Timm Kröger
Aus alter Truhe
Timm Kröger

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2

Die Hausfirst ihrer Kate war mit grünem Moos bewachsen, es lag Sonnenglanz darauf, und in dem Sonnenglanze machte ein blauweißer Täuberich seiner weißblauen Taube unter Spreizen der Schwanzruder mit vielen Verbeugungen gurrend den Hof. Wieb Muthen sah es nicht, sie saß an der Sonnenwand ihres Häuschens im Streuschatten junger Birken vor einem Spinnrad und spann.

Da fiel ein Schatten vom Wege her auf ihr Rad, der Schritt eines Mannes kam durch die Wallpforte, und es sagte jemand »Godn Morgn«, was die Spinnerin veranlaßte, ihr Rad zum Stehen zu bringen. Sie zog den Fuß vom Trittbrett zurück, griff in die Spule, sah den Besucher durch die Hornbrille an, und antwortete: »Schön Dank un godn Dag!«

Jeder von ihnen bot die Tageszeit nach der Weise, wie er sie verzehrte. Nach Wieb Muthens Verbrauch war es reif gewordener, bei Johannes Lindemann junger Tag.

Der Rektor stand vor ihr, sie aber warf Augen auf ihn, worin geschrieben stand: ›Du komms mi bekannt vör, kann di awer ni to Hus bringn.‹

»Kenns mi wull ni mehr?« fing Rektor Lindemann an.

Wieb steckte in einer bunten, bauschigen Jacke, war eine etwas völlig gewordene Frau, gesund von Farbe und gütig im Ausdruck, mit schlicht gescheiteltem, noch immer bräunlich schimmerndem Haar.

Als sie vernahm, daß es sich in der Tat um eine alte Bekanntschaft handele, nahm sie die Brille ab und legte sie in den Schoß. »Nä, opn Prick kenn ik Se ni.«

»Ja, Wieb, denn mutt ik wull betjen neger kam. Kanns di besinn op Daniel Drathen sin Hochtid un op son langn jungn Kerl, de dor weer, en blaue Mütz op harr un op Seminar studeer?«

Das schlug ein! Sie schob das Rad bei Seite, erhob sich, schüttelte ihre Schürze, wischte ihre Hand darin ab und reichte sie dem Angekommenen. »Denn hev ik wull de Ehr mit Rektor Lindemann ...«

»A, wat, Ehr hin, Ehr her«, schnitt Lindemann die Höflichkeiten ab. »Ick bün Hannes Lindemann un wi hebbt, ›Du‹ to enanner seggt, un dor blivt dat bi.«

Wieb lächelte vor Vergnügen. »Ja, Hannes, wenn Se, wenn du so eenfach un niederträchdi denkst, mi is 't recht. Denn schast ok willkommen wesen.‹

»Und das it nett von dir«, fuhr sie fort. Das Gespräch wurde plattdeutsch geführt, der Rektor sprach so mit allen Leuten im Dorf. »Es ist nett von dir«, sagte sie, »daß du an mich denkst. Ja, Daniel Drathen, als er die reiche Strotmann kriegte (manch ein Jahr ist den Berg hinuntergelaufen), da ging es hoch her.«

Einen Augenblick ließ sie die Augen an ihm auf und niedergehen. »Hast dich gut gehalten! Alt sind wir beide, jung bist nicht mehr, siehst aber gut aus. – Und nun komm man rein. Viel kann ich nicht bieten. Abers en Kaffee ist schnell gekocht.«

Das wollte Johannes nicht. Sein Weg gehe weiter nach Rugenbergen hin. Zu Hause habe er Kaffee getrunken, in Rugenbergen müsse er noch einmal dran. Unter drei Tassen lasse ihn Schwester Grete nicht. Zweimal allenfalls, aber dreimal Kaffee am Vormittag, das gehe selbst über eines alten Schulmeisters Kraft. »Lat uns hier bliewen, Wieb. De Sünn schient schön, un op Hus hebbt de Duwen ehr Spillwark. – Wenn 'k hier betjen sitten dörf...« Es stand ein Brettstuhl an der Wand, den zog er heran. »Un du blivst op din Bank un spinnst«, befahl er.

