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Laubegast liegt zwei Stunden von Dresden an dem Ufer der Elbe. Zu jener Zeit bestand das kleine Dorf nur aus wenigen, inmitten uralter Linden und Buchen und hoher Tannen gelegenen, von reichen Edelleuten bewohnten Häusern.
Dorthin begab sich insgeheim der Finanzminister August's II., so oft es ihm die Geschäfte erlaubten, und brachte daselbst den Abend oder einen Theil des Tages zu. War der König nicht in Dresden, so hielt sich Hoym ganze Wochen in Laubegast auf.
Hoym's Haus in Laubegast glich allen übrigen Häusern jener Zeit. Auf dem hohen Dache bemerkte man die den französischen Gebäuden eigenthümlichen Mansarden, die Mauern waren mit Statuen und Zierat in halb erhabener Arbeit geschmückt. Die Arbeiter, welche aus Dresden gekommen waren, das Haus zu restauriren, hatten dem bescheidenen Gebäude fast ein elegantes Aussehen gegeben. Man sah es demselben an, daß sein Besitzer bemüht gewesen war, es zu verschönern. Den kleinen Hof umgab ein geschmackvolles Gitterwerk, das von Vasen tragenden Säulen durchbrochen war; zwei Pfeiler, welche die übrigen Säulen überragten, bildeten das Portal und trugen eine Gruppe pausbackiger Engel, welche ihrerseits zwei Laternen emporhielten.
Hübsche Statuen und Marmorvasen mit exotischen Blumen schmückten das Peristyl. Von mächtigen Bäumen umgeben, sah das Gebäude stattlich genug aus. Doch es herrschte eine klösterliche Stille darin, es war dort öde wie in einer Ruine. Man vermißte jene zahlreiche, lärmende, hin und her rennende Dienerschaft, die den herrschaftlichen Häusern eigen ist. Zwei alte Kammerdiener, einige Mägde und eine Dame, welche gegen Abend, ein Buch in der Hand, in dem Garten unter den hohen Bäumen lustwandelte, schienen die einzigen Bewohner des Hoym'schen Hauses zu sein.
Der Anblick dieser Dame erregte bei den Bewohnern von Laubegast zugleich Ehrfurcht und Bewunderung. Im Gebüsche und hinter den Baumgruppen versteckt, lauerten sie ihr auf, um sie zu betrachten. Sie war aber auch eine seltsame Erscheinung für jenen Ort.
Niemand hatte noch etwas Aehnliches erschaut, etwas Schöneres erträumt. Die junge Frau war von hoher Gestalt und edler Haltung. Sie hatte schwarze, klare, durchdringende Augen und eine selten schöne, blendend weiße Hautfarbe. Wenn sie so unter den hohen Bäumen dahinschritt, strahlend von Jugend und Schönheit, erfüllte sie Diejenigen, welche sie sahen, mit einer Art Scheu. Es lag etwas Gebieterisches, Königliches in ihrem Wesen, so daß Jedem bei ihrem Anblick die Luft anwandelte, sich ihr zu Füßen zu werfen.
Sie war immer traurig und ernst ... Ihre Augen, ihre Lippen lächelten nie; wenn sie zum heiteren Himmel emporschaute, so drückte ihr Blick nicht die mindeste Freude aus. Sie sah gewöhnlich entweder still vor sich hin oder ihre Augen hafteten unverwandt an der grauen Wasserfläche der Elbe oder an den farbenreichen Blumen des Gartens, die sie niemals pflückte und deren Duft sie nie einsog. Sie schien unglücklich zu sein. Oder empfand sie nur Langeweile? Jedermann wußte, daß sie seit mehreren Jahren ein fast ganz einsames Leben führte. Es besuchte sie niemand außer Frau von Vitzthum, die Schwester ihres Gatten. Hoym war es nichts weniger als angenehm, daß Anna mit seiner Schwester verkehrte. Er wußte, daß diese einst bei August II. eine Zeit lang in Gunst gestanden und noch immer die Hoffnung hege, den verlorenen Einfluß wiederzugewinnen. Hoym suchte seine Frau gegen die Cabalen des Hofes zu wappnen; er hätte seine gefährliche Schwester von ihr fernzuhalten gewünscht. Allein Frau von Vitzthum zuckte bei seinen Bitten, der unschuldigen Anna keine Schilderungen des verderbten Dresdener Hofes zu machen, die Achseln, und hörte nicht auf, ihre Schwägerin zu besuchen, ihr skandalöse Histörchen über August den Starken und dessen Umgebung zu erzählen.
