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4.
Fürstin Teschen.

Das Palais des auf dem Königstein in Gefangenschaft lebenden Exkanzlers Beichling, welches die Fürstin Teschen bewohnte, lag in einer der schönsten Straßen Dresdens, und zwar in der Pirna'schen Straße. Ein geborenes Fräulein von Böckum, lebte die Fürstin getrennt von ihrem Gatten, dem Fürsten Lubomirski, und war die Maitresse en titre August's des Starken, der ihr bei der Geburt eines Kindes den Namen Teschen aufgedrungen hatte. Das Palais in der Pirna'schen Straße war ein Geschenk des Königs. Die Fürstin mochte es zum Lohne dafür erhalten haben, daß sie sich an dem Sturze Beichling's betheiligt hatte.

Wenn die Fürstin nicht auf ihren in der Lausitz gelegenen Besitzungen oder auf ihrer Herrschaft Hoyerswerda weilte, war sie in ihrem prächtigen Dresdener Palaste, wo sie geradezu einen fürstlichen Aufwand machte.

Die glücklichen Zeiten der glühenden Liebe, der ritterlichen Galanterie schienen aber auf immer entschwunden zu sein, jene schönen, unvergeßlichen Zeiten, wo König August nicht leben konnte, wenn er seine geliebte Ursula nicht jeden Tag sah, da die Fürstin in den Farben Sachsens gekleidet, auf einem feurigen Rosse im Vollbewußtsein ihrer Jugendkraft an der Seite ihres königlichen Geliebten einherjagte.

Ja, es waren glückliche Zeiten gewesen, die man unter glänzenden Festen, tollen Maskeraden, fröhlichen Reisen verbracht hatte, schöne, unvergeßliche Zeiten, welche von den Hofpoeten besungen und als einzig gepriesen worden waren.

Die schöne Ursula ahnte längst, daß diese glücklichen Zeiten nicht ewig währen würden. Dies mochte ihr in jener Ballnacht mit erschreckender Klarheit vor die Seele getreten sein, in jener denkwürdigen Nacht, wo sie und ihr königlicher Geliebter auf Veranstaltung der unerbittlichen Königin von Preußen mit Aurora Königsmarck, der Gräfin Esterle und Frau von Haugwitz, den drei abgedankten Favoritinnen August's, zusammentrafen. Königin Sophie Caroline wollte sich an der Verwirrung des leichtfertigen Fürsten und seiner Geliebten weiden. Es sollte diese Begegnung eine Strafe dafür sein, daß August die Prinzessin Anhalt-Dessau, Carolinen's Hoffräulein, mit solch ungestümer Huldigung verfolgte und behelligte.

Fürstin Teschen verstand das ihr damit gleichsam zugerufene Memento mori; trotz aller Betheuerungen von Seite ihres Geliebten sah sie ein, daß der flatterhafte, unthätige Augustin – dies war der Spitzname August's des Starken und ihm galt das so populäre Lied: »Ei, du lieber Augustin« – daß Augustin sie dereinst verrathen und verlassen würde. Der König hatte bisher, das heißt bis zur Zeit, da unsere Erzählung beginnt, neben zahlreichen geheimen Liebesabenteuern nie verfehlt, die Fürstin mit zartester Rücksicht zu behandeln, und sich den Anschein gegeben, als sei er noch immer von der tiefsten Leidenschaft für sie durchdrungen.

Noch übte Fürstin Teschen über König August viel Einfluß aus, noch führte ihre kleine Hand die goldenen Zügel ihrer Eintagsherrschaft mit der ihr eigenen Gewandtheit; allein Ursula fühlte, daß ihr diese Zügel dereinst, ja vielleicht schon bald, würden entrissen werden. Zwar zeigte ihr der Spiegel noch ein schönes Antlitz, dem Spuren von Jugendfrische nicht fehlten, allein dieses Gesicht entbehrte desjenigen Reizes, nach welchem der König fortwährend Verlangen trug, nämlich des Reizes der Neuheit. Was August noch zu ihr hinzog, was ihn den Verkehr mit ihr anziehend finden ließ, war Ursula's Geist, ihr Verstand. Er bewunderte sowohl ihr geistvolles Gespräch, als die Gewandtheit, welche sie bei den schwierigsten Fällen an den Tag legte, sowohl ihren Sinn für die Künste der Intrigue und ihre raffinirte List als ihre weibliche Politik.

