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Erster Akt.

Erste Scene.

Sabine allein.

(Sie steht am Fenster, schlägt es hastig zu, läuft an die Thür und ruft hinaus:)

Margarethe! Margarethe!

Die Magd (draußen). Mamsellchen!

Sab. Die Post ist gekommen. Geschwind hinüber! sieh, ob ein Brief an mich da ist. – (Sie tritt hervor.) Schon seit fünf Wochen bin ich aus der Residenz zurück, und noch keine Zeile. Wenn ich heute wieder vergebens hoffe, so – so – ja was denn? – so werd' ich böse und heirathe Sperling. – Gemach! gemach! ich kann ja auch wohl böse werden, ohne Sperling zu heirathen. Wer wäre sonst am meisten gestraft?

 

Zweite Scene.

Die Magd. Sabine.

Magd. Da ist ein Brief, Mamsellchen.

Sab. (reißt ihr den Brief hastig aus der Hand). Endlich! endlich! (Sie besieht die Aufschrift.) Von meiner Cousine.

Magd. Da sind auch die Zeitungen. (Sie legt sie auf den Tisch.) Es ist heute ein starker Posttag. Sechszehn Briefe sind angekommen, alle nach Krähwinkel! Der Herr Postmeister wußte nicht, wo ihm der Kopf stand.

Sab. Geh nur, geh nur.

Magd (ab).

 

Dritte Scene.

Sabine (allein).

(Sie liest flüchtig.) »Neues Schauspiel –« – was kümmerts mich? – »Die Schleppen werden jetzt sehr lang getragen« – wer will das wissen? – »englische Strohhüte« – wer hat darnach gefragt? – Wie? – schon zu Ende? – Keine Sylbe von ihm? – Freilich hab' ich ihm verboten, mir selbst zu schreiben, das schickt sich nicht. Aber er versprach doch durch die Cousine – und auch die Cousine versprach – warum hat denn keines Wort gehalten? – bin ich schon vergessen? – er wollte ja selber kommen, mit Empfehlungsschreiben vom Minister? und nun kömmt er nicht, und schreibt auch nicht. Er weiß doch, daß ich den Sperling heirathen soll. Der Vater quält mich, die Großmutter quält mich, und nun werd' ich auch noch von ihm gequält! – (Sie zerreibt den Brief zwischen den Händen.) Es geschieht dir schon Recht. Man hat dich genug vor den jungen Herren aus der Residenz gewarnt. Sie verlieben sich in Einem Tage dreimal, und wenn sie Abends in die Komödie gehn, wissen sie schon nichts mehr davon. – Aber Karl! Karl! auch du ein Alltagsmensch? auch du nur ein Schönschwätzer? (Sie zieht ein Portrait aus der Tasche.) Können diese edlen Züge täuschen? – mit diesem Blicke schwur er mir, in wenig Wochen selbst zu kommen, und meinen Vater zu gewinnen. Sind fünf Wochen wenig? muß ich ihm vorrechnen, daß sie aus 35 ewig langen Tagen bestehn? – O Karl! eile! sonst bin ich für dich verloren! (Sie betrachtet wehmüthig das Bild.)

 

Vierte Scene.

Frau Staar und Sabine.

Fr. Staar. Sabinchen, die Kuchen sind schon aus dem Ofen, köstliche Kuchen! sie machen dir Ehre. Nun wollen wir sie mit Blumen bestecken, und auch mit Myrthenreis, du weißt schon warum. Das wird morgen ein Fest werden! ein gewaltiges Fest! – Aber du stehst ja da wie ein kranker Kanarienvogel? – hörst du mich nicht? – was hast du denn da?

Sab. (erschrickt, und will das Portrait wegstecken). Nichts, liebe Großmutter.

Fr. Staar. Ei ja doch. Das war ja ein Ding wie ein Brillenfutteral? gieb nur her! gieb her! ich will es haben.

Sab. (giebt es). Es ist ein Portrait.

Fr. Staar. Ein Portrait? ein Mannsbild? – Gott steh mir bei! – Kind, ich will nicht hoffen –

Sab. Was denn?

Fr. Staar. Ich mache Lärm im Hause!

Sab. Ums Himmelswillen nicht, liebe Großmutter! (Schalkhaft.) Gesetzt, es brennt, was kann Ihr Schreien helfen?

