.

Wagner, der Idealist, konnte aber nicht daran glauben, daß ein deutsches Königswort teilbar sein könne. Er sandte dem Könige, sobald dieser wieder in Hohenschwangau war, einen neuen, genau erläuternden Brief mit der Bitte um Hilfe, da ohne eine solche alles bisher Geleistete verderben müsse an diesem schon bis zur Hälfte gediehenen Bau in Bayreuth.

Dieser Verzweiflungsbrief fand von neuem den Weg zu einem großen und leidvollen Königsherzen: »Nein«, schrieb Ludwig zurück, »nein und wieder nein! So soll es nicht enden! Es muß da geholfen werden!«

Leider überließ Ludwig die nähere Bestimmung dieser Hilfe wieder seinen Beamten. Diese hatten nichts Eiligeres zu hm, als das freundliche Königswort in die engen und drückenden Paragraphen eines Garantievertrages einzuschnüren und dadurch abzuschwächen.

Aber vielleicht mußte das sein. Schließlich waren diese Herren der gesamten königlichen Familie gegenüber verantwortlich, man durfte sie nicht allzu hart schelten.

Es mochte sein, wie es wollte: Bayreuth war gerettet!

Das hart am Scheitern gewesene Schiff war wieder flott. Schon im März 1875 machte die Kabinettskasse 100 000 Taler flüssig. Erhöhter Arbeitsbetrieb in Bayreuth war die Folge. Der Maler Joseph Hofmann in Wien begann die Dekorationen zu malen. In Darmstadt wurden die Theatermaschinen gebaut, und Professor Döpler in Berlin begann die Kostümbilder zu entwerfen.

*

Dann begannen die Proben. Sehr bald berief Wagner den in München an der Musikschule tätigen Julius Hey wieder zu sich, der helfen sollte. Der gute freundliche Hey entsetzte sich vor den zu bewältigenden Bergen von Schwierigkeiten, zumal die Ziele des »Meisters« bis hoch in die Lüfte ragten. Denn nicht alle Menschen waren geartet wie Wagner. Hey schreibt über ihn:

»Beim Anblick der kleinen beweglichen Gestalt blieb es unbegreiflich, wo Wagner diesen Kräftebestand hernahm, den er zum Vollzug seines energischen Künstlerwillens benötigte. Welch' ungeheurer Verbrauch des Lebensstoffes, und trotzdem diese unglaubliche Ausdauer der Körperkräfte bei intensivster Nervenanstrengung, die selbst nach den längsten und anstrengendsten Proben niemals erholungsbedürftig erschienen. Bei Wagner trug eben alles das Gepräge der Unerschöpflichkeit; er war wie der frische Bergquell auf sonniger Höhe, der oben den durstigen Wanderer erquickt und unten im Tale die Mühle treibt.«

Schwerwiegende Fragen, ja Probleme waren zu lösen. Albert Niemann, der 1861 in Paris den Tannhäuser gesungen hatte, hätte es wohl geschafft. Für den Siegfried hätte er aber seinen schönen gepflegten Vollbart opfern müssen, und das wollte er nicht. Nicht einmal für den Parsifal wollte er später das Opfer bringen.

Für den Hagen gewann man Gustav Siehr aus Wiesbaden, von dem Wagner die besten Eindrücke gewonnen hatte. Frau Amalie Materna aus Wien sollte die Brünnhilde übernehmen. Auch Therese Vogl hatte mitwirken sollen, mußte aber als junge Mutter ihre Rolle wieder zurückgeben. Für den Gunther und Donar wurde Eugen Gura verpflichtet. Gura erzählt in seinen Erinnerungen: man habe ihn in Bayreuth sogar gelehrt, Löwesche Balladen zu singen, mit denen er dann später seinen Ruf als klassischer Liedersänger begründete. Karl Löwe gehörte zu Wagners Lieblingen. Der eine große Melodiker liebte eben den anderen Melodiker. Löwe sei »ein ernster, nicht hoch genug zu schätzender deutscher Meister, echt und wahr«, so sagte Wagner.

Auch Lilly Lehmanns Ruhm wurde in Bayreuth begründet. Sie, ihre Schwester Marie und Marie Lammert sangen zum ersten Male die Rheintöchter. Niemals soll ein gleich berückender harmonischer Wohlklang des Nixengesanges erklungen sein, wie damals, im ersten Festspieljahre. Lilly Lehmann sang auch das Waldvögelein; in späteren Jahren sogar die Brünnhilde.

Unentbehrlich wurde Wagner der junge Russe Joseph Rubinstein, der auf Wagners Einladung hin nach Bayreuth geeilt war, um dem Meister zu helfen. Bei den Proben war er dem Meister bald unentbehrlich. Sogar die Ehre, den Klavierauszug für den »Parsifal« herstellen zu dürfen, fiel ihm zu.

