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6. Die Freundschaftsinsel

Aus dem Walde unterhalb Jeffersons trat ein hochgewachsener, breitschultriger Mann in der üblichen Tracht der Stromschiffer – hohe Stiefel, derbe Beinkleider, eine gestrickte Wolljacke und eine ebensolche Mütze.

Das Gesicht des Mannes ähnelte denen seiner Genossen, wie diese ihm, denn jeder Beruf prägt seinen Vertretern bestimmte Linien auf, an denen man sie erkennt. Hier der Mann aber verriet in jedem Zuge seines wettergebräunten Gesichtes den rohen und ungebildeten Stromschiffer, dem es bei einer Rauferei nicht auf einen Messerstich, auf einen Revolverschuß ankommt.

Schwerfällig stampfte er durch das niedere Gestrüpp, das hier das Ufer des Mississippi umsäumte. Umständlich band er ein kleines zweiriemiges Boot von der Baumwurzel los, an der es festgemacht war. Dann wälzte er, ehe er einstieg, das Priemchen aus der rechten in die linke Backe, spie den braunen Tabaksaft in weitem Bogen in das trübe Wasser, spuckte einmal in die mit hornigen Schwielen bedeckten kräftigen Hände, erfaßte die Riemen, setzte sich schwerfällig auf der Ducht zurecht. Jetzt senkte er die Riemen in die Fluten, und sofort war das Phlegma verschwunden. Der Mann war eben ganz der Flußschiffer, der sich auf dem Lande vorkommt wie eine Ente, die auch nicht darauf gehört, sondern sich nur in ihrem Element, im Wasser wohlfühlt.

»So, werter Sheriff von Jefferson,« murmelte er halblaut vor sich hin, »heute wirst du die Freundschaftsinsel betreten – als Regierungsvertreter – niemand darf ja sonst darauf – ich kalkuliere aber, mir wird auch niemand den Zutritt verwehren. Bin verdammt neugierig, was für Geheimnisse ich zu sehen bekommen werde.«

Und nach einer Pause setzte er hinzu:

»Wenn Patterson wüßte, daß er den Nobody in seinem Hause hat, würde er wohl etwas vorsichtiger sein, aber ich kann ihm nicht helfen. Der Mann kommt mir vor wie ein ausgewachsener Schurke. Er betrügt sicherlich die meisten derer, die ihm vertrauen, und das soll um der prächtigen Weiber willen ein Ende nehmen. Das Schicksal hat mich wieder einmal einen Weg geführt, den ich nicht zu betreten gedachte. Ha, was wohl Freund Roger sagen würde, wenn er den Nobody als Missisippischiffer sehen könnte!«

Nach diesem kurzen Selbstgespräch, für das er mitten im Strome keinen Lauscher zu fürchten brauchte, senkte Nobody den linken Riemen tief in die Flut und trieb so dem mit dichtem Urwald bestandenen Ufer zu.

Unmittelbar an demselben entlang ließ er dann das Boot mit der Strömung treiben. Er hielt erst an, als er unter den überhängenden Zweigen eine Art Landungsbrücke bemerkte – in den Strom gerammte Pfähle mit einem Brett darüber. Rasch schaute er stromauf und stromab, niemand war zu sehen.

Im nächsten Augenblick rauschte es in den Zweigen. Sie bogen sich auseinander und wieder zusammen. Das Boot mit Nobody war verschwunden. Es konnte selbst von der Landungsstelle aus nicht gesehen werden, trotzdem es unmittelbar daneben lag. Nobody selbst hatte sich auf dem Boden des Fahrzeuges ausgestreckt, unter den Duchten, den beiden Sitzbänken.

So verharrte er regungslos.

Er wartete auf das Boot, das den Sheriff Patterson nach der Freundschaftsinsel bringen sollte. Er sollte freilich ganz andre Dinge erleben, als er vermutet hatte. Nach wenigen Minuten ertönten Schritte. Vorsichtig hob der Lauscher den Kopf. Erstaunen prägte sich in den rohen Zügen aus. –

Auf der Landungsbrücke am Ufer des Mississippi stand ein bildschöner Knabe von vielleicht zwölf Jahren, der seine Negerabstammung nicht verleugnen konnte, eben durch seine Schönheit und durch seine wunderbar zarte, gelblich weiße Haut. Er war ein Quadrone, das heißt der Urenkel einer Negerin und eines Weißen; immer wieder hatte sich das farbige Blut mit weißem vermengt.

Alle Quadronen sind schön, besonders die weiblichen. Die Abkömmlinge eines Weißen und einer Negerin sind Mulatten, eines Weißen und einer Mulattin Terzeronen, eines Weißen und einer Terzerone Quadronen usf. Alle solchen Kinder waren, auch wenn ihre Abstammung von Negern nicht mehr zu erkennen war, unfrei und Sklaven, solange die Sklaverei in Nordamerika existierte.

Er trug einen kleidsamen Jockeianzug, das Käppchen keck auf dem lockigen Kopf, an den Füßen fransenbesetzte, gelbe Reitstiefelchen, aber ohne Sporen.

Ueber ihm wölbte sich das Laubdach einer Eiche und schützte ihn vor der sengenden Mittagssonne.

Unmutig schlug er mit der Reitgerte Blätter ab, zog manchmal einen kuvertierten Brief unter der Bluse hervor, betrachtete ihn, steckte ihn wieder ein und stampfte vor Ungeduld mit den Füßen.

Einmal schob er den Brief mit auffallender Hast wieder unter die Bluse.

»Hierher, Kastor!« rief er mit heller Stimme. »Elender Nigger, wie lange hast du mich warten lassen!«

Ein Boot schoß heran. Der Ruderer war ein riesiger, herkulischer Neger mit mächtigem Wollschädel. Die Leinwandjacke hatte er abgelegt, er ließ sich die Sonne direkt auf die schwarze, wie Samt glänzende Haut brennen und schien sich dabei sehr wohl zu fühlen. Ein Hemd trug er nicht.

Geschickt lenkte er das Boot ans Ufer.

»Geduld, junger Herr, ist eine Tugend, in der sich jeder üben muß,« spottete er.

Der Quadrone sprang ein.

»Behalte deine Weisheitslehren für dich!«

»Das sagt Massa, nicht ich. Sachte, Pedro, mit solchen Sprüngen kommt man nicht weit, da kippt man um.«

»Du sollst mich nicht Pedro nennen, für dich bin ich der junge Herr.«

»Setzen Sie sich, junger Herr, bitte sehr, junger Herr, nehmen Sie's nicht übel, junger Herr, Sie können ins Wasser fallen, junger Herr.«

Der Quadrone zog dem Spötter ein paar Hiebe mit der Reitgerte über den nackten Rücken.

»Da, nimm erst das für deinen Hohn. Außerdem sag' ich's der Herrin, du – Nigger, elender.«

Ein böser Blick schoß aus den Augen des Gezüchtigten auf den Quadronen, die riesigen Muskeln spannten sich, aber er beherrschte sich. Er griff wieder zum Hohn.

»Nun, nun, junger Herr, mein Urenkel kann auch einmal so ein hübsches Kind werden wie Ihr.«

Pedro drohte ihm mit der Reitpeitsche.

»Wahre deine Zunge, Halunke!«

Beide verfielen in Schweigen. Dem Neger gefiel es, sich in der Sonnenglut auszuarbeiten, der Quadrone drehte sich Zigaretten und rauchte.

Sein Blick fiel auf eine eiserne, lange Kette, die im Boote lag.

»Was ist denn das?«

»Das ist meine Sklavenkette, die ich zerbrochen habe!«

»Du kannst sie als Uhrkette tragen.«

»Warum nicht, wenn Ihr mir eine Uhr schenken wollt?«

Der Quadrone zog aus Prahlerei eine prachtvolle goldene Uhr aus der Bluse und sah nach der Zeit.

»Rudere schneller, fauler Schlingel!« herrschte er dann den Neger an. »Denkst du, ich will verbraten?«

»O, es wird Euch schon bald genug kühl werden,« grinste der Riese.

»Wie meinst du?«

»In der Veranda bei der Senora, meine ich. Ob Ihr die Kette da wohl tragen könnt?«

»Sklavenketten? Bah!«

»Werdet's lernen!«

Er tat ein paar mächtige Ruderschläge, die das Boot dicht ans Ufer trieben, gerade auf ein Gebüsch zu, das seine Zweige weit übers Wasser hing.

»Du spritzt mich ja ganz voll!«

»Werdet noch nässer werden!«

Das Boot schoß unter die Zweige.

»Hund, was machst du denn, ich bin ja –«

Das Fahrzeug war in dem Dickicht verschwunden, der Quadrone brach mitten im Satz ab.

Zehn Minuten blieb das Boot in dem Versteck. Ketten rasselten, ein Gurgeln erscholl.

Dann kam es wieder zum Vorschein – die Kette war nicht mehr darin – und auch nicht mehr der Knabe.

Kastor ließ einen scheuen Blick umherschweifen. Niemand war zu sehen, nichts regte sich. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete den Brief, den er in der Hand hielt – denselben Brief, den vorhin der Quadrone gehabt hatte.

Jetzt war ein frischer Blutfleck daran. Der Neger feuchtete den Daumen an, suchte den Flecken wegzuwischen und machte ihn nur noch häßlicher.

Kopfschüttelnd wendete er den Brief hin und her, faltete ihn dann zusammen und steckte ihn in die Tasche der baumwollnen Hose.

»Na, Massa ist es ganz egal, ob ein Stempel darauf ist oder nicht.«

Er ruderte zurück nach derselben Stelle, wo vorhin der Quadrone gestanden hatte, machte das Boot fest, stieg aus und warf sich in dem Schatten der Eiche nieder. Hier blieb er drei Stunden liegen, anscheinend schlafend. Dann stand er auf und ruderte denselben Weg zurück, verließ das Ufer und kämpfte gegen die Strömung an, auf eine Insel zu.

Lautlos hatte Nobody in seinem Versteck verharrt. Nur manchmal hob er den Kopf, um nach dem schlafenden Neger zu spähen, und erst als er diesen mit dem Boote in einer Bucht der Insel verschwinden sah, richtete er sich ganz auf.

»Ei verflucht!« brummte er vor sich hin. »Alfred, hier gibt's mehr Arbeit für dich, als du erwartet hast. – Armer Junge,« setzte er dann bedauernd hinzu, »hast deinen Hochmut teuer bezahlen müssen. Ich will aber deinen Tod wenigstens rächen!«

Sonderbar! Woher konnte Nobody denn nur wissen, daß der Quadrone tot war? Dann mußte Kastor ihn ja ermordet haben!

Langsam verließ Nobody das Boot und wand sich durch das Unterholz. Bald erreichte er den Pfad, der an der Landungsbrücke endete, er verfolgte ihn aufwärts, immer im Schütze der Büsche bleibend. So erreichte er nach kurzer Wanderung eine Anhöhe, auf der mehrere Gebäude standen.

»Hier ist Pedro gewesen. Wollen sehen, wen er besucht hat.«

Die Farm lag ganz einsam, bot aber einen saubern, wohlgepflegten Anblick, und als Nobody sich durch eine Zuckerrohrpflanzung geschlichen hatte, bemerkte er inmitten eines Rosenbeetes den Eigentümer der Besitzung, einen Mann von vielleicht fünfzig Jahren, der aber älter aussah. Sein Gesicht wies zahlreiche Falten auf, und seine Augen hatten einen träumerischen Ausdruck.

Anscheinend okulierte der Mann Rosen.

Leise wendete Nobody sich ab, schlich sich durch die Zuckerpflanzung zurück und kam in ein Baumwollenfeld. Hier fand er, was er suchte.

Zwei Knechte waren bei der Arbeit. Sie unterhielten sich, ohne den Lauscher zu bemerken.

»Hast du's gesehen, Bob, wie die Missis den Spanier mit verliebten Augen anfunkelt?« fragte der eine.

»Na und ob! 'S ist ein Teufelsweib, sitzt jetzt gewiß wieder mit dem Diego zusammen, und der Alte ist wie blind!« entgegnete der mit Bob Angeredete.

»Man täte ein gutes Werk, Billy, wenn man ihm den Star stäche!« setzte er dann hinzu.

»Wozu? Er ist ja zufrieden!«

»Aber seine Frau wüstet doch geradezu mit dem Gelde. Ich möchte wissen, woher sie alle die feinen Kleider hat.«

»Esel!« knurrte Billy verächtlich. »Hast du denn nicht gemerkt, daß sie nach der Insel fährt?«

»Aaah!« machte Bob. »Deswegen kommt auch der Junge so oft her. Ein verdammt hochnäsiger Bursche!«

Weiter hörte Nobody nichts. Er schlich bereits dem Hause zu. Dicht an demselben stand eine Laube, von blühendem Rankenwerk vollkommen überwuchert. Zusammengeduckt erreichte Nobody dieselbe und verschwand darin.

Nun konnte er sich aufrichten. Er spähte durch ein offenstehendes Fenster in ein sauber ausgestattetes Zimmer. Auf dem Sofa lag ein Mann, in dem man sofort den Spanier, zumindest den Südländer, erkannte.

