Karl Kraus
Glossen bis 1936
Karl Kraus

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Vorworte

Für die verspätete Herausgabe meiner Auswahl aus den Büchern Peter Altenbergs bin ich Rechenschaft schuldig. Sie sollte im Verlag S. Fischer erscheinen, der sich über meine Zusage höchst beglückt gezeigt hatte. Dem Andenken Altenbergs hätte ich das Opfer gebracht, eine Art Autor des Verlags S. Fischer zu werden, ich stellte nur die Bedingung, kein Honorar zu erhalten: eine Bedingung, die unschwer durchzusetzen war. Bald sollte es sich jedoch erweisen, daß der Verlag S. Fischer mit meinem Einlaß ein größeres Opfer gebracht hatte, als ich mit meinem Eintritt. Im Sommer 1928 war die Auswahl – schwierig auch durch die Aufgabe, im begrenzten Raum ein Abbild dieser Überfülle zu bewahren – vollendet. Das Manuskript wurde abgeliefert, und da die längste Zeit keine Korrekturfahnen eintrafen, durch einen Mittelsmann der Grund der Verzögerung erfragt. Herr S. Fischer, dessen Verlag das Manuskript doch übernommen und nicht etwa zurückgegeben hatte, stellte sich zunächst auf den Standpunkt, es sei kein Vertrag geschlossen worden. Eines Besseren belehrt, wurde der Verleger ein wenig verlegen, dann aber erklärte er ziemlich unverlegen, es sei ihm unmöglich, mich zu verlegen, da er der Verleger eines anderen Autors sei. Dieser ihm näherstehende Autor – ich nenne keinen Namen – war nämlich inzwischen von einer Publikation der Fackel betroffen worden, aus der er als der größte Schuft im ganzen Land hervorging, und zwar, wie man sich erinnert, mit der Motivierung, daß er mich beim sogenannten Kadi wegen meiner antinationalen Haltung im Krieg, mit Berufung auf den Tiroler Antisemitenbund, denunziert hatte. Auf die an den Verleger S. Fischer gestellte Frage des Mittelsmannes, ob er in meiner Stigmatisierung seines Autors ernsthaft ein vertraglösendes Moment erblicke und ob er denn wirklich willens sei, »den wertvollsten Autor seines Verlages«, nämlich Peter Altenberg, »dem wertlosesten zu opfern«, erklärte Herr S. Fischer, er könne nicht anders, wie immer die Sache juristisch anzusehen wäre, er sei auf Gedeih und Verderb mit jenem verbunden, nibelungentreu, aber anderseits bereit, das Verlagsrecht für die Auswahl aus Altenbergs Werken einem beliebigen andern Verlag ohne Entschädigung abzutreten. Da es höchst antipathisch gewesen wäre, auf der Herausgabe durch einen Verlag zu bestehen, der unverlegen eine solche Gesinnung an den Tag gelegt hatte und der entschlossen schien, einen Vertragsbruch zu begehen, um sich vor der Pressemacht zu beugen (vor jener vis maxima, die im juridischen Sinn keineswegs als vis major anerkannt würde), so zog ich die Drucklegung durch einen andern Verlag – durch jenen, der sich schon um die Erhaltung Nestroys ein Verdienst erworben hatte – einer prozessualen Durchsetzung des Erscheinens im Verlag S. Fischer vor. Weit weniger erheblich als dieses von mir nunmehr mitgeteilte literaturhistorische Faktum, daß die Verewigung Peter Altenbergs durch die Rücksicht auf den irdischen Kerr verhindert werden sollte, ist die Groteske der dann einsetzenden Versuche S. Fischers, auch noch dem Erscheinen bei Schroll Hindernisse in den Weg zu legen, aus der tief begründeten Erkenntnis heraus, daß hier die einzig mögliche Form der Bewahrung eines einzigartigen geistigen Schatzes – bis nun in zwölf Bücher zersprengt – gefunden und ihm entgangen sei.