Noch verbrachte König August täglich mehrere Stunden in ihrer Gesellschaft. Trotzdem hätte der Teschen jetzt der Muth gefehlt, das auszusprechen, was sie einst der Königin Eberhardine, der Gemahlin August's, sagte, als diese sie gefragt hatte, ob sie noch lange in Dresden zu bleiben beabsichtige. Da sie mit dem Könige gekommen sei, werde sie auch nur mit dem Könige abreisen! Das waren die Worte, welche sie zu der Königin sprach.

Um die Lippen, welche einst mit so stolzer Zuversicht gesprochen, hatte sich ein schmerzlicher Zug eingegraben, die schönen blauen Augen, welche damals so kühn geblitzt hatten, waren jetzt oft thränenfeucht, weil die Fürstin täglich, stündlich des Befehles gewärtig war, Dresden zu verlassen. Zwar fehlte es noch an greifbaren Zeichen, daß diese Befürchtung kein Hirngespinnst sei. Denn bei Hofe hatte sich anscheinend nicht die geringste Veränderung zugetragen. Die Wünsche der Teschen wurden erfüllt, ehe sie dieselben aussprach, Alles huldigte ihr, sie war nach der Königin die Erste am Hofe. Und doch las die Fürstin ihren bevorstehenden Sturz von den Gesichtern der Höflinge ab, deren kaum merklich ironisches Lächeln, deren verstohlene, boshafte Blicke ihr nicht entgingen. Auch sie mochten erkannt haben, daß des Königs Liebe zu ihr in eine banale Galanterie ausgeartet war, daß er für sie, die Fürstin Teschen, wie für seine Gemahlin, die fromme Königin Eberhardine, nur Gleichgiltigkeit hege.

Die schöne Ursula hatte den König einst leidenschaftlich geliebt. Damals wiegte sie sich mit der Hoffnung, den Wankelmüthigen für alle Zeiten an sich zu fesseln und dereinst Königin zu werden. Diese Hoffnung war jedoch gar bald entflohen; Ursula hatte schon längst eingesehen, daß sie das Los aller Derjenigen theilen würde, die August geliebt hatte. Der Enttäuschung folgte die Erkaltung ihrer Gefühle. Zwar war sie noch immer bemüht, dem König zu gefallen, ihn durch ihr geistreiches Gespräch aufzuheitern, zu unterhalten, aber das geschah nur aus Eitelkeit, aus Koketterie. Sobald sie allein war, verwandelte sich ihre Heiterkeit in Trauer; sie schloß sich ein, ließ ihren Thränen freien Lauf und sann auf Rache, nach der ihr wundes Herz lechzte. Das schien der König zu ahnen, denn je häufiger die Fürstin an ihren Oheim, den Cardinalprimas von Polen, Nadziejowski, schrieb, desto eifriger war August bemüht, sie von seiner Liebe, von seiner Treue zu überzeugen. Er war sich der Gefahr bewußt, die ihm drohe, für den Fall, als er sich die Nichte des ersten Würdenträgers von Polen zu seiner Feindin machen würde. August fürchtete sich vor der Strafe, ehe er sie verdiente.

Fürstin Ursula hatte sich ihre so kurze Herrschaft um hohen Preis erworben. Zwar waren ihr während dieser Herrschaft irdische Güter und Gold in Fülle zugeflossen, diese Herrschaft hatte sie aber zugleich mit Schmach bedeckt, sie in die zweideutige Lage eines gatten- und obdachlosen Weibes versetzt. Für den Fall, daß sich ihre trüben Ahnungen erfüllen sollten, konnte sie, die Ehrvergessene, in ihre Heimat zurückkehren? Nein, hierzu hätte sie die Stirne nicht gehabt.

Sie harrte täglich mit ahnungsvollem, bangem Herzen des Urtheiles, das sie verbannen sollte. Oft blieb sie stundenlang in die trübsten Gedanken versenkt, benetzte den Scheitel des Kindes, das sie dem König geboren und er durch einen Kuß anerkannt hatte, mit heißen Thränen und fühlte sich namenlos unglücklich, noch ehe sie eigentlich das Recht hatte, zu klagen.

