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Ich weiß, ich weiß – Sie hatten schon in Wien
Die Fenster, die Balkons voraus gemietet ...
Die Schlacht hätt' ich mit Schimpf verlieren mögen,
Doch das vergeben mir die Wiener nicht,
Daß ich um ein Spektakel sie betrog.
Die Erwartung war auf das höchste gestiegen. Seit dreißig Jahren hatte die Stadt keinen Festzug gesehen. In ödem Einerlei also waren die letzten Dezennien der politischen Geschichte vergangen. Ereignisse, bei denen man nicht dabei sein kann und die man weder sieht noch hört, wirken nur auf die Phantasie und bewirken darum, daß man sich unter ihnen nichts vorstellt. Der Streit der Nationen vermochte nur dort Interesse zu wecken, wo er als Straßenexzeß in Erscheinung trat, und bei jedem Verfassungsbruch gähnte die Bevölkerung, weil sie sich ihn als das Krachen einer Lawine gedacht hatte und nicht einmal ein zerrissenes Papier zu Gesicht bekam. Das öffentliche Leben bot keine Abwechslung mehr. Man war dermaßen ausgehungert, daß man die Überraschung auch dort suchte, wo sie bestimmt nicht zu finden war. Blieb einer stehen und sah zum Dach eines Hauses hinauf, so war er sicher, mehr Zulauf zu finden, als ein Agitator, der den Versammelten von der Schädlichkeit des neuen Handelsvertrags sprechen wollte, und man mochte lieber von jenem zum besten gehalten sein, als von diesem zum Bessern geleitet. Nur das Unmittelbare wirkte auf die Lebensanschauung des Volkes, und es ist statistisch nachgewiesen, daß damals bei gleicher Häufigkeit ein gefallenes Droschkenpferd größeres Aufsehen erregt hat als eine gestürzte Regierung. Da es kein öffentliches Leben mehr gab, so mußte schließlich das Privatleben für öffentliche Zwecke herangezogen werden, und es war dafür gesorgt, daß jeder Bürger Sonntags erfuhr, was für ein Huhn der Nachbar im Topfe habe. Das Selbstbewußtsein wurde nur noch durch die Eitelkeit unterhalten, das soziale Gefühl nur durch die Neugierde, und wenn sich diese Triebe glücklich paarten, so ward eine Eigenschaft daraus, die alle Gegensätze verband: die Loyalität. Die Bevölkerung hatte aus den Zeitungen erfahren, daß es im Staatsleben drunter und drüber gehe, und deshalb sah sie in so bösen Zeiten vertrauensvoll zu der Person des Landesvaters auf, von der in den Zeitungen zu lesen war, daß sie das einigende Prinzip darstelle. Nur der Patriotismus vermochte noch einige Farbe in das graue Dasein des Staatsbürgers zu bringen, der zu allen Lasten j-a sagt. Denn der Patriotismus ist ein Gefühl, bei dem die Schaulust viel mehr auf ihre Rechnung kommt als beim Männerstolz vor Königsthronen, während anderseits das größere Aufsehen, das unstreitig bei einer Revolution entsteht, mit Unbequemlichkeiten verbunden ist, die einer patriotischen Demonstration erspart bleiben. Und noch ein Gefühl gibt es, das dem Patriotismus nahe verwandt ist: das ist die Liebe zu den fremden Monarchen. Wenn sie zu Besuch kommen, so gibts manches zu sehen und zu hören, und die Loyalität, die keine politischen Grenzen kennt, ist die Basis, auf der sich ein Komitee in der Stille bildet und ein Spalier im Strom der Welt. Aber wie viel wertvolle Schaulust ist schon bei solchen Gelegenheiten unbefriedigt geblieben, wie wenigen war es vergönnt, sich selbst davon zu überzeugen, ob die Potentaten wirklich, wie eine Überlieferung behauptete, elastischen Schrittes den Eisenbahnwaggon verließen. Man nahm es gläubig hin und begnügte sich im übrigen damit, von den Schutzleuten zurückgedrängt zu werden, wenn der hohe Gast an der Seite des Landesvaters in offenem Wagen vorbeifuhr und bei ungünstiger Witterung in geschlossenem. Das sind die Augenblicke, in denen die Seele eines serbischen Hoflieferanten ihren Höhenflug nimmt, in denen der Mensch nachdenkend inne wird, warum und zu welchem Ende er Honorarkonsul ist, und wo ein ahnungsvolles Hoffen erkennt, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, deren Anblick uns der nüchterne Alltag vorenthält, nämlich Fahnen und Girlanden.