Dem Andenken Frank Wedekinds ist dieser Vortrag und der Hilfe für seine Hinterbliebenen seine Veranstaltung gewidmet. Einen der seltenen dramatischen Geister zu fördern, die das Denken der Zeit bis zum Vergessen beeinflußt haben, das könnte den deutschen Bühnen schon aus dem Grund nicht einfallen, weil sie mit dem Ferdinand Bruckner alle Hände voll zu tun haben, dem Autor, der sich so lange hinter dem Pseudonym vor seinen Gläubigern verbergen konnte, bis die Sensation deren Befriedigung gesichert hatte und nur noch Gläubige vorhanden waren. Solche immer anwachsende Sensation um einen Autor, dem man zwar dahinter gekommen ist, aber an dessen Mysterium semper aliquid haeret, wird selbstverständlich auch jenen »Timon« stützen, dessen Glück – nach den Dialogen, die ich gelesen habe – von rechtswegen in einem Gelächter untergehen müßte, indem Bruckner – er bleibt schon bei dem Namen – durchaus nicht wie etwa die Herren Flatter und Rothe den Shakespeare für die sprachliche Aufnahmsfähigkeit des geistigen Mittelstandes herabsetzt, sondern einfach beiseiteschiebt, um in den übernommenen Rahmen der Handlung das eigene Bild eines zeitgemäßen Griechentums zu stellen, dessen Angehörige in dem Jargon verkehren, der uns von den Hasen in Saltens Roman vertraut ist. Da sagt so ein falscher Freund zu dem gutgläubigen Timon: »Du bist gelungen«. Das kann ich nun nicht finden. Doch wegen der gleichzeitigen »Welturaufführung« an sämtlichen Bühnen Deutschlands, nämlich wegen des Zustands, auf den dieses Faktum hinweist, ist an eine Erweckung Frank Wedekinds nicht zu denken. Da die dramaturgisch maßgebenden Kaufleute ihn aber auch nicht gelesen haben, so besteht vielleicht die Hoffnung, ihm durch ein Pseudonym aufzuhelfen. Etwa: Tagger.


Der Vortrag aus Bert Brecht, mit dem weder eine Übernahme seines Weltbilds noch seines Begriffes vorn Theater beabsichtigt ist, erfolgt aus mehrfachen Gründen. Der maßgebende dürfte wohl der sein, daß ich ihn für den einzigen deutschen Autor halte, der – trotz und mit allem, womit er bewußt seinem dichterischen Wert entgegenwirkt – heute in Betracht zu kommen hat, für den einzigen, der ein Zeitbewußtsein, dessen Ablehnung als »asphalten« gar nicht so uneben ist, aus der Flachheit und Ödigkeit, die die beliebteren Reimer der Lebensprosa verbreiten, zu Gesicht und Gestalt emporgebracht hat. Für die Verse von »Kranich und Wolke« jedoch gebe ich die Literatur sämtlicher Literaten hin, die sich irrtümlich für seine zeitgenossen halten. Das Motiv, jene vorzutragen, ergibt sich aus dem Fehlen in der Aufführung von »Mahagonny«, in der freilich die so groß gebaute Szene der Gerichtssitzung noch mehr gefehlt hat, welche vorhanden war. Andere schöne Teile werden wieder aus dem Grund nicht zum Vortrag gebracht, weil deren Darstellung durch Frau Lotte Lenja nichts zu wünschen übrig ließ. Es wäre wohl zu beklagen, daß die im übrigen wenig glückliche Aufführung Brechts Wort zugunsten seiner Ansage und Aufschrift, die er für wesentlich hält, dermaßen zurücktreten ließ, daß die leider zur Kritik Berufenen, die im Theater die Aufschrift, aber daheim nicht das Wort gelesen haben, »Mahagonny« für »überholt« erklären und daß der Ieibhaftige Fortschritt der Zeitlumperei sich brüsten konnte, was 1930 noch revolutionär war, sei heute verpufft. Seit damals, schrieb Mosse, »sind wir alle schon weitergekommen«. »Ernste und sachverständige Männer sitzen beisammen und schieben werte hin und her, die ihnen unter den Händen zerrinnen.« Das mag imposanter sein als die Vorgänge in »Mahagonny«, und gewiß ist es wahr, daß jedes Zeitungsblatt von heute an Inhalt und Ausdruck immer noch mehr stinkt als das von gestern. Aber Reportage und Montage, durch die Brecht selbst der Verwechslung mit dem unüberholbaren Gedicht und der unzerstörbaren Gestalt Vorschub leistet, ist darum noch lange nicht mit dem zu verwechseln, worauf es ankommt. Schließlich muß gesagt sein, daß die Bereitschaft, mich zum rein dichterischen Wert der Produktion Brechts zu bekennen, deren Nutz- und Lehrhaftigkeit über seinem eigenen Begriff davon steht – daß solche Verpflichtung dem Gefühl entstammt, er könnte gerade durch meine Schätzung Schaden erlitten haben, bei eben den Repräsentanten der Zeitlumperei, mit deren Ausdauer die Wortkunst es nicht aufzunehmen vermöchte, und insbesondere bei Schuften als solchen. – Ich lese nun aus Brechts und Weills »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«, einem Werk, das ich sowohl für zeitgemäßer wie für dauernder halte und für echter als »Timons Glück und Untergang« vom Pseudoshakespeare.

