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Nie, seitdem der Planet besteht, hat es tagtäglich so viel »Gerüchte« und so viel Besprechungen mit »Vertrauensleuten« – zu denen ich nicht gehöre – gegeben wie um den Reinhardt herum, dem ich kürzlich in Moabit – in Sachen Kerr – Gelegenheit hatte in die Pupille zu blicken. Er wußte von nichts. Aber er weiß, daß täglich über ihn etwas in der Zeitung stehen wird, was so wahr ist wie das Gegenteil. Ich vermute, die ganze Welt kotzt bereits, aber sie muß, aus unerforschlichem Ratschluß, durchhalten. Denn wie keine andere der europäischen Attrappen braucht diese ihre tägliche Beglaubigung. Mit »Schall und Rauch« hat es begonnen, und nun heißt's weitermachen. Häuserspekulationen, artistische Luftgeschäfte und die besondere Zauberregie, der eine prostituierte Gesellschaft Professuren, Doktorate und sonstige Ehren in Fülle verleiht. Ob das »Reinhardt-Seminar« – unvorstellbar der Unfug, der da getrieben werden mag, wenn's nicht ein Wahngebilde ist – »aufgelöst« wird; ob er die »Fledermaus« – haste Kunsttat! – geben wird, in Wien, London, Riga, Kalkutta, oder nicht, das ist das Spannende. Wie bisher durch Hunger und durch Liebe, scheint Natur das Getriebe nunmehr durch diese Fragen zu erhalten. Denn weil, was ein Professor spricht, nicht gleich zu allen dringet, so übt sie halt die Mutterpflicht und sorgt, daß nie die Kette bricht und daß der Reif nie springet. Das ist von Schiller und betrifft die »Taten der Philosophen«, in deren Reihe die Frankfurter Fakultät den Mann aufnahm, der durch Nichtssagen sich's verdient hat. Unausdenkbares würde geschehen, wenn die Kette bräche. Täglich erhebt sich bang die Frage: Was tan mr jetzt? Aber es kommt immer wieder was, sei's ein seltner Vogel oder Ammonshorn, oder ein Mann, der in die Villa eindringt und behauptet, er sei der Reinhardt. Es ist der stärkste Fall einer in Glorie verzauberten Pleite, den die Menschheit bis dato erlebt hat. Ein Schwarm von Analphabeten besorgt es in jedem Blatt, und da erfährt man sogar:
Die Wiener Erstaufführung soll während der Festwochen im Juni stattfinden. Die Bühne, auf der die »Fledermaus« gegeben werden wird, steht noch nicht fest.
Offenbar wackelt sie bereits.
– im Parlament über ein Kompromiß verhandelnd und außerhalb des Parlamentes zur Abwehr jedes Gewaltstreiches rüstend – s o haben wir gesiegt ... Mit dieser großen Enttäuschung des Heimwehrfascismus begann seine Zersetzung.
Wir haben dann ein ganzes Jahr lang, manches Opfer bringend, alles vermieden, was den Fascismus wiederbelebt, ihm neuen Nährstoff gegeben hätte. So ging die Zersetzung weiter. –
Mit einem Wort: »Ihr Herren«.
Um Erich Kästner zu lesen, empfiehlt sich folgendes Rezept: Man lege sich an einem Tag, an irgend einem Tag, es muß nicht eben Sonntag sein auf ein Sofa –
Bis dahin mache ich mit.
wenn ich dann einen Blick hineinwerfe, weil's nun einmal verordnet wird, so muß ich zugeben, daß er, wie alles, was im neuen Deutschland im Schwang ist, sprachlich zwar nicht zu hoch über die Banalität des abgeschilderten Lebens reicht, aber eben darum hoch über den noch beliebteren Tucholsky, der mit Flöte und Fleurett, flott und fett, alles besingt und besiegt, was so der »Junggeselle« gegen sich auf dem Herzen hat, und der überall aufliegt, wie Stullenpapier im Grunewald. Sind kesse Jungen, Liebkinder bei den Vossischen und Mossischen wie nicht minder bei den Russischen, und wo Talent ist, macht sich's ja auch mit der Gesinnung. Doch alle zusammen können sie das Wasser, aus dem sie schöpfen, nicht dem einen Brecht reichen, selbst wenn er sich als sein eigener Vampir mit Doktrinen das Blut abzapft: es bleibt immer noch so viel, um das Gedicht von Kranich und Wolke und die Gerichtssitzung in »Mahagonny« hervorzubringen – was durch keine (auf oder ohne Kerrpfiff erfolgte) Preßhetze aus der Welt zu schaffen ist. Es ist doch gar nicht anders vorstellbar, als daß der schlotternde Schwerverbrecher mit dem Einfall, diesen Brecht ein »Kleintalent« und den Hildenbrandt einen »Könner und Kerl« zu nennen, sich kasteien will, um seine Kriegssünden abzubüßen. (Anstatt 20.000 Mark den Invaliden zu zahlen.)