Es war Diego, von dem die Knechte sich unterhalten hatten.

Ein junges, hübsches Weib trat ein, einen selbstgebacknen Kuchen auf einer Platte tragend, den sie auf den Tisch stellte und zerteilte. Sie bediente den Gast.

»Nun laßt einmal die Grillen fahren,« scherzte sie, »setzt ein fröhliches Gesicht auf, eßt und trinkt! Was wollt Ihr trinken?«

»Was Ihr habt,« war die einsilbige Antwort.

Sie brachte Fruchtwein und zwei Gläser.

»Habt keine Angst, daß den mein Alter selbst gezogen und gekeltert hat – denn seiner ist ungenießbar. Soll ich Euch Gesellschaft leisten?«

»Wenn Ihr wünscht.«

»Nein, ob Ihr es wünscht,« lachte sie.

»Mir ist es recht.«

»Puh, seid Ihr aber grob. Na wartet, dann sollt Ihr mir aber einmal beichten.«

Sie verließ die Stube, um die Mehlspuren von ihren Kleidern zu entfernen.

Diego aß von dem Kuchen, schob dann den Teller zurück und blickte durch das Fenster, durch welches man gerade eine große Insel im Mississippi sehen konnte.

Das Haus schien außer den beiden ganz menschenleer zu sein.

Da trat die Frau wieder ein und setzte sich unmittelbar neben dem Spanier aufs Sofa. Er merkte es gar nicht, so war er in Gedanken versunken.

»Nun, wie gefall' ich Euch?« fragte sie.

Verwundert blickte er auf und sah sie zerstreut an.

»Sehr gut, Missis,« murmelte er.

»So, wirklich? Das ist die erste Schmeichelei, die Ihr mir sagt. Sonst sind die Männer nicht so karg mit solchen mir gegenüber.«

»Ich bin eben anders als die übrigen Männer.«

»Das kommt mir auch so vor. Sagt, Diego, warum seid Ihr denn immer so traurig?«

»Ich habe Grund dazu.«

»Wollt Ihr Euch mir nicht anvertrauen?«

Sie legte dabei ihre Hand auf seine Schulter, aber auch das schien er nicht zu merken.

»Habt Ihr eine unglückliche Liebe?« fragte sie weiter, als er schwieg.

»Ich habe noch nie ein Weib geliebt.«

»O, o, wollt Ihr mir das etwa weismachen?«

»Ich sage es Euch.«

»Gefalle ich Euch nicht?«

»Sehr gut,« murmelte er wieder, wußte aber wohl gar nicht, was er gefragt worden war.

»Und das sagt Ihr so kalt, seht mich dabei gar nicht an?«

Was er geistesabwesend flüsterte, verstand sie nicht.

»Wißt Ihr auch, Diego, daß Ihr ein schöner Mann seid?« fuhr das Weib fort, in dem sich die Schlange regte.

»Nein.«

»Ja, das seid Ihr. Ihr gefallt mir, ich gestehe es. Gefalle ich Euch auch?«

Er musterte sie zum ersten Male mit eigentümlichem Gesichtsausdruck.

»Was sagtet Ihr, Missis Tanner?«

»Ob ich Euch gefalle, fragte ich.«

Sie hatte plötzlich seine Hand erfaßt, legte seinen Arm um ihre Taille und rückte dicht an ihn heran.

Diego erschrak.

»Missis, was tut Ihr?« flüsterte er bestürzt. »Ich glaube – Ihr Gatte ist ja dort – er kann uns sehen.«

»Bah, der sieht nichts andres als seine Bäume, und wenn man ihn mit der Nase draufdrückte. Sagt, Diego, könntet Ihr mich lieben?«

Hastig wollte er sich von ihr freimachen und aufstehn, sie aber hielt ihn mit kräftigem Arm fest. Ein girrendes Lachen tönte an sein Ohr.

»Und ich will wissen, warum du so traurig bist, ich will dich aufheitern.«

»Missis Tanner, ich beschwöre Euch ...«

»Jenny heiße ich für dich. Bist du verheiratet?«

»Nein doch – laßt mich ...«

»Du hast wirklich noch kein Weib geliebt?«

»Doch – aber unglücklich – laßt mich ...«

»Ich lasse dich nicht – ich will dich trösten – kannst du mich nicht lieben?«

Ehe er es sich versah, hatte sie seinen Kopf in beide Hände genommen und küßte ihn wiederholt auf den Mund.

Da sprang er auf, so heftig und sich dabei losreißend, daß sie zurückgeschleudert wurde. Mit purpurrotem Gesicht eilte er hinaus.

Sprachlos vor Staunen schaute ihm Jenny nach. Dann ordnete sie ihr zerzaustes Haar.

»So etwas ist mir denn doch noch nicht passiert,« murmelte sie. »Der ist ja schlimmer als der keusche Joseph. Was ist denn das eigentlich für ein Mann? Der Stockfisch!«

Nobody hatte genug gesehen. Leise, wie er gekommen, entfernte er sich und schlich sich wieder hinunter an den Strom.

Dort stieg er ins Boot und wartete, bis die Nacht hereinbrach, dann lenkte er das Fahrzeug unter den Büschen hervor und ließ sich treiben, bis er unter jenem Dickicht wieder verschwand, in das der Neger Kastor sein Boot gerudert hatte.

Etwa zehn Minuten blieb Nobody dort; als er wieder erschien, war keinerlei Erregung an ihm zu bemerken, trotzdem er einen schrecklichen Fund gemacht hatte.

 

Der Neger war unterdes an der Insel gelandet.

»Wo kommst du denn her, Kastor?« rief eine Stimme von oben, als er ausstieg.

Der Rufer saß im Wipfel eines großen Baumes, hatte sich dort oben mittels eines Brettes einen recht bequemen Sitz gemacht.

»Hab' für die Herrin etwas besorgt,« war die brummige Antwort.

Kastor schlug einen schmalen Weg ein, der durch den sonst schier undurchdringlichen Wald führte.

Dann lichtete sich dieser, ein Hüttendorf zeigte sich auf der Waldblöße.

Die Männer, die dort hausten, waren Stromschiffer, so aussehend wie überall am Mississippi. Sie flickten Netze oder rauchten und würfelten, Frauen arbeiteten, Kinder spielten, Hunde trieben sich umher.

»Kommt der Kapitän heute nacht?« wurde Kastor im Vorbeigehn von einem Manne gefragt.

»Weiß nicht,« knurrte der Neger.

Er ging durch das Dorf und auf ein großes Dickicht zu. Ein mannsbreiter Weg führte hinein. Es war nur eine Umzäunung, und zwar umgab sie ein hübsches, sogar stattliches, wenn auch niedriges Holzhäuschen.

Kastor streichelte die mächtige Dogge, die ihn freudig begrüßte, trat in ein Vorzimmer und durch dieses nach kurzem Anklopfen in ein zweites, größeres.

Es ist die Freundschaftsinsel, auf der wir uns befinden.

Wie wäre aber der erstaunt gewesen, der glaubte, hier in das Innere einer Fischerhütte zu treten! In diesem Zimmer atmete alles Pracht und Reichtum, den raffiniertesten Luxus, jeder Gegenstand war ein Kunstwerk von Gold, Silber, Ebenholz, Alabaster oder Seide. Die kostbarsten, chinesischen Gewebe verhüllten die Holzwände, Smyrna-Teppiche deckten den Estrich. Palmen und andre tropische Topfpflanzen, deren Erdbehälter aber unbezahlbare Vasen waren, gaben dem Ganzen zudem noch ein exotisches Aussehen.

Auf dem rotseidenen Polster eines Diwans lag ein junges, blendend schönes Weib, unverkennbar eine Spanierin, in einer Toilette, mit der sich eine Fürstin hätte sehen lassen können, verschwenderisch mit Perlen und Juwelen geschmückt. Weiß wie der Hals, Busen und der volle Arm, schimmerte es auch durch die seidenen, durchbrochenen Strümpfe.

Sie fächelte sich mit einem Straußenfederfächer Kühlung zu; matt stützte sie den mit schweren, bläulichschwarzen Flechten gezierten Kopf auf die Hand.

Beim Anklopfen hatte sie sich mit einer hastigen Bewegung etwas erhoben. Doch gleich sank sie wieder zurück.

»Ach so, er kann es ja noch nicht sein,« murmelte sie.

Kastor verneigte sich tief und blieb stehn, die Anrede erwartend.

»Ist Pedro da?«

»Nein, Herrin. Länger als drei Stunden hat Kastor auf ihn gewartet – er kam nicht.«

Wieder fuhr sie empor, ihre Augen öffneten sich erschrocken.

»Wie? Er ist nicht gekommen?«

»Nein, Herrin.«

»Ja, wo bleibt er denn?«

»Kastor weiß es nicht, Herrin.«

Ein mißtrauischer Blick traf ihn.

»Wo mag er sein?«

»Vielleicht auf der Plantage geblieben.«

»Er muß ja noch kommen, ich brauche es – warum bist du nicht dortgeblieben?«

»Ich habe Dienst, Herrin.«

»Ach so. Schicke jemanden anders hin!«

»Wir werden alle gebraucht.«

Drohend runzelte sie die Stirn.

»Schweig, schwarzer Hund! Sieh erst nach, ob jemand frei ist. Schick den Kerl fort, der faul auf der Bärenhaut liegt.«

»James hat eine Kopfwunde – «

»Gehorche, sage ich dir! Ich will, daß er hinrudert, er braucht nicht mit dem Kopf zu rudern, Pedro muß noch kommen. Ich will es!«

Ein Fächerstab zerbrach unter ihren schlanken Fingern.

»Wir gehorchen.«

»Geh!«

Der Neger entfernte sich.

»Halt! Weißt du, ob Charles – ob der Kapitän heute abend kommt?«

»Kastor weiß nichts.«

»Tölpel! Marsch fort! Aus meinen Augen, räudiger Hund!«

Der Neger verließ das Zimmer und begab sich ins Dorf.

Es war finster geworden. Einige neue Stromschiffer waren angekommen, darunter auch der Wächter, der abgelöst worden war. In einer der Hütten war ein Zechgelage veranstaltet worden. Keiner der Männer hatte eine Ahnung von dem, was mittlerweile am Strome sich ereignet hatte.

»He, holla, was für ein Boot ist das?« rief dort der auf dem Baume postierte Mann, als Nobodys Kahn in die Bucht trieb.

Ein heiseres Grunzen, wie Betrunkene es ausstoßen, antwortete.

»zzziyyy Goddam!zzz/iyyy« fluchte der Wächter. »Sag, wer du bist, oder ich schlage dir den Schädel ein!«

»Oho!« gröhlte Nobody, der aus dem Boote heraustorkelte, um im nächsten Augenblick mit aller Wucht gegen einen Baum zu rennen. So kräftig war der Anprall, daß der Mann zu Boden geschleudert wurde und regungslos liegen blieb.

Ein wilder Fluch erklang. Dann kletterte der Wächter von seinem luftigen Sitze hernieder und näherte sich dem Betrunkenen, beugte sich über ihn und suchte in der Dunkelheit das Gesicht zu erkennen. Sofort klammerten sich zwei Hände mit eiserner Gewalt um den Hals des Ueberraschten.

Er wollte einen Hilfeschrei, einen Warnungsruf ausstoßen, aber er kam nicht dazu. Seine Füße wühlten den Erdboden auf, dann ging ein Zucken durch seinen Leib. Er streckte sich und lag wie tot da.

Nobody lauschte eine kleine Weile, dann brachte er eine Taschenlaterne hervor, brannte die Kerze darin an und leuchtete dem Betäubten ins Antlitz.

»Der hat genug für diese Nacht, hinein mit ihm in die Büsche!«

Nobody nahm den Platz des Wächters ein.

Lange brauchte er nicht zu warten, da näherten sich Schritte.

»Holla, Jimmy!« rief eine rauhe Stimme.

»Holla!« gab Nobody genau in der Redeweise dessen zurück, dessen Aussehen er angenommen, dessen Kleidung er angelegt hatte.

»Was Neues vorgefallen?«

»Nichts!«

»Der Kapitän bleibt lange aus heute!«

»Verdammt lange!«

»Na, komm runter! Der lange John hat Whisky spendiert, wollte, ich hätte im Lager bleiben können.«

Nobody kletterte zur Erde, der andre nahm seinen Posten ein, und nach wenigen Minuten saß der verwegene Detektiv als Jimmy im Kreise der Stromschiffer, beteiligte sich an ihren rohen Späßen, rauchte und trank.

Da kam der Neger vom Hause her.

»He, hallo, Kastor, du mußt eins singen und tanzen.«

Der Neger nahm die gereichte Whiskyflasche, ließ den Schnaps die Kehle hinablaufen, als wenn es Wasser wäre, und war gleich bereit, seine Kunst zu zeigen.

Die Männer gruppierten sich auf Kisten und Fässern im Kreise. Kastor, der sehr heiterer Laune war, begann mit heiserer Stimme eins jener sinn- und endlosen Niggerlieder zu singen, zwischen deren Versen getanzt wird.