Geht in Ordnung

Daß ein ordentlicher Professor mehr sein soll als ein außerordentlicher, ist nur bei tieferer Erfassung des Wortes verständlich als der Bezeichnung von etwas »außer der Ordnung«. Wiewohl der Ausdruck also, im Gegensatz zu den meisten der deutschen Amts-, Verkehrs- und Zeitungssprache, in Ordnung ist, erfaßt einen doch eben vor dieser ein außerordentliches (ungewöhnliches) Gefühl der Öde, wenn man so etwas liest:

Der Bundespräsident hat den mit dem Titel eines ordentlichen Universitätsprofessors bekleideten außerordentlichen Professor der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien Dr. Karl Gottfried Hugelmann zum ordentlichen Professor der Rechts- und Staatswisserischaften und den mit dem Titel eines ordentlichen Universitätsprofessors bekleideten außerordentlichen Professor der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien Dr. Adolf Merkl zum ordentlichen Professor der Rechts- und Staatswissenschaften an der genannten Universität ernannt.

Man denkt sich, es könnte, da beide gleich bekleidet waren und nun gleichermaßen ernannt sind und auch sonst alles bis auf den Namen übereinstimmt, ferner wenn schon zwei dasselbe tun, was zwar nicht immer dasselbe ist, aber doch – also man denkt sich, es ließe sich in einem abmachen, nämlich: daß der Bundespräsident die mit dem Titel ... bekleideten außerordentlichen ... der ... an ... zu ordentlichen ... der ... an ... ernannt habe. Sehr kompliziert wird ja die Sache dadurch, daß jeder der beiden Außerordentlichen, bevor er ein Ordentlicher wurde, schon so hieß. Das hat sich denn auch der praktische Setzer des 'Tag' gedacht und der Einfachheit halber es gleich so durchgeführt:

Der Bundespräsident hat die mit dem Titel eines ordentlichen Universitätsprofessors bekleideten ordentlichen Universitätsprofessoren bekleideten ordentlichen Professoren der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien Dr. Karl Gottfried Hugelmann und Dr. Adolf Merkl zu ordentlichen Professoren der Rechts- und Staatswissenschaften an der genannten Universität ernannt.

Somit wäre alles in Ordnung.

Wissen Sie schon

wie die Telegrammadresse des Herrn Grafen Keyserling, Inhabers der »Schule der Weisheit«, lautet?

Weisheitling Darmstadt

Tatsache!

Die mit der linken Hand stehlen

Ich hüte mich seit langem, Wendungen, die von mir sind, wiederzugebrauchen, um nicht in den Ruf eines Plagiators zu kommen, der mir seit der Apokalypse ohnedies anhaftet. Immer wieder kann ich mich in der Presse lesen, aber da es keinen Autorschutz für Gedanken gibt, muß ich es hinnehmen, als Quelle, die sie nicht angeben, verunreinigt zu werden. Aus meinem Haus sind schon viele Diebe hervorgegangen, manche jedoch, verwarnt, können es nicht lassen und schleichen, von jener Nostalgie getrieben, immer wieder an meinen Herd, um ein bißchen Feuer zu fressen. Ich mag darum die eigenen Schriften nicht, die nicht mehr ganz die eigenen sind, und stehe auf dem Standpunkt des Konditors, der selber nicht nascht. Also:

Die deutsche Übersetzung von Creme der Gesellschaft ist offenbar »Abschaum«.