Warum nicht »seines«, wenn doch das Mädel noch als Mathilde, Frau, Geliebte, Freundin, Kameradin, Sekundantin immer ein »es« war? Nun ja, weil sonst am Ende des Herrn Viktor das Natürliche seines eigenen Wesens zur Nachgestaltung gereizt hätte. (»Sein Henri« ist natürlich nicht der vorn Schuhgeschäft.) Der Referent der Arbeiter-Zeitung ist korrekt und vermeidet Klippen. Er hält sich offenbar an das bekannte Paradigma: Ein Dienstbote hatte ein Verhältnis mit einer Ordonnanz, und da er schwanger wurde, verlangte er, daß sie ihn heirate.
Unter dieser Spitzmarke, die den höchsten Triumph bekennt, dessen der Fortschritt habhaft werden konnte, stellt das zufriedene Zentralorgan der Sozialdemokratie fest, daß man die nachteiligen Wirkungen der Sensationsberichterstattung auf den »gesunden Jugendlichen« – welches Wort nach Bonzenfrohsinn schmeckt –, überschätzt habe. Denn er
frißt zwar sehr viel in sich hinein, verarbeitet es aber doch nur in seiner Phantasie, nicht in seiner Moral.
Es werden also weniger Mörder als Schmöcke gezüchtet. Nun wolle jedoch »eine großzügige und objektive Randfrage des Deutschen Instituts für Zeitungslektüre« – denn das gibt es und es ist nicht bloß eine Abteilung des Instituts für kriminalistische Forschung – »noch tiefer schürfen« und festzustellen versuchen,
wie es um die Zeitungslektüre des werdenden Menschen steht, dessen Geist sich erst bildet ...
Hunderttausend Fragebogen wurden ausgesandt, indem es sich ja doch von selbst versteht, daß die Jugendlichen statt des Wintermärchens die Generalanzeiger, Vorwärtse und sonstigen Papiere fressen, deren andere Bestimmung, nämlich erfrorene Füße einzuwickeln, mir kürzlich eine gutmütige Toilettefrau auf dem Prager Flugplatz vermittelt hat, die es an Menschlichkeit und Sinn für Lebensdinge mit sämtlichen Staatsmännern, Publizisten und sonstigen Mißbrauchern des technischen Fortschritts aufnehmen dürfte. Die »Jugendlichen von zwölf bis zwanzig Jahren« wurden also ausgefragt, ob sie eine Tageszeitung und welche sie lesen, ob sie gar mehrere lesen, »welche Teile der Zeitung interessieren dich am meisten und warum«, ob die Tageszeitung im Schulunterricht herangezogen werde – denn das kommt auch schon vor – und »was hältst du persönlich von der Zeitung?«. Der Zweck dieser Fragen sei leicht ersichtlich, meint das Zentralorgan. Nicht etwa, um schon jetzt zu erkennen, daß die Gehirnmasse der Menschheit sich in fünfzig Jahren in Brei und Jauche verwandelt haben wird, sondern es sollte im Gegenteil einmal
der offiziellen Einführung der Zeitungslektüre in den Unterricht vorgearbeitet werden, wie von der sozialdemokratischen Pädagogin Dr. Wegscheide-Ziegler mit guten Gründen propagiert wird.
