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Die Winterwochen waren eine qualvolle Zeit für mich. Immer wieder trieb mein Denken im gleichen Kreis bis zu dem einen furchtbaren Punkt: es ist zu Ende mit uns – aus. Wir gehen rettungslos zugrunde.
Aber nun weht der Frühling über die erstorbene Heide, das Eis schmilzt, Grün übertönt das mißmutige Braun des Bruchs und der Moore. Und die Vögel kommen wieder zu uns.
Heute morgen stand ich vor der Truhe mit dem Saatgut. Ich will es versuchen, um jeden Preis: ich will die im vorigen Sommer mühselig begonnenen Abzugsgräben für das Sumpfwasser weiterführen und will ein größeres Stück Land trockenlegen und umpflügen, will düngen und Korn säen – Brotfrucht. Ich will von eigenem Brot essen, das meine Hände auf eigene Erde gesät haben. Wird es gelingen? Es ist mir wie eine Frage an das Schicksal, die über die Zukunft von uns allen entscheiden soll.
Ich stand vor der alten Getreidetruhe, die viele Jahre kein Saatgut mehr gehütet hat. Und ich ließ die schönen gelben Körner durch meine Finger rieseln, griff immer wieder hinein in die seltsam duftende Flut, und sie rann mir über die Hände wie Gold.
In jedem dieser winzigen Körner ruht ein Leben. Eine Pflanze mit Wurzel, Halm und Frucht. Ein Leben, das seinem Schicksal entgegenharrt, begierig, es zu erfüllen, zu vollenden.
Und wie unbegreiflich geheimnisvoll ist doch dies: in allen diesen Tausenden von Körnern schlummert das selbe nämliche Leben, aus all diesen Körnern werden genau die gleichen Pflanzen hochwachsen, die alle das gleiche wollen werden. 31
So, wie diese Saatkörner müßten wir einmal werden können: so alle dicht beieinander stehen, geeint in gleichem Wuchswollen, gleichem Ziel. Dann kann uns der Sturm wohl beugen, aber wir stehen wieder auf.
Ich bin lange vor der Saattruhe gestanden und habe die heiligen Keimkörner betrachtet.
Wir haben den Hauptgraben vollendet, in den die kleinen Rinnsale einmünden. Es war überharte Arbeit. Wir haben die Pferde vor den alten Pflug gespannt und haben das langsam trocknende Land gepflügt, geeggt, gewalzt. Und dann kam der heilige Tag der ersten Saat.
Hinrichs segnete das Korn mit seinem Spruch. Er sagte ihn laut, ohne Scheu, denn er weiß längst, daß ich den ehrwürdigen Brauch heilig halte wie er.
Dann reichte er mir einen kleinen Scheffel Korn und ich tat, schauernd fast, den ersten Wurf über die Erde hin, ungeschickt und werkungewohnt. Und dann ging er aus, mit dem gemächlich sicheren Schritt des Erdbauern, tat ruhig die weitausholenden Schwünge der Hand, gleichmäßig flogen die goldgelben Körner in schönen Bögen hindann und sanken zu Boden, dem Schicksal entgegen . . .
Nun ist es wieder Abend geworden und ich sitze in meiner Stube. Und es ist mir, als sei ich erst mit diesem denkwürdigen Tag der ersten Aussaat wirklich Herr auf meiner Hufe geworden, wirklich heimisch und daheim. Vorher war ich immer noch Gast. Nun bin ich einbezogen in das Leben der Erde, in den Kreis des Jahres, da ich in den Dienst am Acker getreten bin.
Denn auch der Viehzüchter ist nur Gast auf der Erde. Auch wenn ich nicht nur, wie bisher, Hühner züchtete, wenn ich auch schon eine Kuh habe – seit vier Wochen steht sie im Stall bei den Pferden – und wenn ich noch so viel Rinder und Schafe hielte – sie alle sind Gast der Erde wie ihr Herr. Aber der 32 Pflüger und Säer ist ihr wirklich verbunden, dient ihr wahrhaftig und empfängt dafür von ihr den Lohn, wie jeder Knecht ihn von seinem Herrn und Brotgeber empfängt. Wer kann wahrhaftiger Brot-Geber sein als die Erde selbst? Und aus diesem Erd-Dienst wird man niemals entlassen. Ein ungetreuer Knecht kann wohl der Erde entlaufen, in die Stadt zur Maschine – aber wer es redlich meint, bleibt zeitlebens ein Diener der Erde, bis sie ihn aufnimmt ins letzte Ausgeding.
Nun geht das Jahr seinen Gang mit Feldarbeit und vieler Müh. Ich fahre bisweilen nach der Stadt und verkaufe Eier und Hühner. Man kennt mich dort schon und weiß, daß ich nichts an Schleichhändler gebe und meine Kunden nicht überhalte.
Wir graben immer noch an unseren Wasserrinnen, und das Land wird langsam trockener. Wir stechen Torf für den Winter. Ich habe neue Obstbäume gepflanzt. Und das sorglich gehütete Korn schießt in die Halme . . .