Der Palast der Teschen war noch immer der Mittelpunkt des Hofes, der Versammlungsort einer zahlreichen Schaar eleganter Damen und Cavaliere. Besonders den Letzteren verschaffte König August den Zutritt sehr gern. Er hoffte ohne Zweifel, daß es dem Einen oder dem Anderen gelingen würde, das Herz des Weibes zu erobern, dessen er überdrüssig war. Eine larmoyante Liebe, wie die der Fürstin, vermochte August den Starken nicht lange zu fesseln, der niemals geweint hatte und dem Thränen und Vorwürfe geradezu unerträglich waren.

Heute war die Fürstin in Verzweiflung. Mit fieberhafter Eile ging sie in ihrem Gemach auf und ab und fragte sich wohl zum hundertstenmal, ob sie die Herausforderung, die man ihr zuwarf, annehmen solle oder nicht. Diejenigen, welche sich ihre wahren Freunde nannten und jeden Morgen zu hinterbringen pflegten, was der König am vergangenen Tage gethan und gesprochen, hatten ihr auch die Geschehnisse der vorigen Nacht mitgetheilt. Sie war von allem in Kenntniß gesetzt worden, von der Wette Hoym's, von der Ankunft der Gräfin, von den damit verbundenen Intriguen – kurz, die Fürstin wußte alles.

Es war diese Ankunft ein Ereigniß, womit sich die ganze Hauptstadt beschäftigte. Gegen 11 Uhr Vormittags sprach man schon überall davon. Niemand hatte die Gräfin gesehen, niemand kannte sie und doch behauptete Jedermann, daß sie wunderschön sei. Man wußte, daß sie im Jahre 1680 geboren war, daß sie in dem Alter der Lubomirska-Teschen stand. Ob sie eine Blondine wie diese oder eine brünette Schönheit sei, darüber vermochte niemand Auskunft zu geben. Kyau, der unerbittliche Kyau, sollte Denjenigen, die ihn gefragt hatten, ob Gräfin Hoym wirklich von einziger Schönheit sei, folgende Antwort gegeben haben: »Fragt nicht darnach, ob sie schön sei, denn die Schönheit ist diesesmal Nebensache. Hauptsache ist, daß sie der Anderen nicht gleichsehe!«

»Der Anderen nicht gleichsehen – ihr, der einst so heißgeliebten Ursula nicht gleichsehen durfte die Neuangekommene, wollte sie Gnade finden vor den Augen des nach neuer Liebe, nach einem neuen Antlitz sich sehnenden Königs!« rief die Fürstin bei sich und biß sich vor Zorn die Lippen blutig.

Die Vorzimmer der fürstlichen Gemächer waren an diesem Morgen fast leer; niemand meldete sich zu dem Lever der Geliebten des Königs. Diejenigen, welche sonst diesem Lever anzuwohnen pflegten, liefen heute in der Stadt herum, entweder um irgend etwas Neues über das Tagesereigniß zu erfahren oder um eine hierauf bezügliche Neuigkeit zu verbreiten und damit Sensation zu erregen.

Es hieß, König August habe gewohntermaßen das Programm zu der am folgenden Tag stattfindenden Festlichkeit höchsteigens entworfen und sei dabei bemüht gewesen, sozusagen sich selbst zu übertreffen. Ferner erzählte man sich, daß der König mit fieberhafter Ungeduld den Augenblick erwarte, wo er über die Wette, welche Fürstenberg mit Hoym eingegangen, würde entscheiden können.

Der Besuch, den die Gräfin Reuß und Frau von Vitzthum der Heldin des Tages abgestattet, war stadtbekannt, und die Leute meinten, die beiden Damen hätten dabei einen nichts weniger als uneigennützigen Zweck im Auge gehabt. Frau von Vitzthum aber sagte Allen, welche es hören wollten, daß ihre Schwägerin sämmtliche Damen des Dresdener Hofes an Schönheit übertreffe.

