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18. Ein Blick in die Zukunft

Man kann sich denken, welche Gefühle es waren, die sich jetzt Reihenfels' bemächtigten.

Der Fakir war kein Betrüger gewesen; seine Phantasie hatte ihm auch keine Bilder vorgegaukelt, sondern er hatte eben die Wirklichkeit in der Ferne gesehen, und zwar gerade das, was Reihenfels wissen wollte. So konnte der Mann also auch mit der größten Bestimmtheit sagen, wo sich Bega befand, was sie tat, und Reihenfels schauerte vor Entzücken zusammen, als er daran dachte, daß er sie in der nächsten halben Stunde mit Hilfe des fernsehenden Fakirs beobachten könne.

Also zu ihm, ihm Abbitte tun und ihn gleich einem Fernrohre gebrauchen! Aber halt, wie hieß denn der Mann? Ach, Reihenfels hatte nicht einmal für nötig gefunden, den vermeintlichen Betrüger nach dem Namen zu fragen, wußte nicht, wo er ihn suchen sollte.

Da hieß es schnell handeln und Erkundigungen nach ihm einziehen; denn war er ein Wanderfakir, so konnte er Delhi wieder verlassen haben. Doch heute war er sicherlich noch in der Stadt zu finden, und die Bettler und Fakire kennen sich untereinander.

Reihenfels begann zu suchen. Er wechselte sich kleine Münzen ein und wanderte durch die Straßen, keinen Platz überging er, er betrat die Vorhöfe der Moscheen, wo sich die Bettler in ganzen Reihen aufhalten, aber weder erblickte er seinen Mann, noch konnte er etwas von ihm erfahren, obgleich er freigebig Geschenke verteilte.

Es wurde Abend, und Reihenfels irrte noch immer trostlos suchend umher. Endlich hatte er ein Mittel erhalten, etwas über Bega zu erfahren, und er mußte es mit mutwilliger Hand von sich weisen! Am anderen Morgen begann er sein Suchen von neuem. Delhi ist sehr groß und weitläufig gebaut, und die Bettler des einen Viertels kennen die des anderen nicht. Endlich kam Reihenfels eine Idee, über die er sich ärgerte, weil sie so lange auf sich hatte warten lassen.

Die Bettler nahmen sein Geschenk, stellten sich sehr eifrig, kümmerten sich aber sonst nicht viel um seine Angelegenheit, wenn sie das Geld in der Tasche hatten.

Nun wählte er aus jedem Stadtviertel einen Bettelfakir mit möglichst klugem und ehrlichem Gesichte, gab ihnen kein Geld, aber versprach eine reiche Belohnung, wenn sie ihm einen Fakir brächten, dessen rechter Arm abgestorben über dem Kopfe läge, und schickte sie nach allen Richtungen aus.

Siehe da! Bald sah Reihenfels, aus dem Fenster blickend, einen der Bettler wiederkommen, und neben ihm schritt der Mann mit dem verkrüppelten Arme. Doch leider erkannte er, daß es ein anderer war, der dasselbe Gelübde getan hatte.

Ebenso brachte der zweite und der dritte je einen solchen Mann, und der vierte rückte schließlich mit einer wahren Legion von Leuten an, welche alle den rechten Arm über dem Kopfe trugen. Der Richtige war aber nicht darunter; viele hatte Reihenfels sogar im Verdacht, daß sie den Arm nur zum Scheine über den Kopf hielten, und es bestätigte sich, als sie gingen.

Sie nahmen den Arm herunter und verschwanden.

Reihenfels suchte sich den mit dem ehrlichsten Gesichte aus und vertraute sich ihm an.

Jener Fakir habe in die Ferne sehen können, und einen solchen Mann suche er nun wieder.

Der Fakir versicherte zur unaussprechlichen Freude Reihenfels sofort, derartig Begabte kenne er mehrere, und ging, einen solchen zu holen.

Ein Indier mit pfiffigem Gesicht erschien und gab sich für einen Hellseher und Wahrsager aus, ließ sich aber mit Reihenfels nicht eher ein, als bis er von ihm drei Pfund Sterling erhalten hatte. Mit diesen verschwand sein Begleiter.

Der neue Wahrsager machte es ebenso wie jener frühere. Er kauerte sich nieder, Reihenfels mußte seine Hand fassen – welche bei ihm nicht verkrüppelt war – und schloß die Augen. Nach einigen Minuten begann er zu zittern, öffnete die Augen aber nicht wieder.

Nun, die Verhältnisse, unter denen die prophetische Gabe erschien, konnte ja bei den einzelnen Menschen verschieden sein.

Reihenfels war vorsichtig genug, erst an eine andere Person zu denken, ehe er über Bega fragen wollte.

»Was siehst du?«

»Einen Mann, eine Frau und ein Kind,« war die geläufige Antwort. »An wen von diesen denkst du?« »Kannst du mir denn das nicht sagen?«

»Nein so weit bin ich in meiner Kunst noch nicht vorgeschritten.«

Reihenfels wurde mißtrauisch und beschloß, sich gleich Gewißheit zu verschaffen.