Aber der Patriotismus ist leider auch ein Gefühl, das oft länger brachliegt, als für die Gesundheit der Beteiligten zuträglich ist. Seit Jahrzehnten wußten die Freunde des Volkes, was ihm fehle. Von allen Bildungsbestrebungen war es seit jeher die populärste, ein Komitee zu bilden, und es gab eines, dessen Absichten tiefer als die irgend eines andern in den wahren Bedürfnissen der Bevölkerung wurzelten. Es war das Festzugsexekutivkomitee, das sich aus einem intuitiven Erfassen kommender Möglichkeiten vor Jahrzehnten schon in Permanenz erklärt hatte. Es hatte sogar die Eventualität eines vaterländischen Sieges in Aussicht genommen, hielt sich aber an jene bekannte Devise, die eine Vermehrung der Hausmacht auf dem nicht mehr ungewöhnlichen Wege der Heirat den kriegerischen Schwierigkeiten vorzieht. Das Festzugsexekutivkomitee, das sich im Laufe der Jahre an Enttäuschungen gewöhnt hatte, gab die Hoffnung dennoch nicht auf, endlich in Aktion zu treten. Wenn alle Ordensbänder reißen und alle Ereignisse ungeschehen bleiben, so mußte ja doch einmal wenigstens der Gedenktag eines Ereignisses anbrechen, und auf dessen Verherrlichung konnte sich dann der ganze Eifer werfen, der durch Jahrzehnte lahmgelegt war, und die Knopflöcher würden all den Lohn gar nicht fassen können, der an einem Tage zur Entschädigung für dreißigjährige Geduld auf sie einstürmen würde.
Das Jahr war gekommen und der Tag war nah. Eine fieberhafte Erregung hatte sich aller beteiligten Kreise bemächtigt. Nur ein Gedanke beherrschte alle Köpfe, setzte alle Füße in Bewegung: Der Festzug! Das Volk braucht den Festzug wie einen Bissen Brot! Das ist die große Gelegenheit, wo endlich alle dabei sein können! Es wird der größte Sieg sein, der je errungen wurde, wenn es uns gelingt, die glorreiche Vergangenheit des Vaterlandes in lebenden Bildern darzustellen. Da reckt sich die Residenz aus ihrer alten Lethargie und aus den Provinzen hagelt es Kundgebungen. Ein Erfolg des Exekutivkomitees, der an und für sich schon alle Erwartungen übertrifft. Aber das Exekutivkomitee weiß, daß es noch viel Arbeit geben wird, um alle Schichten für einen Plan zu gewinnen, der für einen einzigen Tag die Lösung der sozialen Frage verheißt. Wie sollte der Adel zögern, mitzuspielen, das Bürgertum, zu zahlen, und das Volk, zuzuschauen? Das Exekutivkomitee tagt ohne Unterbrechung und sendet seine Werber von Haus zu Haus. Die Kunst hat sich augenblicklich in den Dienst der patriotischen Idee gestellt. Jene Schönheitstrunkenheit, die keinen eigenen Gedanken auszudrücken hat, lechzt nach der Gelegenheit, sich in einem Prunkgewand zu zeigen. Prinz Eugen, der edle Ritter, hat noch keinen verlassen, der ihn in künstlerischen Nöten anrief, und wenn es gar zu Aachen in seiner Kaiserpracht im altertümlichen Saale König Rudolfs heilige Macht zu kostümieren gilt, dann, wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt, umsteht die ganze Künstlergenossenschaft geschäftig den Herrscher der Welt. In allen Ateliers wird gemalt, geschneidert und gehofft. Die meisten Menschen, denen man auf der Straße begegnet, blicken schon zuversichtlich in die glorreiche Vergangenheit, in den Wirtshäusern fühlt sich jeder Speisenträger als Pfalzgraf des Rheins. Die Hoffnung auf den Festzug hat einen Patriotismus geweckt, der um seiner selbst willen leben will und längst den Zweck vergessen hat, dem er dienen, und die Person, die er ehren soll. Die Begeisterung hat nicht den Plan, der Plan hat die Begeisterung erschaffen. Und wenns an dem Tag, an dem sie zum Ausbruch gelangen wird, nicht bloß Orden regnen sollte, das Volk würde seinen Glauben an die Vorsehung verlieren ...