Fürstin Teschen ging lange ruhelos im Zimmer auf und nieder. Sie rang dabei verzweiflungsvoll die Hände und weinte heftig. Dreimal hatte sich der König ihrem Joche entzogen, und dreimal war es ihr gelungen, ihn von neuem zu fesseln. Jetzt aber hatte die entscheidende Stunde geschlagen, das sagte ihr das ahnungsvolle Herz. Schmerzerfüllt warf sie sich auf das Sopha ... da kam ihr plötzlich ein wunderlicher Gedanke. Schnell entschlossen, das auszuführen, was ihr eben eingefallen, rief sie ihre Zofe herbei und flüsterte dieser einige Worte ins Ohr. Hierauf hüllte sie sich in einen Mantel, warf einen dichten Schleier über ihr Haupt und eilte in den Garten, wo eine Sänfte für sie bereit stand. Nachdem sie eingestiegen war, trugen ihre Diener die Sänfte eine mit jungen Bäumen bepflanzte Allee hinab und hielten vor einem Pförtchen still, das in den Hoym'schen Garten führte und durch einen alten Gärtner geöffnet wurde. Die Fürstin eilte durch die Laubgänge nach dem Hause, huschte unbemerkt durch dasselbe, erstieg die Treppe und pochte an eine gegenüberliegende Thür. Es dauerte eine geraume Zeit, ehe geöffnet wurde. In der schmalen Thürspalte zeigte sich der Kopf einer Kammerfrau, welche die tiefverschleierte Frau mit neugierigen Blicken maß und sie nach ihrem Begehr fragte. Fürstin Teschen drückte der Kammerfrau, ohne ein Wort zu sprechen, einige Ducaten in die Hand, schob sie sanft beiseite, trat in das Vorzimmer ein und ging einer dem Eingang gegenüberliegenden Thür zu.

Anna von Hoym lehnte am Fenster, mit dem Rücken gegen dasselbe gewandt, als sich die Thür aufthat und eine in Schwarz gekleidete, verschleierte Frauengestalt auf der Schwelle erschien. Von diesem zweiten Ueberfall unangenehm berührt, richtete sich die Gräfin stolz in die Höhe und fixirte die unbewegliche Erscheinung im Rahmen der Thür mit zusammengezogenen Brauen.

Die Fürstin aber schwieg, warf mit zitternder Hand ihren Schleier zurück und starrte Anna stundenlang mit weitgeöffneten Augen an, um alsdann erbleichend, mit bebenden Lippen die Hände auszustrecken, wie eine Stütze suchend, einige Schritte vorwärts zu wanken und bewußtlos auf das Sopha, welches unfern der Thür stand, zu sinken.

Frau von Hoym sprang hinzu, ihr beizustehen. Anna sowohl als die herbeigerufene Kammerfrau der Gräfin gaben sich alle Mühe, die Bewußtlose wieder ins Leben zu rufen. Endlich schlug der seltsame Besuch die Augen auf, sah sichtlich verwirrt im Zimmer umher und heftete von neuem ihren Blick mit demselben betroffenen Ausdruck wie zuvor auf die schöne Gräfin, der sie durch ein Zeichen zu verstehen gab, daß sie mit ihr allein zu sein wünsche.

Anna winkte der Kammerfrau, sie möge sich entfernen.

Diese gehorchte.

Als die beiden Damen allein waren, begann Fürstin Teschen:

»Verzeiht mir ... Ich wollte Euch sehen; ich wollte Euch warnen ... Meine Pflicht, mein Gewissen führten mich zu Euch ...«

Sie hielt inne, wie einer Antwort gewärtig. Allein Gräfin Hoym schwieg und blickte sie mit ihren großen Augen betroffen an. Dem einsamen Leben, das die Gräfin bislang geführt, war plötzlich eine wechselvolle, fieberhafte Existenz gefolgt, in der sie sich nicht zurechtzufinden wußte. Der jetzige Auftritt erhöhte nach allem, was heute schon geschehen war, die Besorgniß und die Angst, welche sich ihrer bemächtigt hatten, seit sie Laubegast verlassen.