Wer den Siegfried singen sollte, wußte man immer noch nicht. Der Münchner Heinrich Vogl, den auch König Ludwig für sehr geeignet hielt, hatte sich sehr um die Rolle bemüht. Wagner hatte aber einen anderen Sänger im Auge, der ihm noch besser geeignet erschien: den Tenoristen Georg Unger, dem zwar gesangliche Mängel anhafteten, der aber eine prachtvolle Siegfriedfigur besaß.

Julius Hey sollte diesen gesanglich ein wenig verwahrlosten Tenoristen erst richtig zurechtmachen. Unter anderem: ihm den häßlichen Tonansatz im Gaumen abgewöhnen, an den bis dahin sich keiner gestoßen hatte.

Wagner aber war und blieb die Seele des Ganzen. Wenn er mit der auch den Dreiundsechzigjährigen nicht verlassenden Gewandtheit über offene Versenkungen sprang, auf einem hohen Bergjoch herumkletterte, um den Kampf Hundings mit Siegmund zu leiten, dann jammerten so manche seiner Schäflein: »Wenn er doch nur herunterkäme! Wenn er stürzt, ist alles hier aus!«

Nirgends fühlte Wagner sich so wohl wie unter seinen Künstlern. Namentlich in den ersten Jahren hatte alles einen mehr familiär-festlichen Anstrich, Proben und Aufführungen. Man war unter sich.

Für Wagner waren alle Mitwirkenden Genossen, nicht Untergebene. Oft genug erschienen alle, Wagner an der Spitze, in der alten Bayreuther Kneipe bei Angermann, zum Weihenstephaner Biere. Da saßen Anhänger und Kritiker des Meisters durcheinander, und heftige Wortgefechte durchwogten Zimmer und Gänge und drangen bis auf die Straße hinaus, wo man Bretter über Bierfässer legen mußte, um Plätze für die andrängenden Scharen zu schaffen.

Trotzdem wurden alle sorgsam ausgearbeiteten Probenpläne streng durchgeführt. Am 1. Juni 1875 begannen die Übungen, die bis Mitte August dauerten. Am 1. August war Franz Liszt in Bayreuth erschienen, stürmisch begrüßt von Cosima und Wagner und allen alten Bekannten.

Zehn Monate später, im Mai 1876, sah es immer noch unordentlich aus im Festspielhause. Auch Wagner meinte, daß noch wahre Heldentaten in kurzer Zeit zu vollbringen seien.

Schon das Zustandekommen des Ganzen hatte der Berliner Intendant, Herr Botho von Hülsen, stark angezweifelt: »Wie kann das ohne jede vorhandene superiore Autorität überhaupt gelingen?«

Wagner erzeugte durch seine Fähigkeit, sich Respekt zu verschaffen, bei allen Mltwirkenden jenen »künstlerischen Gehorsam, wie ihn ein zweiter nicht leicht wieder antreffen würde«. Gerade beim Theater galt schon immer der Spruch, daß Vielherrschaft wenig tauge, und daß ein einziger unbedingt herrschen müsse. Und einen Richard Wagner, der seine Sache prächtig verstand, ließ man als Herrscher sich gern gefallen.

*

Die Hauptproben währten vom 6. bis 9. August. Zu diesen erschien auch König Ludwig, der Schirmherr des Ganzen, der gütige Helfer zum Werke. Während der Anwesenheit des Kaisers und der anderen Fürstlichkeiten, die sich angesagt hatten, mochte er in Bayreuth nicht weilen. Zum letzten Male war Ludwig kurz nach der preußischen Invasion 1866 in Bayreuth gewesen, ein wenig verletzt darüber, daß die Bayreuther mit den eindringenden preußischen Soldaten offen sympathisiert hatten. Heute gelang es Wagner nur mit großer Mühe, den König zu bewegen, den Rückweg vom Festspielhause zur königlichen Wohnung durch das Innere der Stadt zu nehmen, um den zusammengeströmten Bürgern den Anblick ihres scheuen Landesherrn zu verschaffen.

Zum ersten Male sahen König und Künstler einander wieder in die Augen seit jenem merkwürdigen 21. Juni 1868 vor aller Öffentlichkeit, bei der ersten Aufführung der »Meistersinger« in München.

Auch in diesem Jahre 1876 hatte Wagner sich noch einmal an den König wenden müssen, weil alle Barmittel schon wieder erschöpft waren, und wieder hatte Ludwig geholfen. Er wußte es jetzt, und alle Welt wußte es, daß ohne ihn die Festspiele niemals zustandegekommen wären. Denn alle anderen, Fürsten und Volk, hatten versagt.

Wie aber hätte den kunstfrohen und prachtliebenden König nicht auch eine bittere Empfindung überkommen sollen, als er jetzt den prunklosen eintönig-einfachen Fachwerkbau sah, anstelle jenes erträumten Schmuckes der bayerischen Residenzstadt »in Marmor und edlen Metallen«? Die geistige Kargheit seiner Räte und der »Weitblick« seiner Münchner Gemeinderäte hatten das hintertrieben. Mochten die Musen es ihnen verzeihen!