»Es ist meine Mutter, welche ich seit langer Zeit nicht gesehen habe. An die denke ich.

Beschreibe sie.«

»Ah, welch schöne Frau,« begann der Indier entzückt, »wie herrlich, die Augen, diese Nase dieser Kopf, und dieses Haar ...«

»Welche Farbe hat das Haar?«

»Es sieht aus, als ob es grau wäre. Gewiß es ist deine Mutter; wie sieht sie dir ähnlich!«

»Du irrst, meine Mutter hat tiefschwarzes Haar.«

»Richtig, jetzt sehe ich deutlich, es ist ganz schwarz; nie habe ich solch schönes, schwarzes Haar gesehen ...«

»Wie groß ist sie?«

»Sie ist nicht groß, nicht klein ...«

»Bemerkst du nicht, daß ihr das linke Ohr fehlt?«

»Natürlich, das linke Ohr fehlt ihr, aber das rechte sehe ich ganz deutlich. Welch schöne Frau, so stolz ...«

Reihenfels packte den Burschen am Kragen und setzte ihn an die frische Luft. Von den drei Pfund sah er nichts wieder.

Seit es unter den Bettlern und Fakiren bekannt geworden, daß Reihenfels einen Hellseher suche, meldeten sich noch viele Individuen, welche diese Gabe besitzen wollten; ja, er wurde von ihnen geradezu überlaufen. Er ließ es sich nicht verdrießen, sie zu prüfen, fand aber in ihnen immer Betrüger. Teils benahmen sie sich geschickt, leiteten das Experiment so ein wie jener Mann mit der toten Hand, teils machten sie erst allerlei Hokuspokus, verrenkten die Glieder und ließen sich dann mit leichter Mühe entlarven.

Reihenfels gab ihnen das Geld nicht mehr im voraus, sondern deponierte es, und dann kam niemand mehr, nur einmal noch einer, ein alter Mann mit Gliedern, die um den Körper schlenkerten, als wären sie mit Bindfäden daran befestigt. Aus seinem Blicke sprach tierischer Stumpfsinn.

Da er indes kein Geld forderte, so erweckte dies Vertrauen zu ihm. Er forderte eine große Schale mit Rum, denn in diesem würden sich die Bilder abspiegeln, die der Faringi zu sehen wünsche.

Man gab ihm die Schale mit Rum, aber kaum hielt er sie in den Händen, als er sie an die Lippen setzte und den Rum in den Schlund goß. Dann nickte er dem Faringi schmunzelnd zu und ließ sich vergnügt hinauswerfen.

Seitdem ließ Reihenfels keine hellsehende Fakire mehr vor. Er war außer sich. So nahe dem Ziele, etwas von Bega erfahren zu können, und nun diese Mißerfolge! Warum, warum hatte er dem Fakir mit der toten Hand nicht trauen oder ihn wenigstens nach Namen und Aufenthalt fragen können! Er wandte sich an Brahmanen – man wies ihn mit seiner Frage, ob es fernsehende Fakire gäbe, ab; alle europäischen Kolonisten lachten ihn aus.

Viele Tage waren schon verstrichen, als Reihenfels eines Abends auf eine seltsame Idee kam.

Jener Fakir mußte ein äußerst feines Nervensystem besitzen, um der Gedankenübertragung und sogar des Fernsehens fähig zu sein. Wäre es nun nicht möglich, daß auch ein anderer aus der Ferne auf ihn durch Gedanken und Willen wirken könnte? Es war ein kühner Schluß, aber der Versuch kostete nichts.

Den ganzen Abend dachte Reihenfels unausgesetzt und mit der angespanntesten Willenskraft an ihn, wünschte ihn herbei, und die Folge davon war, daß er dasselbe während der Nacht träumte. Er befand sich bei dem Fakir, sprach mit ihm, bat ihn um Verzeihung, weil er ihn für einen Betrüger gehalten habe, und wünschte, seine Gabe noch einmal zu gebrauchen.

Am Morgen wurde Reihenfels durch die laute Stimme seines Dieners geweckt, der einer Person den Eintritt verweigern wollte.

»Er will keinen von euch Schurken mehr sehen.«

»Aber er hat mich hierherbestellt,« entgegnete jemand.

Mit einem Satze war Reihenfels aus dem Bett, in fünf Sekunden bekleidet, er riß die Tür auf und stand dem richtigen Fakir gegenüber. Kaum konnte er sich beherrschen, den Krüppel zu umarmen.

»Ich habe von dir geträumt, du seist bei mir und fordertest mich auf, zu dir zu kommen,« begann der Fakir. »Ich träumte so lebhaft, daß ich glaubte, du begehrst mich wieder.«

Reihenfels erzählte ihm kurz seine Versuche, ihn zu finden.

»So glaubst du mir nun?« fragte der Fakir freudig.

»Ich wurde schon zwei Stunden später überzeugt, daß du die Wahrheit gesprochen hattest.

Vergib mir meinen Unglauben und die vielleicht harten Worte, die du zu hören bekamst.«

Er teilte dem Indier den Wunsch mit, noch einmal eine fremde Person beobachten zu können, und der Fakir war sofort bereit.