»Betrachtet mich,« fuhr die Fürstin nach kurzer Pause fort. »Ihr tretet das Leben in dem Augenblicke an, da ich es beschließe. Es gab eine Zeit, wo ich das war, was Ihr jetzt seid: unschuldig, sorglos, glücklich, geehrt von aller Welt, in Frieden mit Gott und meinem Gewissen. Ich hatte einen schlichten, aber makellosen Namen gegen einen fürstlichen eingetauscht, war zu hohem Ansehen gelangt. Da kreuzte plötzlich ein Mann, der eine Krone trug, meinen Lebenspfad. Ein Lächeln seines stolzen Mundes ließ mich alles vergessen. Er legte seine Krone, seine Unterthanen, sein Herz zu meinen Füßen, mir schwindelte, ich folgte ihm. Und jetzt ... jetzt besitze ich nichts als einen geborgten Namen, ein gebrochenes Herz, einen schmachvollen Titel. Sonst ließ er mir nichts. Mein Glück ist zu Ende, meine Zukunft trostlos. Das Schicksal meines Kindes erfüllt mich mit Angst; ich stehe allein auf der Welt, meine Angehörigen verleugnen mich. Diejenigen aber, welche noch gestern sich vor mir beugten, werden mich morgen nicht mehr kennen, und er, für den ich alles hingegeben, wird mich wie eine Fremde von sich stoßen.«

»Warum sucht Ihr mich zu erschrecken,« fragte die Gräfin mit unsicherer Stimme. »Was soll das bedeuten? Wer seid Ihr?«

»Was ich heute bin, weiß ich nicht; gestern war ich ... Königin.«

»Ich aber strebe nach keiner Krone!« rief Gräfin Hoym. »Weiß ich doch, daß sie die Stirne, auf der sie ruht, versengt. Wozu alle diese Drohungen, diese Mahnungen, die mir hier von allen Seiten zugerufen werden?«

»Es sind nur Warnungen, verehrte Gräfin,« erwiderte Fürstin Teschen in ernstem Tone. »Uebrigens schmückt jene versengende Krone bereits Euere Stirn, die Welt hat sie Euch vor der Zeit auf das Haupt gedrückt. Mich beseelte nur der Wunsch, Euch die Dornen zu zeigen, welche unter diesem goldenen Reife verborgen liegen.«

»Ihr verkennt mich,« entgegnete ruhig die Gräfin. »Mich gelüstet nicht darnach, meine Hand nach solcher Krone auszustrecken, dazu bin ich zu stolz! Ich möchte nur eine Krone besitzen, die ich mit ins Grab nehmen dürfte. Beruhigt Euch daher ...«

Sie schwieg aus Mitleid für das unglückliche Weib, das während ihrer Rede in heftiges Schluchzen ausgebrochen war. Nach einer Pause fuhr die Gräfin leise, wie zu sich selbst sprechend, fort: »Welch' wundersame, unbegreifliche Dinge widerfahren mir heute! ... Wie gerne flüchtete ich nach Laubegast!« Dann näherte sie sich der Fürstin und fragte mit weicher Stimme: »Wollt Ihr mir nicht sagen, wer Ihr seid, wie Ihr heißt?«

»Ursula Teschen,« erwiderte leise die Fürstin. »Wer sie ist, wißt Ihr! Vielleicht errathet Ihr jetzt, weshalb man Euch nach Dresden kommen ließ. Der blasirte Gebieter sehnt sich nach Wechsel!«

»Die Feiglinge treiben also Handel mit uns, als wären wir ihre Sklavinnen!« rief die Gräfin aus.

Achselzuckend erwiderte Fürstin Teschen: »Wir sind ihre Opfer.«

»Ich – ein Opfer? O nein, mich werden sie nicht hinopfern! Ich will kein Opfer sein! Ich bin so stolz, daß ich den Tod der Schmach vorziehe.«

Die Fürstin betrachtete Anna eine Weile schweigend mit einem traurigen Ausdruck in den Augen und seufzte endlich:

»Wenn Ihr mich nicht verdrängt, so wird es eine Andere thun. Denn meine Stunde hat geschlagen!«

Damit zog sie den Schleier wieder über ihr Gesicht und erhob sich von ihrem Sitze. »Jetzt seid Ihr gewarnt, sucht Euch zu vertheidigen!«

Nach diesen Worten verließ Fürstin Teschen das Zimmer, in dem Gräfin Hoym nachdenkend zurückblieb, während die Geliebte des Königs nach der Stelle eilte, wo sie ihre Sänfte gelassen. Schon war sie in dieselbe gestiegen, schon hatten sich die Träger in Bewegung gesetzt, als ein junger Officier mit blassem Gesichte hinzustürzte und die Hand auf den Sänftenschlag legte. Die Träger hielten still und Fürstin Teschen schob die schon halbzugezogene seidene Gardine des Fensters rasch zurück.