Über die Aufführungen sprach Ludwig sich in höchster Bewunderung aus.

Wieder mußte Wagner lange Nachtstunden nach der Aufführung bei Ludwig im Schlosse verweilen; erst nach vier Uhr morgens durfte er heimkehren.

Bei der Abreise versprach Ludwig, zum letzten Zyklus der letzten Aufführungswoche noch einmal zurückzukehren nach Bayreuth, da er den ganzen »Ring« noch einmal zu sehen wünsche. Erst aber mußten die »Fremden« abgereist sein, womit Ludwig den deutschen Kaiser meinte und in dessen Gefolge die anderen Fürstlichkeiten.

Ludwig kam aber in seinem ganzen Leben nicht mehr nach Bayreuth!

*

Auch der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin war nach Bayreuth gekommen. Eine Dame aus dem Hofstaate der jungen Großherzogin schilderte ihre Eindrücke bei den Festspielen wie folgt:

»Die Ansichten über das zu Erwartende waren bei allen geteilt. Die einen verhielten sich enthusiastisch, die anderen sprachen sarkastisch.

Schon bei der Einfahrt in den Bahnhof sahen wir außergewöhnlich gekleidete Menschen. Viele trugen Samtjaketts trotz tropischer Hitze, andere Schlapphüte mit wallenden Federn und langes Künstlerhaar. Sie schienen ihrem inneren Feuer für die ›Nibelungen‹ dadurch Ausdruck geben zu wollen. Die Stadt bot ein buntes Bild; Unterkunft war schwer zu finden: alle Vermieter forderten gesalzene Preise.

Die Vorstellungen des ›Ringes‹ nahmen um halb fünf ihren Anfang. Im Inneren des Festspielhauses herrschte totale Finsternis. Irgend jemand hatte aus Versehen das Gas ausgedreht, man mußte sich zu den Plätzen tasten, was die Stimmung beeinträchtigte: ›Kein Mensch vermochte zu schauen, was Richard Wagner bedeckte mit Nacht und mit Grauen.‹

Dann aber kam Frau Musica, von hellem Lichtglanz umwoben. Sie glitt und rauschte und brauste durch die heilige Halle: aus Tonjuwelen und Juwelen der Instrumentation hatte Wagner ihr das Gewand gewoben und ein neues Diadem auf ihr Haupt gesetzt. Betäubt von dem Reichtum an Schönheiten und der Wucht und Fülle des Gehörten und Geschauten, betäubt und berauscht zugleich verließen alle das Festspielhaus.

Die für Musik Wagnerscher Art empfänglichen, ihr zu eigen geweihten Seelen durchbebte ein Taumel des Glücks. Jene aber, deren musikalisches Empfinden weniger hochgespannt war, hatten einen inneren Kampf zu bestehen. War es denn schön, was sie hörten? War das Musik? Was war das, was nach einigen melodischen Takten so verworren an aller Ohren schlug? So ähnlich klagten viele in bangen Zweifeln. Einige, die Text und Dichtung lobten, verkündeten: ›Diese Musik ist keine Musik!‹

Andere gerieten sogar in Ekstase und gaben die wunderlichsten Urteile ab. Die am häufigsten wiederkehrende Klage galt den allzu großen Längen in Text und Komposition. Durch diese Längen werde das Anhören zu einer physischen Qual, die Nerven versagten. Viele wollten das Festspielhaus mit einem Gemisch von Unbehagen und Glück verlassen haben.« Es wiederholte sich eben auch hier in Bayreuth, was man schon in München erlebt hatte.

Was den Zuhörern aber noch weniger Freude bereitete, war die Ansprache, die Wagner am letzten Spielabend von der Bühne herab hielt, als die letzten Töne verklungen waren. Sie gipfelten in der kühnen Behauptung:

»Wenn Sie wollen, so haben Sie jetzt eine deutsche Kunst.«

Die Leute wunderten sich: eine deutsche Kunst hatte es doch auch schon vorher gegeben? Keinem fiel es ein, die Großartigkeit des von Wagner geschaffenen Werkes nicht anzuerkennen. Aber nichts ist gerade für den echt deutschen Menschen unerträglicher als dünkelhaftes, absprechendes Urteil über Vergangenes.

Auch Kaiser Wilhelm hatte dem ersten Aufführungszyklus beigewohnt. Er war durchaus kein Freund Wagnerscher Musik. Die für viele Ohren unverständlichen, scheinbar wirren Tonfolgen beleidigten sein Empfinden, das bis dahin an eine Musik gewöhnt war, die ein zartes melodisches Singen war im Vergleich zu dem Wagnerschen Brausen.