Die Vorbereitungen wurden wie beim ersten Male getroffen; Reihenfels konzentrierte seine Gedanken auf Bega, der Fakir schlief ein, die tote Hand wurde warm, zitterte, und die Augen verdrehten sich.

»Was siehst du?«

Nach langer Pause wiederholte Reihenfels die Frage.

»Nichts!« erklang es endlich. »Ich bin – in Nacht!«

Fast eine Viertelstunde verstrich, und der Fakir wollte nichts als finstere Nacht sehen.

»Wecke mich auf!« röchelte er dann.

Reihenfels ließ enttäuscht seine Hand los, und der Indier erwachte.

»Was sagte ich?«

»Du sähest nichts, es wäre Nacht um dich. Eine Viertelstunde wartete ich vergebens.«

»Weißt du denn, ob die Person noch lebt?«

Der Gefragte erschrak furchtbar.

»Nein, das weiß ich nicht.«

»Dann wird sie tot sein.«

Das mochte Reihenfels nicht fassen. Sollte denn seine ganze Hoffnung vernichtet sein? »Kannst du auch Tote sehen?« fragte er mit erstickter Stimme.

»Nein, das kann ich nicht, und ich danke Brahma dafür. Aber verzage noch nicht, edler Faringi! Du warst vorhin sehr aufgeregt, beruhige dich erst! Vielleicht auch ist es dort, wo sie sich aufhält, finster, und ich sehe nicht gleich, oder ein anderes Hindernis ist zwischen ihr und mir. Denke fest an sie, und habe ich die Person erst einmal gesehen, so entgeht sie mir nicht wieder.«

Reihenfels schöpfte neue Hoffnung; das Experiment wurde wiederholt.

»Was siehst du?«

»Nichts – es ist Nacht.«

Nach einer Weile jedoch legte der Fakir den Oberkörper vornüber, als wolle er mit größerer Aufmerksamkeit spähen.

»Es ist Nacht – aber – ich sehe etwas – ich weiß nicht – was es ist – ein weißer Strich – in schwarzer Nacht.«

»Ein weißer Strich?«

»Ja – er ist weiß – er beginnt – zu leuchten – es wird – immer heller – um ihn herum – es ist – eine Flamme – aber sie gibt – nur wenig Licht – es ist kalt hier – hu – wie mich friert!« Der Fakir schauderte wie im Frost zusammen. Dies alles war für Reihenfels völlig unverständlich. Ein weißer Strich in der Nacht? Eine Flamme? Es war kalt dort? Plötzlich nahm das Gesicht des Fakirs einen Ausdruck grenzenlosen Erstaunens an.

»Ich höre – ich höre wirklich – seit wann kann ich hören?«

»Was hörst du?«

»Es singt – es pfeift – es heult – was ist das?«

»Siehst du einen Menschen?«

»Nein – keinen Menschen – es ist noch Nacht – und der weiße Strich – leuchtet nur schwach – und dieser singt so – er pfeift – es ist eine Flamme – ein Feuer – und es ist doch keins.«

Reihenfels wußte sich die seltsame Vision nicht zu deuten.

»Ein Mensch wird singen.«

»Nein – die Flamme singt – oder pfeift – sie sieht aus – als wäre sie ein Strich – und es ist – so kalt.«

»Siehst du denn sonst nichts?«

Nach langem Warten begann er wieder mit sichtlichem Zagen.

»Ja – ich sehe – es sieht – häßlich aus – eine Höhle – überall – dunkle Wände – und dort hinten – ein Haufen Knochen – von Menschen und Tieren – dort auch – und dort – alles mit Menschenknochen – bedeckt – und in der Mitte – die singende Flamme – nein – es ist ein weißer Strich – er schraubt sich in die Höhe – er verschwindet – in einem Loche – an der Decke – und er pfeift.«

»Siehst du denn keinen Menschen?«

»Ja – es kommt jemand – er trägt –«

»Beschreibe den Menschen erst,« drängte Reihenfels hastig.

»Denke an ihn – fest – so – es ist ein Weib – ein Mädchen – sie ist jung – schön schwarze Locken – schwarze Augen – sie sieht traurig aus –«

»Sie ist es, es ist Bega!« jauchzte Reihenfels auf.

»Sie hat – in der einen Hand – ein Gewehr – es ist alt – sehr alt – und verrostet – mit der anderen Hand – schleift sie – ein Tier – hinter sich her – es ist – eine Antilope – ein Kalb –«

»Wie ist sie gekleidet?«

»–ein brauner Mantel – zerrissen – darunter – glitzert es – es ist – wie ein Panzerhemd –«

»Es ist Bega, sie lebt!« wiederholte Reihenfels mit vor Freude überströmendem Herzen.