Der Hinzugetretene war ein junger Mann von schönem, aristokratischem Aeußeren, mit ausdrucksvollen, energischen Zügen, die jedoch in diesem Augenblick der Schmerz, die Entrüstung gleichsam verzerrte. Er stand wie Einer, der nicht weiß, ob er seinen Augen trauen darf.

»Seid Ihr es wirklich, Fürstin?« rief er. »Ihr, Ihr ... in diesem Hause! O mein Gott! Sagt mir die Wahrheit, Fürstin, ich beschwöre Euch, täuscht mich nicht, seid aufrichtig! Ich will mich auf immer entfernen, Ihr sollt mich nie Wiedersehen, aber gesteht mir alles, verhehlet nicht, daß ...«

»Was Ihr thöricht seid!« fiel die Fürstin dem jungen Mann in die Rede. »Seht Ihr denn nicht, daß ich im Hause Hoym's war? ... Ihr könnt doch unmöglich glauben, daß ich in den Minister verliebt sei?« Hier legte sie ihre Hand auf die des Mannes und fuhr in sanftem Tone fort: »Kommt mit mir, mein Prinz. Ihr dürft nicht eher von mir gehen, als bis Ihr eingesehen habt, wie ungerecht Euer Verdacht ist. Verlacht mich nicht, klagt mich nicht an, nicht in diesem Augenblick ... Das wäre gar zu grausam; ich könnte es nicht ertragen, es würde mich tödten!«

Die Blicke, welche die schöne Frau dabei auf den jungen Prinzen warf, waren so beredt, so überzeugend, daß er alsbald den gehegten Verdacht aufgab. Auf seinem Gesichte lag jetzt keine Spur mehr von der Trauer und der Sorge, welche es vorhin überschattet hatte. Helle Freude leuchtete in seinen großen Augen, indem er schweigend neben der Sänfte einherging. Als sie das Haus erreicht hatten, half er der Fürstin aussteigen und führte sie an der Hand in ihre Gemächer.

Erschöpft sank die junge Fürstin auf das Sopha, gab dem Prinzen ein Zeichen, er möge neben ihr Platznehmen und rief, nachdem sich der junge Mann neben sie gesetzt: »Ich bin empört, außer Fassung, mein Prinz! Wißt Ihr, wo ich war? Bei ihr, bei jenem Weibe, das von feigen Höflingen nach Dresden gelockt wurde, um den König zu amüsiren, ihm Neues zu bieten und um mich zu stürzen! Kennt Ihr die Gattin des Ministers Hoym, Prinz?«

Ludwig von Württemberg schüttelte das Haupt. »Ich habe von ihr reden gehört; Hoym ist heute die Zielscheibe der abgeschmacktesten Witze. Es heißt, man habe ihn gestern gezwungen, zu viel zu trinken, um ihn zu bewegen, seine Frau zur Schau zu stellen ...«

»Ich habe sie gesehen, diese Frau,« unterbrach ihn die Fürstin, fieberhaft erregt. »Sie ist sehr schön, sehr gefährlich, und wird den König eine zeitlang beherrschen ...«

»Gott sei Dank!« jubelte der Prinz. »Dann werdet Ihr endlich, endlich frei!«

Fürstin Teschen warf einen durchdringenden Blick auf den Prinzen, der über und über roth wurde und verwirrt zu Boden sah. Es trat eine Pause ein. Endlich reichte Ursula dem Prinzen ihre Rechte, der sie mit leidenschaftlichen Küssen bedeckte. Seine heißen Lippen ruhten noch auf dieser feinen, weißen, aristokratischen Hand, als sich plötzlich ein scharfes, spöttisches Lachen vernehmen ließ.

Eine kleine Frau war unbemerkt in das Zimmer getreten und näherte sich jetzt, mehr tänzelnd als gehend, den Beiden, indem sie mit unverkennbarer Schadenfreude in die Hände klatschte.