»Der Master ging auf den Waschbärfang
        O ho o!
Und jedesmal nach jedem Sang,
Da tanze ich Jim Crow.«

Der Tanz bestand darin, daß die Füße in mehreren Variationen gesenkt und gehoben wurden, bald die Zehen, bald die Fersen den Boden berührten, wobei der Oberkörper unbeweglich blieb.

Solchen Niggertänzern sehen nicht etwa nur Stromschiffer zu, nein, auch das gewählteste, englische oder amerikanische Publikum, im Variététheater nämlich, nach jedem dieser geistreichen Verse und nach jedem Tanz bricht es in rasenden Beifall aus, und der Deutsche fragt sich dann, ob die Zuschauer oder die ›Künstler‹ verrückt sind.

Auch die Stromschiffer klatschten wie toll und heulten vor Entzücken.

»Der Master liebt den Whisky sehr,
        O ho o!
Und wenn ich nicht kann singen mehr,
Da tanze ich Jim Crow.«

brüllte Kastor, tanzte und trank zur Erfrischung einen Schluck Schnaps. So ging es weiter, vielleicht bis zum fünfzigsten Vers, dann schlugen die Schiffer ein andres, noch lärmenderes Vergnügen vor.

Drüben lag das schöne Weib in Balltoilette auf dem Diwan und seufzte, seufzte schmachtend nur einen Namen: »Charles!«

Den Lärm hörte sie nicht.

Die Dämmerung brach an. Sie lag und seufzte.

Ein Mann, ein Stromschiffer trat ein.

»Der Kapitän kommt heute nacht,« meldete er.

Wie eine Feder schnellte sie auf.

»Er kommt, er kommt!« jubelte sie. »Charles kommt! Wann? Hast du ihn gesprochen? Wann kommt er? Wann, wann, wann? Schnell doch nur!«

»In einer halben Stunde.«

»Gut, gut. Hier – hier,« ihr Auge irrte umher, »nimm das hier, es ist nicht genug für deine Botschaft – nimm es.«

Sie nahm eine Börse von einem Tischchen und warf sie ihm zu.

»War nicht nötig! Danke, Senora!«

»Halt, warte! Hast du Pedro nicht gesehen?«

»Pedro? Den hat doch Kastor abgeholt.«

Es war zu dunkel, so entging es dem Manne, wie die Züge der Frau plötzlich erstarrten, ihre Augen Blitze schossen.

»So? Hat er ihn abgeholt?« fragte sie gleichgültig.

»Jawohl, ich habe gesehen, wie Pedro zu ihm ins Boot stieg.«

»Wo?«

»Da, wo er ihn immer abholt.«

»Wann?«

»Um die zweite Stunde mag es gewesen sein.«

»Sie fuhren zusammen?«

»Natürlich, beide. Dann kam mir das Boot aus den Augen.«

»Es ist gut.«

Der Mann ging.

Die Spanierin preßte die Hand auf den Busen und atmete tief und schwer. Dann ergriff sie eine große Hundepeitsche, raffte die Schleppe auf und begab sich hinaus, dorthin, von wo ihr wüster Lärm entgegenscholl.

Kastor produzierte sich eben als unüberwindlicher Ringkämpfer, kam aber einmal übel an. Ein kleiner Kerl bückte sich schnell, als der Riese nachlässig zugreifen wollte, und zog ihm die Beine unter dem Leibe weg.

Unter dem schallenden Gelächter der Zuschauer schlug der Neger rücklings zu Boden und schmetterte dabei mit dem Kopfe an ein Faß, so wuchtig, daß er, zudem stark berauscht, eine Weile das Aufstehn vergaß.

In diesem Augenblick erschien die Spanierin, die Hand mit der Peitsche auf dem Rücken. Nicht nur, daß sie jedenfalls hier überhaupt zu befehlen hatte, sie war an sich schon eine königliche Erscheinung.

Im Nu wich der Lärm einer Todesstille.

»Was geht hier vor?«

»O, nichts doch, wir waren etwas fröhlich – «

Diese Antwort wurde demütig und doch zugleich trotzig gegeben. Alle diese Männer hatten einen gar steifen Nacken.

Die Frau deutete ganz gebieterisch auf den noch immer daliegenden Neger.

»Bindet diesen!«

Niemand rührte sich.

»Kastor? Binden? Warum denn?«

»Bindet ihn!« herrschte sie. »Er ist ein Verräter.«

»Kastor ein Verräter?!«

»Er ist es, sage ich. Bindet ihn! Wer wagt mir zu trotzen?«

»Senora, ist es wirklich wahr?« erklang es in namenlosem Erstaunen.

Sie stampfte mit dem zierlichen Schuh die Erde.

»Wollt Ihr den Verräter binden?«

Kastor stand taumelnd auf. Einige Männer traten mit Stricken auf ihn zu. Jetzt bemerkte er das Weib, er sah, was man mit ihm vorhatte, das setzte ihn in Wut, er wehrte sich, und das veranlaßte die Männer, nun Ernst zu machen.

Auch sie waren stark; es gelang ihnen, den herkulischen Neger zu überwältigen und zu fesseln.

»Hütet euch vor dem Kapitän!« heulte Kastor, als er an Händen und Füßen gebunden war.

»Hinaus mit ihm ins Freie, bindet ihn an einen Baumstamm, mit dem Gesicht demselben zugekehrt, so, daß er aufrecht stehn kann und nicht zusammenbricht. Gehorcht mir, ich stehe hier im Namen eures Hauptmannes. Tod jedem Verräter!«

»Tod jedem Verräter!« erscholl es im Chor. Auch Nobody rief es mit.

Kastor mochte Feinde haben. Man schleifte ihn hinaus und band ihn in der vorgeschriebenen Weise an einen Baumstamm, die Hände hoch, daß er sich nicht beugen konnte, das Gesicht dem Stamme zu.

Andre blickten finster auf die Szene.

»Macht Licht!«

Fackeln wurden aus der Hütte ins Freie gebracht, auch ein großes Feuer angezündet.

Mit dämonisch funkelnden Augen trat das Weib auf den Gefangenen zu.

»Was hab' ich Euch getan, daß Ihr mich so behandelt?« knirschte dieser.

»Das wirst du gleich erfahren, du schwarzes Scheusal. Wo hast du heute meinen Pedro gelassen?«

»Weiß nicht, hab' ihn nicht gesehen, er kam nicht.«

»Er stieg nicht in dein Boot?«

»Nein, ist nicht gekommen, habe drei Stunden auf ihn gewartet.«

»Manuel, hierher!«

Der Stromschiffer, der vorhin die Meldung gebracht hatte, trat heran, aber so langsam, daß man seinen Widerwillen erkannte.

»Du hast gesehen, wie Pedro heute mittag von Kastor abgeholt worden ist, wie beide zusammen abgefahren sind. Zeuge gegen diesen schwarzen Hund!«

Manuel steckte die Hände in die Hosentaschen und schob seinen Kautabak mit der Junge in die andre Backe.

»Verdamm meine Augen, ich kann mich getäuscht haben,« sagte er ebenso langsam, wie er herbeigekommen war.

Wütend fuhr das Weib auf.

»Wie? Du ergreifst die Partei dieses Schurken?«

»Macht, was Ihr wollt, ich antworte nicht. Oder wollt Ihr mich etwa auch binden und zum Reden zwingen? Gottes Tod!«

Eine Minute stand die Spanierin da, wie eine Tigerin zum Sprunge geduckt; ihre Brust röchelte. Dann drückte sie schnell die Peitsche dem Nächststehenden in die Hand. Dieser grinste. Er hatte auch zuerst Kastor binden helfen.

»Gesteh, wohin hast du Pedro gebracht?«

»Weiß nicht, hab' ihn nicht gesehen.«

»Schlag zu!«

Dreimal sauste die Peitsche mit der rohen Lederschnur auf des Negers nackten Rücken, jedesmal eine lange Schwiele ziehend. Kastor knirschte mit den Zähnen, zuckte aber nicht.

»Wo hast du Pedro gelassen?«

Jeder Blutstropfen war aus dem schönen Gesicht der Spanierin gewichen. Jetzt sah sie schrecklich aus.

»Hört auf zu fragen!«

Neue Schläge sausten herab; das Weib trieb immer mehr an, und Kastor schwieg verstockt.

»Wahrt Euch vor dem Kapitän, er wird mich rächen!« heulte er nur einmal.

Unter den Umstehenden entstand ein unwilliges Gemurmel.

Da riß die Spanierin dem Manne die Peitsche aus der Hand.

»Du verstehst ja nicht, einen Nigger zum Geständnis zu bringen,« rief sie, »so wird es gemacht!«

Sie verstand es freilich besser. Die Hiebe zogen nicht mehr Schwielen, das Fleisch platzte auf, das Blut floß in Strömen über die schwarze Haut.

»Gesteh – gesteh!« rief Carmen bei jedem Schlag. »Wo hast du den armen Knaben gelassen?«

Der Neger war schon längst bewußtlos, aber das Weib schlug weiter.

»Ich peitsche dich tot, dich Satan!«

»Halt, wer wagt hier zu schlagen!« sagte da eine Stimme, ruhig, kalt, aber so schneidend, daß das Weib erschrocken die Peitsche sinken ließ.

In der Mitte des Kreises stand die gebietende Gestalt eines hochgewachsenen Mannes.

»Der Kapitän!« ging es flüsternd von Mund zu Mund.

»Patterson!« sagte sich Nobody, und er empfand eine tiefe Genugtuung, weil seine Vermutungen bestätigt wurden.

»Charly,« hauchte das Weib, »wo ist Pedro?«

»Carmen, du? Was geht hier vor? Du schlägst Kastor mit eigner Hand?«

Die Frau richtete sich hoch auf.

»Charles, wo ist Pedro?«

»Weiß ich's? Ich kümmere mich nicht um ihn.«

»Du lügst! Du weißt, wo er ist!«

»Er ist dein, nicht mein.«

»Du hassest ihn.«

»Bah, das Kind! Warum schlägst du Kastor?«

»Er hat Pedro im Boote abgeholt, dann ist der Knabe verschwunden.«

»Wir sprechen uns dann darüber. Geh in deine Wohnung!«

»Nicht eher, als bis du sagst, wo mein Liebling geblieben ist!«

Ihr Blick fiel auf den Neger.

Da sah sie etwas Weißes aus seiner blutgetränkten Hose hervorragen, stürzte darauf zu, zog den Brief hervor – ebenso schnell war Charles, er riß ihr den Brief aus der Hand.

Mit entgeisterten Augen starrte sie ihn an.

»Jetzt weiß ich es plötzlich,« hauchte sie. »Du hast Pedro durch Kastor ermorden lassen.«

»Geh in deine Wohnung!«

»Ja, so ist es – ermordet – aus Eifersucht!«

Er streckte die Hand nach dem Dickicht aus, das das Häuschen verbarg.

»Geh in deine Wohnung, Carmen – zum letzten Male!« sagte er ruhig, aber doch furchtbar drohend.

Sie schlug die Hände vors Gesicht, brach in Schluchzen aus und gehorchte. Es war nicht möglich, sich dieser Stimme zu widersetzen.

Charles sah ihr nach, zuckte die Achseln und wandte sich zu dem Bewußtlosen.

»Was ist hier vorgegangen?«

Man teilte ihm alles mit.

»Es ist gut. Befreit Kastor, wascht seinen Rücken mit Branntwein und Wasser, pflegt ihn aufs beste, nur gebt ihm keinen Branntwein zu trinken. Was willst du?«

Ein Mann war vor ihn hingetreten. Haß und Zorn sprachen aus seinem verwilderten Gesicht.

»Ich wollte Euch etwas sagen, Hauptmann, und ich denke, ich spreche im Namen aller meiner Kameraden,« begann er in trotzigem Tone. »Diese Weiberwirtschaft paßt uns nicht mehr. Die Carmen wird alle Tage frecher. Euch haben wir Gehorsam geschworen, aber nicht diesem verdammten Weibe, das der leibhaftige Satan selbst ist. Sie hat Kastor geschlagen, sie wird auch noch uns schlagen. Sind wir etwa Sklaven? Hahaha! Kurz und gut, entweder das Weibsbild verläßt die Insel oder ich gehe –«

»So fahre zur Hölle!«

Gleich einer blauen Flamme zuckte es von dem hochgewachsenen Manne aus auf den Sprecher zu. Dieser fuhr mit der Hand nach dem Herzen und schlug lautlos rückwärts zu Boden.

Wie gebannt standen alle da. Kein Murren, keine Bewegung.

»Gnade dir Gott, Sheriff von Jefferson!« sagte Nobody, der als Jimmy Zeuge dieser raschen Tat wurde, zu sich selber. Aeußerlich blieb er vollkommen ruhig.

Gleichgültig wischte der Kapitän das blutige Bowiemesser, das er schneller als der Blitz unter der Weste hervorgerissen hatte, am Grase ab und steckte es wieder in die Scheide.

»Hip hip Hurra, für den Kapitän!« schrie plötzlich Manuel und schwenkte den Hut. »Tod jedem Verräter!«

Als wenn nichts geschehen wäre, wendete sich der Kapitän, der Charles genannt worden war, an die Umstehenden.