Aber der vornehme gütige Monarch wollte dem Meister ein freundliches Wort sagen und beauftragte seinen Adjutanten, den Grafen Lehndorff, den Meister im Zwischenakte herbeizuholen. Wagner aber weigerte sich hartnäckig, vor seiner Majestät zu erscheinen: er habe keine Zeit, was wohl stimmen mochte. Aber das wußte der Kaiser nicht. Graf Lehndorff aber faßte es anders auf. Freundlich erklärte er, daß er, Graf Lehndorff, zu gehorchen habe, wenn der Kaiser befehle: wenn Herr Wagner nicht gutwillig mitgehe, dann werde er ihn auf den Arm nehmen und hintragen zu Majestät. Das half!

*

Unter den anwesenden deutschen Fürsten befanden sich auch der kunstsinnige Herzog von Meiningen, den Wagner später als einen »Herzog ohnegleichen« feierte: dann die Großherzoge von Sachsen-Weimar, Mecklenburg-Schwerin und Baden.

Auch noch ein zweiter Kaiser war anwesend: Dom Pedro von Brasilien, der so gern eine neue Wagneroper für seine ferne Hauptstadt erworben hätte. Schon um »Tristan und Isolde« hatte er sich damals bemüht.

Auch nicht zu wenige Fürsten aus dem Reiche der Kunst waren erschienen. So Adolph Menzel, der schon während der Proben Wagner mitten in seiner Tätigkeit im Bilde festzuhalten versucht hatte. Außer diesem sah man Franz Lenbach, Hans Makart und Gabriel Max. Von Musikern entdeckte man mehr als vierzig Kapellmeister und fast alle Intendanten und Leiter der deutschen Bühnen. Daß die alten persönlichen Freunde Wagners nicht fehlten, verstand sich von selbst: Wesendoncks, Willes, die Wiener: alle waren erschienen.

Nur Hans von Bülow hatte auch diesmal fernbleiben müssen. Dieses Fernbleiben von den Festspielen erschien ihm ebenso absurd wie das Hinfahren. Kurz vorher hatte er eine Konzertreise nach Amerika unternommen, nur um recht weit von der Nachbarschaft des Bayreuther Theaters zu weilen. Bald aber trieb ihn Überdruß und »schauriger Wahnsinn«, wie er es nannte, wieder nach Europa zurück. Am liebsten hätte er »ein Billett nach jener Station genommen, von der es keine Rückkehr mehr gibt«. Bülow war körperlich immer noch mehr zusammengesunken als damals, als er von München sich losreißen mußte. Der Bedauernswerte verbrachte schlaflose Nächte und halbwache Tage der Qual dieser ihm aufgezwungenen Ausschließung. Womit hatte er dieses herbe Geschick verdient?

Auch auf alle Musiker und Kunstverständigen war der Eindruck der Festspiele ein überwältigender. Kleine szenische Mängel hier und da, Stockungen bei der Verwandlung der Bühnenbilder, Mißlingen des Zweikampfes zwischen Siegmund und Hunding wurden nicht übelgenommen. Der fürchterliche Drache erregte freilich nur Heiterkeit. Er war in England hergestellt worden. Auf dem Wege von London nach Bayreuth war ihm irgendwo unterwegs ein Halsstück abhanden gekommen, und man mußte den Kopf direkt auf den Leib setzen, was drollig aussah.

Die Pressekritik stand mit ihren Urteilen in vielen Lagern verteilt.

Zu den schlimmsten Mißgönnern gehörte der Wiener Feuilletonist Ludwig Speidel. Er schrieb: »Wenn die Affenschande des ›Nibelungen‹-Ringes sich in Deutschland verbreiten würde, müßten die Deutschen aus der Reihe der Kulturvölker verschwinden.«

Der Kapellmeister der Berliner Hofoper Heinrich Dorn, ein unverbesserlicher Wagnerfeind, schrieb eine Broschüre unter dem Titel: »Gesetzgebung und Operntext«, in welcher er die Stellung Wagners unter das Sozialistengesetz forderte, »um unsere gesamte geistige Atmosphäre zu schützen vor der Ansteckung der Scheußlichkeiten und Miasmen, welche sich aus den Pesthöhlen von Wagners ›Nibelungen‹ entwickelten.«

Alle diese und andere Verlautbarungen drangen in alle Kreise und zerkrümelten einen Teil des guten Gesamteindrucks des Gebotenen. Bald darauf sprach die krittelnde Fama von einem mißlungenen Experiment. Diese Aufführung in Bayreuth würde ein vereinzeltes kühnes Wagestück bleiben, nie aber zu einer dauernden Einrichtung werden.

Wagner aber hoffte: der gelungenen Tat müsse nun auch der offenkundige Volkswille folgen, eine »deutsche Kunst« auch wirklich haben zu wollen!

Als aber die Scharen der Künstler und Gäste aus Bayreuth wieder gewichen waren, hatte der Meister noch immer keine zustimmende Antwort auf diese Frage. Die Stimme des Volkes blieb aus, weil die Wagnersche Kunst gar keine Kunst für das Volk war. Nicht einmal für die besser gestellten und höher gebildeten Kreise desselben. Kein freudiger Widerhall von irgendwelcher Seite wurde laut.