Die arme Einsiedlerin langweilte sich zum Sterben; die Lecture und die Promenaden bildeten ihren einzigen Zeitvertreib. Sie verschlang die frommen, schwärmerischen Werke protestantischer Schriftsteller und verließ das Haus nur unter der Obhut eines alten Kammerdieners.
Dieses einförmige Leben war freilich monoton genug; dafür brachten auch die Leidenschaften keine Stürme in dasselbe. Hoym, der im Anfänge seiner Ehe mit Anna ungemein zärtlich und zuvorkommend gegen diese gewesen, Hoym war von allzu leichtfertigem Wesen, als daß er lange seinen liederlichen Neigungen hätte widerstehen können. Er war des Glückes zuletzt überdrüssig geworden und vergaß jetzt zuweilen, daß er eine Frau besaß. Zwar liebte er sie noch immer, aber auf eine Weise, das heißt mit Eifersucht. Er suchte seinen Schatz vor der ganzen Welt zu verbergen und erlaubte seiner Gattin nur dann zu ihrer Zerstreuung nach Dresden zu kommen, wenn der König und der Hof nicht daselbst weilten und die Hauptstadt wie ausgestorben war.
Die Gefangenschaft der letzten Jahre hatte die junge Frau mit tiefster Verbitterung erfüllt, die traurigsten Gedanken in ihr erregt, einen Abscheu vor der Welt in ihr wachgerufen, der sie ascetisch stimmte. Für sie war das Buch des Lebens geschlossen; sie hatte sich darein ergeben, freudelos zu vegetiren, bis ihr Geist erlösche, und sie war doch schön wie ein Engel, zählte nur vierundzwanzig Jahre und sah so jung aus, daß sie für ein achtzehnjähriges Mädchen gelten konnte.
Frau von Vitzthum, die im Alter der glühenden Leidenschaften sowohl ihre Jugendfrische als einen Theil ihrer Reize verloren hatte, konnte ihrer Schwägerin diesen Anschein ewiger Jungfräulichkeit nicht verzeihen. Auch die herrlichen Eigenschaften der jungen Frau bereiteten ihr Aerger; ihr edler Tugendstolz, die Entrüstung, welche jedwede Ausschweifung in ihr hervorrief, ihre Verachtung für Intriguen und Lügen, ihre wahrhaft königliche Hoheit erfüllten die so lebensfrohe, lebhafte und falsche Frau mit Neid und Bitterkeit. Oft regte sich in ihr der Wunsch, Anna gedemüthigt zu sehen.
Frau von Hoym liebte ihre Schwägerin nicht; im Gegentheil, sie empfand tiefe Abneigung vor ihr. Ihren Gatten aber verachtete sie. Von Frau von Vitzthum hatte Anna schon längst erfahren, daß Hoym ihr untreu war. Mit einem Blick hätte sie es vermocht, ihn zu ihren Füßen hinzustrecken; sie war sich ihrer Allmacht bewußt, allein sie schätzte ihren Gatten zu gering, als daß sie gewünscht hätte, ihn zu bestricken. Sie empfing ihn mit Kälte und entließ ihn mit Gleichgiltigkeit. Seine Zornesausbrüche vermochten nicht, sie aus ihrer Apathie aufzurütteln oder sie zu veranlassen, ihre würdevolle Haltung aufzugeben.