Fr. Staar. Was? ein fremdes Mannsbild in deiner Tasche? wohl gar in deinem Herzen?

Sab. Es ist ja nur ein Mann in Glas und Rahmen.

Fr. Staar. Ei, lehre du mich die Männer kennen, sie springen aus dem Rahmen heraus, ehe man sichs versieht. – Nun da haben wirs! ich bin immer dagegen gewesen, dich in die Residenz zu schicken. War ich doch auch zu meiner Zeit eine wohlerzogene Jungfrau, aber von der Residenz hab' ich nichts weiter gewußt, als daß Se. Majestät der König dort wohnen. – Nun haben wir die Bescheerung! Bilderchen hat sie mitgebracht! Mannsbilderchen! du gottlose Dirne! weißt du, was so ein Ding zu bedeuten hat? Zu meiner Zeit ließ sich keiner malen, der nicht in Amt und Würden stand, oder wenigstens 10 Jahre verheirathet war. Dann geschah es aber auch mit der gehörigen Gravität in Lebensgröße, einer Spitzenhalskrause, und einem Blumenstrauße in der Hand. So hängt dein Großvater draußen hinter dem Küchenschranke, der wohledle Herr Untersteuereinnehmer, Gott hab' ihn selig! aber heut zu Tage, daß Gott erbarm! die Kinder lassen sich malen mit struppigten Haaren und offener Brust! und klein, winzig klein, daß man es in eine Nadeldose legen kann. Daher kömmt eben der Unfug. Große Bilder stehen frei und ehrbar vor der ganzen Welt; aber die kleinen Spitzbuben schleichen sich in alle Taschen, und Gott verzeih mir die Sünde! hängen wohl gar an Bänderchen und Kettchen in den Busen hinab! – Wer ist der Mensch? heraus mit der Sprache!

Sab. (verlegen). Liebe Großmutter, Sie ereifern sich ohne Noth –

Fr. Staar. Nun? wer ists?

Sab. Es ist – (für sich) was soll ich ihr sagen? (laut) es ist das Bild unsers Königs.

Fr. Staar. Unsers Königs?

Sab. Die Cousine schickte es mir, weil sie weiß, daß wir ihn Alle lieben.

Fr. Staar. Ah! ja so! das ist ein Andres. Sieh, sieh doch, ist das unser König? hab' ich doch längst gewünscht, ihn einmal zu betrachten. Aber er hat ja keinen Stern?

Sab. Den braucht er nicht, um zu glänzen.

Fr. Staar. Ei! ei! nun das war ein gescheuter Einfall von deiner Cousine. Höre, Sabinchen, das Bild mußt du mir schenken. Ich will es an eine Zitternadel befestigen, und auf meine Haube stecken.

Sab. (bei Seite). O weh!

Fr. Staar. An deinem Ehrentage leih' ich es dir. Oder auch schon morgen am Verlobungstage. (Sie steckt es zu sich.)

Sab. Nein, nein, lieber will ich es nie tragen, nur keine Verlobung.

Fr. Staar. So recht, Sabinchen, ziere dich, wein' ein Thränchen, verstecke dich, das ist fein sittsam, ich hab' es auch so gemacht. Heutzutage sehen die Mädchen ihren Liebhabern starr in die Augen, und sprechen von einer Verlobung, als von einem Recept zu einer Mandeltorte. Höchstens bei der Trauung fallen sie noch ein bischen in Ohnmacht.

Sab. Aber bei mir, liebe Großmutter, ist es keine Ziererei. Ich kann den Herrn Sperling nicht ausstehn. Er hängt sich an wie eine Klette, und schwatzt wie eine Elster, – und kurz, er ist ein Narr.

Fr. Staar. Ei ei, Kind, was redest du da? wahre deine Zunge! Ich habe schon manche Dirne spotten hören, die hinterdrein froh war, wenn der Verspottete sie heim führte.

Sab. Lieber bleib' ich ledig.

Fr. Staar. Ei du mein Gott! was kannst du denn gegen ihn einwenden? hat er nicht einen feinen Titel? ist er nicht Bau-, Berg- und Weginspectors-Substitut?

Sab. Das gilt mir gleich.

Fr. Staar. Waren seine Eltern nicht honette Leute? sein Großvater hat sogar mit im Rathe gesessen.

