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Bevor wir beginnen, hinter die Kulissen zu blicken, müssen wir erst noch einiger Episoden Erwähnung tun, welche der Komödie, die der sogenannte Prinz von Monte Carlo dem Publikum vorführte – denn der geneigte Leser hat doch schon längst erkannt, daß es sich um nichts andres als um eine Komödie handelte – einen sehr tragischen Ausgang gaben, wodurch das Einschreiten der Polizei nötig wurde und was vor allen Dingen auch unsern Haupthelden handelnd in seiner eigentlichen Gestalt auftreten ließ.
Kurz bevor der Kapitän der Heliotrop im Hotel de Paris als alter Mann seinen Einzug hielt, erschien in Monte Carlo ein schwarzgekleideter Herr, dem man den Pfaffen schon von weitem ansah, wenn er auch nicht direkt ein Pfaffenkostüm trug.
Man hatte sich denn auch nicht geirrt, er gab sich für einen Abbé aus.
Nachdem er in einem Hotel Quartier genommen hatte, begab er sich sofort zu einem Häuservermittler, und eine Stunde später hatte er den ganzen Palazzo Rosso gemietet.
Das Aufsehen war groß. Dieses Palais war von einem italienischen Grafen im obern Monte Carlo nach den Plänen des berühmten Palazzo Rosso in Genua – jetzt eine Gemäldegalerie – hingebaut worden, nur in bedeutend kleinerem Maßstabe, immerhin hatte der Bau noch Millionen verschlungen; der Besitzer kam in Geldschwierigkeiten, konnte das Ding nicht erhalten, fand keinen Käufer, auch keinen Mieter, der das Haus nur einigermaßen verzinst hätte, und so stand der rote Palast schon seit Jahren leer, wurde aber wenigstens noch wie der große Park in Ordnung gehalten.
Seine Hochehrwürden Abbé Boisier mietete diesen Palast auf ein Jahr für 50.000 Francs. Kam aber ein Käufer, so hatte er das Haus sofort ohne Entschädigung zu räumen, oder der Abbé selbst hatte als Käufer zwei Millionen Francs bar auf ein Brett zu zahlen. Wer war dieser Abbé, daß er eine Jahresmiete von 50.000 Francs geben und auf solche Bedingungen eingehen konnte? Man hatte es bald herausgebracht: der Abbé handelte nur im Auftrage der Chaide da la Fonserra. Ja, dann freilich – da brauchte man sich nicht mehr zu wundern!
Senora Chaide da la Fonserra war eine mexikanische Minenbesitzerin und galt als die reichste Frau der Erde, so weit selbständige Frauen in Betracht kommen. Ihr jährliches Einkommen wurde auf 25 Millionen Francs geschätzt. Um einen Vergleich zu ziehen, sei erwähnt, daß der alte Kornelius Vanderbilt zuletzt sein Einkommen auf rund 10 Millionen Dollars angab, und das wäre somit zufälligerweise gerade das Doppelte als was jene Mexikanerin jährlich zu verzehren hatte.
Vermöge ihres Geldes spielte sie auch eine große politische Rolle, hätte eine solche wenigstens spielen können, denn sie hatte der Regierung ihres Landes riesige Summen vorgeschossen, dafür Hypotheken erhalten, und wenn sie diese kündigte, so hätte der mexikanische Fiskus pleite gemacht. Eine Revolution und Staatsumwälzung hing nur von ihr ab, und da hätte kein Gewaltakt gegen sie etwas genutzt, denn die schlaue Mexikanerin hatte zum Verwalter ihrer Angelegenheiten wohlweislich die allmächtige Bank von England gewählt.
Die internationale Lebewelt, welche in der Chronique scandaleuse bewandert war, wußte sich noch mehr Interessantes von dieser Dame zu erzählen.
Erst achtundzwanzig Jahre alt, war sie vor einem halben Jahre zum vierten Male Witwe geworden. Sie war fromm, sehr fromm, konnte ohne ihren Beichtvater nicht leben, von dem sie sich täglich den Rücken blutig geißeln ließ, aber ...
Es sei nur ein einziger Ausspruch einer Person erwähnt, welche die Mexikanerin genau kannte – ein sehr kräftiger Ausspruch, der aber auch alles ausdrückt:
»Wenn sie nicht auf dem Betschemel liegt, dann liegt sie mit einem Stallburschen im Bett.«
Es wurden gräßliche Geschichten über sie erzählt.
