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5.
Von Stufe zu Stufe.

Während König August in Warschau, wie wir gesehen haben, auf schlaues Anstiften der Frau von Przebendowska, um sich die Zeit zu vertreiben, zu den Füßen der kleinen Dönhoff lag, welch Letztere ihre Rolle ganz nach der Anweisung ihrer klugen Mutter spielte, vernahm Gräfin Cosel in Dresden, kaum von einer Krankheit genesen, mit tiefster Bestürzung die Nachrichten aus der polnischen Hauptstadt, welche man ihr täglich zu hinterbringen nicht ermangelte.

Flemming ließ es sich eifrig angelegen sein, daß sie von allem genau unterrichtet wurde, und da der König die Eifersucht und die Heftigkeit der Cosel fürchtete, trug der schlaue und umsichtige Höfling dafür Sorge, daß sie stets von Spionen umgeben war, die jeden ihrer Schritte belauerten und ihm alles genau berichteten, was sie sprach und that.

Der König hatte jetzt kein sehnlicheres Verlangen mehr, als sich von ihr loszumachen; er hätte indessen gewünscht, daß sich die Sache ohne viel Geräusch und ohne Scandal abspiele. Es gab wohl noch Momente, in denen er die schöne Cosel bedauerte; allein bei seinem schwachen Charakter und seiner Frivolität fand er nicht die Kraft, den Intriguen ein Ende zu machen, mit denen man ihn und sie förmlich umsponnen hatte.

Jedes neue hübsche Gesichtchen, das ihm aufstieß und das die Gelegenheit zu benutzen wußte, konnte aus ihm machen was es wollte. Der Reiz der Neuheit übte eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf diesen an vorübergehende, oberflächliche Liebeleien gewöhnten Monarchen aus. Der Anfang dieser Liebschaften war stets derselbe, auch endeten sie immer wie alle derartigen Verbindungen, welche in dem blasirten Herzen nur ein Gefühl der Langweile, des Ueberdrusses und einen gewissen Sarkasmus, bei den Opfern aber nichts als Thränen und Reue zurücklassen.

August beschwichtigte im Gefühle seines Unrechtes sein Gewissen damit, daß ja die Königsmark, die Esterle und die Teschen in ihrer Verlassenheit Schützer und Tröster zu finden gewußt hatten und daß die Cosel wohl nicht ermangeln werde, desgleichen zu thun; freilich konnte er sich andererseits nicht verhehlen, welch großer Unterschied zwischen jenen Frauen und einer Gräfin Cosel herrschte. Einer Jeden hatte er irgend einen Fehltritt, eine Schwachheit vorzuwerfen gehabt, nur Anna's Benehmen war stets tadellos gewesen.

Indessen bedrohte die Gräfin das Leben des Königs. Sie hatte erklärt, daß sie ihm eine Kugel in den Kopf jagen und sich dann selbst tödten werde – und man wußte, daß sie ganz die Frau darnach war, Wort zu halten. Es waren demnach die gemessensten Weisungen nach Dresden ergangen, daß man sie auf das sorgfältigste überwachen möge.

Flemming kannte besser als irgend Jemand sonst die Wankelmüthigkeit August's; er hatte schon mehr als einmal für sich selbst Vortheil daraus zu ziehen gewußt. Als er einst in Ungnade gefallen war, hatte er sich mit Gewalt Einlaß beim König erzwungen, und durch diesen kühnen Streich war es ihm geglückt, nicht nur seine frühere Stellung, sondern auch den Einfluß auf den König, den er vordem besessen hatte, wiederzurückzugewinnen. Er war sich vollständig klar darüber, daß die Schönheit der Gräfin im Verein mit ihrem Geiste und der Festigkeit ihres Charakters eine Reaction im Geiste des Königs hervorrufen, das so schön Eingeleitete wieder zunichte machen und alle seine Pläne zerstören konnte, sobald es ihr gelänge, sich dem König wieder zu nähern. Man mußte sie also gänzlich unschädlich machen.

Zu diesem Zwecke war Löwendahl, der Obersthofmarschall, gewonnen worden. Er sollte den Versucher spielen. Die Sache war verlockend genug – denn Anna besaß Diamanten, Güter, Paläste; sie war noch immer jung und ihre Schönheit bewundernswerth. Im Uebrigen handelte es sich ja eigentlich nur darum, daß man in die Lage kam, ihr eine kleine Untreue vorzuwerfen.

Als nun eines Morgens Harthausen, der Freund der Gräfin, sich bei ihr einfand, traf er sie in Thränen aufgelöst und in der lebhaftesten Erregung; sie lief händeringend im Zimmer umher.

»Könnt Ihr es glauben, mein Herr,« rief sie ihm bei seinem Eintritte entgegen, »daß in diesem Augenblicke ein Mensch, der mir alles verdankt, was er ist, daß dieser nichtswürdige elende Löwendahl die Frechheit gehabt hat, mir eine Liebeserklärung zu machen?! Ich habe ihn behandelt wie den allerletzten Lakaien und ihm gedroht, daß ich die Sache dem König schreiben werde ... Er kann übrigens von Glück sagen, daß ich ihn nicht gleich geohrfeigt habe.«

Harthausen hatte alle Mühe, sie etwas zu besänftigen. Sie zitterte förmlich vor Zorn und Unmuth und unaufhörlich rollten große Thränen über ihre Wangen.

»Ach,« sagte sie, »vor wenigen Monaten hätte er es sicher nicht gewagt, mir eine solche Beleidigung anzuthun!«

Das Benehmen Löwendahl's der Gräfin gegenüber war für diese ein deutliches Anzeichen, daß ihre Stunde geschlagen habe.

Von Frau von Dönhoff, die in der höheren Gesellschaft Dresdens nicht unbekannt war, ebenso wie ihre ganze Familie, namentlich auch durch frühere, Aufsehen erregende Abenteuer und Scandale aller Art – von Frau von Dönhoff hatte sie bereits genug reden gehört.

»Die Briefe des Königs lauten jetzt so ganz anders wie sonst,« fuhr sie nach einer Pause fort. »Habt Ihr schon von einer gewissen Frau von Dönhoff gehört?«

»Da und dort, ja,« entgegnete Harthausen.

»In welch schmutzigen Pfuhl hat man ihn da hineingezogen!« sagte Anna vor sich hin; dann versank sie wieder in Nachdenken ...

Flemming, der diese elenden Intriguen leitete, traf bald nach obigem Gespräch in Dresden ein. Der König hatte den General mit der Mission betraut, allmählich den Bruch zwischen ihm und der Gräfin herbeizuführen; allein August hatte ihm ausdrücklich aufgetragen, dabei mit aller erdenklichen Delicatesse vorzugehen und die Cosel mit der größten Rücksicht zu behandeln.