Da mußte sies wohl zufrieden sein, das Rad schnurrte und Wiebs fleißige Hände zupften und zerrten den fein gehechelten Flachszopf, daß der Faden eben und gleichmäßig und ohne Knoten auf die Spule lief.

»Du spinnst«, spann Johannes Lindemann seinen Gesprächsfaden mit hinein. »Du spinnst, das ist recht. Es ist zwar aus der Mode gekommen, aber ich habe mich beim Kommen schon über das Flachsbeet, das ich hinter dem Garten sah, gefreut. Mich wundert nur, wo dus gewebt kriegst. Sind doch die Leinweber in unseren Tagen rein ausgestorben. Da tut man alles mit Dampf, und was der Bauer früher selbst machte, kauft er in Läden.«

Wieb ließ für einen Augenblick Rad Rad sein und faltete die Hände. »Ja«, sagte sie, »so is dat, Hannes, de Welt is so gans anners, as wo wi in grot wam sünd. Un ol Lüd, de op de Heid wahnt, könnt sik swor in sinn.« Aber dann spann sie wieder über die aus Rand und Band gegangene Welt hinweg: »Wir müssen alles selbst tun«, fuhr sie fort und zog ihren Faden lieb und lang bis zur Höhe ihrer Brust hinauf. »Ich dünge und grabe das Flachsbeet und säe und jäte und ernte und dresche und spreite und brache und schwinge und hechele und spinne und spule und haspele und webe; und alles, was dazu gehört, findet sich in meinem Besitz. Brache und Webstuhl stehen in dem kleinen Anbau, der nach hinten hinaus geht und von hier aus nicht zu sehen ist.«

»Früher kamen hier wohl«, fuhr sie fort, »Packenträger (Butendörp und Mahrt hießen sie) mit Kattunzeug zu Fuß hausierend durchs Land. Nun fahren ja Wagen wie kleine Häuser und Läden herum. Da kann man alles kriegen, wie in der Stadt. Und was ich und meine Tochter an Wollzeug brauchen, kaufen wir da auch, denn mit Wolle und Schafen kann ich mich nicht abgeben. Mumm heißt der Mann. Und ich muß sagen, wenn es auch nicht gerade viel hält, teuer ist es auch nicht. Aber Leinen und das, was meine Tochter und ich am Leib tragen, da halte ich an der alten Mode fest. Das bauen und weben und machen wir selbst.«

»Als Daniel Drathen Hochzeit machte«, fiel Johannes Lindemann ein,»da wars noch überall so, da wurden die Wollröcke der Weiber hierorts auch noch aus eigener und aus selbstgesponnener Wolle gewebt und gemacht. Waren doch vier Weber allein in unserm Dorfe: Hans Weber und Max Weber und Jürn Weber und Klaus Weber. Man nannte sie ja nur noch bei Vornamen und vergaß ganz, wie sie sonst noch hießen.«

»Ja, so war es«, entgegnete Wieb. Der Faden war beim Zuhören zerfasert. Sie griff in die Spule, ihn wieder anzuspinnen, zog dann aber die Hand zurück. Das Rad blieb in Ruhe, und der Spinnerin Hände lagen wieder im Schoß. »Ja, es war eine schöne Zeit!« sagte sie.