Und die bange, schwere Frage für die Zukunft blieb nach wie vor offen:

»Weißt du, was daraus wird?«

*

Die jetzt in Bayreuth beginnende Zeit war eher noch sorgenvoller als die der Bauperiode. Die Festspiele hatten mit einem erheblichen Fehlbeträge geendet. Immer noch liefen verspätete neue Rechnungen ein, die bezahlt werden wollten. Wagner sah keinen Ausweg und erwog bereits den verzweifelten Gedanken, das Festspielhaus und die Villa Wahnfried zu verkaufen und mit seiner Familie nach Amerika auszuwandern. Da aber schrieb ihm König Ludwig einen »ganz herrlichen« Brief: er mahnte zur Ausdauer und zur Fortsetzung, der Wagner alles andere hintansetzen solle.

Das nützte Wagner nicht viel. Er fühlte sich – jetzt, wo alles vorüber war – auch krank und erholungsbedürftig. Das Herz meldete sich und die Nerven versagten den Dienst.

Er hatte für eine größere bestellte Komposition für Amerika (Philadelphia) einen ansehnlichen Betrag erhalten. Hierfür wollte Wagner, auf Frau Cosimas Zureden hin, eine Erholungsreise nach Italien machen.

Diese erste Italienreise, die Wagner am 14. September 1876 mit seiner ganzen Familie antrat, währte nur bis zum 20. Dezember.

Auf der Rückreise, in Florenz, erreichten ihn schon wieder Briefe aus Bayreuth, in denen von dem schlimmen Fehlbeträge von den Festspielen her die Rede war. Wie war dieser zu decken? Durfte man überhaupt an eine Wiederholung der Spiele im nächsten Jahre denken, wie sie geplant waren?

Die schlimme Fehlrechnung Wagners, daß diese Spiele sich aus den Zuschüssen begeisterter Wagner-Enthusiasten von selbst finanzieren würden, war unwiderlegbar geworden. Wagner sträubte sich immer noch eigensinnig dagegen, die Festspiele jedermann gegen Erlegung von Eintrittsgeld zugänglich zu machen. Der Volkswille sollte sich Wagners Plänen und Idealwünschen anbequemen. Der Volkswille ließ sich geistig aber nicht gängeln und führen, er ging seine eigenen Wege, die ihm sympathischer waren. Die Menschen wollten an einer Theaterkasse eine Karte kaufen und nach der Vorstellung unbeschwert wieder nach Hause gehen und dann wieder und immer wieder mit ihren privaten Dingen sich abgeben; nicht aber mit Herz und Hand, mit Leib und Seele mit Kunstdingen sich befassen, und wenn diese auch die allerdeutschesten waren.

Der Gedanke, dem Volke, also der Gesamtheit aller Schattierungen irgendeine Kunst zum Bedürfnisse werden lassen zu können, ist ebenso irrläufig wie die Idee, daß ein Dichter mit dem Könige zu gehen habe. Oder es müßte sich bei der Kunst um Darbietungen handeln, wie das Volk sie ersehnt; die ihm auch eingehen, und die ihm gefallen. Dann aber kommt alles Volk auch von selbst. Aber, wie überaus spärlich werden sie ihm geboten!

Ihre unbeschränkte persönliche Freiheit im Empfinden, Denken und Fühlen verlangten die Menschen gerade gegenüber der Kunst; nicht einmal gemahnt wollen sie werden, etwas für schön zu finden, was ihnen noch lange nicht zusagt. Das kann niemals Erfolg haben.

Mit diesen Tatsachen hätte jeder andere gerechnet, nur Wagner nicht.

Schon der Gedanke, daß alle Deutschen Sehnsucht nach einer deutschesten Kunst hätten, war irrläufig. Und nicht einmal die völlige Klärung der schwierigen Frage, was »deutsche Kunst« überhaupt sei, ist Wagner restlos gelungen. Auch anderen nicht.

Vernünftige aus allen Kreisen rieten Wagner zur Umkehr auf diesen Irrwegen. Es sollten aber noch Jahre vergehen, ehe Wagner bekehrt war.

Sehr bald ergab sich die Notwendigkeit, auf eine Wiederholung der Nibelungen-Festspiele im kommenden Jahre 1877 zu verzichten. Es war ein zu großes Wagnis, von den kommenden Aufführungen einen Überschuß zu erwarten, der auch zur Deckung der Schulden ausreichte.

In der Wirklichkeit sollten zwei ganze Jahrzehnte vergehen, ehe die Nibelungen in Bayreuth wieder zum Vorschein kamen.

Was blieb Wagner anderes übrig, als wieder Konzerte zu dirigieren? Diesmal im Auslande – das sollte versucht werden. Schon hatte Wagner – von Rom aus – seinen Bayreuthern gedroht, er wolle Bankerott ankündigen: »Ich habe gezeigt, was ich kann und fühle mich nun berechtigt, meine öffentliche Künstlerlaufbahn zu schließen.«

Zuerst ging er nach London, wo es ebenfalls einen Wagnerverein gab. Zwischen dem 1. und 19. Mai 1877 fanden die sechs Konzerte statt, die vorgesehen waren. Eine Reihe Bayreuther Künstler begleiteten ihn, und es gab einen großen künstlerischen Erfolg. »The Wagner-Festival« nannte man das Ganze in London.