Sab. Immerhin.

Fr. Staar. Du kömmst da gleich in eine große Verwandtschaft.

Sab. Desto schlimmer.

Fr. Staar. Eine Menge Vettern und Muhmen, der Eine hilft hier, der Andere dort.

Sab. O ja, alle Wochen ein Familienschmauß.

Fr. Staar. Auch gut. Dabei wirst du nicht zurück bleiben. Herrliche Wäsche bekömmst du mit, Gedecke zu 18 Personen. Herr Sperling hat hübsches Silberzeug; er ist auch sonst nicht arm; ein Krautland vor dem Thore und ein Erbbegräbniß in der Kirche –

Sab. Ich wollte, er läge schon darin.

Fr. Staar. Gottloses Kind! da kömmt dein Oheim, der wird dir sagen, was der Herr Bau-, Berg- und Weginspectors-Substitut für ein feines Männchen ist.

 

Fünfte Scene.

Der Vicekirchenvorsteher Staar. Die Vorigen.

Fr. St. Gott zum Gruß, mein Sohn Andreas. Komm doch näher. Du bist Vicekirchenvorsteher, du weißt deine Worte zu setzen; bedeute doch das alberne Mädchen. Sie will nichts von der Verlobung hören, sie macht sich lustig über den Bräutigam.

Hr. St. Ei, ei, ich will nicht hoffen –

Sab. Mein Oheim wird mir beistehn. Er hat eine Lesebibliothek und folglich kennt er die Welt.

Hr. St. Ja, ja, die kenn' ich.

Sab. Die neuen Romane hat er alle gelesen, und folglich kennt er das menschliche Herz.

Hr. St. Ja, ja, das kenn' ich.

Sab. Er wird Ihnen gleich sagen, wie manches arme Mädchen, das zu einer Heirath gezwungen wurde, an der Schwindsucht sterben mußte.

Hr. St. Nein, Binchen, nein, dergleichen führ' ich nicht. Die weinerlichen Romane sind aus der Mode, ich brauche sie nur noch in meiner Gewürzbude. Räuber müssen es sein, Banditen!

Fr. St. Gott steh uns bei!

Hr. St. Schade nur, daß unsere Dichter so wenig Patrioten sind, und immer nur Italiener verewigen. Wir haben doch auch einen Käsebier, einen Schinderhannes und wie die großen deutschen Männer alle heißen.

Fr. St. Da war ja auch vor zehn Jahren der Lorenz Schmeckebein, der an unsern eigenen Galgen gehangen wurde.

Hr. St. Recht, Frau Mutter. Im Vertrauen, ich bin jetzt daran, sein Leben zu dramatisiren. Sperling macht die Romanzen dazu. Er ist kein übler Dichter. Besonders weiß er mit den Sonetten umzuspringen; da müssen die Reime herbei, und sollt' er ihnen alle Haare ausraufen.

Fr. St. Hörst du, Binchen? hörst du?

Hr. St. Es ist ein ganzes Kerlchen, der Sperling, hat die neuere Aesthetik studiert, könnte Collegia darüber lesen.

Fr. St. Hörst du, Kind? hörst du?

Hr. St. Sentenzen sprudelt er von sich, und Fragmente würgt er heraus; den will ich sehen, der sie toller macht, als Er.

Fr. St. Nun, Binchen? nun?

Hr. St. Kurz, Mädchen, er wird dein Mann, mein Neffe, mein Erbe, mein Gehülfe bei der Lesebibliothek; und damit Punktum.

 

Sechste Scene.

Der Bürgermeister. Die Vorigen.

Bürg. Sabine, hole mir die Perücke, ich muß aufs Rathhaus.

Sab. Gleich, lieber Vater. (ab.)

Bürg. Sein Diener, Herr Bruder. Ein saurer Tag! ich muß arbeiten wie ein Ackergaul.

Hr. St. Was giebt es denn?

Bürg. Liegt denn nicht Alles auf mir? das Wohl der ganzen Stadt? – der Proceß, den Meister Barsch mit dem Nachtwächter führt, wegen der zerbrochnen Laterne, wird heute entschieden.

Hr. St. Wer hat gewonnen?

Bürg. Der Nachtwächter muß die Laterne repariren lassen, und Meister Barsch bezahlt die Gerichtskosten, 4 Thaler 8 Groschen.

