August von Kotzebue
Die deutschen Kleinstädter
August von Kotzebue

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Vierter Akt

Die Straße vor dem Hause des Bürgermeisters. Dem gegenüber das Haus seines Bruders, von mehrern Stockwerken; in der Dachstube Sperlings Wohnung. Vor diesem letztern Hause steht ein Laternenpfahl mit einer Laterne, die aber nicht brennt. Es ist Nacht, doch sieht man noch Licht in beiden Häusern.Anmerkung. Die Häuser müssen herauswärts, gleich an die erste oder zweite Kulisse gebaut sein, so daß die Bühne dadurch etwas verengt wird und die aus den Fenstern Schauenden von dem Zuschauer en face gesehen werden. Der Laternenpfahl kann sodann etwas mehr zurückstehn.

Erste Szene

Olmers (allein).
(Er kömmt aus dem Hause.)
Dem Himmel sei Dank, daß die Menschen in kleinen Städten wenigstens früh schlafen gehn. Bin ich doch den ganzen Tag nicht Herr einer Minute gewesen. Das fragt, das komplimentiert, das schnattert unaufhörlich; will alles wissen und weiß doch alles schon besser. Keinen Augenblick lassen sie den lieben Gast allein; auf jedem Schritt und Tritt schleichen sie ihm nach. Er muß essen ohne Hunger, trinken ohne Durst, sich setzen ohne Müdigkeit; ihre Wunderwerke sehen, ihre Stadtklatschereien hören und alles loben und preisen. Gern wollt' ich's ertragen um den Besitz der Geliebten! aber noch lächelt mir keine Hoffnung, und nicht einmal ein Gespräch unter vier Augen hat mir bis jetzt den langweiligen Zwang versüßt. Hieher wollte sie kommen, wenn alles still im Hause wäre. Sie wird doch Wort halten?

Zweite Szene

Sabine und Olmers.

Sabine (die aus dem Hause schlich, klopft ihm auf die Schulter). Ja, lieber Zweifler, sie hält Wort.

Olmers. Endlich, bestes Mädchen! endlich sind wir allein! und ich darf Ihnen einmal wieder recht herzlich sagen –

Sabine. Was denn? Alles, was Sie mir zu sagen haben, weiß ich schon längst.

Olmers. Aber ich muß ja die Augenblicke stehlen –

Sabine. So seid ihr alle. Der Liebhaber findet nie Zeit genug, das tausendmal Gesagte tausendmal zu wiederholen. Der Ehemann hingegen dürfte plaudern den ganzen Tag, aber der geht im Zimmer auf und nieder und brummt.

Olmers. Ich will nicht hoffen –

Sabine. Daß Sie es auch so machen werden? nein, das hoff ich auch nicht. Aber wahr bleibt es doch immer: Liebhaber und Lerchen singen nur im Frühling, und man muß noch froh sein, wenn sie im Herbst nicht gar davonziehn.

Olmers. Ich schwöre Ihnen –

Sabine. Schwören Sie nur nicht zu laut. Wir sind hier von ein paar Dutzend Ohren umringt. Dort ist meines Vaters Schlafzimmer, er hat noch Licht. Hier wohnt die Großmutter, die singt gewiß noch ihr Abendlied. Da gegenüber der Oheim, der blättert noch in seinen Romanen; und oben im Dachstübchen Herr Sperling, macht wohl gar noch ein Sonett auf mich. Ferner wird es nicht lange währen, so kömmt der Nachtwächter mit dem Horn und der Feuerwächter mit der Schnarre.

Olmers. Allerliebst. Vermutlich wird auch die Laterne da bald angesteckt?

Sabine. Nein, das nicht. Wir haben Mondschein.

Olmers. Erst gegen Morgen.

Sabine. Tut nichts. Er steht doch im Kalender, und da befleißigen wir uns einer weisen Sparsamkeit.

Olmers. Freilich, bei dem herrlichen Steinpflaster –

Sabine. Spotten Sie nicht, und sein Sie froh, daß Sie mit einer geschundnen Nase davongekommen sind.