»Was tut sie jetzt?«

»Sie hat – ein Scheit Holz – in der Hand – hält es – in den weißen Strich – es brennt –sie entzündet – einen Holzstoß – nun ist es – ganz hell.«

»So kannst du sehen. Wo befindet sie sich?«

»Es ist – eine Höhle – alles Wände – kein Ausgang – überall Menschenknochen – Totenschädel.«

»Wie sieht die Umgebung dieser Höhle aus?«

»Das – weiß ich nicht.«

Da hätte Bega die Höhle verlassen müssen, damit der Fakir ihr folgen konnte; aber sie tat es nicht, sie bereitete sich eine Mahlzeit. Reihenfels wartete wohl eine halbe Stunde, dann wollte er den Fakir wecken, weil dieser sichtlich ermattet wurde.

»Kannst du mir sagen, wie weit die Höhle von hier entfernt ist?« fragte er erst noch.

»Nein – das kann ich nicht.«

Er weckte ihn. Der Fakir war wie in Schweiß gebadet und durch die lange Anstrengung äußerst erschöpft.

Während er sich erholte, ging Reihenfels im Zimmer auf und ab und überlegte.

»Willst du noch einmal beginnen?« fragte er dann. »Sahib, du strengst mich zu sehr an.«

»Aber ich muß wissen, wo sich die Höhle befindet, in der sich das Mädchen aufhält. Sie verließ sie noch nicht.«

»Indien ist groß, und warum willst du die Lage dieser Höhle, von der du sprichst, wissen?«

»Warum? Weil ich das Mädchen dort suchen will.«

Der Fakir lächelte überlegen.

»Sahib, du würdest mich unnötig anstrengen. Wenn du das Mädchen finden sollst, so wirst du es finden; soll es nicht geschehen, so kannst du nichts daran ändern.«

»Ah so, du glaubst an ein Verhängnis!«

»Es gibt auch eins, das über uns und selbst über den Göttern waltet.«

»Nun gut. Du besitzt die Gabe, auch in die Zukunft zu sehen. So sage mir, ob, wo und wie ich das Mädchen wiedersehe.«

Der Fakir schien zu erschrecken und zögerte.

»Ich kann es, Sahib, doch ich habe Mitleid mit dir. Du bist ein edler und guter Mensch, ich will dich nicht unglücklich machen. Lüfte den Schleier nicht, den Brahma vor die Zukunft gehängt hat.«

»Er kann mir Gutes enthüllen.«

»Das Gute ist nur in der Nirwana, die Erde beherrscht das Böse. Du würdest unglücklich sein so lange, bis du die geschilderte Zukunft hinter dir hast.«

»Trotzdem, ich will sie sehen. Ich verspreche dir, dich bei Siwas Priestern mit einer goldenen Schlange auszulösen.«

Der Fakir erklärte sich schließlich bereit. Reihenfels sollte an ein Wiedersehen mit jener Person denken. Gab es ein solches, dann würde der Fakir es ihm schildern.

Das Zittern wurde stärker als früher, auch sprach er schneller.

»Es ist Wald – und Gebirge. Ich sehe vier Männer, darunter dich – das Mädchen noch nicht –«

»Beschreibe die anderen vier Männer,« sagte Reihenfels schnell, denn er wollte möglichste Klarheit haben.

»Der neben dir ist ein junger, schöner Man, schlank und kräftig gebaut, schwarze Locken, feurige, Blitze schießende Augen. Er hat auf dem Kopfe einen breiten Filzhut, am Gürtel ein Revolverfutteral, seine Stiefel sind gelb und sehr, sehr lang, sie reichen ihm bis an den Leib hinauf. Der andere Mann hat rote Haare, ist klein, breitschultrig, mit rotem Bart. Der dritte hat einen ganz komischen, langen Rock an, er sieht aus, als bestände er aus lauter großen Würfeln. Er ist lang und hager, links und rechts im Gesicht einen großen, blonden Bart, am Kinn und an den Lippen keinen.«

»Das sind Mister Bulwer und August,« staunte Reihenfels. »Weiter, was geschieht nun?«

»Ihr geht vorwärts, sprecht zusammen, steigt über Baumwurzeln und Felsgeröll. Dort kommt sie, das Mädchen aus der Höhle, sie stutzt, sie will fliehen. Du winkst ihr, läufst, rennst hin; sie bleibt stehen. Der Mann in dem gewürfelten Mantel hebt sein Gewehr, legt an, zielt nach dem Mädchen, ich sehe Pulverrauch aufsteigen, das Mädchen stürzt ...«

»Halt ein,« rief Reihenfels, »das ist nicht möglich!«

»Das Mädchen stürzt hin,« wiederholte der Fakir, »der Mann im gewürfelten Mantel hat sie erschossen. Der andere mit den schwarzen Locken hebt die Faust gegen ihn auf, er schlägt ihn zu Boden. Der Mann bleibt liegen – – –«

»Und ich?« fragte Reihenfels atemlos.

»Du eilst zu der Gefallenen, kniest neben ihr nieder, beugst dich über sie, du ringst die Hände und – – –«

Der Fakir brach plötzlich ab.

»Und was dann?« fragte Reihenfels mit gepreßter Stimme. »Du ringst die Hände, du bist deinem Gesicht nach wie verzweifelt – das Mädchen ist tot – du ringst die Hände, und – – – alles ist steif, niemand bewegt sich mehr.«

»Es muß doch noch etwas kommen.«

»Nein; still, wie aus Steinen gehauen, steht alles da und wird sich nicht mehr bewegen; wecke mich, Sahib!«

Diese Beschreibung von Begas Tod hatte allerdings Reihenfels' Herz tödlich getroffen.