Daß sie sehr fromm war, merkte man gleich, wie der Abbé ihre zukünftige Wohnung herrichtete. Renoviert wurde nichts, nur alles gescheuert, ein Nizzaer Möbelgeschäft bekam einen kolossalen Auftrag – aber die Hauptsache war die Umwandlung des größten Saales in eine Kapelle, in welcher nichts fehlen durfte, was zur katholischen Kirche gehört.
Als alles fertig war, wurde aus Paris ein Extrazug gemeldet, in welchem Senora da la Fonserra außer Dienerschaft ihre eigne Kirche mitbrachte: den Beichtvater, noch eine ganze Menge andrer Schwarzröcke, eigne Chorknaben, auch viele Weiber, alte und junge, aber lauter
»Abgezehrte, blasse Mienen,
Dieser traurigen Gesellschaft voran schritt die Silberfürstin, eine mittelgroße Gestalt mit sehr vollen Formen, im Gegensatz dazu das gelbe Gesicht hager und eingefallen, abgeleckt und abgeschleckt, da half nicht einmal mehr Puder und Schminke, und man sah es gleich ihren Augen an, wie sich religiöse Bigotterie mit der gröbsten Sinnlichkeit paarte.
Sie besuchte zum ersten Male den europäischen Kontinent. Warum kam sie nach Monte Carlo? Um zu spielen? Sie wurde niemals im Spielsaale gesehen, da hätte sie doch auch ihr Seelenheil in Gefahr gebracht.
Die philosophischen Kenner von Monte Carlo wußten gleich, als sie mit ihrer Kircheneinrichtung ankam, was die hier wollte: der verdorbenen europäischen Welt ein leuchtendes Beispiel von Frömmigkeit geben, und dazu hatte sie sich gerade die verrufene Spielhölle ausgesucht, wollte sie durch die Kraft ihres Gebetes in einen Himmel verwandeln.
Nun, mochte sie in ihrer Behausung singen und beten, die Weihrauchampel schwingen und sich geißeln. Nachdem sie die Bettelbriefe unbeantwortet gelassen hatte, kümmerte sich überhaupt niemand mehr um sie.
Da vollzog der alte Kapitän der Heliotrop seine Verjüngung.
Ob sie schon vorher an ihn geschrieben hatte, wußte man nicht, aber jedenfalls suchte die Fonserra den mysteriösen Kapitän persönlich in seinem Hotel auf. Da sich nun die Mexikanerin keiner Verjüngungskur unterwarf, die Unterredung also resultatlos verlaufen war, so erkannte man hieraus auch sicher, wie zwecklos es war, den Kapitän deswegen anzufragen. Der geheimnisvolle Indier war eben nicht mehr auffindbar oder wollte überhaupt keinen Menschen mehr jung machen. Denn die Fonserra hätte es sich doch ein gutes Teil ihres Vermögens kosten lassen, hätte sie ihre abgelebte Physiognomie nur ein klein wenig wieder auffrischen können. Für die waren doch die 5 Millionen Francs, welche der Kapitän dem Indier als Honorar gegeben, nur eine geringfügige Kleinigkeit.
Dann eines Tages sah man die Mexikanerin den steilen Weg nach La Turbie zu dem Eremiten hinaufpilgern. Man erfuhr, daß sie erst einen Abgesandten hinaufgeschickt hatte, der Eremit möchte zu ihr herabkommen, aber da gab es nichts, sie selbst mußte sich hinaufbemühen und das Laufbrett überschreiten, was sie auch mit anerkennenswertem Mute tat.
Wer tiefer blickte, der fand freilich nichts dabei. Die war ja des Lebens schon längst überdrüssig! Sie kam mit sehr unzufriedenem Gesicht wieder zum Vorschein. Was hatte der entsagende Eremit diesem Weibe auch geben können? Keinen Trost, keine Abwechslung in ihrem langweiligen Leben, und noch weniger brauchte die zu erfahren, wie man die Spielbank von Monte Carlo sprengen könne.
Aber man sollte sich geirrt haben. Die Unterredung mit dem Weltentsager hatte dennoch einen großen Eindruck bei der Frau hinterlassen, welcher der Fanatismus aus den Augen blickte.
Hierauf suchte und fand die Mexikanerin die Bekanntschaft des Fürsten Alexjeff. Es war gerade zu der Zeit, als die Strümpfestrickerei der heiligen Prinzessin in vollster Blüte stand.