Olmers. Aber, liebes Mädchen, auf meinem Zimmer wären wir ja weit ruhiger, weit ungestörter gewesen?

Sabine. Meinen Sie? o ja. Schade nur, daß es in Krähwinkel nicht Sitte ist, daß die jungen Mädchen zu ihren Liebhabern auf die Stube gehn. Hier auf der Straße befinde ich mich gleichsam in der Obhut aller meiner Verwandten.

Olmers. Und können im Notfall den Nachtwächter zu Hülfe rufen.

Sabine. Allerdings, mein Herr.

Olmers. Ich hätte geglaubt, als meine Braut –

Sabine. Das bin ich noch nicht, und wenn Sie fortfahren, sich so albern aufzuführen, so möchte ich's auch wohl schwerlich jemals werden.

Olmers. Albern? wieso?

Sabine. Welcher Satan hat Ihnen eingegeben, meine Großmutter Madam zu nennen? Sie ist Frau Untersteuereinnehmerin, merken Sie sich das.

Olmers. Nun ja, morgen soll sie es wenigstens dreihundertmal hören.

Sabine. Je mehr, je besser. Und warum aßen Sie denn diesen Abend keinen Bissen?

Olmers. Weil ich satt war.

Sabine. Gleichviel. Das ist ein schlechter Liebhaber, der seinem Mädchen zuliebe nicht einmal einer Indigestion Trotz bietet.

Olmers. Gut, ich will essen, wie der berühmte Paul Butterbrot.

Sabine. Und warum gähnten Sie immer, als mein Vater den langen Prozeß erzählte?

Olmers. Eben weil er so lang war.

Sabine. Hilft nichts. Muß ruhig und aufmerksam angehört werden.

Olmers. Aufmerksam? wenn Sie mir gegenübersitzen?

Sabine. Konnten Sie doch, mir gegenüber, recht stattlich gähnen. Und waren Sie denn ganz rasend, als mein Oheim seine Lesebibliothek auskramte, zu sagen, es sei lauter Schofel?

Olmers. Ja, es ist lauter Schofel, nichts als Räuber, Banditen, romantische Dichtungen und fromme Almanache.

Sabine. Was geht das Sie an? Wir glauben nun einmal Geschmack zu besitzen. Wir sind erhaben über die gemeine Menschennatur. Wir lesen Wieland und Engel nicht mehr.

Olmers. Nun wohl, morgen will ich die Kraftgenies loben, noch ärger als sie sich selbst.

Sabine. Das möchte Ihnen schwer werden, aber versuchen Sie es.

Olmers. Um Ihren Besitz wag ich das Schwerste.

Sabine. Mit alledem werden Sie doch noch nicht zum Ziele gelangen. Es fehlt Ihnen noch ein Haupterfordernis.

Olmers. Das wäre?

Sabine. Ein Titel, lieber Freund, ein Titel! Ohne Titel kommen Sie in Krähwinkel nicht fort. Ein Stück geprägtes Leder gilt hier mehr als ungeprägtes Gold. Ein Titel ist hier die Handhabe des Menschen, ohne Titel weiß man gar nicht, wie man ihn anfassen soll. Hier wird nicht gefragt: hat er Kenntnisse? Verdienste? sondern: wie tituliert man ihn? Wer nicht zwölf bis fünfzehn Silben vor seinen Namen setzen kann, der darf nicht mitreden, wenn er es auch zehnmal besser verstünde. Die Titel nehmen wir mit zu Bette und zu Grabe, ja, wir nähren eine leise Hoffnung, daß einst an jenem Tage noch manches Titelchen aus der letzten Posaune erschallen werde. Kurz, mein schöner Herr, ohne Titel bekommen Sie mich nicht. Meine Großmutter wird es nimmermehr zugeben, daß der Prediger beim feierlichen Aufgebot nichts weiter zu sagen haben solle, als: der Bräutigam ist Herr Karl Olmers.

Olmers. Wie aber, wenn ich mir schon ein ganz feines Titelchen verschafft hätte?