Seine einzige Zuflucht lag darin, daß er dieser Prophezeiung keinen Glauben schenkte.

»Weißt du, was du mir erzählt hast?« fragte er den erweckten Fakir.

»Nein, Sahib.«

Er teilte es ihm kurz mit.

»Was ich gesehen habe, wird geschehen, ganz ebenso, und du kannst es nicht ändern. Das Verhängnis will es.«

»Aber warum fährst du nicht fort? Du läßt die Traumgestalten sich plötzlich nicht mehr bewegen, sie ständen wie steinerne Bilder unbeweglich da.«

»Kann ich dafür, Sahib? Es wird seinen Grund haben.«

»Sie müssen sich doch noch einmal bewegen.«

»Ich will wieder einschlafen, vielleicht sehe ich diesmal mehr.«

Der wieder in Schlaf gesunkene Fakir erzählte ganz genau denselben Vorgang wie vorhin, auf Reihenfels' Fragen hin noch ausführlicher, und behauptete auch jetzt wieder, in dem Augenblick, da Reihenfels neben der regungslos am Boden liegenden Bega niederknie, stände alles wie erstarrt da. Die Menschen bewegten sich nicht mehr, die Blätter der Bäume wären steif, ja, eine Quelle sei plötzlich zu Eis geworden.

Etwas anderes sagte der Fakir nicht aus, obgleich Reihenfels wohl eine Viertelstunde wartete. Das Bild, welches der Indier beschrieb, war immer das gleiche: das Mädchen lag tot da; neben ihr, halb über sie gebeugt, kniete Reihenfels mit gerungenen Händen, Verzweiflung in den Zügen; ebenfalls am Boden lag, Arme und Beine von sich gestreckt, der Mann im gewürfelten Überzieher – Mister Bulwer; neben ihm stand, die Faust noch zum Schlage erhoben, mit vor Zorn funkelndem Auge, der Mann in den langen, gelben Stiefeln – diesen kannte Reihenfels nicht; nicht weit davon stand August, wie im Schrecken beide Arme zum Himmel aufhebend. Alle waren wie zu Salzsäulen erstarrt und wollten sich auch nicht wieder bewegen.

Was sollte Reihenfels davon denken? »Wecke mich, ich sterbe sonst!« wimmerte der Fakir.

Von seinem Gesicht flossen dicke Schweißtropfen herab, er brach fast in der hockenden Stellung zusammen.

Nachdem er geweckt worden, bedurfte es langer Zeit, ehe er sich erholt hatte. Reihenfels schritt einstweilen aufgeregt im Zimmer auf und ab. Der Tod Begas war ihm verkündet worden oder wenigstens ihr Hinstürzen nach dem Schusse aus dem Gewehre des Engländers.

Sollte er daran glauben? Nein und abermals nein, es gab kein blindes Walten des Zufalls.

Der Fakir konnte wohl in die Ferne sehen und schildern, was zur Zeit geschah, aber nicht in die Zukunft blicken. Er täuschte sich selbst.

Was sollte das, daß sich die Menschen mit einem Male nicht mehr bewegen wollten? Er schilderte den sonderbaren Schluß der Vision dem Fakir.

»Es ist so, wie ich schon vorhin glaubte,« entgegnete dieser mit schwermütigem Kopfnicken. »In jenem Augenblick, da du händeringend neben der Leiche des Mädchens knien wirst, wird meine Seele den Körper verlassen, und über meinen Tod hinaus kann ich nicht weissagen, dann bleibt das Bild immer dasselbe. Es ist mir schon einmal Ähnliches passiert.«

»Was sprichst du von einer Leiche?« fuhr Reihenfels ihn unwillig an.

»Herr, zürne mir nicht! Du erzähltest mir, was ich im Traume gesehen und gesagt habe.

Vielleicht ist das Mädchen nicht tot.« »Das wollen wir hoffen. Ich glaube auch gar nicht daran.«

»Du zweifelst noch immer, hältst mich noch immer für einen Betrüger?«

»Nein, das nicht. Aber dem Menschen ist die Zukunft verschlossen, sie ist überhaupt nicht vorausbestimmt.«

»Ich habe dich gewarnt, in die Zukunft zu blicken,« entgegnete der Fakir feierlich, »du wolltest nicht hören. Du wirst nun sehen, daß sich alles erfüllen wird. Dem Verhängnis entflieht man nicht, ebensowenig wie dem Tode.«

»Wohlan, ich trotze diesem Verhängnis. Ich glaube, daß du in die Ferne, aber nicht in die Zukunft schauen kannst. Wann würde sich denn die geschilderte Szene abspielen?«

»Dies anzugeben bin ich nicht fähig. Du könntest es aber dadurch erfahren haben, daß du mich fragtest, ob die Personen, welche du kennst, älter aussahen, als sie jetzt sind.«