Senora da la Fonserra wurde vom Vater mit in die Hütte von La Bordina genommen. Die Wiedergabe der Unterredung ist nicht nötig. Die heilige Prinzessin zeigte ihre umgegrabenen Beete, den auf dem Tische liegenden angefangenen Strickstrumpf, zeigte auf der nackten Erde die Stelle, wo sie jede Nacht schlief und sprach so ziemlich dasselbe, was sie zu jedem Besuch sagte, wie wir es ausführlich hörten, als sie von dem Zeitungsmenschen interviewt wurde.
Aber wir wollen so indiskret sein, eine Handlung der heiligen Prinzessin zu verraten, als die Mexikanerin sich von ihr verabschiedete.
»Durchlaucht, Sie sind beneidenswert, solch eine erhabene Tochter zu besitzen, welche, noch unberührt von den Sünden dieser Welt, es schon so weit in der Überwindung derselben gebracht hat, so rein, so fromm, so keusch!«
Also sprach die Mexikanerin, als sie sich mit dem Fürsten schon zum Gehen gewendet hatte ... und da, wie die beiden ihr den Rücken zukehrten, da bog sich die ›heilige Prinzessin‹ etwas vor und streckte ihnen die Zunge heraus!
Und dann, als die ›heilige Prinzessin‹ allein war, da rannte sie in die Hütte, warf erst den Strickstrumpf gegen die Wand, dann warf sie den Brotlaib ebenfalls gegen die Wand, hierauf führte sie um den Tisch herum eine Art von Indianertanz auf, wobei sie mit den Beinen schlenkerte, wie es sich für eine Weltentsagerin durchaus nicht ziemt, eher für einen Kosaken, und hierauf ...
Doch halt! Was sie dann weiter tat, das darf vorläufig noch nicht verraten werden. Sie tat etwas, was sich niemand in Monaco-Monte Carlo träumen ließ. Wir werden es sehr bald mit den Augen eines andern beobachten.
Die Lage des Felsens, auf welchem die sogenannte Arche Noah steht, ist schon beschrieben worden. Erwähnt sei nur noch einmal, daß dies bereits französisches Gebiet ist, aber dicht an das Fürstentum Monaco grenzend. Unten am Felsen hatte Guiseppe Cigalgi seine Bootsstation und Badeanstalt, hat sie noch heute dort.
Jetzt besteht das Gasthaus zur Arche Noah aus zwei Bretterbuden, d. h. aus zwei Holzhäusern. In der einen Bude ist die Restauration mit ›Zimmer zu vermieten‹, in der andern wird am Sonntag nach einem Orchestrion getanzt. Wäre der Ruf dieses Gasthauses nicht ein so schlechter, ein bedürfnisloser Fremder würde es jedem andern vorziehen. Die Arche Noah hat auf dem isolierten Felsen die herrlichste Lage an der ganzen Riviera. Es könnte ja ein Hotel hingebaut werden, aber der jetzige Besitzer will es nicht verkaufen, er macht eben sein Geld in den Baracken, und dann ist auch noch etwas anders dabei. Wir müssen immer bedenken, daß wir in einer Stadt von Spielern sind. Da steht in der günstigsten Lage von Monte Carlo ein schöngebautes Hotel mit 74 Fremdenzimmern. Bis vor fünf Jahren war es eines der am besten arbeitenden Häuser, schon mancher Hotelier ist darin reich geworden. Da wird vor fünf Jahren das Haus etwas vergrößert, eine Mauer des Neubaues stürzt ein und erschlägt einen Maurer. Und seitdem ist dieses Haus wie verflucht. Seit diesen fünf Jahren steht es leer. Der Besitzer verlangt einen jährlichen Pachtzins von 3.000 Francs, das ist ja ein Spottgeld, welches ein einziges Zimmer einbringen kann – vergebens, es wagt sich kein Hotelier mehr dran. Und etwas Ähnliches ist jetzt mit der Arche Noah los, niemand will sie haben.
Damals aber erhob sich auf dem Felsen noch ein stattliches, massives Gebäude, sehr altertümlich, ganz umringt von einer hohen Mauer. Ursprünglich eine Seefeste zum Schutz gegen die maurischen Piraten, wurde es dann ein Kloster der Ursulinerinnen von der strengsten Observanz, gegründet von einer Frau Saint Beuve, und dann schließlich wurde es das Gasthaus zur Arche Noah. Es war noch immer ein von der Klausur umgebenes Kloster, das Refektorium war die Wirtsstube, die Nonnenzellen waren die Fremdenzimmer. Aber gebetet und gebüßt wurde nicht mehr drin. Am sehenswertesten waren die unterirdischen, in den Felsen gehauenen Gewölbe, in welche die ungehorsamen Nonnen kamen, und wie es da zugegangen sein soll, darüber zirkulieren unheimliche Geschichten, es wird auch noch mancherlei gezeigt. Jetzt lagern in den Kellern die Wein- und Bierfässer.