»Ich denke, Leute, das Boot wird heute nacht noch auf den Snak rennen, Fred ist darauf und hat mich benachrichtigt. Seid auf dem Posten!«

Sprach's und ging nach dem Häuschen.

Langsam entfernte sich auch Nobody aus dem Kreise der Schiffer und trat in den tiefen Schatten der Bäume. Dort lächelte er grimmig vor sich hin.

»Euch Schuften will ichs Handwerk legen. Ihr sollt zum letzten Male künstliche Snaks im Strome angelegt haben!«

Schlangengleich schlich er sich dem Hause zu.

Auf der Veranda unter den erleuchteten Fenstern duckte er sich nieder.

Carmen wartete auf Charles. Ihre Tränen waren versiegt, aber sie sah angegriffen aus. Trotzdem blickte sie dem Eintretenden zärtlich entgegen, obwohl sie sich ein abweisendes Aeußeres geben wollte.

»Wo ist Pedro?«

»Tot,« war die gleichmütige Antwort.

»Tot – tot – o, warum hast du ihn gemordet!« schluchzte sie von neuem.

»Der Bursche paßte nicht auf die Insel, er war ein Schwätzer, ein Leichtfuß. Es war die höchste Zeit, daß wir ihn beseitigten.«

»Nein, aus Eifersucht hast du ihn ermorden lassen!« fuhr sie auf. »Du glaubtest, ich stände mit Diego in Verkehr.«

Der Lauscher draußen stutzte.

Diego, das war der Spanier auf Tanners Farm.

»Laß sehen, was in dem Briefe steht!«

Charles öffnete das mit Blut beschmierte Kuvert.

Der Brief war an Missis Tanner gerichtet. Eine Schneiderin bedauerte, das neue Kleid nicht zur rechten Zeit abliefern zu können. Man möchte sich noch einen Tag gedulden.

»Richtig, ich tat dir unrecht, Carmen.«

»Du bist schrecklich mit deiner Eifersucht, Charles. Ach, warum hat der arme Pedro dafür büßen müssen? Das kann ich dir nie, nie verzeihen!«

»Wirklich nicht?« lächelte er.

Dann wurde er sehr ernst.

»Carmen, ich habe dir schon damals gesagt, du solltest den Knaben nicht bei dir behalten. Was lag daran, ob die neunjährige Brut lebte oder nicht! Aber du bestandest darauf, und leider war ich so schwach, dir nachzugeben. Jetzt mußte ich ihn doch von dir reißen!«

»Du bist schrecklich grausam!«

»Ich will dir etwas sagen: Ich war auch auf Pedro eifersüchtig, er war mir ein Dorn im Auge.«

»Das Kind!«

»Du hast ihn geherzt und geküßt. Das konnte ich nicht ertragen.«

»Es war ja ein Kind!«

»Nein, er war kein Kind mehr!«

»Wie?«

»Ich war auf Pedro eifersüchtig – genug davon. Ha, habe ich den schönen Jungen in letzter Zeit gehaßt! Ich kenne kein Erbarmen, ich gehe geradeaus, und was mir nicht ausweicht, zertrete ich. Eine Rückkehr von diesem Wege gibt es nicht mehr!«

Sie schauerte zusammen.

»Du kannst entsetzlich sein, Charles!« flüsterte sie.

»Ja, ich kann es!«

»Du wirst auch Diego töten?«

»Wenn er noch lange hier herumschnüffelt, wird er von meiner Hand sterben!«

»Hat er eine Ahnung, daß ich hier bin?«

»Hahaha; wenn er auch nur eine Idee hätte – als ob er da noch lebte!«

»Warum hält er sich hier auf?«

»Ich weiß nicht. Er ist ein stiller Träumer. Plötzlich, wie er gekommen ist, wird er einst auch wieder von hier verschwunden sein.«

Plötzlich umarmte und küßte ihn Carmen.

»Charles, liebst du mich?«

»Wie kannst du so fragen?«

»Du warst vorhin so kurz zu mir.«

»Ich darf mir bei meinen Leuten den Respekt nicht vergeben. Du hättest Kastor nicht züchtigen sollen!«

»Sprich nicht mehr von dem schwarzen Halunken!«

»Doch! Ich muß ihn jetzt entfernen.«

»Bitte, nichts mehr von ihm!«

»Er muß auf eine andre Station. Er hat heißes Blut, er könnte sich rächen.«

»Aber, Charles!«

»Du siehst, wie besorgt ich um dich bin.«

»Und eifersüchtig! Wie kannst du glauben, daß ich den Knaben oder gar Diego noch lieben könnte!«

»Eifersucht entspringt der Liebe!«

»Sag mir, wie du mich liebst.«

Er konnte nicht besser antworten, als indem er sie heiß an sich preßte und küßte. Leidenschaftlich erwiderte die feurige Spanierin seine Liebkosungen.

»Liebst du auch nur mich?«

»O, Carmen!«

»Wenn du wüßtest, was für Qualen ich ausstehe!«

»Du bist töricht.«

»Du glaubst, eifersüchtig sein zu dürfen, mich aber schiltst du töricht, wenn ich es bin.«

»Du hast keinen Grund.«

»Mehr als du. Was treibst du in Jefferson?«

»Ich bin Beamter der Pelzgesellschaft.«

»Wenn ich wüßte, du liebtest eine andre!«

»Frage, wen du willst! Alle werden dir sagen, daß es keinen größern Weiberfeind gibt als mich.«

»Die, welche ich fragen kann, halten alle treu zu dir.«

»Warum mißtraust du mir? Könnte ich solche Liebe zu dir haben, wenn ich sie an eine andre verschwendete?«

»Nimm mich einmal mit nach Jefferson!«

»Um Gottes willen!«

»Warum nicht? In Verkleidung!«

»Gerade jetzt, da Diego da ist! Er würde dich sofort erkennen, es wäre mein Verderben.«

»So hast du stets eine Ausrede. Wenn Diego fort ist, wieder eine andre.«

»Vermißt du etwas hier?«

»Ja, dich! Du bist so selten bei mir.«

»Kann ich denn anders? Hahaha, wenn man einst erfährt, daß auf der Freundschaftsinsel eine Räuberbande haust, und daß ich ihr Hauptmann bin!«

»Kannst du denn nicht öfters bei mir sein?«

»Ich komme, so oft es möglich ist.«

»Ha, wenn ich wüßte, daß du mir untreu wärest!«

»Komisches Mädchen! Nun, was würdest du da tun?«

»Dich töten.«

»Ich bin gewohnt, dem Tode ins Auge zu schauen.«

»Dich hundertfach töten.«

»Das kannst du nicht.«

»Ich würde dich an den Pranger stellen.«

»Mich verraten meinst du?«

»Ja.«

»Du weißt doch, daß jeder, der hier auch nur auf Verrat anspielt, sterben muß,« scherzte er.

»Ja, aber auch du wärest verloren.«

»Lassen wir doch diese törichten Redereien! Jetzt ist die Zeit, jetzt müssen wir sie benutzen. Vielleicht haben wir noch diese Nacht zu tun.«

»Ein Boot soll scheitern?«

»Vielleicht.«

»O, Charles, wozu hast du mich gemacht!«

»Zu einem Räuberliebchen.«

Er zog sie an sich und küßte sie. Die beiden, die aufeinander so eifersüchtig waren, gaben sich der Liebe hin.

So verstrich eine Stunde. Da ertönte ein schriller Pfiff. Charles riß sich los und war im Nu draußen.

»Kapitän, das Boot kommt getrieben,« flüsterte ein Mann.

»Wird es richtig gelenkt?«

»Eine Meile vor der Insel muß es auf den Snak laufen, wenn Fred am Steuer steht.«

»zzziyyy Wellzzz/iyyy, haltet alles bereit – und keine Schonung!«

Durch die Nacht ertönte ein gellender Schrei, aus mehreren Kehlen kommend, aus weiter Ferne, und dennoch konnte man noch hier ein Krachen und Bersten vernehmen.

Morgen trieben an das Ufer Wracktrümmer und Leichen, und dann hieß es: wieder ein Boot auf einen Snak gelaufen. –

Nobody war schon längst von der Veranda verschwunden.

Daß der Sheriff von Jefferson eine Doppelrolle spielte, war klar erwiesen, und ebenso, daß er das Oberhaupt einer Bande Flußpiraten war, die sicher schon eine unzählige Menge schwerster Verbrechen gegen Leben und Eigentum ihrer Mitmenschen auf dem Kerbholze hatten.

Für Nobody war dieser Patterson, der in der Stadt die Rolle des untadelhaften Ehrenmannes spielte, während er insgeheim von furchtbaren Gewissensbissen gepeinigt wurde, kein Rätsel mehr. Nicht einmal rein menschliches Interesse konnte ihm dieser Mann einflößen. Derselbe war ein Schädling, der ausgerottet werden mußte. Er war bei weitem schlimmer als jene armseligen chinesischen Seeräuber, deren Vernichtung Nobody beschlossen hatte.

Den beiden Naturen aber, die sich in Patterson verkörperten, entsprachen die beiden Frauen, die er liebte, und die seine Liebe sicher erwiderten.

Die Gattin des Sheriffs war das gute, die Geliebte des Piratenkapitäns das böse Prinzip.

Fast fühlte Nobody sich versucht, die schöne, leidenschaftliche Carmen mit Marguérite zu vergleichen, deren Charakter ebenfalls ans Dämonische grenzte.

Wehe dem Sheriff, wenn Carmen entdeckte, daß er noch eine andre neben ihr liebte, daß er sie betrogen und belogen hatte, seit er sie kannte.

»So weit soll es nicht kommen,« sagte Nobody zu sich selber, indem er sich einen Weg durch den finstern Wald suchte. »Wenn ich es vermag, sollen die beiden bedauernswerten Frauen nicht erfahren, daß sie denselben Mann, denselben blutbefleckten Verbrecher liebten. Patterson hat den Tod verdient, und wie ich ihn kenne, wird er lebend nicht in meine Hände fallen – das heißt, wenn ich es so will – verflucht!« unterbrach er sich lachend. »So geht's, wenn man nicht acht gibt. Jetzt stecke ich drin in der Patsche und kann sehen, wie ich wieder herauskomme!«

Nobody war in einen Swamp geraten, in einen jener tückischen Sümpfe, an denen die Urwälder in den Südstaaten und namentlich in der Gegend des Mississippi so reich sind. Glücklicherweise saß nur das linke Bein fest in der zähen Masse, und Nobody brachte es sofort heraus, indem er sich mit beiden Händen an einem in der Nähe stehenden Baum anklammerte.

Doch die wiedererlangte Bewegungsfreiheit hatte er mit dem Verluste des einen langschäftigen Stiefels bezahlen müssen. Nobody mußte mit einem Stiefel weitermarschieren. Das war bei der herrschenden Finsternis ein böses Stück Arbeit, denn der Boden war mit Dornen übersät, und ganz sicher hausten hier auch die überaus giftigen Klapperschlangen in Menge.

Nobody freilich dachte an keine Gefahr. Er lachte sogar. Doch sofort wurde er wieder ernst. Er durfte keine Zeit verlieren, wollte er die Strompiraten bei ihrer Arbeit überraschen.

Eine Minute blieb er stehn und orientierte sich. Dann drang er quer durch den Wald, und bald hatte er das hier steil abfallende Ufer des Mississippi erreicht.

Zur rechten Zeit! Denn eben kam stromabwärts, dicht am Lande ein Boot um die obere Ecke der Insel. Das war das Fahrzeug, das heute den Piraten zum Opfer fallen sollte.

Am Ufer stand eine jener mächtigen, amerikanischen Weiden, ein Ast erstreckte sich weit über das Wasser, gerade darunter mußte das Fährboot vorbeitreiben.

Rasch erkletterte Nobody den rauhen Stamm und balancierte wie ein Seiltänzer auf dem Ast bis ans äußerste Ende.

Als das große Boot gerade unter ihm war, machte er sich zum Sprunge bereit.

»Achtung, Leute, es kommt etwas von oben!« rief er und ließ sich hinabfallen.

Zwei Männer, die in der Mitte des Bootes gestanden und eifrig miteinander gesprochen hatten, stoben auseinander.

»Gottes Tod, Fremder!« schrie der eine zornig. »Was fällt Euch ein?«

»Mitfahren möchte ich!« lachte Nobody. »Seht, ich erspare Euch die Mühe, mich in Eurem kleinen Boote an Bord setzen zu müssen.«

»Das hätten wir auch, verdammt, nicht getan.«

»Nanu, warum denn nicht?«

»Weil wir kein Boot haben, es ist gekentert und gesunken.«

»Das ist freilich etwas andres,« lachte Nobody wieder, »dann hättet Ihr mich nicht vom Ufer holen können.«

»Ihr habt überhaupt erst zu fragen, ob Ihr mitkommen könnt oder nicht,« entgegnete der erste Sprecher, jedenfalls der Kapitän. »Das geht nicht, so mir nichts dir nichts vom Ast auf ein fremdes Schiff zu springen.«

»Ihr seid höllisch grob, guter Freund. Seht mich nur einmal an! Kann ich denn in einem Stiefel noch zwei Stunden durch den dornigen Urwald bis nach Hause marschieren?«

Jetzt erst sah man, in welcher Verfassung er sich befand, und nun mußte man doch lachen.