Jeder Tag währte in Laubegast eine Ewigkeit. In den langen, einsamen Stunden gedachte die junge Frau oft der Heimat, des geliebten Holstein, und faßte alsdann den Entschluß, nach Brockdorf zu den Ihrigen zurückzukehren, einen Entschluß, den sie aber alsbald wieder aufgab, weil sie von Seite ihrer Angehörigen nichts als Gleichgiltigkeit zu erhoffen hatte. Ihre Eltern waren schon längst gestorben. Auch war es wahrscheinlich, daß sie am Hofe der Prinzessin von Braunschweig, einer geborenen Fürstin Holstein-Plön, keine Aufnahme finden würde, weil diese ihr wohl noch nicht verziehen haben mochte, daß sie, Anna, ihre Hand gegen den Prinzen Ludwig Rudolf erhoben hatte, als dieser einst, von der Schönheit des Mädchens entzückt, den Versuch machte, dasselbe zu küssen.
Wenn auch Dresden in geringer Entfernung von Laubegast lag und die Equipagen und Reiter der Hauptstadt zu jeder Stunde des Tages durch den Ort kamen, so war es Frau von Hoym dennoch gelungen, von keinem der Höflinge August's jemals gesehen zu werden. Von Keinem? Nein. Einer hatte sie erblickt, und zwar ein junger Pole, der vom Zufall oder vielmehr durch ein tückisches Verhängniß an den Hof August's II gezogen worden war.
Während seines ersten Aufenthaltes in Polen unterließ August der Starke es nicht, die wunderbare Kraft, welche ihm die Natur verliehen hatte, zur Schau zu bringen. Täglich gab er den polnischen Edelleuten nach der Mahlzeit einige Kunststücke zum Besten, welche darin bestanden, daß er einen Pocal aus massivem Silber zermalmte, Thaler und Pferdehufe zerstückte. In Piekary sahen einmal August's Gäste staunend, aber schweigend einer solchen Kraftparade zu. Sie mochten sich im Stillen fragen, was diese Riesenhände, in welche das Schicksal Polens gelegt worden war, aus ihrem Lande machen würden; da brach der Erzbischof von Kujavien plötzlich das Stillschweigen, überhäufte den König mit Complimenten, fügte aber, anscheinend harmlos, hinzu, daß er einen Mann, einen Jüngling, kenne, der das Gleiche zu leisten vermöge.
Zornesröthe ergoß sich über König August's Gesicht. Da es aber am Anfang seiner Regierung war und er es für politisch hielt, den Liebenswürdigen zu spielen, verbarg er den Unwillen, den die Worte des Bischofs in ihm geweckt, und bat diesen, ihm seinen Nebenbuhler vorzustellen. »Ihm sei noch nie im Leben ein Mensch begegnet,« fügte der König hinzu, »der sich mit ihm hätte messen können.«
Der Bischof verbeugte sich und versprach, dem Befehle gelegentlich nachzukommen, nahm sich aber im Stillen vor, dies aus Schicklichkeitsgründen zu unterlassen. Erst nachdem August ihn an sein Versprechen gemahnt, ließ er Zaklika, so hieß der junge Herkules, durch seine Leute suchen.
Zaklika, der einer alten, verarmten, adeligen Familie Polens entstammte und nicht die Mittel hatte, den in der Armee ihm gebührenden Rang einzunehmen, arbeitete seit einiger Zeit in einer dunklen Kanzlei in Warschau, um sich das tägliche Brot zu verdienen. Dort fanden ihn die Abgesandten des Bischofs. Da seine Kleidung nichts weniger als hoffähig war, ließ ihn der geistliche Herr vom Kopf bis zu den Füßen ausstatten. Mit dem Aussehen seines Schützlings wohl zufrieden, wartete der Bischof auf einen günstigen Augenblick, ihn dem König vorzustellen. Dieser Moment ließ nicht lange auf sich warten. Schon bei der nächsten Kraftschaustellung wandte sich der starke August gegen den in einer Ecke des Saales sitzenden Bischof Kujavien und sagte:
»Hochwürden, wo bleibt jener starke Mann, den Ihr uns zu zeigen versprachet?«
Der Bischof gab eine ausweichende Antwort; als aber der König darauf bestand, den jungen Herkules zu sehen, ließ er den polnischen Edelmann kommen.
Zaklika war von hoher Gestalt und von schönem, kräftigem Wuchs, doch sah er nicht aus wie ein Herkules, denn er war sehr schüchtern und hatte rosige Wangen wie ein junges Mädchen.