Für die Dame, die da offenbar einen Herkulesentschluß gefaßt hat – und Vorkämpferinnen führen zumeist einen Doppelnamen – wäre ich ausnahmsweise zu sprechen. Vor allem aber soll sich »ein Bild von dem Verhältnis der Jugend unserer Zeit zur Presse« ergeben, so etwas wie ein »Querschnitt« – das liebt man jetzt – »durch die gesamte geistige Situation der jungen Generation« Ohne Zweifel muß es doch interessant sein, zu erfahren, wie viele junge Gemüter sich noch für Kerr, wie viele sich schon Hildenbrandt erwärmen, ob sie in der Politik mehr dem Wolff oder dem Hussong folgen, wie sie gierig aufnehmen, was unser O. K. am Radio erlauscht hat, und ob sie mehr von den täglichen Bulletins über Reinhardt, Jannings, Zuckmayer in Spannung gehalten werden oder durch das, was die sozialdemokratische Presse der Bourgeoisie an Schlafwagenabenteuern abzugewinnen vermochte; wie sie die Sittlichkeit von den Gerichtssaalberichterstattern und die Sprache von den Analphabeten im allgemeinen erlernt haben. Das erfreuliche Ergebnis der Rundfrage zeigt die Tatsache,
daß es unter den Jungen und Mädchen von heute fast überhaupt keine »Nichtzeitungsleser« gibt.
Aber nicht etwa, daß sie bloß das »Tagerl‹, die herzige Filiale des »Tag‹, goutieren, nein, solche Kindereien überlassen sie jenen Jugendlichen, die vom Alphabet noch den ersten Buchstaben wiederholen müssen – sie fressen vielmehr alles in sich hinein, was die Erwachsenen fressen.
Von 1854 höheren Schülern zwischen zwölf und achtzehn Jahren teilen nur 27 mit, daß sie keine Zeitung lesen; 1356 sind regelmäßige, 471 unregelmäßige Leser, 437 lesen mehrere Blätter. Und mehr als 200 lesen nicht die in ihrer Familie gehaltene Zeitung, sondern ein andres Blatt, eine bemerkenswerte geistige Selbständigkeit.
Wobei es das zufriedene Zentralorgan gar nicht interessiert, ob diese Revolutionäre nicht vielleicht dem »Vorwärts‹, an dem sich die Eltern weiden, schon den »Völkischen Beobachter‹ vorziehen oder die schwerindustrielle »Börsenzeitung‹, was freilich durch die fesselnde Mitarbeit eines Wiener Genossen entschuldigt wäre.
Besonders interessant sind die Zahlen bei den Volksschülern. Von 435 Jungen einer Berliner Gemeindeschule lesen nur drei keine Zeitung, 274 lesen regelmäßig und 158 gelegentlich,
offenbar im Fall des Lustmordes,
62 lesen nicht das Blatt ihrer Eltern, 56 interessierten sich ständig auch für andre Blätter.
Man muß doch auf dem Laufenden sein. Es folgt die Statistik der Volksschülerinnen, dann noch die der Berufsschüler.
Warum Zeitung gelesen wird, ist oft recht hübsch begründet ... Die politischen Argumente finden sich am meisten.
Es ergebe sich das Bild einer »Generation von werdenden Staatsbürgern«. Die UnfalIchronik wird hauptsächlich von Mädchen gelesen:
Sie lesen merkwürdig gern die Berichte über die Katastrophen, Straßenunfälle, Selbstmorde, Morde und ähnliches.
Auf die Frage, warum dieses Thema sie besonders interessiert, erfolgte – nebst Mitleid und anderen Motiven – die Antwort:
»Weil es so schön schaurig ist.«
Die Herren vom Institut hatten erwartet, daß Romane und Heiratsanzeigen besonders interessieren würden, aber nein, die stehen erst an neunter, respektive an vierzehnter Stelle. »Der moderne Lehrer weiß«, resümiert das Zentralorgan mit Genugtuung,
die Zeitung ein unentbehrliches Hilfsmittel für jede Erziehungsarbeit darstellt ...
Ganz abgesehen von der optimistischen Dummheit, die hier stillschweigend auch die Lektüre der kapitalistischen Zeitung als proletarischen Erziehungsfaktor einsetzt, wird doch bei solcher Gelegenheit die volle Hoffnungslosigkeit einer Kulturbetrachtung plastisch, die die Verbreitung des giftigsten aller Bürgergifte, der Druckerschwärze, für einen Fortschritt erachtet und den »Jugendlichen« als eine Kreuzung von Fußballer und Schmock präparieren möchte. Unter ihnen allen aber, die dem Institut für Zeitungskunde antworten mußten, tönt nur den wenigen, die schon in früher Jugend stolz bekennen, »Nichtzeitungsleser« zu sein, glaubhaft die Parole von den Lippen, die ihnen ergraute Bonzen beigebracht haben: »Wir sind jung und das ist schön!« Denen könnte man vielleicht noch das Wintermärchen vorlesen.