Fr. St. Das ist billig.

Bürg. Der Schuster Korb und der Schneider Lümmel werden heute auch vorgenommen, wegen der Prügelei im Bierhause.

Hr. St. Was giebts denn da?

Bürg. Beide behalten ihre Prügel und zahlen Strafe.

Fr. St. Von Rechtswegen.

Bürg. Dann ist noch die wichtige Sache mit der ganzen Bürgerschaft.

Hr. St. Wegen des Straßenfegens?

Bürg. Ganz recht. Der Hochlöbliche Magistrat will nun einmal nicht die Straßen fegen. Es ist ein Onus der Bürgerschaft, sie hat sich von jeher mit dem Straßenkothe befaßt, und der Hochlöbliche Magistrat wird sich drein legen so lange, bis die Widerspenstigen ihre Pflicht thun.

Fr. St. Ein jeder fege vor seiner Thür, das ist ein altes Sprüchwort.

Bürg. Nein, Frau Mutter, ich bin Bürgermeister, auch Oberältester, und fege nicht vor meiner Thür. Sie mögen nur appelliren, der Koth bleibt liegen. Und sollte der Proceß 20 Jahre dauern, der Koth rührt sich nicht von der Stelle.

Hr. St. Auf Recht muß man halten.

Bürg. Wohlgesprochen, Herr Bruder.

Fr. St. Aber am Ende können wir nicht mehr vor die Hausthür.

Bürg. Thut nichts, wir bleiben daheim, dann mögen sie sehen, wie sie auf dem Rathhause fertig werden. Standhaft bin ich wie die babylonische Mauer. Was wäre auch schon längst aus unsern Privilegien geworden, wenn ich nicht gewesen wäre? – wer hat es so weit gebracht, daß wir morgen das hohe Fest feiern können? ich! ich bin durchgedrungen, ich habe die Ehre der Stadt gerettet!

 

Siebente Scene.

Sabine (mit der Perücke), Vorige.

Sab. Da ist die Perücke.

Fr. St. Es bleibt doch dabei, mein Sohn, daß morgen zugleich Sabinchens Verlobung gefeiert wird?

Bürg. Allerdings. Es ist ein merkwürdiger Tag.

Fr. St. Das Mädchen macht Einwendungen.

Bürg. Was? ich bin Bürgermeister, auch Oberältester, mir macht man keine Einwendungen.

Sab. Lieber Vater!

Bürg. Erst die Pflicht, dann die Liebe. Ich gehöre dem Staate. Mir gebührt es, ein Fest zu verherrlichen, das noch unsern Urenkeln Segen bringen wird. (indem er die Perücke aufsetzt.) Die Jurisdiction zwischen unserer guten Stadt Krähwinkel und dem benachbarten Amte Rummelsburg war strittig – eine Diebin wurde eingefangen – wir wollen sie an den Pranger stellen, die Rummelsburger gleichfalls. – Neun Jahre lang haben wir processirt – die Delinquentin ist indessen wohl verwahrt worden – Gott sei Dank! sie lebt noch – wir siegen, und morgen steht sie am Pranger.

Sab. Lieber Vater, der Delinquentin kann fast nicht schlimmer zu Muthe sein, als mir.

Bürg. Wie so?

Sab. Wenn sie ihre Strafe überstanden hat, so ist sie frei. Ich habe nichts verbrochen, und soll morgen auf ewig in Ketten geschmiedet werden.

Bürg. Sei ruhig, mein Kind. Der heidnische Gott Amor oder Hymenäus schmiedet nur Blumenfesseln.

Sab. Ach! die nicht selten das Herz wund drücken.

Bürg. Der Herr Bau-, Berg- und Weginspectors-Substitut Sperling ist ein Mann bei der Stadt.

Fr. St. Das hab' ich auch gesagt.

Bürg. Es fehlt ihm keinesweges am Judicio.

Hr. St. Das hab' ich auch gesagt.

Bürg. Er hat Vermögen.

Fr. St. Meine Worte.

Bürg. Schreibt allerlei poetische Exercitia.

Hr. St. Mir aus der Seele gesprochen.

Bürg. Kurz, ich habe denselben zu meinem Schwiegersohn erkieset, wogegen keine weitere dilatorische Einrede statt findet.