»Nicht wahr?« lachte Johannes. »Und schön war auch so ne Hochzeit, wie die von Daniel Drathen.«

»Ja, ja,« war die Antwort. Und versonnen sahen die Augen der alten Frau in eine Vergangenheit, die nicht wieder kam. »Ja, du hattest so ne schöne blaue Mütze auf. Kannst dich noch auf Klaus Lemster besinnen? Ich glaube, die Mütze konnte Klaus Lemster dir nicht vergeben. Und er war ein so guter Junge, und mitunter denke ich, ich habe schlecht an ihm gehandelt. Weißt du, die blaue Mütze, die paßte schön zu deinem düsterbraunen Haar. Und das blänkerte so. Brauchtest wohl Künste, die wir auf dem Dorf und die Klaus Lemster nicht kannte. Da warst ihm in über.«

»Ei, Wieb, bloß in der blauen Mütze und in der Pomade? Und wenn die blaue Mütze und die Pomade nicht gewesen wäre? Standen wir dann gleich, oder ich gar zurück?« Der alte Schulmann lachte, es sollte humorvoll klingen, aber es lag ein klein wenig Empfindlichkeit darin. »Walzer konnte ich doch auch tanzen, und Klaus nicht. Weißt du noch: ›Ach ich bin so müde, ach ich bin so matt?‹«

»Ja, Hannes, das war mehr als die blaue Mütze und blankes Haar. Klaus konnte ihn nicht, der arme Junge! Er war ein so guter Mensch. Er wollte so gern mit mir Galopp. Den konnte er. Aber da riefst du immer zur Musik hinüber: ›Mehr: ach ich bin so müde.‹ Und ließest mich nicht frei, auch wenn mal Galopp gespielt wurde. Ich sah ganz gut, wie er wartete und an der zugigen Dielentür stand und schmökte und hinüber sah und Falten im Gesicht zog (das tat er immer, wenn ihm was aufstieß) und wie er die Nase scheuerte. Und wie er sich dann auf die Lippen biß, wenn es zu Ende ging, und du doch bei mir bliebst. .« Wieb Muthen ließ ihre Daumen umeinander rollen.

»Ja, Wieb, ich war glattweg in dich vernarrt. Und dann ging es zum Essen und in der Nacht zum Warmbier. Und immer hast du an meiner Seite gesessen. Und als wir dann Kaffee tranken, der war nur noch in der Achterstube zu haben. Alle hatten schon getrunken, man ließ uns allein. Weißt du noch, was da passiert ist?«

In der Hinterstube mußte was Schreckliches passiert sein, denn Wieb wurde noch jetzt, nach so langer Zeit, im Gedenken daran rot.

»Soll ichs sagen?« lachte der Alte. »Warum soll ich nicht: da habe ich dich geküßt. Du wolltest nicht und riefst immer: ›Hannes, Hannes, wat deist du?‹ Und dann wieder: ›Wat do ik?‹ Aber schließlich hast du es doch getan und hast mich wieder geküßt, so wie ein junges unbedachtes Dirnchen küßt. Sag ich recht, war es so, Wieb?«

»Ja, ja«, erwiderte Wieb und sah bekümmert drein.

»Noch immer schämerig?« Johannes Lindemann ergriff Wiebs Rechte. »Was ist denn dabei? Können wir nicht ruhig darüber reden? Viele, viele Jahre sind seitdem vergangen.«

»Es ist nichts dabei, aber ich hätte es nicht tun sollen.«

»Nichts dabei, und hattest es doch nicht tun sollen? Wieb, wie meinst du das? Hattest du mich denn nicht gern?«

»Ich hatte dich wohl gern, Hannes, aber doch nicht so, daß ich dich küssen durfte.«