ist dieser leibhaftige Reinhardt, der, wegen sinkender Berliner Nachfrage, in den Spalten der Wiener Presse Tag für Tag und speziell Abend für Abend geistert. Da wird unaufhörlich erzählt, daß er plant, wenn er nichts tut, sich begibt, wenn er geweilt hat, erwartet wird, wenn er nicht kommt vermutlich eintrifft, wenn er ausbleibt, und »Gerüchte«, daß er etwas inszenieren werde, was er nie inszenieren wird, wiegen heute die Sensation auf, die ehedem entstand, wenn er etwas inszeniert hatte. Fledermaus, Zeileis, Pariser Leben, Helena – denn er ist natürlich an der Offenbach-Renaissance interessiert –, und immer wieder versichert die Direktion des Theaters in der Josefstadt, daß sie eine direkte Verständigung von ihm, dem Direktor, noch nicht erhalten habe. Wäre das erst der Fall, so wäre ja des Aufsehens kein Ende; es genügt, daß er sich inzwischen von Riga nach Berlin begeben hat und vermutlich einmal daselbst eintreffen wird, von wo dann nach Wien Gerüchte dringen könnten, daß das Seminar weiterbestehen werde, wenngleich man noch nicht weiß, wie. Aber das allein ist schon viel. Das Gelingen dieser Bestrebungen ist so fraglich wie seine dementsprechenden Entschließungen, und selbstverständlich sind es vorläufig nur Erwägungen, da man seine Entschließungen abwarten muß. Denn die Lage des Seminars, das ist jetzt wichtiger als ehedem die Lage der Deutschen in Österreich. Wenn nur das Seminar erhalten bleibt! Weitere Mitteilungen über eine eventuelle Weiterführung werden nicht gemacht, aber nähere. Und dies und das und noch etwas. Pirandello wird er inszenieren, aber die Proben hiezu werden gegenwärtig von Regieschülern geleitet (was im Grunde ebenso viel wert ist), während sechs Direktoren und zwölf Bevollmächtigte den Herrn Professor suchen, sämtliche Dramaturgen aufwarten und Filmmagnaten herumstehn in Erwartung der Dinge, die da nicht kommen werden. Die Spannung hat umsomehr für sich, als das Resultat ein Tineff wäre, und darum ist es jetzt so eingeführt, daß wenigstens die Spannung auf dem Repertoire bleibt. Dazu kommen unerhörte Vorbereitungen für das Freilichttheater in Leopoldskron, wo er »die Traditionen aus der firmianischen Zeit wieder aufleben lassen wird«. Schon schwingt der weiche, elastische Boden, wenn man über ihn hinschreitet, unter den Füßen. Wasseradern werden gezogen, mythologische Figuren werden waggonweise herbeigeschleppt, in Grotten werden Najaden und Schmöcke hausen. Ganz faustisch wird es, Reklamien und Problemuren schaufeln bereits. Mitten durch alle diese Vorbereitungen schrillt die Frage
Reinhardt inszeniert in Wien Stella?
Gerüchte schwirren, aber es läßt sich augenblicklich nicht entscheiden, ob es sich
nicht bloß um Vorbesprechungen handelt
die er in »im Hinblick auf seine Salzburger Inszenierung« führen wird. Macht nichts. Sicher ist, daß er auch noch nicht einmal den Plan hat, sondern diesen bloß »erwägt«. Wenn das Seminar fortgesetzt wird, will er, hoch oben wie er ist, noch höher hinaus, nämlich
seine jetzige Wohnung in der Hofburg gegen eine andere Wohnung im Schluß Schönbrunn vertauschen.
Warum nicht, recht hat er. Doch selbst das weiß man noch nicht, wiewohl es viel für sich hat. Nichts steht fest, alles fließt. Im ganzen Umkreis dieser Gestalt scheint mir nur die Zeugenaussage, die er im Kerr-Prozeß abgelegt hat, einigermaßen konsistent zu sein. (Im übrigen wird sich die europäische Kultur einmal schämen, daß sie für den Posten des Cagliostro keine bessere Besetzung hatte.)