Manchmal befällt mich immer wieder die Sorge, wie ich, der nie im Leben sich mit Landbau beschäftigt hat, der zeitlebens über den Büchern saß und den dann der Krieg aus aller regelhaften Tätigkeit riß, wie ich nun all das meistern soll: die Hühnerzucht, Getreidesaat, Düngung mit allerlei Salzen und Gott weiß was noch alles! Aber dann kommt auch stets von neuem eine gute Ruhe über mich: die Erde hat mich angenommen! Bisher ist alles gediehen, was ich begonnen, als walte im geheimen wahrhaftig der Hausgeist am Herd. Ich habe den alten Hinrichs. Er ist mir wie die Erde selbst. Er weiß alles, was geschehen muß. Wann man pflügen, wann man säen muß. Er zeigt mir nie sein Wissen, seine Überlegenheit. Ich gehorche ihm in allen Dingen, und doch bleibt er mein Knecht. Es ist keine Selbstsucht an ihm. Was er tut, geschieht nicht, um sich bei mir unentbehrlich zu machen, um höheren Lohn zu erhalten. Er tut es überhaupt nicht für mich, für gar keinen Menschen. Er tut es als Sohn der Erde, wie ein richtiger Bauer es tun soll. Ihr dient er, die ihn darum liebt und ihm mit 33 Frucht und Segen vergilt. Und dabei nimmt Hinrichs willig das Neue an, das ich ihm vorschlage. Er hat niemals von Kali und Stickstoffsalzen gehört, noch weniger sie angewendet. Die Lotterwirtschaft unter dem früheren Kätner kannte so etwas nicht. Als ich mit diesen Dingen daherkam, von denen ich in einem Buch gelesen, lachte er nicht, zog kein höhnisches Gesicht, zeigte nicht die Verachtung des »erfahrenen alten Praktikers« gegen »verstiegene Neuerungen«. Er ließ sich schweigend von mir erklären, was ich wußte, und nickte bloß zustimmend. Und als ich die bestellten Salze aus der Stadt heimbrachte, besah er sie aufmerksam, ließ das weiße Mehl durch die Finger rinnen und warf es dann gemeinsam mit mir, genau nach der Anweisung, an einem schwach windigen Tag über die Erde hin aus. Nun steht die Saat wunderbar im Halm und verspricht reiche Frucht. Hinrichs weilt oft davor und nickt beifällig vor sich hin, als redete er mit den schwellenden Ähren. Und ich weiß – wir werden eine gute Ernte halten in diesem Jahr, wir werden mehr ernten, als wir selbst aufzehren können, mehr, als die Pferde und Hühner und Kuh brauchen, ich werde noch abgeben und verkaufen können. Und im nächsten Jahr wird es mehr sein, immer mehr . . .
Hat mich auch schon die Gier erfaßt, der Hunger nach mehr, nach immer mehr? – Ich horche in mich hinein: will ich ein großer Grundherr werden, mit Äckern, unüberschaubar rings im Kreis? Mit hundert Knechten und Mägden, mit einem vollen Panzerschrank im Kontor?
Nein doch! Es graut mir vor so etwas. Ich möchte die alte Kate ein wenig vergrößern, ein wenig behaglicher gestalten, aber sie soll immer ein Bauernhaus bleiben. Und ich will nie »reich« werden. Nur mein stilles, gutes Behagen haben. Warum dann das Verlangen nach dem »Mehr«? Weil ich in ein paar Stunden Fahrt eine darbende Stadt und ringsum landauf und landab ein darbendes Volk weiß? – Ja, ich darf es mir eingestehen, ohne Heuchelei vor mir selber: auch darum! Ich will geben. Nicht schenken! Geben. 34
Und noch etwas, ein tieferes Wollen. Wie soll ich es sagen? Es ist ein unaussprechliches Gefühl, das der Bauer sicher nicht kennt, das nur ich, der Städter und Gelehrte von einst, heute als Landbauer dunkel empfinde: es ist unendlich köstlich, die Erde zu bebauen, ihr mit Ackern und Düngen, mit tausend Handreichungen zu dienen und wieder überreich von ihr zu empfangen. Es ist wie in der Liebe zu einer Frau: schenken und überreich wieder empfangen. Es ist das Erfüllen eines heiligen Gesetzes, eines urgegebenen Müssens. Denn unser Leben ruht auf dem Segen der Erde. Darum ist der Dienst an der Erde heiliger Dienst und befriedigt durch sich allein.
Das weiß ich, der über all dies denkt. Der Bauer weiß es nicht – aber in irgendwelchen Tiefen seiner Seele ist es doch ohne Wort und Gedanke und läßt ihn sein überschweres Werk tragen, immer wieder üben und neu auf sich nehmen, trotz Not und Fehlschlag.
Auch Hinrichs »weiß« es ohne Wissen und Gedanken. Aus diesem untergründigen Wissen herauf reicht er dem Wind und dem Schimmelreiter seine Gaben, redet mit den Bäumen und mit den Halmen auf dem Feld. Wenn er die Pferde füttert, tut er es nicht, weil sie leben und arbeiten müssen, sondern als Gegengabe und Dank für ihren Dienst.