August der Starke lächelte, nachdem er Zaklika mit den Augen gemessen hatte. Da dieser von Adel war, durfte er dem König die Hand küssen. Hierauf ergriff August einen der beiden Silberpocale, welche vor ihm auf dem Tische standen, schloß denselben in seine Hand ein und zerdrückte ihn; der Wein, welcher sich auf dem Boden des Gefäßes befand, ergoß sich über den Tisch.
August schob dem Jüngling den zweiten Pocal hin und sagte mit einem ironischen Lächeln:
»Jetzt trifft's Dich! Der Pocal ist Dein, wenn es Dir gelingt, ihn zu zermalmen.«
Zaklika näherte sich mit schüchterner Miene dem Tische, an welchem König August saß, und nahm den Pocal in die Hand. Alle Anwesenden waren neugierig auf den Ausgang des Auftrittes. Einen Augenblick der Spannung, es ergoß sich eine tiefe Glut über das Antlitz des Jünglings, dann ein Druck und der Pocal war zermalmt.
Das Gesicht des Königs drückte die höchste Verwunderung aus. Er warf dem Bischof einen vielsagenden Blick zu, während die Höflinge sich Mühe gaben, den Erfolg des Polen dadurch zu schmälern, daß sie behaupteten, der von ihm zerbrochene Pocal sei dünner wie der des Königs und bereits versehrt gewesen.
August aber sprach kein Wort. Er fing an, Hufeisen zu zerbrechen, als wären sie von Glas statt von Eisen, und machte seinem Rivalen ein Zeichen, er möchte ein Gleiches thun. Zaklika brach einige Hufeisen ohne jedwede Kraftanwendung entzwei. Von den Hufeisen ging man zu den Thalern über. Es kostete August einige Anstrengung, einen Thaler zu theilen. Die Hofleute hatten Zaklika einen spanischen Thaler, der massiver als der sächsische war, hingeschoben, weil es ihnen, dem König zuliebe, darum zu thun war, daß der Pole Fiasco mache; allein Zaklika brach das Geldstück beim ersten Versuche entzwei.
Die Stirne des Monarchen verfinsterte sich. Die Höflinge waren verzweifelt darüber, daß ein so unschickliches Spiel aufs Tapet gebracht worden war. Nachdem König August dem polnischen Jüngling beide silberne Pocale geschenkt hatte, sagte er, daß er Zaklika in seiner Nähe behalten wolle.
In Folge dessen erhielt Zaklika eine bescheidene Stelle am Hofe August II.; er bezog einen Gehalt von einigen hundert Thalern, ward mit glänzenden Kleidern versehen und hatte wenig oder gar nichts zu thun. Dem König, der nie mit ihm sprach, sich aber häufig nach ihm erkundigte und den Befehl ertheilte, daß dem jungen Polen alles, was er brauche, verabreicht werde; dem König mußte Zaklika stets folgen, wohin immer dieser sich auch begeben mochte. Indes hatte der junge Edelmann viel freie Zeit. Da die Personen, mit welchen der junge Pole verkehren mußte, nur deutsch und französisch verstanden, gab er sich dem Studium dieser beiden Sprachen mit Eifer hin.
Nach zwei Jahren sprach er sie ziemlich gut. Die Vergnügungen aber, welche am Hofe gang und gäbe waren, langweilten ihn, auch verachtete er die Höflinge. Er pflegte die Umgebung Dresdens zu durchstreifen; da war kein Berg, den er nicht erklommen, keine Gartenmauer, die er nicht erstiegen hätte, kein steiler Abhang an der Elbe, der ihm nicht bekannt gewesen wäre. Noch war ihm nie, auch nicht an den gefährlichsten Stellen, ein Anfall von Schwindel gekommen, geschweige denn, daß ihm ein Unfall zugestoßen wäre.
Während eines dieser Ausflüge sah Zaklika zu seinem Unglück Anna von Hoym. Ihr Anblick verlegte ihm den Athem, versteinerte ihn. Er glaubte zu träumen; ihm war es, als könne ein so schönes Geschöpf kein irdisches Wesen sein. Als die schöne Frau schon längst verschwunden war, stand Zaklika noch immer und starrte ihr traumverloren nach. Endlich kehrte er, von namenloser Angst erfüllt, wie ein Trunkener nach Dresden zurück.