»In einem Stiefel! Wie ist denn das geschehen?«

Nobody erzählte eine erfundene Geschichte.

»Ja, wenn solche Greenhorns in den Wald kommen!« hieß es. »Wohin wollt Ihr denn?«

»Nach Jefferson.«

»Wir fahren aber direkt bis nach St. Louis.«

»Nun, ich denke, in Jefferson geht Ihr doch zur Nacht vor Anker.«

»Nein, das tun wir eben nicht.«

»Warum denn nicht?«

Einen andern Hafen als Jefferson gab es in der Nähe nicht, in der Nacht fahren die Boote nicht, ein offener Ankerplatz war jetzt, da der Strom geschwollen war, gefährlich.

»Wir wollen eben das Ankergeld sparen.«

»Das begreife ich nicht, die paar Dollars ...«

»Das ist unsre Sache,« war die rauhe Antwort, »wir sparen, wo wir können, und die Strömung fürchten wir nicht.«

»Da will ich Euch einen Vorschlag machen. Weil ich Euer Passagier bin, muß ich natürlich auch Passagiergeld zahlen. Für das Ankergeld bin ich gut. Einverstanden?«

Nobody wollte nur feststellen, daß seine Vermutung richtig war. Er hielt die Leute für Schmuggler.

Die Schiffer wechselten Blicke miteinander. Trotz der Dunkelheit entging es Nobody nicht, daß es verlegene Blicke waren.

»Nein, darauf lassen wir uns nicht ein, wir nehmen nichts geschenkt,« war die barsche Entgegnung des Kapitäns auf diesen wohlgemeinten Vorschlag.

»He, Fred, steure einmal so dicht ans Ufer, daß der Gentleman hinausspringen kann!«

»Geht nicht, schmeißt den Hund doch über Bord!« erklang es vom Steuer zurück.

Nobody wandte sich schnell um.

»Wo ist der Hund, von dem Ihr spracht?« fragte er drohend, fest entschlossen wie immer, sich nicht die geringste Beleidigung gefallen zu lassen.

Das Boot führte trotz der strengen Vorschrift keine Lichter, und so konnte Nobody den Mann am Steuer, also den Lotsen, nicht genau erkennen, aber er wußte ja, wen er vor sich hatte.

Wie er nun dicht vor den Kerl trat, raunte ihm dieser in sichtlicher Bestürzung zu:

»zzziyyy Goddamzzz/iyyy, Jimmy, was soll das? Was willst du hier?«

Nobody glich also noch immer jenem Piraten, den er durch einen Faustschlag betäubt hatte.

»Halt's Maul, Fred!« gab er grob zurück. »Du kennst mich nicht! Verstanden?«

Der Lotse nickte und murmelte etwas vor sich hin.

»Gebt Ruhe!« rief da der Kapitän. »Fred ist etwas grob, aber das soll Euch nichts kümmern. Wir haben ihn gemietet, nicht Ihr. Er ist unser Lotse. Ich will Euch etwas sagen, da Ihr nun einmal darauf seid, so bleibt zum Teufel hier. In Jefferson legen wir aber nicht an; wir ankern, wo wir wollen. Ein Boot haben wir nicht, wenn Ihr also vor St. Louis noch von Bord wollt, so müßt Ihr ein andres Fährboot oder einen Dampfer anrufen.«

Er drehte sich auf den Hacken herum und ließ Nobody stehn.

Dieser setzte sich auf eine Kiste und brannte sich eine Pfeife an.

Als aus der Luke, die zu der winzigen Kajüte führte, Licht hervorschimmerte, ging er darauf zu. Unten saß der Kapitän und schnitt Rolltabak klein.

»He, Kapitän, habt Ihr Handwerkszeug an Bord, um ein Paar Schuhe machen zu können?«

»Das habe ich natürlich, aber kein gutes Segeltuch.«

»Ich will mir auch Lederschuhe machen, Mokassins.«

»Leder erst recht nicht.«

»Aber ich habe noch einen großen Stiefel. Daraus mache ich mir zwei kleinere,« lachte Nobody, der ganz so tat, als sei er eben nur durch Zufall auf das Boot geraten.

»Könnt Ihr das?« lachte der Schiffer ebenfalls. »Dann wäret Ihr ein Mordskerl.«

Mehr als zwei Mann faßte die Kajüte nicht. Der Kapitän holte das nötige Schusterwerkzeug herbei.

Wie der Hinterwäldler alles in seiner Hütte hat, um die Bedürfnisgegenstände selbst zu fertigen, auch Kleider und Schuhe, so auch der Stromschiffer im Boot, wie der Matrose auf dem Schiff, und Nobody mußte von dem Manne für einen Schiffer gehalten werden.

Nobody hatte unterdessen seinen rechten Stiefel ausgezogen, schlitzte den Schaft von dünnem Leder auf, schnitt zu, arbeitete mit Pfriem und Nadel und benahm sich bei allem so geschickt, daß der Kapitän Ausrufe des Staunens nicht unterdrücken konnte. Noch war keine Stunde vergangen, als Nobody zwei passende und dauerhafte Mokassins an den Füßen hatte.

»Mord und Hagel,« rief der Schiffer, »bei Euch kann man aber etwas lernen! Ich glaube, Ihr seid bei den Rothäuten Schusterjunge gewesen.«

»Die sind allerdings meine Lehrmeister gewesen.«

»So geschickt und schnell habe ich noch keinen Trapper arbeiten sehen.«

»Glaub's schon. Hier, das übrige Leder gehört Euch.«

»Könnt mir auch gleich so ein Paar Mokassins machen.«

Aus dem Maßnehmen wurde vorläufig nichts, der Steuermann rief zum Festmachen, der Kapitän mußte an Deck, und Nobody folgte ihm.

Auch der Mississippi hat seine bestimmten Strömungen, besonders durch die verschiedenen Inseln erzeugt.

Die Nacht war sehr dunkel, aber Fred mußte hier förmlich jeden Wassertropfen und jeden Ast der verschiedenen Inseln kennen. Er war, eine strudelnde Strömung benutzend, scharf nach links abgebogen und so gerade hinter eine kleine Insel gekommen, an die er das Boot anlegen, nicht verankern, sondern an einen Baum festbinden wollte.

Zu diesem Manöver in finstrer Nacht gehörte die außerordentlichste Ortskenntnis, um so mehr, als die übrigen Schiffer hier gar keinen Bescheid wußten, auch nicht anders helfen konnten als durch Zureichen von Stricken und so weiter, wie Fred sie vorher angestellt hatte. Das schwierige Manöver gelang allein durch die Geschicklichkeit des Steuermannes.

Das fast zwanzig Meter lange und sehr breite Boot schwenkte herum, schoß durch einen Strudel, Büsche streiften über das Deck, dann kehrte es den Bug wieder stromabwärts. Mit einem Satz sprang Fred am Heck über Bord, scheinbar ins Wasser, in Wirklichkeit ans Land, in der Hand ein armstarkes Tau – ein Reiben, ein Ruck, und das Fahrzeug stand, von dem Tau gehalten, das der wagehalsige und kundige Lotse um ein paar Bäume geschlungen, deren Wurzeln er wohl schon öfter auf ihre Festigkeit geprüft hatte.

»Das ist hier aber eine verdammt starke Strömung, wo du uns hingebracht hast,« meinte der Kapitän besorgt und legte die Hand auf das äußerst straff gespannte Tau, »wenn die Bäume brechen, dann – ade ›Betsy‹, wir fahren mit ihr zur Hölle.«

»Die Bäume halten, für die wette ich meinen Kopf. Wenn Euer Tau nicht bricht ...«

»Es ist ein neues Manilatau, der Faden mit fünf Zentner Tragfähigkeit garantiert.«

»Hahaha, mit fünf Zentner! Einer genügt auch. So stark ist die Strömung gar nicht.«

»Ich danke! Na, wenn nur die Bäume halten!«

»Für die garantiere ich mit zehn Zentner für die Faser,« lachte der Steuermann sorglos. »Na, und was machte es auch, wenn Bäume und Taue brächen? Ich steuerte doch wieder sicher in den Strom.«

Das Wasser rauschte und schäumte ganz unheimlich unter dem Heck, das Tau erklang, wenn man darauf schlug, wie eine Stahlsaite, so straff war es gespannt. Kein Wunder, wenn die fremden Schiffer doch etwas ängstlich waren.

Nobody stand direkt neben Fred.

»Wir kennen uns also nicht!« raunte er diesem zu.

»Was willst du hier?« fragte der Pirat ebenso leise zurück.

»Ich bin tatsächlich nur durch einen Zufall hier. Der verdammte Whisky, den John spendierte –«

Er brach ab; denn der Kapitän kam näher. Sofort fragte Nobody laut:

»Wo sind wir denn hier?«

»An einer Insel,« entgegnete Fred kurz.

»Das merke ich. Ich meine, an welcher?«

»An einer Insel, um die ringsherum Wasser ist.«

»Was Ihr nicht sagt!« spottete Nobody, scheinbar seinen Aerger hinunterschluckend. »Ist hier in der Nähe nicht die Freundschaftsinsel?«

»Weiß nicht.«

»Ich denke, Ihr seid hier bekannt?«

»Bin's auch.«

»Und Ihr wißt nicht, wo sich die Freundschaftsinsel befindet?«

»Weiß es wohl, aber was geht's Euch an?« knurrte der Pirat, der den Detektiv für einen Genossen, für Jimmy hielt. Nobody drehte ihm den Rücken und ging, kam aber bald zurück und beobachtete, wie die Wachen verteilt wurden.

Ein Mann stand immer bei dem Tau Posten, die zweite Wache von 10 bis 12 wollte Fred selbst übernehmen, sonst schlief er auch an Deck, so daß er, falls etwas passierte, geweckt werden und sofort zur Stelle sein konnte.

Der Kapitän, meinte er, solle sich nur ruhig schlafen legen, Gefahr läge nicht vor, und dann könne er doch auch nichts helfen.

»Mach deine Sache gut, alter Junge!« flüsterte Nobody dem verräterischen Lotsen zu, als er sich neben demselben an Deck zum Schlafen ausstreckte.

»Ha, und vergiß nicht, mich zu wecken, falls die Reise in die Hölle losgeht – hab' keine Lust mitzufahren – hahaha – ein verdammtes Zeug dieser Gin – mein Schädel brummt wie ein gestickter Dudelsack.«

Fred knurrte eine Antwort zwischen den Zähnen hervor; der vermeintliche Jimmy aber hörte sie nicht mehr, er schnarchte bereits.

Der erste Schiffer übernahm die Wache an dem Tau, die andern suchten ihre Lagerstätten auf, teils unter, teils auf Deck, bald waren sie eingeschlafen, denn die Handhabung der mächtigen Ruderstangen, mit denen das plumpe Boot immer in der richtigen Strömung gehalten werden muß, ist äußerst anstrengend.

Es herrschte Stille. Nur das Wasser gurgelte und rauschte; die Bäume ächzten unter der Last; manchmal machte der Posten ein paar Schritte hin und her, um sich wach zu halten.

Der Mond stieg über den Wald auf und beleuchtete das friedliche Schiff. Erst jetzt war die gefährliche Lage desselben zu erkennen.

Die Strömung war hier furchtbar reißend. Weil sie von zwei Seiten kam, entstanden Strudel. Brach das Tau, dann wurde das Boot von unwiderstehlicher Gewalt fortgerissen, und dort unten tauchte im Mondenschein der Schatten einer andern Insel auf, an dieser mußte das Boot scheitern, es sei denn, die Hand des Steuermanns verstand es vorbeizubugsieren.

Dazu aber mußte man hier geboren, auf diesem Wasser aufgewachsen sein. Einem Fremden wäre es nicht gelungen.

Der Strom sah aus, als berge er Snaks genug.

Die Uhr, die der Kapitän dem ersten Wachthabenden gegeben hatte, zeigte auf zehn. Mit einem Seufzer der Befriedigung weckte er Fred, der sofort auf den Beinen war.

»Was gibt's?«

»zzziyyy All right.zzz/iyyy Zehn Uhr.«

»Na, hat der Manila gehalten?« lachte der Steuermann leise. »Seht, ihr Hasenherzen, wir liegen doch noch fest, und die Strömung nimmt jetzt ab.«

»Ich dächte, sie würde eher stärker.«

»Unsinn, das muß ich besser wissen. Geht nur schlafen!«

Der Mann entfernte sich.

Fred bog sich über Bord und lauschte dem Rauschen des Wassers, prüfte das Tau mit der Hand, nickte befriedigt und ließ dann seine Augen über Deck schweifen, bis sie auf Jimmy haften blieben. Dieser lag im Schatten einer langen Kiste, der Lotse konnte ihn aber deutlich sehen. Seine Brust hob sich regelmäßig im Schlafe, die geschlossenen Augen waren nach dem Steuerruder gerichtet.