»Das habe ich freilich unterlassen, du mußt es mir noch sagen.«

»O Herr, verschone mich, ich bin furchtbar angegriffen!«

»Eins aber muß ich noch erfahren, ich will es dir lohnen. Wie werde ich jene Höhle, in welcher du die seltsame Flamme und das Mädchen zum ersten Male sahest, auffinden? Kannst du mir den Schlüssel dazu geben?«

»Warum willst du das wissen? Wenn du dorthin gelangen sollst, um das Mädchen zu finden, so wirst du es sowieso.«

»Ich glaube aber nicht an ein Verhängnis.«

»Dann brauchst du erst recht nicht in die Zukunft zu blicken.«

Der Gaukler hatte recht, Reihenfels wurde ganz irre. Gar zu gern hätte er an die prophetische Gabe des Indiers geglaubt, weil ihm aber das Geschilderte nicht mehr paßte, wollte er nun nicht daran glauben.

»Ich will es trotzdem erfahren. Versetze dich noch einmal in den Schlaf und sage mir, bei welcher Gelegenheit ich erfahren werde, wo ich die Höhle mit dem singenden Licht oder wo ich Bega suchen soll. Kannst du das?«

»Gewiß. Aber ich tue es zum letzten Male. Denke deinen Wunsch recht fest, ich schlafe nochmals ein.«

»Was siehst du?« fragte Reihenfels, als der Fakir wieder in Verzückungen gefallen war.

»Ich sehe dich – du reitest – neben dir ein anderer Reiter – auf einem schwarzen Pferde –«

»Beschreibe den anderen.«

»Er ist jung – schlank – schwarze Locken – feurige Augen – lange, gelbe Stiefel – sie reichen ihm bis an den Leib hinauf – breiten Hut–«

»Wieder derselbe, den ich gar nicht kenne. Wer könnte das sein? Beschreibe ihn genauer.«

»Er hat keinen Bart – gar keinen – edle, schöne Züge – jetzt lächelt er – ihr sprecht zusammen – sein Pferd tänzelt – er reitet sehr gut – so sicher – so leicht –«

»Genug von ihm, ich kenne ihn nicht. Wo sind wir?«

»Am Ufer eines Stromes – ihr reitet durch Schilfgegend – durch kleine Haine – in der Ferne Wälder –«

Der Fakir machte eine lange Pause.

»Jetzt taucht eine Hütte auf,« fuhr er dann fort, »sie ist aus Schilf – liegt unter einer Dattelpalme – ihr haltet – steigt vom Pferd – ein alter Mann begrüßt euch – er hat einen langen, weißen Bart – er sieht ehrwürdig aus wie ein Brahmane – tretet in seine Hütte – sprecht mit ihm–«

Der Fakir hörte auf zu erzählen, begann auch nicht wieder. Ein furchtbares Zittern befiel ihn.

»Herr, weckt mich, oder ich sterbe!« wimmerte er.

Reihenfels teilte ihm nach dem Erwachen mit, was er ausgesagt hatte.

»So wirst du dort erfahren, wo du das Mädchen suchen sollst. O, Sahib, mir ist, als müsse ich sterben.« »Und du glaubst an ein Verhängnis? Sagtest du nicht selbst, du würdest erst sterben, wenn jener Zeitpunkt eintritt, da ich das Mädchen wiedersehe?«

»Ich kann wohl jetzt sterben, doch die Seele würde erst dann den Körper verlassen, wenn es im Buche des Lebens –«

Verzeichnet steht, wollte er sagen, brachte es aber nicht mehr hervor, weil er ohnmächtig zu Boden sank.

Jetzt wurde Reihenfels besorgt. Er ließ den Mann in ein anderes Zimmer auf ein Lager tragen, untersuchte ihn, und als er nur eine dem Manne wahrscheinlich wohltätige Ohnmacht konstatieren konnte, überließ er ihn der Pflege einiger Indier, die ihn zu behandeln wußten.

Er selbst ging in sein Zimmer zurück und vergegenwärtigte sich das Gehörte.

Sollte er daran glauben? Nein und abermals nein, es konnte nicht sein, daß man in die Zukunft sehen durfte. Aber der Fakir hatte recht, man sollte nicht so vermessen sein und auch nur den Versuch machen, den geheimnisvollen Schleier derselben zu lüften, denn man beschwor sein eigenes Unglück herauf.

Wie ein drohendes Gespenst trat immer wieder der Gedanke an Reihenfels heran: Und wenn es nun doch wahr wäre? Wenn sich nun das alles erfüllte? Er sollte an der Leiche Begas knien.

Aber nein, von einer Leiche hatte der Fakir nicht gesprochen, sondern nur davon, wie Bega nach dem Schusse zusammengebrochen sei.

Dies ist der Strohhalm, an dem ich mich wie ein Ertrinkender klammere, sagte Reihenfels zu sich selbst. – – Ach was, es gibt überhaupt kein Verhängnis, der Fakir ist ein Schwarzseher.

Wie Reihenfels so am Fenster stand, eine Beute der widerstreitenden Gedanken, erweiterten sich plötzlich seine Augen.