»Was?« rief der Rektor. Er erstaunte, man sah es ihm an. »Wieb, nu wirds Tag – nu hör mal zu, nun will ich dir was sagen! Sieh, in dem Augenblick hatte ich dich noch mehr lieb, als bloß zum Küssen. Mir wollte es immer über Lippen und Zunge: ›Wieb, liebe Wieb, willst meine Frau werdend?‹ Aber ich kam nicht damit heraus. Eine Art Vernunft, die wir hier zu Lande ja in allen Stücken bewahren, hielt mich zurück. Ich hatte noch nicht ausstudiert, und hatte nichts und wußte nicht, in welche Verhältnisse ich kommen würde. Und ob du dich wohl fühlen würdest, wohin mich das Schicksal führe. Und das war wohl am Platze, denn in den Städten bei hochmütigen Menschen, da spielt so vieles mit, was ich gar nicht alles sagen kann, du auch gar nicht verstehen könntest. Sieh, das war es! Verstand und Überlegung, was mich zurückhielt. Küssen kannst du sie mal, dachte ich, das hübsche mollige Ding, mehr nicht. Und vielleicht war auch das Unrecht, hab ich mich später gescholten. Könnte sich was in den Kopf gesetzt haben. – So stand es mit mir. Und Wieb, das halbe Stündchen in Daniel Drathens Achterstube ist in meiner Erinnerung immer ein Winkelchen gewesen, wohin sich keine fremde Tatze strecken durfte, so ... ja, so, wie du es mit deinem Flachsbeet hältst und mit der Brache und mit der Hechel.«

»So stand es mit mir«, fuhr er fort, »aber daß du mich nicht so lieb hättest, mir gleich an den Hals zu fliegen und ›ja‹ zu sagen, das fiel mir im Traume nicht ein. Siehst du, so hochmütig war ich unter meiner blauen Mütze, in meinem bischen schwarzen Tuchanzug geworden. Und mit meinem Öl im Haar, und mit meinem Walzer. – Und nun, was muß ich hören! Hätte einen Korb gekriegt? Sag mal, Wieb, hätte ich ihn gekriegt?«

Wieb Muthen antwortete nicht. Sie sagte nur: »Ich hätte es nicht tun sollen.« Sie war mit ihren Gedanken noch immer bei dem, was in der Achterstube geschehen war.

»Nicht mal das?« fragte der Rektor.

»Es hat jemand gesehen«, erklärte Wieb. »Du hast es nicht bemerkt, aber ich. Die Tür nach der Vorderstube tat sich auf, nicht viel über fingerbreit, und tat sich leise wieder zu. Und derweilen ging ein Auge über uns her. Und das war in dem Augenblick, als du sagtest: ›Wieb, Wieb, wie kannst du schön küssen!‹«

»Gut, es hat also einer gesehen. Sicherlich ein alter Mann oder ein altes Weib. Die Musik ging ja immer dideldum zu uns her, und alles, was Tanzbeine hatte, war dabei.«

»Nein, Hannes, es war ein junges Auge.«

»Und wenn es ein junges Menschenkind gewesen ist, was macht denn das? Wenn er noch lebt, ist er alt, wie wir.«

»Ja, ja, alt!«

»Aber nun meine Frage: hätte ich einen Korb gekriegt?«

»Ich habe mich mit einem anderen verheiratet, Hannes.«

»Ich weiß, du hast den Steinhauer Mundt bekommen. Heißest also eigentlich Wieb Mundten und nicht Wieb Muthen. Aber für mich bist und bleibst du Wieb Muthen, denn mit diesem Namen lebst du in meiner Erinnerung und hast darin einen kleinen Hausaltar. Und das weiß ich auch, vor vielen Jahren ist dein Mann beim Fuhrwerk zu Tode gekommen und seitdem lebst du mit deiner Tochter, die ...«

»Anna heißt sie«, fiel Wieb ein, »und die hat sich verlobt, und zum Herbst zieht ein Schwiegersohn zu uns ein.«

»Und Gören kommen hinterher«, ergänzte Johannes.

»Man soll dem Glück der Kinder nicht im Wege stehen«, sagte Wieb, »da muß man sich in schicken. Ich möchte sonst lieber Herr im Hause bleiben. Huddelpuddel sein und zum Schwiegermutter- und Großmutterspielen habe ich nicht recht Lust. Dazu fühle ich mich zu jung und noch immer zur Arbeit geschickt. Anna ist mit ihm, was ihr Bräutigam ist, zur Stadt, Aussteuer zu besehen. Das muß ja natürlich sein, das mit mir alt gewordene Gerümpel taugt nicht für sie. Früher schaffte man sich das, was man nötig hatte, nach einander an, wie man sich in junger Ehe rühren konnte. Nun muß ja alles neu sein, und die gute Stube von Plüsch.«

»Der Geist vom Jugendstil ist auf die Heide gestiegen« brummte der Andere für sich hin. Und dann verfiel er in Schweigen.