Von dem Tage an gehörte der arme Jüngling nicht mehr sich selbst; er lief alle Tage nach Laubegast, und je öfter er hinausging, desto größer ward sein Leid.
Da Zaklika keine Freunde besaß, vertraute er sich niemandem an, und so konnte ihm auch niemand sagen, daß man in seiner Lage das Feuer fliehen müsse, um zu genesen, statt sich demselben immer wieder zu nähern. Die Liebe zu der schönen Einsiedlerin machte ihn zuletzt geistig und physisch krank.
Anna's Kammerfrauen, welche ihn tagtäglich um die Besitzung schleichen sahen, lauerten ihm auf und entdeckten gar bald, was in ihm vorging. Davon in Kenntniß gesetzt, ließ Anna den Unglücklichen, der ihr ohne Zweifel Mitleid einflößte, unverzüglich zu sich heraufbitten. Als Zaklika erschien, schalt sie ihn wegen seiner Unbesonnenheit aus und befahl ihm aufs nachdrücklichste, sich weder in der Nähe des Hauses, noch in der Umgebung wieder sehen zu lassen.
Da niemand außer der Herrin des Hauses zugegen war, wagte Zaklika, den seine Liebe kühn gemacht hatte, der Dame seines Herzens zu sagen, daß es kein Verbrechen sei, ein Weib zu betrachten; daß ihn kein anderer Wunsch beseele als der, seine Augen an ihrem Anblick zu werden. Er lasse sich von niemandem verbieten, nach Laubegast zurückzukehren; er wolle sich das Glück, sie wiederzusehen, verschaffen, auch wenn er dafür gesteinigt werden sollte, da er ja doch vor Schmerz sterben müßte, wenn er sie nicht mehr sähe.
Frau von Hoym war über die Kühnheit des Jünglings sehr erzürnt. Sie schalt ihn, sagte, sie werde ihren Gemahl von allem in Kenntniß setzen, wenn er sich in Laubegast wieder blicken ließe. Sie drohte vergebens. Zaklika ließ sich von dem gefaßten Entschlusse nicht abbringen.
Von dem Tage an ging die schöne Frau am Ufer der Elbe spazieren, wo der junge Mann sie nicht mehr sehen konnte.
Mehrere Wochen vergingen, ohne daß sie ihren zudringlichen Verehrer erblickt hätte. Sie glaubte schon, daß er ihre Spur verloren habe. Da sah sie aber eines Tages auf der Oberfläche des Wassers einen Kopf schwimmen. Es war der des verliebten Jünglings, der sich den Anblick seiner Schönen auf diesem ungewöhnlichen Wege verschaffte.
Diesmal gerieth Frau von Hoym in hellen Zorn und rief ihre Leute herbei. Zaklika aber tauchte unter und war verschwunden. Fast hätte er den tollen Streich mit dem Leben gebüßt. Die Kleider hemmten seine Bewegungen und seine Glieder zogen sich krampfhaft zusammen, so daß er nur mit großer Mühe das Ufer erreichte.
Es gelang ihm in der Folge einen Winkel ausfindig zu machen, von welchem aus er Frau von Hoym sehen und das verhängnißvolle Gift der Liebe einschlürfen konnte. Ob die Schöne dies wußte oder ob sie that, als merke sie es nicht, vermögen wir nicht zu sagen. Jedenfalls war von dem Jüngling in Laubegast nicht mehr die Rede. So auch am Hofe. Niemand achtete mehr auf ihn. August wäre es vielleicht nicht unangenehm gewesen, wenn er sich den Hals gebrochen hätte. Gleichwohl ließ er ihn ungestört seine Wege gehen und kümmerte sich lange nicht um ihn.