Die Arche Noah war für 300.000 Francs verkauft worden, sehr billig. Aber niemand hatte geahnt, daß die Fonserra die Käuferin gewesen sei, am allerwenigsten der Gastwirt, sonst hätte der einen ganz andern Preis dafür gefordert. So klug war die Fonserra aber auch, daß sie die Sache einem Agenten übergab und kein Sterbenswörtchen von ihrem Vorhaben verlauten ließ. Nun wußte man aber auch gleich ganz bestimmt, was sie beabsichtigte. Die ließ der Ruhm der heiligen Prinzessin nicht schlafen.
Wir sind in Monte Carlo, wo die Roulette in der Minute ein Spiel macht, wo jeder mit nur hundert Francs in einem Tage ein reicher Mann werden will. Fix, fix, fix – hier muß alles fix gehen.
Die hatte nicht Zeit, sich erst ein Kloster zu bauen, und außerdem mochte für sie auch ein Reiz darin liegen, die Stätte der Lust in eine solche der Frömmigkeit zu verwandeln. Also Bierfässer heraus. Tische und Stühle heraus, alles heraus, ein paar Dutzend Scheuerfrauen her – und jetzt befand sich die Fonserra auf dem Wege, ihr Eigentum zu besichtigen.
Begleitet wurde sie von zwei Damen, ihren beiden vertrautesten Kammerzofen. Alle beide waren jedenfalls Mestizen, wenn sie auch nichts von ihrem indianischen Blut wissen wollten. Die eine, Madame Orranda, war schon eine alte Frau, vielleicht noch gar nicht so alt an Jahren, aber eben eine früh alternde Mestize, ein abschreckendes Weib, eine gelbe Hexe, sie besaß die Gabe, mit beiden Augen nach zwei verschiedenen Richtungen zu sehen, aber kein Schielen, die Augen waren voneinander unabhängig, was nicht gerade zur Verbesserung ihrer Schönheit beitrug. Es war ein ungemein großes Weib, dürr wie ein Skelett, aber mit wahren Pferdeknochen, sie mußte Bärenkräfte besitzen. Da hier jeder sofort einen Spitznamen bekommt, war sie natürlich das ›Skelett‹ geworden.
Ganz das Gegenteil davon war die zweite Zofe, das ›Nixchen‹. Es war ein noch junges Mädchen, klein, zierlich, winzig – ein braunes Nixchen, das man nicht anzublasen wagte.
Sie wurde selten außerhalb des Hotels gesehen, und dann war sie immer tief verschleiert, und wenn sie den Schleier einmal lüftete, so sah man ein gelbbraunes, sehr hübsches Gesichtchen, zart und durchsichtig, erschrak aber fast vor diesen übermäßig großen Augen, in denen ein ganz seltsames Feuer unruhig flackerte, und es war, als ob das zarte Nixchen eben dieses Feuer durch einen Schleier vor aller Welt verbergen wolle. Es konnte an dem sonst so unschuldig aussehenden Mädchen etwas nicht in Ordnung sein.
Sobald man in diese Augen geblickt hatte, war etwas Unheimliches an ihr.
Genau dieses flackernde Feuer aber konnte man manchmal auch in den Augen der Fonserra beobachten, und ebenso in den Augen des alten Skeletts. Bei der Herrin aber paarte sich dieser Ausdruck mit Sinnlichkeit, bei der alten Mestize hingegen war es die ausgeprägte Grausamkeit.
Es war überhaupt eine unheimliche Gesellschaft. Das hatte man in Monte Carlo schon längst erkannt. Da man von den Millionen der Mexikanerin nichts haben konnte, zog man sich von ihr am liebsten zurück.
»Die drei Weiber treiben etwas Unerlaubtes,« hieß es, »umsonst hat die nicht immer ihren Beichtvater bei sich.«
Die drei stiegen vor dem Tore der Arche Noah aus dem Wagen, der Agent war allein anwesend in dem großen Gebäude, so war befohlen worden, er empfing die Damen und führte sie herum.
So altertümlich das Haus auch gebaut, es war doch nichts weiter zu sehen. Die Fremdenzimmer waren sehr klein, eben Zellen, in denen einst die Nonnen hausten, schwere Türen, in jeder ein Fensterchen, was alles so gelassen worden war, die Öffnung konnte ja von innen verhangen werden.
