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Vierter Akt.

(Die Straße vor dem Hause des Bürgermeisters. Dem gegenüber das Haus seines Bruders, von mehrern Stockwerken; in der Dachstube Sperlings Wohnung. Vor diesem letztern Hause steht ein Laternenpfahl mit einer Laterne, die aber nicht brennt. Es ist Nacht, doch sieht man noch Licht in beiden Häusern.). Die Häuser müssen herauswärts, gleich an die erste oder zweite Coulisse gebaut sein, so, daß die Bühne dadurch etwas verengt wird, und die aus den Fenstern Schauenden von dem Zuschauer en face gesehen werden. Der Laternenpfahl kann sodann etwas mehr zurück stehn.

Erste Scene.

Olmers allein.
(Er kömmt aus dem Hause.)

Dem Himmel sei Dank, daß die Menschen in kleinen Städten wenigstens früh schlafen gehn. Bin ich doch den ganzen Tag nicht Herr einer Minute gewesen. Das fragt, das complimentirt, das schnattert unaufhörlich; will Alles wissen und weiß doch Alles schon besser. Keinen Augenblick lassen sie den lieben Gast allein; auf jedem Schritt und Tritt schleichen sie ihm nach. Er muß essen ohne Hunger, trinken ohne Durst, sich setzen ohne Müdigkeit; ihre Wunderwerke sehen, ihre Stadtklatschereien hören, und Alles loben und preisen. Gern wollt' ich's ertragen um den Besitz der Geliebten! aber noch lächelt mir keine Hoffnung, und nicht einmal ein Gespräch unter vier Augen hat mir bis jetzt den langweiligen Zwang versüßt. Hieher wollte sie kommen, wenn Alles still im Hause wäre. Sie wird doch Wort halten?

 

Zweite Scene.

Sabine und Olmers.

Sab. (die aus dem Hause schlich, klopft ihm auf die Schulter). Ja, lieber Zweifler, sie hält Wort.

Olm. Endlich, bestes Mädchen! endlich sind wir allein! und ich darf Ihnen einmal wieder recht herzlich sagen

Sab. Was denn? Alles was Sie mir zu sagen haben, weiß ich schon längst.

Olm. Aber ich muß ja die Augenblicke stehlen

Sab. So seid ihr Alle. Der Liebhaber findet nie Zeit genug, das tausendmal Gesagte tausendmal zu wiederholen. Der Ehemann hingegen dürfte plaudern den ganzen Tag, aber der geht im Zimmer auf und nieder, und brummt.

Olm. Ich will nicht hoffen

Sab. Daß Sie es auch so machen werden? nein, das hoff' ich auch nicht. Aber wahr bleibt es doch immer! Liebhaber und Lerchen singen nur im Frühling, und man muß noch froh sein, wenn sie im Herbst nicht gar davon ziehn.

Olm. Ich schwöre Ihnen

Sab. Schwören Sie nur nicht zu laut. Wir sind hier von ein paar Dutzend Ohren umringt. Dort ist meines Vaters Schlafzimmer, er hat noch Licht. Hier wohnt die Großmutter, die singt gewiß noch ihr Abendlied. Da gegenüber der Oheim, der blättert noch in seinen Romanen; und oben im Dachstübchen Herr Sperling, macht wohl gar noch ein Sonett auf mich. Ferner wird es nicht lange währen, so kömmt der Nachtwächter mit dem Horn und der Feuerwächter mit der Schnurre.

Olm. Allerliebst. Vermuthlich wird auch die Laterne da bald angesteckt?

Sab. Nein, das nicht. Wir haben Mondschein.

Olm. Erst gegen Morgen.

Sab. Thut nichts. Er steht doch im Kalender, und da befleißigen wir uns einer weisen Sparsamkeit.

Olm. Freilich bei dem herrlichen Steinpflaster

Sab. Spotten Sie nicht, und seien Sie froh, daß Sie mit einer geschundenen Nase davon gekommen sind.

Olm. Aber, liebes Mädchen, auf meinem Zimmer wären wir ja weit ruhiger, weit ungestörter gewesen?

Sab. Meinen Sie? o ja. Schade nur, daß es in Krähwinkel nicht Sitte ist, daß die jungen Mädchen zu ihren Liebhabern auf die Stube gehn. Hier auf der Straße befinde ich mich gleichsam in der Obhut aller meiner Verwandten.

Olm. Und können im Nothfall den Nachtwächter zu Hülfe rufen.

Sab. Allerdings, mein Herr.

Olm. Ich hätte geglaubt, als meine Braut

Sab. Das bin ich noch nicht, und wenn Sie fortfahren, sich so albern aufzuführen, so dürfte ich's auch wohl schwerlich jemals werden.

Olm. Albern? wie so?

Sab. Welcher Satan hat Ihnen eingegeben, meine Großmutter Madam zu nennen? Sie ist Frau Untersteuereinnehmerin, merken Sie sich das.

Olm. Nun ja, morgen soll sie es wenigstens einhundertmal hören.

Sab. Je mehr, je besser. Und warum aßen Sie denn diesen Abend keinen Bissen?

Olm. Weil ich satt war.

Sab. Gleichviel. Das ist ein schlechter Liebhaber, der seinem Mädchen zu Liebe nicht einmal einer Indigestion Trotz bietet.

Olm. Gut, ich will essen, wie der berühmte Paul Butterbrod.

Sab. Und warum gähnten Sie immer, als mein Vater den langen Proceß erzählte?

Olm. Eben weil er so lang war.

Sab. Hilft nichts. Muß ruhig und aufmerksam angehört werden.

Olm. Aufmerksam? wenn Sie mir gegenüber sitzen?

Sab. Konnten Sie doch, mir gegenüber, recht stattlich gähnen. Und waren Sie denn ganz rasend, als mein Oheim seine Lesebibliothek auskramte, zu sagen, es sei lauter Schofel?

Olm. Ja, es ist ja lauter Schofel, nichts als Räuber, Banditen, romantische Dichtungen und fromme Almanache.

Sab. Was geht das Sie an! Wir glauben nun einmal Geschmack zu besitzen. Wir sind erhaben über die gemeine Menschennatur. Wir lesen Wieland und Engel nicht mehr.

Olm. Nun wohl, morgen will ich die Kraftgenies loben, noch ärger als sie sich selbst.

Sab. Das möchte Ihnen schwer werden, aber versuchen Sie es.

Olm. Um Ihren Besitz wag' ich das Schwerste.

Sab. Mit alle dem werden Sie doch noch nicht zum Ziele gelangen. Es fehlt Ihnen noch ein Haupterforderniß.

Olm. Das wäre?

Sab. Ein Titel, lieber Freund, ein Titel! Ohne Titel kommen Sie in Krähwinkel nicht fort. Ein Stück geprägtes Leder gilt hier mehr als ungeprägtes Gold. Ein Titel ist hier die Handhabe des Menschen, ohne Titel weiß man gar nicht, wie man ihn anfassen soll. Hier wird nicht gefragt: hat er Kenntnisse? Verdienste? sondern wie titulirt man ihn? Wer nicht 12 bis 15Sylben vor seinen Namen setzen kann, der darf nicht mitreden, wenn er es auch zehnmal besser verstünde. Die Titel nehmen wir mit zu Bette und zu Grabe, ja, wir nähren eine leise Hoffnung, daß einst an jenem Tage noch manches Titelchen aus der letzten Posaune erschallen werde. Kurz, mein schöner Herr, ohne Titel bekommen Sie mich nicht. Meine Großmutter wird es nimmermehr zugeben, daß der Prediger beim feierlichen Aufgebot nichts weiter zu sagen haben solle, als: der Bräutigam ist Herr Karl Olmers.

Olm. Wie aber, wenn ich mir schon ein ganz feines Titelchen verschafft hätte?

Sab. Haben Sie? Nun dann sind wir ja über alle Berge. Warum sagten Sie das nicht gleich?

Olm. Ich wußte ja nicht

Sab. Ei das hätten Sie wissen sollen und müssen. Glauben Sie denn, die Titelpest grassire nur hier zu Lande? C'est partout comme chez nous. Stille! ich höre ein Geräusch. Es ist Sperlings Dachfensterlein. Er wird uns doch nicht belauscht haben?

 

Dritte Scene.

Sperling am Fenster. Vorige.

Sperl. Holla! Holla! thu auf mein Kind!
Schläfst, Liebchen, oder wachst du?
Wie bist noch gegen mich gesinnt?
Und weinest oder lachst du?

Sab. (leise). Das ist wohl gar eine Apostrophe an mich?

Sperl. Dort sind die lieben Fensterlein, hinter welchen die Holde weilt. Alles dunkel und finster. Vielleicht haben die sieghaften Aeuglein sich bereits geschlossen.

Sab. Hören Sie, mein Herr? sieghaft.

Olm. Er sagt mir nichts Neues.

Sperl. Zarte Melodien sollen der Keuschen Schlummer umgaukeln. (Er stimmt eine Violine.)

Sab. O weh! das ist wohl gar auf eine Serenade abgesehn. Der Mensch ist im Stande, die ganze Nachbarschaft aus dem Schlafe zu kratzen.

Olm. Hol' ihn der Teufel!

Sperl. (spielt und singt).
Trallirum larum höre mich
Trallirum larum Leyer

Sab. (die sich umgesehen hat, spricht während des Gesanges). Nun ja, das fehlte noch. Da kömmt der Nachtwächter. Geschwind hinter den Laternenpfahl. (Sie verbergen sich beide so gut sie können.)

 

Vierte Scene.

Der Nachtwächter. Die Vorigen.

Nachtw. (stößt ins Horn). Hört ihr Herren

Sperl. (herunter schreiend). Unverschämter Mensch! Hört er nicht, daß ich musicire?

Nachtw. Ei, was kümmert das mich! Wenn der Herr die Stunden selber absingen will, so komm' er herunter. (Er singt.) Hört ihr Herren und laßt Euch sagen

Sperl. (zugleich spielend und singend). Trallirum larum das bin ich

 

Fünfte Scene.

Frau Staar am Fenster. Vorige.

Fr. St. (singt zugleich). Nun ruhen (ruft). Mein Gott! welch ein Lärm! (singt) alle Wälder!

Nachtw. (zugleich) Die Glocke hat Neune geschlagen!

Sperl. (zugleich) Herzliebchen, dein Getreuer!

Fr. St. Man kann ja sein eigenes Wort nicht hören!

Sperl. Der verfluchte Nachtwächter!

Nachtw. Na, na, ich bin schon fertig. (Ab.)

 

Sechste Scene.

Herr Staar am Fenster. Vorige.

Hr. St. (über sich schauend). Herr Nachbar da oben, krakeelen Sie nicht so. Das liebe Vieh wird sogar unruhig im Stalle.

Fr. St. Und die Menschen werden in der Andacht gestört.

Sperl. Ich wollte nur meiner Braut ein Ständchen bringen.

Fr. St. Ei, die schläft schon lange. (Sie macht das Fenster zu, indem man noch in her Ferne die letzten Töne ihres Abendlieds verhallen hört.)

Hr. St. Wir haben heute einmal recht geschwärmt. Die Uhr ist gleich zehne.

Sperl. Wer ist Schuld daran, als der Aventürier aus der Residenz?

Sab. (zu Olmers). Das sind Sie.

Hr. St. Und die Jungfer Naseweiß, der sonst immer schon um acht Uhr die Augen zufallen.

Olm. (zu Sab). Das sind Sie.

Sperl. Fast kam es mir vor, als hätte sie kein Auge von dem Landstreicher verwandt.

Sab. (zu Olm). Das sind Sie.

Hr. St. Leider! prahlen können wir wohl mit Sittsamkeit

Olm. Das geht auf Sie.

Sperl. Und doch ertragen wir fremde Unverschämtheit.

Sab. Das geht auf Sie.

Hr. St. Die Jungfer Nichte bildet sich viel auf ihr Lärvchen ein.

Olm. Merken Sie sich das.

Sperl. Und der Herr Olmers auf seine philosophischen Floskeln.

Sab. Schreiben Sie das in Ihr Gedächtniß.

Hr. St. Morgen muß das Ding ein Ende nehmen.

Sab. Mit Gottes Hülfe.

Sperl. Morgen ist Verlobung.

Olm. Zwischen uns.

Hr. St. Schlafen Sie wohl, Herr Bau-, Berg- und Weginspectors-Substitut.

Sperl. Angenehme Ruh', Herr Vicekirchenvorsteher. (Beide hinein.)

 

Siebente Scene.

Olmers und Sabine.

Olm. Endlich sind sie fort!

Sab. Aber nun müssen auch wir hinein.

Olm. Nicht doch, der Abend ist so schön, so lau. Noch ein Spaziergang vor das Thor.

Sab. Sind Sie toll? Warum nicht lieber gar in Ihren Steinbruch?

Olm. Oder doch durch die Straßen.

Sab. Eben so wenig. Da sieht man, was ein Mädchen wagt, wenn es nur einen Finger breit vom Wohlstande weicht. Weil ich vor die Hausthür mich locken ließ, so meint der Herr nun gleich, er dürfe mit mir lustwandeln in die weite Welt.

Olm. Ein harmloser Spaziergang

Sab. Ein fröhlicher Gang durchs Leben an Ihrer Hand, aber kein solcher Spaziergang vor der Hochzeit. Drum gute Nacht. Morgen rücken Sie nur fein früh mit dem Titel heraus, und befolgen meine übrigen Vorschriften pünktlich.

Olm. Gute Nacht, treffliches Mädchen! Ein Kuß wird mir doch nicht verweigert?

Sab. Ein Händedruck ist schon mehr als zu viel. Gute Nacht! Oweh! da sehe ich eine Laterne auf uns zukommen. Es ist der blinde Rathsdiener, wo ich nicht irre. Geschwind noch Einmal Versteckens gespielt. (Sie treten wieder hinter den Laternenpfahl.)

 

Achte Scene.

Klaus, der Rathsdiener, mit einer Blendlaterne. Vorige.

Klaus (außer Athem). Hilf, ich armer, ich geschlagener Mann! Das bringt mich um das Leben! Oweh! oweh! Wenn es mich nur nicht gar um den Dienst bringt. Aber was hilfts? Der Bürgermeister muß es wissen noch in dieser Nacht Vielleicht läßt er Sturm läuten. (Er klopft an das Haus.) He! holla! he!

Bürg. (inwendig). Wer klopft denn noch so spät?

Kl. Aufgemacht! Der Staat ist in Gefahr!

Bürg. (am Fenster). Klaus! Seid Ihr es? was wollt Ihr?

Kl. Ach gestrenger Herr Bürgermeister! Ich bin des Todes!

Bürg. Was geht denn vor?

Kl. Die Delinquentin

Bürg. Nun?

Kl. Sie ist zum Teufel!

Bürg. Was?

Kl. Fort ist sie über alle Berge!

Bürg. Das wolle Gott verhüten!

Kl. Meine Ehre! meine Reputation! meine Sporteln! Ich stürze mich in den Teich!

Bürg. Stille nur, Klaus! stille! Die Sache muß verschwiegen tractirt werden. Wart' Er ein wenig, ich komme hinunter. (Er macht das Fenster zu.)

Kl. Ich armselige, miserable Kreatur! Wer soll nun morgen am Pranger stehn? Kein Christenkind in der ganzen Stadt wird mir aus der Noth helfen.

 

Neunte Scene.

Bürgermeister im brocatnen Schlafrock. Vorige.

Bürg. Nun, Klaus? Man referire den Zusammenhang der schrecklichen Begebenheit.

Kl. Ew. Gestrengen wissen doch, daß ich der Delinquentin alle Abend ein halbes Pfund Brod, und einen Krug Wasser aus dem Stadtgraben bringen mußte? Nun, das geschah auch heute. Sie war lustig und guter Dinge. Die Handschellen saßen fest. Ihr gutes Bett von allem weichem Stroh war aufgeschüttelt. Ich wünsche ihr Glück zu ihrem morgenden Ehrentage, schließe zu, verriegle, gehe zu Bett. Vor einer Stunde stößt mich meine Frau mit dem spitzen Ellenbogen in di Seite, und spricht: hör' einmal, wie oben die Katzen lärmen. Was Katzen! ruf' ich bedenklich: denen ist längst verboten, auf dem Rathhause zu erscheinen, seitdem, zur höchsten Ungebühr, einst eine Katze den Stuhl des Herrn Bürgermeisters zum Wochenbette erkoren.

Bürg. Nur weiter.

Kl. Ich horche ich lausche ich muthmaße ich verwundere mich das mag wohl so eine halbe Stunde gedauert haben

Bürg. Viel zu lange!

Kl. Endlich sammle ich meine Lebensgeister. Ich stehe auf, zünde mein Laternchen an, schleiche hinauf, riegle los, stecke den Kopf hinein rührt mich der Schlag auf der Stelle! das Nest leer der Vogel ausgeflogen!

Bürg. Mit Satans Hülfe?

Kl. Wie sonst? Die Handschellen hat sie abgestreift, die Wand durchbrochen, ist in meine Schinkenkammer gestiegen, hat einen Schinken und drei Würste aufgepackt, und fort ist sie!

Bürg. Eine Hexe! Sie muß verbrannt werden! Ich mache einen Bericht an die Kammer der Oberförster muß herrschaftliches Holz zum Scheiterhaufen liefern.

Kl. Ja wenn wir sie nur erst wieder hätten!

Bürg. Verdammter Streich! Neun Jahre lang hab' ich es mir sauer werden lassen, zu der Höhe eines Stockwerks sind die Acten angewachsen, (mit Pathos) morgen erschien endlich der große Tag, an dem ich die Früchte meines Fleißes erndten sollte, schon harrt ganz Krähwinkel der feierlichen Stunde entgegen schon winkt der Pranger zu Ehr' und Ruhm des Hochweisen Stadtrathes und siehe, zerplatzt sind meine stolzen Hoffnungen wie die Seifenblasen der Gassenbuben!

Kl. Meine Reputation! meine Sporteln! mein Schinken!

Bürg. Ist denn keine Spur zu entdecken, ob vielleicht eine verruchte Hand zu der Flucht beförderlich gewesen?

Kl. Der Satan, sonst keine Christenseele. Das Weib ist im letzten Kriege als Marketenderin mit in Lothringen gewesen, da hat sie den Teufel kennen lernen. Eine abgefeimte Kreatur! Die Worte wußte sie zu setzen wie eine Edelfrau, und lesen that sie den ganzen Tag. Ein paar Bücher lagen auch noch auf dem Tische, und ein schmutziger Zettel. Ich kann nicht lesen.

Bürg. Her mit dem Zettel! (Er liest beim Licht der Laterne.) »Ein Hochweiser Rath wird verzeihen, daß ich ihm den morgenden Spaß verderbe« Spaß? es war nichts weniger als Spaß.

Kl. Hätten wir dich nur wieder! Wir wollten dich bespaßen.

Bürg. (liest) »Die Zeit wurde mir endlich gar zu lang. Ich hatte Lust, frische Luft zu schöpfen« Hätte sie denn nicht warten können, bis sie am Pranger stand?

Kl. Undankbares Mensch! Neun Jahr ist sie gefüttert worden.

Bürg. (liest). »Dem Herrn Vicekirchenvorsteher dank' ich für meine Befreiung« Wie! was! mein Bruder? Ist er rasend?

Kl. Gott sei Dank, so halten wir uns an den.

Bürg. (liest). »Er hat die Güte gehabt, mir manch schönes Buch aus seiner Lesebibliothek zu leihen« Das hat ihm der Teufel geheißen! (liest) »unter andern Trenk's Leben und Flucht aus dem Gefängnisse.« Ich wollte er säße selbst darin! (liest) »Aus diesem Buche hab' ich gelernt, durch Muth, Geduld und Geschicklichkeit meine Flucht vorzubereiten. Der Augenblick ist gekommen ich fliehe!«

Kl. Das ist nicht wahr, sie ist schon fort.

Bürg. (liest). »Dem gestrengen Herrn Bürgermeister danke ich für sein verschimmeltes Brod« Dummer Schnack! Ich soll ihr wohl Kuchen schicken? (liest) »dem Herrn Rathsdiener Klaus für sein schlammigtes Wasser«

Kl. Es ist erlogen! Der Stadtgraben hat unterirdische Quellen.

Bürg. (liest). »Sämmtlichen Einwohnern von Krähwinkel empfehle ich mein Andenken. Ich bereue von Herzen, vor neun Jahren die Kuh gestohlen zu haben, denn sie war sehr mager.«

Kl. Der Umstand ist richtig.

Bürg. (liest). »Der Himmel segne dafür den Herrn Bürgermeister mit Fett, und lasse ihm auch den morgenden Festbraten gedeihen. Eva Schnurrwinkel.« Odu vermaledeite Eva!

Kl. Du Schlange!

Bürg. Du Basilisk! Wie werden nun die Rummelsburger frohlocken! meine Ehre der Ruhm der Stadt Krähwinkel Alles verloren! Hört, Klaus! wißt Ihr keinen unter unserer getreuen Bürgerschaft, der aus Patriotismus, und um der Ehre willen man könnt' ihm ja eine Larve vorbinden.

Kl. Es thut's keiner, gestrenger Herr Bürgermeister. Zusehen wollen sie Alle; aber wenn Einer selber hintreten soll, zum Wohl des Staats, ja, da ist Niemand zu Hause.

Bürg. Wehe! wehe! und mein Bruder! mein verdammter Bruder! der schläft quasi re bene gesta. (Er trommelt an des Bruders Haus.) He da! holla! he da!

Hr. St. (am Fenster). Tausend Sapperment! Wer klopft so spät? Packt Euch fort! Ich verkaufe nach zehn Uhr keinen Kaffee mehr. (Schlägt das Fenster zu.)

Bürg. Nun höre mir Einer den Maulaffen! Ich, Bürgermeister auch Oberältester, komme zum Gewürzkrämer um ein Loth Kaffee! (Klopft wieder.) He da! holla!

Hr. St. (am Fenster). Wenn Ihr nicht bald geht, so lass ich die Polizei aus dem ersten Schlafe wecken.

Bürg. Sei der Herr Bruder nur selber froh, wenn sie fortschläft.

Hr. St. Sieh da! Ist's der Herr Bruder? Was bringt denn der so spät?

Bürg. Eine Hiobspost. Komme der Herr Bruder nur herunter.

Hr. St. Ei, ei, es brennt doch nicht?

Bürg. Wollte Gott, die halbe Stadt wäre lieber abgebrannt, und des Herrn Bruders Haus vor allen.

Hr. St. Behüte der Himmel! Ich komme schon. (Er macht das Fenster zu.)

Bürg. Komm nur, komm nur. Eine ehrsame Bürgerschaft hat sich auf den morgenden Tag so gefreut; haben sich neue Röcke machen lassen und fette Schweine geschlachtet. Wenn sie hören, daß durch seine Schuld nichts passirt, so sind sie capabel, ihm das Haus zu stürmen, und seine ganze Lesebibliothek an den Pranger zu nageln.

Kl. Desto besser. Sie besteht so aus lauter Raubgesindel.

 

Zehnte Scene.

Herr Staar im Nachthabit. Vorige.

Hr. St. Nun? Was gibt es denn?

Bürg. Schöne Dinge hat der Herr Bruder angerichtet, kostbare Dinge.

Hr. St. Wer? Ich?

Bürg. Mit seinen verdammten Büchern!

Hr. St. Verdammt? Sie haben alle die Censur passirt.

Bürg. Wer hat dem Herrn Bruder von Obrigkeitswegen erlaubt, einer Delinquentin die Zeit zu vertreiben?

Hr. St. Du lieber Gott! Es will ja doch heutzutage Alles lesen. Delinquenten haben so gut Langeweile als vornehme Leute. Aus Barmherzigkeit hab' ich ihr dann und wann einen Banditen oder so ein Ungethüm zugesteckt.

Bürg. Vortrefflich!

Hr. St. Auch wohl ein neues geistliches Lied nach Jacob Böhm, da hat sie sich erbaut.

Bürg. Eine herrliche Erbauung! Zum Teufel ist sie gegangen.

Hr. St. Was?

Bürg. Durch die Mauer hat sie gebrochen.

Kl. Meine Schinken hat sie gestohlen.

Bürg. Und bedankt sich bei dem Herrn Bruder.

Hr. St. Bei mir?

Bürg. Da! da! Nehme der Herr Bruder die Laterne und lese.

Hr. St. (thut es).

Sperl. (am Fenster). Was murmelt? was flüstert? was brummt? was zischelt?

Bürg. (der Sperling gewahr wird). Da haben wir's! Alle Narren in ganz Krähwinkel werden noch aufwachen.

Sperl. Was seh' ich? was hör' ich? was vermuth' ich?

Bürg. Ist der Herr flink auf den Beinen, so komm' Er herunter, und setze ihr nach.

Sperl. Ist meine Braut davon gelaufen? Ich komme auf den Flügeln des Sturmwinds. (Er schlägt das Fenster zu.).

Bürg. (zu Staar). Nun? wie schmeckt es?

Hr. St. Der Herr Bruder sieht mich voller Erstaunen

Bürg. Was hilft mir das? Ich kann sein Erstaunen nicht an den Pranger stellen.

 

Eilfte Scene.

Sperling im Nachthabit. Vorige.

Sperl. Da bin ich, da bin ich! Wer hat sie entführt?

Bürg. Der Satan!

Sperl. Ich merke schon, weiß schon, verstehe schon; der Satan heißt Olmers.

Bürg. Ist der Herr verrückt? Wer redt denn von meiner Tochter? Die Delinquentin ist fort.

Sperl. Die Delinquentin?!

Kl. Sammt Schinken und Würsten.

Bürg. Der Herr Bruder hat ihr durchgeholfen.

Hr. St. Sie hat den Trenk gelesen.

Sperl. All' ihr himmlischen Mächte! Was hör' ich! Was vernehm' ich! Morgen kein Fest! kein Pranger! keine Verlobung! Was soll nun werden aus meinen Kunstwerken?! Ein Sonett hab' ich gedichtet auf die Delinquentin, ein Triolett auf den Galgen, den dreibeinigten!

Bürg. Ich wollte, daß ihr Alle daran hinget.

Hr. St. Was ist anzufangen?

Bürg. Ja da stehn wir nun wie eine Heerde Ochsen am Berge!

Sperl. So ein unterbrochenes Opferfest!

Hr. St. Die Rummelsburger lachen sich todt.

Bürg. Das ist das Wenigste. Aber was wird man in der Residenz dazu sagen?

Hr. St. Keine Ordnung, wird es heißen.

Bürg. Keine Vorsicht, keine Wachsamkeit.

Hr. St. Der Minister wird außer sich sein.

Bürg. Der König in Zorn gerathen.

Hr. St. Der Herr Bruder wird abgesetzt.

Bürg. Und der Herr Bruder kömmt ins Zuchthaus.

Hr. St. O weh! o weh!

Bürg. Dreimal weh!

Hr. St. Man muß Sturm läuten, ihr nachsetzen!

Bürg. Es ist ja stockfinstre Nacht.

Hr. St. Befehle der Herr Bruder, daß die Laternen angezündet werden, gleich auf der Stelle.

Bürg. Es steht ja Mondschein im Kalender.

Hr. St. Wenn gleich es gilt des Staates Wohlfahrt! Ich liefre das Oel. Herr Klaus, hieher! Hier vor meinem Hause mach' er den Anfang.

Kl. Herzlich gern, wenn ich nur meine Schinken dadurch zu sehen bekäme. (Indem er die Laterne anzünden will, erblickt er die Versteckten, und schreit.) Ah! die Delinquentin! Da steht sie leibhaftig!

Alle. Wie! was!

Kl. Und der Satan neben ihr!

Bürg. Hervor, hervor! Du gottlose Kreatur!

Kl. (Sabinen beim Arm fassend). Wo sind meine Würste?

Sab. (knieend) Ach mein Vater!

Bürg. und Hr. St. Was? Sabine?

Sperl. Die Jungfer Braut?

Kl. Ein satanisches Blendwerk.

Olm. (hervortretend). Herr Bürgermeister

Bürg. und Hr. St. Und unser Gast?

Sperl. Hab' ich's nicht gesagt?

Bürg. Wie kömmst Du hieher? Was machen Sie hier?

Sab. Morgen, mein Vater, sollen Sie Alles wissen. Der Zufall hat uns überrascht. Ich liebe Olmers. Ich verabscheue Sperling.

Sperl. Barbarin!

Sab. Olmers hat Vermögen, hat einen Titel, ist ein Schulfreund des Ministers

Olm. Und würde sich glücklich schätzen, die unangenehme Begebenheit, von der er so eben Zeuge gewesen, bei Hofe zu vermitteln. Denn es ist nicht zu leugnen, die Sache ist sehr schlimm und bedenklich.

Bürg. (ängstlich). Meinen Sie in der That?

Hr. St. (eben so). Was stünde zu erwarten?

Olm. Sie, Herr Bürgermeister, würden cassirt.

Bürg. (sehr erschrocken). Wirklich?

Olm. Und Sie, Herr Vicekirchenvorsteher, würden eingesperrt.

Hr. St. Ohne Gnade?

Olm. Aber ich nehme Alles auf mich, und stehe für den guten Erfolg.

Bürg. Wenn Sie das könnten

Hr. St. Der Herr Bruder muß auch bedenken, daß das Mädchen in unsrer Stadt ohnehin zum Gespötte werden wird. Mitten in der Nacht, auf offner Straße, mit einem jungen Burschen es nimmt sie Keiner mehr.

Sperl. Ich wenigstens nehme sie nicht.

Bürg. Ja wenn ich auch wollte, von wegen der bedenklichen Aspecten aber die Großmutter

Sab. Er hat einen Titel.

Bürg. Hat er wirklich?

Fr. St. (am Fenster). Sind denn die bösen Geister diese Nacht alle los? Was wird da unten für Spuk getrieben?

Bürg. Eben recht. Komme doch die Frau Mutter ein wenig herunter. Wir wollen Verlobung feiern.

Fr. St. Auf der Straße? unter freiem Himmel? bei Nacht und Nebel? Das wäre mir eben recht. (Schlägt das Fenster zu.)

Bürg. (zu Olmers). Das sage ich dem Herrn, die Sache mit der Delinquentin muß beigelegt werden, ehe ist an keine Hochzeit zu denken.

Olm. Ich stehe für Alles.

 

Zwölfte Scene.

Frau Staar im Nachthabit. Vorige.

Fr. St. Nun? Herr Bau-, Berg- und Weginspektors-Substitut, was sind das einmal wieder für Romanstreiche?

Sperl. Ei, von mir ist gar nicht die Rede.

Bürg. Herr Olmers will Sabinchen heirathen, und Sabinchen will ihn.

Fr. St. Und deshalb vexirt man mich aus dem Bette? Hab ich denn nicht meine Meinung schon rund und deutlich an den Tag gelegt? Nein, daraus wird nichts.

Hr. St. Aber es hat sich allerlei zugetragen

Fr. St. Was kümmert's mich?

Bürg. Der Herr kann uns aus einer großen Verlegenheit helfen.

Fr. St. Gleichviel.

Hr. St. Das Mädchen hat mit ihm hinter dem Laternenpfahl gesteckt.

Fr. St. Desto schlimmer.

Bürg. Sie bekömmt nun doch keinen Mann.

Fr. St. So mag sie als eine ehrsame Jungfrau sterben.

Bürg. Der Herr hat Geld

Fr. St. Ist Numero 2.

Hr. St. Und Verdienste

Fr. St. Ist Numero 3.

Bürg. Er hat auch einen feinen Titel.

Fr. St. Einen Titel? Wie? Was hat er denn für einen Titel?

Olm. (zieht sein Taschenbuch hervor). Wenn die Frau Untersteuereinnehmerin die Güte haben wollen, einen Blick auf dieses Papier zu werfen, so schmeichle ich mir, die Frau Untersteuereinnehmerin werden, nach den bekannten edlen Gesinnungen, welche die ganze Welt an der Frau Untersteuereinnehmerin rühmt

Fr. St. (besänftigt). Nun, nun, der Herr ist ein höflicher Herr, das muß man ihm lassen. Was ist es denn für ein Titelchen?

Olm. Geheimer Commissionsrath.

Fr. St. (erstaunt). Rath!

Hr. St. (eben so). Commissionsrath!

Bürg. (eben so). Geheimer Commissionsrath!

Fr. St. Ei, ei, das verändert allerdings die Sache. Etwas Geheimes haben wir in unsrer Familie noch nicht gehabt. Ja, wenn dem so ist, und der Herr Geheime-Commissionsrath unserm Hause die Ehre erzeigen wollen

Olm. Mein Glück ruht ganz in den Händen der Frau Untersteuereinnehmerin.

Fr. St. Der Herr Geheime-Commissionsrath dürfen auf mich zählen.

Olm. Die Frau Untersteuereinnehmerin sind die Güte selbst.

Fr. St. Und der Herr Geheime-Commissionsrath ein Muster von guter Lebensart.

Bürg. Nun wohlan, Kinder, kommt, herein, daß wir sogleich einen Contract und einen Steckbrief aufsetzen.

Hr. St. Topp! Wir wollen Punsch machen. Ich hol' euch Citronen. (Ab in sein Haus.)

Olm. Darf ich die Ehre haben, der Frau Untersteuereinnehmerin die Hand zu bieten?

Fr. St. Der Herr Geheime-Commissionsrath finden jederzeit an mir eine bereitwillige Dienerin. (Olmers führt sie in das Haus.)

Bürg. (zu Sperling). Nehme mir's der Herr nicht übel. Wenn das Vaterland in der Klemme ist, da muß ein guter Patriot allenfalls seine Tochter dem Moloch opfern. (Ab.)

Sperl. Gehorsamer Diener!

Sab. (zu Sperling). Herr Bau-, Berg- und Weginspectors-Substitut, ich bitte um ein Hochzeitgedicht. (Sie verneigt sich tief und geht in das Haus.)

Sperl. Warte nur eine Ehrenpforte will ich Dir schreiben, ein Kunstwerk!

Kl. Wer weiß, hinter welchem Zaune das Weib jetzt sitzt und an meinen Würsten schmaußt.

Sperl. Herr Klaus, komm' er hinauf zu mir. Ich will ihm mein Triolett auf den Galgen vorlesen.

Kl. Ei, ich habe den Teufel von Ihrem Trio! Schaffen Sie mir meine Schinken! (Er geht fort.)

Sperl. (allein). Ganz umsonst kann ich es doch nicht geschrieben haben. Wenn nur der Nachtwächter käme. (Zu dem Publikum mit süßer Höflichkeit.) Ist denn Keiner, der sich herauf bemühen möchte, mein Triolett zu hören?

 

(Der Vorhang fällt.)

 


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