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Am Dresdener Hof fehlte es damals weder an Lustbarkeiten noch an lustigen Leuten. Die guten Sachsen beseelte kein anderer Wunsch als der, ihren König zu trösten und zu unterhalten.
Jeden Morgen ritt ein gar seltsamer Mann durch das Viertel der alten Stadt nach dem königlichen Schlosse, der sowohl den Ministern und Höflingen als den Gassenjungen wohlbekannt war. Es war der Narr und Possenreißer am Hofe zu Dresden. Er hieß Josef Fröhlich und legte sich selbst den Titel eines »Großmeisters der Hofnarretei« bei. In einem Anfluge guter Laune hatte einmal König August zu Ehren des Meisters Josef Fröhlich eine Denkmünze prägen lassen, welche die folgende deutsch-lateinische Inschrift trug: » Semper Fröhlich nunquam Traurig.« Fröhlich erfüllte in der That die ihm obliegenden Pflichten mit größter Gewissenhaftigkeit; er war vom frühen Morgen bis zum späten Abend heiter und brachte alle Welt zum Lachen.
Wenn er des Morgens sein Haus, das sogenannte »Narrenhaus«, verließ, trug er eine so drollige Tracht, daß die übellaunigsten, betrübtesten Menschen bei seinem Anblick unwillkürlich lächeln mußten. Fröhlich war klein und kugelrund und hatte ein feuerrothes Gesicht; sein Costüm bestand aber aus kurzen, auffälligen Beinkleidern, einer possirlichen Hanswurstjacke, deren Farbe und Schnitt, dank den neunundneunzig Hanswurstjacken, die ihm August hatte machen lassen, jeden Tag verschieden war, einen malerischen Hut mit langer, wallender Feder und einem wunderlichen Gegenstand, der auf seinem Rücken hing, die Form eines Kammerherrnschlüssels hatte und als Trinkhorn gebraucht werden konnte. Dieser schlüsselgleiche Becher, der sechzig Unzen wog, war ein Geschenk des Königs und mußte dem Hofnarren bei den königlichen Orgien als Trinkgefäß dienen.
Fröhlich wäre durch die Einförmigkeit seiner Possen gewiß auf die Dauer langweilig geworden, wenn er in einem gewissen Baron Schmiedel, einem Kammercourier des Hofes, nicht sein Gegenstück gefunden hätte. Dieser Schmiedel spielte den Melancholischen und war Fröhlich's ewiger Widersacher. Wie Heraklit und Demokrit geriethen zur Belustigung des Königs und des Hofes die Beiden immer in Streit. Wenn aber ihr Repertoire von Witzen, Possen, Fratzen und Pantomimen erschöpft war, so rauften sie zur Unterhaltung der Zuschauer miteinander.
Am Hofe zu Dresden befanden sich übrigens zur Aushilfe noch andere Lustigmacher, die jedoch auf einer niedrigeren Rangstufe als die beiden Genannten standen. Von ihnen wollen wir nennen: Saumagen, Leppert aus Leipzig, den berühmten Riesen Cojanus, zwölf Paar Zwerge, die unter dem Befehle der beliebten Hof- und Leibzwerge Hante und Tramm standen; ferner Neger und Albinos in großer Anzahl. Alle diese Leute und noch viele Andere hatten die Aufgabe, den König in seinen Mußestunden zu zerstreuen und zu erheitern. Auch Kyau, der geistreiche Kyau, mit welchem der Leser beim königlichen Gelage Bekanntschaft gemacht, war im Grunde doch nur ein Lustigmacher. Wie Viele spielten damals am Hofe diese Rolle, ohne es zu wissen!
Meister Fröhlich war bei aller Lustigkeit doch ein ganz kluger Mann. Seine Scherze trugen, zu seinem Lobe sei es gesagt, nie den Stempel der Bosheit. Er vergrößerte in aller Stille sein Vermögen, führte ein schlichtes, bescheidenes Leben und lachte im Stillen über die Leute, die über seine Possen laut zu lachen pflegten und von denen sich so Viele die Flügel verbrannten, während er die seinen bis auf diesen Tag unversehrt zu bewahren gewußt hatte.
Er ging, wie gesagt, jeden Morgen aus, um nach Hofe zu reiten, und kehrte meistens erst spät in der Nacht nach Hause zurück. Selten geschah es, daß Jemand an dem Thore des »Narrenhauses« klopfte und Einlaß begehrte. Fräulein Lotte, des Hofnarren alte Beschließerin, war daher nicht wenig verwundert, als an einem schönen Herbstmorgen bei Anbruch des Tages an die Hausthür gepocht wurde.