Sab. (bei Seite). Weh mir! Alles hat sich gegen mich verschworen!

 

Achte Scene.

Die Magd. Die Vorigen.

Magd. Da bringt eben ein Bauer einen Brief. Der Herr, der ihn schickt, liegt draußen im Steinbruch und flucht. Er hat den Wagen zerbrochen, und ich glaube auch ein Bein.

Bürg. Seit, ich Bürgermeister auch Oberältester bin, ist, Gott sei Dank, noch in jeder Woche auf unserer Straße ein Reisender umgeworfen worden.

Fr. St. Warum läßt denn aber ein Hochedler Rath die Wege nicht repariren?

Bürg. Was soll denn aus unsern Schmieden und Sattlern werden, die vom Umwerfen leben müssen?

Sab. Aber, lieber Vater, die Reisenden klagen gewaltig. Sie müssen noch obendrein Chausseegeld bezahlen.

Bürg. Laß sie klagen und zahlen. Was wollen die Reisenden reden, wenn wir uns sogar gefallen lassen, daß das Pflaster unserer guten Stadt Krähwinkel noch weit schlechter ist als die Landstraße?

Sab. Trotz des Pflastergeldes.

Bürg. Eben deswegen. Wir brechen hier auch die Beine, und murren nicht. Also, wo ist er Brief?

Magd (öffnet die Thür). Nur herein, guter Freund! (Sie geht ab.)

 

Neunte Scene.

Ein Bauer. Die Vorigen.

Bauer. Ew. Gestrengen halten zu Gnaden. Draußen im Steinbruch liegt ein Herr, muß wohl ein vornehmer Herr sein, denn er hat auch Laternen am Wagen, sie sind alle zerbrochen.

Bürg. Und Arm und Beine?

Bauer. Die sind für diesmal noch ganz geblieben. Nur die Nase ein wenig geschunden.

Bürg. Aber der Wagen?

Bauer. Der sieht jämmerlich aus. Ein Rad liegt oben, gerade neben der Tafel, wo das Chausseegeld darauf steht.

Hr. St. Da kann er lesen zum Zeitvertreib.

Bauer. O, Bücher hat er die Menge, aber alle beschmutzt, so wie seine Kleider. Drum getraut er sich auch noch nicht, vor Ew. Gestrengen Gnaden zu erscheinen.

Bürg. Was will er bei mir?

Bauer. Er hat mir einen halben Gulden gegeben, daß ich den Brief hertragen und ihn anmelden soll.

Fr. St. Vielleicht kommt er zu dem morgenden Feste.

Sab. (bei Seite). Oder vielleicht – o wie klopft mein Herz!

Bürg. (öffnet den Brief). Wie? was? von Sr. Excellenz dem dirigirenden Herrn Minister? dem hohen Gönner und Patron dieser Stadt? – man schweige – man verwundre sich – man höre. – (Er liest.) »Mein lieber Herr Bürgermeister!« – O ja! Se. Excellenz haben mich immer geliebt. – »Ueberbringer dieses, mein alter Schul- und Universitätsfreund, Herr Olmers« –

Sab. (bei Seite). Er ists!

Fr. St. Herr Olmers schlechtweg? ein Freund des Ministers?

Bürg. Stille! (Er liest.) »hat viel Gutes von Ihnen und Ihrer Stadt gehört, und wünscht einige Wochen da zuzubringen.« – Hört ihr, Kinder? in der Residenz sprechen sie von nichts, als von mir und unserer Stadt. – »Da ich ihn nun sehr liebe und hochschätze, so wünsche ich, Sie möchten die Gefälligkeit für mich haben« – unterthänigster Diener! – »ihn in Ihrem Hause aufzunehmen,« – Ew. Excellenz haben zu befehlen! – »sein etwaniges Anliegen bestmöglichst zu befördern« – soll geschehn. –

Sab. (bei Seite). Gottlob!

Bürg. (liest). »und ihn als Ihren eigenen Sohn zu betrachten.« – fiat! – »Mit Vergnügen werde ich jede Gelegenheit ergreifen, Ihnen wiederum gefällig zu sein.« – Zu viel Gnade! – »Ich verbleibe mit Hochachtung meines Herrn Bürgermeisters dienstwilliger Graf von Hochberg.« – Alles manu propria. Habt ihrs gehört? Se. Excellenz der Herr Graf von Hochberg –

Fr. St. Er ist dein Dienstwilliger.

