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Im Tale des Sakramentostromes, der sich bei San Francisco ins Meer ergießt, liegt das Städtchen Quincy.
Früher hat man dort Gold gefunden, da war der Ort, wie alle seinesgleichen, wie durch Zauberei aus dem Boden gewachsen, hatte sich zu rascher Blüte entwickelt und war nach der Ausbeutung der Goldminen wieder in ein Nichts zurückgesunken. Gegenwärtig ist es nur noch ein Flecken, in dem die ringsum wohnenden Arbeiter, Cow-boys und Trapper zusammenkommen, um ihr Geld zu verjubeln; Abgesandte eines Indianerstammes finden sich einmal ein, hier Vorräte einzutauschen, sonst ist Quincy auch der Aufenthalt vieler Abenteurer, welche auf die Gelegenheit warten, sich einer Expedition anzuschließen, die auf die Suche nach neuen Goldfeldern geht.
Das Goldfieber ist in Kalifornien ja noch längst nicht erloschen, noch immer kann man dort sein Glück machen, etwa so, wie man in einer Lotterie von 100.000 Losen das große Los ziehen kann.
Es ist eben nicht nötig, deshalb nach Kalifornien zu gehn.
Die Ankunft eines Fremden, der etwas Besseres war, erregte im Orte große Spannung, und bald hatte sich denn auch die Kunde verbreitet, der Mann wolle eine Goldsucherexpedition ausrüsten.
In Scharen stellten sich allerlei Leute bei ihm ein: Händler, Juden oder pfiffige Yankees, welche die Ausrüstung besorgen wollten, Gelichter aller Art bot sich zur Begleitung an und rühmte seine Vorzüge. Der eine hatte schon eine Goldexpedition mit Erfolg begleitet, der andre schon eine geführt, wieder einer verstand alle Dialekte der umwohnenden Indianer, der vierte pries seine Treue und Unerschrockenheit an, der fünfte seine Kochkunst und so weiter.
Die meisten pochten auf ihr Glück, denn das gehört zum Goldgraben, auch wenn man das Goldfeld schon gefunden hat. Aber das: »Wie hoch ist mein Anteil dabei?« war immer die Hauptsache.
Als es dann hieß, der Fremde wisse noch gar nicht, ob überhaupt ein Goldfeld hier existiere, er hätte nur einmal etwas davon erzählen hören, erkaltete bei vielen schon der Eifer. Diese Leute wußten ja am besten, daß in der Gegend nichts mehr zu finden war.
Nur die, denen der Lohn an sich genügte, weil sie sonst hungerten, drängten sich herbei, und außerdem noch Menschen einer ganz besondern Gattung, welche etwa mit unsern Erfindern und Patentmachern zu vergleichen sind.
Meist waren es aber hier ganz heruntergekommene Subjekte.
Der Fremde allerdings war kein Greenhorn, kein Neuling auf dem Gebiete des Goldsuchens, und auch in der Gegend war er nicht zum ersten Male.
Nur dem Umstande, daß die eigentlichen Westmänner, die Pelzjäger, Fallensteller und Trapper die von Goldgräbern bewohnten Niederlassungen nicht zu betreten pflegten, weil sie mit dem Gesindel nichts zu tun haben wollten, hatte der Ankömmling es zu danken, daß er nicht sofort als Cutting Knife erkannt wurde.
Nobody war von San Francisco aus nach Quincy gekommen, um dort seine Begleiter für die Entdeckungsfahrt auszuwählen. Er trat mit allem Vorbedacht als der berühmte Westmann auf.
Es braucht ja nicht erst gesagt zu werden, daß es ihm sonst eine Kleinigkeit gewesen wäre, sein Aussehen derart zu verändern, daß weder Jean Matelas, noch sonst jemand, der ein Interesse an seiner Person hatte, ihn erkannte.
Zu dem Entschlusse, auch hier als Cutting Knife aufzutreten, war Nobody aus folgenden Gründen gekommen.
Daß Jean Matelas bei der Dampferkatastrophe auf dem Mississippi mit dem Leben davongekommen war, stand für Nobody fest, ebenso, daß der Dieb die Pläne über die Goldfelder immer wohl verborgen bei sich trug, und daß er bereits die Gegend zwischen dem San Joaquin und dem Sakramento durchstreift hatte, ohne bisher den geheimnisvollen Platz gefunden zu haben.
Der raffinierte Verbrecher hatte ferner aus den Zeitungen erfahren, daß Cutting Knife in Jefferson geblieben war, dort das Treiben der Flußpiraten enthüllt und ihm ein Ende bereitet hatte. Daraus schloß Jean Matelas, daß er von seinem Verfolger für tot gehalten wurde, war aber jedenfalls vorsichtig genug gewesen, auf der Reise nach San Francisco oder erst dort sich ein möglichst verändertes Aussehen zu geben. Denn Cutting Knife mußte unter allen Umständen nach Kalifornien kommen, um, auch ohne daß er die Pläne zurückerbeutet hatte, nach den Goldfeldern zu suchen.
Jean Matelas, der kein Westmann war und aus der Karte, die der alte Trapper nach indianischer Manier entworfen hatte, nicht klug werden konnte, wollte sich dann unerkannt an die Fersen Cutting Knifes heften, sich vielleicht sogar in seine Expedition anwerben lassen. Kamen sie in eine Gegend, auf welche die Angaben des Planes paßten, dann wollte er sich heimlich von seinen Gefährten trennen und auf eigne Faust weiterforschen.
Mittel und Wege, die letztern zu vernichten, daß keiner von ihnen aus der Wildnis zurückkehrte, würden sich an Ort und Stelle schon finden lassen.
Nobody aber erriet mit dem ihm eignen Scharfsinn nicht nur diesen Plan des Diebes, sondern baute auch den seinen darauf auf. Er wußte ganz genau, daß er Jean Matelas bestimmt erkennen würde, mochte derselbe sich auch noch so gut verkleidet haben. Er wollte ihn unter die Schar seiner Begleiter aufnehmen. Dadurch, und zwar nur dadurch, ward es ihm möglich, den Schurken stets im Auge zu behalten und im gegebenen Falle unschädlich zu machen.
Daß Jean Matelas seinen Verfolger und die Männer, die diesen begleiteten, aus dem Wege zu räumen, zu töten suchen würde, das war für Nobody nur ein Reiz mehr, das Abenteuer zu wagen.
Jean Matelas wollte den vermeintlichen Cutting Knife überlisten und ahnte nicht, daß dieser den Dieb in der eignen Schlinge zu fangen beabsichtigte.
Es wird sich alsbald herausstellen, wie schlau Nobody kombiniert hatte, wie er Jean Matelas vollkommen durchschaute, und wie gut es war, daß er noch immer als Cutting Knife auftrat.
Wäre Nobody, das muß noch gesagt werden, als ein andrer nach Quincy gekommen, dann hätte Jean Matelas sich ihm keinesfalls ohne weiteres genähert, hätte im Gegenteile neuen Verdacht geschöpft und wäre zur Vorsicht gemahnt worden. Der durchtriebene Verbrecher glaubte sich eben an Schlauheit dem Westmann Cutting Knife nicht nur gewachsen, sondern noch überlegen. Gerade das sollte ihm zum Verderben gereichen.
Nobody machte also gar kein Hehl daraus, daß er nach unermeßlich reichen Goldfeldern suchen wollte, nur gab er stets vor, daß er nichts Bestimmtes darüber wüßte, ob dieselben wirklich existierten oder nicht. Von Indian Bill erwähnte er nichts. Jean Matelas nahm ja ohnehin an, daß Cutting Knife im Auftrage des Colonels hier sei.
Eines Tages ließ sich ein Spanier angeblich in einer wichtigen Angelegenheit bei Cutting Knife melden.
Der Kerl sah furchtbar schmutzig und zerlumpt aus, seine Kleidung bestand nur aus einem Paar niedergetretener Schuhe, Hosen und dem Poncho, das heißt einer Decke, in die er ein Loch geschnitten hatte, durch das er den Kopf steckte. Ein Hemd hatte er nicht mehr auf dem Leibe.
»Ihr wißt, daß sich hier ein Goldfeld befindet, Senor?« fragte er geheimnisvoll.
»Ich vermute es.«
»Woher?«
»Das ist meine Sache!«
»Wißt Ihr den Weg dahin?«
»Den will ich eben suchen.«
»Kennt Ihr die Gegend?«
»Ungefähr.«
»Würdet Ihr sie wiedererkennen?«
»Sprecht, was Ihr eigentlich wollt!«
»Ich weiß nämlich, daß sich im Sakramentotale ein großes Goldfeld befindet.«
»Ah, Ihr wißt es?«
»Ich habe den Ort geträumt,« entgegnete der Spanier triumphierend.
»Erzählt!« sagte Cutting Knife.