»Sind die Schlösser in Ordnung?« fragte die alte Zofe, die überhaupt sich nach allem mehr erkundigte als die Herrin.
»Alles in Ordnung, Madam, kein Schlüssel fehlt, sie sind alle mit Nummern versehen und hängen unten in einer Reihe, ich habe jeden einzeln geprüft.«
»Dann wollen wir uns die Kellereien ansehen!«
Sie gingen hinab.
Der Hauptkeller, sehr tief unter der Oberfläche, war von eigentümlicher Bauart, ein kreisrunder Saal, das Licht fiel durch seitliche Öffnungen, durch welche man das Meer erblickte, und ringsherum waren in den Felsen kleine Kammern gemeißelt, mit schweren Türen versehen, jede mit einer Öffnung. Zuletzt waren die Zellen als Flaschenniederlagen benutzt worden, dazu waren sie ja wie geschaffen, früher mochten sie einem andern Zweck gedient haben. Überall waren eiserne Ringe eingelassen, in den Zellen sowohl, wie in dem Saale.
Es war alles ausgeräumt worden, alles. Die eisernen Ringe aber waren nicht verrostet, so alt sie auch sein mochten. Einmal waren sie immer benutzt worden, dann war das Gewölbe auch sehr luftig und trocken, es lag ja noch immer hoch über der Küste.
»Was ist das?«
Die Fragerin meinte einen Steinblock, der sich in dem Saale befand, eins mit dem Boden. Er sah ungefähr wie ein Sessel ohne Lehne aus, hatte einige Vertiefungen, auch vor ihm am Boden befanden sich Höhlungen.
»Das ist der sogenannte Disziplinstuhl,« erklärte der Agent, »er ist als Sehenswürdigkeit stehen gelassen worden. Auf diesen wurden die Nonnen gelegt und ausgepeitscht.«
»Wenn sie etwas begangen hatten.«
»Nein, das wohl nicht, es wird anders erzählt. Sie sehen doch an diesem Blocke gar keine Vorrichtung, um Stricke zu befestigen, mit welchen die Nonne festgeschnallt wurde. Es legte sich eine Schwester hin und ließ sich freiwillig geißeln, bis sie bewußtlos wurde. Das hielten damals die Menschen eben für ein gottwohlgefälliges Werk. In diesen Zellen ringsherum saßen nun die andern Nonnen und sahen der frommen Handlung zu, bis eine um die andre von der Begeisterung erfaßt wurde, heraussprang und sich ebenfalls freiwillig halbtot peitschen ließ. Wie fleißig der Disziplinstuhl benutzt wurde, das ersehen Sie aus diesen Vertiefungen. Die haben die Büßerinnen im Laufe der Zeit mit Ellenbogen und Knien in den harten Stein gegraben, hier sehen Sie sogar den Abdruck des Gesichts und der Zähne, die sie vor Schmerz in den Stein gruben – vorausgesetzt, daß etwas Wahres daran ist. Aber so verrückt, sich freiwillig peitschen zu lassen, waren die Leute zwar früher, doch heutzutage ist so etwas nicht mehr ...«
Der Mann brach mitten im Satze ab. Er bemerkte, wie sich die drei Frauen anblickten.
»Das alles wäre für unsre Zwecke gerade wie geschaffen,« flüsterte die Fonserra.
Die alte Mestize machte eine unwillige Bewegung, ein warnendes Zischen kam über ihre Lippen.
Aber nicht, daß dem Manne durch die Worte eine Ahnung aufging, was die drei beabsichtigten, weshalb er so erschrocken abbrach, sondern es war allein der verständnisvolle Blick, den die drei Frauen wechselten, es waren ihre Augen.
Der Mann erschrak allein über die furchtbare Grausamkeit, welche er plötzlich so deutlich in den Augen, in dem ganzen Gesicht des alten, dürren, häßlichen Weibes erkannte. Es war der wollüstige Blick des Raubtieres, wenn es seine Krallen in den Wunden seines Opfers spielen läßt, sich an dessen Zuckungen weidend.
Das zarte Mädchen, welches den Schleier zurückgeschlagen hatte, sah hingegen wie verklärt aus, aber auch wieder in solch schrecklicher, unbeschreiblicher Weise. Von einer himmlischen Verklärung war das weit entfernt!