Da erscheint eine offizielle Kundgebung, die den Dank jener allerhöchsten Stelle, der die Huldigung zugedacht ist, verlautbart: Man sei von den Beweisen echter Loyalität gerührt, wünsche aber nicht, daß dieses Gedenkjahr auf geräuschvolle Weise gefeiert, sondern daß aller Aufwand von Energie, Zeit und Geld, den ein Festzug koste, wohltätigen Zwecken gewidmet werde. ... Das Blatt, auf dem die Mitteilung solchen Wunsches gedruckt steht, wird ins Komiteezimmer gebracht. Für einen Augenblick herrscht Totenstille. Alle Anwesenden starten wie gelähmt vor sich hin. Ein Fanatiker des historischen Kostüms fühlt sich in jene Partie der Geschichte des Herrscherhauses versetzt, die den Einzug Albas in die Niederlande bedeutet. Und sie stehen da, wie die Ochsen am Weißen Berg. Das hatte man nicht erwartet. »Dank vom Haus –!« bringt endlich der Präsident hervor, aber es verschlägt ihm selbst diese kurze Rede. Er hat in unverminderter körperlicher Frische das Jubeljahr erlebt, und nun soll die Arbeit eines ganzen Lebens dahin sein! Nein, das kann nicht ernst gemeint sein; die Suppe, in die einem gespuckt wird, wird nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wurde. Die allerhöchste Stelle kann nicht so unpatriotisch denken, daß sie einen Festzug verhindern sollte. Er wird zustande kommen! Und wenn das Reich sich auflöst – das Komitee löst sich nicht auf! Wer ist der erste, der seinen Hauptmann in der Not verläßt? Und wie Ein Mann erhebt sich die Versammlung und beschließt auszuharren. Schon melden sich einige Libertiner zum Wort, die erklären, daß sie eher aus dem Staatsverband als aus dem Exekutivkomitee austreten würden. Einer fordert zur Steuerverweigerung auf. Ein anderer schlägt vor, in die böhmischen Wälder zu gehen und dort eine Aktiengesellschaft zu gründen. Ein dritter rät zur Mäßigung und verspricht, die Sache durch einen befreundeten Abgeordneten im Wege der Interpellation zur Sprache bringen zu lassen. Ein vierter entgegnet, daß damit wenig erreicht sei, weil die Entschließungen der Krone vom Parlament nicht diskutiert werden könnten. Immerhin, meint wieder ein anderer, werde die Sache zur Sprache kommen, und man solle auch dafür sorgen, daß in Volksversammlungen und in der Presse agitiert werde. Ein Verblendeter, der den Mut hat, zu erklären, er tue da nicht mit, man müsse anerkennen, daß der Wunsch des alten Landesvaters gleichermaßen von dem Wunsch nach Ruhe wie von der Liebe zu seinen Völkern diktiert sei, wird mit dem Zuruf »Aber der Fremdenverkehr!« unterbrochen und hinausgeworfen. Endlich gelingt es einem, einen Vorschlag zu machen, der einstimmig angenommen wird: man möge es noch einmal in Güte versuchen und durch Protektion einer Hofdame die Freigabe des Festzuges zu erreichen trachten. Die nächste Sitzung wird auf Montag anberaumt und in ihr soll das Resultat des Vermittlungsversuches bekanntgegeben werden ...
Ein trauriges Resultat. Die allerhöchste Stelle war von ihrer Meinung, daß man sie durch Akte der Wohltätigkeit besser ehre und durch diese dem Volke besser diene als durch den Festzug, nicht abzubringen. Als das Komiteemitglied, das mit der Hofdame bekannt ist und deshalb durch dreißig Jahre sich des größten Ansehens erfreute, die Nachricht bringt, erhebt sich ein beispielloser Tumult. Rufe wie »Streber!« und unartikulierte Schreie, aus denen nur eine starke Nichtachtung für Hofdamen hervorzugehen scheint, werden hörbar. Und dafür habe man gekämpft! Und ob denn, fragt einer höhnisch, der Wunsch der allerhöchsten Stelle uns Verbot sein müsse? Und was es denn die allerhöchste Stelle angehe, wenn man ihr zu Ehren einen Festzug veranstalten will? Der Fanatiker des historischen Kostüms hofft, daß es ihm wenigstens gelingen werde, in einer Wallenstein-Gruppe darzustellen, wie man die Bevölkerung um ein Spektakel betrügt. Einer schlägt für den äußersten Fall eine Verwendung der Tribünen als Barrikaden vor ... Die Erregung pflanzt sich auf die Straße fort, in den Kaffeehäusern gibt es nur ein Gesprächsthema. Ein Blatt veranstaltet eine Extraausgabe, die die alarmierende Nachricht bringt, daß die allerhöchste Stelle nicht nur den Festzug, sondern auch alle anderen Ovationen ablehne und an dem Wunsch, daß die Feier durch wohltätige Handlungen begangen werde, festhalte. Damit ist die letzte Hoffnung begraben. Es beginnt im Volke zu gären. Droschkenpferde fallen und man beachtet sie nicht. Einer sieht zum Dach eines Hauses hinauf und findet keine Teilnehmer. Dagegen läuft alles einem Agitator zu, der in einer Versammlung über die Schädlichkeit des neuen Handelsvertrages sprechen will. Der Bürger fühlt, wo ihn der Schuh drückt. Es gibt wieder ein öffentliches Leben, und das politische Interesse wächst von Tag zu Tag. Das Festzugsexekutivkomitee beruft eine außerordentliche Sitzung ein und beschließt, sich nicht aufzulösen. Aber es sieht sich genötigt, zur Neuwahl eines Präsidenten zu schreiten, denn der alte ist nach dreißigjähriger patriotischer Tätigkeit wegen Majestätsbeleidigung verhaftet worden.