»Jawohl, erzählt – damit Ihr dann hingeht, das Gold auflest und ich das Nachsehen habe. Was für eine Prämie gebt Ihr mir und welchen Anteil am Gewinn?«
»Träume sind Schäume. Ich verlange Beweise.«
»Die will ich geben, indem ich Euch hinführe. Erst versprecht mir meinen Anteil schriftlich.«
»Nichts da! Macht, daß Ihr hinauskommt!«
»Halt, hört mich erst an! Die heilige Jungfrau ist mir im Traume erschienen und hat zu mir gesprochen: Fernando, ich liebe dich, denn du wandelst im Gebot des Herrn, welcher ist mein Sohn. Gehe hin nach dem Sakramentotale, die und die Richtung, da und dahin, dort wirst du ein Gebirge finden, so und so aussehend, wende dich da und dahin, dort siehst du einen Baum, zu der und der Gattung gehörend, so und so aussehend – dort laß graben, Fernando, und ich will dich mit den Gütern der Erde segnen, Geliebter des Herrn. Nun?«
»Geliebter des Herrn,« entgegnete Nobody spöttisch, »da und da, dort und dort, so und so, der und der – das ist mir alles etwas zu ungenau.«
»Gebt mir 10.000 Dollar, und ich bezeichne Euch den Ort auf das genaueste.«
»Sam, wirf den Senor hinaus!« befahl Nobody einem Neger, den er als Diener gemietet hatte.
Dieser streifelte die Hemdärmel auf.
»Halt, ich will Euch andre Beweise geben ...«
»Erst laßt mich sprechen! Warum geht Ihr denn nicht selbst hin, wenn Ihr den Ort so genau wißt, und grabt das Gold aus?«
»Das ist eben der Haken: Ich selbst darf den Schatz nie heben, die heilige Madonna befiehlt mir, es einen andern für mich tun zu lassen, sonst würde ich zum Beispiel Pferdemist statt Gold finden.«
»Höchst merkwürdig!«
»Allerdings, aber es ist wahr. Die heilige Jungfrau ist mir nämlich schon zweimal im Traum erschienen.
»Das erstemal erschien sie mir, als ich noch ein Kind war, und sagte: da und da hat jemand hundert Peseta vergraben. Er soll sie nicht behalten, denn er ist ein Gottloser. Dich aber liebe ich, Fernando, weil du ein frommes Kind bist. Aber grabe nicht selbst, sondern laß deinen Freund den Schatz heben, beschreibe ihm den Ort, gib ihm etwas davon ab, und für das andre kaufst du dir schöne Kleider und Kandiszucker. Ich jedoch gehorchte nicht, ich war mißtrauisch und grub selbst nach, und was fand ich? Knochen, die ein Hund dort verscharrt, hatte. Das war meine Strafe. Die Madonna hatte die hundert Peseta in Knochen verwandelt. Oder kann sie das etwa nicht?«
»Und das zweitemal?«
»Sie sagte mir, ich sollte einen Schatz auf einem Friedhof heben, wieder durch einen andern, und wiederum flößte mir das Mißtrauen ein. Den Ort fand ich, den eisernen Topf auch, aber anstatt der versprochenen, darin enthaltenen spanischen Goldmünzen nur eingelegte Pfeffergurken. Nun ist die heilige Jungfrau mir zum dritten und letzten Male erschienen. Wollt Ihr mir die Prämie zahlen?«
»Nein.«
»Senor, bedenkt, so wahr, wie ich hier stehe ...«
»Sam, wirf den Gentleman hinaus!«
Als der Neger jetzt Ernst machte, entfernte sich der Spanier schnell.
Derartige Szenen erlebte Nobody zu Dutzenden.
Von einem Goldfelde konnte ihm niemand direkte Beweise bringen, er mußte sich auf sich allein verlassen, sich einfach nach den Angaben des Colonels richten und seinem Spürsinn vertrauen.
Die Gegenden, die er durchstreifen wollte, waren wüst und menschenleer. Wild gab es dort kaum noch. So mußte er eine vollständige Expedition ausrüsten, reichlich mit Lebensmitteln versehen und aus Männern bestehend, die vor einem Kampfe mit räuberischen Indianern nicht zurückschreckten und darin bewandert waren.
Endlich hatte er eine genügende Anzahl Abenteurer um sich versammelt, auf die er sich verlassen zu können glaubte.
In einem Schuppen standen Maultiere, die das umfangreiche Gepäck tragen sollten, sowie Pferde.
Am nächsten Tage wollte Nobody aufbrechen, als ihn wieder ein Mann zu sprechen wünschte.
Nobody ließ ihn ohne weiteres vor sich.
»Jetzt kommt er! Das ist mein Mann!« sagte er zu sich selber. »Er hat bis zum letzten Augenblick gewartet. Bin neugierig, als was er auftreten wird!«
Ein großer, kräftig gebauter Mann in zerlumpter Kleidung trat ein, das braune Gesicht bartlos bis auf einen goldblonden Seemannsbart, eine sogenannte Schifferkrause; in merkwürdigem Gegensatz dazu standen die dunklen Augen. Das Haupthaar und die Brauen waren jedoch ebenfalls blond.
Gleichmütig schaute Nobody auf. Dabei aber ließ er einen raschen Blick über die linke Hand des Mannes gleiten und sah, was jedem andern entgangen wäre, daß eine Narbe auf dem Rücken derselben durch einen wahrscheinlich aus Pflanzensäften hergestellten braunen Farbton und etwas Schmutz ziemlich gut verdeckt war.
»So ein Tölpel,« sagte der Detektiv zu sich selber. »Er muß mich für schrecklich dumm halten. Fast möchte ich dadurch die Lust an dem Abenteuer verlieren. Wenn ich den Kerl festnehme, finde ich sicherlich den gestohlenen Plan bei ihm und kann dann in aller Gemütsruhe nach den Goldfeldern suchen. Bah, ich will doch sehen, wie er es anfängt, mich hinters Licht zu führen!«
Daß Nobody im Begriff war, einen Mann unter die Schar seiner Begleiter aufzunehmen, der gegebenenfalls vor einem Meuchelmorde nicht zurückschrecken würde, beachtete er nicht eine Sekunde.
»Was wollt Ihr?« fragte er.
»Mich Eurer Expedition anschließen.«
»Alle Stellen sind bereits besetzt.«
»Nehmt mich mit,« bat der Mann, »mir geht's so schlecht!«
»Tut mir leid.«
»Ich bin Koch, habe in Hotelküchen gekocht, Ihr sollt mit mir zufrieden sein.«
»Ein Koch wäre das letzte, was ich brauchte,« lachte Nobody.
»Ich kann aus einer Stiefelsohle ein Beefsteak machen.«
»Alle Achtung vor Eurer Kochkunst, aber eines Koches bedarf ich nicht. Unser Marsch geht durch die unwirtliche Wildnis.«
»Ihr nehmt doch Proviant mit.«
»Ja, getrocknetes Fleisch und Hartbrot.«
»Ich verstehe aus den Ueberresten Brissoletts zu machen.«
»Schon gut. Hier habt Ihr einen Dollar.«
Der Mann nahm ihn und zog dann aus dem Hosenbein ein langes, dünnes, schwarzes Stäbchen hervor.
»Vielleicht könnt Ihr mich aber doch brauchen. Wißt Ihr, was das ist?«
»Ein Stück Fischbein.«
»Nein. Glaubt Ihr an Hexerei?«
»Durchaus nicht.«
»Schade, sonst könnte ich Euch behilflich sein.«
»Womit?«
»Das ist eine Wünschelrute.«
»Was Ihr sagt!«
»Sie schlägt an, wenn unter mir Wasser, Kohle oder Gold ist.«
»Dann grabt nur da, wo sie anschlägt. Hat sie schon angeschlagen?«
»Oftmals.«
»Nun, und?«
»Ich habe nie etwas gefunden,« war die treuherzige Antwort.
»Ihr habt nachgegraben?«
»Ja, und nie etwas gefunden, keine Kohle, keinen Schatz, auch nie eine Goldader, höchstens etwas Wasser, aber das ist ja überall.«
»Da seht Ihr doch, daß das Schwindel ist.«
»Die Rute schlägt aber an.«
»Das ist Tatsache?«
»Ich schwöre es.«
»Warum fandet Ihr denn da nichts?«
»Weil ich nie tief genug graben konnte. Hätte ich etwa eine Gesellschaft veranlassen können, weiter zu graben, so würde man Kohle oder Gold gefunden haben. Das Gold kann ja sehr, sehr tief liegen, wie tief, weiß ich nicht, das sagt mir die Rute nicht, und eine hochliegende Ader oder einen Schatz habe ich eben nie gefunden.«
»Habt Ihr denn von Eurer Wünschelrute niemals jemandem etwas mitgeteilt?«
»Doch, aber man lachte mich aus.«
Der Mann zögerte. »Einmal schlug sie auch an – ich grub – aber – aber – da fand ich nur ein Stück altes Bleirohr.«
»Ich will mit Euch eine Probe machen, und wenn Eure Rute anschlägt, so nehme ich Euch mit.«
»Sie wird anschlagen, wenn wirklich etwas unter mir liegt. Führt mich mit verbundenen Augen herum! Glaubt Ihr überhaupt daran?«
»Ich glaube daran.«
»Dann seid Ihr der erste, der dies tut.«
Das Anschlagen der sogenannten Wünschelrute gehört nicht ins Gebiet der Zauberei oder des Aberglaubens, es ist eine Tatsache, welche die Wissenschaft schon längst anerkannt hat, und für uns, die wir im Zeitalter der Elektrizität leben, gar kein Wunder mehr. Die Wissenschaft spricht natürlich nicht von einer Wünschelrute, sondern von einem Elektrometer, und überhaupt ist die lange Rute nur ein Hilfsmittel, um die Erregung der Nerven deutlicher zum Ausdruck zu bringen.