Sabine. Haben Sie? nun, dann sind wir ja über alle Berge. Warum sagten Sie das nicht gleich?

Olmers. Ich wußte ja nicht –

Sabine. Ei, das hätten Sie wissen sollen und müssen. Glauben Sie denn, die Titelpest grassiere nur hierzulande? C'est partout comme chez nous. – Stille! ich höre ein Geräusch. Es ist Sperlings Dachfensterlein. Er wird uns doch nicht belauscht haben?

Dritte Szene

Sperling am Fenster. Vorige.

Sperling.

                Holla! Holla! tu auf mein Kind!
Schläfst, Liebchen, oder wachst du?
Wie bist noch gegen mich gesinnt?
Und weinest oder lachst du?

Sabine (leise). Das ist wohl gar eine Apostrophe an mich?

Sperling. Dort sind die lieben Fensterlein, hinter welchen die Holde weilt. Alles dunkel und finster. Vielleicht haben die sieghaften Äuglein sich bereits geschlossen.

Sabine. Hören Sie, mein Herr? sieghaft.

Olmers. Er sagt mir nichts Neues.

Sperling. Zarte Melodien sollen der Keuschen Schlummer umgaukeln. (Er nimmt eine Violine.)

Sabine. O weh! das ist wohl gar auf eine Serenade angesehn. Der Mensch ist imstande, die ganze Nachbarschaft aus dem Schlafe zu kratzen.

Olmers. Hol' ihn der Teufel!

Sperling (spielt und singt).

                Trallirum larum höre mich,
Trallirum larum Leier –

Sabine (die sich umgesehen hat, spricht während des Gesanges). Nun ja, das fehlte noch. Da kömmt der Nachtwächter. Geschwind hinter den Laternenpfahl. (Sie verbergen sich beide so gut sie können.)

Vierte Szene

Der Nachtwächter. Die Vorigen.

Nachtwächter (stößt ins Horn). Hört, ihr Herren –

Sperling (herunterschreiend). Unverschämter Mensch! hört Er nicht, daß ich musiziere?

Nachtwächter. Ei, was kümmert das mich! wenn der Herr die Stunden selber absingen will, so komm' Er herunter. (Er singt.) Hört, ihr Herren, und laßt euch sagen –

Sperling (zugleich spielt und singt).

                Trallirum larum das bin ich –

Fünfte Szene

Frau Staar am Fenster. Vorige.

Frau Staar (singt zugleich). Nun ruhen – (Ruft.) Mein Gott! welch ein Lärm! (Singt.) – alle Wälder!

Nachtwächter (zugleich). Die Glocke hat neune geschlagen!

Sperling (zugleich).

                Herzliebchen, dein Getreuer!

Frau Staar. Man kann ja sein eignes Wort nicht hören!

Sperling. Der verfluchte Nachtwächter!

Nachtwächter. Na, na, ich bin schon fertig. (Ab.)

Sechste Szene

Herr Staar am Fenster. Vorige.

Herr Staar (über sich schauend). Herr Nachbar da oben, krakeelen Sie nicht so. Das liebe Vieh wird sogar unruhig im Stalle.

Frau Staar. Und die Menschen werden in der Andacht gestört.

Sperling. Ich wollte nur meiner Braut ein Ständchen bringen.

Frau Staar. Ei, die schläft schon lange. (Sie macht das Fenster zu, indem man noch in der Ferne die letzten Töne ihres Abendlieds verhallen hört.)

Herr Staar. Wir haben heute einmal recht geschwärmt. Die Uhr ist gleich zehne.

Sperling. Wer ist schuld daran als der Avanturier aus der Residenz?

Sabine (zu Olmers). Das sind Sie.

Herr Staar. Und die Jungfer Naseweis, der sonst immer schon um acht Uhr die Augen zufallen.

Olmers (zu Sabine). Das sind Sie.

Sperling. Fast kam es mir vor, als hätte sie kein Auge von dem Landstreicher verwandt.

Sabine (zu Olmers). Das sind Sie.