Hr. St. Er verbleibt mit Hochachtung.

Bürg. Er ergreift jede Gelegenheit! – Das ist ein Mann! Kinder, das ist ein Mann! der könnte alle Tage Bürgermeister in Krähwinkel werden! Aber er soll auch an mir seinen Mann gefunden haben. (Zu dem Bauer.) Marsch! fort! hinaus! Ich lasse dem fremden Herrn meinen unterthänigsten Respect vermelden, und den Augenblick solle mein eigner Wagen ihm zu Diensten stehn.

Fr. St. Wo denkst du hin? unsere Pferde sind aufs Feld, Kartoffeln zu holen.

Bürg. Ja so! ein verdammter Streich! man springe hin zu dem Wirth in der goldenen Katze, er soll vorspannen, soll seine Schützenuniform anziehn, soll sich selber auf den Bock setzen, hinausfahren, aufladen, hereinführen, fort! fort!

Bauer (ab).

Sab. (bei Seite). Er hat doch Wort gehalten.

Fr. St. Aber das gefällt mir nicht, mein Sohn, daß du dem Fremden deinen unterthänigsten Respect hast vermelden lassen. Das ist zu viel.

Bürg. Zu viel? ist er nicht der Freund des Herrn Grafen? und ist der Herr Graf nicht mein Dienstwilliger?

Fr. St. Alles gut, aber er ist doch nun einmal gar nichts, hat weder Titel noch Amt, Herr Olmers schlechtweg. Du bist Bürgermeister, auch Oberältester.

Bürg. Freilich, freilich. Was ist zu thun? Der Bauer ist mit dem unterthänigsten Respect nun einmal davon gelaufen.

Hr. St. Ich denke, Frau Mutter, dahinter stecken noch ganz andere Dinge. Wenn der Herr Olmers schlechtweg Herr Olmers wäre, so würde der Minister den Henker nach ihm fragen. Schulfreund? Universitätsfreund? Du lieber Gott! die vornehmen Herrn vergessen wohl, wen sie gestern gesehn haben, das find' ich in allen Romanen; wie viel mehr Leute, mit denen sie vor 20 Jahren einmal den Cornelius Nepos exponirten. Nein, nein, ich bleibe dabei, der Herr Olmers reist incognito, und ist ein wichtiger Mann im Staate.

Bürg. Da hat der Herr Bruder allerdings einen klugen Einfall. Gebt Acht, der Fremde ist nicht viel weniger als Minister.

Hr. St. Ehe ihrs euch verseht, knöpft er den Oberrock auf – da habt ihr den Stern.

Fr. St. Ein Stern! ich bekomme meinen Schwindel.

Sab. (bei Seite). Er trägt allerdings etwas Kostbares auf dieser Stelle.

Fr. St. Aber sagt mir nur, was kann er denn bei uns suchen?

Bürg. Fehlt es uns etwa an Merkwürdigkeiten? Das alte Rathhaus! 1430 ist es erbaut worden. Auf dem großen Saale hat ein Hussitengeneral dem damaligen Bürgermeister eine Ohrfeige gegeben.

Hr. St. Und die Wallfischrippe an der Decke –

Bürg. Und die Stadtuhr, wo der Hahn kräht, und der Apostel Petrus mit dem Kopfe nickt.

Fr. St. Und unsere Leinewandbleiche –

Hr. St. Und das große Hirschgeweih –

Bürg. Ein Pommerscher Herzog hat den Hirsch höchsteigenhändig erlegt.

Fr. St. Vielleicht kömmt er auch wegen der Tuchfabriken?

Bürg. Possen! ein solcher Herr hat in seinem Leben Tuch genug gesehn.

Fr. St. Meinen Cichoriencaffee soll er bewundern.

Hr. St. Ein gutes Buch dabei aus meiner Lesebibliothek.

Bürg. Oder die merkwürdigsten Akten, welche vor einem Hochlöblichen Rathe verhandelt worden.

Fr. St. Was wird das vor Aufsehn in der Stadt machen, daß ein solcher Herr bei uns logirt.

Bürg. Wir müssen ihn nur auch nach Würden empfangen.