Bei diesem ungewohnten Tone spitzte Meister Fröhlich, der noch nicht ganz angekleidet war, die Ohren. Er vermuthete, daß der König, der bis zum Morgen gezecht hatte, ihn durch einen Eilboten zu sich rufen lasse. Derselben Meinung war auch Fräulein Lotte, die durch das Schiebfensterchen der Hausthür einen Jüngling wahrgenommen, dessen Kleidung ihn als einen Edelmann vom Hofe kennzeichnete. Nachdem sie ihn mit forschendem Blick vom Kopf bis zu den Füßen betrachtet hatte, fragte sie ihn nach seinem Begehr.
»Ich wünschte Meister Fröhlich zu sprechen,« lautete die Antwort.
»Kommt Ihr im Auftrage des Königs?«
Der Unbekannte schwieg.
Man war damals an geheimnißvolle Abenteuer und heimliche Botschaften so gewohnt, daß die alte Beschließerin sich keine weitere Frage zu stellen erlaubte, sondern den Jüngling unverzüglich zu der Zimmerthür ihres Herrn geleitete, der im Begriffe war, mit der größten Sorgfalt seine officielle Toilette zu beenden.
Ein Besuch oder das Erscheinen eines Boten war für Fröhlich etwas so Ungewohntes, daß er sich bei dem Geräusch der ausgehenden Thür mit unverkennbarer Neugier gegen dieselbe wandte, um sich alsdann dem Eintretenden mit tiefen Bücklingen zu nähern.
»Womit kann ich Euer Excellenz dienen?« fragte Fröhlich, sich bis zur Erde neigend.
Der Besuch hatte nicht das Aussehen einer den Titel »Excellenz« tragenden Persönlichkeit. Es war ein blasser, armselig aussehender junger Mensch, der, an der Schwelle stehen bleibend, seinen Hut in sichtlicher Verlegenheit in den Händen drehte.
»Ich beschwöre Euch, spottet meiner nicht, Meister Fröhlich,« bat der Fremde in schüchternem Tone. »Ich bin ohnedies schon elend genug. Wenn in diesem Raum eine Excellenz weilt, so seid Ihr dieselbe, nicht ich.«
»Was habt Ihr gesagt?« Fröhlich glaubte, er habe nicht recht gehört. »Ich, eine Excellenz? ... Sollte Euch der König zu mir geschickt haben, um mich zum Besten ...«
»Niemand sendet mich hierher,« unterbrach der Jüngling den Hofnarren mit trauriger Stimme. »Ich komme von selbst, um Euch zu ersuchen, mir Audienz ...«
»Ich soll eine Audienz ertheilen, ich?« rief lachend der Gaukler. »Donnerwetter, das ist etwas neues! Bin ich denn wach? Oder sollte ich etwa über Nacht zum Minister ernannt worden sein? ... Warum nicht? Bei uns ist alles möglich! Die Minister fressen sich gegenseitig auf, bald wird es keinen mehr geben, und wir, Ihr und ich, haben dann Aussicht, die höchsten Würdenträger des Reiches zu werden. Ich füge mich drein! Nur erbitte ich mir das Finanz- und Accisenressort.«
Fröhlich's Lustigkeit vermochte des Fremden umwölkte Stirne nicht aufzuheitern.
»Da Ihr eine Audienz wünscht,« fuhr der Hofnarr mit komischem Ernste fort, »will ich sie Euch gewähren. Redet! Wir sind allein, Lotte ist mit der Zubereitung des Frühstücks beschäftigt, der Hausknecht striegelt mein Roß, niemand wird uns stören. Fanget an, ich werde aufmerksam zuhören.«
Er hatte sich während dieser Worte in einem Lehnstuhl nachlässig ausgestreckt, ein Bein über das andere geschlagen und dasselbe in eine pendelartige Bewegung gesetzt, um einen hohen, einen Bittsteller empfangenden Würdenträger nachzuahmen.
Der Fremde trat in die Mitte des Zimmers, ohne seine ernste, traurige Miene zu verändern.
»Mein Anliegen, Meister Fröhlich,« begann er, »ist von Wichtigkeit ...«
»Dann wendet Ihr Euch an den Unrechten, mein Bester!«
»O nein, Ihr seid mir wohl bekannt. Ich sehe Euch täglich bei Hofe und habe längst in Euerem Gesichte gelesen, daß Ihr ein braver Mann seid.«
»Paperlapapp! Wollt Ihr mich anpumpen? Daraus wird nichts, mein Werthester. Alles theile ich mit vollen Händen aus: Grüße, Rathschläge, Witze, mit Einem Worte, alles, was Ihr wollt, aber nur kein Geld. Erstens bin ich arm wie ein Bettler. Hat doch selbst der König kein Geld, wie könnte ich welches ...«
Der Jüngling unterbrach ihn: »Aber ich denke ja nicht daran, von Euch Geld zu entlehnen!«
»So!« rief Fröhlich, erleichtert aufathmend. »Was zum Teufel wollt Ihr denn? Wollt Ihr irgend ein Kunststückchen von mir erlernen? Wollt Ihr wissen, wie man hundertundfünfzig Ellen Band aus einem Ei hervorzieht?«
»Auch das will ich nicht,« erwiderte der Fremde.