Der Agent wurde kurz entlassen, die drei Damen wollten allein sein, er könnte gleich nach Hause gehen, und der Mann dankte seinem Schöpfer, als ihn draußen wieder die warme Sonne beschien. –
Senora Fonserra hatte ihre ganze Kirche aufgelöst, alles entlassen, bis auf diese beiden vertrautesten Kammerzofen. Die Entlassung des Personals war in aller Freundschaft erledigt worden. Ihr Beichtvater erhielt eine fürstliche Rente ausgesetzt, aber keine kontraktlich ausgemachte Leibrente, sie konnte jederzeit zurückgezogen werden, und hierzu mochte ein triftiger Grund vorhanden sein. Denn, wie schon gesagt, über die viermal verheiratet gewesene Mexikanerin zirkulierten böse Gerüchte.
Die Arche Noah wurde möbliert – auffallend einfach. Die Hauptrolle spielten Seegrasmatratzen. Das Skelett reiste einmal nach Marseille und brachte große Kisten mit; den Inhalt kannte man nicht; das Skelett vermittelte auch sonst den Verkehr mit der Außenwelt, die andre Zofe ward so wenig mehr gesehen wie die Herrin.
Nun, was die vorhatte, das wußte man ja ganz genau.
Die einen sagten gleich: Da muß schnell die Polizei einschreiten! Weshalb die Polizei?
Wenn der Bogen zu straff gespannt wird, dann knackt er einmal. Das bekannteste Beispiel für den Überdruß am Reichtum dürfte John Vanderbilt sein, ein Mitglied jener Geldfamilie, ebenfalls ein Multimillionär in Dollars, welcher schon seit vielen Jahren ganz allein auf einem pennsylvanischen Berge in einer selbstgebauten Hütte lebt, er nimmt nicht einmal Briefe an, er bestellt sein Feld, bäckt sein Brot selber, flickt seine Hose selber. Und Rockefeller, der allerreichste Krösus, dessen Vermögen auf Milliarden Mark geschätzt wird, der lebt nur von Brot und Äpfeln und schüttelt seinen Strohsack selber auf. Und gerade dieser Rockefeller ist nicht geizig, er bezahlt seine Angestellten sehr gut, pensioniert sie, sorgt für ihre Frauen und Kinder. Aber für sich selbst braucht der alte Mann gar nichts mehr.
Bei der Fonserra war der Bogen auch schon lange gar zu straff angespannt gewesen. Jetzt kam der Knacks.
Das war schon immer zwischen dem Betschemel und der Sünde hin und her gegangen. Man sah es ja in ihren Augen, wie sich bei der die Sinnlichkeit mit religiösem Fanatismus paarte. Außerdem wurde sie mit jedem Tage älter und nicht schöner, ihre spitze Nase hatte einen rötlichen Anflug bekommen, je mehr sie daran herumdokterte, desto spitzer und röter wurde die Nase – kurz, jetzt war gerade die beste Gelegenheit, daß sie dem Leben Valet sagte und Buße tat, und wenn die erst einmal mit so etwas ernstlich anfing, dann war sie überhaupt zu allem, zu allem fähig. Die verhungerte langsam und geißelte sich noch dabei unausgesetzt bis in den Himmel hinein, natürlich unter der Voraussetzung, daß sie dort mit hohen Ehren empfangen würde. Die wollte aber in der Einsamkeit nicht allein sein. Die wollte Gesellschaft um sich haben. Die wollte noch bei Lebzeiten als Märtyrerin bewundert und angebetet werden.
Was konnte die nun nicht alles anfangen, wenn sie wollte! Gesetzt den Fall, sie nahm vierzig Gesellschafterinnen zu sich und setzte jeder eine halbe Million Francs aus, wenn sie eine gewisse Zeit mit ihr asketische Übungen trieben, kurz gesagt: wenn sich die Frauen und Mädchen von ihr täglich prügeln ließen, wie sie sich selbst vor ihren Augen geißelte; über die halbe Million konnten sie nach dem Tode der Priorin verfügen oder testamentarisch sofort. Da hätten sich genug gemeldet. Solche Menschen finden sich immer.
Für die Fonserra wären das 20 Millionen Francs gewesen, noch nicht einmal ihr Einkommen eines einzigen Jahres, wofür sie vierzig Menschen ihr ganzes Leben lang martern wollte, und machte eine nicht mehr mit, dann brauchte sie die Prämie nicht einmal zu zahlen! Ein billiges Vergnügen!