Die Einnahmen hatten den gesamten Bayreuther Fehlbetrag decken sollen, der sich auf über fünfzigtausend Taler bezifferte. Aber nur armselige fünftausend Taler betrug der Erlös, obwohl Wagner nicht nur seine eigenen Unkosten, sondern auch manche Ansprüche seiner Sänger aus eigener Tasche gedeckt hatte. Er legte sogar noch zehntausend Mark hinzu, als Grundstock zu einer neuen Sammlung daheim. Aber sein Aufruf fand keinen Widerhall. Wagner durfte mit voller Berechtigung klagen: »Um wie vieles älter mich diese neuen trüben Erfahrungen gemacht, was ich an Lebenskräften hierbei wieder ganz nutzlos vergeudet habe – das stehe dahin!«

Schon am 1. Januar 1877 hatte Wagner sich bittend wieder an den Einen gewandt, der noch immer geholfen hatte, wenn alles nicht weiterwollte –, diesmal aber vergeblich. Die Bitte an den König war in Verse gekleidet:

»Er, meines Schaffens, meines Wirkens Richter,
Er woll', und alle Zweifel schweigen still.
Und ihn denn ruf' ich, stark in seiner Wehre:
Glückauf! Daß auch dies neue Jahr dich ehre!«

Aber das Jahr 1877 ging zu Ende, ohne daß Ludwig auf diesen Hilferuf antwortete. Aber auch diesmal wieder sollte von München her die Erlösung kommen. Ein neuer Lichtblick war aufgegangen. Der häufig auf Ablehnung eingestellte Herr Düffliep von der Kabinettskasse wurde Anfang 1878 durch den zugänglicheren Ludwig von Bürckel ersetzt, der aus Kunstkreisen stammte, und der ebenfalls immer abgeneigte Politiker Eisenhart durch den in der Gunst des scheuen Königs sich lange haltenden Friedrich von Ziegler. Vielleicht durfte man aufatmen? Ziegler stammte aus der Umgebung des Münchner »Akademischen Gesangvereins«, der immer wagnerfreundlich gewesen war.

Als Bankier Feustel aus Bayreuth Ende Januar 1878 zu einer erneuten Bewerbung um den Beistand Ludwigs II. nach München reiste, kam zu aller Erleichterung und Freude eine tatsächliche Erlösung aus den schlimmen Nöten des Jahres 1876 zustande: »durch die erhabene Freundschaft des Königs für Wagner«. Ludwig II. übernahm die sofortige Deckung der alten Schulden und genehmigte Wagner, dessen Werke die Münchner Hofbühne bis dahin ohne jede Vergütung aufgeführt hatte, eine Tantieme von zehn Prozent, die bis zur Höhe der vorgeschossenen Summe der königlichen Kabinettskasse zufließen sollte.

Wagner konnte also, aufatmend nach langen Ängsten, am 3. Februar 1878 Feustel für die gewonnene Schlacht danken und sich ohne Gewissensnöte wieder neuem Schaffen zuwenden.

Wiederum hatte der König dem Künstler geholfen: immer wieder der König!

Wagner aber raffte sich auf zu einem Entschlusse. Er erklärte Frau Cosima: »Jetzt beginne ich den › Parsifal‹ und lasse nicht eher von ihm ab, bis er fertig ist.«

*

München durfte als erste Bühne nach Bayreuth die vier »Nibelungen«-Dramen geschlossen darbieten, was zwischen 17. und 23. November 1878 geschah. Inzwischen war auch in München eine neue Jugend herangewachsen, eine neue reichsdeutsche Jugend, eine wagnerbegeisterte Jugend. Vor fünfzehn Jahren, als Wagner nach München kam, hatten deren brummelnde Väter, auch die »Schöps und Trottelberger«, noch allein zu sagen gehabt. Das war jetzt anders.

Es kam jetzt die Zeit, wo eine »Siegfried«-Aufführung in München ein ersehntes Ereignis war, von dem man vorher und nachher drei Wochen lang redete. Damals warteten die jungen Münchner Burschen oft sechs Stunden am Theatereingange, um sich in ärgstem Gedränge auf die Galerie hinaufquetschen zu lassen. Dort saßen Musikstudenten mit aufgeschlagenen Partituren und fiebernden Pulsen, den Kopf in die Hände vergraben, Augen und Ohren weit aufgerissen vor dem unerhörten Erlebnis. Erst zum Schlusse löste die Spannung sich in einen unmeßbaren Jubel aus. Die Darsteller trommelte man an die dreißig Male vor den Vorhang der Hofbühne.