»Ihr bewerbt Euch doch nicht um meine Protection?«
»Warum nicht? Ich habe keinen Gönner!«
»Und wer keinen Gönner hat, bewirbt sich auch um die Gunst eines Hofnarren!« lachte der Alte. »Warum aber wendet Ihr Euch nicht an Schmiedel? Kreuzsakerlot! Der ist Baron und Kammercourier, der kann eher Rath schaffen. Aus Euerem Anzuge ersehe ich, daß Ihr dem Hofe angehört, Euerer Aussprache nach seid Ihr ein Ausländer. Das nimmt mich nicht Wunder. Bald wird man ja eine Laterne nehmen müssen, um einen Sachsen am sächsischen Hofe zu finden. Doch lassen wir das. Sagt mir, wer Ihr seid!«
»Ich bin Pole und nenne mich Raimund Zaklika.«
»Ein Pole? Dann seid Ihr auch von Adel. Das ist selbstverständlich! Nehmt daher Platz, mein edler Herr. Ich aber werde mich erheben, denn ich bin bürgerlich.«
»Ich bitte Euch, scherzet nicht, Meister Fröhlich,« sagte Zaklika in stehendem Tone.
»Eher bisse ich mir die Zunge ab. Doch zur Sache! Meine Zeit ist werthvoll. Sagt mir also, edler Pole, was Euch fehlt. Seid Ihr krank? Ich bin kein Doctor.«
Der arme Zaklika, den der Spott des Gauklers außer Fassung gebracht, schwieg eine Weile, wie um sich zu sammeln. Endlich sagte er:
»Erlaubt mir, Euch meine Geschichte in aller Kürze mitzutheilen. Der Zufall oder ein Verhängniß hat mich an diesen Hof gefesselt. Ich war so glücklich-unglücklich, mich mit dem Könige messen zu dürfen, die Hufeisen, welche er zu zerstücken vermag, konnte ich auch zerbrechen, gleich ihm hieb ich einem Rosse ...«
»Ich kenne Euere Geschichte,« fiel Fröhlich ihm ins Wort, »und beneide Euch, aufrichtig gestanden, um Eueren Erfolg nicht. Wer war ... naiv genug, Euch den Rath zu ertheilen, Euere Kraft mit der August's des Starken zu messen? Es war doch sehr – welchen Ausdruck soll ich wählen? ... Gesteht selbst, es war doch ein sehr thörichter Einfall, solches zu wagen.«
Zaklika senkte das Haupt und sagte nach einer Weile:
»Seit ich am Hofe verweile, freut mich das Leben nicht mehr, ja es widert mich an. Jedermann meidet mich; ich bin allein inmitten der zahlreichsten Gesellschaft, habe keine Freunde, keinen Gönner ...«
Der Hofnarr unterbrach den Jüngling wiederum. »Wenn Ihr mich zu Euerem Freunde, zu Euerem Gönner machen wollt, so wäre dieser Einfall jenes anderen würdig, welcher Euch dazu verleitet hat, Hufeisen in zwei Stücke zu brechen. Glaubt mir, mein Bester, auch wenn ich die Kraft hätte, einen Amboß zu zermalmen, ich bräche nicht einmal einen Strohhalm entzwei, aus Furcht, ich möchte mir dadurch gefährliche Neider an den Hals schaffen. Meiner Treu, Ihr seid in ein schönes Fahrwasser gerathen!«
»Ich bin verloren,« murmelte Zaklika. »Es will mir niemand mehr wohl ...«
»Und Ihr seid obendrein noch ein Pole,« rief Fröhlich, »das ist gegenwärtig ein wahres Unglück! Wagt hier doch Keiner mehr in Gegenwart des Königs von Euerem Vaterlande zu reden. Um die Wahrheit zu sagen, ich möchte nicht in Eueren Kleidern stecken, Verehrtester.«
»Mir ist auch höchst unbehaglich zu Muthe,« versetzte Zaklika. »Doch ich dachte mir, Meister Fröhlich wird sich Deiner annehmen und da kam ich zu Euch!«
Fröhlich trat an den Jüngling heran, fühlte ihm mit dem einem Arzte eigenen Ernste den Puls und sagte bedenklich den Kopf schüttelnd:
»Ich fürchte, es ist bei Euch im Oberstübchen nicht alles richtig.«
»Das mag sein,« antwortete Zaklika.