Da ließ er ihn eines Tages rufen. Seine Majestät hatte in einem Augenblick des Zornes einem starken Pferde den Kopf abgehauen. Nun wollte August dem Hofe zeigen, daß sein Nebenbuhler es ihm nicht nachthun könne. Man führte denn ein altes Dragonerroß vor, an dem das neue Experiment versucht werden sollte. Vorher hatte man den polnischen Jüngling beiseite geführt, um ihm zu sagen, daß er diesesmal keine Probe seiner Riesenkraft zum Besten geben solle, wenn er sich die Gunst des Königs erhalten wolle. Für dergleichen höfische Subtilitäten war indes unser Held nicht geschaffen; er verstand sie einfach nicht. Zaklika begriff nur Eines: daß August einem Pferde den Kopf abgehauen habe, und daß man glaube, er könne solches nicht zu Stande bringen. Bei diesem Gedanken stieg ihm das Blut in den Kopf. Vor den Augen des Königs und denen des versammelten Hofes suchte er sich ein scharfes Schwert aus, prüfte dessen Schneide und hieb ohneweiters den Kopf des Rosses ab. Er gestand später, daß ihn der Arm und die Schulter volle acht Tage darnach schmerzten.
August sprach kein Wort; er zuckte nur mit den Achseln und entfernte sich, um seinen Unmuth wegzutrinken. Von diesem Augenblick an richtete niemand mehr das Wort an den armen Zaklika. Jeder suchte ihn zu meiden und diejenigen, welche ihm noch wohl wollten, riethen ihm, in aller Stille schleunigst den Hof, die Stadt zu verlassen, da er sich durch sein Bleiben der Gefahr aussetze, bei dem geringfügigsten Anlaß auf den Königstein abgeführt zu werden.
Raimund Zaklika zuckte bei diesen Warnungen furchtlos mit den Achseln und blieb.
Nun verfiel August der Starke auf den Gedanken, zu versuchen, ob sein Nebenbuhler sich mit ihm auch im Trinken messen könne. Dieses Experiment wurde natürlich mit Erfolg gekrönt. Denn der arme Junge trank gewöhnlich Wasser und konnte sich selten den Luxus eines Glases Bier vergönnen. Gar bald bat er den König, er möge ihm gestatten, nichts mehr zu trinken. Allein August begnügte sich nicht mit diesem Siege. Er zwang ihn förmlich, noch einen riesigen Humpen zu leeren, der den Jüngling vollends umwarf. Zaklika wurde in Folge dessen schwer krank, ein heftiges Fieber hätte ihn beinahe hinweggerafft. Allein er genas wieder. Auch seine Riesenkraft kehrte zurück, und zwar in einem solchen Grade, daß sich niemand mehr mit ihm zu messen wagte.
Zaklika's kindische Wanderungen nach Laubegast begannen aufs neue. Indes verwandelte ihn die Liebe allmählich. Er ward ernst, gesetzter, mit einem Worte ein anderer Mensch. Anna von Hoym hatte vor ihrem Gatten keine Geheimnisse; von Zaklika sprach sie aber nie mit ihm. Hatte sie ihn vergessen? –
In Laubegast wurde das Gitterthor mit einbrechender Dämmerung geschlossen; die Diener lösten die Ketten der Hofhunde und gingen alsdann zur Ruhe. Nur Frau von Hoym blieb länger auf.
Während der König mit seinen Höflingen zechte und Hoym im trunkenen Zustande die Schönheit seiner Gemahlin rühmte, konnte diese kein Auge schließen. Der Sturmwind sauste über die Felder, umkreiste heulend das Haus und brach krachend die Aeste der Bäume ab.
Auf ihren weißen Arm gestützt, in ernste Gedanken versunken, schaute die schöne Frau auf ein vor ihr liegendes, aufgeschlagenes Buch nieder. Es war die Bibel, welche Anna mit Vorliebe las. Die Apokalypse und mehrere Episteln Paulus' interessirten sie in hohem Grade.
Es war schon sehr spät, die Lichter mußten erneuert werden ... Da ließ sich das Getrappel herannahender Pferde vernehmen; die Thiere schienen vor dem Hause still zu halten, es wurde an dem Gitterthor heftig gerüttelt, die Hofhunde fingen an laut zu bellen ...