Wieder nickte der Kerl, und ein widriges Grinsen umspielte seinen Mund.

Eine Stunde verstrich. Unbeweglich stand Fred da, seine Augen auf die ferne Insel geheftet. Er schien zu lauschen, oft legte er die Hand an das Ohr, blickte wieder nach der Uhr.

Ein ferner Dampfer verkündete die elfte Stunde. Da schlich sich Fred auf den Zehenspitzen zu dem vermeintlichen Genossen und beugte sich über ihn.

Derselbe schlief fest.

»So fahre auch du mit in den Tod!« murmelte der Räuber zwischen den Zähnen hervor.

Er wandte sich um; ein Messer blitzte in seiner Hand; mit schnellen Schritten stand er am Heck; die haarscharfe Klinge fuhr über das zum Springen gespannte Tau.

Einige Fäden waren zerschnitten, das genügte. Andre platzten jetzt von selbst, das Schiff bekam einen Ruck. Aber das Tau hielt dennoch.

Da senkte sich das Messer abermals.

»Schuft, was hast du vor?« zischte es dem Manne ins Ohr.

Wie vom Blitz getroffen fuhr Fred herum.

»Jimmy!« stieß er hervor. »Hölle, Tod und Teufel, was fällt dir ein? Willst du uns die Kerle auf den Hals locken?«

»Verdammt! Bist du verrückt geworden?«

Nobody hatte den Elenden mit eiserner Faust gepackt, entwand ihm das Messer und schleuderte es in den Strom.

Ein verzweifeltes Ringen entstand. Der Flußpirat war ein Riese an Kraft, doch einem Nobody konnte er natürlich nicht widerstehn. Schritte eilten über Deck. Die Bootsbesatzung war erwacht und kam herbei.

Fred heulte vor Wut.

Da krachte es wie ein Kanonenschuß, das Tau war gerissen. Wie ein Pfeil schoß das Boot plötzlich davon; die am äußersten Rande stehenden Männer bekamen einen Stoß, sie konnten sich nicht halten, eng umschlungen stürzten beide über Bord, und mit dem Schreie des Steuermanns vermischte sich der Ruf des Entsetzens der gesamten Besatzung, denn sie sah sich rettungslos dem Tode preisgegeben.

Auch noch im Wasser, von dem sie fortgerissen wurden, hielten sich die beiden Kämpfenden umfaßt.

»Laß los, Jimmy!« keuchte Fred, dessen Hals von den würgenden Händen des Detektivs umklammert ward.

»Gleich!« antwortete Nobody mit grausamer Ruhe.

Er löste die rechte Hand, hob sie empor und schmetterte sie nieder auf den Schädel des Flußpiraten.

Lautlos trieb der Mann auf den Fluten dahin. Nobody aber ward ebenfalls von der Strömung mit reißender Schnelligkeit fortgerissen.

Ein Baumstamm schwamm vorüber. Er hielt sich an demselben fest, es gelang ihm, durchzukommen, ohne gequetscht zu werden. Etwas Dunkles tauchte vor ihm auf, es war die Insel, auf die er zutrieb.

Da, wieder ein gellender Schrei, nicht weit von ihm entfernt, ein Krachen und Malmen – das Boot war von seinem Schicksal ereilt worden. Auch die Schiffer rangen jetzt mit der Strömung.

Nobody merkte, daß er an der Insel vorbeigetrieben wurde, er ließ den Baumstamm fahren, verließ sich nur auf seine Schwimmkunst, rang und kämpfte, er kam gegen die Strömungen und wurde in ein Wirrnis von Aesten und Zweigen geschleudert, das festen Grund hatte, denn das Wasser brach sich daran. Mit unsäglichen Schwierigkeiten arbeitete er sich durch und hatte endlich festen Boden erreicht.

»Wilm, bist du's?« rief leise eine Stimme in seiner Nähe.

Nobody antwortete nicht. Trotzdem er gewiß war, daß er auch jetzt noch von den Flußpiraten für Jimmy gehalten werden würde, wollte er sich doch nicht hier treffen lassen. Sie brauchten nicht zu wissen, daß er auf dem Boote gewesen war.

»Wilm, was machst du denn da? Kriechst wohl wie ein Waschbär im Dickicht herum?«

»Ich? Ich sitze hier auf meinem Baume!« entgegnete eine andre Stimme.

»Was war denn das, was eben durch das Gebüsch brach? Alle Teufel, doch nicht etwa einer von dem Boote, der sich gerettet hat?!« setzte der Sprecher erschrocken hinzu.

»Unsinn, das ist weit links von hier gescheitert. Ein Biber wird's gewesen sein, er ist im Schlafe erschreckt worden.«

»Gibt's denn hier Biber?«

»Der Kapitän läßt sie schonen, er will sie selbst jagen. Laß doch jetzt den dummen Schnack! Verdammt, der Fred hat seine Sache diesmal schlecht gemacht. Ich sagte es aber gleich, die Strömung ist zu stark, er kann das Boot nicht auf den Snak zwingen.«

»Na, der Kapitän wird schön toben.«

»Bah, der verzieht keine Miene! Der hat ein Herz von Stahl, und sein Blut ist kälter als Eis. Aber uns geht eine schöne Beute verloren.«

»Womit war denn das Boot beladen?«

»Weißt du das nicht?«

»Ich bin ja erst vorhin gekommen, man schickte mich gleich auf Posten hierher.«

»Ach so! Mit Rum und Zucker war's befrachtet, außerdem führte es noch einige Tonnen Opium versteckt, die nach St. Louis geschafft werden sollten. Wenn uns die in die Finger gekommen wären, kamen auf jeden wenigstens 1000 Dollar.«

»Wohin hättet ihr denn die Ladung verkauft?«

»Nach New-York. Dort ist stets Nachfrage nach Opium. Ich glaube, in den New-Yorker Gesellschaften wird ebensoviel Opium geraucht wie in China. Verdammt, daß Fred das Boot nicht besser gesteuert hat!«

»Habt ihr viel Beute in der letzten Zeit gemacht?«

»Es geht. Neulich ließ Dan ein Boot mit Wollwaren und Seide auf den Snak laufen.«

»Merken sie denn in Jefferson gar nicht, daß es doch seltsam ist, wie gerade immer bei der Insel so viele Boote scheitern?«

»Merken? Hahaha! Sie wissen ja nicht, wo der Snak sitzt; am Morgen sieht man stromabwärts nur Trümmer und noch einige Kisten treiben, die uns entgangen sind. Hier und da liefern wir auch einmal einiges Frachtgut ab, um den Schein zu wahren.

»Nein, mein Wilm, wir haben nichts zu fürchten. Wer hier in die Strömung stürzt, der kommt lebendig nicht wieder heraus, und wer an unsre Insel getrieben wird, dem klopfen wir den Schädel ein, dazu sitzen wir hier oben, und was hat denn das weiter zu bedeuten, wenn einer am Leben bliebe? Es ist eben ein Unglück geschehen, das Boot ist auf einen Snak gerannt. Außerdem haben alle die Schiffer, die in der Nacht hier draußen ankern, sowieso ein böses Gewissen. Denen stellen wir unsre Lotsen, die sie dann ins Garn locken. Verrat brauchen wir unter uns nicht zu fürchten, so lange wir unsern Kapitän haben. Der führt ein eisernes Kommando, und das feinste dabei ist ja, daß niemand die Insel betreten darf, das ist nun einmal unser Privilegium. Hahaha, wenn die wüßten, was das hier für ein sauberes Nest ist!«

Nobody fand hier also bestätigt, was er schon vermutet hatte.

Die Piraten schickten in entfernte Städte stromaufwärts Männer, welche sich an fremde Boote als Lotsen verdingten, und womöglich suchten sie solche auf, welche aus irgend einem Grunde des Nachts lieber im offnen Strome ankerten als in einem Hafen. Diese lockten sie in die Nähe der Freundschaftsinsel und ließen sie auf einen Snak laufen, vielleicht auf einen künstlichen, vielleicht gab es deren mehrere hier.

Der alte Holzfäller hatte doch recht gehabt.

Nobody war Zeuge gewesen, wie es solch ein Lotse anfing. Er ließ das Tau reißen, tat scheinbar seine Pflicht als Steuermann, lenkte das Boot aber eben auf den Snak, so daß es eine Beute der Inselpiraten wurde. Er selbst wußte nicht, wie er sich retten konnte. Die übrigen ertranken entweder oder sie trieben auf die Insel zu und wurden dort getötet, oder sie überlebten den Unglücksfall und konnten von weiter nichts erzählen, als daß sie eben gescheitert wären. Wer wußte, wie lange die Räuber schon ihr Unwesen trieben!

Ja, wie war aber das? Das war doch keine abgesonderte Kolonie! Die Bewohner durften auswandern, verdingten sich als Stromschiffer, als Tagelöhner auf Farmen, sie wohnten auch in Jefferson.

Es war eben eine weitverzweigte Räuberbande, die von dieser Insel ausging, hier ihr Zentrum hatte. Vielleicht breitete sich das Netz über den ganzen Mississippi aus, vielleicht noch weiter.

Jedes Geräusch vermeidend, schlich sich der verwegene Detektiv unmittelbar an den beiden Wächtern vorbei ein Stück landeinwärts – dort blieb er stehn.

»So!« sagte er. »Jetzt weiß ich genug. Jetzt habe ich nicht mehr nötig, mich länger als Jimmy aufzuspielen – ich will es nicht. Patterson wird noch auf der Insel sein, und ich will ihm direkt entgegentreten als Fred Jenkins, als Cutting Knife, wie er mich kennt. Er soll nicht sagen dürfen, daß ich ihn aus dem Hinterhalt überwältigt habe, und daß ich den offnen Kampf mit ihm fürchte. Vielleicht ist er vernünftig und macht selber ein Ende, wenn er sein Treiben entdeckt sieht!«

Wahrhaftig, der Mann muß noch geboren werden, der einem Nobody an Kühnheit und Unerschrockenheit gleichkommt!

Er hatte es in seiner Hand, unerkannt als Jimmy die Freundschaftsinsel zu verlassen, den Sheriff Patterson nach dessen Rückkehr nach Jefferson zu verhaften und das Räubernest auszuheben, und er zog es vor, dem Führer der Flußpiraten als Fred Jenkins unbewaffnet entgegenzutreten und ihn wegen seines verruchten Treibens zur Rede zu stellen.

War das nicht gleichbedeutend mit einem selbstgewählten Tode?

Für jeden andern, für Nobody nicht. Er kannte nunmehr den Charakter Pattersons durch und durch – wie genau, das wird sofort bewiesen werden.

Rasch bearbeitete Nobody sein Gesicht. Der Mond leuchtete ihm, als er in den kleinen Taschenspiegel schaute.

Das war wieder ganz der berühmteste aller Westmänner, Cutting Knife.

Geräuschlos schlich Nobody davon. Ein Glück, daß er nicht mehr die schweren Stiefel, sondern leichte Mokassins an den Füßen hatte. Es gehörte freilich sein Auge dazu, um sich in der Dunkelheit zwischen den Bäumen zurechtzufinden. Kein Ast knackte, kein dürres Laub raschelte unter seinen Füßen.

Rechts von ihm hatten die beiden Wächter auf Bäumen gesessen, so hielt auch er sich zuerst rechts.

Er erreichte einen bewaldeten Hügel, den er achtlos übersteigen wollte.

Aber nein, das war kein natürlicher Hügel. Er war so glatt, als wäre er künstlich aufgeführt; nach dem Wasser zu fiel er allmählich ab, nach dem Lande zu ziemlich steil. Keine Unebenheit war zu bemerken, der Kamm gerade wie mit einer Schnur gezogen. Nobody fühlte auch ein Flechtwerk aus Aesten.

Das war ja eine – eine – das war ja gar nicht möglich ...

Er war in ein Loch getreten, das schräg in den Boden führte, er fühlte etwas Hartes, Rundes unter dem Fuße, griff daran und – betastete mit der Hand die Mündung einer Kanone von etwa sechszölligem Kaliber.

Die Piraten hatten auf der Insel für alle Fälle sogar Befestigungen angelegt.

Nobody fand noch weitere Geschützmündungen, noch weitere solcher Hügelbatterien, vielleicht war die ganze Insel mit ihnen umgeben, aber den Zugang zum Innern konnte er in der Dunkelheit nicht entdecken.

Dagegen überzeugte er sich, daß dieser Hügel auf beiden Seiten durch schier undurchdringliches Dickicht eingeschlossen war, sowohl nach dem Wasser als nach dem Lande zu.

Mit dieser Entdeckung vorläufig zufrieden, drang Nobody weiter ins Innere der Insel vor: ein schmaler Pfad erleichterte sein Vorhaben, bald sah er Lichtchen in der Ferne flackern; beim Näherkommen erkannte er das Hüttendorf.

Er wagte sich so weit vor, um das Ganze überschauen zu können.