Das alles hat sich beschwichtigen müssen. Der Zauber aller Wagnerromantik mußte eines Tages verblassen infolge wirren Würgens der Zeit unter den immer schwerer betroffenen Menschen. Heute könnte jene Zeit gar nicht mehr nachgeholt werden, als von der Jugend die Galerien gestürmt wurden, damit man den »Siegfried« erlebte. Alle Menschen sind anders, aber nicht schöner geworden.

Wer aber von seinen Großvätern aus jener Zeit des alten Münchens erzählen hört, fühlt zuweilen Neigung, jene Zeit die »gute alte« zu nennen. Hell strahlt die Stadt auf in der Märzsonne, und wenn der frische Wind von den Bergen herabkommt bis auf den Nockherberg, da schmecken die Laugenbrezeln noch einmal so gut und der »Salvator« erst recht. And da erzählt so ein huzzeliger Großpapa, wie alles noch früher war: was damals ein Fiaker, ein Rettich und ein Theaterbillett kostete. Und staunend hört alles die unglaubliche Mär von dem Biere aus jenen Tagen, das fähig war, die Hose auf die Bank festzukleben – wie lange schon verschwundene Zeiten: sie kommen nicht mehr: wo die Maß nur fünf Kreuzer kostete!

*

Leipzig folgte schon im Januar 1879 dem von München gegebenen Beispiele. Nur in Berlin zögerte man nach wie vor.

Da kam es zu etwas ganz Großem, Neuem. Die beiden Direktoren des Leipziger Stadttheaters, Angelo Neumann und August Förster, faßten den Entschluß, die »Nibelungen« auf eigenes Risiko in Berlin aufzuführen. Als Herr von Hülsen in Berlin das hörte, veranlaßte er – sehr empört –, daß die Leipziger Stadtverwaltung bei ihren Direktoren ein Veto einlegte. Und, als das nichts half, kündigte sie den beiden ganz überraschend, obwohl Angelo Neumann und Förster das Leipziger Stadttheater auf ein hohes Niveau gebracht hatten. Die beiden kühnen Wagnerfreunde waren jetzt frei und durften tun, was sie wollten.

Sie mieteten das Berliner »Viktoria-Theater«, in welchem sonst nur Ausstattungsstücke gegeben wurden, und brachten im Mai 1881 vier Gesamtaufführungen des »Ringes« heraus, unter Teilnahme von ganz Berlin. Auch Kaiser Wilhelm war wieder anwesend und brachte den Kronprinzen mit.

Dieses »Wagner-Wagnis« war also geglückt, und Angelo Neumann beschloß, die »Nibelungen«-Vorstellungen in anderen Städten zu wiederholen, und es kam eine Art wanderndes Nibelungentheater zustande. Die Pressekritik wiederholte überall alle alten Einwendungen gegen Wagner und seine Kunst, hatte aber kein Glück damit. Die Menschen strömten in die Theater.

Nach Breslau, Königsberg, Danzig, Hannover, Bremen und Barmen, dann nach London, Venedig, Bologna, Rom und Turin ging die Reise. Nur in Mailand wehrten sich die dortigen Opernverleger Ricordi und Sonzogno gegen die deutschen Einbrecher in ihr Geschäft. Am 4. Juni 1889 wurde auch das kaiserliche Rußland von Angelo Neumann bedacht.

Diese Wander-Wagner-Vorführungen haben der Wagnersache ganz erheblich genützt. Die Theaterdirektoren der besuchten Städte verloren ihre Ängste und brachten die Wagnerschen Dramen in eigener Regie heraus, denn das Publikum forderte das.

Erst im Jahre 1896 konnten die »Nibelungen« auch wieder in Bayreuth zur Darstellung gelangen, dreizehn Jahre nach Wagners Ableben.

*

Auch der Aufführung des neuen »Parsifal« sahen alle Wagnerfreunde mit Bangen entgegen. Betriebskapital war nicht vorhanden: alle hohen Spenden König Ludwigs waren zur Schuldendeckung verbraucht worden. Diesmal gestattete Wagner endlich den öffentlichen Kartenverkauf für Bayreuth. Das lohnte sich auch sofort. Trotzdem blieb alles ein Wagnis.

Da erließ König Ludwig, der treue Beschützer, am 15. Oktober 1880 einen Befehl: »Zur Förderung der großen Ziele des Meisters Richard Wagner finde ich mich bewogen, das Orchester und den Gesangschor meiner Hofbühne dem Bayreuther Unternehmen von 1882 ab alljährlich auf zwei Monate zur Verfügung zu stellen.«

Schon von Italien aus hatte Wagner am 28. September 1880 an den König geschrieben: »Ich habe nunmehr als meine noch so ideal konzipierten Werke der von mir als unsittlich erkannten Theater- und Publikumspraxis ausliefern müssen. Aber wenigstens mein letztes und heiligstes Werk möchte ich vor dem Schicksale einer gemeinen Opernkarriere bewahren. Ein Werk, in welchem die erhabensten Mysterien des christlichen Glaubens offen in Szene gesetzt sind, kann nur von meinem einsam dastehenden Bühnenfestspielhause in Bayreuth aufgeführt werden, auch in aller Zukunft.«