Die Straße herauf kam ein schwarzes Pferd gesprengt, und auf dem Rücken saß in der elegantesten Haltung ein schöner, junger Mann in geschmackvollem Jagdkostüm. Der breite Filzhut beschattete das bartlose Gesicht mit dem spöttischen Zuge um den Mund, die langen, gelben Jagd- und Reitstiefel reichten ihm bis an den Leib hinauf.

Reihenfels glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen.

Das war der Mann, von dem der Fakir in seiner Verzückung erzählt hatte, ganz genau so war er beschrieben worden, und Reihenfels kannte ihn auch – es war Doktor Morrison, der Missionar und Dolmetscher, welcher ihm hatte Bega antrauen sollen.

Und es kam noch viel wunderbarer.

Der Reiter grüßte zu Reihenfels hinauf, parierte sein Pferd mit einem Ruck, sprang mit der Gewandtheit eines Parforcereiters aus dem Sattel, warf die Zügel einem herbeispringenden Diener zu und eilte in den Hausflur.

Reihenfels hörte den sporenklirrenden Schritt den Gang heraufkommen und wußte, daß der Besuch ihm galt.

Er war nicht fähig, auf das Klopsen zu antworten, so hatte ihn dieses Zusammentreffen überrascht.

Morrison klopfte noch einmal und trat dann ein. Mit herzlichem Gruße streckte er Reihenfels die Hand entgegen; seine Augen nahmen aber einen besorgten Ausdruck an, als er in dessen Gesicht blickte.

»Was fehlt Ihnen, Mister Reihenfels? Sie sehen leidend und angegriffen aus, und mich blicken Sie an, als sei ich ein Gespenst.«

»Wirklich wunderbar!« murmelte Reihenfels.

»Lieber Freund,« sagte Morrison, die Reitpeitsche auf den Tisch werfend und Reihenfels' beide Hände erfassend, »verzeihen Sie mir, daß ich Sie so freimütig anrede – Ihr Schicksal, dem ich leider keine günstige Wendung zu geben vermochte, hat mir Teilnahme eingeflößt, ich fühlte mich mächtig zu Ihnen hingezogen. Seit unserer ersten Begegnung habe ich Sie nicht aus den Augen gelassen, ich wollte Sie vor einigen Tagen nach dem Frühstück sprechen, Sie entzogen sich mir aber durch eine hastige Flucht. Hatte Ihnen die Depesche eine traurige Kunde gebracht?«

»Gott sei Dank, nein, aber eine merkwürdige, die mich erschütterte. Doktor, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt,« zitierte Reihenfels.

Morrison lächelte.

»Es ist nämlich in Delhi schon bekannt geworden, was Sie seit einigen Tagen aus dem Kasino und aus Freundeskreisen fernhält. Sie suchen einen Fakir, der Ihnen die Zukunft offenbart.«

»So ist es,« gestand Reihenfels, »und ich habe ihn gefunden.«

»Er hat Ihnen die Zukunft gezeigt.«

»Ja.«

»Und Sie glauben ihm?«

»Ich muß. Es hat sich schon einiges erfüllt.«

»Zufall, lieber Freund.«

»Glauben Sie an ein Fernsehen?«

»Ja, ich wurde gläubig.«

»An ein Zukunftssehen?«

»Nein. Auch ich beorderte einst einen Fakir. Er lieferte mir vom Fernsehen überraschende Beispiele; ich ließ mir die Zukunft offenbaren, einiges erfüllte sich auch wirklich, aber nur das Nebensächliche. Die Hauptsache gestaltete sich total anders.«

Wie eine Zentnerlast fiel es von Reihenfels' Herzen.

»Doktor, Sie sagen mir das nicht nur um mich aus einem Wahn zu reißen? Es ist wahr?«

»Auf mein Ehrenwort.«

»Dann danke ich Ihnen, Sie befreien mich von einer großen Bürde.«

»Der Dichter hat allerdings ganz recht, wenn er sagt: ›es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt.‹ Aber ein unwissender, in Aberglauben versunkener Fakir könnte sie uns jedenfalls nicht offenbaren.«

»Daraufhin,« entgegnete Reihenfels, »könnte ich Ihnen mit Lukas antworten: Ich preise dich, Gott, daß du solches verborgen den Weisen und Klugen, und hast es offenbart den Unmündigen.«

»Dieses Zitat, lieber Herr – es ist der 21. Vers im 10. Kapitel Lucä – paßt nicht hierher, denn es bezieht sich auf den Glauben, nicht auf Tatsachen. Ich bitte Sie indes, lassen wir dies Thema fallen.«

»So wurden Sie nur von der guten Absicht zu mir geführt, mich aus einem Wahne zu reißen? In der Tat, es ist Ihnen gelungen, und ich danke Ihnen sehr dafür.«

Morrison setzte sich bequem auf einen Stuhl und streckte die Beine von sich.