»Werdet Ihr mir endlich sagen, was Ihr eigentlich wünscht?«
»Ich möchte fort von hier, das heißt vom Hofe,« versetzte der polnische Edelmann.
»Ist leicht zu bewerkstelligen! Spielt irgend einen dummen Streich und man wird Euch sofort auf dem Neumarkt einen schönen Galgen errichten, der Euch, ehe Ihr Euch's verseht, aus dieser Welt in eine andere befördert. Wollt Ihr Euere Sehnsucht auf diese Weise erfüllen?«
»In diesem Augenblick nicht,« lautete die Antwort.
»Gesetzt, Ihr hättet Eueren Abschied, was finget Ihr mit Euerer Freiheit an? Wollt Ihr zurück nach Polen, um Euch mit den Bären zu unterhalten?«
»Nein, ich bliebe in Dresden,« antwortete der Jüngling.
»Bah! Hat Euch denn irgend ein hübsches sächsisches Gesichtchen den Kopf verdreht?«
Zaklika erröthete.
»Nein,« sagte er. »Ich möchte mich beschäftigen ... könnte ich nicht Stunden in der Fecht- und Reitkunst geben?«
»Leidet Ihr denn bei Hofe Hunger?«
»Nein, dort ist Ueberfluß an allem.«
»Wird Euch Euer Gehalt nicht ausbezahlt?«
»O ja!«
»Nun, was fehlt Euch dann?«
Zaklika wurde verlegen. »Man giebt mir nichts zu thun,« stammelte er. »Ich bin bei Hofe nicht vonnöthen.«
»Mein lieber Zaklika, ich begreife Euch nicht. Ihr habt Euer gutes Auskommen und scheint von dem Wunsche beseelt zu sein, Noth zu leiden? ...«
»Was wollt Ihr, Meister, auch des Wohllebens kann man überdrüssig werden.«
»Wohl wahr, wohl wahr! ... Ich weiß aber noch immer nicht, was ich für Euch thun könnte.«
»Das sollt Ihr gleich vernehmen, Meister Fröhlich,« sprach der Pole. »Ich stehe immer neben der Thür unter den Hofleuten. Es bedürfte nur eines Wörtchens von Eueren Lippen, um des Königs Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Dem König, der oft wunderliche Launen hat, könnte ...«
»Könnte die Lust anwandeln, Euch aufhängen zu lassen,« fiel Fröhlich ein.
»Ihr würdet es nicht gestatten, Ihr würdet mich retten,« meinte Zaklika.
Meister Fröhlich schob seinen Hut etwas seitwärts, was ihm ein gar unternehmendes Aussehen gab, steckte die Hände in seine Taschen und durchmaß sein Zimmer mit langen Schritten.
»Donnerwetter!« rief er, »ich merke heute zum erstenmale, daß ich eine einflußreiche Persönlichkeit bin. Man kommt zu mir, um mich um Hilfe, um Protection anzuflehen! Junger Mann – für Euch will ich mich aus Dankbarkeit verwenden, denn Ihr habt mir die Augen geöffnet. Es heißt, Kyau werde zum Statthalter der Festung Königstein ernannt werden; wäre es da erstaunlich, wenn man mich zum Hofprediger oder gar zum Rath im Consistorium machte? Wahrlich, in mir regt sich der Ehrgeiz!« ... Hier warf sich der alte Mann in einen Lehnsessel und lachte hellauf ... »Hol' mich der Teufel, wenn die Welt nicht auf dem Kopfe steht! Das Scepter ist in den Händen der Narren, um deren Gunst sich polnische Edelleute bewerben, und die Schweden, diese Häringfresser, schlagen die Sachsen aufs Haupt!«
Nach diesen Worten schlug Fröhlich wiederholt in die Hände. In Folge dessen erschien Fräulein Lotte mit dem Frühstück ihres Herrn in der Thür. Dieser winkte Zaklika, er möge schweigen, und entließ ihn alsdann nach Art der Minister mit einer steifen Verbeugung.
Der junge Edelmann warf dem Hofnarren noch einen traurigen Blick zu und verließ, ohne ein Wort zu sprechen, das Zimmer.
Der Gedanke, nach der Gunst eines Hofnarren zu streben, war unstreitig ein seltsamer. Die Verzweiflung hatte Zaklika zu diesem Schritte vermocht. Das Hofleben langweilte ihn entsetzlich, die Statistenrolle, welche er spielte, kam ihm so verächtlich vor; er sehnte sich nach Beschäftigung, nach Arbeit, dabei beseelte ihn aber auch der Wunsch, sich dem Dienste der Frau von Cosel weihen zu dürfen, deren Anblick allein ihn hoch beglückte.