Sein ganzes Lebenlang hatte er gefürchtet, durch die Zärtlichkeitsszene im Hinterzimmer Hoffnungen bei Wieb erweckt zu haben, die er nicht einlösen konnte, und dadurch eine Art Bruch in einem jungen Menschenleben herbeigeführt zuhaben. Und nun? Nun sah er, daß es ganz anders war, daß er in einem Irrtum befangen gewesen war, daß er die Last eines Wahnverbrechens getragen hatte. Er hatte gern klargesehen, wie die Sache stand, aber Wieb wollte nicht, und deshalb brach er ab.

Er erhob sich und stellte seinen Stuhl an die Wand. Das Taubenpaar war heruntergeflogen und nickte und pickte vor den Füßen der alten Leute. Wieb pflegte hier zu streuen, es fand sich noch immer ein versprengtes Körnchen.

Der Rektor stand, und sein Schattenriß hob sich gegen Birkenschleier und Himmel ab und gegen den über dem Vierth blauenden Duft.

Es kam zum Abschied. Johannes Lindemann wollte weiter nach Rugenbergen, Wieb Muthen begleitete ihn durch die Pforte. Und den beiden alten Leuten, wie viel sie auch sprachen, wie viel sie auch lächelten und lachten, sie merkten sich doch gegenseitig an, daß im Herzen gelegen hatte, was in ihnen aufgerührt worden war. Wie vertieften sich bei Wieb die Züge der Güte, der Langmut, einer Gesinnung, die sich über alle Fehler der Nächsten hinstrecken und alle Mängel decken möchte. War ihr gutes Angesicht auch ein wenig angewelkt wie ein alter, reifer, aber noch immer gesunder Apfel: es war doch lieb und – schön.

»Hannes«, sagte sie, als beide im Wege auf freiem Vierth standen, »du wolltest wissen, was ich gesagt haben würde. Ich will es dir sagen. Ich glaube, ich hätte gesagt: das kann ich nicht.«

Von Johannes Lindemann fiel alle Schuld, er hätte sich freuen müssen. Aber wieder kam allerlei solche Freude verkümmerndes Gefühl. »Wieb«, rief er, »hattest du mich denn gar nicht lieb?«

»Ich mochte dich ganz gerne leiden, Hannes. Aber doch nicht so, daß ich hätte ›ja‹ dazu sagen können. Und deshalb meine ich noch immer, ich hätte es nicht tun sollen, was ich in der Achterstube getan habe.«

»Gab es denn einen anderen, den du lieber hattest, lieber geküßt hättest, bei dem du lieber geblieben wärest?«

»Vielleicht, mein Hannes«, erwiderte Wieb und lächelte und sah verschmitzt drein.

»Dann begreife ich dich nicht, Wieb! Wie konntest du denn so mit mir tun?«

»Das ist es, das ist meine Schuld.«

»Aber warum, Wieb?«

»Mein lieber Junge ... Wenn du das nicht weißt und ahnst, dann kennst du die Weiber und ihre Schlechtigkeit nicht. Das ist immer so. Wenn ›er‹ gar nicht kommt, den man haben will, dann macht man ihm den Mund wässern, dann fängt man mit einem anderen an. Aber er war so blöde und tappig, so bang vor Mädchen, tat wenigstens so, kam nicht, kam nicht aus sich heraus, da mußte er, dachte ich, ein bißchen gekirrt werden, da wollte ich ihn ein bißchen quälen, daß er zur Besinnung käme.«

Johannes Lindemann stand und war – baff.