Die Nachricht von Flemming's Ankunft erweckte bei der Gräfin natürlich nicht wenig Beängstigung; nach Verlauf mehrerer Tage beruhigte sie sich jedoch wieder, da sie bemerkte, daß der General sich ihr gegenüber ziemlich gleichgiltig verhielt, ja sogar geflissentlich alles vermied, was den alten Streit zu erneuern geeignet gewesen wäre.

Das wirkliche Motiv dieser anscheinend so friedfertigen Haltung war aber eine ganz besondere, höchst eigennützige Combination. Der König wünschte nämlich, daß die Gräfin das herrliche, von ihr bewohnte Palais der vier Jahreszeiten räume, und es lag ihm sehr viel daran, daß diese Verzichtleistung sich glatt abwickle.

Man wählte als Unterhändler für ein Arrangement in dieser Sache den friedfertigen, ehrlichen Harthausen, welcher mit aller erdenklichen Schonung sich der ihm übertragenen schwierigen Mission unterzog.

Zu seinem größten Erstaunen stießen seine Eröffnungen bei der Gräfin Cosel auf keinen Widerstand.

»Ja, ich verlasse dieses königliche Palais,« antwortete sie dem Abgesandten, »es erinnert mich zu sehr an glücklichere Zeiten, als daß ich hier länger bleiben möchte. Ich verlasse diesen Ort gerne.«

Sogleich ließ die Gräfin ihre Leute zusammenrufen und gab ihnen den Befehl, ihre Möbel und Effecten einzupacken. In der Morizstraße wurde ein Haus gemiethet und wenige Tage später übersiedelte Gräfin Cosel dahin.

In dieser ihrer neuen Residenz wurde ihre Einsamkeit bald eine vollständige; die Höflinge sowohl als die verschiedenen Bittsteller und Gunstbettler mieden das Haus, von welchem das Glück so entschieden gewichen zu sein schien.

Cosel's Feinde waren außer sich vor Freude, als sie vernahmen, daß die Gräfin aus jenem Feenschloß, aus dem Palast der vier Jahreszeiten, verbannt worden sei. Dies war das Signal des definitiven Bruches. Anna hingegen wollte noch immer nicht an die rauhe Wirklichkeit glauben; täglich wiederholte sie ihrer Umgebung, daß sie die rechtmäßige Frau August's sei, daß der König sie unmöglich verlassen könne.

Im Jahre 1705, als die Leidenschaft August's für die schöne Anna noch auf ihrem Höhepunkte war, hatte sie von ihrem königlichen Liebhaber die am Ufer der Elbe gelegene reizende Besitzung Pillnitz zum Geschenke erhalten. Hier verweilte sie stets während der Sommermonate einige Zeit.

Der Ort war in der That sehr hübsch; von Wäldern und prächtigen Baumgruppen umrahmt und im Norden von bewaldeten Hügeln begrenzt, lag das Schloß hart am Ufer der Elbe. Inmitten des Flusses erhob sich eine kleine, mit dichtem Gesträuch bewachsene Insel, welche sich in den Wellen spiegelte und wie ein großer Blumenkorb aussah. Pillnitz hatte nur den einen Fehler, daß es, einige Stunden von Dresden entfernt, ziemlich einsam lag.

Nachdem die Gräfin den Wunsch ihres Königs erfüllt und das Palais der vier Jahreszeiten verlassen hatte, schrieb August, der nun immer weiter ging, an Flemming, damit dieser sich daran mache, der Cosel neue Concessionen abzuzwingen. Es lag nämlich in seiner Absicht, Frau von Dönhoff mit den Herrlichkeiten Dresdens bekannt zu machen, und da er es vermieden wissen wollte, daß seine neue Maitresse etwa mit der alten irgendwie zusammenträfe, was leicht Unannehmlichkeiten herbeiführen konnte, beauftragte er Flemming, sein Möglichstes zu thun, um die Gräfin zu vermögen, daß sie Dresden verlasse und ihre Residenz in Pillnitz aufschlage.

Wieder war es Harthausen, der hierbei als Vermittler dienen sollte; denn Flemming wollte, da er allem Streit und Zank auszuweichen wünschte, sich durchaus nicht persönlich mit der Sache befassen. Er lud daher den Freund der Gräfin ein, ihn zu besuchen, und theilte ihm dann den Wunsch des Königs mit.

»Kommt mir zu Hilfe, lieber Harthausen,« sagte er zu ihm. »Der König will nach Dresden zurückkehren – das ist nun aber ganz unthunlich, so lange Gräfin Cosel hier weilt. Frau von Dönhoff liegt ihm unablässig in den Ohren, daß sie ihres Lebens durchaus nicht sicher wäre, wenn ihre Feindin in derselben Stadt mit ihr wohne. Ueberdies hat die Cosel dem König so oft schon mit Erschießen gedroht, daß Seine Majestät selbst es natürlicherweise sehr gerne sehen würde, wenn sie anderswo ihren Wohnsitz aufschlüge. Er liebt es, wie Ihr wohl wißt, durchaus nicht, Personen, welche in Ungnade gefallen sind, wiederzusehen ... Ich weiß,« fügte Flemming hinzu, »daß Frau von Cosel mich als ihren Feind betrachtet, allein sie thut sehr Unrecht daran, denn ich war niemals ihr Feind. Wenn früher zwischen uns einige Mißhelligkeiten bestanden, so habe ich das längst schon vollständig vergessen. Weniger als jemals möchte ich in der Lage, in der sie sich heute befindet, es ihr gegenüber an Achtung und Schonung fehlen lassen, oder gar sie zum Aeußersten treiben. Wollt Ihr also gefälligst zu ihr gehen und alles, was in Eueren Kräften steht, thun, um sie zu vermögen, daß sie Dresden freiwillig verläßt; denn ich würde sehr unglücklich sein, wenn ich anderenfalls gezwungen wäre, ihr die Befehle des Königs in officieller Weise zu übermitteln.«

Nachdem Harthausen diese mit erheuchelter Freundschaft vorgebrachten vertraulichen Mittheilungen entgegengenommen, verabschiedete er sich von Flemming, um sich sofort zur Gräfin Cosel zu verfügen.

Er fand sie in ziemlich aufgeräumter Stimmung. Nachdem man eine Weile geplaudert und gescherzt hatte, begann Harthausen endlich das Gespräch in geschickter Weise auf den Gegenstand zu lenken, der ihn hergeführt.