Die Neigung, welche Zaklika zu der Geliebten des Königs hegte, gehörte zu jenen Empfindungen, denen man nur mehr selten begegnet. Er hatte nur Einen Wunsch, und der bestand darin, die geliebte Frau zu sehen, wie ein Freund über sie zu wachen, ihr unsichtbarer Beschützer zu sein. Er sagte sich, daß sie als Freundin des Königs zahlreiche, erbitterte Feinde und Neider haben müsse, und so besorgt war er um ihre Wohlfahrt, daß er sich mit dem Plane trug, ihr Vertrauen zu gewinnen und ihr in selbstvergessener Opferwilligkeit sein Leben zu weihen.
Zaklika's Wesen war eigenthümlich. Hatte er sich im Anfang seinen Gefühlen auch willenlos hingegeben, so war er doch später mit männlichem Muthe bemüht gewesen, seine hoffnungslose Leidenschaft zu bekämpfen. Doch es gelang ihm nicht, die unselige Neigung zu der schönen Gräfin zu ersticken. Er sehnte sich nach den Zeiten zurück, da sie in Laubegast weilte, in jenem romantischen Parke, den er jetzt, wo er »seine Königin« nur mehr selten sah, als ein verlorenes Paradies betrachtete. Wenn sich Frau von Cosel auf ihr Pferd schwang, oder in ihre Carrosse stieg, um mit dem König einen Ausflug zu unternehmen, erblickte der verliebte Jüngling ihr Antlitz nur flüchtig. Im Theater durfte er sie stundenlang betrachten. Doch es wurde ihm nur selten verstattet, das Theater zu besuchen. Uebrigens erfüllte ihn nicht allein die Sehnsucht, sich an ihrem Anblick zu weiden, sondern, wie gesagt, auch die, ihr zu dienen, ihr von Nutzen zu sein. Das war das Ziel, welches Zaklika sich vorgesteckt hatte, und um es zu erreichen, wäre er vor keinem Opfer zurückgeschreckt, hätte er alle Hofnarren der Welt um ihre Protection gebeten, wäre er bereit gewesen, die schwersten Prüfungen und Demüthigungen zu erdulden.
Kein Wunder war es, daß dieser Jüngling eine Frau so heftig liebte, die als Ideal der Schönheit gelten konnte; was aber dem Leser nicht so natürlich erscheinen dürfte, ist, daß die stolze, gestrenge Gräfin, die reizende, glückliche Cosel, zu deren Füßen der König sammt seinem Hofstaate lag, daß dieses von Liebe und Weihrauch berauschte Weib zuweilen im Stillen sich fragte, was wohl aus jenem Thoren geworden sein mochte, der sich wiederholt dem Ertrinken in der Elbe ausgesetzt hatte, nur um ihrer ansichtig zu werden. Ihre Augen suchten ihn öfters unter der Schaar der Höflinge. Was für ein Gefühl veranlaßte sie hierzu? War es Mitleid? Wir glauben es. Indes ist diese Empfindung nur selten Denjenigen eigen, welche von dem ambrosischen Kelche des Lebens in vollen Zügen trinken. Die hochmüthige Cosel war kein gemüthvolles Wesen. Leidenschaftlich, energisch, wie sie war, überkam sie selten eine Regung von Mitleid. Die Demuth, die Ausdauer, die Anspruchslosigkeit Zaklika's hatten sie indes gerührt. Die ihrer Schönheit dargebrachte Huldigung schmeichelte ihrer Eitelkeit und sie lächelte, wenn sie seiner Liebe gedachte, und ließ gegen niemanden ein Wort darüber fallen.
Doch ist es an der Zeit, uns wieder um König August zu bekümmern.
Derjenige gäbe sich einer großen Täuschung hin, welcher dächte, daß der unter dem Zauber einer neuen Liebe stehende August-Apollo dem göttlichen Bacchus nicht mehr wie früher huldigte. Wie sehr August auch in seine schöne Cosel verliebt war, so versammelte er doch seine Vertrauten nach wie vor zu nächtlichen Orgien, denen er wie ehedem vorzusitzen pflegte. Es geschah dies aus zwei Gründen: einmal, weil er seinen Günstlingen, sobald sie betrunken waren, so manche Geheimnisse zu entlocken pflegte, die er auf anderem Wege nicht erfahren zu können glaubte, und dann weil es ihm schon zum Bedürfniß geworden war, sich in wüster Gesellschaft die Nächte zu verkürzen.
Seit König August sich der Gegenliebe seiner theueren Cosel erfreute, war er immer bei heiterster Laune. Er hatte keinen anderen Gedanken als den, seine neue Liebste mit wahrhaft königlicher Pracht zu umgeben, ihr Leben mit allem zu verschönern, was der Luxus, die Sinnesgenüsse zu bieten vermögen.
Graf Hoym war noch immer Accisor und Finanzminister. Sein großmüthiger Gebieter, dem er insoferne unentbehrlich war, als er die Kunst besaß, die Geldbedürfnisse des Königs immer wieder zu decken, hatte die Thränen, die ihm wegen der treulosen Gattin in den Augen standen, mit einem Geschenke von fünfzigtausend Thalern getrocknet und ihm zudem noch erlaubt, sich nach wie vor an den nächtlichen Bacchanalien im Schlosse zu betheiligen.
Graf Hoym war geradezu ein Meister in der Kunst, Geld aus einem verarmten, zu Grunde gerichteten Lande zu pressen. Er wußte immer und immer neue Einnahmsquellen zu entdecken, neue Steuern einzuführen, um Geld zu schaffen. König August aber belohnte Diejenigen, welche seine Casse füllten, immer reichlich; diese Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren lassen.
Da aber auch der gewandteste Mensch nicht alles voraussehen kann, kam es bei der grenzenlosen Verschwendung August's häufig vor, daß die Staatscasse leer war. In solchen Fällen griff man zu den äußersten Mitteln, zuweilen auch zur Gewaltthat. Der Großkanzler Beichling, dessen Sturz politische Gründe bewirkt haben sollten, war ein Opfer dieses finanziellen Systems gewesen. Man hatte den König glauben gemacht, daß er in den Besitz ungemessener Reichthümer gelangen würde, wenn er den Großkanzler als Hochverräter verhaften ließe und sich seiner Habe bemächtigte. Es geschah. Doch dem König fielen außer einigen Gütern nur der Palast in der Pirnaischen Straße, den bekanntlich die Fürstin Teschen später erhielt, und eine halbe Million Thaler zu, welche Beichling ihm geliehen hatte und die er nun nicht zurückzuerstatten brauchte. In den Rest, das ist in eine und eine halbe Million Thaler, theilten sich die Feinde Beichling's: Fürstenberg, Pflug und vermuthlich auch Flemming.
Wie enttäuscht der König, der auf unermeßliche Reichthümer rechnete, darüber war, läßt sich denken.
Es ist wohl hier am Platze, eines anderen Wahnes von König August zu gedenken. Wie fast alle Fürsten jener Zeit, glaubte auch August der Starke an die Alchymie, an die vermeintliche Kunst, unedle Metalle in edle zu verwandeln. Seine Vertrauten waren eifrig bemüht gewesen, ihm die Ueberzeugung beizubringen, daß er dereinst in den Besitz des großen Geheimnisses gelangen würde und sich alsdann so viel Gold, als er nur wollte, brauen lassen könnte. Und es war ihnen gelungen, diese eitle Hoffnung in ihm zu erwecken.
Während der Regierung August's des Starken gab es am Dresdener Hofe Zeiten, wo jedermann mit der Alchymie beschäftigt war, wo niemand einen anderen Gedanken hatte als den, Gold zu machen. Alle hatten Laboratorien, Schmelztiegel, Tincturen. Bei Fürstenberg trafen die Eifrigsten zusammen, um über das große Magisterium und Diejenigen, welche für Adepten galten, zu debattiren.
Ohne Zweifel würde August den Geldbeschaffer Beichling an seiner Seite behalten haben, statt ihn auf den Königstein zu setzen, wenn Fürstenberg dem König nicht feierlichst versprochen hätte, einen berühmten Alchymisten herbeizuschaffen, dessen Bekanntschaft er (Fürstenberg) gemacht und der ihm durch seine Kunst mehr Gold liefern könne, als der Kanzler aus dem ganzen Lande zu erpressen vermöchte.
Der berühmte Alchymist, den Fürstenberg meinte, war ein einfacher Apotheker aus Berlin, der in der Folge bewies, daß er kein Gold zu machen verstehe, wohl aber das Talent, solches zu vergeuden, in hohem Grade besitze. Wir wollen die Geschichte dieses seltsamen Mannes mit wenigen Worten erzählen.
Johann Friedrich Böttcher, in Schleiz geboren, war einige Jahre vor dem Beginn unserer Erzählung in Berlin, wie gesagt, Apotheker und verkaufte als solcher eine gewisse Tinctur, die er nach einigen Biographen selbst hergestellt, nach anderen von einem Abenteurer, Namens Laskaris, dem Archimandriten eines griechischen Klosters zu Mytilene, erhalten haben soll.
Als König Friedrich I. von Preußen die Existenz des Goldmachers erfuhr, gab er den Befehl, daß man den unschätzbaren Vogel einfange, um ihn zu zähmen und sich seines Geheimnisses zu bemächtigen. Böttcher aber entkam aus Berlin. Es gelang ihm, die sächsische Grenze zu erreichen. Von Seiten des preußischen Königs wurde zwar die Auslieferung des Alchymisten gefordert. August der Starke aber, der noch dringender Geld benöthigte als Friedrich I., hielt es für klüger, den Flüchtling ergreifen und nach Dresden bringen zu lassen.
Hier wurde Böttcher gefeiert, verhätschelt, mit Gunstbezeigungen und Versprechungen überhäuft und zugleich streng bewacht, damit er nicht entkomme. König August glaubte in allem Ernste, daß er eine unerschöpfliche Goldgrube gefunden. Beichling wurde gestürzt ... Das war alles, was die Tinctur zu Stande brachte.
Während seines Aufenthaltes in Warschau ließ sich August allerlei chemische Präparate aus Dresden kommen, um Gold damit zu machen. Da die Reinheit des Körpers und der Seele bei der Probe nicht ohne Einfluß war, pflegte der König zu jener Zeit täglich zu beichten. Stundenlang stand er über seinen Schmelztiegel gebeugt und erwartete die Verwandlung der Masse mit einer Ausdauer, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Endlich stieß ein Hund das Glas um, das den Mercur enthielt, welchen Fürstenberg für den König von Böttcher erhalten hatte, und der von ganz besonderer Beschaffenheit sein sollte. Fürstenberg brachte ein Fläschchen voll Warschauer Mercur, welcher den des Alchymisten ersetzen sollte, allein der Tingirversuch, den König August mit demselben anstellte, mißlang gänzlich. Es hieß natürlich, daß nicht der König, sondern vielmehr das ungeschickte Thier, welches das Glas mit dem Mercur umgeworfen hatte, Schuld an dem Mißerfolg sei. Indes war auch Böttcher nicht glücklicher gewesen. Fürstenberg feuerte ihn beständig an; er mußte bald in seinem Hause, bald im Schlosse oder auf dem Königstein Proben anstellen. Wie sehr man ihn aber auch verzärtelte, ihn mit Aufmerksamkeiten überhäufte – Böttcher, der Undankbare, fand die ersehnte Tinctur nicht, brachte es nicht zu Stande, unedle Metalle in Gold zu verwandeln.
Dieser bedauernswerthe gefangene Alchymist, der Schmelztiegel, in welchem Gold in Hülle und Fülle entstehen sollte, auf daß der König es mit vollen Händen vergeuden könne, dieser König, der nach abgelegter Beichte stundenlang der Scheidekunst oblag, um am Abend bei einer Maitresse von der Arbeit auszuruhen – das sind die charakteristischen Merkmale jenes ebenso gläubigen als skeptischen Jahrhunderts.
Böttcher, mit dem der König während seines Aufenthaltes in Warschau einen vertraulichen Briefwechsel unterhielt, lebte indes während seiner Gefangenschaft in Herrlichkeit und Freuden. Er gab Bälle, Concerte, Gastmahle. In der Zeit von kaum drei Jahren kostete er dem König vierzigtausend Thaler.
Als Frau von Cosel die Fürstin Teschen verdrängte, wohnte der berühmte Alchymist noch immer im königlichen Schlosse als Gefangener. Es hieß, er werde nun bald das Zauberwort aussprechen, das die längst ersehnte Verwandlung des unedlen Metalles in edles Gold bewerkstelligen müsse. Alle sahen dem großen Augenblicke mit Spannung entgegen; niemand zweifelte an dem Erfolge des angekündigten Schlußexperiments.
Böttcher machte seltsamerweise zur Bedingung, »daß dieses Gold nicht zu nichtigen Zwecken, sündlichen Handlungen, Mißbräuchen, unnöthigen und unbilligen Kriegen und dergleichen sündlichen Werken verwendet werden solle; auch dürfe, wer das Arcan besitze, nie einem Herrn dienen, der im Rufe eines Sünders stehe, öffentlichen und schändlichen Ehebruch, unschuldiges Blutvergießen treibe.«
Aus diesen weisen Bedingungen erhellt, daß der kluge Scheidekünstler sein Gewissen mit Gott und den Menschen ins Reine bringen wollte, ohne seinem Rufe als berühmter Alchymist zu schaden.
An demselben Tage, da Zaklika den Meister Fröhlich aufgesucht hatte, um ihn zu bitten, er möge sich bei dem König für ihn verwenden, ließ König August den Hofnarren in den Salon der Gräfin Cosel kommen und befahl ihm, die Gesellschaft, welche daselbst versammelt war, mit seinen Possen zu unterhalten.
Der König, die schöne Anna, Fürstenberg, Vitzthum, dessen Gattin und die Damen Reuß und Hülchen, sowie die übrigen Günstlinge waren Alle in bester Laune ... Fröhlich trat in ihre Mitte, und nachdem er die hohe Gesellschaft lustig begrüßt, brachte er mit komischem Ernste einen Schmelztiegel herbei, stellte diesen auf einen Dreifuß, zündete darunter ein Feuer an und trieb unter vielen Kniebeugungen allerlei Hocuspocus. Endlich richtete er sich in die Höhe und wies mit einer drolligen Geberde der Enttäuschung auf den Inhalt des Alchymistentiegels. Er enthielt – ein Häuflein Unrath.
Alle lachten, mit Ausnahme des Königs, dessen Stirne sich verfinstert hatte. Anna, welche von Böttcher schon öfters reden gehört hatte, bat den König mit halblauter Stimme um einige Aufklärungen bezüglich des Alchymisten, Aufklärungen, welche August gar gern nicht ertheilt hätte, um seinen Glauben an die Alchymie nicht eingestehen zu müssen, in welchem indes selbst gelehrte Männer dazumal befangen waren.
»Fröhlich ist es gestattet, alles zu persifliren,« sagte der König, »er darf sich sogar über einen ernsten Gegenstand, über das Goldlaboriren, lustig machen. Ich aber lache nicht darüber. Der Mann, welcher der Inhaber des großen Geheimnisses ist, hat uns dasselbe noch nicht enthüllen wollen. Fast wäre er uns neulich entkommen; er stand schon auf kaiserlichem Grund und Boden und es kostete uns viel Mühe, ihn wieder einzufangen. Schließlich wird er doch zur Einsicht kommen, daß es seine Pflicht ist, uns zu gehorchen. Er ist jetzt in gutem Gewahrsam ...«
Meister Fröhlich, der dem armen Zaklika helfen wollte, unterbrach den König mit den Worten: »So lange als den Goldmacher nicht ein Mann bewacht, der ihm an Kraft überlegen ist, werden wir immer befürchten müssen, daß er uns entwische. Nur Einer auf Erden ist aber mit der hierzu erforderlichen Kraft begabt, und der heißt: August der Starke, König von Sachsen.«
»Du irrst, guter Fröhlich,« sagte der König, »an meinem Hofe lebt ein Mensch, der sich mit mir messen kann.«
»Ist's möglich!« rief der Hofnarr mit erheucheltem Staunen.
Auf diese Weise rief Meister Fröhlich den polnischen Jüngling, scheinbar absichtslos, dem König ins Gedächtniß.
Dieser ließ den jungen Mann am folgenden Tage vor sich rufen.
Zaklika benutzte die Gelegenheit, um den König kniefällig zu bitten, er möge ihn in Gnaden entlassen. Allein August schüttelte den Kopf und sagte:
»Ich kann Dir den Abschied nicht geben, weil ich Deiner Dienste bedarf. Dein König besitzt einen kostbaren Schatz und diesen will er unter den Schutz Deines kräftigen Armes, Deiner Redlichkeit stellen. Du stehst fortan im Dienste der Frau von Cosel, Zaklika! Sie sollst Du beschirmen, ihr überallhin folgen, damit kein Haar auf ihrem Haupte gekrümmt werde, sie mußt Du im Nothfall mit eigener Lebensgefahr verteidigen.«
Zaklika wußte nicht, wie ihm geschah. Eine tiefe Röthe bedeckte sein Antlitz, während er in sichtlicher Verlegenheit sich vor dem König verbeugte.
Frau von Cosel aber war nicht wenig darüber verwundert, als sie Raimund Zaklika unter ihrem Gefolge erblickte; sie erröthete, ärgerte sich im Stillen, schwieg aber, als man ihr auf ihre Nachfrage mittheilte, daß der polnische Edelmann vom König selbst ihrem Hause zugewiesen worden sei. Dies bestätigte August am Abend desselben Tages ... Der schönen Frau schwebte ihr Abenteuer mit Zaklika auf den Lippen. Doch sie schwieg, ohne zu wissen warum, und Zaklika verblieb in ihrem Dienste.
Wenige Tage später begegnete er auf der Straße dem Hofnarren, der sich wegen des mißlungenen Versuches, ihm zu nützen, mit verlegener Miene entschuldigte.
»Um des Himmels willen, denkt nicht mehr daran!« rief der junge Mann. »Lasset mich, wo ich bin!«