Der bekannte Seelenarzt Dr. Rudolf Urbantschitsch
der tiefschürfend über infantile Sexualität sprach und »inspirierte« (also von Gott eingegebene) »Ausführungen über den Anteil der Kultur zur Entstehung der Neurosen« machte, und von dem auch selbst etwas zu viel die Rede ist,
prägte den Satz: Die Neurose ist das Wappen der Kultur.
Sehr schön, aber es laufen derzeit schon weit mehr Heraldiker als Adelige herum.
Kulturell dürfte die Entente bald auf die Knie gezwungen sein. Der Einzug des »Weißen Rössels« in London – wonderful und von der Presse als »der Erfolg des Jahrhunderts« gefeiert – bedeutet die endgültige Revanche für Versailles. Aber auch etwas St.-Germain ist darin enthalten, insofern ja der Berliner Theaterhändler eigentlich mit österreichischen Dingen, die zu allen europäischen Herzen sprechen, reüssiert hat:
Noch erstaunlicher war die Leistung von Clifford Morrison, einem Stockengländer, der Österreich noch nie gesehen hat, in der Rolle des Oberkellners Leopold. Er war jeder Zoll ein österreichischer Oberkellner. Und wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird das »Weiße Rössel« hier mindestens ein Jahr lang durchgespielt werden.
Das einzige, was bei solcher Gelegenheit und im Umkreis der Theatergeschäfte nicht trügt, sind die Anzeichen. Denn – ganz abgesehen davon, daß der Clifford Morrison es mit Österreich getroffen zu haben scheint wie Schiller mit der Schweiz, darf man ja nicht glauben, daß der Geschmack eines Knotentums, das bei Alpenglühen fressen will, auf die Stammgäste von »Haus Vaterland« beschränkt bleibt. Gewiß, der Zutreiberdienst einer Presse, die gleichzeitig Wedekind abfallen läßt, mag drüben im Theaterkontrakt garantiert sein, aber es ist nicht das Wesentliche. Die Zeit ist so geartet, daß überall, wo sich eine Vielheit zusammenfindet, Haus Vaterland ist.
fand es Hasenclever in Hollywood:
Berthold Viertel holte mich ab, wir fuhren gleich zu seiner Villa am Meer, und nach drei Tagen und vier Nächten bekam ich zum erstenmal wieder anständig zu essen. Da war seine Frau, die prachtvolle Salka mit ihren drei Söhnen, ein riesiger Schäferhund, eine Bibliothek und ein Bild von Karl Kraus. Es war wie zu Hause.
(Hat denn Hasenclever ein Bild von mir?) Sodann trat Greta Garbo ein und hierauf ein Erdbeben. Hasenclever nahm eine Katze auf den Arm und tröstete sie.
»Arme Katze«, sagte ich, »es war ja nur ein Erdbeben«. Greta sah es. »Mich auch«, bat sie. Ich setzte die Katze auf die Erde und nahm die Garbo auf den Arm.
(Vor meinen Augen!)
»Arme Greta«, sagte ich, »es ist ja vorbei«.
Da tat die Katze das einzig Richtige. Sie lief zu ihrer Schüssel und trank Milch. Ich ging zum Teetisch, goß Sahne in eine Untertasse und reichte sie Greta. Und sie machte es genau wie die Katze. Dann waren wir alle glücklich. Das war ihre beste Rolle.
Wie anders man sich Hollywood vorstellt! Und es ist wie zu Hause.
Frau Agnes Straub soll dem 6 Uhr-Herrn, der's in fetten Lettern meldet, gesagt haben:
Meine ganze Karriere verdanke ich aber wohl W. E. Heinrich, dem Direktor des Heidelberger Theaters, einem Menschen und Künstler von ganz großem Format, einem Manne, der vielfach und nicht mit Unrecht mit Reinhardt verglichen wird. Bei ihm haben die Wolter und die Devrient studiert und sicherlich hat er auch bei ihnen den Grundstein zum Erfolg gelegt. Dieser Mann hatte nur einen Wunsch: er wollte Reinhardt kennen lernen. Seine Freude zu sehen, als Helene Thimig ihm diesen Wunsch erfüllen half, war rührend. Der alte Mann weinte, als er dem berühmten Kollegen begegnete.