Herr Staar. Leider! prahlen können wir wohl mit Sittsamkeit –

Olmers. Das geht auf Sie.

Sperling. Und doch ertragen wir fremde Unverschämtheit.

Sabine. Das geht auf Sie.

Herr Staar. Die Jungfer Nichte bildet sich viel auf ihr Lärvchen ein.

Olmers. Merken Sie sich das.

Sperling. Und der Herr Olmers auf seine philosophischen Floskeln.

Sabine. Schreiben Sie das in Ihr Gedächtnis.

Herr Staar. Morgen muß das Ding ein Ende nehmen.

Sabine. Mit Gottes Hülfe.

Sperling. Morgen ist Verlobung.

Olmers. Zwischen uns.

Herr Staar. Schlafen Sie wohl, Herr Bau-, Berg- und Weginspektorssubstitut.

Sperling. Angenehme Ruh', Herr Vizekirchenvorsteher.

(Beide hinein.)

Siebente Szene

Olmers und Sabine.

Olmers. Endlich sind sie fort!

Sabine. Aber nun müssen auch wir hinein.

Olmers. Nicht doch, der Abend ist so schön, so lau. Noch ein Spaziergang vor das Tor.

Sabine. Sind Sie toll? warum nicht lieber gar in Ihren Steinbruch?

Olmers. Oder doch durch die Straßen.

Sabine. Ebensowenig. Da sieht man, was ein Mädchen wagt, wenn es nur einen Fingerbreit vom Wohlstande weicht. Weil ich vor die Haustür mich locken ließ, so meint der Herr nun gleich, er dürfe mit mir lustwandeln in die weite Welt.

Olmers. Ein harmloser Spaziergang –

Sabine. Ein fröhlicher Gang durchs Leben an Ihrer Hand, aber kein solcher Spaziergang vor der Hochzeit. Drum gute Nacht. Morgen rücken Sie nur fein früh mit dem Titel heraus und befolgen meine übrigen Vorschriften pünktlich.

Olmers. Gute Nacht, treffliches Mädchen! Ein Kuß wird mir doch nicht verweigert?

Sabine. Ein Händedruck ist schon mehr als zuviel. Gute Nacht. – O weh! da sehe ich eine Laterne eilig auf uns zukommen. Es ist der blinde Ratsdiener, wo ich nicht irre. Geschwind noch einmal Versteckens gespielt. (Sie treten wieder hinter den Laternenpfahl.)

Achte Szene

Klaus, der Ratsdiener, mit einer Blendlaterne. Vorige.

Klaus (außer Atem). Uf! ich armer, ich geschlagener Mann! das bringt mich um das Leben! o weh! o weh! wenn es mich nur nicht gar um den Dienst bringt. Aber was hilft's? der Bürgermeister muß es wissen – noch in dieser Nacht – vielleicht läßt er Sturm läuten. (Er klopft an das Haus.) He! holla! he!

Bürgermeister (inwendig). Wer klopft denn noch so spät?

Klaus. Aufgemacht! der Staat ist in Gefahr!

Bürgermeister (am Fenster). Klaus? seid Ihr es? was wollt Ihr?

Klaus. Ach, gestrenger Herr Bürgermeister! ich bin des Todes!

Bürgermeister. Was geht denn vor?

Klaus. Die Delinquentin –

Bürgermeister. Nun?

Klaus. Sie ist zum Teufel!

Bürgermeister. Was?

Klaus. Fort ist sie über alle Berge!

Bürgermeister. Das wolle Gott verhüten!

Klaus. Meine Ehre! meine Reputation! meine Sporteln! ich stürze mich in den Teich!

Bürgermeister. Stille nur, Klaus! stille! die Sache muß verschwiegen traktiert werden. Wart' Er ein wenig, ich komme hinunter. (Er macht das Fenster zu.)

Klaus. Ich armselige, miserable Kreatur! Wer soll nun morgen am Pranger stehn? Kein Christenkind in der ganzen Stadt wird mir aus der Not helfen.


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