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Sabine (allein).
(Sie steht am Fenster, schlägt es hastig zu, läuft an die Tür und ruft hinaus.) Margarete! Margarete!
Die Magd (draußen). Mamsellchen!
Sabine. Die Post ist gekommen. Geschwind hinüber! sieh, ob ein Brief an mich da ist. – (Sie tritt hervor.) Schon seit fünf Wochen bin ich aus der Residenz zurück, und noch keine Zeile. Wenn ich heute wieder vergebens hoffe, so – so – ja was denn? – so werd ich böse und heirate Sperling. – Gemach! gemach! ich kann ja auch wohl böse werden, ohne Sperling zu heiraten. Wer wäre sonst am meisten gestraft?
Die Magd. Sabine.
Magd. Da ist ein Brief Mamsellchen.
Sabine (reißt ihr den Brief hastig aus der Hand). Endlich! endlich! (Sie besieht die Aufschrift.) Von meiner Cousine.
Magd. Da sind auch die Zeitungen. (Sie legt sie auf den Tisch.) Es ist heute ein starker Posttag. Sechzehn Briefe sind angekommen, alle nach Krähwinkel! Der Herr Postmeister wußte nicht, wo ihm der Kopf stand.
Sabine. Geh nur, geh nur.
Magd (ab).
Sabine (allein).
(Sie liest flüchtig.) »Neues Schauspiel –« – was kümmert's mich? – »Die Schleppen werden jetzt sehr lang getragen« – wer will das wissen? – »englische Strohhüte« – wer hat darnach gefragt? – Wie? – schon zu Ende? Keine Silbe von ihm? – Freilich hab ich ihm verboten, mir selbst zu schreiben, das schickt sich nicht. Aber er versprach doch, durch die Cousine – und auch die Cousine versprach – warum hat denn keines Wort gehalten? bin ich schon vergessen? – er wollte ja selber kommen, mit Empfehlungsschreiben vom Minister? und nun kömmt er nicht und schreibt auch nicht. Er weiß doch, daß ich den Sperling heiraten soll. Der Vater quält mich, die Großmutter quält mich, und nun werd ich auch noch von ihm gequält! – (Sie zerreißt den Brief zwischen den Händen.) Es geschieht dir schon recht. Man hat dich genug vor den jungen Herren aus der Residenz gewarnt. Sie verlieben sich in einem Tage dreimal, und wenn sie abends in die Komödie gehn, wissen sie schon nichts mehr davon. – Aber Karl! Karl! auch du ein Alltagsmensch? auch du nur ein Schönschwätzer? (Sie zieht ein Porträt aus der Tasche.) Können diese edlen Züge täuschen? – mit diesem Blicke schwur er mir, in wenig Wochen selbst zu kommen und meinen Vater zu gewinnen. Sind fünf Wochen wenig? muß ich ihm vorrechnen, daß sie aus fünfunddreißig ewig langen Tagen bestehn? – O Karl! eile! sonst bin ich für dich verloren! (Sie betrachtet wehmütig das Bild.)
Frau Staar und Sabine.
Frau Staar. Sabinchen, die Kuchen sind schon aus dem Ofen, köstliche Kuchen! sie machen dir Ehre. Nun wollen wir sie mit Blumen bestecken, und auch mit Myrtenreis, du weißt schon, warum. Das wird morgen ein Fest werden! ein gewaltiges Fest! – Aber du stehst ja da wie ein kranker Kanarienvogel? – hörst du mich nicht? – was hast du denn da?
Sabine (erschrickt und will das Porträt wegstecken). Nichts, liebe Großmutter.
Frau Staar. Ei ja doch. Das war ja ein Ding wie ein Brillenfutteral? gib nur her! gib her! ich will es haben.
Sabine (gibt es). Es ist ein Porträt.
Frau Staar. Ein Porträt? ein Mannsbild? – Gott steh mir bei! – Kind! ich will nicht hoffen –
Sabine. Was denn?
Frau Staar. Ich mache Lärm im Hause! ich schreie Feuer!
Sabine. Um 's Himmels willen nicht, liebe Großmutter! (Schalkhaft.) Gesetzt, es brennt, was kann Ihr Schreien helfen?
Frau Staar. Was? ein fremdes Mannsbild in deiner Tasche? wohl gar in deinem Herzen?
Sabine. Es ist ja nur ein Mann in Glas und Rahmen.