Es steht eine große Veränderung auf meinem Hof bevor. Und Gott weiß, ob sie zu Segen sein wird, ob die stille Einsamkeit nun nicht übel zerstört werden wird.
Gestern abends kam Hinrichs in meine Stube. Er hatte sein einziges gutes Gewand angelegt, die Pfeife hielt er in der Hand. Er war sichtlich verlegen und wußte nicht, wie er anfangen solle. Ich hieß ihn niedersitzen, aber er blieb stehen.
Endlich brachte er es heraus, nach mancherlei Umweg, wie es Bauernart ist: er wolle heiraten.
Ich sah ihn starr an. Mein »alter« Hinrichs! Aber es war so. Eine Tagfahrt von hier lebt auf einem Hof eine Magd, mit der 35 hat er lang schon einen Sohn. Heute ist der Junge an die vierzehn Jahre alt. Vor dem Krieg konnte Hinrichs nicht ans Freien denken; dann sah er, wie der Kätner, sein Herr, schnell und schneller abwirtschaftete, dann kaufte ich das Anwesen, und er wußte wieder nicht, wie es sich anlassen würde. Aber nun ist er gewiß geworden, daß hier alles einen guten Gang gehen werde, und er will das Weib zu sich nehmen und dem Sohn seinen Namen geben. Und als echter Bauer rechnete er mir auch gleich den Vorteil her, den ich davon haben sollte. Ich weiß es ja selbst: wir zwei können die Arbeit unmöglich mehr leisten. Ich hatte mich schon nach einem Knecht umgesehen, nach einer Magd – aber was ich da fand, ließ ich lieber, wo es war. Nun soll ich mit Hinrichs' Weib eine fleißige Magd, mit dem Sohn einen Jungknecht gewinnen. So sagte ich denn Ja dazu. Aber es ist mir nicht ganz wohl bei der Sache. Nur eines ist mir lieb: ich habe es immer schmerzlich empfunden, daß ein Mann wie Hinrichs, der so tief der Erde verbunden ist, so aus den geheimen Gesetzen herauf lebt und schafft, daß ein solcher ohne Kinder, ohne Sohn bleiben soll, dem er seine Art als Erbe lassen kann. Gebe Gott, daß der Sohn ihm gleicht, daß er gleiche Wege gehen wird wie der Vater.
Hinrichs ist mit dem Wagen in die Stadt gefahren und hat allerlei eingekauft, wessen wir bedürfen. Auf dem Rückweg hat er den Hof besucht, wo die Friedgert im Dienst steht. Seltsame Menschen! Herb und verschlossen. Zwei Jahre hat er sie nicht mehr gesehen, aber er weiß es für gewiß, daß sie die Seine geblieben ist, und sie weiß, daß er einmal kommen wird, sie heimzuholen für die Augen der Welt. Nun wird sie den Dienst aufsagen und zum Sonnwendtag bei mir einziehen.
Am Abend kam Hinrichs zurück. Den Sohn hat er gleich mitgebracht: ein flachsblonder, hochaufgeschossener Junge mit etwas ungelenken, überlangen Armen und Beinen. Aber das Gesicht gefällt mir. Es ist schmal und eigenartig herb, ohne mürrisch und trotzig zu sein. Ich glaube, er wird sich ins Haus fügen. 36
Auch ein paar Kisten hat Hinrichs vom Wagen geladen, die kleine Habe der Frau, dazu etliches Hausgerät, das er in der Stadt gekauft, und Bretter und Pfosten, aus denen er nun an den Abenden mit dem Sohn ein paar Betten zusammennagelt. Der Junge greift tüchtig zu. Er ist Pferdeknecht geworden, versorgt die Kuh und die Hühner, so daß wir uns ganz der Feldarbeit widmen können.
Die Sonne steigt höher mit jedem Tag. Und Heide, Torfland und Bruch – wie sind sie nun wieder herrlich und wunderbar! In unendlichen Fluten geht der Wolkenzug über sie hin am blauen Himmel, weht verlorene Einsamkeit durch die ewige Weite wie der warme Wind, in dem die schwarzen Flammen der Machandelbäume sich neigen und beugen. Die ersten Falter schaukeln, lichtgelbe und weiße Punkte, über dem dunklen Moorwasser.
Ich könnte glauben, fernab aller bewohnten Welt auf einer verlassenen Insel im Meer zu leben: wochenlang sehe ich keine anderen Menschen als Hinrichs und nun auch den jungen Klas. Das Land dehnt sich endlos nach allen Richtungen der Winde, und Wolken und Träume sind meine Gefährten und Brüder. Ich rede bisweilen durch Tage hin kein Wort mit Hinrichs, denn mein Leben und Werken ist mit der Erde und ihren Gezeiten eins geworden, genau wie Hinrichs weiß ich ohne Wort und Frage, was jeder Tag von mir fordert, und ich tue es. Aber draußen im Feld rede ich mit Himmel, Luft und Einsamkeit.