Die Männer saßen noch in Gruppen an Feuern zusammen, rauchten, tranken und unterhielten sich. Es ging sehr aufgeregt zu, entschieden herrschte allgemeiner Unwille über etwas – natürlich über den ungeschickten Fred, der ihnen eine reiche Beute hatte entgehn lassen.

Nobody hatte hier nichts mehr zu suchen. Er wendete sich dem Hause zu, in dem er vorhin die Szene zwischen Charles und Carmen beobachtet hatte.

Jetzt drang aus einem andern Raume Lichtschein ins Freie.

Sofort war Nobody unter den Fenstern, kniete nieder und hob den Kopf so weit, daß er eben in das Zimmer hineinspähen konnte.

Es war einfach eingerichtet, enthielt zwei Stühle, ein Feldbett, einen Schreibtisch, Bücherregale, voll besetzt, Aktenbündel, die Wände waren mit kostbaren und seltnen Waffen dicht behängt.

Er lauschte. Alles war still.

Wie eine Feder schnellte er empor, und ohne das Fensterbrett berührt zu haben, stand er im Zimmer. Da ertönten hastige Schritte.

Wenn die Person am Fenster vorbeiging und ihn bemerkte!

Nobodys Blick fiel auf einen Vorhang, der einen Verschlag abtrennte. Mit einem zweiten Schritt stand er dahinter und sah in dem Licht, das durch die grüne Gardine fiel, daß er sich in einem Baderaume befand.

Da öffnete sich die Tür zu dem Arbeitszimmer, und Carmen trat ein, gefolgt von einem Stromschiffer.

»Komm hier herein, Maurice,« sagte die Dame hastig, »hier sind wir ungestört.«

Nobody sah durch den dünnen Vorhang alles, doch er selbst konnte nicht gewahrt werden, so lange die Portiere nicht zur Seite geschlagen wurde.

Carmen schloß die an den Fenstern befindlichen massiven Holzflügel, desgleichen die Tür.

»Was willst du Heimliches mit mir sprechen?« wandte sich das Weib an den Mann.

Der Angeredete war wie die Stromschiffer gekleidet, aber schlanker und zierlicher gebaut als die Mississippibootsleute, seine Züge trugen ein französisches Gepräge. Jetzt war sein sonst hübsches Gesicht finster, vor Leidenschaft fast verzerrt, und seine Augen glühten unheimlich.

»Rächen will ich mich!« zischte er.

»Rächen?« wiederholte Carmen erstaunt.

»Mein Bruder ist ermordet worden.«

»Ah, so! Ja, er starb durch des Hauptmanns Hand, weil er mit Verrat drohte,« erwiderte sie gleichgültig.

»Ich habe mir alles erzählen lassen, als ich vorhin zurückkam und nur das Grab meines Bruders wiederfand. Er sprach nicht von Verrat, er wollte sich nur keinem Weibe fügen, denn Ihr, Senora, habt einen der Unsrigen ...«

»Laß das!« unterbrach sie ihn wegwerfend. »Er widersetzte sich mir. Man hat dem Kapitän Gehorsam geschworen, er hat befohlen, mir zu gehorchen. Ungehorsam ist Verrat, Tod dem Verräter, also mußte dein Bruder sterben.«

»Tod dem Verräter!« wiederholte Maurice. »Das ist unser einziges Gesetz. Wohlan, nimm dort den Dolch und stoß ihn mir ins Herz – denn – ich – ich – will zum Verräter werden!«

Vor dem sich hoch aufrichtenden Manne trat Carmen bestürzt einen Schritt zurück.

»Du willst zum Verräter werden und gestehst das vorher so offen?«

»Aus Rache werde ich Euch und alles verraten.«

Blitzschnell hatte das Weib einen Dolch von der Wand gerissen und ihn auf des Mannes Brust gezückt.

»Und Ihr sollt mir dabei helfen,« sagte er in diesem Augenblick.

Der Dolch wurde gesenkt.

»Ich?«

»Ich will Euch Enthüllungen über den Kapitän machen.«

»Aaah!« hauchte sie. »Enthüllungen!«

»Er hintergeht Euch, und uns hat er befohlen, Euch zu belügen, Senora!«

Sie bog den Oberkörper vor, ihre Augen funkelten.

»Hüte dich, Maurice – aus dir spricht die Rache.«

»Aber auch die Wahrheit – Ihr sollt prüfen.«

»Nun? Sprich leiser!«

»Der Streit, dem mein Bruder zum Opfer fiel, entstand wegen Kastors. Ihr ließt ihn züchtigen.«

»Ich züchtigte den schwarzen Schurken selbst.«

»Kastor sollte den Knaben, den Ihr liebt, von Tanners Farm abholen. Er aber kam allein zurück und meldete Euch, Pedro habe ihn umsonst warten lassen.«

»Warum erzählst du mir das alles?«

»Kastor belog Euch, belog Euch auf des Kapitäns Befehl. Er hat Pedro ermordet, wiederum auf des Kapitäns Geheiß.«

Triumphierend hatte Maurice gesprochen, doch Carmen lächelte nur spöttisch.

»Kannst du mir nichts Besseres erzählen? Das weiß ich.«

Dennoch behielt der Mann seine triumphierende Miene bei.

»Ihr verschwendet Eure Liebe an einen Unwürdigen,« sagte er.

Des Weibes Augen flammten in verzehrendem Feuer auf.

»Was sagst du da?« kam es zischend von ihren Lippen.

»Daß er Euch nur vorheuchelt, Euch allein zu lieben.«

»Er – liebt – mich – nicht – allein? Wen sonst?«

»Als Charly Euch hierherbrachte und Euch Liebe schwor, war er bereits verheiratet – und zwar sehr glücklich.«

»War – verheiratet?«

»Und ist es noch jetzt in Jefferson und liebt seine Frau mehr als Euch, denn bei ihr ist er immer.«

Der Stachel saß.

Erst schien Carmen zusammenbrechen zu wollen, dann trat sie wieder mit gezücktem Dolch auf Maurice zu. Man erkannte sie nicht mehr.

»Das ist dein Tod – wenn du nicht die Wahrheit beweisen kannst,« keuchte sie.

»Ich kann es.«

»Wie?«

»Ueberzeugt Euch doch selbst von seinem Glück an der Seite seiner Frau. So schön wie Ihr ist sie freilich nicht, aber still, häuslich, freundlich – «

»Genug – genug – ja – ich will mich überzeugen – Maurice – bring mich an Land!«

»Ich gehorche!«

»Ich – ja – ich will – du bringst mich an Land – zu ihm – zu seiner Frau – «

»Sehr gern.«

»Jetzt – geh!«

Maurice verneigte sich und ging. Er hatte seinen Bruder furchtbar gerächt.

Carmen brach mit einem dumpfen Schrei zusammen und blieb bewegungslos auf dem Teppich liegen.

Nobody hätte jetzt sein Versteck verlassen können, aber er blieb. Mehr als zuvor verlangte ihn danach, dem Manne Auge in Auge entgegenzutreten, dessen Untergang so nahe bevorstand.

Nach geraumer Zeit erhob sich das schöne Weib. Es warf einen wilden, irren Blick umher; dann verließ es das Zimmer.

Eine Minute später öffnete sich die Tür wieder.

Der Sheriff Patterson, der Hauptmann der Piraten trat ein.

Sofort schlug Nobody den Vorhang zurück.

»Ah – welches Zusammentreffen! Mister Jenkins! Cutting Knife!« kam es von den Lippen des Ueberraschten. Sein Gesicht hatte sich verdüstert. Mit gespanntem Revolver trat er vor Nobody hin.

»Mister Jenkins – vor Ihnen steht nicht Charles Patterson, der Sheriff von Jefferson, dessen Gastfreundschaft Sie genossen, sondern Sie befinden sich in der Gewalt des Herrn dieser Insel, der zugleich Kapitän einer Piratenbande ist.«

»Das ist ganz dasselbe.«

»Es ist nicht dasselbe. Als Sheriff würde ich die Gastfreundschaft nicht schänden.«

»So können Sie sich zerteilen?«

»Ich kann es!« entgegnete Patterson mit Nachdruck. »Genug davon – jetzt wenigstens. Sie werden mir Rede und Antwort stehn, sonst ist es Ihr Tod!«

»Ich habe keinen Grund, zu schweigen!«

»Ich verlange die Wahrheit zu hören.«

»Sie sollen sie zu hören bekommen.«

»Bei der ersten Unwahrheit, die Sie sprechen, zerschmettre ich Ihnen den Kopf.«

»Ich hoffe, Sie überzeugen sich erst, ob ich auch wirklich gelogen habe.«

Der Kapitän lächelte flüchtig.

»Wenn es nicht eben Sie wären, würde ich Sie Ihren Antworten nach für einen Prahlhans oder für einen Tollhäusler halten. Wie sind Sie auf die Insel gekommen?«

»Im Boote,« entgegnete Cutting Knife. »Ich saß als Jimmy vorhin mit drüben am Lagerfeuer.«

»Als Jimmy?« wiederholte Patterson in maßlosem Erstaunen. »Herr, wo ist Jimmy?«

»Er liegt gefesselt und geknebelt am Ufer.«

Des Kapitäns Augen funkelten drohend.

»Herr, Sie sind nicht der, für den Sie sich ausgeben! Sie sind nicht Cutting Knife!«

»Ich bin's! Sie sehen es!«

»Wie konnten Sie als –«

»Genug! Ich will Sie nicht länger täuschen. Das Schicksal führte mich mit Ihnen zusammen. Es wollte, daß ich Ihrem Treiben ein Ende bereitete, und dieses ist gekommen.«

Eine gebietende Handbewegung hinderte den Piratenkapitän am Reden.

»Still! Jetzt spreche ich. Sehen Sie her!«

Der Westmann Cutting Knife wendete sich halb zur Seite, strich sich mit den Händen über das Gesicht, nahm die wassertriefende Schiffermütze vom Haupte und wendete sich Patterson wieder zu.

Leichenblaß taumelte derselbe zurück.

»Nobody! Der berühmte Nobody!« kam es ächzend aus seiner Brust.

Das Bild des Detektivs war in den ganzen Vereinigten Staaten bekannt. Er trat ja nur ganz selten in seiner wahren Gestalt auf. Jetzt zeigte er sie.

»Ich bin's,« sagte er einfach, und dann setzte er hinzu:

»Glauben Sie nun, daß Ihr Ende gekommen ist, Mister Patterson?«

Dieser hatte sich bereits wieder gefaßt. Ein schneller Blick überzeugte ihn, daß Nobody waffenlos war.

»Sie sind allein auf die Insel gekommen?«

»Ja.«

»Sie wissen, daß Sie damit Ihr Todesurteil sprechen?«

Nobody lächelte.

Patterson stutzte, sann nach und fragte dann:

»Sie waren früher auch jener Cutting Knife, als der Sie mir auf dem Dampfer entgegentraten?«

»Der war ich.«

»Eine Art von Lederstrumpf, der Held von Jugendgeschichten?«

»Ganz richtig.«

»Von Ihnen ging die Sage, daß Sie unüberwindlich wären. Niemand könne Sie lebendig fangen.«

»Das war keine Sage, das war so.«

»Jetzt sind Sie aber mein Gefangener.«

Wieder lächelte Nobody. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, einen Revolver von der Wand zu reißen. Er tat es nicht. Er war auch so seines Sieges sicher.

»Patterson,« sagte er langsam, jedes Wort betonend, »Patterson, versuchen Sie nicht, gegen das Schicksal anzukämpfen! Sie entgehn ihm nicht!«

»Ich töte Sie!«

»Das tun Sie nicht! Die nächste Kugel, die Ihren Revolver verläßt, ist für Sie selbst bestimmt.

»Denken Sie an Ihre Frau, Mann!« fuhr Nobody eindringlich fort. »Retten Sie dieselbe vor der drohenden Schmach. Lohnen Sie so viel Liebe nicht mit Undank! Patterson, hören Sie mich! Ich gebe Ihnen drei Tage Zeit, Ihre Angelegenheiten zu ordnen – mehr nicht – dann machen Sie ein Ende oder ich vernichte Sie!«

So sprach der Mann, der waffenlos dem Piratenkapitän gegenüberstand, auf dessen Wink die Räuber herbeieilen mußten!

Schweigend starrte Patterson zu Boden. Da – der Revolver entfiel seinen Fingern! Aufstöhnend schlug der Unselige die Hände vors Gesicht.

»Sie verachten mich?« fragte er schluchzend.

»Ich bemitleide Sie!«

»Und Sie gönnen mir drei Tage Frist?«

»Ich sagte es!«

Wieder trat eine Pause ein, dann stieß der Piratenkapitän hervor:

»Gut! Es sei! Ich füge mich dem Schicksal. Nur eine Bitte habe ich noch: Hören Sie meine Beichte.«

»Gern! Setzen wir uns!«

Nobody sagte es ohne jede Genugtuung. Dieser Sieg bereitete ihm wenig Freude. Fast verwünschte er die Stunde, da er den Vorsatz gefaßt hatte, dem Manne, der so gebrochen auf dem Stuhle saß, die Maske vom Gesicht zu reißen.