Frau Staar. Ei, lehre du mich die Männer kennen, sie springen aus dem Rahmen heraus, ehe man sich's versieht. – Nun, da haben wir's! ich bin immer dagegen gewesen, dich in die Residenz zu schicken. War ich doch auch zu meiner Zeit eine wohlerzogene Jungfrau, aber von der Residenz hab ich nichts weiter gewußt, als daß Se. Majestät der König, dort wohnen. – Nun haben wir die Bescherung! Bilderchen hat sie mitgebracht! Mannsbilderchen! du gottlose Dirne! weißt du, was so ein Ding zu bedeuten hat? Zu meiner Zeit ließ sich keiner malen, der nicht in Amt und Würden stand oder wenigstens zehn Jahr' verheiratet war. Dann geschah es aber auch mit der gehörigen Gravität in Lebensgröße, einer Spitzenhalskrause und einem Blumenstrauße in der Hand. So hängt dein Großvater draußen hinter dem Küchenschranke, der wohledle Herr Untersteuereinnehmer, Gott hab ihn selig! aber heutzutage, daß Gott erbarm! die Kinder lassen sich malen mit struppichten Haaren und offener Brust! und klein, winzig klein, daß man es in eine Nadeldose legen kann. Daher kömmt eben der Unfug. Große Bilder stehn frei und ehrbar vor der ganzen Welt; aber die kleinen Spitzbuben schleichen sich in alle Taschen und, Gott verzeih mir die Sünde! hängen wohl gar an Bänderchen und Kettchen in den Busen hinab! – Wer ist der Mensch? heraus mit der Sprache!
Sabine (verlegen). Liebe Großmutter, Sie ereifern sich ohne Not –
Frau Staar. Nun? wer ist's?
Sabine. Es ist – (für sich) was soll ich ihr sagen? (laut) es ist das Bild unsers Königs.
Frau Staar. Unsers Königs?
Sabine. Die Cousine schickt es mir, weil sie weiß, daß wir ihn alle lieben.
Frau Staar. Ah! ja so! das ist ein anders. Sieh, sieh doch, ist das unser König? hab ich doch längst gewünscht, ihn einmal zu betrachten. Aber er hat ja keinen Stern?
Sabine. Den braucht er nicht, um zu glänzen.
Frau Staar. Ei! ei! nun das war ein gescheuter Einfall von deiner Cousine. Höre Sabinchen, das Bild mußt du mir schenken. Ich will es an eine Zitternadel befestigen und auf meine Haube stecken.
Sabine (beiseite). O weh!
Frau Staar. An deinem Ehrentage leih ich es dir. Oder auch schon morgen am Verlobungstage. (Sie steckt es zu sich.)
Sabine. Nein, nein, lieber will ich es nie tragen, nur keine Verlobung.
Frau Staar. So redet, Sabinchen, ziere dich, wein ein Tränchen, verstecke dich, das ist fein sittsam, ich hab es auch so gemacht. Heutzutage sehen die Mädchen ihren Liebhabern starr in die Augen und sprechen von einer Verlobung als wie von einem Rezept zu einer Mandeltorte. Höchstens bei der Trauung fallen sie noch ein bißchen in Ohnmacht.
Sabine. Aber bei mir, liebe Großmutter, ist es keine Ziererei. Ich kann den Herrn Sperling nicht ausstehn. Er hängt sich an wie eine Klette und schwatzt wie eine Elster – und kurz, er ist ein Narr.
Frau Staar. Ei, ei, Kind, was redest du da? wahre deine Zunge! Ich habe schon manche Dirne spotten hören, die hintendrein froh war, wenn der Verspottete sie heimführte.
Sabine. Lieber bleib ich ledig.
Frau Staar. Ei du mein Gott! was kannst du denn gegen ihn einwenden? hat er nicht einen feinen Titel? ist er nicht Bau-, Berg- und Weginspektorssubstitut?
Sabine. Das gilt mir gleich.
Frau Staar. Waren seine Eltern nicht honette Leute? sein Großvater hat sogar mit im Rate gesessen.
Sabine. Immerhin.
Frau Staar. Du kömmst da gleich in eine große Verwandtschaft.
Sabine. Desto schlimmer.
Frau Staar. Eine Menge Vettern und Muhmen; der eine hilft hier, der andere dort.
Sabine. O ja, alle Woche ein Familienschmaus.
Frau Staar. Auch gut. Dabei wirst du nicht zurückbleiben. Herrliche Wäsche bekömmst du mit, Gedecke zu achtzehn Personen. Herr Sperling hat hübsches Silberzeug; er ist auch sonst nicht arm; ein Krautland vor dem Tore und ein Erbbegräbnis in der Kirche –
Sabine. Ich wollte, er läge schon darin.
Frau Staar. Gottloses Kind! da kömmt dein Oheim, der wird dir sagen, was der Herr Bau-, Berg- und Weginspektorssubstitut für ein feines Männchen ist.
Der Vizekirchenvorsteher Staar. Die Vorigen.
Frau Staar. Gott zum Gruß, mein Sohn Andreas. Komm doch näher. Du bist Vizekirchenvorsteher, du weißt deine Worte zu setzen; bedeute doch das alberne Mädchen. Sie will nichts von der Verlobung hören, sie macht sich lustig über den Bräutigam.
Herr Staar. Ei, ei, ich will nicht hoffen –
Sabine. Mein Oheim wird mir beistehn. Er hat eine Lesebibliothek, und folglich kennt er die Welt.