»Bravi! Bravissimi!« schrie das kleine Persönchen, welches nichts weniger als schön war, obwohl dessen Züge mit den so lieblichen der Fürstin eine entfernte Aehnlichkeit hatten. Das Alter dieses Kobolds ließ sich nicht leicht bestimmen. Die kleine Frau mochte zwanzig, konnte aber auch dreißig Jahre zählen. Ihr Gesicht war eines derjenigen, welche nie jugendlich aussehen und nie altern. Sie hatte böse, stechende graue Augen von merkwürdiger Beweglichkeit, um ihre Lippen spielte immer ein ironisches Lächeln, jeder Zug ihres Gesichtes verrieth ihr boshaftes, zänkisches, schadenfrohes Wesen. Ihrer Toilette sah man es an, daß sie sich Mühe gab, die einzigen Reize, welche sie besaß, nämlich ihre kleinen Füße und ihre hübsche Taille, vortheilhaft hervorzuheben. Diese Frau war die Schwester der Fürstin Teschen, die Gattin des Baron Glasenap und die Freundin des berühmten Generals Schulenburg.

»Bravi! Bravissimi!« kreischte die Baronin, indem sie vor ihre Schwester und den Prinzen hintrat und einen tiefen Knix machte. »Bitte, lasset Euch nicht stören! Wir sind ja unter uns! Du hast Recht, Schwesterchen, Dich trösten zu lassen, vollkommen Recht! Denn, wozu sollte man's verschweigen? – Die Stunde hat geschlagen, wo Du den König aufgeben, Dich vom Hofe zurückziehen mußt. Du handelst wie ein guter General! Ein solcher läßt sich den Rückzug nie abschneiden!«

Prinz Ludwig, welcher bei dem Eintreten der wegen der Intriguen und Uneinigkeiten, die sie anstiftete, bei Hofe unbeliebten, ja verhaßten und gefürchteten Dame Fürstin Ursula's Hand hatte fallen lassen und aufgestanden war, verharrte mit gesenktem Blick neben dem Sopha, in dessen Ecke die Geliebte des Königs lehnte und den Redeschwall der Baronin geduldig über sich ergehen ließ.

»Wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen, Schwester,« fuhr die unerträgliche Frau von Glasenap fort. »Ich bin sehr beschäftigt. Doch Pflege ich im Augenblick der Gefahr immer zu erscheinen, wie Du weißt. Du hast wohl schon erfahren, daß Frau von Hoym nach Dresden berufen wurde? ... Ich kenne diese Frau, ich sah sie einst vor Jahren und prophezeite damals, daß sie gleich der schönen Helena Unheil stiften werde. Sie ist geradezu ein Wunder an Schönheit, brünett, was allen blonden und rothhaarigen Damen ein Dorn im Auge sein mag,« schaltete die boshafte Frau, auf die lichten Haare der Fürstin anspielend, leise kichernd ein. »Und geistreich ist sie auch; ihre Lebhaftigkeit, ihr Stolz, ihre königliche Haltung suchen ihresgleichen, kurz, Dein Reich, Schwesterchen, ist zu Ende. Doch, was verschlägt's? Verfolgen Dich doch die Fürstentitel! Dir ist das Glück günstiger als mir, die ich nur einen armseligen Baron aus Pommern zu erangeln vermochte. Du hingegen hießest Fürstin Lubomirska, heißt jetzt Fürstin Teschen und wirst Dich dereinst Fürstin von Württemberg nennen.«

Der junge Prinz trat mit einer zornigen Geberde an das Fenster, während die Teschen mit gesenktem Blick murmelte: »Wenn ich nur wollte, fände sich ein Vierter ...«

»Gewiß! Soll ich Dir sagen, wie er sich nennt?« fragte die Baronin und fuhr, indem sie sich zu dem Ohr der Schwester hinabneigte, flüsternd fort: »Er heißt Prinz Alexander Sobieski. Der aber heiratet Dich nicht, meine Theuerste – der kleine Ludwig von Württemberg hingegen ist bereit, es zu thun.«

Fürstin Teschen wandte sich von ihrer Schwester mit einer tiefsten Abscheu ausdrückenden Geberde ab. Die Baronin lachte, ging im Zimmer hin und her, wobei sie sich häufig im Spiegel betrachtete, und blickte von Zeit zu Zeit ihre Schwester oder den Prinzen von der Seite an. Dabei schwätzte sie unbefangen weiter.