Frau von Hoym richtete sich zitternd in die Höhe. Ein nächtlicher Ueberfall war zu jener Zeit eine Seltenheit, namentlich in dem Dresden so nahe liegenden Dorfe Laubegast. Immerhin kamen solche Ueberfälle zuweilen vor. Ausgeartete Soldaten, namentlich Fahnenflüchtige, die sich bei Tage in den Bergen aufhielten, erschienen nächtlicherweile hin und wieder in den Dörfern und trieben allerlei Unfug, der ihnen den Kopf kostete, wenn es der Justiz gelang, sie zu erwischen.
Frau von Hoym schellte und rief, um die Dienerschaft zu wecken. Gar bald waren alle Bewohner des Hauses munter. Unten wurde noch immer an dem Gitter gerüttelt, bellten die Hunde ununterbrochen ... Als die mit Waffen versehenen Diener in den Hof hinaustraten, sahen sie bei dem flackernden Lichte vieler Fackeln, daß der nächtliche Ruhestörer ein königlicher Bote war. Hinter diesem stand eine mit sechs Pferden bespannte Carrosse. Vorreiter und Lakaien in der Livrée des Königs, Fackeln in den Händen, umgaben den Wagen.
Nachdem den Hunden die Ketten angelegt worden waren, öffnete sich das große Thor und der Courier des Königs wurde zu der Herrin des Hauses geführt.
Als die junge Frau den Eilboten wahrnahm, meinte sie, es sei ihrem Gatten ein Unglück zugestoßen und wechselte die Farbe. Als sie aber auf dem Schreiben die Schriftzüge Hoym's erkannte, erholte sie sich alsbald, mußte jedoch unwillkürlich an den Kanzler Weichling denken, der während der Nacht urplötzlich verhaftet, auf Befehl August's nach dem Königstein gebracht und all seiner Habe beraubt worden war. Hoym hatte seiner Gattin wiederholt erklärt, daß ihm der unstete Charakter des Königs keine geringe Sorge mache, daß er sich nicht eher in Sicherheit fühlen würde, als bis er sich, seine Gattin und sein Vermögen ins Ausland gebracht hätte.
Aus Erfahrung wußte man, daß man August am meisten zu fürchten hatte, wenn er am freundlichsten war, daß er gleich jenem gefährlichen Raubvogel seine Opfer in Schlaf zu wiegen liebte, ehe er sie erwürgte.
Anna von Hoym dachte also, daß ihren Gemahl das Schicksal des Kanzlers getroffen habe. Es war ihr bekannt, daß Hoym wegen der Accise, die er eingeführt, im ganzen Lande verhaßt war und seine Feinde auf eine Gelegenheit lauerten, ihn zu stürzen. Sie war daher nicht wenig überrascht, als sie in dem Schreiben den Befehl fand, sofort nach Dresden zu ihrem Gemahl zu kommen. Diesem Befehle nicht Folge zu leisten war nicht rathsam. Außerdem trieb schon die Neugier sie an, sich ehestens auf den Weg zu machen. Ihre Leute mußten die Reisevorbereitungen schleunigst treffen. In weniger als eine Stunde stieg Frau von Hoym in den königlichen Wagen. Die Pferde zogen an, und das Portal des Hauses, das sie nicht wieder betreten sollte, fiel klirrend zu.
Während der Fahrt durchkreuzten die seltsamsten Gedanken ihren Kopf. Es erfüllte sie eine geheimnißvolle Angst, eine tiefe Trauer und Thränen standen in ihren Augen. Obgleich sie nicht wußte, welches Schicksal ihrer harrte und nichts darauf hinwies, daß ihr ein Unglück bevorstehe, konnte sie sich dennoch einer namenlosen Angst nicht erwehren.