Herr Staar. Ja, ja, die kenn ich.
Sabine. Die neuen Romane hat er alle gelesen, und folglich kennt er das menschliche Herz.
Herr Staar. Ja ja, das kenn ich.
Sabine. Er wird Ihnen gleich sagen, wie manches arme Mädchen, das zu einer Heirat gezwungen wurde, an der Schwindsucht sterben mußte.
Herr Staar. Nein, Binchen, nein, dergleichen führ ich nicht. Die weinerlichen Romane sind aus der Mode, ich brauche sie nur noch in meiner Gewürzbude. Räuber müssen es sein, Banditen!
Frau Staar. Gott steh uns bei!
Herr Staar. Schade nur, daß unsere Dichter so wenig Patrioten sind und immer nur Italiener verewigen. Wir haben doch auch einen Käsebier! einen Schinderhannes und wie die großen deutschen Männer alle heißen.
Frau Staar. Da war ja auch vor zehn Jahren der Lorenz Schmeckebein, der an unsern eigenen Galgen gehangen wurde.
Herr Staar. Recht, Frau Mutter. Im Vertrauen, ich bin jetzt dabei, sein Leben zu dramatisieren. Sperling macht die Romanzen dazu. Er ist kein übler Dichter. Besonders weiß er mit den Sonetten umzuspringen; da müssen die Reime herbei, und sollt' er ihnen alle Haare ausraufen.
Frau Staar. Hörst du, Binchen? hörst du?
Herr Staar. Es ist ein ganzes Kerlchen, der Sperling, hat die neuere Ästhetik studiert, könnte Collegia darüber lesen.
Frau Staar. Hörst du Kind? hörst du?
Herr Staar. Sentenzen sprudelt er von sich, und Fragmente würgt er heraus; den will ich sehen, der sie toller macht als er.
Frau Staar. Nun, Binchen? nun?
Herr Staar. Kurz, Mädchen, er wird dein Mann, mein Neffe, mein Erbe, mein Gehülfe bei der Lesebibliothek; und damit Punktum.
Der Bürgermeister. Die Vorigen.
Bürgermeister. Sabine, hole mir die Perücke, ich muß aufs Rathaus.
Sabine. Gleich, lieber Vater. (Ab.)
Bürgermeister. Sein Diener, Herr Bruder. Ein saurer Tag! ich muß arbeiten wie ein Ackergaul.
Herr Staar. Was gibt es denn?
Bürgermeister. Liegt denn nicht alles auf mir? das Wohl der ganzen Stadt? – der Prozeß, den Meister Barsch mit dem Nachtwächter führt, wegen der zerbrochnen Laterne, wird heute entschieden.
Herr Staar. Wer hat gewonnen?
Bürgermeister. Der Nachtwächter muß die Laterne reparieren lassen, und Meister Barsch bezahlt die Gerichtskosten, 4 Taler 8 Groschen.
Frau Staar. Das ist billig.
Bürgermeister. Der Schuster Korb und der Schneider Lümmel werden heute auch vorgenommen, wegen der Prügelei im Bierhause.
Herr Staar. Was gibt's denn da?
Bürgermeister. Beide behalten ihre Prügel und zahlen Strafe.
Frau Staar. Von Rechts wegen.
Bürgermeister. Dann ist noch die wichtige Sache mit der ganzen Bürgerschaft.
Herr Staar. Wegen des Straßenfegens?
Bürgermeister. Ganz recht. Der Hochlöbliche Magistrat will nun einmal nicht die Straßen fegen. Es ist ein Onus der Bürgerschaft, sie hat sich von jeher mit dem Straßenkote befaßt, und der Hochlöbliche Magistrat wird sich dreinlegen so lange, bis die Widerspenstigen ihre Pflicht tun.
Frau Staar. Ein jeder fege vor seiner Tür, das ist ein altes Sprüchwort.
Bürgermeister. Nein Frau Mutter, ich bin Bürgermeister, auch Oberältester, und fege nicht vor meiner Tür. Sie mögen nur appellieren, der Kot bleibt liegen. Und sollte der Prozeß zwanzig Jahre dauern, der Kot rührt sich nicht von der Stelle.
Herr Staar. Auf Recht muß man halten.
Bürgermeister. Wohlgesprochen, Herr Bruder.
Frau Staar. Aber am Ende können wir nicht mehr vor die Haustür.
Bürgermeister. Tut nichts, wir bleiben daheim, dann mögen sie sehen, wie sie auf dem Rathause fertig werden. Standhaft bin ich wie die babylonische Mauer. Was wäre auch schon längst aus unsern Privilegien geworden, wenn ich nicht gewesen wäre? – wer hat es so weit gebracht, daß wir morgen das hohe Fest feiern können? ich! ich bin durchgedrungen, ich habe die Ehre der Stadt gerettet!