»Sprechen Sie, Patterson! Erleichtern Sie Ihr Herz!«

Noch einmal zögerte der Sheriff, dann begann er:

»Ich bin der Sohn von wohlhabenden Eltern und habe eine sehr gute Erziehung genossen. So weit ich jedoch zurückdenken kann, hat sich stets in mir eine Doppelnatur offenbart, in mir waren zwei Wesen vereinigt, ein Engel und ein Teufel, die nie miteinander kämpften, ganz gut nebeneinander lebten, nur, daß sich der Engel immer öffentlich zeigte, während der Teufel verborgen blieb und nur im geheimen sich bemerkbar machte.

»Ich war ein Musterkind: artig, fleißig, ein guter Kamerad, kein Spielverderber und mit großen Talenten ausgestattet. Nie habe ich meinen Eltern Aerger bereitet, nur Freude, meine Lehrer lobten mich bis in den Himmel wegen meiner Fortschritte und Sittsamkeit. Dennoch aber war ich eigentlich ein wilder Knabe. In meiner Freizeit war ich einer der tollsten; das liebt man ja aber eben an einem Jungen. Böse Streiche dagegen habe ich nie gemacht, das heißt, es ward nichts davon bekannt; denn im Grunde genommen war ich schon als Kind ein ganz verdorbener Bösewicht, der log, stahl und kein größeres Vergnügen kannte, als Tiere zu quälen, überhaupt Schaden anzustiften. Nur machte ich es so geschickt und so heimlich, daß mich niemals jemand dabei erwischte.

»Das wäre ja nun nichts weiter, ich wäre eben ein durchtriebener Schlingel gewesen, das war ich jedoch keineswegs. Lügen zum Beispiel war mir etwas Entsetzliches. Ich konnte nicht lügen, brachte es nicht fertig, ich mußte es gestehn, wenn ich etwas wirklich getan hatte, und ein Mensch, der als Lügner überführt würde, war mir ein Abscheu. Dennoch log ich. Das ist ein Widerspruch, aber nur ein scheinbarer. Ich log niemals zu meinem Vorteil, sondern ich log, um zu lügen, zu meinem Vergnügen. Zum Beispiel fiel es mir mit einem Male ein, zu behaupten, gestern da oder dort gewesen zu sein, dies und jenes gesehen zu haben, ohne jeden Grund, ich mußte es tun und benahm mich dabei so geschickt, daß mich niemals jemand der Lüge hätte überführen können. Das war dann ein Triumph für mich, den ich nicht beschreiben kann. Aber zu lügen, wenn ich etwas verbrochen hatte, das fiel mir nicht ein, obgleich mich Strafe erwartete. Mit einem Wort, ich gefiel mir schon als Kind darin, die Leute zu mystifizieren, und das wurde zu meiner zweiten Natur, wenn ich nicht schon von allem Anfang an so veranlagt war.

»Ebenso besaß ich alle andern schlechten Leidenschaften. So zum Beispiel stahl ich etwas, nicht zu meinem Nutzen, sondern um es wegzuwerfen; ich betrog, um mich an der Dummheit der andern zu ergötzen, daß sie es nicht merkten, und wie gesagt, quälte ich mit Vorliebe Tiere. Ich wußte wohl, ich tat unrecht, aber ich konnte nicht anders, mein Dämon war mächtiger als ich.

»Sie verstehn mich recht, Sir. Was ich tat, das waren keine Vergehen, welche dem Egoismus entsprangen, sondern das beruhte alles auf Manie.

»Nebenbei bemerkt, las ich mit Vorliebe Räubergeschichten, verschlang sie, immer heimlich, und was ich gelesen, darüber dachte ich nach, malte die Geschichte weiter aus: das hättest du noch geschickter angefangen als dieser Spitzbube, dich hätten sie nicht erwischt, das hätte er so und so machen müssen, und das und jenes hätte er doch auch noch gleich mitnehmen können.

»Ich war im Geiste schon ein abgefeimter Einbrecher und Raubmörder, der es in Wirklichkeit hätte mit jedem aufnehmen können. Das offenbarte sich auch einmal bei einer Gelegenheit. Mein Vater unterhielt sich mit einigen Herren über finanzielle Spekulationen auf dem Weltmarkte. Ich, ein zwölfjähriger Junge, hörte zu, hatte sonst noch nie von so etwas vernommen. Plötzlich kam ich eifrig zu meinem Vater gelaufen und sagte: ›Aber das braucht man doch nur so und so zu machen, man telegraphiert an die Londoner Bank, dann müssen sie hier in New-York das Geld doch auch ohne Vorzeigen des Wechsels auszahlen.‹

»Die Herren waren zuerst sprachlos vor Staunen. Ich hatte nämlich einen Schwindlerkniff entdeckt, der bisher nur noch nicht benutzt worden war. Man hätte die New-Yorker oder die Londoner Bank um jede Summe prellen können.

»Da nahm mich ein alter Herr zwischen die Knie – ich vergesse das nicht – sah mir lange und forschend in die Augen und sagte dann zu meinem Vater: ›Ihr Sohn wird entweder einmal ein berühmter Mann oder ein großer Bösewicht!‹ Man lachte über den Scherz. Der Mann hatte aber recht und doch wiederum unrecht.

»Wurde ich schließlich kein berühmter Mann, so lag das daran, weil ich in Jefferson Sheriff bleiben wollte, aus guten Gründen, und hier überhaupt nicht entbehrt werden konnte. Das Zeug hatte ich in mir; wenn ich gewollt hätte, ich wäre schon längst Präsident. Zugleich aber war ich auch ein Verbrecher.

»Mein Vater hielt es für selbstverständlich, daß ich Advokat wurde, ich hatte die besten Anlagen dazu. Ich kam als Jüngling nach New-York, war fleißig, gewissenhaft, kurz, wiederum ein Muster für meine Mitstudierenden, und ergab mich dennoch den sinnlosesten Ausschweifungen, aber niemand erfuhr etwas davon. Dann schickte mich mein Vater mit gefülltem Geldbeutel auf Reisen. Ich besuchte ganz Europa, lernte viel Nützliches und noch mehr Schlechtes.

»Jefferson ist meine Heimat. Hier kannte mich jeder Stromschiffer, alle hatten den Knaben lieb, der zum Vergnügen durch den Mississippi schwamm, und als er als geprüfter Mann zurückkehrte und die Stelle des Sheriffs gerade frei war, wurde er einstimmig dazu gewählt. Ich hatte ein Mädchen kennen gelernt, schön und reich, es wurde mein Weib, Ellen, und ich war sehr glücklich.

»Am ersten Juni jedes Jahres mußte ich die Freundschaftsinsel kontrollieren.

»Schon beim ersten Besuch fiel mir mancherlei auf, beim zweiten wußte ich, daß die Bewohner mehr vom Stromraub lebten als vom Fischfang.

»Das heißt, sie waren noch keine Piraten. Sie erbeuteten nur schwimmendes Gut, das sie eigentlich hätten ausliefern sollen, und taten nichts, die vielen, gefährlichen Snaks auszurotten, die um die Insel herum lagen, und auf denen so viele Boote scheiterten, erstatteten auch davon keine Meldung.

»Schurken waren sie also doch schon – Gelegenheitsdiebe.

»Ich dachte ebenso, wie Sie mir gestern sagten: eine Insel, kein Fremder darf sie betreten außer mir, die Bewohner gelten für harmlos, ich, ein Ehrenmann und Bösewicht zugleich, den Kopf angefüllt mit Räubergeschichten – da lag die Versuchung sehr nahe. Ich organisierte eine richtige Räuberbande, wurde ihr Hauptmann, und von nun an begann mein Doppelleben erst recht.

»Bald war ich in Jefferson der hochangesehene, ehrenhafte Sheriff, bald auf der Freundschaftsinsel der Räuberhauptmann, vor dessen Blick der Mutigste zitterte. Ich machte die Leute zu vollkommenen Piraten, zu Bluthunden. Den Gescheiterten schnitten wir die Kehle durch und versenkten sie mit Ketten im Strome. Unsre Beute war unermeßlich. Die Verbindung gewann immer größere Dimensionen. Wir nahmen Verbrecher auf. Die Insel ward ein Asyl für Mörder und freigelassene Sträflinge. Wenn sie auch nicht direkt darauf wohnten, so gehörten sie doch zu meiner Bande, arbeiteten uns in die Hände, verdingten sich als Lotsen und ließen die Boote an unsrer Insel scheitern.

»Doch ich will nicht von meinen Erfolgen sprechen. Was mich anbetrifft, so kann ich mich noch jetzt nicht verstehn. Ich war eben ein Mensch, der sich zerteilen konnte. In Jefferson war ich wirklich ein braver Mann, wußte fast selbst nicht, daß ich ein Räuber sei, und auf der Insel war ich der größte Wüterich. Seit ich aber einmal einen Menschen getötet hatte, konnte ich nicht oft genug Blut fließen sehen, auch das Morden wurde bei mir zur Manie, es war mir eine Lust, den Stahl meinem Nächsten in die Brust zu bohren. Auf einer Ferienreise, die ich ohne meine Frau unternahm, war ich in Spanien und sah dort Carmen.«

»Sie war verlobt mit einem gewissen Diego?« fragte Nobody.

»Ja,« nickte Patterson, ohne daß er über diese sonderbare Frage stutzte.

»Sie folgte Ihnen freiwillig und verließ jenen, trotzdem Sie ihr offen bekannten, daß Sie das Haupt einer Räuberbande seien?«

Jetzt blickte der gebeugte Mann doch auf. Er staunte über diese scharfsinnige Vermutung, und Nobody wußte nun genug. Er fragte weiter:

»Sie ließen sich zum Schein mit ihr trauen, nachdem Sie ihr verschwiegen hatten, daß Sie bereits verheiratet seien, und das war ein großer Fehler in Ihren Berechnungen, Sheriff, denn einem wahrhaft liebenden Weibe kann nicht auf die Dauer verborgen bleiben, daß es sich mit einer andern in das Herz des Geliebten teilen muß. Patterson, denken Sie an den Straßenprediger, der gestern in Jefferson auftauchte!«

»zzziyyy Mos jumoth!zzz/iyyy« stöhnte der Sheriff. »Sie sollen des Todes sein!«

Er stützte das Haupt auf beide Hände und brütete vor sich hin.

Nobody ließ ihn eine Zeitlang ungestört, aber er mußte noch verschiedenes erfahren, was ihm für den schlimmsten Fall von Wichtigkeit war. Er wollte wenigstens aus dem Munde des Piratenkapitäns bestätigt hören, daß er richtig kombiniert hatte.

»Patterson,« begann Nobody, »ich muß noch einige Aufklärungen von Ihnen erbitten. Ich werde Sie nicht groß belästigen. Sie brauchen nicht zu antworten, wenn meine Vermutungen richtig sind, nur wenn ich irre. Die Insel ist befestigt, mit Bastionen versehen und mit Kanonen armiert. Dieselben stammen aus einem an Ihrer Insel gescheiterten Boote, das die Geschütze während eines der letzten Kriege in Südamerika dorthinschmuggeln wollte?«

Patterson nickte.

»Proviant und Munition haben Sie genügend hier, um auch eine längere Belagerung aushalten zu können – das läßt sich ja denken, denn Sie mußten mit allen Möglichkeiten rechnen. Nun noch eins! Missis Tanner – Jenny Tanner –«

»Wie? Die kennen Sie auch bereits?«

Nobody lächelte, aber ohne jede Selbstüberhebung.

»Sie nahm, sozusagen als Probierdame, die von Carmen bestellten Kleider an,« fuhr er dann fort. »Sie kannte die Geheimnisse der Insel. Ja? Gut! Jener Pedro, den Sie durch den Neger Kastor ermorden ließen, war das Kind eines Schiffbrüchigen. Es ward hier angetrieben und sollte getötet werden, wie alle andern Unglücklichen, denen dies widerfuhr; Carmen aber bat für ihn, und so blieb er am Leben, ward ihr Liebling.«

Der Sheriff nickte.

»Das andre weiß ich,« sagte Nobody, »ebenso, daß Sie den Mörder noch gestern abend niederschossen. Wir sind fertig, Patterson – halten Sie Ihr Wort! Ich verlasse jetzt die Insel.«

Er wandte sich zum Gehn, da sprang der Piratenkapitän auf.

»Herr,« rief er, »Sie scheiden, ohne mir die Hand zu reichen?« Und furchtbar drohend, ganz so, wie er zu seinen verbrecherischen Genossen zu reden gewöhnt war, fuhr er fort: »Hüten Sie sich! Wenn Sie mich verachten, halte ich mein Wort nicht. Ein Lump fragt nicht danach, ob er ein gegebenes Versprechen bricht.«

Nobody drehte sich schweigend um. Ein langer, ernster Blick traf den Erregten.

»Ich bin kein Bußprediger, Mister Patterson,« versetzte er. »Ich gab Ihnen bereits meine Hand. Sorgen Sie dafür, daß ich es nicht zu bereuen brauche. Denken Sie an Ihre Frau, an Ihre Schwester!«

Da brach der Piratenhäuptling abermals zusammen. Nobody entfernte sich ungehindert.


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