Wagners Gegner behaupteten später, Wagner habe das Reservatrecht am »Parsifal« für Bayreuth nur aus egoistischen, materiellen Gründen erstrebt. Und wenn der Meister die Verfügung über sein letztes Werk tatsächlich für seinen eigenen und seiner Familie Nutzen für Bayreuth hüten wollte, so ging das die übrige Welt überhaupt nichts an; mit seiner eigenen geistigen Schöpfung durfte er tun, was er wollte. Tatsächlich währte der Schutz auch nur die gesetzlichen dreißig Jahre nach seinem Tode.

Die Vertonung des »Parsifal« schritt langsam, doch ohne Unterbrechungen vor sich. Erst am 26. April 1879 war auch die musikalische Skizze für die Partitur beendet. Am 3. Mai meldete Wagner dem königlichen Freunde:

»Dritter Mai! Holder Mai!
Dir sei mein Lob gespendet:
Winters Herrschaft ist vorbei
Und ›Parsifal‹ vollendet!«

Die erste Aufführung des »Parsifal«-Vorspiels erfolgte vor König Ludwig im Münchner Hoftheater am 12. November 1879. Zwei Tage vorher hatte der König zu Ehren des in München weilenden Meisters eine »Meistersinger«-Vorstellung angeordnet. Wiederum mußte Wagner dieser in der Königsloge beiwohnen, wie vor elf Jahren, die Öffentlichkeit war aber ausgeschlossen. Ludwig war schon so weit in seiner Scheu vor den Menschen gelangt, daß er diese auch im Theater nicht mehr ertrug.

Ludwig gab Wagner noch den Auftrag mit auf den Weg, im Festspielhause in Bayreuth einen besonderen Zugang zu seiner Loge für ihn einbauen zu lassen, damit er der Uraufführung des »Parsifal« auch beiwohnen könne!

Nie kam Ludwig mehr nach Bayreuth. Nie sah er den »Parsifal«. Das Zusammensein von König und Künstler in den Novembertagen 1879 sollte das letzte gewesen sein. Es erfolgte bei der Rückkehr von Wagners zweiter Italienreise. Wagner hatte zuerst in Neapel und dann auf Sizilien seine Erholung gesucht und gefunden.

Aber erst am 13. Januar 1882 wurde die Partitur vollendet, und zwar in Palermo. Wenn man den »Parsifal« noch im Hochsommer aufführen wollte, mußte man Eile entwickeln.

Aber die Schwierigkeiten waren diesmal gelinder. Für den »Ring« hatte man zwei ganze Sommer benötigt, diesmal waren nur zwanzig Tage erforderlich.

Die allgemeine Zulassung von Theaterbesuchern aus aller Welt bewährte sich auch. Die Eintrittskarten kosteten in den ersten Jahren dreißig Mark, später zwanzig. Es kam auch kein Fehlbetrag auf. Man erübrigte sogar noch einen schönen Grundfonds für die nächsten Spiele.

Freilich: es blieb ein peinlicher Gedanke für Wagner, daß seine Festspiele, die er als freies Geschenk für alle Kunstfreunde ohne Ausnahme geplant hatte, nun doch nur dem kaufkräftigen Teile eines internationalen Publikums zugänglich sein sollten.

Hatten die Nibelungen dargetan, daß sogar Wagnersche Götter am Allzumenschlichen elend vergehen konnten, so sollte der »Parsifal« die Erlösung von Göttern und Menschen durch die Christenlehre versinnbildlichen. Mit der Dichtung des bayerischen Dichters Wolfram von Eschenbach, dessen »Parsifal« im Jahre 1203 bekannt wurde, und den er zum Teil noch auf der Wartburg gedichtet hatte, als Sängergast des Landgrafen Hermann von Thüringen, hat Wagners »Parsifal«-Dichtung nicht viel zu tun. Nur einige Gestalten der Urdichtung verwendet er für sein eigenes Drama.

Für den frommen Franz Liszt, für den die angeblich germanische Nibelungensage ein urfremdes Gut blieb, bot der »Parsifal« eine Gedankenwelt, in der er sich heimisch fühlte: diese Tondichtung sei ein Wunderwerk des Jahrhunderts, erklärte er.

Franz Liszt weist ferner Kritik und Publikum die Aufgabe zu, sich erst einmal schweigend heranzubilden zu der reinen Wahrheit und schlechthin vollendeten Kunst an Poesie und Musik, Drama und Darstellung, in welcher der »Parsifal«, diese Absage an alles Niedere, alle Meisterwerke, die bis jetzt den Theatern gehörten, hoch überrage: »Der ›Parsifal‹ läßt die davon Ergriffenen verstummen, sein weihevoller Pendel schlägt vom Erhabenen zum Erhabensten!«

*


 << zurück weiter >>