Man unterscheidet positive und negative Elektrizität, welche sich stets zu vereinigen suchen, so zum Beispiel beim Gewitter durch den Blitz. In allem, was existiert, ist positive und negative Elektrizität vereinigt, also auch im Menschen, in jedem Tiere. Es gibt wenig Menschen, die einen Kork zwischen die Zähne nehmen können, ohne ein unangenehmes Gefühl zu haben. Die meisten sind überhaupt nicht zu bewegen, darauf zu beißen, sie schaudern davor zurück. Vielen Kindern ist es unmöglich, mit den heutzutage aufgekommenen Steinbaukästen zu spielen. Sie schreien, sie wollen die Steine nicht anfassen, man weiß nicht warum. Aber auch Erwachsenen geht es manchmal so; besonders bei Frauen bemerkt man öfters, daß sie solche Steine mit Zeichen des Abscheues wegwerfen. Das alles sind Folgen einer Entstehung von elektrischen Strömen durch bloße Berührung. Bei sehr sensitiven Personen, das heißt, bei Leuten mit sehr feinen Nerven, äußert sich die Wirkung schon von weitem, gewöhnlich, ohne daß sie es merken, und solche Personen sind gar nicht so selten.
Der italienische Gelehrte Amoretti hat zuerst eine völlige, fast erschöpfende Theorie dieser Erscheinung aufgestellt und sie durch Experimente als richtig bewiesen. Einen hierzu gefertigten Apparat nennt man das Elektrometer, da aber die eigentliche Wünschelrute der Mensch selbst ist, so nennt man ihn, wenn solcher männlichen Geschlechts ist, der Bequemlichkeit halber ›den Elektrometer‹, eine Frau würde ›die Elektrometer‹ genannt werden. Die Rute, aus Metall, Fischbein, trocknem oder grünem Holz bestehend, dient also nur zum bessern Markieren der Nervenerregung, sowie zum Ausstrahlen des elektrischen Stromes durch die Spitze, wie beim Blitzableiter auf dem Dache.
Die Elektrizität der Metalle kann negativ oder positiv sein. Negativ sind zum Beispiel Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Zinn, Blei, Steinkohle, Petroleum, auch Wasser. Positiv: Edelsteine, vor allen Dingen Diamanten, Braunkohle, Schwefel und andre Mineralien.
Die dafür empfängliche Person trägt die Wünschelrute, am besten eine grüne Rute, schräg gesenkt, ohne mit ihr den Boden zu berühren. Wenn die Spitze zu zittern anfängt, sich hebt und senkt, sogar auf den Boden aufschlägt, so befindet sich unter den Füßen in der Erde etwas, das positive oder negative Elektrizität ausstrahlt: entgegengesetzte Elektrizität strömt aus dem menschlichen Körper und sucht sich mit der andern zu vereinigen. Ein Betrug kann leicht ausgeschlossen werden. Die Person trägt ein Thermometer in der Hand, und sobald die Rute anschlägt, muß das Quecksilber infolge größerer Wärmeentwicklung um einige Grad steigen. Bekommt der Betreffende einen Kompaß in die Hand, so muß die Nadel ganz bedeutend abweichen.
Nun gilt es zu untersuchen, was der Gegenstand unter den Füßen ist. Aus der Gegend, der Beschaffenheit des Erdbodens und so weiter vermutet man Kohle, Eisen oder Wasser. Man gibt dem Elektrometer ein Stück Kohle in die Hand – die Rute schlägt weniger, bei Eisen auch. Kohle und Eisen werden dem Menschen in die Hand gegeben – die Rute zittert nur noch. Kohle und Eisen enthält der Boden also nicht. Jetzt taucht man ein Leinwandläppchen – keine Baumwolle – ins Wasser und gibt dies dem Elektrometer in die Hand. Die Rute wird sich heftiger denn je bewegen, den Boden vielleicht sogar peitschen, und man wird Wasser finden.
Man sieht, die Vorsuche müssen sehr sorgsam angestellt werden, viele Erfahrung und Ehrlichkeit des Elektrometers ist nötig, und schließlich – wo ist das Gold, welches etwa angezeigt wird? Es kann viele Kilometer unter der Erde liegen, es kann in einer Verbindung auftreten, nur ein einzelnes Goldstückchen sein, zufällig dorthin geraten, statt der mächtigen Goldader findet man einen unter dem Staube liegenden Goldring, auf den die Rute heftig schlug.
Uebrigens ist der Erfolg der sogenannten Wünschelrute in neuester Zeit glänzend bestätigt worden. Algier besitzt große Wüsteneien. Im Volke ging die Sage, darunter flössen Wasserströme. Ingenieure ließen es sich angelegen sein, danach zu forschen, obgleich die ganze Gegend gar nicht dafür sprach, gruben und bohrten und fanden nichts und verwünschten den Volksaberglauben. Ein junger, französischer Ingenieur aber machte den Versuch mit dem Elektrometer, die Rute schlug an, er bestimmte schon im voraus die Wasserläufe, ließ sich durch die Tiefe, nicht abschrecken und fand unterirdische Ströme. Da diese jetzt ausgenutzt werden, dürften sich die meisten Gegenden des südlichen Algiers bald in blühende Gefilde umwandeln. –
Nobody kannte das alles seit langem, und überzeugt von dem Vorhandensein geheimnisvoller, noch nicht erklärter Naturkräfte, glaubte er auch an die Wünschelrute.
Seine Meinung über Jean Matelas änderte sich.
Der Mann fing es ganz gescheit an, Aufnahme in die Expedition zu finden. Er schien sogar die Gedanken Nobodys in gewissem Sinne erraten zu haben; denn dieser war bereits entschlossen gewesen, sich der Wünschelrute beim Aufsuchen der Goldfelder mit zu bedienen.
›Na, warte, Freundchen,‹ dachte er, ›mich fängst du doch nicht, aber mitkommen sollst du!‹
»Wie nennt Ihr Euch?« fragte er.
»Joe Bertram!«
»Ihr könnt also kochen?«
»Vorzüglich!«
»Seit wann wißt Ihr, daß die Wünschelrute in Eurer Hand sich bewegt?«
»Schon seit langer Zeit!«
»Ihr seid mit einer Prüfung Eurer Fähigkeit einverstanden?«
»Jawohl. Prüft mich!«
»So geht hinaus, laßt Euch zu essen geben und haltet Euch bereit, auf meinen Ruf zu erscheinen!«
Der Mann, Jean Matelas also, entfernte sich. Er hatte durch keine Miene verraten, daß er den vor ihm Stehenden kannte. Er spielte seine angenommene Rolle gut, und seine List wäre ihm sicher geglückt, wenn er es eben nicht mit Nobody zu tun gehabt hätte.
Dieser schritt schweigend mehrmals durch das Zimmer – dann hatte er seinen Plan gefaßt. Er rief Sam, befahl ihm, den Fremden daran zu hindern, daß er ins Freie blicken könne, begab sich hinaus und machte sich an verschiedenen Stellen der Umgegend kurze Zeit zu schaffen.
Bald kehrte er zurück und rief Joe Bertram zu sich. Sam mußte sie begleiten.
Die Augen geradeaus gerichtet, die Spitze des Fischbeinstabes etwas über dem Boden in vorgestreckter Hand, folgte Bertram dem vorausgehenden Nobody.
Plötzlich blieb der Mann stehn.
»Die Rute schlägt.«
Allerdings bewegte sich das Stöckchen heftig, berührte auch manchmal den Boden.
Nobody gab dem Manne nacheinander ein Goldstück, eine Silbermünze und einen Eisennagel in die Hand.
Die Rute bewegte sich nicht mehr; kaum aber hatte Nobody ihm eine Bleikugel in die Hand gegeben, als die Rute den Boden förmlich peitschte.
»Es stimmt! Bravo! Ich habe ein Stück Blei hier vergraben.«
So glückten sämtliche Versuche bis auf einen.
Nobody führte Bertram mehrmals über einen Platz, wo er etwas vergraben hatte – die Rute schlug nicht an.
»Fühlt Ihr denn gar nichts?«
»Gar nichts.«
Er gab ihm ein Goldstück in die Hand.
»Aber jetzt?«
»Auch nichts.«
Da Nobody an dieser Stelle eine gleiche Münze vergraben hatte, warf er selbst die Erde auf – er fand nichts – das Goldstück war mittlerweile von unbekannter Hand gestohlen worden.
Die Wünschelrute hatte die Probe glänzend bestanden. Joe Bertram ward in die Gesellschaft aufgenommen. Er triumphierte insgeheim, und Nobody hütete sich wohlweislich, ihn darin zu stören.
Die Expedition brach auf, und Joe Bertram erwies sich als vortrefflicher Koch. Er bereitete aus den mitgenommenen Konserven schmackhafte Speisen, und zwar mit Hilfe von Kräutern, die er selbst suchte, sobald die Gesellschaft sich irgendwo gelagert hatte.
Am fünften Tage nach dem Aufbruch erreichte der Zug die Gegend, in der Indian Bill damals mit dem alten Trapper geweilt hatte.
Nobody erkannte sie sofort an verschiedenen Merkmalen, von denen kein andrer Mensch außer dem Colonel etwas wissen konnte und schärfer als zuvor beobachtete er den angeblichen Joe Bertram.
Derselbe war jedoch auf seiner Hut. Er tat seine Pflicht als Koch, und willig nahm er die Wünschelrute zur Hand, wenn sein Herr ihm das befahl.
Indian Bill war von hier aus nur etwa eine Stunde weit durch den alten Trapper geführt worden. Die Goldfelder mußten also in unmittelbarer Nähe liegen.
»Ich muß sie entdecken, auch ohne daß ich mich nach dem Plane orientieren kann. Das scheint ja sowieso nicht leicht zu sein, denn sonst hätte Matelas schon längst den größten Teil der Schätze in Sicherheit gebracht. Freilich, was ihm nicht möglich war, würde mir sofort mit Hilfe der Zeichnung gelingen, doch wozu bin ich denn Nobody? Es wird bedeutend besser klingen, wenn in ›Worlds Magazine‹ steht, ich fand das Gold ohne Plan, nahm den Dieb erst nachträglich gefangen, als wenn es heißt, ich fing den Dieb, nahm ihm den Plan ab und entdeckte nach seiner Anweisung die verschwundenen Goldschätze! Also los, Nobody! Zeige, was du kannst!«
Vergebens durchstreifte er jedoch mit Joe Bertram und Sam die ganze Gegend. Man fand keine Goldfelder. Niemand aus der Gesellschaft ahnte, daß der vermeintliche Cutting Knife, Nobody, den Dieb dadurch nur vollständig sicher machen wollte.
In Wahrheit hatte Nobody schon die wichtigste Entdeckung gemacht – er hatte den herrlichen Wald gefunden, den der alte Trapper so geliebt!
Oftmals entfernte Nobody sich allein aus dem Lager. Einen Vorwand fand er immer, selbst Bertram, Matelas, konnte keinen Argwohn deswegen fassen. Er fühlte sich übrigens ja immer noch schon im voraus als Sieger über Cutting Knife.
Einmal, als man sich zeitig in einer gebirgigen Gegend gelagert hatte, sah Nobody in der Ferne eine wilde, kalifornische Ziege weiden, eines jener prächtigen Exemplare mit langen, weißen Haaren und gewaltigen Hörnern, dem Steinbock ähnlich.
Sofort beschloß Nobody die Jagd auf das Tier, um eine neue Durchforschung der Gegend vornehmen zu können.
Der Bock witterte ihn zwar, doch war er sich über die Anwesenheit des Feindes noch im unklaren, er floh nicht, sondern zog sich nur langsam zurück, so daß ihm Nobody kriechend folgen konnte, ohne aber zum Schuß zu kommen.
Es ging über Felsabhänge und grasige Plateaus hinweg, und auf einem solchen sah das scheue Tier den Gewehrlauf in der Sonne blitzen – in mächtigen Sätzen floh es davon.
Nobody glaubte, ihm nochmals den Weg abschneiden zu können; in rasender Geschwindigkeit sauste er rutschend einen Abhang hinunter, er erblickte das Tier wieder, wie es über eine Spalte setzte, dann war es verschwunden.
Sofort eilte Nobody hin und bemerkte, daß der Bock seine Flucht in eine Kluft genommen hatte, die gar nicht aussah, als hätte sie eine Fortsetzung, denn im Hintergrund erhob sich die Wand. Trotzdem mußte ein Ausgang vorhanden sein, denn das Tier war nirgends mehr zu erblicken.
Nachdem Nobody daher die Spalte übersprungen hatte, drang er in die Kluft ein und entdeckte bald einen schmalen Paß, so eng, daß ein Mann sich eben noch hindurchzwängen konnte.
Das war die Gegend, in der allein die Goldfelder liegen konnten. Sollte er ihre Entdeckung nur dem Zufall verdanken, der das flüchtende Wild gerade hierher geführt hatte? Dann wäre das Weitere keine Arbeit mehr gewesen, würdig eines Nobody.
Doch nein! Gerade hier begann ja erst die eigentliche Aufgabe für ihn, denn weiter hatte ja Indian Bill auch nichts anzugeben vermocht, als daß der Trapper ihn in eine derartige Gegend geführt habe. Dann waren ihm die Augen verbunden worden.
Nobody drang vorwärts. Bald erweiterte sich die Schlucht, andre Pässe zweigten nach links und rechts ab, es war ein förmliches Labyrinth. Da breitete sich plötzlich vor Nobody, umgeben von himmelhohen Felswänden, ein liebliches Tal aus, in dessen Mitte sich ein herrlicher Wald erhob.
Wie hatte der alte Trapper gesagt? Er wolle nicht, daß die Axt der habgierigen Goldsucher seinen Lieblingswald zerstöre. Die Felsmauern ringsum waren nicht die Abhänge eines Plateaus, sondern schlossen nur das Tal ein. Hier mußte die Höhle mit den goldnen Schätzen liegen.
Nobody kehrte in das Lager zurück, ohne von seiner Entdeckung zu sprechen.
Am nächsten Morgen aber führte er selbst seine Begleiter durch die Schlucht hinab in den Wald.
Ja, war es denn nicht gewagt, daß er den Männern den Ort zeigte? Konnten die Leute nicht, von Habgier getrieben, daran denken, ihren Führer aus dem Wege zu räumen, um das Gold für sich behalten zu können? Sie dachten nicht daran; denn wenn ihre Expedition erfolgreich war, dann mußte auf jeden von ihnen ein derartiger Gewinnanteil fallen, daß sie reiche Leute wurden.
Um den Schein zu wahren, mußte Joe Bertram mit der Wünschelrute voranschreiten. Sie zuckte nicht, bewegte sich nicht. Es ging hin und her, kreuz und quer, im Bogen, viele, viele Stunden lang – die Rute gab kein Zeichen von sich.
»Hier ist nichts, Herr,« sagte Joe, »kein Gold, kein Eisen, keine Kohle, kein Wasser, gar nichts!«
Die Versuche wurden wiederholt, indem Bertram ein Goldstück in die Hand nahm, so daß die Rute direkt auf Gold, aber nur auf dieses, anschlagen mußte, doch der Elektrometer sagte nichts.
Die Leute murrten bereits.
Nobody nahm das Goldstück wieder an sich.
Sofort schlug die Rute heftig gegen den Boden.
Man grub nach und fand eine starke Wasserader, die dem Boden als förmlicher Sprudel entsprang. Sie mußte demnach unter starkem Druck stehn.
Das Lager ward daneben aufgeschlagen.
Niemand ahnte ja, daß Joe Bertram ein Betrüger war, der die Rute nur in Tätigkeit treten ließ, wenn es ihm beliebte.
Die zwei Zelte, eins für die Goldgräber, ein kleineres für Nobody, waren aufgeschlagen und Feuer angezündet worden.
Joe Bertram wollte sich wieder einmal aus dem Lager entfernen.
Nobody rief ihn an:
»He, Joe, wohin geht Ihr?«
»Wie immer, Kräuter holen.«
»Hier wächst ja nichts!«
»Ich habe dort oben welche stehn sehen.«
»Es ist ja stockfinster. Ihr brecht den Hals!«
»Ich habe mir die Stelle genau gemerkt, in fünf Minuten bin ich wieder da.«
Er verschwand in der Nacht. Erst nach einer Viertelstunde kam er wieder, Kräuter und Wurzeln mitbringend.
Die Kessel hatten schon gekocht. Joe tat das Pflanzenwerk hinzu, ließ es noch einmal kochen und hatte bald, wie immer, ein schmackhaftes Gericht bereitet, für Nobody ein besonderes.
Das hatte dieser zuerst gar nicht gewollt; aber Joe ließ es sich nun einmal nicht nehmen, für den Führer der Expedition besonders und etwas Besseres zu kochen. Die Vorräte erlaubten es schließlich auch, und so hatte Nobody dem Eigensinn des Kochs nachgegeben.
Die Goldgräber schöpften also aus dem gemeinsamen Kessel ihre Näpfe voll und aßen. Es wurde noch eine Pfeife geraucht, dann legte man sich schlafen. Nur Sam saß eine Weile stumm da, ging oder schleppte sich darauf zu Nobody und gestand ihm, daß er krank sei.
Was sollte man hier mit einem Kranken anfangen?
Sam begann sofort nach dieser Erklärung zu wimmern, warf sich hin und krümmte sich.
»Hast du Fieber? Wo tut es dir weh?«
»Im Leib!«
Nobody ließ sich die Zunge zeigen, sich anhauchen, fühlte den Puls, der trocken und langsam schlug.
Sam heulte vor Schmerzen.
Noch einmal blickte ihm Nobody lange ins Auge. Die Pupille war merkwürdig groß.
»Fast möchte ich glauben, es wäre eine Vergiftung – etwa mit Belladonna.«
Unterdrückte Schreie erschollen, fast ebensoviel, wie es Goldgräber gab, so viel Revolver blitzten in den Händen, auf Joe gerichtet.
»Hund, du hast uns vergiftet!«
Ueber Goldgräber, die sich, nachdem sie den Schatz gefunden, gegenseitig töten, um nicht teilen zu müssen, gibt es zahllose Geschichten, und ob sie nun wahr oder erfunden sind – es wäre nichts Neues.
Jedenfalls hat Gift unter den Goldsuchern schon eine große Rolle gespielt.
Nobody war unvorsichtig gewesen, als er das Wort ausgesprochen hatte.
Der Koch stürzte auf ihn zu.
»Herr, schützt mich, sie wollen mich morden!«
»Unsinn,« donnerte Nobody, »wie kann Joe daran schuld sein! Er hat doch von dem Gericht mitgegessen. Fühlt sich etwa einer von Euch unwohl?«
Beschämt wurden die Waffen gesenkt.
Sam begann zu röcheln, sein Gesicht war verzerrt.
»Heißes Wasser!« gebot Nobody, öffnete die von San Francisco mitgenommene Reiseapotheke und flößte ihm Brechweinstein ein.
Heftiges Erbrechen stellte sich ein, und das half schon allein. Sam kam wieder zur Besinnung, wenn auch noch über heftige Schmerzen im Leib klagend.
»Ihr werdet von jetzt ab Eure Kräuterzutaten unterlassen, Joe,« gebot Nobody.
»Glaubt Ihr, ich wäre fähig, jemanden zu vergiften?«
»Davon ist keine Rede. Ich will es einfach nicht mehr haben.«
»Oder denkt Ihr, ich kenne nicht alle giftigen Kräuter?«
»Seid Ihr Kalifornier?«
»Geborener Kalifornier,« entgegnete Joe schnell.
»Woher?«
»Aus Santa Michaele.«
»Ach was, da bin ich ja auch her!« rief ein Goldgräber.
»Ich kam schon als kleines Kind fort – weiß nichts mehr davon,« meinte Bertram.
»Genug, ich wünsche nicht mehr, daß Ihr Kräuter und Wurzeln in das Essen tut. Es schmeckt uns auch so.«
Der Koch brummte etwas vor sich hin.
Joe Bertram hatte den ersten Versuch gemacht, die Gesellschaft aus dem Wege zu räumen. Nobody zweifelte keine Minute daran, daß Sam Gift bekommen hatte. Er stellte sich nur so, als wenn er an einen tückischen Zufall glaubte. Schärfer als je beobachtete er den Koch.
Am nächsten Tage machte Nobody einen Versuch mit dem Magneten.
Das Taschenmesser, das er bei sich führte, hatte er magnetisiert – durch Streichen mit demselben verwandelte er eine Nähnadel in eine Magnetnadel, hing sie an einem Faden auf, nahm diesen in die Hand, ein Goldstück dazu – sofort wies die Nadel nach Osten.
Das Experiment war geglückt. Nobody steckte die Nadel in das Rockfutter, das Messer in die Tasche.
Er hatte sich in geraumer Entfernung von dem Lager befunden, anscheinend ganz allein, aber er hatte sofort den hinter einem Gebüsch versteckten Joe Bertram bemerkt.
Als Nobody am nächsten Morgen erwachte, waren Taschenmesser und Nähnadel verschwunden. Er lächelte. Jetzt brauchte er die Schlinge nur noch zuzuziehen, und der Dieb, Jean Matelas, war gefangen.
Am Abend wollte der Koch sich abermals, trotz des Verbotes, aus dem Lager entfernen.
»Joe, wohin?« rief Nobody ihn an.
»Kräuter holen!«
»Ihr bleibt!«
»Ah, Euch wird das Essen nicht schmecken,« entgegnete Joe und wollte weitergehn.
Sofort war Nobody neben ihm. »Zurück, Mann! Ihr bleibt!«
»Ihr habt mich in Verdacht!« stellte Joe sich gekränkt.
»Schweigt und gehorcht! Gegen meine Befehle gibt es keine Auflehnung.«
Da legte der Koch sich neben dem Lagerfeuer nieder.
Der Marsch ward am nächsten Tage in der Richtung nach Osten fortgesetzt. Die Wünschelrute kam diesmal nicht zur Anwendung.
Da, als die Männer um eine Felswand bogen, trafen sie mit einem großen Trupp Indianer zusammen.
Alle waren zu Fuß und bewaffnet, aber nur wenige mit Gewehren, mit alten Feuersteinflinten, alle mit Federn geschmückt und bemalt, woraus Nobody erkannte, daß sie sich auf dem Kriegspfade befanden.
Die Indianer Kaliforniens, jetzt etwa noch 8000, stehn von allen Stämmen Nordamerikas auf der niedrigsten Stufe.
Nicht, daß sie ihnen an scharfen Sinnen, Kampfeslust und so weiter nachständen, aber man vermißt an ihnen alle ritterlichen Eigenschaften und Tugenden, welche jene doch wenigstens zum Teil besitzen, wie zum Beispiel Gastfreundschaft, Halten des gegebenen Wortes. Sie sind feig, hinterlistig, treulos, verräterisch und dem Trunke über alles ergeben.
Eine Feindseligkeit der Indianer war jetzt allerdings ganz ausgeschlossen, sie kannten die Wirkung der Hinterlader.
Ein mit Federn überladener Krieger trat vor, Nobody ging ihm entgegen, Zeichen des Friedens machend.
Der Häuptling redete ihn an, aber in einem Dialekte, den selbst der sprachengewandte Detektiv nicht sofort verstand. Der Indianer hatte das kaum gemerkt, als er fortfuhr:
»Die Comanchen sind Freunde des fliegenden Pfeiles.«
»Und die Comanchen sind auch meine Freunde,« erwiderte Nobody sofort in deren Sprache, »so bin ich also auch dein Freund.«
»Der fliegende Pfeil freut sich darüber.«
»Mein Bruder ist Häuptling?«
»Häuptling der Moquis,« war die stolze Antwort. »Seine Macht reicht so weit, wie die Sonne scheint.«
»Ich weiß es. Kennst du mich?«
»Wie heißt mein Bruder?«
»Cutting Knife!«
»Das schneidende Messer? Die Comanchen erzählen, Cutting Knife sei versammelt in die ewigen Jagdgründe,« sagte der Häuptling ungläubig.
»Cutting Knife steht vor dir!«
»Wo hat mein Bruder das tötende Rohr?«
Diese Frage hatte Nobody erwartet, denn für die Indianer mußten die Begriffe ›schneidendes Messer‹ und ›tötendes Rohr‹ unzertrennlich bleiben.
›Schneidendes Messer‹ nannte man den berühmten Westmann, weil die Sage von ihm ging, daß er die Gegner, die einen Kampf mit ihm wagten, zwar stets besiege, aber niemals töte. Er schnitt ihnen nur mit dem Messer ein Zeichen ins Gesicht.
Das ›tötende Rohr‹ aber war die nie ihr Ziel fehlende Winchesterbüchse Cutting Knifes. Wer sich für diesen ausgab, mußte sie besitzen.
»Hier!« antwortete also Nobody und zeigte das Gewehr.
»Beweise, daß es das tötende Rohr ist!«
Nobody blickte nach oben und sah in der Luft über sich einen Raubvogel schweben, nicht größer als ein Bussard, das heißt, von der Erde aus gesehen.
Er riß die Winchesterbüchse hoch, zielte einen Moment und drückte ab.
Sofort klappten die Flügel des Vogels in die Höhe; mit wachsender Geschwindigkeit sauste er herab, sich ungeheuer vergrößernd.
»Wah!« schrie der Häuptling und prallte zurück, desgleichen seine Krieger.
Der Vogel stürzte zwischen die Felsen; einige Indianer kletterten über die Steine und brachten einen riesigen Adler geschleppt, von wenigstens drei Meter Flügelspannweite, dem die Kugel den Kopf abgerissen hatte.
Wie hoch mußte das Tier geschwebt haben, um wie ein Bussard auszusehen!
Wie alle wilden Völker, so zollen die Indianer nicht dem Schützen, sondern dem Gewehre Bewunderung.
Der Häuptling streichelte es.
»Ha, mein Bruder hat das tötende Rohr in der Hand.«
»Und dies sind meine Krieger, sie haben ebensolche Rohre wie ich, die stets treffen.«
Nobody schoß zehnmal hintereinander aus dem Gewehr, ohne zu laden. Er hatte noch immer fünf Patronen im Magazin.
»Wir brauchen nie zu laden. Auch nicht diese Pistolen.«
Er feuerte drei Kugeln aus einem Revolver nach einem aus einer Spalte wachsenden Baum, so daß sie nebeneinander saßen.
Das Erstaunen der Indianer wuchs, nicht über den Revolver, den sie kannten, sondern über diese Treffsicherheit.
»Und so wie ich, entsenden alle meine Krieger ihre Blitze. Wir fehlen nie das Ziel. Was meint der fliegende Pfeil, könnten wir es nicht mit 1000 Indianern aufnehmen?«
Der Häuptling streichelte wieder liebevoll das Gewehr und betrachtete dann seine alte Donnerbüchse.
»Wenn der fliegende Pfeil das hätte, wäre er der Häuptling aller Häuptlinge. Der fliegende Pfeil möchte auch so ein Gewehr haben.«
»Ich bin der Häuptling der Stämme, die dort jenseits der Berge bis ans Meer wohnen,« versetzte Nobody.
»Meines Bruders Zunge ist gespalten,« erwiderte der fliegende Pfeil. »Er redet nicht die Wahrheit!«
»Der fliegende Pfeil mag sich hüten vor dem Zorn des Cutting Knife.«
»Wir sind arm und haben Hunger,« lenkte der Häuptling, in dessen Reiche die Sonne nicht unterging, ein. »Wenn mein Bruder der Häuptling aller Häuptlinge ist, wird er seine Krieger nicht verhungern lassen.«
Nobody ließ ihnen Hartbrot und Pemmikan geben, über das die Rothäute sich sofort hermachten.
»Der fliegende Pfeil hat Durst,« meinte dann der mit vollen Backen kauende Häuptling.
»Dort fließt Wasser.«
»Der fliegende Pfeil ist krank, Gin besser.«
Gin ist Wachholderschnaps, den der Häuptling wahrscheinlich sehr liebte.
»Ich habe keinen Gin.«
Der Häuptling kniete nieder, nahm einen Schluck Wasser und spuckte es wieder aus.
»Puh, schlecht. Der fliegende Pfeil und seine starken Krieger werden davon schwach und krank.«
»Ich habe keinen Gin.«
»Rum?«
»Nein.«
»Brandy?«
»Auch nicht!«
»Whisky?«
»Ueberhaupt gar nichts, wir führen kein Feuerwasser mit uns.«
»Schade!«
Wieder streichelte der fliegende Pfeil das Gewehr Nobodys und betrachtete dann das seine.
»Meins ist besser.«
»Ich glaube auch.«
»Ich schenke es dir, wenn du mir deins dafür gibst, dann sind der fliegende Pfeil und Cutting Knife Freunde.«
Da legte Nobody ihm die Hand auf die nackte Schulter, so fest, daß der Häuptling eine Grimasse schnitt.
»Nun will ich dir etwas sagen, fliegender Pfeil. Jetzt marschierst du geradeaus und wir geradeaus, und wenn du andre Gedanken hegst, so fahren unsre Blitze zwischen euch! zzziyyy Good bye!zzz/iyyy«
Nobody gab Befehl, den Weg fortzusetzen, ohne nur einmal den Kopf zu wenden, ließ seine Leute an sich vorbei und bildete den Schluß.
Auch er blickte sich nicht um, zog aber einen kleinen Spiegel aus der Tasche und beobachtete in diesem die Zurückbleibenden.
Erst sahen die Indianer den Fortziehenden nach, dann steckten sie die Köpfe zusammen, bis der Zug hinter einer Ecke verschwand.
Nobody blieb hinten. Er kannte die Rothäute Kaliforniens genau und war auf einen Ueberfall gefaßt.
Stundenlang ereignete sich nichts.
Da aber prasselte es plötzlich von oben herab. Steine und sogar Felsblöcke.
Die vordersten prallten entsetzt zurück; nur dadurch, daß die Blöcke zu zeitig herabgestürzt waren, entgingen sie dem Tode. Eine Sekunde später, und der ganze Zug wäre unter den Steinen begraben gewesen.
»An die Wand, mir nach!« schrie Nobody.
Gleichzeitig krachten von hintenher Schüsse; Pfeile zischten durch die Luft; dann auch von vorn. Ein überhängendes Felsstück, eine Art Grotte bildend, bot den Angegriffenen vor von oben herabgeschleuderten Steinen Schutz.
Vorläufig aber hatte nur Nobody Gelegenheit, zweimal zu schießen, nach roten Körpern, die sich hinter Felsvorsprüngen zeigten.
Schmerzensrufe verrieten, daß er getroffen hatte.
Dann war alles wieder totenstill, nur der Bach murmelte.
»Diese Canaillen, ich dachte es mir doch,« sagte Nobody. »Sie wollen uns aus dem Hinterhalt niederschießen, ehe wir sie zu sehen bekommen. Gebt acht nach beiden Seiten! Ist jemand verwundet?«
Einer der Männer hatte eine Kugel im Arm, ein andrer einen Pfeil durch den Hals. Zuerst entfernte Nobody den Pfeil und verband die Wunde. Er gab den röchelnden Mann von vornherein auf. Die Kugel entfernte er auf der Stelle. Nobody war jetzt ganz Cutting Knife, der Westmann. Auch Pferde und Maulesel zeigten Verwundungen.
Es wurde bald Abend; Nobody gedachte hier zu übernachten. Gefährlich war die Lage durchaus nicht. Von oben waren sie durch den Felsen geschützt, die beiden Seiten konnten sie mit Kugeln bestreichen.
Das Herauskommen mußte bei Nacht versucht werden, doch war vorläufig nicht daran zu denken, denn der Verwundete ging seinem Ende entgegen und war auch nicht transportfähig, selbst wenn man ihn auf ein Pferd gebunden hätte. Liegen lassen wollte Nobody den Unglücklichen selbstverständlich ebensowenig. Feuer wurden angezündet und die Wachen verteilt.
Joe Bertram, der Dieb, verhielt sich vollständig schweigsam. Nobody aber wußte, daß der Schurke gelegentlich einer seiner Streifereien auf die Moquis getroffen war und sie bewogen hatte, die Gesellschaft anzugreifen.
Es war Zeit, daß die Abrechnung erfolgte, dem Elenden die Maske vom Gesicht gerissen wurde. Nobody aber wollte einen Teil der Strafe, die er demselben zugedacht hatte, darin bestehn lassen, daß er ihm die Goldfelder zeigte, die er nicht zu finden vermocht hatte. Welche Qualen mußte dem Verbrecher der Anblick der unermeßlichen Schätze bereiten, die er vergebens zu heben gehofft hatte, während er sie nun als Gefangener zu sehen bekam.
Die Nacht verging ohne Behelligung durch die Indianer.
Gegen Morgen starb der Schwerverwundete und wurde an Ort und Stelle so feierlich begraben, wie die Verhältnisse es zuließen.
Eben war man damit fertig, als ein Indianer um die Ecke kam, ohne Waffen, einen grünen Zweig schwingend – ein Unterhändler.
Zögernd näherte er sich, manchmal zurückblickend, dann ein paar Schritte gehend, den Zweig schwingend, wieder ängstlich sich umsehend – kurz, ein Bild der Hasenherzigkeit.
»Zehntausend Augen sehen auf mich!« rief er schon von weitem. »Wenn ihr der Biberratte etwas zu leide tut, treffen euch zehntausend Pfeile und zehntausend Kugeln! Kann die Biberratte mit dem schneidenden Messer reden?«
»Die Biberratte ist sicher,« erwiderte Nobody, »das schneidende Messer tötet keinen Wehrlosen.«
Er stellte die Büchse hin, schnallte den Gürtel ab, zur Vorsicht einen Revolver einsteckend, brach ebenfalls einen grünen Zweig ab und ging dem Indianer entgegen.
Der Inhalt der zehn Minuten währenden Unterhaltung war, daß der Häuptling zehn Schießwaffen forderte, um mit einem benachbarten Stamme Krieg zu führen, denn die Bleichgesichter hätten ja die dreifache Anzahl derselben, dafür sei der fliegende Pfeil ewiger Freund des schneidenden Messers; wenn ihm aber das Geschenk, das er auch als Tribut betrachten dürfe, abgeschlagen würde, so wolle er die Blaßgesichter vernichten. Die Macht habe er dazu, weil er sich mit mehreren Stämmen verbünden habe, so daß jetzt dort hinter der Felsenecke mehr als fünftausend tapfere Krieger ständen.
Nobody wies die freche Forderung zurück.
Sie trennten sich, und es war gut, daß Nobody schnell in sein schützendes Versteck sprang, denn kaum war die Biberratte aus der Schußlinie, als von allen Seiten Pfeile schwirrten und Kugeln pfiffen, die jedoch unschädlich an die Felsenwand prallten.
Selbstverständlich hätte Nobody sich durch die Indianer nicht einen Augenblick abhalten lassen, seinen Weg fortzusetzen, wenn er allein gewesen wäre. So aber fühlte er sich verantwortlich für das Leben seiner Begleiter, und vor allem wollte er Jean Matelas nicht entschlüpfen lassen.
Früher oder später mußte dieser sich offen als Bundesgenosse der Rothäute bekennen und gemeinsame Sache mit ihnen gegen die Goldsucher machen.
Niemand außer Nobody wußte natürlich darum, daß der Verräter mitten im Lager weilte, und niemand außer Nobody ward daher gewahr, wie Joe Bertram sich in der folgenden Nacht heimlich fortschlich – zu den Indianern. Mit ihrer Hilfe wollte er den vermeintlichen Cutting Knife und dessen Begleiter vernichten. Hatte er dies erreicht, dann war es für den Schuft eine Kleinigkeit, die Moquis mitsamt dem fliegenden Pfeil durch vergifteten Branntwein in die ewigen Jagdgründe zu befördern.
Die Nacht verging ohne Zwischenfall. Die Goldsucher hatten genügend Proviant. An Wasser fehlte es ihnen auch nicht, denn die Quelle, die man erbohrt hatte, floß durch das Tal, und vor den Geschossen der Indianer schützten die Felswände
Da erscholl plötzlich von einer Seite des Engpasses her ein gellendes Geheul.
Alle griffen zu den Waffen, doch kein Angriff erfolgte.
Nobody ahnte, was das Triumphgeschrei zu bedeuten hatte.
Jean Matelas, wie wir den Dieb der Pläne nun wieder nennen wollen, hatte seine Arbeit begonnen. Er hatte den Indianern den ersten Ratschlag erteilt, wie sie die Weißen vernichten könnten, ohne sich selbst einer Gefahr auszusetzen.
Der Bach, der der erbohrten Quelle entströmte, versiegte auf einmal – zum größten Schrecken der Goldsucher.
Nobody lächelte nur, der kräftige Sprudel mußte sich, wenn man ihn verstopfen wollte, rasch wieder Bahn brechen.
Bald strömte denn auch das Wasser wieder durch die Schlucht.
Einer der Männer schöpfte sich ein Gefäß voll und wollte trinken.
»Gebt erst einem Tiere davon!« warnte Nobody. »Das Wasser könnte vergiftet sein!«
Die Probe ward gemacht. Das Wasser war nicht vergiftet.
Die Nacht brach an, ohne daß sich ein Indianer hätte sehen oder hören lassen.
Als der Mondschein nicht mehr in den Engpaß fiel, ordnete Nobody den Abmarsch an. Ohne einmal gestört zu werden, bewegte sich der Zug bis zum Morgen zwischen den schmalen Felswänden hin, und als die Sonne aufging, befand sich die Expedition wieder in dem Tale mit dem Wäldchen.
Offenbar hatten die Indianer den Versuch aufgegeben, die ›tötenden Rohre‹, die Waffen der Bleichgesichter zu erbeuten.
Jetzt machte Nobody kein Hehl mehr daraus, daß er die Goldfelder bereits gefunden hatte. Er bediente sich der Wünschelrute, nahm ein Goldstück in die Hand, und sofort schlug die Spitze heftig gegen den Boden.
»Ich habe die Goldfelder, welche Indian Bill nicht wiederzufinden vermochte, von neuem entdeckt,« sagte Nobody feierlich, »und ergreife im Namen der Vereinigten Staaten Besitz von dem Goldfelde, auf dem ich stehe.«
Wenn man auch noch kein Goldkörnchen blitzen sah, so war das doch so überzeugend gesprochen, daß die Leute von einem wahren Freudentaumel erfaßt wurden. Sie tanzten, umarmten sich, schrien hip hip Hurra und begannen planlos in der Erde herumzuhacken.
Dennoch hatte es Erfolg.
Als man etwa einen Meter tief in die Erde gedrungen war, stieß die Hacke auf etwas Hartes, noch einige Hiebe, und ein faustgroßes Stück Gold flog vor die Füße des Gräbers, einige Spatenstiche, und die glänzende Fläche einer Ader von gediegenem Gold lag vor den Augen der Leute.
Die Gemütserschütterung bei diesem Anblick war eine so heftige, daß zuerst minutenlang eine Totenstille eintrat. Dann war das Benehmen der Leute ein derartiges, wie es nur der übermäßige Genuß von Alkohol hervorruft. Wie Trunkene taumelten sie umher, vermochten die Hacken kaum noch in den zitternden Händen zu halten und führten nur schwache, unsichere Hiebe.
»Dort sind die Rothäute wieder – Vorsicht!« rief Nobody.
Auf den hohen Felswänden, an verschiedenen Stellen, sich gegen den blauen Himmel scharf markierend, standen halbnackte Gestalten und spähten ins Tal hinab.
Nobodys Ruf war gar nicht gehört worden. Und wenn die Indianer jetzt gekommen wären und die Leute beschossen hätten, diese wären schwerlich zur Besinnung gekommen. Hier befand sich ja Gold, Gold, Gold! Wenn es auch nicht direkt ihnen gehörte, so kam doch immerhin ein Anteil auf sie, der sie in einem Tage zu steinreichen Männern machen konnte.
Ein Beschießen von diesen himmelhohen Felswänden, die das Tal von allen Seiten wie einen Kessel einschlossen, war jedoch überhaupt unmöglich. Ebensowenig trug Nobodys Gewehr trotz seiner enormen Durchschlagskraft hinauf.
Die Felsen waren steil wie künstliche Mauern, ein Erklimmen war ganz unmöglich, kein Pfad führte hinauf, kein zweiter Engpaß hindurch.
Wie aber, wenn die Indianer den Zugang besetzt hielten, der so schmal war, daß nur eben ein Mann hindurch konnte, so daß man sogar die Maultiere hatte entlasten müssen, um sie hindurchzubringen?
Ein einziger Mann hätte diesen Paß gegen ein ganzes Regiment verteidigen können, bald wäre die Spalte durch Leichen verstopft gewesen.
Nun, das würde sich finden, überhaupt war es jetzt nicht möglich, mit den Leuten darüber zu sprechen.
Sie wollten Gold, Gold sehen, ihre Taschen damit füllen, ganz nutzlos, hackten immer weiter, und Nobody kam so wenigstens zur Ueberzeugung, daß durch das ganze Tal eine einzige Goldader lief. Wo die Hacke auch einschlug, etwa einen Meter unter der Erde, traf sie auf das gediegenste Gold. Wie dick die Schicht war, konnte man noch nicht bestimmen. Aber Indian Bill hatte ja von einer schräg hinabführenden Höhle gesprochen, deren Wände und Fußboden auch golden gewesen waren.
Nobody schickte die Leute einzeln aus, Grabversuche an den verschiedensten Stellen zu machen, behielt aber einen Haupttrupp immer zusammen. Er selbst kontrollierte die Grabversuche. Ueberall und überall stieß man auf Gold, und wenn dies im Tale selbst der Fall war, so mußten die dasselbe umschließenden Felsen mindestens goldhaltig sein.
Der alte Trapper hatte ganz recht gehabt; bald würde der schöne Wald dort unter den Aexten der Beutelustigen gefallen sein, und wie lange würde es noch dauern, so wurden auch diese gewaltigen Felsmassen auseinandergesprengt – das romantische Tal verwandelte sich in einen Trümmerhaufen.
Wohlan, sei es, dachte Nobody, in den Händen kunstsinniger Menschen wird dieses Gold aus Wüsteneien neue Paradiese hervorzaubern und sie mit Denkmälern unsrer Zeit schmücken.
Nobody selbst suchte nach der geheimnisvollen Höhle, und – er fand sie.
An einer Stelle der Schlucht lagen in wildem Durcheinander mächtige Steinblöcke. Es war, als habe vor langer Zeit ein Felssturz hier stattgefunden.
»Na,« sagte Nobody zu sich selber, »ich habe nun schon eine Menge Höhlen entdeckt, meist ohne viel Nutzen davon zu haben, da müßte es doch mit dem Teufel zugehn, wollte ich diese hier nicht finden!«
Prüfend ließ er seine Blicke über das steinerne Meer schweifen, stutzte eine Sekunde und trat dann auf einen mächtigen Block zu.
Nur das scharfe Auge des Detektivs hatte zu sehen vermocht, daß dieses Felsstück nicht mehr an seiner ursprünglichen Stelle lag. Es war einmal von seinem Platze gerückt worden.
Sofort stemmte Nobody die Schulter gegen den Koloß. Eine furchtbare Kraftanstrengung – die gewaltige Masse rollte zur Seite – der Eingang zur Höhle oder besser zum unterirdischen Gange war entdeckt!
Nobody rief die Leute herbei.
»Zündet trockne Aeste an,« gebot er.
Der schräg hinabführende Gang, dessen Decke hier mächtige Steinplatten bildeten, in denen es auch schon von Gold flimmerte, erweiterte sich schnell, und bald standen die Männer in der geräumigen Höhle und mußten die Augen schließen vor dem Glanze, den die Fackeln von den Wänden zurückwarfen. Indian Bill hatte nicht übertrieben, im Gegenteil, er hatte bescheiden geschildert. Die Leute konnten die Goldklumpen auflesen, mit dem Meißel Tafeln und Quader nach Belieben losbrechen – hier eine Dynamitpatrone zur Explosion gebracht, und die Schätze mußten offen zutage liegen.
Auch Nobody hob solch einen Goldklumpen auf, betrachtete ihn und musterte die Wände. Dieser Goldklumpen war schon von Menschenhänden mittels eines Instrumentes losgesprengt worden, aber wann?
Zwei Möglichkeiten waren vorhanden.
Entweder betrieben einst, vor vielen Jahrhunderten, ja, vielleicht vor Jahrtausenden, die damals hochkultivierten Ureinwohner dieser Gegend den Goldbau im kleinen, den Zugang zum Bergwerk immer wieder sorgfältig versteckend, um nicht die Habgier ihrer Nachbarn zu wecken. Oder es existierte bis vor kurzer Zeit oder noch jetzt eine Person, die ab und zu hierherkam, sich damit begnügte, sich die Taschen mit Gold zu füllen und den Zugang bis zum nächsten Besuch wieder zu verschließen.
Nobody war geneigt, ersteres anzunehmen, denn frische Bruchstellen zeigten sich nicht, und Gold verliert seinen Glanz so leicht nicht. Wie dem auch sei – das Goldfeld und selbst die Höhle waren durch Nobodys Bemühungen gefunden worden.
Welche Gedanken der Anblick dieser unermeßlichen Schätze sonst in Nobody erzeugte? Wer konnte in der Seele dieses rätselhaften Mannes lesen?
»zzziyyy That's a business!zzz/iyyy« hatte er zu Lord Roger gesagt, nachdem er die Depesche gelesen hatte, die ihn von St. Petersburg nach Kalifornien führte, und tatsächlich hatte wohl noch nie ein Mensch ein glänzenderes Geschäft gemacht als dieses hier.
Das brachte Millionen ein!
Reichtum aber ist Macht, und mächtig mußte Nobody sein.
Schon begannen die Leute ihre Arbeit, sie schlugen Stücke ab und häuften sie auf, mit fieberhafter Gier. Nobody ließ sie einstweilen arbeiten und überlegte.
Das beste war, die Maultiere mit Gold zu beladen und nach der nächsten Stadt aufzubrechen, von wo die Regierung in Kenntnis gesetzt wurde.
Dieser Expedition eilte wieder ein Bote voraus, der die Nachricht verkündete und den Leuten Regierungsbeamte entgegenschickte. Mochten sich diese inzwischen auf eigne Rechnung bereichern, was schadete das? Es war genug Gold vorhanden.
Nobody selbst wollte dieser Bote sein und nur den Neger Sam mitnehmen. Es zog ihn mit Gewalt zurück zu der Aufgabe, die er noch in Rußland lösen wollte. Daß er noch heute Jean Matelas gefangennehmen mußte, stand fest. War dieser Schuft unschädlich gemacht, dann war es für die zurückbleibenden Goldgräber nicht schwer, sich der Angriffe durch die Indianer zu erwehren.
Schon während des Marsches hatte Nobody seine Begleiter übrigens genügend kennen gelernt, um zu wissen, daß kein einziger von ihnen, wenn er das Tal einmal verlassen hatte, sich wieder zurückfand. Als die Goldgräber sich einmal ausruhten, setzte er ihnen seinen Plan auseinander, und sie waren damit sofort einverstanden. Wenn sie nur nicht wieder von hier fort mußten!
Nobody beschloß sofort aufzubrechen, verproviantierte sich, nahm einige Goldproben mit und schlug mit Sam den Weg nach dem Ausgang des Tales ein.
Sie waren nicht weit gekommen, da riß Nobody sein Tier herum, sprang ab und warf sich hinter einen Baumstamm.
»Achtung, Sam, Indianer!« hatte er dabei gerufen.
Durch seine Schnelligkeit war er dem Pfeile entgangen, der auf ihn losgeschwirrt war. Einen zweiten fing er mit der Hand. Sein nächster Griff war nach dem Gewehr, und im Feuer brach eine Rothaut zusammen, die sich unvorsichtig da gezeigt hatte, wo der Engpaß ins Tal mündete.
Auch Sam war hinter einen Baumstamm gesprungen, das Gewehr an der Wange.
Auf dem Antlitz Nobodys erschien jenes Lächeln, das stets ein Zeichen seiner Zufriedenheit war. Es kam alles, wie er es berechnet hatte. Jean Matelas würde sich binnen kurzer Zeit in der Gewalt seines Verfolgers befinden.
»Geh zurück, Sam, und hole die Leute!« befahl Nobody. »Ich decke dich gegen etwaige Angriffe!«
Ungehindert entfernte sich der Neger und kehrte bald zurück – allein.
»Die Kerls hören auf nichts als auf den Klang des Goldes,« sagte er, sich hinter einem Ohre kratzend.
Nobody nickte. Er hatte es nicht anders erwartet.
Noch einmal prüfte er die Büchse. Sie war in Ordnung.
»Mir nach!« hörte Sam ihn rufen, dann sah er den verwegenen Mann mitten im Engpaß.
Das Winchestergewehr krachte.
Wohl ein Dutzend Indianer tauchten vor Nobody auf, aber dem fürchterlichen Schnellfeuer hielten sie nicht stand. Sie feuerten ihre Donnerbüchsen aufs Geratewohl ab, dann stoben sie in wilder Flucht davon.
Zu den Füßen Nobodys lag Jean Matelas. Eine der ersten Kugeln hatte ihn getroffen.
Die Goldgräber kamen herbeigestürzt und sahen mit Staunen den Boden des Engpasses mit toten und verwundeten Indianern bedeckt.
Auch der Neger Sam, der seinen Herrn nicht im Stiche gelassen hatte, war verwundet – das Blut floß reichlich aus einer klaffenden Kopfwunde. Er war ohnmächtig.
Nobody selbst trug ihn zum Bache, wusch die Wunde und verband sie. Dann trat er zu Jean Matelas, der ihm finster entgegenblickte, in der Hand einen Revolver.
»Revolver weg – eins, zwei –« kommandierte Nobody.
Die Waffe wurde zur Seite geschleudert.
»Ich habe verspielt, Cutting Knife,« sagte er mit einem Anflug von Galgenhumor. »Sie hatten mehr Trümpfe in der Karte als ich!«
»Sie mußten sich das vorher sagen,« entgegnete Nobody ruhig, »es wäre besser für Sie gewesen. Sie konnten sich dann auch das Bad im Mississippi ersparen!«
»Erkannten Sie mich denn sofort, als ich Ihnen als Joe Bertram meine Dienste anbot?« fragte Matelas zähneknirschend, während die Goldgräber erstaunt dieser sonderbaren Unterredung zuhörten.
Nobody lächelte.
»Hätte ich Sie sonst angenommen?«
»Zum Teufel, Sie hatten aber doch kein Interesse an meiner Person! Was kümmert Sie das, was ich mit Indian Bill zu tun hatte, wenngleich Sie sein Freund sind?«
»Was es mich kümmert?« entgegnete der Detektiv ruhig. »Sehr viel! ›Worlds Magazine‹ wollte sich das Geschäft nicht entgehn lassen, den Dieb des Planes der geheimnisvollen Goldfelder aufzufinden, und so beauftragte Mr. World mich damit!«
»Sie?« kam es tonlos über die Lippen des Verwundeten. »Wer sind Sie? Sind Sie nicht Cutting Knife?«
»Doch! Sie sehen es ja, mein Freund. Aber ich bin es nur nebenbei. Im gewöhnlichen Leben nenne ich mich – Nobody!!«
»Nobody!«
Jean Matelas rief es, und die Goldgräber wiederholten den Namen.
Jetzt wußten sie, warum sie die Goldfelder gefunden hatten, nach denen selbst ein Indian Bill jahrelang vergeblich gesucht hatte. Jetzt war es ihnen klar, wer der Verwundete war.
Ohne sich um das Erstaunen der Männer zu kümmern, kniete Nobody neben Jean Matelas nieder, zog ein Besteck hervor, entblößte die Wunde, die der Dieb an der Hüfte hatte, zog die Kugel heraus und legte einen Verband an.
Der Hüftknochen war vollkommen zerschmettert. Jean Matelas mußte für den Rest seines Lebens ein Krüppel werden. Er sagte nichts mehr, hatte auch während der schmerzvollen Operation nicht gestöhnt. Die Zähne fest aufeinandergebissen, lag er da.
»Wo haben Sie den Plan, den Sie Indian Bill stahlen?« fragte Noboby.
»Hier,« erwiderte der Verwundete und gab die gestohlene Zeichnung heraus, die ja nun keinen Wert mehr für ihn hatte.
Noboby betrachtete sie und steckte sie dann ein. Weiter hatte er nichts zu fragen. Er wußte alles andre.
Der Gefangene ward auf ein Pferd gebunden. Nobody und Sam brachten ihn nach San Francisco.
Eine lange Chiffredepesche ging nach New-York an ›Worlds Magazine‹ ab.
Am selben Tage noch erfuhr ganz Amerika die neueste Tat Nobodys. Ungeheures Aufsehen entstand.
Niemand hatte mehr an die Goldfelder gedacht, nach denen Indian Bill vor Jahren vergebens gesucht hatte – jetzt waren sie wiedergefunden.
Nobody hatte wieder einmal die Augen der ganzen zivilisierten Menschheit auf sich gelenkt. Ueberall war man voll von Bewunderung.
Nur eins billigte man nicht. Daß er Jean Matelas nicht an die Regierung der Vereinigten Staaten ausliefern, sondern mit nach Deutschland nehmen wollte, um ihn dort Indian Bill zu übergeben, der ebenfalls durch ein Telegramm benachrichtigt worden war.