»Wenn Du klug bist, Ursula,« fuhr sie fort, »so wirst Du aus diesem Kampfe als Siegerin hervorgehen; die Hoym kann dem König nicht lange gefallen; ihre Person wird ihn anziehen, ihr Hochmuth ihn abstoßen, so daß er die sanfte Teschen gar bald wieder liebenswerth finden wird. Was läßt sich da thun? Die Launen eines Königs kann man nur verzeihen. Den Königen ist das erlaubt, was gewöhnlichen Sterblichen verboten wird. – Lebt wohl, Durchlaucht!« rief sie hier mit einer Verbeugung, die zu tief war, als daß sie ernst gemeint sein konnte, dem von der Fürstin Teschen sich verabschiedenden Prinzen zu. Ihr war der warme Händedruck der Beiden nicht entgangen.

Prinz Ludwig grüßte sie und ging.

»Ursula saß in Gedanken verloren auf dem Sopha; ihre Schwester betrachtete sie eine Weile und sagte endlich: »Du darfst die Geschichte nicht tragisch auffassen, Schwesterchen. Was ist denn am Ende so Furchtbares geschehen? Der König ist der blonden Frauen überdrüssig, voilà tont! Dir gehört die fürstliche Herrschaft von Hoyerswerda und der prächtige Palast des Exkanzlers Beichling. Du besitzest Millionen und Diamanten in Hülle und Fülle, die Zukunft Deines Sohnes ist gesichert, Du bist schön und jung, Prinz Ludwig ist einer Verbindung mit Dir nicht abgeneigt ... Was willst Du mehr, mein Täubchen?«

»Des Königs Liebe,« erwiderte Ursula, indem sie aufs neue zu weinen anfing.

»Bah! Die Zeiten, wo Du Dich darnach sehntest, sind längst vorüber! Euere Liebe hat, wenn ich mich anders nicht irre, kaum sechs Monate gedauert, während welcher Zeit Eines das Andere insgeheim zum mindesten zehnmal hinterging. Was?«

»Schwester!« rief entrüstet die Fürstin.

»Oder wie, hätte ich mich geirrt?« sagte in ironischem Tone die Baronin. »Dann staune ich darüber, daß es Dir gelang, die Liebe des Prinzen von Württemberg so lange zu erhalten. Welch ein anspruchsloser Jüngling! So viel Hingebung, solche Uneigennützigkeit ist bei den Männern heutzutage selten anzutreffen.«

Baronin von Glasenap kicherte und schlug alsdann einen anderen Ton an. »Lubomirska,« sagte sie ernst, »ich will Dir einen guten Rath ertheilen. Wenn sich ein König von seiner Geliebten trennt, fordert er gewöhnlich seine Brillanten zurück. Deshalb rathe ich Dir, schaffe die Deinigen an einen sicheren Ort.«

Die Fürstin, in Gedanken verloren, schien die Worte der Baronin überhört zu haben. Diese fragte plötzlich mit lauter Stimme: »Erscheinst Du auf dem Balle?«

Bei den letzten Worten war die Prinzessin vom Sopha aufgesprungen.

»Ob ich ...« stockte sie. »Natürlich werde ich gehen!« fügte sie in entschlossenem Tone hinzu. »Ich werde in schwarzen Gewändern, in Trauer, ohne Juwelen erscheinen – ein seltsamer Anblick bei Hofe. Die schwarze Farbe steht mir doch gut, nicht wahr, Therese?«

»Unstreitig – Schwarz kleidet alle Frauen schön. Wenn Du aber hoffst, den König und die Hofleute mit Deinem Trauergewande zu rühren, so giebst Du Dich einer Täuschung hin, Ursula. Nicht bemitleiden wird man Dich, sondern auslachen ... Tragödien sind am Hofe August's nicht in der Mode.«

»Möglich, ich will trotzdem die Trauer anlegen – ja, das will ich thun! Ich werde vor ihn, den Ungetreuen, hintreten wie ein dunkler Schatten, wie ein Gespenst ...«

»Das vor der reizenden, lebhaften, von Jugend und Schönheit strahlenden Gräfin von Hoym nichts anderes thun wird, als was alle Gespenster zu thun pflegen ... verschwinden. Mein Gott!« rief die Baronin, nachdem sie einen Blick auf die Caminuhr geworfen, »wie spät es ist! Ich muß Dich verlassen, Ursula, doch sehe ich Dich bald wieder! Auch ich werde auf dem Balle sein, aber nicht auf der Bühne, sondern im Zuschauerraum, wo den Actricen Beifall gespendet wird, wo sie bewundert oder verspottet werden. Also auf Wiedersehen!«


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