Die Wolter wird so nach 1850 – nämlich bei Frau Gottdank und Mme. Glaßbrenner-Peroni, die noch unter Raimund die »Jugend« gespielt haben dürfte – studiert haben; in den achtziger Jahren die von ihr auch wesensentfernte Frau Reinhold-Devrient. Der Mann, der beide unterrichtet hat, dürfte heute 130 Jahre alt sein; er war erst 110, als er Frau Straub übernahm. Weiß Gott, was er ihr oder sie dem Historiker erzählt haben mag; das Publikum frißt alles. Wahr könnte freilich sein, daß der Grundsteinleger des Erfolgs der Wolter geweint hat, als er Herrn Reinhardt begegnete.
Und 's is alles nicht wahr,
und's is alles nicht wahr!
lautet der Refrain eines Nestroy'schen Couplets, dem ich, wie ich endlich gestehen muß, durch die Jahre in weitem Bog ausgewichen bin. Die bloße Vorstellung, zu diesem Couplet aller Couplets, das mich durch alle Träume mahnt, Zusatzstrophen machen zu sollen, ist niederwerfend und das Beginnen wäre gleichbedeutend mit dem Entschluß, mich unter den hunderttausend Zeitdokumenten, deren kleinster und wahrscheinlich ungewichtigerer, nur von Laune und Zufall aufgegriffener Teil zweiunddreißig Jahre der Fackel füllte, lebendig begraben zu lassen. Man wird sich damit begnügen müssen, den Refrain einmal als Epilog oder Epitaph zu verwenden.
Reinhardt nicht lettischer Staatsbürger.
Mitteilungen von informierter Seite.
Max Reinhardt ist nicht, wie behauptet wurde, Lette geworden, um seine seit Jahren angestrebte Scheidung durchzuführen, und hat sich auch nicht um die lettische Staatsbürgerschaft beworben; das brauchte er gar nicht zu seiner Scheidung. Er mußte die Scheidung nur in einem Lande durchführen lassen, in dessen Eherecht nicht das Nationalitäts-, sondern das Territorialprinzip zur Anwendung kommt.
Er konnte also czechoslowakischer Staatsbürger bleiben, mußte aber sein offizielles Domizil und mindestens einen Teil seiner Tätigkeit nach so einem Lande verlegen. –
Max Reinhardt hat auch nicht, um sein lettländisches Domizil zu beweisen, Grundbesitz erworben, sondern muß die Eherechtsvergünstigung, die er erhielt, mit einer dreijährigen, ziemlich intensiven Theaterarbeit in Lettland bezahlen. Er hat bis 1934 Verträge mit der lettischen Nationaloper und dem Deutschen Theater in Riga abgeschlossen und seine dortige Tätigkeit schon vor Monaten mit einer »Fledermaus«-Aufführung begonnen und für die nächste Zeit einen Offenbachschen »Orpheus« vorbereitet.
Ach ich hab' sie verloren ...
Der junge Springinsfeld kennt keinen Genitiv, denn er ist nicht der Sohn des, sondern von Moriz Benedikt. Das wäre noch richtig, wie ja auch einer dieser gräßlichen Leitartikel des Ernst Benedikt einer von Ernst Benedikt genannt werden kann, da er ja von ihm verfaßt ist. (Wer vermöchte es außer ihm!) Nun sitzt ihm aber das »von« – von der Monarchie her – noch so im Gemüte, daß er es immer verwenden muß. Es geht ihm »um das Schicksal von Deutschland, aber auch um das Schicksal von Europa«, er glaubt an »die Zukunft von Österreich«, oder gar so:
Hoffen wir, das Ausland werde begreifen, daß die Rettung von Österreich wichtiger ist als alle Haltungen –
Natürlich meint er als Patriot die Rettung Österreichs, aber als Stilist fühlt er nicht, daß er damit dem Ausland die Aufgabe zugewiesen hat, uns, die es hier auch nach erfolgter Sanierung schwierig finden, von Österreich zu retten. Denn wenn auch alles Finanzielle in Ordnung wäre, so bliebe der Zustand doch – und selbst wenn der Thoas in puncto Treuherzigkeit nicht mit Schober wetteifern könnte – taurishaft genug und ließe mit noch den Wunsch übrig:
Und rette mich, die du vom Tod errettet,
Auch von dem Leben hier, dem zweiten Tode!
Es geht da also, wie man sieht, um die Rettung der lphigenie von Tauris, nicht um die Rettung von der Iphigenie auf Tauris. Und dort um die Rettung Österreichs, nicht von Österreich. Aber man kann lang Leuten zureden, die nur taurisch verstehn.