»Meine Absicht war, Sie auf andere Gedanken zu bringen. Wären Sie nicht der Mann der Sie sind, ich hätte es diplomatischer angefangen, doch bei Ihnen dünkte mir Offenheit das Beste. Trotzdem führte mich noch etwas anderes her, was auch Sie interessieren und Ihren Gedanken eine andere Bahn geben wird. Sie sind ein Kenner der Sprachen Indiens, und zwar ein vorzüglicher; ich habe von Ihnen nicht nur gehört, sondern auch gelesen.«

»Mein Vater gilt als anerkannte Autorität darin; ich habe seine Neigung geerbt.«

»Sie sind zu bescheiden, Sie haben schon wichtige Aufschlüsse über die toten Sprachen Indiens geliefert. Auch ich beschäftige mich viel mit diesen, wenn auch nur als Dilettant.

Mein Feld erstreckt sich auf die neueren Sprachen Indiens und des nördlichen Asiens, weil ich als Missionar für China ausgebildet wurde. Jetzt bin ich Missionar ohne Land und Leute und von der Regierung als Dolmetscher angestellt. Nun zur Hauptsache; kennen Sie die Pali-Sprache?« »Sie ist eine Tochtersprache des Sanskrit, das heißt gewesen, aus ihr entwickelte sich das Prakrit, das ebenfalls ausgestorben, in dem wir aber noch viele Inschriften haben. Auch die im dritten Jahrhundert vor Christi verfaßten Inskriptionen des Asoka sind in Prakrit geschrieben.«

»Und das Pali?«

»Diese Sprache ist uns nicht überliefert worden. Im britischen Museum zu London sind zwei Pergamentrollen, mit Sanskrit-Buchstaben beschrieben, aber in einer Sprache, die wir nicht kennen. Der Bearbeitung nach mögen die Rollen aus dem fünften Jahrhundert vor Christi stammen, und man vermutet, daß sie in Pali abgefaßt sind. Sie bieten jedoch keine ausreichende Unterlage, daß man nach ihnen ein Schema oder gar eine Grammatik aufstellen könnte.«

»Dies alles ist auch mir bekannt. Nun habe ich erfahren, daß ein Mann existiert, welcher die Kenntnisse in der Pali-Sprache besitzt.«

»Das wäre!« rief Reihenfels und sprang hastig auf.

Seine bleichen Wangen hatten sich vor Begeisterung gerötet; hier war er in seinem Elemente.

»Es gilt erst,« fuhr Morrison fort, »uns zu überzeugen, ob dies auf Wahrheit beruht. Leicht kann es auch eine andere, schon bekannte Sprache sein. Gegebenenfalls nun, es wäre Pali, würden Sie, Mister Reihenfels, mein Mitarbeiter sein?«

»O, Doktor, Sie sind zu großmütig.«

»Durchaus nicht,« lächelte dieser, »vielmehr eigennützig; ich bin in den toten Sprachen doch nicht sattelfest genug, und erst alle zu lernen, dazu habe ich keine Lust. Schließlich quäle ich mich auch mit der Sprache ab, die ich für die Pali-Sprache halte, und zuletzt stellt sich heraus, daß es eine schon ganz bekannte ist.«

»Gut, ich nehme Ihren Vorschlag dankend an. Wer ist der Besitzer dieses vermeintlich wertvollen Buches?«

»Ein alter Brahmane, der einige Meilen von Delhi entfernt in einer Hütte ein beschauliches Dasein führt.«

Wie Schuppen fiel es Reihenfels von den Augen; neue Beklemmung befiel sein Herz.

Kein Zweifel, dies war die Hütte des Brahmanen, von dem ihm der Fakir prophezeit. Dort sollte er erfahren, wo sich die Höhle befände, und der Mann mit den gelben Stiefeln, sollte ihn dorthin begleiten.

Es war wunderbar.

»Was ist Ihnen? Sie sehen so verstört aus.«

Reihenfels beschloß, seine Gedanken für sich zu behalten. Doktor Morrison war doch ein Ungläubiger.

»Nichts, ich bin nur von dem Unternehmen begeistert. Wann können wir aufbrechen?«

»Sofort. Der Weg ist frei und sicher, ich habe mir die Lage der Hütte genau beschreiben lassen. Wenn Sie bereit sind, so kleiden sie sich zu dem Ritt an, während ich für einigen Proviant Sorge trage.«

Reihenfels erklärte sich einverstanden, Morrison ging, nachdem sie einen Zusammenkunftsort ausgemacht hatten.

Ersterer griff sich an die Stirn. Vergebens bäumte er sich dagegen auf, an ein Verhängnis, das notwendig eintreten mußte, und an die prophetische Gabe des Fakirs zu glauben.

Da kam der Mann in den gelben Stiefeln; da tauchte schon vor seinen Augen die Schilfhütte des Brahmanen auf. Ja, wenn sie nur aus rohen Baumstämmen oder Zweigen bestand, dann wollte er ungläubig werden.

Nun, er würde ja sehen.

Der Fakir hatte sich erholt. Reihenfels ließ sich von ihm den Namen und den gewöhnlichen Aufenthaltsort angeben und versprach, ihn bei den Priestern Siwas durch eine goldene Schlange auszulösen. Dann traf er Vorbereitungen zum Ausfluge.


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