»Hannes, du weißt gar nicht, wie schlecht son junges Mädchen ist.«

Johannes Lindemann war erstarrt gewesen, er mußte sich den Hintertreppenwitz seines Schicksals erst klar machen. Als er ihn erfaßt hatte, lachte er laut auf. Er lachte eine viertel, vielleicht eine halbe Minute, bevor er Worte fand. »Wieb, Wieb – Weiber, Weiber! – Weißt du, wie man das in der Stadt nennt? Da sagt man Koketterie dazu.«

Wieb lachte auch, aber nicht viel, und ohne rechtes Verständnis, die in Johannes Seele aufeinander platzenden, sich widersprechenden Gedanken und Bilder konnte sie nicht voll würdigen, jedenfalls nicht ihre humoristische Natur.

»In der Stadt nennt man das Koketterie«, hatte er gesagt.

»Das weiß ich nicht, das Wort kenne ich nicht«, antwortete sie gutmütig.

»Also dazu war ich gut«, und wieder lachte er.

»Nimmst es noch übel, Hannes? Es ist so lange her.«

»Und was ist aus ihm geworden? Hat es wenigstens geholfen? Oder blieb er tappig?«

»Es hat nichts geholfen. Er blieb nicht allein tappig, er sah mich gar nicht mehr an. Ich glaube, Hannes, er ist es gewesen, der in die Tür gesehen hat.«

»Arme Wieb!«

»Und nicht lange nachher zog er weg.«

»Mit Daniel Drathen?«

Bei dieser Frage wurde Wieb rot und antwortete nicht. Und wieder lachte der Rektor.

»Ja, ja, gedacht hab ichs gleich, nun weiß ich bestimmt, wer es ist, der Glückspeter. Und der kennt wohl nicht mal sein Glück ...Wieb«, fuhr er fort und faßte sie an beiden Händen. »Er ist wieder hier und ist noch zu haben. In Amt und Würden, bei Daniel.«

»Ich habe es gehört«, erwiderte Wieb und vergaß dabei ganz, daß sie ihr Geheimnis nicht hatte preisgeben wollen.

»Ob er in der Polackai wohl Walzer gelernt hat?« scherzte der Rektor und setzte nach einer Weile hinzu: »Es ist schade, daß Klaus nicht hier ist und anhört, was wir sprechen.«

Wieb lächelte ein so eigentümliches, weibliches, überlegenes Lächeln, daß Johannes Lindemann anfing, mit seinem Stock zu gestikulieren.

»Der Mann, der euch Frauenzimmer auskennt, ist noch nicht geboren. Und ich Unschuldslamm, Bählamm, Schafskopf – dazu war ich gut genug!« Und lachend studierte er die Züge des vor ihm stehenden, verruchten Weibes.

Seine Hand ruhte auf ihrer Schulter. »Du sagst, ich habe mich gut gehalten. Ich weiß nicht, obs stimmt. Aber du... du, in deiner Vergnügtheit, in deiner Verschmitzheit, siehst ja aus wie ein junges Dirnchen! – Und Klaus? Nun, der ist auch noch kein Mümmelgreis. Und unbegeben ist er auch.«

Er sah sie mit so unbändigem Schalksgesicht an, daß sie sich los machte, ihn umdrehte und in der Richtung nach Rugenbenbergen wegschob. »Willst gleich den Mund halten? Bist ja ein ganz Schlimmer! Marsch, fort mit dir!«

Sie schob und schob. »Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben«, rief sie. Da bekam er den letzten Schubs. Und dann lief sie spornstreichs nach ihrem Häuschen, um in der Seitentür (ortsüblich »Blangdoer« genannt) zu verschwinden.

Bevor diese aber zuklappte, bekam der Rektor doch noch Wiebs Angesicht zu sehen. Es lachte mit Augen und Mund. ›Was hat sie für ein Lächeln und was für Augen!‹ dachte der Rektor, als er sie sah. Und hob den Stock und drohte dem übermütigen Frauenzimmer in neckischem Behagen.


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