Ob sich da nicht bald die Polizei einmischen würde? Weshalb denn? Mit welchem Rechte? Ein richtiges Kloster würde die Mexikanerin sicher nicht gründen, dazu war dieses Weib viel zu schlau, und so etwas wie ein ewiges Gelübde ablegen, und wer es nicht hält, der wird gezüchtigt und eingesperrt, womöglich eingemauert – das gibt es natürlich auch nicht. Hier bezogen nur einige Personen gemeinsam ein Haus, und was geht es die Polizei an, was jene darin zu ihrem Vergnügen treiben? Es durfte nur keine strafwürdige Handlung geschehen und keinen öffentlichen Anstoß geben. Daß man nicht hungern und sich selbst nicht geißeln darf, darüber existiert kein Verbot, und dann darf die Sache nicht politisch gefährlich werden, und das ist der Hauptgrund, warum so viele Klöster aufgehoben worden sind, denn sonst läßt sich dieser Gewaltakt gar nicht rechtfertigen. Nur das Allgemeinwohl darf nicht gefährdet werden. Und was ist denn ein öffentlicher Anstoß? Für einen Nichtraucher ist jeder Raucher ein öffentlicher Anstoß! Nein, so ohne weiteres kann sich heutzutage die Polizei und der Staatsanwalt nicht in einen Gesellschaftsvertrag einmischen, den einige Personen freiwillig unter sich abgeschlossen haben, da muß erst ein genügender Grund vorliegen. –
Das heißt, so sprach man in Monte Carlo hin und her, und die Fonserra hatte sich noch gar nichts davon merken lassen, daß sie überhaupt so etwas beabsichtige. Aber ... es lag einmal in der Luft ... jener Agent hatte erzählt, wie er die drei Damen hatte in den Keller führen müssen ... jene Äußerung beim Anblick des Foltersteines: ›Das paßt ja gerade alles für unsre Zwecke‹ ... und überhaupt ... Sinnlichkeit, religiöser Fanatismus, Ehrsucht, Grausamkeit ... das paßt alles so zusammen!
Und richtig, da ergingen aus der Arche Noah auch schon die Einladungsbriefe: Kommen Sie herein in die gute Stube!
Als aber nun der Inhalt dieser Briefe allgemein bekannt wurde und man sah, auf welche Personen die Fonserra einzig und allein spekulierte, da schallte ganz Monte Carlo von einem unauslöschlichen Hohngelächter wider.
Der Prinz von Monte Carlo begann gerade zu jener Zeit unter den Kokotten für seine Koralleninsel zu werben, und an diese abenteuerlustigen Damen der Halbwelt waren die Briefe ergangen. An keine andern! Und was war der Inhalt der hektographierten Briefe? Es wurde etwas vorgewinselt von der gottlosen Welt und der Nichtigkeit dieses Daseins – und dann wurde die betreffende Dame eingeladen, doch mit der Fonserra in der Einsamkeit, d. h. in der Arche Noah, ein gottseliges Büßerleben zu führen.
Gut! Und was gab es für dieses gottselige Büßerleben? Welche Frage! Natürlich gar nichts! Ein gottseliges Leben kann man sich doch nicht bezahlen lassen! Das Unternehmen war gesichert, auch nach dem Tode der Priorin konnte die Geschichte ruhig weitergehen, wenn nicht hier, dann anderswo, zur Unterhaltung jeder Schwester waren jährlich 300 Francs ausgesetzt – dreihundert, nicht dreitausend – und damit basta!
Senora Chaide de la Fonserra betrieb also eine Agitation gegen den Kapitän. Anstatt eines lustigen, abenteuerreichen Jahres bot sie den Kokotten ein ganzes Leben der Entsagung in der Klosterzelle an, womöglich verbunden mit täglicher Prügel.
Ja, das wäre ja großartig gewesen, wenn ihr das gelungen wäre, da hätte sie als Bekehrerin der Sünde einen kolossalen Triumph gefeiert, aber ...
Ganz Monte Carlo hallte nochmals wider von einem einzigen Hohngelächter, und am herzlichsten stimmten die Kokotten selbst ein.
Was war denn mit dieser Mexikanerin los? War die mit einem Male verrückt geworden? Wenn sie wenigstens die schon gedachte halbe Million als Prämie ausgesetzt hätte, aber so ... es war nicht einmal wert, daß man darüber nur lachte.
Nein, da hatte sich die Fonserra verspekuliert. Allerdings hatten sich wiederum alle in der Fonserra verkalkuliert. Nein, für so dumm hätte man sie doch nicht gehalten! Das Sensationelle lag höchstens darin, wie sie nur eine solche Beschränkung herausstecken konnte! Diese Idee, den Kokotten so etwas anzubieten, die war wirklich sensationell!