Seitdem ich sie besorgt habe. Hin und wieder begegnet man auch der Deutung der »Monogamie« als »Einheirat« oder der Definition eines Volkes, an das man sich anschließen soll, als der »elektrisch beleuchteten Barbaren«. Vielfach wird aber auch

das Gehirnweichbild Wiens

in meiner Perspektive von jenen betrachtet, die im Punkte der Konsistenz just nicht unbedenklich sind.

Die Albers-Hymne

authentisch, da von ihm selbst einer Zeitung übergeben:

Ist es die Nase von dir? Dein Auge? Ist es der Mund?
Ich bin verliebt in dich und weiß nicht mal den Grund.
Ist es die Frechheit von dir? Der Scharm, der dich umgibt?
Ich weiß das eine nur: Ich bin in dich verliebt.
Du bist entzückend, berückend, bestrickend, du bist zum Küssen!
So unerklärlich, so herrlich-gefährlich! Ich möcht' nur wissen:
Ist es die Nase von dir? Dein Auge? Ist es der Mund?
Ich bin verliebt in dich und weiß nicht mal den Grund!

Ich tippe auf die Nase. Die Dame (die ich kennen lernen möchte) tut nur so, als ob sie's nicht wüßte. Man darf gespannt sein, ob der neue Kurs in Deutschland die Schaustellung der Albers-Porträts erlauben wird.

Letzten Endes

befinden wir uns ebenda. Nachdem wir seit dem Zusammenbruch ebenso oft versichert haben: »Geht in Ordnung«. Namentlich die noch häufigeren Prominenten lassen sich in diesem Punkt nicht lumpen. In einem Interview mit Herrn Werner Krauß (der mit etwas mehr Recht als die anderen überschätzt wird) habe ich nicht weniger als vier Letztender erbeutet:

Letzten Endes spielt man ja immer nur sich selber.
Er zieht ja letzten Endes nur die Summe seiner wenn er spielt.

Einmal fängt auch der Interviewer an:

Letzten Endes ist aber ein Spiel ohne oder gegen das Publikum unlogisch.

Der Inspizient rief bereits, so daß Herr Werner Krauß letzten Endes nur noch Gelegenheit hatte, zu versichern, der Schauspieler habe das wirkliche Leben glaubhaft zu machen, alles andere aber sei fiktiv und

letzten Endes unkünstlerisch.

Nun aber müsse er zum Schlußakt –

der Hilfsregisseur wird sonst ungeduldig. Und das könnte gefährlich, werden ...

Die drei Punkte, die unwiderruflich letzten Endes stehen, sollten dieses wohl ersetzen. (Anschütz, hör ich, hat vor dem Auftreten keinem Reporter Aufschlüsse über das Wesen der Schauspielkunst erteilt; doch man hat eben von jenem »Lebt wohl!« bis »Letzten Endes« eine Entwicklung durchgemacht.) Vermutlich geschah es während einer Aufführung von Hauptmanns »Vor Sonnenuntergang«, wo »Letzten Endes« faktisch im Dialog vorkommt und mit vollem Recht, sowohl was den Dichter wie was den regieführenden Zauberer und Theaterunternehmer anlangt. Es bezeichnet jenen Zustand, den man etwas schlichter auch Pleite nennt. Man lebt nun einmal in dem Vorstellungskreise, und dem Wort zu entrinnen ist unmöglich. Keine Kolumne, in der es nicht auftaucht, Politiker führen es im unsaubern Munde, längst hat es Odol verdrängt, in einem Nachruf war erzählt, wie der Tote letzten Endes gestorben sei, von einem Selbstmörder hieß es, er habe letzten Endes es seinem Leben gemacht, weil dieses offenbar nichts mehr als dieses bot, aber dann kommen die Optimisten und versichern, wenn der Winter noch so sehr dräue, es müsse letzten Endes doch Frühling werden.

Wem sagen Sie das!

Die französische Akademie berät jahre- und jahrzehntelang, ob eine sprachliche Neubildung in dem Diktionär aufzunehmen würdig befunden werden soll. In Frankreich wird die Sprache wie ein Heiligtum behandelt.


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