Sie wußte, daß der König nach mehrjähriger Abwesenheit mit seinem, den Intriguen holden Gefolge von neuem in Dresden residirte. Die Jagd nach königlicher Gunst, nach Ehren und Würden hatte bereits begonnen, eine Jagd, bei welcher keinerlei Mittel für unerlaubt galt. Dem Anscheine nach ging es an diesem Hofe immer lustig her; in Wirklichkeit spielten sich aber furchtbar tragische Ereignisse nur allzu oft dort ab. Während die Besiegten, die Gestürzten, im Kerker schmachteten, tanzten die Sieger, die in Gunst Stehenden, zu den fröhlichsten Weisen ... Wie oft hatte Anna von Hoym nach der Höhe geblickt, auf welcher die Festung Königstein thronte, und hatte dabei an die Geheimnisse, an die Geopferten gedacht, welche diese grauen Steine bargen.
Es war eine dunkle Nacht. Die königlichen Lakeien ritten mit Fackeln voraus, die Pferde mit dem Wagen folgten im Galopp. Sie hatten Dresden gar bald erreicht. Die Carrosse hielt vor dem in der Pirna'schen Straße gelegenen Hause des Cabinetsministers still, in dem alles schlief, obwohl der Accisor noch nicht heimgekehrt war. Gräfin Hoym mußte lange warten, ehe sie eingelassen wurde. In der Wohnung des Ministers, welche den ganzen ersten Stock des Hauses einnahm und nur aus einigen Empfangssälen, der Kanzlei und einem Schlafzimmer bestand, fand sich kein der jungen Frau gehörendes Gemach. Neben dem Arbeitscabinet lag ein großer, düsterer Saal, in dem sich die ermüdete Dame ein Lager bereiten ließ, nachdem sie durch alle Räume des Appartements gegangen war und zu ihrer Verwunderung ihren Gemahl nirgends gefunden und von der Dienerschaft erfahren hatte, daß der Minister einem Bankett beim König anwohne und gewohntermaßen, wie sich der befragte Lakei ausdrückte, wahrscheinlich erst bei Tagesanbruch, wenn nicht noch später, nach Hause kommen werde.
Frau von Hoym schloß sich mit ihrer Kammerfrau in den düsteren Saal ein, ließ die Thür verriegeln und begab sich zur Ruhe. Sie konnte aber nicht schlafen, sondern verfiel in eine krankhafte Betäubung. Bei dem geringsten Geräusch schnellte sie empor und blickte geängstigt in dem leeren Raume umher.
Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sie endlich, von Ermüdung überwältigt, einschlief. Da ging aber die Thür des Nebenzimmers auf, ein schwerer Tritt ließ sich vernehmen, Anna erwachte.
In dem Glauben, Derjenige, welcher in dem anstoßenden Cabinete auf und ab ging, sei ihr Gatte, erhob sie sich vom Lager und ließ sich von ihrer Kammerfrau eiligst ankleiden.
Gräfin Anna's Morgentoilette war bald beendet. Das elegante Negligé erhöhte ihre Schönheit, Aufregung und Ermüdung verliehen ihr neue Reize. Mit raschen Schritten ging sie zu der Thür, schob den Riegel zurück, öffnete und blieb überrascht an der Schwelle stehen.
Vor ihr stand ein alter Mann im schwarzen, talarartigen Kleide der protestantischen Priester. Seine ungemein hohe Stirne war von einem Kranze weißer Haare umgeben, seine grauen Augen glänzten mit eigenthümlicher Pracht in ihrer tiefen Höhlung, ein bitterer Zug lag um seinen Mund. Das Gesicht des Alten, das nichts weniger als schön war, drückte Weltverachtung, Ernst und Milde zugleich aus, und war so originell, so seltsam, daß es die Augen des Beschauers festhielt, ja bannte.
Anna sah ihn unverwandt an und er stand regungslos vor ihr, gleichsam als ob ihn die Erscheinung dieses himmlisch schönen Wesens erstarrt hätte. Aus seinen Augen sprach ebenso viel Ueberraschung als Bewunderung.
Endlich machte er einen Schritt vorwärts. Dabei hob er seine Arme mit einer unbeschreiblichen Bewegung empor – es war, als wolle er die junge Frau zugleich segnen und zurückstoßen.
Die Beiden sahen sich fragend in die Augen. Keines kannte das Andere. Anna sah sich in dem Zimmer um, und als sie ihren Gatten nicht erblickte, war sie im Begriffe, sich zurückzuziehen, als der Priester sie im Tone des innigsten Mitleids fragte: