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5. Auf der Fährte

An der Pacificstrecke im Staate Missouri liegt die Station Saint Joseph, bestehend nur aus einem einzigen Häuschen, zur Hälfte Gastwirtschaft, zur Hälfte zum Post- und Telegraphendienst eingerichtet.

Die nächsten Farmen liegen weit ab; selten einmal kehren Arbeiter und Cow-boys hier ein, verbringen die Mississippischiffer hier einmal eine Nacht mit Zechen und Tanzen, sonst ist die Gastwirtschaft auf den Besucher angewiesen, der aussteigt, um die in der Nähe befindlichen Katarakte anzusehen.

Früher war Saint Joseph eine Hauptstation, weil die Passagiere hier die Dampfer verließen und den Pacificzug bestiegen, jetzt ist dies nicht mehr der Fall, der Zug hält nicht mehr, wenn Passagiere nicht vorher telegraphisch angemeldet sind oder den Zug verlassen wollen.

Es war heißer Mittag. In der weißgestrichenen Schenkstube saß der Wirt im Lehnstuhl mit über dem Bäuchlein gefalteten Händen und schnarchte, unbekümmert darum, daß die Fliegen auf seiner dicken Nase Kletterübungen machten.

War schon seine Physiognomie eine germanische, so verrieten auch die Schürze und die Holzpantoffeln den deutschen Bauer.

Auf der Bar standen Flaschen und Gläser, die Gäste, die jetzt aber fehlten, konnten sich an Tischen placieren, die Wände schmückten bunte Bilder aus dem letzten deutsch-französischen Kriege, auch Porträts von deutschen Fürsten und deren Angehörigen fehlten nicht, und so bot das Ganze den Eindruck einer deutschen Bauernschenke, man glaubte sich nicht in Amerika, noch dazu fast mitten in der Prärie zu befinden.

Eine Ausnahme machte nur ein an der Wand ausgespanntes, ziemlich räudig aussehendes Pantherfell. Darauf war ein Stück Papier befestigt mit der ewig jung bleibenden Bemerkung: »Vor vierzehn Tagen geschossen von mir selbst.«

Niemand störte die Ruhe des Schläfers. Auch die beiden Postbeamten hielten wohl in ihrem Raume Siesta.

Endlich trat ein Mann ein, der in diese Gegend paßte. Er war klein, mager und beweglich, mit funkelnden, aber freundlichen Augen, war ganz in Leder gehüllt, das Haar des Fells nach außen, was ihm ein zottiges Aussehen gab, an den Beinen langschäftige Stiefel, am Gürtel ein Jagdmesser, an der Seite eine vollgepfropfte Jagdtasche und in der einen Hand eine lange Flinte. Diese setzte er dröhnend auf den Boden, aber der Wirt wachte dadurch nicht auf.

Der Fremde betrachtete mit freudig erstaunten Blicken das Pantherfell, fuhr mit der Hand darüber und nickte befriedigt mit dem Kopfe.

Dann ging er auf den Schläfer zu und rüttelte ihn.

»He, Wirt!«

Dieser schlug langsam die Augen auf, glotzte den Fremden dumm an, murmelte etwas, schloß dis Augen wieder, wurde aber durch neues Rütteln abermals zur Besinnung gebracht.

»Guten Tag auch!« sagte er mit fettiger Stimme.

»Seid Ihr der thüringsche Gottlieb?«

»Ja, der bin ich.«

»Habt Ihr den Panther da geschossen?«

»Ja, vor vierzehn Tagen. Wer seid Ihr denn?«

»Adolf Müller heiße ich.«

»Ach, da seid Ihr wohl der, der drüben die Farm gekauft hat?«

»Ja, der bin ich.«

»Wollt sie selbst bewirtschaften?«

»Allemal. Schenkt aber erst einmal etwas ein!«

Schwerfällig, so langsam, wie er sprach, erhob sich der Wirt, schleifte sich an die Bar, goß Brandy in zwei Gläser, setzte die Wasserflasche daneben und schüttete sich den Inhalt seines Glases hinter die Binde.

Es wurde gleich an der niedrigen Bar auf Stühlen Platz genommen, in der Nähe der Quelle.

»Wann habt Ihr den Panther geschossen?« fragte Müller.

»Gestern waren's gerade vierzehn Tage.«

»Gibt's denn noch mehr hier?«

»O ja, ich denke, in der Flußniederung.«

Des Jägers Augen leuchteten auf.

»So laßt Euch doch nicht so zum Reden zwingen, Mann, erzählt mir, wie Ihr ihn geschossen habt!«

Der Wirt leerte ein neues Glas, setzte sich in Positur und räusperte sich.

»Das will ich Euch wohl erzählen,« begann er. »Ihr müßt nämlich wissen, ich bin aus Thüringen zu Hause, bei Gera. Da habe ich einen Verwandten in Pforten, das liegt auch bei Gera, man hat höchstens eine halbe Stunde zu gehn, auf einer wunderhübschen Chaussee, da sind Bäume, die hat der Fürst alle ganz komisch beschneiden lassen. Heinrich Pohl, hieß der Gärtner, der das tat, ich weiß gar nicht mehr, ob er noch lebt; was nämlich sein Bruder ist, mit dem habe ich mich manchmal geschrieben; aber der ist nun auch vor Jahrer viere gestorben; er hat sich einmal überhoben, wie er Weizensäcke aufladen tat. Da ist er in die Klinik nach Jena gekommen bein Professor Karg, dem seiner Frau die Oelmühle gehörte, die vor Jahrer sechse abgebrannt ist. Ja, da hatten die mit der Brandversicherung einen langen Prozeß, aber bezahlen mußte sie doch zuletzt ...«

»He, Gottlieb, Ihr wolltet mir doch erzählen, wie Ihr den Panther geschossen habt.«

»Ja freilich, ich komme ja gleich darauf. Was also nun mein Onkel in Pforten bei Gera ist, der hatte ein schönes Gut und einen Hof mit vier Pferden und Stücker achtzehn Kühen, und wenn sein Schwiegervater starb, hatte er auch noch was Schönes zu erwarten. Seine Frau war nämlich die Tochter vom alten Schmied in Pforten, der auch brauen durfte, aber zuletzt hatten sie's ihm verboten. Das kam nämlich so –«

Adolf Müller sprang auf, daß der Stuhl umfiel.

»Nun hab' ich's aber mit Eurem verfluchten Onkel aus Pforten bei Gera satt! Wollt Ihr mich eigentlich foppen?«

»Foppen? Nee. Erzählen will ich's Euch.«

»Wo habt Ihr denn den Panther geschossen?«

»Dort an der Flußniederung, wo die letzte Farm aufhört, da wohnt nämlich auch ein Deutscher, ich glaube, 's ist ein Sachse, der hat einen Sohn, der hat auch noch meinen Onkel aus Pforten bei Gera gekannt. Wie der nämlich ...«

»Vor vierzehn Tagen?«

»Vor vierzehn Tagen? Nee, mein Onkel ist ja schon seit Jahrer fünfe tot.«

»Gott steh mir bei, seid Ihr aber hart gesotten!«

»Ja, was wollt Ihr denn eigentlich von mir?«

»Wissen, wie Ihr den Panther aufgespürt habt,« schrie der Kleine wütend, »ich bin nämlich auch ein Pantherjäger.«

»Na ja, ich will's Euch ja auch erzählen, Ihr laßt mich ja aber nicht zu Worte kommen ...«

»Als nämlich mein Onkel aus Pforten bei Gera,« lachte eine fremde Stimme, »wissen's schon. Guten Tag!«

Es kam wieder ein Gast, ein großer, starker Mann im Reiseanzug, überhaupt anständig aussehend, mit schwarzem Vollbart.

Er hatte die Unterredung von außen durch das Fenster mit angehört.

»Wann kommt der nach San Francisco gehende Pacificzug hier vorbei?«

»Morgen früh um zehn Uhr.«

»O weh, so spät erst?«

»Wollt Ihr mit?«

»Natürlich, darum frage ich.«

»Wo kommt Ihr denn her?«

»Ihr seid furchtbar neugierig, Wirt.«

»Wo habt Ihr denn Euer Gepäck?«

»Habe keins. Ein Glas Whisky und Wasser!«

Der Fremde setzte sich und trank, die beiden andern ebenfalls.

»Wo habt Ihr denn das Pantherfell her?« fragte der Schwarze. »Habt Ihr das Tier wirklich selbst geschossen?«

»Freilich habe ich es selbst geschossen, es steht doch daran.«

»Na, das macht die Wahrheit noch nicht aus.«

»Denkt Ihr, ich lüge?«

Der Wirt sagte das nicht beleidigt, er kam überhaupt nie aus seiner Ruhe.

»Ich denke, hier gibt es gar keine Panther mehr?«

»Jawohl, da hängt ein Fell davon.«

»Sie sind Pantherjäger?« wandte sich der Fremde an Adolf Müller.

»Unten in Karolina gab's viele,« sagte dieser leichthin. »Sechzig Stück habe ich dort wenigstens erlegt.«

»Sechzig Stück? Donnerwetter, das ist viel!«

»Waren Sie schon in Südkarolina?«

»Nein, so weit hinunter bin ich noch nicht gekommen.«

»Ja, da müssen Sie hin. Meine Farm lag mitten im Walde; zuerst glaubte ich immer, es donnere in der Nacht, und wenn ich nachsah, waren's die Panther, die den Lärm machten. Da nahm ich natürlich immer meine Büchse und räumte unter ihnen auf.«

»In Südkarolina soll es auch viel Schlangen geben,« meinte der Wirt.

»Und was für welche!« bestätigte Müller. »Ich habe einmal eine Riesenschlange erlegt von vierzig Fuß Länge und drei Fuß Dicke. Sie hatte gerade einen Ochsen verschluckt, einen langhörnigen, und da wurde es mir nicht allzu schwer, sie zu töten.«

»Einen ganzen, großen Ochsen auf einmal?« staunte der Wirt, wenigstens äußerte sich sein Staunen stets dadurch, daß er seine Augen weit aufriß.

»Das ist für eine Riesenschlange weiter gar nichts. Einen Menschen verschluckt sie wie eine Pille.«

»Was wurde denn aber aus den Hörnern? Die stehn doch bald drei Meter auseinander. Die hat sie wohl vorher abgebissen?«

»Unsinn, die guckten vorn aus dem Maule. Es sah närrisch aus, das Vieh, eine gehörnte Schlange. Gerade die Hörner machten es mir leicht, sie zu fangen, sie konnte nicht durch die Büsche kriechen.«

»Ob wohl ein Mensch gleich tot ist, wenn ihn so eine Riesenschlange verschluckt?«

»Das kommt ganz darauf an. Ich habe unten in Karolina einmal eine Riesenschlange erlegt, und als ich ihr den Magen aufschnitt, was sprang da heraus? Ein Indianer frisch und munter! Zwei Tage hatte er daringesteckt, und nur ein Arm war schon etwas verdaut. Wir schüttelten uns die Hand und rauchten zusammen eine Friedenspfeife. Der Kerl lebt jetzt noch da unten.«

Der Wirt schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Gottssakkerlot, was nicht alles in der Welt passiert, und unsereins hat keine Ahnung davon! Nun denkt man, man ist in Amerika – jawohl, gar nichts weiß man. Auf der Landkarte sieht's auch freilich kleiner aus, als es in Wirklichkeit ist.«

»Gibt's denn auch viele giftige Schlangen unten?« fragte der bärtige Fremde, dem Kleinen mit den Augen zublinzelnd.

»Besonders Klapperschlangen die schwere Menge.«

»Haben sie denn wirklich eine Klapper hinten am Schwanze?«

»Ja, und wenn sie beißen wollen, klappern sie erst. Das soll so viel heißen wie: Achtung, ich beiße!«

»Das ist aber hübsch von den Tieren.«

»'s ist so eine Angewohnheit, aus Höflichkeit tun sie's nicht. Es gibt zweierlei Arten, eine, die weniger giftig ist, und eine, die ganz furchtbar giftig ist. Wen sie beißt, der ist sofort tot, auf der Stelle. Mich hat einmal eine gebissen – na, ich danke!«

»Von den furchtbar giftigen?«

»Jawohl.«

»Hört, Ihr könnt aber schwindeln!«

»Was? Ich?« zürnte der Kleine. »Wenn ich sage, es hat mich eine Schlange gebissen, dann hat mich eine gebissen!«

»Wenn's nur kein Floh war. Ihr selbst habt ja eben gesagt, wen eine von den giftigen Klapperschlangen beißt, der ist auf der Stelle tot, und Ihr lebt ja noch. Mich macht Ihr nicht dumm. Was mein Onkel in Pforten bei Gera war ...«

»Wer hat denn gesagt, daß sie mich ins Fleisch gebissen hat?«

»Wo denn sonst hin? In die Haare?«

»Nein, in die Stiefel. Das war meine Rettung.«

»Ach so, das ist etwas andres!«

»Ja, aber nun denkt Euch! Zu Hause ziehe ich die Stiefel aus und stelle sie weg. Wie ich sie nach drei Tagen wieder anziehen will, da fallen sie mir in den Händen auseinander, das Leder war morsch wie Zunder geworden, nur durch den Schlangenbiß. So giftig sind diese Viecher.«

»So etwas kann ich auch erzählen,« ließ sich jetzt der bärtige Fremde vernehmen. »Ich war nämlich längere Zeit in Indien, als englischer Soldat, wißt Ihr, wo die gefährlichen Brillenschlangen sind ...«

»Ja, die Brillenschlangen sind noch viel giftiger als die Klapperschlangen,« stimmte Müller bei.

»Haben sie denn Brillen auf der Nase, daß sie so heißen?« fragte der Wirt.

»Freilich, wenigstens einen durchsichtigen Stein klemmen sie sich ins Auge, daß sie besser sehen können.«

»Nee, so etwas lebt doch nicht. Wie klug die Tiere aber doch manchmal auch sind! Gerade wie die Menschen. Na, was war denn nun mit der Brillenschlange?«

»Ja, da beißt mich einmal eine in meinen Waffenrock. Das hatte nichts weiter zu bedeuten. Am Abend hatten wir Appell; ich putze also meine Messingknöpfe noch einmal, und wie wir angetreten sind, da – sind die Knöpfe ganz grün angelaufen. Ich bekomme eine Strafwache. Dann putze ich meine Knöpfe wieder, und eine Stunde später sind sie wieder dick mit Grünspan bedeckt.«

»Da hat Euch einer Heringslake draufgeschmiert,« lachte der pfiffige Wirt.

»Unsinn, was ganz andres war es. Der oberste Knopf fiel zuerst ab, dann ein zweiter, das Futter fing an zu riechen, es ging wie Zunder heraus, dann lief der ganze Waffenrock, eigentlich grau, nach und nach in verschiedenen Farben an, zuerst wurde er blau, dann gelb, dann rot, immer dunkler, und als er schwarz war, da zerfiel er in Asche – alles nur durch das Schlangengift.«

Der Wirt schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»Nee, aber so was! Ich war auch einmal in einer Schlangenbude, in Gera auf der Vogelwiese, mein Onkel aus Pforten bei Gera nahm mich mit hin, aber so was gab's da nicht.«

Sie kamen dann auf Taschenspielerkunststücke zu sprechen, und es zeigte sich, daß der Schwarzbärtige auf diesem Gebiete Meister war.

Er ließ sich zwar nicht dazu bewegen, eine Erklärung zu geben, dagegen führte er noch mehr Kunststücke aus, eines immer wunderbarer als das andre, so daß die beiden vor Staunen Mund und Nase aufsperrten.

»Woher könnt Ihr denn das?«

Der Bärtige zuckte lächelnd die Schultern.

»Geschwindigkeit ist keine Hexerei, aber macht es mir erst einmal nach.«

»Ich glaube, Ihr seid wirklich ein Taschenspieler,« sagte der Wirt.

Der Fremde horchte hoch auf.

»Wie kommt Ihr auf den Gedanken?«

»Ich dachte nur so, weil Ihr solches Zeug könnt.«

»Ich hielt Euch eher für einen Schauspieler,« meinte Müller.

»Unsinn!« lachte der Fremde rauh.

»Na, was Feines seid Ihr.«

»Ich reise zu meinem Vergnügen.«

Da kamen Matrosen und Heizer von einem Dampfer, der gelandet hatte, um Holz einzunehmen, schnell einen Schluck zu trinken.

Der Wirt wollte ihnen erzählen, was der Fremde da ihnen vormachen könnte, aber sie achteten nicht darauf, hatten keine Zeit.

»Habt Ihr's schon gehört, Wirt? Cutting Knife ist wieder aufgetaucht, oben am Karryhock hat ihn ein Farmer erkannt.«

»Wer ist denn das?«

»Was? Das wißt Ihr nicht? Der berühmte Jäger, der vor einigen Jahren in den westlichen Staaten so viel von sich reden machte!«

»Ah so, der. Wo hat denn der bisher gesteckt?«

»Ja, was weiß ich!«

Der Fremde war bei der Nennung des Namens Cutting Knife zusammengezuckt, als wenn er ein böses Gewissen hätte.

»Wo ist denn das, Karryhock?« mischte er sich ein.

»120 Meilen stromaufwärts von hier.«

»Wer will ihn dort gesehen haben?«

»Der Farmer Black, der auch Holz für die Dampfboote schlägt. Gestern abend sprach ein Mann bei ihm vor, und weil nun Black lange in den Weststaaten gelebt und Cutting Knife oft dort zu Gesicht bekommen hat, erkannte er ihn sofort wieder, sagte es ihm auf den Kopf zu, und Cutting Knife leugnete auch nicht lange.«

»So, so! Was will denn der dort oben?«

»Wer kann's sagen? Der läßt sich nicht in seine Karten blicken.«

Der Fremde im Vollbart zog die Uhr.

»Ihr fahrt nach St. Louis?«

»Ja, flußabwärts.«

»Wann seid Ihr dort?«

»Spätestens 10 Uhr abends.«

»Ich denke, der Pacificzug geht um diese Zeit durch St. Louis?«

»Neun Uhr vierzig. Wenn wir kein Malheur unterwegs haben, treffen wir ihn immer noch. Jedenfalls ist unser Dampfer der letzte, der Anschluß hat.«

»Wußtet Ihr denn das nicht?« wendete der Fremde sich entrüstet an den Wirt.

»Freilich wußte ich das!«

»Und Ihr hättet mich bis morgen früh hier warten lassen?«

»Na, Ihr habt mich ja gar nicht gefragt.«

»Wollt Ihr mit?« rief einer der Dampfermatrosen. »Dann beeilt Euch!«

Der Schwarzbärtige war sofort bereit, hing seine Tasche um und begleitete die Leute zum Dampfer, der eben das erste Abfahrtssignal gab.

Der Bahnbeamte sah den Fremden und kam ihm nach.

»Sir, Sie wollen mit dem Dampfer fort?« fragte er.

»Ja. Sie haben doch nichts dagegen?«

»Sie haben aber schon die Fahrt nach San Francisco bezahlt.«

»Das ist meine Sache. Behalten Sie das Geld. Ich fahre lieber mit der Konkurrenzlinie.«

Der Beamte konnte nichts darauf erwidern, er wandte sich ab und telegraphierte vorläufig, daß der Zug wegen eines aufzunehmenden Passagiers nicht in St. Joseph halten sollte.

Der Wirt freilich schüttelte bedenklich den Kopf, als er hörte, daß der Fremde bereits die kostspielige Fahrt nach San Francisco bezahlt habe und nun, um einige Stunden zu sparen, mit der Konkurrenzlinie fuhr.

Nordamerika wird nämlich von mehreren Pacificlinien durchquert, die sich gegenseitig arge Konkurrenz machen, und zwar unterbieten sie sich an den Endstationen immer. Der Fahrpreis schwankt fortwährend. Steigt man aber in der Mitte der Linie auf, so zahlt man bis zur Endstation nicht nur den vollen, sondern sogar einen höhern Preis als für die ganze Fahrt. Denn, sagt sich die Bahndirektion, jetzt muß er unsern Zug benutzen, er kann nicht zur Konkurrenzbahn hinüberlaufen. Nur wo Stromverkehr ist, treten Ausnahmen ein; nicht immer aber liegen die Bahnen so nahe, wie zwischen St. Joseph und St. Louis, wo auch schon wieder die Konkurrenz in Frage kommt.

In Deutschland und in andern Ländern würde man ein solches Geschäftsprinzip als Schwindel bezeichnen, der Yankee läßt es sich gefallen.

Bemerkungen über diese sonderbare, schnelle Abreise des Fremden austauschend, blieben Müller und der Wirt noch einige Zeit zusammen, bis sich erstrer verabschiedete, um nach seiner Farm zurückzugehn.

 

Die Mittagssonne brannte noch immer in voller Wut auf die Erde hernieder, und der Wirt wäre bald wieder in Schlaf gesunken, wenn nicht ein neuer Gast gekommen wäre.

Auch er trug, wie es bei allen reisenden Fremden in diesen Gegenden nicht anders sein konnte, dauerhafte Jagdkleidung und Waffen. Es war ein noch junger Mann.

Der redselige Wirt fragte gleich, woher er käme und wie er hieße und was er denn hier wolle.

Fred Jenkins hieße er, wie ein Engländer sah er auch aus – er käme mit einem Dampfer von oben, sei aber ausgestiegen, um sich die Wasserfälle zu besehen, und nun wolle er mit dem Pacificzug weiter.

»Habt Ihr schon die Fahrkarte?«

»Nein, noch nicht. Der Pacific fährt doch erst morgen früh vorüber.«

»Ja, daß es aber Euch nicht so geht, wie dem Fremden vorhin. Der hatte auch schon bezahlt und wollte mit. Als jedoch ein paar Matrosen von einem Dampfer kommen, und er hört, er kann noch heute nacht von St. Louis gleich nach San Francisco, kriegt er plötzlich die Idee, da mitzufahren. Da hat er natürlich doppelt bezahlen müssen; das Geld bekommt er hier nicht wieder heraus.«

»Er hatte es vielleicht eilig.«

»Bah, die paar Stunden Unterschied machen es auch nicht aus.«

»Nun, für einen Geschäftsmann doch manchmal.«

»Ich glaube eher, es war so ein Hokuspokusmacher.«

»Was meint Ihr damit?«

»Daß er ein Taschenspieler war. Sie hätten nur sehen sollen, was der uns alles vorgemacht hat!«

Der thüringsche Gottlieb begann weitschweifig zu erzählen, während Fred Jenkins stutzte und ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch trommelte.

»Wie sah der Fremde denn aus?« unterbrach er endlich den Wirt.

Dieser gab eine eingehende Schilderung des Schwarzbärtigen und erwähnte auch, daß die Matrosen von Cutting Knife gesprochen hätten.

»Was sagten die Leute?« fragte Fred Jenkins. »Man hätte Cutting Knife am Karryhock gesehen?«

»Jawohl!«

»Und darum schlug der Fremde einen andern Weg ein?«

»Das hat er mir nicht gesagt.«

»Es ist gut! Wann geht der nächste Dampfer nach St. Louis?«

»Es kommen immerwährend welche vorbei, man braucht ihnen nur unten an der Holzstation mit der Flagge zu winken, dann stoppen sie.«

»Was für ein Boot war das, mit dem der Fremde fuhr?«

»Ein Passagierschnelldampfer, der ›Hurikon‹. Ihr wollt wohl auch nach St. Louis?«

»Ja doch, Mann. Wann geht der nächste Schnelldampfer nach St. Louis?«

»Heute spät abends. Nun hört doch alles auf, will der auch dorthin mit einem Male!«

»Jetzt ist es zwei Uhr,« setzte der Wirt hinzu, »um drei kommt auch noch ein kleiner Schnelldampfer vorüber, mit dem könnt Ihr aber nicht nach St. Louis fahren.«

»Warum nicht?«

»Sehr einfach, weil er nur bis nach Jefferson fährt.«

»Ah, das ist gut. Hier Eure Zeche!« Der junge Mann warf einen Dollar auf den Tisch, hing sich die Büchse um und stürmte davon, dem Stromufer zu, den Wirt in seinem Staunen zurücklassend.

Hätte der thüringsche Gottlieb sich von den Matrosen das Aussehen des berühmten Cutting Knife beschreiben lassen, dann wäre er keine Minute im Zweifel gewesen, daß er denselben vor sich habe.

Jedenfalls aber wußte nun Nobody, der sich ja unter der Maske des kühnen Westmannes verbarg, daß er auf der richtigen Fährte war.

Seine Kombinationen stimmten mit den Tatsachen überein. Der schwarzbärtige Fremde war Jean Matelas, der sich auf dem Wege befand, mit Hilfe des gestohlenen Planes die Goldminen im Sakramentotale aufzusuchen und auszubeuten. Der Betrüger konnte unmöglich wissen, daß Cutting Knife identisch sei mit dem berühmtesten aller Detektivs, wohl aber hatte er gehört, daß der Westmann in der Arena Indian Bills aufgetaucht war und glaubte nun, daß Cutting Knife von diesem zur Verfolgung ihm nachgeschickt sei.

Selbstverständlich wäre es Nobody ein leichtes gewesen, sich auf dem Wege zum Strome ein andres Aussehen zu geben und Cutting Knife wieder verschwinden zu lassen, aber er hatte seine Gründe, dies nicht zu tun.

Jean Matelas konnte ihm auf keinen Fall mehr für immer entschlüpfen. –

Am Ufer des Mississippi hausen in gewissen Entfernungen voneinander Ansiedler, die Holz fällen, es in Klötze spalten, diese aufstapeln und an Dampfer verkaufen, wenn solche Verlangen äußern, Brennmaterial einzunehmen. Zugleich setzen diese Holzhauer auch Passagiere an Bord von vorüberfahrenden Dampfern. Eine solche Station war auch hier.

Der Holzhauer hatte eben gute Geschäfte gemacht, seine Stapel verkauft und war daher redselig. Er bot Jenkins, der an Bord des nächsten Dampfers nach Jefferson wollte, seine Whiskyflasche an, trank selbst und erzählte lange Geschichten von Flußpiraten, die früher den Mississippi unsicher gemacht hatten.

Mit Vorliebe legten sie künstliche Snaks, das sind Baumstämme, die mit dem einen Ende im Stromgrund stecken, mit dem andern Ende nach oben stehn, zum Teil aber noch unter dem Wasser liegen, die gefährlichsten von allen Hindernissen, vielen Fahrzeugen Verderben bereitend. Flußpiraten schaffen an ihnen zugänglichen Stellen künstlich solche Hindernisse und bereichern sich an den Trümmern und an der Ladung der Boote, die dort scheitern.

Der Meinung des alten geschwätzigen Holzfällers nach trieben solche Flußpiraten immer noch ihr Unwesen am Mississippi, denn sonst konnten nicht so viele Schiffe, besonders Dampfer, welche die Post an Bord hatten, untergehn. Der Vater der Ströme ist ja gewaltig lang und sehr breit. Unzählige Inseln liegen in ihm verstreut, und seine Ufer sind noch an vielen Stellen von Urwald bedeckt, der den Räubern ausgezeichnete Schlupfwinkel bietet.

Nobody oder, wie wir ihn weiter nennen wollen, Fred Jenkins hörte diese Erzählung ruhig an. Endlich sah er nach der Uhr, und da tauchte auch in der Ferne die Rauchfahne des erwarteten Dampfers auf.

Der Holzhauer hißte am Maste seiner Hütte eine Flagge und machte das Boot klar, in dem der Westmann bereits saß.

»Wann passiert der ›Hurikon‹ Jefferson?« fragte er.

»Um fünf Uhr.«

»Und dieser?«

»Nach sechs Uhr.«

»Wie heißt der Kapitän?«

»Gärtner.«

»Ein Deutscher?«

»Nein, ein echter Yankee; er hat Haare auf den Zähnen.«

Desto besser! Wenn es ein Yankee war, so ließ er sich auch auf ein Geschäft ein, das Cutting Knife mit ihm vorhatte.

Der Dampfer pfiff – ein Zeichen, daß er die Flagge bemerkt habe, und fuhr langsamer. Das Boot setzte ab. Nach zehn Minuten war Fred Jenkins an Bord.

Das Deck war bei dem schönen Wetter dicht mit Passagieren besetzt, die den Ankömmling neugierig musterten. Dieser mußte, um den Fahrpreis zu entrichten, sofort zum Kapitän, einem ernsten Mann mit kalten Augen und scharfen Zügen, dem man den Yankee sofort ansah.

In der Kajüte befand sich außerdem noch ein Herr, ein schöner, hochgewachsener Mann von vielleicht vierzig Jahren, eine ungemein anziehende Erscheinung. Das Gesicht war offen und ehrlich, die Augen blickten klar und kühn – alles an ihm war Ruhe, Kraft und Ueberlegenheit.

»Kann ich Sie allein sprechen, Kapitän?« fragte Jenkins.

Der Mann musterte ihn scharf.

»Mein Freund, Mister Patterson, Sheriff von Jefferson,« stellte er dann den andern Herrn vor. »Ich brauche vor ihm keine Heimlichkeiten zu haben.«

Als Sheriff bezeichnet man in kleinen amerikanischen Städten den Bürgermeister, dem auch Polizeibefugnisse zustehn.

»Ah, der Sheriff von Jefferson, das ist etwas andres! Dann spreche ich gleich offen. Kapitän, ich möchte gleichzeitig mit dem vor Ihnen fahrenden Dampfer in St. Louis eintreffen.«

»Das ist nicht möglich, ich fahre nur bis Jefferson.«

»Ich komme für jeden Schaden auf, den Sie erleiden.«

»Ich folge meinen Instruktionen.«

»Wie lange bleiben Sie in Jefferson liegen?«

»Einen Tag zum Aus- und Einladen.«

»Benutzen Sie diesen Tag, den Dampfer bis nach St. Louis einzuholen. Ich zahle Ihnen, so viel Sie wollen.«

»Nein, und wenn Sie mir den Dampfer abkaufen,« sagte der Kapitän entschieden.

»Könnten Sie den ›Hurikon‹ bis nach Jefferson einholen?«

»Ja. Ich habe eine neue Maschine bekommen, fahre nur mit dreiviertel Kraft.«

»zzziyyy Wellzzz/iyyy, so holen Sie ihn ein, ich zahle Ihnen eine Prämie von 1000 Dollar.«

»Nein.«

»Aber warum denn nur nicht?«

»Mir sind die Passagiere übergeben worden ...«

»Wenn Sie aber nicht einmal mit voller Kraft fahren!«

»Ich gehe meiner Vorschrift nach, damit basta!«

»Sind Sie ein Amerikaner?«

»Das ist es eben, ich bin kein Yankee, ich bin ein Deutscher,« entgegnete Gärtner wider Erwarten.

»Oho, das ist beleidigend für mich!« lächelte der Sheriff. »Warum wollen Sie den Dampfer eigentlich einholen?« fragte er Jenkins.

Der Kapitän verließ die Kajüte.

»Es ist ein Mann an Bord, dessen ich mich bemächtigen will.«

»Sie wollen ihn auf eigne Faust dingfest machen?«

»So ist es.«

»Ich verstehe. Doch wenn der Mann sich wirklich an Bord des ›Hurikon‹ befindet, dann überlassen Sie seine Festnahme doch mir – ich telegraphiere einfach nach Jefferson –«

»Danke sehr!« lehnte Jenkins ab. »Ich führe gern selbst aus, was ich mir vorgenommen habe!«

Der Sheriff antwortete nicht, schaute aber den Sprecher mit eigentümlich durchbohrenden Blicken an, zog ein Zeitungsblatt aus der Tasche, schlug es auseinander, reichte es Jenkins, indem er auf ein Porträt deutete.

»Kennen Sie den?«

Nobody sah sich abgebildet als Cutting Knife, und darunter stand, daß der berühmte Westmann in Hamburg bei der Truppe Indian Bills aufgetaucht sei. Ohne eine Miene zu verziehen, gab der angebliche Jenkins die Zeitung zurück.

»Ich bin es!«

»Sie verfolgen den Dieb, der dem Obersten den Plan über die Lage der Goldfelder gestohlen hat?«

»Ja!«

»Vermutet er Sie an Bord dieses Dampfers?«

»Schwerlich!«

»Gut! Ich weiß, daß es Ihnen schwer fällt, einen andern handelnd für sich eingreifen zu lassen, hier aber müssen Sie mir dies schon einmal gestatten!«

Jenkins verbeugte sich schweigend. Der Sheriff entfernte sich und begab sich zum Kapitän, unterhandelte mit demselben einige Zeit, dann ertönten Klingelsignale – die Heizer eilten an die Feuer.

Patterson kehrte zurück. Er hatte keine Ahnung von den Gedanken, die inzwischen das Hirn des Detektivs durchkreuzt hatten, und am allerwenigsten vermochte er den wahren Grund zu erraten, der Nobody bewogen hatte, einmal einen andern für sich handeln zu lassen, vielmehr ihn, ohne daß er es merkte, als Werkzeug zu benutzen.

»Alles in Ordnung!« sagte der Sheriff. »Der Kapitän garantiert, vier Meilen vor Jefferson den Dampfer eingeholt zu haben. Er hält Wort, und wenn sie sich dort an die Ventile hingen. Der ›Hurikon‹ ist ein alter Kasten, macht seine letzten Fahrten. Feuerung haben wir genug. Kommen Sie, ich stelle Sie meiner Familie vor. Sie sind ein Freund von mir, den ich in New-York kennen gelernt habe.«

Jenkins wurden zwei Damen vorgestellt. Die eine, die Gattin Pattersons, war eine Frau von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, eine imposante Erscheinung, auf deren Antlitz Anmut und geistiger Adel thronten. Die etwa zwanzigjährige Miß Patterson, des Sheriffs Schwester, war ein reizender Lockenkopf.

Mit mütterlichem Wohlwollen bot die Missis dem Freunde ihres Gatten die Hand, das junge Mädchen fragte gleich, wie es jetzt in New-York aussehe, wo sie in Pension gewesen, und bald war ein lebhaftes Gespräch im Gange über die Annehmlichkeiten, die eine große Stadt und eine kleine Stadt böten.

Aus dem Schlot des Fahrzeuges wirbelte eine mächtige Dampfwolke empor, er spritzte einen Feuerregen aus, das Schiff erzitterte plötzlich in allen Fugen.

»Was ist das?« fragte Missis Patterson besorgt. »Wir werden uns doch nicht in eine Wettfahrt einlassen?«

»Habe keine Angst,« lachte der Sheriff, eine Orange schälend und sie mit der Schwester teilend, »Kapitän Gärtner ist kein gewinnsüchtiger Yankee, sein Ehrgeiz geht auch nicht so weit, daß er das Leben der Passagiere und sein eignes aufs Spiel setzt; er probiert nur einmal die volle Kraft der neuen Maschine. Eine Kesselexplosion ist nicht zu befürchten.«

»O, eine solche Katastrophe ist entsetzlich. Ich habe einmal als Zuschauer vom Lande aus eine mitangesehen.«

Missis Patterson schauerte zusammen und verhüllte sich die Augen mit dem Spitzentuche. »Auf dem Mississippi sollen derartige Dampferexplosionen öfter vorkommen.«

»Immer infolge von Wettfahrten. Das ist die Konkurrenz. Den Dampfer, der einmal überholt worden ist, benutzt kein Mensch mehr.«

»Ein grauenhafter Eigensinn unsrer Nation.«

»Sind Sie New-Yorker?« fragte Miß Patterson.

»Jawohl, Miß.«

»Ach, mein schönes New-York! Kennen Sie Jefferson?«

»Nein.«

»Möchten Sie es nie kennen lernen!«

»Wie? Fühlst du dich unglücklich bei uns?« fragte die Gattin des Sheriffs.

»Bei euch nicht, das wäre unmöglich,« entgegnete Miß Patterson lebhaft, zärtlich den Arm um die Schwägerin schlingend. »Ich muß mich nur erst an das Leben in einer solchen Kleinstadt gewöhnen – die Umgebung gefällt mir ja, aber –«

»Das rohe Schiffsvolk weniger, meinst du,« unterbrach sie der Bruder. »Freilich, Gentlemen mit Glacéhandschuhen sind die Leute nicht. Man muß sie eben entsprechend behandeln. Wer mit ihnen umzugehn weiß, wird auch ganz gut mit ihnen auskommen.«

Patterson entfernte sich für einen Augenblick.

Mit vor Stolz leuchtenden Augen blickte ihm die Gattin nach.

»Wenn Sie nur wüßten, Sir,« wendete sie sich an den vermeintlichen Jenkins, »was für eine schwere Stellung er hat. Oft hat man ihn von Jefferson fortlocken wollen, er hat die glänzendsten Stellen angeboten bekommen – er ist Advokat – hat sie aber alle ausgeschlagen. Er mag sich eben nicht von der Stadt, in der er geboren ist, trennen. Uebrigens könnte auch kein andrer als er in Jefferson Sheriff sein. Denken Sie sich! Vor zwei Jahren wurde er als General-Sheriff nach St. Louis versetzt, doch kaum war er fort, da brach in Jefferson Mord und Totschlag aus; kein andrer Sheriff konnte die Menge im Zaum halten, man wechselte beständig, die Bürger reichten Petition nach Petition ein, sie forderten ihren alten Sheriff zurück, und zuletzt mußte man ihnen willfahren. So kamen wir wieder nach Jefferson. Man hat meinen Gatten auf den Schultern nach unsrer alten Wohnung zurückgetragen. Wissen Sie, was für eine Bedeutung Jefferson als Stadt hat?«

Jenkins wußte es.

Jefferson am Mississippi, nicht zu verwechseln mit Jefferson-City am Missouri, ist zwar nur eine kleine Stadt, aber Zentrale des Fell- und Pelzhandels für die Staaten Iowa, Illinois, Missouri, Arkansas, selbst noch für Kentucky und andre. Es besitzt einen großen Hafen, denn hier kommen die Mississippischiffer zusammen und laden aus, meist Felle, verkaufen ihre Boote und ziehen in Dampfern als Passagiere wieder stromaufwärts. Aber auch Expeditionen von Trappern reisen direkt hierher, ihre Jagdbeute zu verhandeln.

Schon längst hätte Jefferson aufgehört, solch eine Zentrale zu sein, denn das nahe St. Louis wäre ein viel besserer Handelsmarkt, wenn diese Leute nicht zäh am Althergebrachten hingen.

Die Trapper sind schon ungeschliffene Menschen, aber nun erst die Stromschiffer! Das sind alles baumlange und baumstarke Burschen, so kupferbraun gebrannt wie die Indianer, mit ebensolchen Fähigkeiten ausgerüstet, die mit der Büchse ebensogut umzugehn wissen wie ihre Kollegen zu Lande, die Trapper, und denen das mächtige Bowiemesser immer handbereit ist.

Ihr Hauptvergnügen ist, einen Liter Whisky mit einem Male auszutrinken, nach den Klängen einer womöglich verstimmten Violine zu tanzen, zu singen und zu würfeln. Wenn die Schiffer und die Trapper in Jefferson zusammenkamen und Geld in den Fingern hatten, kam es oft zu blutigen Raufereien. Da mußte freilich ein Sheriff dazwischensein, der nicht nur eine eiserne Faust und Kaltblütigkeit besaß, sondern auch allgemein beliebt war.

Ueber dieses Jefferson herrschte Patterson wie ein König, oder vielmehr eben wie ein Sheriff über eine kleine amerikanische Stadt. Wenn es galt, seine Autorität zu wahren, durfte er jeden niederschießen, ohne sich deswegen verantworten zu müssen; wenn er einen verurteilte, und er fürchtete Selbstbefreiung oder einen Aufruhr, weil das Volk mit dem Gefangenen sympathisierte, so rief er die Geschworenen zusammen und ließ den Schuldigen hängen, ohne zuvor die oberste Gerichtsbehörde des Staates davon in Kenntnis zu setzen.

Trotzdem fühlte sich Missis Patterson ganz glücklich in dem Städtchen. Man begegnete ihr überall mit der größten Hochachtung, der roheste Mund verstummte bei ihrer Annäherung, ein Fremder wurde sofort zur Ruhe gebracht, wenn es nicht anders ging, mit einem Faustschlag.

Miß Patterson bedauerte nur, daß ihr Gatte mit Arbeit überbürdet sei und trotzdem keine Hilfskraft anstellen wolle, da niemand ihn vertreten könne. Sein Distrikt erstrecke sich nicht allein auf die Stadt, sondern auch auf die viele Quadratmeilen umfassende Umgebung derselben; – deshalb sei er oft Tag und Nacht abwesend und käme dann auf schweißbedecktem Pferde, bis zum Tode erschöpft, daheim an. Auch Miß Patterson erzählte mehrere Geschichten, aus denen hervorging, wie sehr die Bevölkerung von Jefferson und die von auswärts kommenden Schiffer und Trapper den Sheriff verehrten.

Unter solchen Gesprächen vergingen die Stunden.

Missis Patterson wurde immer ängstlicher, der kleine Dampfer schoß wie ein Pfeil durchs Wasser. Die amerikanischen Stromdampfer fahren überhaupt mit ungeheurer Schnelligkeit, dieser aber überholte alle andern.

Die übrigen Passagiere teilten diese Aengstlichkeit nicht, auch die Damen nicht. Sie freuten sich vielmehr.

»Paßt auf,« hieß es, »wir holen noch vor Jefferson den ›Hurikon‹ ein – – da – da ist er schon – nein, das kann er noch nicht sein – jawohl, das ist er!«

Sachverständige bestätigten, daß die rauchende Nußschale dort vorn nur der ›Hurikon‹ sein könne, der Kapitän sagte es selbst, und noch war man eine Stunde von Jefferson entfernt.

Sofort sollten Wetten abgeschlossen werden, man bestürmte den Kapitän, noch schneller zu fahren, aber es war alles nicht nötig, denn dieser erklärte, sein Dampfer würde eher an der Landungsbrücke liegen als der ›Hurikon‹.

Hurras ertönten. Alles geriet in Aufregung. Jenkins nahm vorn zwischen Fässern Posto, so daß er nicht gesehen werden konnte.

Um die Aufregung, die Wut zu fassen, welche auf dem ›Hurikon‹ entstand, als man merkte, daß der so schnell aufkommende Dampfer der eine Stunde später abgegangene, noch dazu so kleine ›Orinoko‹ sei, dazu muß man selbst ein Yankee sein. Dieser läßt sich nicht überholen. Das wäre ja eine unauslöschliche Schande, eine Schmach!

Als die Passagiere hörten, das sei der ›Orinoko‹, begannen sie zu toben und bestürmten den mit bleichem Gesicht und zusammengepreßten Lippen auf der Brücke stehenden Kapitän, seine und ihre Ehre zu retten.

»Geben Sie Ueberdruck!« heulte man hinauf.

»Ich fuhr schon mit einer Atmosphäre Ueberdruck – nicht mehr.«

»Warum nicht mehr?«

»Habe kein Holz, es reicht nur bis Jefferson.«

»Nehmen Sie Holz ein,« schrie ein alter Herr, »ich bezahle es.«

»Bis dahin hat uns der ›Orinoko‹ eingeholt.«

Eingeholt! Ueberholt! Fürchterliche Worte!

»Schließen Sie die Ventile!«

»Sind schon geschlossen!«

»Hinein mit den Planken, mit Fässern, Kisten, Treppen und Bordwand,« schrie wieder der grauhaarige Herr, »ich bezahle es!«

»Ich auch – ich auch.«

Matrosen demolierten mit Aexten und Sägen das Schiff, was Holz war, wanderte unter den Kessel. Passagiere schleppten aus den Kajüten die Möbel herbei und warfen sie in den Heizraum hinab.

Eine förmliche Raserei bemächtigte sich aller an Bord befindlichen Personen.

Wieder arbeitete die Maschine des ›Hurikon‹ mit Ueberdruck. Der ›Orinoko‹ kam nicht auf; aber die Feuer eines solchen Schiffes fressen die Heizung förmlich – was war das bißchen Holz! Schnell kam der verfolgende Dampfer näher.

In nervöser Unruhe ging am Heck des ›Hurikon‹ eine junge Dame auf und ab. Ihre Lippen bebten vor Wut. Sie war die Witwe eines Farmers, und dort auf dem ›Orinoko‹ hatte sie ihre Todfeindin entdeckt.

Von der sollte sie sich überholen lassen? Nimmermehr! Sie zog ein Notizbuch hervor und rechnete. – Neben ihr saß ihre vierjährige Tochter. Das Kind verstand die Erregung nicht, die sich der Passagiere bemächtigt hatte.

Die Mutter ging nach der Kommandobrücke.

»Wie weit haben wir noch bis Jefferson?«

»Eine halbe Stunde!«

»Wenn Sie Heizmaterial hätten, könnten Sie eher dortsein als der ›Orinoko

»Ja. Bis zwei Atmosphären Ueberdruck kann ich's riskieren!«

»zzziyyy Well!zzz/iyyy Ich habe an Bord zweihundert Schinken als Frachtgut. Hinein mit ihnen ins Feuer – alle, wenn's sein muß!«

Ein lautes Bravo belohnte die Frau – ein rasender Jubel brach los.

Die Passagiere legten abermals selbst mit Hand an und beförderten die Säcke aus dem Raum, schlitzten sie auf, ließen die Schinken in den Heizraum wandern. Wieder dampfte der Schlot mächtig, das Schiff erzitterte, ein brenzlicher Geruch erfüllte die Luft.

»Hip, hip, Hurra, wir gewinnen!«

Ja, sie gewannen.

Die Maschine ächzte und pustete, die Kurbeln wirbelten herum, daß man ihrer Bewegung nicht mehr mit den Augen folgen konnte, das Schiff erzitterte, daß man sich festhalten mußte.

Die geopferten Schinken taten ihre Schuldigkeit. Die Passagiere jubelten.

Da stieg auf dem Vorderdeck zwischen den Planken ein weißes Wölkchen empor, eine Rauchsäule folgte, ein donnerndes Krachen, ein einziger, gellender Schrei, ein Bersten, eine Feuergarbe, und die Luft war angefüllt mit Trümmern und menschlichen Gliedmaßen, mit verbrühten Körpern.

Der Kessel des ›Hurikon‹ war explodiert.

Noch ein paar Sekunden, und das Schiff war spurlos verschwunden. Lieber tot, als sich überholen lassen.

 

Jenkins-Nobody befand sich als Gast im Hause des Mister Patterson.

Tote und Verwundete hatte man genug aufgefischt, aber Matelas war nicht darunter gewesen.

Warum nahm Nobody, der doch überzeugt war, daß der schlaue Matelas sich rechtzeitig gerettet hatte, die sofortige Verfolgung desselben nicht auf?

Er hatte sich schon eine neue Aufgabe gestellt, die er nebenbei erledigen wollte, und die sich besonders mit der Person des Sheriffs beschäftigte. Nobody kannte denselben bereits von früher, und schon seit damals hatte er einen vorläufig noch unbestimmten Verdacht gegen ihn.

Der Detektiv fühlte sich recht behaglich in dem idyllisch gelegenen, traulichen Heim. Da war nichts von amerikanischer Kälte zu bemerken. Es war alles so freundlich, so gemütlich. Missis Patterson bot jeder deutschen Hausfrau die Spitze, ob sie in der Küche wirtschaftete, die Arbeiten im Hause leitete oder am Nähtisch hinter den schneeweißen Gardinen saß.

Hier gab es keine Sorge, kein böses Wort. Auch daß keine Kinder da waren, konnte die stille Heiterkeit nicht trüben.

Mit dem Sheriff besuchte Nobody oft die Gerichtsverhandlungen, in denen es manchmal sonderbar genug zuging, er begleitete ihn auch auf die Ansiedlungen hinaus.

Eines Tages schritten beide eben der Wohnung des Sheriffs zu, da bemerkten sie beim Hafen eine große Menschenmenge, darunter auch viele Frauen und Mädchen, Gelächter und Gekreisch erscholl.

»Zum Strom mit ihm!« schrie eine rauhe Stimme. »Oder er soll uns den Hornpipe vortanzen.«

Hornpipe ist eine große, amerikanische Wasserspinne, die mit ihren langen Beinen seltsame Bewegungen ausführt. Nach ihr wird ein grotesker Tanz benannt.

»Schnell!« sagte Patterson. »Dort ist Richter Lynch in Tätigkeit!«

Die beiden Männer beschleunigten ihre Schritte.

»Platz für den Sheriff!« riefen einige Schiffer. Die Menge teilte sich.

In ihrer Mitte stand eine hagere Figur, schwarz gekleidet, ein bartloser Mann. Aus seinen Augen glühte wilder Fanatismus! Er ließ sich von den Schiffern widerstandslos hin und her zerren.

»Der Schuft will uns verbieten, die Mädchen zu küssen!« schrie jemand.

»zzziyyy Mos jumoth!zzz/iyyy« entgegnete der Bedrohte. »Des Todes sollt ihr sein, ihr Ehebrecher.«

»In den Strom mit ihm!«

»Platz für den Sheriff!«

»Hände weg von dem Manne!« donnerte Patterson.

Ein wüst aussehender Mensch gehorchte nicht sofort. Der Sheriff schob ihn schroff zur Seite.

Da fuhr der Kerl mit einem Wutschrei herum, hatte im Nu einen Revolver aus der Tasche gerissen, setzte ihn direkt auf Pattersons Brust und drückte ab.

Doch ebenso schnell war der Richter.

Seine Hand fuhr nach dem Gürtel – ein Bowiemesser sauste nach dem Schädel des Strolches. Nur ein Zufall rettete das Leben beider.

Der Revolver versagte, und der Mann war durch die blitzschnelle Energie seines Gegners so erschrocken, daß er, bis in die Lippen erbleichend, im gleichen Moment zurückgetaumelt war. Dadurch entging er dem Messer. Sonst wäre sein Kopf bis an den Wirbel in zwei Hälften gespalten gewesen.

»Wer ist der Mann?«

»Ein fremder Schiffer. Fort, Tom, was fällt dir ein? Das ist unser Sheriff! Du kannst von Glück sagen, Mensch! Nach wem er sonst mit dem Bowie wirft, der steht nicht mehr auf zwei Beinen. Fort, fort!«

Man schleppte den Mann fort.

»Und wer ist dieser?«

»zzziyyy Mos jumothzzz/iyyy, des Todes sollt ihr sein, ihr verruchten Ehebrecher, die ihr mit fremden Weibern buhlt!« rief der schwarze Mann.

»Er predigt, wir sollen nicht ehebrechen – keine fremden Mädchen küssen – wir führen alle zur Hölle – « erklang es durcheinander.

»Das werdet ihr auch. zzziyyy Mos jumoth!zzz/iyyy«

»Ist er wahnsinnig?«

»Hahaha, ich wahnsinnig! Ihr, ihr seid wahnsinnig, daß ihr Gottes Gebot nicht befolgt. Steht nicht in der Bibel, 3. Buch Moses, im 20. Kapitel, Vers 10: Wer die Ehe bricht mit jemandes Weibe, der soll des Todes sterben, beide, Ehebrecher und Ehebrecherin? Steht dort nicht also? Und ihr tut es täglich, stündlich, denn wer seines Nächsten Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe gebrochen mit ihr in seinem Herzen, und Gedanken sind vor Gott schon Taten. Darum also wendet euch ab von eurer Unzucht, oder: zzziyyy mos jumoth!zzz/iyyy«

Der Sheriff hatte dem Manne fest in die fanatisch glühenden Augen gesehen.

»Wer seid Ihr?«

»Ich bin die Stimme des Predigers in der Wüste. Lernt meine Worte verstehn! zzziyyy Mos jumothzzz/iyyy, des Todes sollen sie sein!«

»Laßt den Mann in Ruhe, laßt ihn predigen! Kommen Sie, Jenkins!«

»Hip hip hip Hurra für unsern Sheriff!« tönte es den Fortgehenden nach. »Los denn, zzziyyy Mos jumothzzz/iyyy, predige uns etwas! Wir hören zu.«

Die sektiererischen Prediger genießen in Amerika wie in England und Australien große Freiheit. Sie dürfen auf der Straße so viel predigen, wie sie wollen, der Auflauf darf nur den Verkehr nicht hemmen. Die Polizei nimmt sie sogar in Schutz. Höchstens kann es vorkommen, daß solch ein Fanatiker ins Irrenhaus gesperrt wird.

Patterson sprach nicht weiter über diesen Vorfall. Gegen seine sonstige Gewohnheit ging er schweigend und finster vor sich hinblickend dahin.

»Des Todes sollen sie sein,« murmelte er einmal.

»Ja, so heißt auf hebräisch zzziyyy mos jumothzzz/iyyy,« sagte Nobody-Jenkins, der schweigend, aber mit hohem Interesse den Vorfall beobachtet hatte.

»Töteten die Juden die Ehebrecher wirklich?«

»Gewiß, sie steinigten die beiden Schuldigen unter den Rufen ›zzziyyy mos jumothzzz/iyyy

»Auch das Weib, das nicht wußte, daß ihr Verführer bereits verheiratet war?«

»Nein, es fiel nur der Verachtung anheim.«

Die letzte Strecke bis zu seinem Hause war Patterson sehr unruhig. Seine Gattin, die ihm, wie gewöhnlich, entgegenkam, begrüßte er mit einem Kusse, dann begaben sich alle in den Garten und setzten sich in die Laube, um dort den Nachmittagskaffee einzunehmen. Jenkins beteiligte sich an der Unterhaltung, trotzdem seine Gedanken sich mit ganz andern Dingen beschäftigten.

Plötzlich ertönte eine schrille Stimme:

»zzziyyy Mos jumothzzz/iyyy, des Todes sollen die Ehebrecher sein. Bedenkt ihr das auch?«

Am Eingange der Laube stand der Schwarzrock.

»Wie seid Ihr hier hereingekommen?« fragte der Sheriff streng.

»Bedenkt ihr das auch, daß ihr allesamt Ehebrecher und deshalb des ewigen Todes seid?«

»Bedenkt Ihr auch, daß Ihr Hausfriedensbruch begeht, wenn man Euch den Eintritt nicht erlaubt hat?«

»Laß ihn sprechen, Charly, es ist ein Geistlicher,« sagte die Missis, die wie fast alle Amerikanerinnen etwas frömmelte.

Das ließ sich der Fanatiker nicht zweimal sagen.

»zzziyyy Mos jumothzzz/iyyy, des Todes sollen sie sein, die Ehebrecher! Auch ihr seid Ehebrecher. Oder leugnest du, Mensch, der du das Schwert der Gerechtigkeit in den Händen haben willst, noch nie Ehebruch begangen zu haben? Gedanken sind Taten vor Gott. Leugnest du, noch nie das Weib deines Nächsten begehrt zu haben? zzziyyy Mos jumothzzz/iyyy, des Todes sollst du sein! Oder leugnest du, Mädchen, noch nie gewünscht zu haben, daß ein Mann, der schon verheiratet ist, der deine wäre? zzziyyy Mos jumothzzz/iyyy, des Todes sollst du sein, denn du hast Ehebruch begangen – «

So etwas hatte man denn doch nicht erwartet.

»Halt,« unterbrach der Sheriff ihn entrüstet, »seht Ihr denn nicht, daß dies anständige Damen sind?«

»Wer ist vor Gott anständig? Wir sind allzumal Sünder. Sieh mir in die Augen, Mädchen! Kannst du leugnen, in deinem Herzen noch niemals Ehebruch begangen zu haben? Trägst du dich nicht stündlich mit unlautern Gedanken –?«

»Nun ist es aber genug,« rief Patterson, sprang auf, faßte den Fanatiker am Arm und setzte ihn vor die Tür.

»Offenbar ist dieser Bußprediger geistesgestört,« sagte er, als er zurückgekehrt war, »was soll ich mit ihm beginnen? Ein Irrenhaus haben wir in Jefferson nicht. Schaffe ich ihn über die Grenze, so kehrt er doch wieder zurück.«

»Lösen Sie ihm ein Billett für einen Dampfer nach St. Louis,« riet Jenkins, »dort hat er einen großen Wirkungskreis.«

»Wahrhaftig, das ist gut, das tue ich!«

Ein andres Thema wurde angeschlagen. »Uebermorgen ist der erste Juni,« sagte Missis Patterson, »du mußt nach der Freundschaftsinsel, Charly.«

»O, ich vergesse es nicht.«

»Ach, da nimmst du mich mit!« rief Mary.

»Ich habe dir schon einmal gesagt, daß kein fremder Fuß außer dem meinen die Insel betreten darf.«

»Nimm mich wenigstens im Boote mit!«

»Auch das gestatten die Bewohner nicht. Sie pochen auf ihr Recht.«

»Was ist das, die Freundschaftsinsel?« fragte Jenkins.

»Sie kennen sie nicht? Eine Insel im Mississippi, sechs Meilen flußabwärts von hier, noch zu meinem Bezirk gehörend. Dort haust eine ganz eigenartige Kolonie. Vor etwa vierzig Jahren wohnten dort Fischer und Holzfäller, eine Familie unter sich bildend. Ein Dampfer scheiterte in der Nähe, der Präsident mit Frau und Kindern befand sich auf demselben. Sie wurden von den Inselbewohnern mit Gefahr ihres Lebens gerettet. Der Präsident gewährte ihnen eine Bitte. Da verlangten die närrischen Einsiedler, daß die Insel ihnen gehören solle, ihnen ausschließlich, daß kein Fremder den Fuß daraufsetzen dürfe, wenn sie es nicht erlaubten, auch kein Regierungsbeamter – bis in alle Ewigkeit. Das konnte der Präsident ihnen freilich nicht gewähren, selbst wenn er die Insel kaufte und ihnen schenkte. Die Regierung hat überall Zutritt. Er trug die Bitte aber dem Senat vor, und sie ward bewilligt, mit dem Zusatz, daß am 1. Juni jedes Jahres der Sheriff von Jefferson die Insel betritt, nach dem Rechten sieht und darüber an die Regierung berichtet. Das tue ich morgen.«

»Seltsam!«

»Ich finde da nichts Seltsames dabei.«

»Seit 40 Jahren also besteht das Privilegium. Wird da die Insel nicht übervölkert?«

»O nein. Nicht allen behagt das idyllische, aber eintönige Leben dort. Viele Burschen und Mädchen wandern aus, suchen anderswo Arbeit, wollen auch einmal tanzen und mit andern Menschen lustig sein.«

»Ist denn das Auswandern erlaubt?«

»Warum nicht? Ah so, Sie denken an Geheimnisse! Nein, damit ist's nichts. Es ist ein friedliches Völkchen, das auf der Insel lebt. Es ernährt sich vom Fischfang. Was sie mehr erbeuten, tauschen sie gegen andre Bedürfnisse in Jefferson aus. Den Waldbestand rühren sie nicht mehr an, mit Ausnahme zum Bedarf der eignen Feuerung. Viele arbeiten auch auswärts und kehren täglich oder die Woche einmal nach der Heimat zurück; viele sind auch Stromschiffer.«

»Immerhin kann eine solche Ansiedlung ohne Aufsicht gefährlich werden.«

»Wieso?«

»Indem sie zum Asyl für Verbrecher, zum Räuberlager wird.«

»Aber ich bitte Sie,« lachte Patterson, »etwas Unschuldigeres gibt es gar nicht. Außerdem ist ja auch noch der Sheriff von Jefferson da, das bin ich jetzt.«

»Wie sieht es denn auf der Insel aus?«

»Armselig genug. Ein kleines Dorf mitten im Walde. Kinder und Hunde in Menge. Es ist ja nichts weiter, als daß die dort Gebornen das Privilegium haben, keinen Menschen auf die Insel zu lassen.«

»Kann man nicht aufgenommen werden?«

»Dazu hat bis jetzt noch niemand Lust geäußert.«

»Auch kein Zeitungsreporter?«

»Ich glaube, sie nehmen überhaupt keinen Fremden auf.«

»Und wer ausgewandert ist –?«

»Der hat dort natürlich auch das Heimatsrecht. Möglich, daß es verjährt. Eigne Gesetze werden sie schon haben.«

»Man sagt,« meinte Mary, »die Bewohner der Freundschaftsinsel erkennen jeden der Ihren an einem geheimen Zeichen.«

»Leere Redensarten! Oder warum sollte es nicht so sein?«

»Wenn nun ein Schiffbrüchiger dort angetrieben würde?«

»Den würden sie einfach aufnehmen und in einem Boote nach Jefferson bringen. Denken Sie sich nur nichts Geheimnisvolles bei der Geschichte, Mister Jenkins!«

»Wie werden Sie nach der Insel gebracht?«

»Ein Boot mit vier Mann holt mich ab.«

Nur so ganz nebenbei erwähnte Patterson noch, daß die Bewohner der Insel auch das Recht für sich in Anspruch nähmen, angetriebene Güter von gescheiterten Flußschiffen für sich zu behalten. Dann trennte man sich.

Mr. Jenkins blieb allein im Garten zurück. Er schlenderte, scheinbar die Blumen auf den Beeten betrachtend, in den wohlgepflegten Gängen auf und nieder, dabei aber weilten seine Gedanken ausschließlich bei dem, was er über die Freundschaftsinsel gehört hatte.

»Der Sheriff wird von den Schiffern verehrt, diese rohe Bande hat Respekt vor ihm. Das tut sie vielleicht, weil er kräftig, kühn und energisch ist – vielleicht auch aus einem andern Grunde – und trifft der zu, dann kann sich Jefferson allerdings zu seinem Sheriff gratulieren. He, Nobody, wie wäre es, wenn du einmal eine Fahrt nach der privilegierten Insel machtest? Allerdings, ist sie eine Zufluchtsstätte für verbrecherisches Gesindel, dann –«

Er brach ab und trat unwillkürlich hinter ein dichtes Buschwerk.

Sheriff Patterson kam vom Hause her und ging an seinem Besucher vorüber, ohne ihn zu bemerken.

»zzziyyy Mos jumoth!zzz/iyyy Des Todes sollen sie sein – die Ehebrecher,« hörte Nobody seinen Gastfreund vor sich hinmurmeln. »Verflucht bis in alle Ewigkeit!«

»zzziyyy All rightzzz/iyyy,« nickte Nobody, als jener vorüber war, »hier muß ich eingreifen, so ungern ich es tue.«


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