»Ich kann mich wahrhaftig nicht genug wundern über das Benehmen des Königs,« begann er. »Ich hielt ihn bisher immer für einen Mann von ganz vorzüglichem Geschmack; ich sehe indessen, daß ich mich hierin täuschte. Ich kenne diese Frau von Dönhoff nicht im mindesten, aber nach dem, was man von ihr hört, bin ich überzeugt, daß diese Liaison nur von kürzer Dauer sein wird ... Es passirt Einem ja zuweilen, daß man, nachdem man alle Tage weißes Brot gegessen hat, einmal nach schwarzem, rauhem Verlangen trägt; nachdem man aber einige Bissen davon gegessen hat, kehrt man immer gern wieder zum ersteren zurück. Darum bin ich auch vollkommen davon überzeugt, daß Ihr, Madame, Euere frühere Stellung und Eueren ganzen Einfluß wiedergewinnen werdet, vorausgesetzt, daß Ihr darauf bedacht seid, den König nicht allzusehr gegen Euch aufzubringen und ihn Euch um jeden Preis zum Feind zu machen.«

Die Gräfin entnahm aus dieser Einleitung sofort, daß Harthausen als Träger einer Botschaft oder eines unliebsamen Befehles sie ausgesucht habe.

»Seid Ihr der Ueberbringer irgend einer neuen Ordre des Königs?« fragte sie rasch.

Harthausen bejahte die Frage mit einem Kopfnicken, indem er einen traurigen Blick auf sie warf.

»Nun also – sprecht, mein Herr!«

»Ich komme eben vom General Flemming; er hat mir von dem Inhalt eines Briefes Seiner Majestät Kenntniß gegeben, worin der König den Wunsch ausdrückt, daß Ihr Dresden verlassen und Euch nach Pillnitz begeben möget, um während seines ganzen Aufenthaltes mit der Dönhoff in der Hauptstadt daselbst zu verbleiben. Ich bin der Ansicht, liebe Gräfin, daß es ja für Euch selbst äußerst unangenehm sein müßte, Zeugin dieses Scandals zu sein ...«

Anna sah einige Augenblicke nachdenklich vor sich hin; unwillkürlich traten ihr Thränen in die Augen.

»Ach, wie schwer fällt mir dieser Entschluß! Wie unglücklich fühle ich mich!« rief sie dann aus. »Ich weiß wohl, daß Ihr es gut mit mir meint, daß hinter Eueren Worten keine Falschheit sich birgt, aber rings um mich sehe ich nichts als Verrath, und jeden Augenblick werde ich daran erinnert. O, Harthausen, Ihr könnt nicht ermessen, wie schwer es mir diesmal wird, zu gehorchen!«

Sie erhob sich, barg ihr Gesicht hinter ihr Taschentuch und schritt im Zimmer auf und ab. Die ihr sonst eigene Heftigkeit, ihr aufbrausender Sinn waren für den Augenblick gänzlich geschwunden – sie weinte still und hätte gern ihre Thränen vor jedem fremden Blicke verborgen.

Plötzlich hielt sie inne und trocknete sich die Augen. Ein Hoffnungsschimmer flog über ihre Züge. Hastig stieß sie die Worte hervor: »Habt Ihr aber auch gut verstanden – habt Ihr mit eigenen Augen jenen Brief des Königs gelesen? ... Seid Ihr ganz sicher, daß das Schreiben nicht erfunden oder untergeschoben ist?«

»Madame,« erwiderte, »es ist da kein Zweifel möglich. Ich kann Euch schwören, daß ich den Brief selbst gelesen habe.«

Im Gemüthe der Gräfin vollzog sich nun ganz unvermittelt eine vollständige Wandlung. Die Zornesröthe stieg ihr ins Gesicht und sie gerieth in die lebhafteste Aufregung.

»Man kennt mich noch lange nicht!« schrie sie wüthend. »Man reizt mich immer mehr, man wird mich bis zum Aeußersten treiben, einen wahnsinnigen Rachedurst in mir heraufbeschwören! Sie mögen sich nur in Acht nehmen! Diese Leute haben keine Ahnung davon, wozu ich fähig sein kann, wenn der Zorn mich überwältigt. Glauben sie denn, daß ich sie schonen, daß ich ihn respectiren werde – ihn, diesen Menschen, der glaubt, daß die Krone, die er trägt, ihm das Recht verleihe, mit den heiligsten Gefühlen Anderer seinen Spott zu treiben, sie zum Opfer seiner Lüste zu machen? ...«

Stillschweigend hörte Harthausen diesem Ausbruche zu. Die Gräfin aber fuhr, immer gleich heftig, nach einer Pause fort:

»Und das alles soll ich erleiden und erdulden um dieser Dönhoff willen – dieser Person, deren Liebschaften man an den Fingern auszählen kann, die sich nicht einmal die geringste Mühe giebt, ihre schlechte Ausführung vor den Augen der Welt zu verbergen? Die ist wahrhaftig der Liebe eines Königs würdig! ... Nein, nein, sie wollten ihn nur erniedrigen, ihn entehren, indem sie ihn in die Arme dieser Courtisane führten. O, diese Menschen, diese falschen, hinterlistigen Menschen!« Neuerdings brach sie in einen Thränenstrom aus. Dann fuhr sie im Selbstgespräche fort: »Konnte ich mein Los voraussehen? ... Wie felsenfest habe ich August vertraut! Ein Eid band ihn an mich; er war so gut, so zärtlich mir gegenüber; ich besaß sein ganzes Herz. Nichts war ihm so theuer, daß er es nicht für mich hingegeben hätte; er nahm keinen Anstand, mich vor aller Welt als seine Königin anzuerkennen – so viele glückliche Jahre hatten mein Herz in die vollste Sicherheit gewiegt! Ich glaubte an die Zukunft, ja, ich fühlte mich ihrer ganz sicher! Drei reizende Kinder knüpften das Band, das uns umschlang, noch fester; er liebte diese armen Geschöpfe, er hatte ihnen seinen Namen gegeben und er schien mir allein voll und ganz zu vertrauen! Er hatte nie einen Grund, mir auch nur das Geringste vorzuwerfen; ich liebte ihn, war ihm stets treu. Ich würdigte die übrige Welt außer ihm kaum eines Blickes, mein Herz schlug in Glück und Leid, in Furcht und Hoffnung einzig nur für ihn – mein Leben, meine Freude, meine Hoffnungen, meine Wünsche, meine Sorgen, das alles galt nur ihm, war nur für ihn – ich war seine Sklavin mit Leib und Seele! Und nun, nach so vielen Jahren des Glückes soll ich ihn ohne Grund, ohne Ursache verlieren, soll ihn verlassen, eine Ausgestoßene sein, ohne Hilfe, ohne Schutz, ohne festen Halt?! Hat er es doch nicht einmal der Mühe werth gefunden, mir ein Abschiedswort, ein Wort des Trostes zuzuwerfen! ... O, dieser Mann hat kein Herz mehr! ... Ha, ein Herz,« lachte sie in bitterem Hohne, »als ob er jemals eines besessen hätte! Alles ist für ihn nur ein Spiel seiner Laune. Er spielt mit den Menschen, mit ihren Gefühlen; was Anderen theuer und heilig, ist für ihn nur ein Zeitvertreib, ein Gegenstand des Spottes! ... Wer könnte sich wohl rühmen, diesen Mann jemals ganz erkannt zu haben? Zu Zeiten gut wie ein Engel, wenn es ihm aber für seine Zwecke dienlich erscheint, kann er ein wahrer Teufel sein. Kalt und ganz ohne Gefühl, weiß er seinen Haß unter einem Kuß, seine Rache unter einem Lächeln zu verbergen. Die süßesten Worte, welche aus seinem Munde kommen, dienen ihm nur dazu, sein Opfer einzulullen und zu betrügen. Die ganze übrige Welt scheint ihm nur dazu geschaffen zu sein, daß er sie als Fußschemel benutzen könne; um sich für einen Augenblick Ruhe und Behagen zu verschaffen, wäre er bereit, alles, was da existirt, zu opfern.«

Die Augen der Gräfin funkelten vor Erregung während dieses Ergusses. Tief bewegt hörte ihr Harthausen zu. All diese Klagen, diese leidenschaftlichen Ausbrüche ihres Kummers, in welchen sie ihrer gedrückten Seele fast eine halbe Stunde hindurch Luft machte, schnitten ihm ins Herz. Nach und nach verfiel die unglückliche Frau unter dem Eindruck der Erinnerung an die Schicksalsschläge, welche sie getroffen, von fieberhafter Erregung übermannt, in einen Zustand tiefster Erschöpfung.

»Madame,« nahm endlich Harthausen das Wort, »ich finde Eueren Unmuth und Eueren Schmerz ganz begreiflich. Diese Empfindungen sind nur natürlich nach dem, was vorgefallen, und machen Euerem Herzen alle Ehre. Gott ist mein Zeuge, daß ich mich glücklich schätzen würde, wenn mir hier eine weniger undankbare Aufgabe zu erfüllen obläge; allein ich sehe heute kein anderes Mittel, die Dinge noch zum Guten zu wenden, als sich dem harten Gebot der augenblicklichen Lage zu unterwerfen. Ihr müßt mit Geduld und Klugheit Vorgehen, um Euch nicht für alle Zukunft die Brücken abzubrechen. Besser als irgend Jemand kennt Ihr den unbeständigen Sinn des Königs, und kein Mensch außer Euch konnte sich jemals einer so unumschränkten Macht über ihn rühmen. Ihr müßt darauf bedacht sein, diese Macht wieder zu erobern, mit anderen Worten: Ihr müßt Euch für die Zukunft aussparen!«

»O, mein bester, mein einziger Freund, verlaßt mich nicht, tröstet mich!« rief die Gräfin mit bewegter Stimme.

»Gerne bin ich dazu bereit, verehrte Frau, allein Ihr müßt mir gestatten, Euch ohne Rückhalt und aufrichtig meine Meinung zu sagen,« erwiderte Harthausen.

»Redet!«

»Wenn Flemming auch nicht gerade ein Anderer geworden ist, so hegt er doch gewiß heute freundlichere Gesinnungen für Euch als früher; es schien mir sogar, als wäre er durchaus nicht mehr gegen Euch eingenommen, werthe Gräfin. Man muß ihn in dieser günstigen Stimmung zu erhalten suchen. Wer weiß, was geschieht – am Hofe kann sich die Lage ja plötzlich wieder ändern. Es ist sicher nicht unmöglich, daß er noch genöthigt sein wird, Euere Bundesgenossenschaft zu suchen. Wenn Ihr dem König gegenüber ein kluges und wohlüberlegtes Verhalten einschlaget, so wird er Euch gewiß dafür Dank wissen. Man versetzt ihn jetzt unaufhörlich in Angst, indem man ihm von Eueren Racheplänen, Euerem aufgebrachten Benehmen, von den Pistolen, die Ihr bei Euch tragen sollt, erzählt. Euere Feinde haben natürlich nichts Besseres zu thun, als immer und immer wieder darauf zurückzukommen. Der König ist auf diese Weise dahin gebracht worden, sich zu fürchten, und die Dönhoff ist nicht minder besorgt um ihr Leben. So lange König August Euch also in diesem Zustand fortgesetzter Aufregung und finsteren Grolles weiß, wird er sich Euch sicherlich nicht wieder nähern. Das Beste, was Ihr thun könnt, ist: Euch ergeben und geduldig zu zeigen ... Ihr habt ja ein Beispiel an der Gräfin Königsmark. Durch ihre kluge und vorsichtige Haltung hat sie es verstanden, mit dem König in freundschaftlichen Beziehungen zu bleiben. Ebenso hat man der Teschen erlaubt, in Dresden zu verweilen, während die Esterle durch ihr ungeberdiges Benehmen und ihre Scandalmacherei es so weit brachte, daß man sie verbannen mußte.«

Frau von Cosel unterbrach ihn hier voll Unmuth.

»Wie könnt Ihr es wagen, mein Herr,« rief sie entrüstet aus, »mir solche Beispiele vorzuführen! Die Königsmark und die Esterle waren Maitressen des Königs – ich aber bin seine Frau. Vergleicht mich also nie mehr mit Jenen!«

Haxthausen wußte ihr hierauf keine Antwort zu geben und schwieg.

»Im Uebrigen,« fuhr die Gräfin fort, »habt Ihr Recht. Ich will niemanden weiter gegen mich aufbringen, ich will niemanden stören – ich will mich sanftmüthig und folgsam zeigen. Morgen werde ich abreisen, mein Herr!«

Schon war Haxthausen glücklich über das Resultat seiner Unterhandlungen, im Begriff, sich zurückzuziehen, als die Gräfin von neuem in helle Wuth ausbrach.

»Nein,« rief sie, mit den Füßen stampfend, »nein – niemals werden sie es wagen, mich zur Abreise zu zwingen. Der König selbst wird sich nicht unterfangen, dies zu thun ... Es kann nicht sein! Nein und nochmals nein!«

Aufs neue unternahm es Haxthausen mit dem Aufgebot all seiner Beredsamkeit, sie zu besänftigen. Sie ließ ihn gewähren. Kaum aber war es ihm anscheinend gelungen, sie von der Nothwendigkeit des Gehorsams gegenüber dem Wunsche des Königs zu überzeugen, als sie abermals in die heftigste Aufregung gerieth und nichts mehr davon hören wollte.

Drei- oder viermal wiederholte sich dies. Bald schien die Gräfin geneigt zu sein, nachzugeben, während sie gleich darauf in der entschiedensten Weise auf ihrer früheren Ansicht beharrte. Haxthausen, der es endlich müde wurde, immer wieder von vorne anzufangen, schickte sich an, sich zu empfehlen, nachdem er ihr zuvor nochmals die Nothwendigkeit ihrer Entfernung von Dresden dargelegt hatte.

»Ich werde nicht abreisen,« antwortete sie entschlossen. »Ich bleibe! Ich will doch sehen, ob man es wagen wird, mich mit Gewalt von hier zu vertreiben!«

»Ueberlegt Euch das wohl, Frau Gräfin!« wagte der Abgesandte nochmals einzuwenden. »Bei allem, was Euch theuer ist, beschwöre ich Euch, fasset diesen Entschluß nicht ... Was soll ich Flemming für eine Antwort bringen?« fragte Haxthausen nach einer Weile die Gräfin.

»Sagt ihm, daß ich mich weigere, abzureisen!«

Der Baron hatte nun nichts mehr hier zu thun. Er verfügte sich sofort zu dem General Flemming und setzte ihn von dem gänzlichen Mißerfolg seiner Mission in Kenntniß.

Dem General war es sehr unangenehm, daß es ihm nicht gelungen war, in gütlicher Weise seinen Zweck zu erreichen. Die Sache war eine recht schwierige; er konnte sich nicht so ohneweiters dazu entschließen, zu den äußersten Mitteln zu greifen, und bat deshalb Haxthausen, noch einen Versuch zu unternehmen, die Gräfin von ihrem Starrsinn abzubringen.

Der Baron hatte eine Schwester, Namens Emilie, ein ernstes und sehr sanftmüthiges Geschöpf, welche bei ihm wohnte. Er entschloß sich, sie als Succurs mitzunehmen, um vereint alles aufzubieten, die Gräfin umzustimmen. Beide begaben sich in die Morizstraße und suchten der Cosel mehrere Stunden hindurch mit allen Mitteln der Ueberredung begreiflich zu machen, daß sie sich nur schaden könne, wenn sie den Wünschen des Königs sich widersetze und daß Nachgiebigkeit das sicherste Mittel wäre, sich bei ihm wieder in Gunst zu setzen – aber alles blieb vergeblich. Bald ließ sie sich überzeugen und versprach, abzureisen, bald loderte ihr Unmuth von neuem wieder auf und sie weigerte sich in der heftigsten Weise, zu gehorchen. Es war ersichtlich, daß sie selbst ganz und gar unschlüssig war, was sie thun solle und was zu ihrem Nutzen sein könnte.

Nachdem Flemming vernommen hatte, daß die Gräfin unbedingt die freiwillige Abreise ablehne, gewährte er ihr noch zwei Tage Bedenkzeit. Am dritten Tage verfügte er sich selbst zu ihr.

Als er aber bei Frau von Cosel eintrat, fand er sie ganz schwarz gekleidet, die Augen vom Weinen geröthet, aber immer noch wie ehedem in stolzer und selbstbewußter Haltung.

Flemming trat ihr mit der Artigkeit des vollendeten Hofmannes und der unerschütterlichen Ruhe des gewiegten Diplomaten entgegen.

»Frau Gräfin,« begann Flemming, »Ihr versetzet mich da in die unangenehmste und peinlichste Lage. Wohl wissend, daß Ihr mich als Eueren Feind betrachtet, habe ich mir umsomehr Mühe gegeben, Euch Unannehmlichkeiten zu ersparen – ich habe mit der Ausführung der Befehle Seiner Majestät so lange als möglich gezögert und habe Euch neuerdings zwei Tage Frist gegeben, verehrte Gräfin. Da auch diese nun verstrichen sind, gebietet mir meine Pflicht, Euch den Brief zur Einsicht zu unterbreiten, welcher die formellen Wünsche Seiner Majestät in diesem Falle enthält. Solltet Ihr, Madame, nachdem Ihr diesen Brief gelesen habt, immer noch auf Euerem Entschlusse verharren, Euch dem Willen des Königs nicht zu unterwerfen, so müßtet Ihr mir verzeihen, wenn ich die geeigneten Maßregeln zu ergreifen mich gezwungen sähe, um dem Gebot Seiner Majestät Geltung zu verschaffen, und Ihr könntet mir gewiß die Anerkennung nicht versagen, daß ich nach Kräften bemüht war, Euch alle Widerwärtigkeiten zu ersparen ... Hier ist der Befehl Seiner Majestät, Frau Gräfin. Der König befindet sich auf dem Wege nach Dresden und erwünscht, daß Ihr die Residenz verlasset.«

Als die Gräfin, welche am Fenster stand, einen Blick in die Straße warf, bemerkte sie, daß das Haus von einer Compagnie Trabanten umstellt war. Ein jäher Blitz schoß bei dieser Wahrnehmung aus ihren schwarzen Augen; indessen unterdrückte sie rasch ihre Aufwallung.

Sie nahm den Brief, durchflog ihn rasch und gab ihn dann dem General mit einer leichten Neigung des Kopfes und den Worten zurück:

»Ich werde sofort abreisen, mein Herr, ich gebe Euch mein Wort darauf.«

Flemming nahm den Brief des Königs zurück, verwahrte ihn in seinem Portefeuille, machte dann eine tiefe Verbeugung und entfernte sich, gefolgt von den Trabanten.

Eine Stunde später befand sich Gräfin Cosel, ganz in Thränen aufgelöst und tief in die Polster ihres Wagens gedrückt, auf dem Wege nach Pillnitz.

Dies alles ereignete sich, bevor der König Warschau verlassen hatte. So leichtsinnig und jedes tieferen Gefühles bar August auch war, fühlte er doch, daß er mit einer Frau, zu der er viele Jahre in so intimen Beziehungen gestanden und welche sich nichts hatte zu Schulden kommen lassen, nicht brechen könne, ohne gewisse Rücksichten ihr gegenüber walten zu lassen. Es ärgerte ihn nicht wenig, daß er ihr gar nichts vorwerfen konnte und daß es ihm unmöglich war, auch nur den geringsten Vorwand zur Rechtfertigung seines Verhaltens und zur Herbeiführung des völligen Bruches aufzufinden.

Wie man weiß, hatte Löwendahl mit seiner Mission einen schlechten Erfolg gehabt – seine Liebeserklärung war sehr ungnädig ausgenommen worden. Um indessen das zarte Gewissen des Königs beschwichtigen zu können, beschloß man, sich noch einmal desselben Mittels zu bedienen, und man suchte sich zu diesem Behufe zwei andere Höflinge aus: Watzdorf und van Tinen. Dieser Letztere war bei August sehr schlecht angeschrieben, trotzdem er sich immer als treu erwiesen hatte. Watzdorf war dem König nur wenig sympathischer. August hatte ihm den Spitznamen aufgebracht: »Der Bauer von Mannsfeld.«

Watzdorf war in der That ein plumper, roher Mensch. Er besaß gerade nicht besonders großen Einfluß bei Hofe, jedoch wurde er von Flemming gehalten, der ihm seine specielle Protection angedeihen ließ. – Eines schönen Tages nun, da die Gräfin eher an alles Andere als an einen solchen Besuch dachte, traf Watzdorf plötzlich in Pillnitz ein.

Die einzige Entschuldigung, die man etwa dafür vorzubringen vermöchte, daß er in einer allen Anstand verletzenden geräuschvollen Weise bei einer Frau eindrang, ohne daß er sich ganz bewußt gewesen wäre, wie sehr er sie beleidigte, ist, daß er total betrunken war. Die Fahrt von Dresden nach Pillnitz hatte die Geister des Weines, dem er vor seiner Abreise im Uebermaß zugesprochen, noch immer nicht zu bannen vermocht. Da er von Flemming besondere Instructionen bezüglich der Gräfin erhalten hatte, bildete er sich ein, daß das Schicksal dieser unglücklichen Frau nur von ihm abhänge und daß er sich in Folge dessen alles erlauben könne.

An der Art und Weise, wie er sich der Gräfin präsentirte, ohne sich vorher anmelden zu lassen, erkannte sie sofort den »Bauern von Mannsfeld.«

»Liebe Gräfin,« begann er schon auf der Schwelle des Zimmers, in dem sich Anna eben aufhielt, mit einem zudringlichen Lächeln, »ich komme im Namen und Auftrag des Königs. Seine Majestät, der es ja gar nicht nöthig hätte, Euch irgend eine Rücksicht weiter angedeihen zu lassen, oder mit Euch irgendwie in Berührung zu treten, wünscht als Euer gnädiger König und Herr in einverständlicher und friedlicher Weise die Trennung von Euch durchzuführen ... Habt Ihr gehört, was ich Euch eben mitgetheilt?«

»Ich habe es gehört,« antwortete die Gräfin in stolzester Haltung, »allein ich verstehe keine Silbe davon.«

Ohne sich durch den drohenden Ton, in dem diese Worte gesprochen wurden, im Mindesten beirren zu lassen, näherte sich Watzdorf der Gräfin.

»Wahrhaftig,« rief er aus, »immer schöner, immer reizender!«

Bei diesen Worten ergriff er die Hand der Gräfin und neigte den Kopf, wie wenn er dieselbe küssen wollte, sich aber plötzlich eines Anderen besinnend, machte er rasch eine Bewegung, um sie zu umarmen und auf die Wange zu küssen. Allein bevor er noch Zeit hatte, seinem Vorhaben die That folgen zu lassen, trat Anna, welche seine Absicht errieth, einen Schritt zurück, holte aus und ertheilte ihm nach ihrem gewohnten Recept eine kräftige, lautschallende Ohrfeige.

Watzdorf blieb einen Augenblick ganz fassungslos.

»Ah!« rief er endlich betroffen aus.

»Ja, das war von mir!« erwiderte die Gräfin darauf. »Der König sollte doch schon wissen, daß es durchaus nicht räthlich ist, Leute von Euerem Gelichter als Boten zu mir zu schicken.«

Weit entfernt, sich durch dieses Vorkommniß von seinem Vorhaben abbringen zu lassen, rieb sich Watzdorf die Wange mit schmerzlichem Lächeln und stellte dann ruhig seinen Hut auf einen Schrank.

»Vergessen wir das,« sagte er; »ich bin durchaus nicht rachsüchtig. Uebrigens ist ein Schlag von so schöner Hand weit eher geeignet, den Empfänger zu ehren, als ihn zu beschimpfen.«

Der »Bauer von Mannsfeld« blieb demgemäß, ja er speiste später sogar mit der Gräfin. Er bot alles auf, was in seinen Kräften stand, um seine Mission in erfolgreicher Weise durchzuführen – aber er that dies in der aller ungeschicktesten Art. Er entrollte die herrlichsten Perspectiven vor ihren Augen, er machte ihr die glänzendsten Anerbietungen und legte ihr endlich rückhaltslos sein Herz zu Füßen. Die Gräfin lachte ihm darauf einfach ins Gesicht.

So mußte der arme Watzdorf unverrichteter Dinge von dannen ziehen. Er war darüber untröstlich.

Anna dachte zuerst daran, an den König zu schreiben und ihm das Benehmen Löwendahl's und Watzdorf's mitzutheilen; man redete ihr das jedoch aus. Namentlich gegen Watzdorf war es nicht gerathen, etwas zu unternehmen; hatte er doch das Departement der Finanzen und war stets darauf bedacht, den Staatsschatz zu füllen.

Nach dem »Bauern von Mannsfeld« schickte man van Tinen zur Cosel. Man erzählte sich am Hofe, daß er leidenschaftlich in die Gräfin verliebt sei und daß diese sich seine Huldigungen stillschweigend gefallen ließe. Allein der König konnte diesen Edelmann durchaus nicht leiden, da er sich schon öfter herausgenommen hatte, ihm Rathschläge ertheilen zu wollen, und nicht übel geneigt schien, den Mentor bei ihm zu spielen. Er hatte durch dieses sein zudringliches Benehmen eines Abends August dermaßen in Zorn versetzt, daß er ihn beinahe mit eigenen Händen, oder vielmehr mit den Füßen, getödtet hätte. Vitzthum, der den König und sein Temperament durch und durch kannte und ganz genau wußte, wer sich seiner Gunst erfreute und wer nicht, hatte an jenem Abend van Tinen, dem er auf der Schwelle des Saales begegnete, wo der König sich eben mit einer Anzahl seiner Kumpane nach sehr ausgiebigen Libationen amusirte, dringend davon abgerathen, sich vor August blicken zu lassen.

»Der König ist Dir nicht gewogen,« hatte Vitzthum ihm gesagt, »warum treibst Du Dich denn immer in seiner Nähe herum? Lass' ihn in Ruhe!«

Van Tinen aber hatte diesen gutgemeinten Rath nicht befolgt – er war eingetreten. Bei seinem Anblick runzelte der König finster die Stirne. Trotzdem wagte es van Tinen, immer kühner werdend, das Wort an ihn zu richten; allein August kehrte ihm den Rücken und ließ ihn ohne Antwort stehen. Ohne sich hierdurch abweisen zu lassen, stellte sich van Tinen durch eine rasche Wendung dem König gegenüber, der überrascht von solcher Hartnäckigkeit, ihn mit einem durchdringenden Blicke vom Kopfe bis zu den Füßen maß. Die anwesenden Höflinge, welche Zeugen dieser Scene waren und ein unheimliches Feuer aus den Augen des starken August sprühen sahen, machten vergeblich den Unvorsichtigen durch Zeichen auf die Gefahr aufmerksam, der er sich aussetzte, ja die er geradezu heraufbeschwören zu wollen schien.

Der König ließ den Zudringlichen eine geraume Weile fortschwatzen, ohne ihn zu unterbrechen; als er endlich seinerseits zu sprechen beginnen wollte, schnitt ihm van Tinen kurzweg das Wort ab. Von neuem wollte der König zu sprechen beginnen und zum zweitenmale unterbrach ihn der lästige Schwätzer. Nun aber machte August, den der Zorn übermannte und der in diesem Augenblicke das Aussehen eines wuthschnaubenden Tigers hatte, plötzlich zwei Schritte gegen den Unverschämten zu; dieser zog sich zurück, der König folgte ihm, und dieses Verfolgen und Fliehen dauerte so lange, bis van Tinen, der inzwischen leichenblaß geworden war, sich, ohne einen Ausweg finden zu können, in eine Ecke des Zimmers gedrängt sah. Nun erfaßte ihn der König am Halse, warf ihn heftig zu Boden und trat ihn, vor Raserei kaum wissend, was er that, derart mit den Füßen, daß die Diener, welche herbeiliefen, um den Unglücklichen aufzuheben, nur mehr einen halb zerquetschten und fast ganz leblosen Körper fanden. Er wurde rasch fortgeschafft, um ihn den Augen des Königs zu entziehen. Man brachte ihn zu Bette und holte Aerzte herbei. Wenig hatte gefehlt und der unkluge Mann hätte sein thörichtes Beginnen mit dem Leben büßen müssen ...

Da Herr van Tinen bei der Gräfin Cosel ebenso wenig wie seine Vorgänger einen Erfolg zu erzielen vermochte und ihre Feinde nicht im Stande waren, irgend eine Thatsache aufzubringen, die sie in die Lage versetzt hätte, die vielgehaßte Frau zu compromittiren, verfiel man endlich darauf, auszusprengen, daß die Gräfin insgeheim mit dem Bruder des ausgewiesenen Lechereine intime Beziehungen unterhalten habe. Man trug dafür Sorge, daß dem König diese Verleumdung zu Ohren kam. Dann wurden Nachforschungen nach Lechereine angestellt, man trat, nachdem man ihn aufgefunden, in Unterhandlungen mit ihm ein und machte ihm alle möglichen Versprechungen, damit er sich dazu hergebe, zu Ungunsten des Rufes der gehetzten Frau auszusagen. Indessen blieben alle diese Anstrengungen erfolglos, da Lechereine, ein durchaus ehrenhafter Charakter, es mit Entrüstung zurückwies, seine Hand zu diesem schmählichen Complot zu bieten.

Das war natürlich den Gegnern der Gräfin höchst unangenehm. Sie wünschten um jeden Preis noch vor der Ankunft des Königs irgend einen Anklagepunkt gegen sie aufzutreiben, um einen plausiblen Vorwand zur weiteren Verfolgung der gefallenen Favorite zu haben ...

Eines Tages lief in Dresden die Nachricht ein, Gräfin Cosel sei aus Pillnitz verschwunden. Sie befand sich in der That auf dem Wege nach Warschau. Die Verfolgungen und Beleidigungen, denen sie ununterbrochen ausgesetzt war und die sie in steter Aufregung erhielten, hatten den Entschluß in ihr gereift, sich selbst zum König zu begeben, um der Sache ein Ende zu machen.

Auf die Meldung davon wurde in aller Eile ein Courier an die Marschallin Bielinska abgeschickt.

Sofort nach Einlangen der Depesche wurde im Bielinski'schen Hause Familienrath abgehalten. Alle waren in der lebhaftesten Bestürzung. Die Ankunft der Cosel konnte ja der ganzen, so geschickt eingeleiteten und gespielten Komödie ein sehr unangenehmes Ende bereiten.

Der König war ganz in den Netzen dieser Intriguenkünstlerinnen verstrickt. Sie schickten sich an, eine kleine Scene für ihn vorzubereiten.

Zu der Stunde, da August gewöhnlich Frau von Dönhoff zu besuchen pflegte, saß die schöne Kokette ganz schwarz gekleidet und mit aufgelösten Haaren auf einem Ruhebette. In der Hand hielt sie ein Taschentuch, dazu bestimmt, nicht vorhandene Thränen abzutrocknen. Kummer und Verzweiflung sprachen aus ihrem starr auf die Wand gehefteten Blicke. Ihre Mutter und ihre Schwester, Frau von Potzki, hatten diese Stellung sehr schön und effectvoll befunden.

Als August ins Zimmer trat, schien sie seine Anwesenheit gar nicht zu bemerken. Sie verharrte in ihrem düsteren Brüten.

»Was fehlt Euch, meine schöne Marie?« fragte der König theilnahmsvoll, indem er näher trat.

Frau von Dönhoff begann laut zu schluchzen und verhüllte ihre – übrigens ganz trockenen – Augen mit ihrem Spitzentuche. Voll Mitleid bedeckte August ihre Hände mit Küssen und bat sie eindringlich, ihm die Veranlassung ihres Kummers mitzutheilen.

»Sire,« erwiderte Frau von Dönhoff pathetisch, »mein Leben ist in Gefahr! O, ich werde das nicht überstehen! Der Tod könnte mich übrigens nicht so sehr schrecken, wenn ich wenigstens die Gewißheit mit mir ins Grab nehmen würde, daß Ihr mich liebt. Aber ach, man will mir nicht nur das Leben nehmen, man will mir auch Euer Herz entreißen! ... Die Gräfin Cosel befindet sich auf dem Wege nach Warschau, ja, sie ist möglicherweise schon hier eingetroffen ... Ich bin verloren, und Ihr kommt ohne Zweifel, Sire, um mir anzuzeigen, daß ich den Platz an Euerem Herzen meiner Rivalin zu räumen habe ...«

»Welch böse Grillen fangt Ihr da, meine Theuere!« unterbrach sie der König. »Wie kommt Ihr zu solchem Verdachte? Habe ich jemals in irgend einer Weise unaufrichtig gegen Euch gehandelt? Nein, seid unbesorgt, die Bande, welche uns verknüpfen, sind unauflöslich. Euer liebenswürdiger Charakter, Euere Güte und Sanftmuth sind die sicherste Bürgschaft, daß keine Cosel im Stande ist, Euch bei mir irgendwie zu schaden.«

»O, mein Herr und Gebieter!« rief die schöne Heuchlerin, »gebe Gott, daß Ihr die Wahrheit sprechet und daß die innige Liebe, welche ich für Euch hege, treue und aufrichtige Gegenliebe finde! Nun hat der Tod keine Schrecken mehr für mich, allein Euch zu verlieren, wäre fürchterlicher als sterben! Eher möge man mir das Leben nehmen, als mir das Glück rauben, das mir erst einen Augenblick gelächelt hat. O, mein König, wenn Ihr mir jemals Euere Liebe entziehen wolltet, so nehmet zugleich auch mein Leben!«

»Es wäre gewiß sehr unedel von mir, liebe Marie,« antwortete August, »wenn ich so süße Worte mit Undank lohnen wollte!«

»Nehmet meinen Dank, Sire; Ihr flößet meinem armen Herzen wieder Hoffnung ein. Indessen bin ich doch durchaus noch nicht ganz beruhigt. Schon der Gedanke an die Gräfin Cosel erfüllt mich mit Entsetzen ... Ihr werdet sie sehen, sie wird sich von neuem Eueres Herzens bemächtigen, Sire ... Habt Ihr sie doch so lange geliebt!«

»Aber warum ängstiget Ihr Euch denn so unnöthigerweise, meine Liebe!« unterbrach sie hier der König etwas ungeduldig. »Was soll ich denn noch thun, um Euch ganz zu beruhigen? Lasset diese Cosel nur immer kommen – Euer Triumph wird nur um so größer sein!«

»Nein, nein!« rief Frau von Dönhoff entrüstet, »wenn die Cosel hierher kommt, verlasse ich Warschau. Ich kenne sie. Diese Frau ist zu allem fähig!«

Marie hustete mehrmals. Die Marschallin, welche an der Thür horchte und auf dieses verabredete Zeichen wartete, erschien nun plötzlich unter der Thür. Als sie des Königs ansichtig wurde, heuchelte sie großes Erstaunen, als hätte sie von seiner Anwesenheit bei ihrer Tochter nichts gewußt, und that, als wolle sie sich schleunigst wieder zurückziehen.

»Ich bin sehr erfreut, Euch zu sehen, Madame,« rief der König ihr zu, sie zum Bleiben einladend. »Kommt doch und helft mir gefälligst Euere Tochter wieder zu besänftigen, sie quält mich durch ungerechtfertigten Verdacht und Zweifel in meine Aufrichtigkeit.«

»Um was handelt es sich denn, Sire?« fragte die Angeredete, indem sie die Ueberraschte spielte. »In der Liebe sind ja Zweifel und Eifersucht der beste Beweis für eine recht lebhafte Zuneigung. Ihr werdet Euch doch nicht dadurch gekränkt fühlen, Sire?«

»Hört mich an, Madame.«

August erzählte nun der Mutter seiner Geliebten, was sich eben zugetragen hatte. Die Marschallin hielt während seiner Erzählung ihre forschenden Blicke abwechselnd bald auf den König, bald auf ihre Tochter gerichtet, dabei nicht geringe Beunruhigung heuchelnd.

»Entschuldigt, königlicher Herr,« sagte sie, sobald der König geendet hatte, »aber das Verhalten meiner Tochter überrascht mich durchaus nicht. Jedermann kennt ja den überaus heftigen und jähzornigen Charakter der Frau von Cosel. Man kann ihre Drohungen nicht so leicht nehmen – ließ sie sich doch von ihrer Nachsucht so weit hinreißen, Euere Majestät selbst zu bedrohen.«

»Nun,« unterbrach sie August, »was ist da zu thun? Wollt Ihr, daß ich, um Marie zu beruhigen, den Befehl ertheile, Frau von Cosel unterwegs anzuhalten und sie zur Rückreise zu nöthigen?«

Bei diesen Worten rief Frau von Bielinska mit dem Ausdruck der lebhaftesten Dankbarkeit: »Ach, meine liebe Marie, wie sehr kannst Du Dich glücklich schätzen, in Seiner Majestät einen so treuen Beschützer gefunden zu haben, der so eifersüchtig über Deine Ruhe und Sicherheit wacht!« Nach diesem Freudenerguß fuhr sie, sich an den König wendend, fort: »Sire, verzeiht mir, wenn ich mir die Freiheit nehme, Euch einen guten Rath zu geben. Es ist zu befürchten, daß die Gräfin, kühn gemacht durch die Nachsicht und Huld, welche Euere Majestät ihr bisher in so reichem Maße angedeihen ließet, sich weigert, derjenigen Persönlichkeit, welche Ihr an sie abschicken wollt, Folge zu leisten; ich glaube, daß es nothwendig sein wird, einige ganz verläßliche Personen damit zu betrauen, welche für den Fall ...«

August, den die Sache schon etwas zu langweilen begann, ließ die Marschallin nicht ausreden und sagte nachdrücklich: »Handelt, wie Ihr es für gut findet, Madame, ich gebe Euch in dieser Angelegenheit Carte blanche.«

Die Marschallin ließ sich das natürlich nicht zweimal sagen. Die beiden Frauen fielen dem König zu Füßen und erschöpften sich in Dankesbetheuerungen, worauf Frau von Bielinska sich triumphirend zurückzog.

Die vorsorgliche Mutter Marien's hatte schon Jemanden ins Auge gefaßt, auf den sie zählen konnte, um diese Angelegenheit in erwünschter Weise durchzuführen. Es war dies ein gewisser Herr von Montargon, ein Franzose von Geburt, welcher mit dem Fürsten Polignac nach Polen gekommen war. Die Bielinski hatten ihm die Stelle eines Kammerherrn am Hofe August's des Starken verschafft. Ueber die Beziehungen dieses Mannes zu der Familie Bielinski waren verschiedene Gerüchte in Umlauf ... Kurz, Montargon war bald zur Stelle gebracht. Der König fertigte ihm nun die formelle Ordre aus, die Gräfin Cosel zu veranlassen, daß sie ihre Reise aufgebe und sofort umkehre.

»Und wenn die Gräfin sich weigern sollte, den Befehlen Euerer Majestät sich zu fügen?« fragte der Franzose.

Der König überlegte einige Augenblicke. Man sah es ihm an, daß die Entscheidung, welche er zu treffen im Begriffe stand, ihn große Ueberwindung kostete.

»Der Untercommandant meiner Gardereiter, La Haye, wird Euch mit sechs Mann begleiten,« antwortete er dann auf die Frage Montargon's, »ich denke, das wird wohl genügen.«

Ohne Zeitverlust ließ man sodann La Haye herbeirufen, der die nämlichen Befehle wie Montargon aus dem Munde des Königs entgegennahm, und in derselben Nacht noch verließ die durch die Reise einer wehrlosen Frau veranlaßte bewaffnete Expedition Warschau.

Es ist wohl überflüssig, hier noch des Weiteren von den zärtlichen Dankesbezeigungen der Frau von Dönhoff oder von der Freude zu erzählen, die sich der ganzen Familie Bielinski angesichts des eclatanten Sieges, den Marie über ihre Rivalin errungen, bemächtigt hatte.


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