»Ich gehe einmal hin, ich biete mich zum Spaß an,« lachte die grüne Eva. »Wer kommt mit?«
Gesagt, getan! Es waren gleich viele Damen dabei. Das gab einen Jux. Sie setzten eine Büßermiene auf und klopften an das Tor der Entsagung. Aber aus dem Jux wurde leider nichts. Das Skelett öffnete, und das alte Weib mochte gleich Unrat wittern, einige Damen konnten nicht einmal das Kichern unterdrücken.
Die Damen wurden gebeten, sich vorher anzumelden, sie würden dann auch noch eine besondere Einladung zu einer gewissen Stunde erhalten, jede könne nur einzeln gesprochen werden – und das Tor schloß sich wieder.
Auch noch so hochtrabend!
»Trotzdem, ich gehe einmal hin!« sagte die grüne Eva. »Ich muß wissen, was die eigentlich mit uns vorhat.«
Sie meldete sich schriftlich an, erhielt eine spezielle Einladung, fuhr hin, ging hinein und – kam nicht wieder zum Vorschein!
Ein Tag verging, noch ein Tag – die grüne Eva kam nicht wieder aus der Arche Noah heraus.
»Die ist da drinne abgemurkst!«
»Festgehalten wird sie sicher. Die ist in eine Zelle gesperrt worden, die Fonserra stellt mit ihr Experimente an.«
Als die Kokotte am dritten Tage immer noch nicht da war, wollte man gerade die Polizei veranlassen, Recherchen anzustellen – als die Vermißte wieder auftauchte.
Passiert war etwas mit ihr. Man sah es ihr gleich an. Sie sah so leidend aus, hatte dunkle Ringe um die Augen, welche so unstet flackerten, und ihr Äußeres war so unordentlich – man erkannte sie gar nicht wieder.
Natürlich wurde sie von allen Seiten mit Fragen bestürmt. Vergebens, sie antwortete nicht. Sie suchte nur ihre beste Freundin auf, mit dieser hatte sie eine lange, heimliche Unterredung, die Freundin begleitete sie in die Arche Noah und – blieb ebenfalls drei ganze Tage darin, ehe sie wieder zum Vorschein kam.
Und dann machte sie eben solch einen merkwürdigen, unruhigen Eindruck. Und nun nahm auch diese wieder eine Freundin mit hinter die Mauern, die grüne Eva ebenfalls wieder, und drei Tage später waren schon acht Kokotten hinter der Mauer der Arche Noah verschwunden. Dann kam noch eine hinzu, welche sich von selbst gemeldet hatte, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, lachend hatte sie es gesagt, sie käme ganz bestimmt sofort wieder heraus, sie ließe sich doch nicht da drin festhalten – und sie kam wohl auch wieder heraus, aber sogar erst nach fünf Tagen, und mit einem ganz andern Gesicht, mit einem ganz andern Wesen, besonders aber mit ganz andern Augen, und sie kam auch nur deshalb noch einmal heraus, um ihre Sachen zu holen, so wie es die andern schon getan hatten, die wollten alle für immer drinbleiben, und wenn sie erschienen, dann trieben sie nur Agitation, sie wollten immer mehr Damen in die Arche Noah locken, und nur auf die gefeiertesten Kokotten hatten sie es abgesehen, und jedesmal immer nur auf eine, und diese Agitation wurde ganz, ganz heimlich betrieben.
Und das schien gar kein Ende nehmen zu wollen!
»Sapristi!« hatte eines Tages der maskierte Kapitän gesagt, als er in einer Versammlung erfuhr, daß wiederum zwei Damen ihm untreu geworden, daß sie in der Arche Noah verschwunden seien, und dann blickte er in komischer Weise um sich und setzte auf deutsch hinzu: »Der blinde König dreht sich um – bin ich denn ganz allein?«
So weit war es noch nicht, aber ... die andern fanden die Sache nicht so komisch. Das Hohngelächter war schon längst verstummt. Die Fonserra hatte gesiegt.
Ja, was in aller Welt ging denn da eigentlich vor?! War es denn nur wirklich möglich? Alle diese lebenslustigen Kokotten, welche erst darüber so spotteten, blieben sofort darin, wenn sie nur einmal die Schwelle überschritten hatten! Was steckte denn da für ein Magnet in der Arche Noah? Das wurde unheimlich! Und wie sahen denn die nur immer so merkwürdig aus, wenn man sie wieder einmal zu Gesicht bekam? Was trieben denn die nur da drinnen?! –
Das Licht der Sonne sollte bald in die Arche Noah dringen und ein Bild enthüllen, welches niemand geahnt hatte.