Hr. St. Sabinchen, laß die Kinder weiß anziehn. Ich will den Sperling herschicken, der soll sie lehren Blumen streun, das ist jetzt Mode.

Bürg. Und ich will sogleich den Thürmer bestellen. Er kann ein wenig die Trompete blasen. Wenn der Fremde zum Thore herein fährt, soll er blasen, was die Lunge nur halten will.

Hr. St. Find' ich nur den Sperling, er ist capabel noch Verse zu machen.

Bürg. Suche der Herr Bruder ihn auf; und die Frau Mutter, nebst Jungfer Tochter, verfügen sich in die Küche, backen, kochen, sieden, braten. Heute wird nicht von Zinn gespeist, sondern von Fayance. Was von Silber im Hause ist, muß auf den Tisch. Meine silberne Tabaksdose kann als Salzfaß gebraucht werden. – Das große Deckelglas mit meinem verzogenen Namen wird vor den Fremden gestellt. Kein schwarzes Brod, lauter Semmeln. Zwei Flaschen von meinem köstlichen Naumburger. Ein Kalbskopf mit einem vergoldeten Lorbeerblatt im Maule. Eine Pastete mit Morcheln, und eine gebratene Gans mit Borstdorferäpfeln. O, Se. Excellenz sollen wissen, daß wir auch verstehn, was dazu gehört.

Fr. St. Und was das Nöthigen betrifft, da verlaß dich auf mich. Ich will ihn nöthigen, so lange noch ein Bissen hinein geht. Er soll einen Knopf nach dem andern von der Weste springen lassen.

Bürg. Das thue die Frau Mutter. Komm der Herr Bruder. Jeder verrichte das Seine, zu Ehr' und Ruhm unserer guten Stadt Krähwinkel. (Ab mit Herrn Staar.)

 

Zehnte Scene.

Frau Staar. Sabine.

Fr. St. Nun Sabinchen, jetzt rühre dich. Die Garnitur von Damast muß auf den Tisch. Sie sollte zwar erst morgen an deinem Verlobungstage prangen. –

Sab. Je nun, liebe Großmutter, wer weiß was heute geschieht.

Fr. St. Wie? ziehst du andre Saiten auf? der Fremde, nicht wahr?

Sab. Freilich, der Fremde.

Fr. St. Wir bitten ihn zur Hochzeit?

Sab. Das versteht sich.

Fr. St. Er sitzt oben an.

Sab. Er soll neben mir sitzen.

Fr. St. Nein, Kind, das geht nicht, da sitzt der Bräutigam.

Sab. Recht, liebe Großmutter.

Fr. St. Und an der andern Seite der Brautvater, und gegenüber sitz' ich, und neben mir, da mag er sitzen.

Sab. Ich will ihm schon ein Plätzchen anweisen, mit dem er zufrieden sein soll.

Fr. St. Vielleicht kann er auch deinem künftigen Manne weiter forthelfen.

Sab. Das denk' ich.

Fr. St. Es ist schon lange im Werke mit dem Sperling, daß er Runkelrübencommissionsassessor werden soll. Das wäre denn doch ein feiner Titel.

Sab. Ein recht süßer Titel. – Also die Garnitur von Damast?

Fr. St. Ja, Binchen. Ich habe sie noch als Braut gesponnen. Dein Großvater hat oft dabei gesessen.

Sab. Da ist der Faden wohl manchmal abgerissen?

Fr. St. Schalk! nun freilich. –

Sab. Ich hole sie, und denke dabei an die treue Liebe. (Ab.)

 

Eilfte Scene.

Frau Staar. Bald darauf die Magd.

Fr. St. (allein). Sieh, sieh, das Binchen ist auf einmal ganz lebendig geworden. Aber sie hat Recht, wir müssen uns tummeln. – Ach du mein Gott! da fällt mir eben bei, es müssen ja auch noch Gäste gebeten werden; der Fremde kann doch nicht ganz allein mit uns essen.– Aber, wen soll man einladen? – Da sind sie nun Alle fort! – Mit wem soll man dergleichen wichtige Dinge berathschlagen? – Margarethe! Margarethe!

Die Magd (kömmt).

Fr. St. Lauft doch geschwind hin zu meiner Muhme, der Frau Oberfloß- und Fischmeisterin Brendel, und zu meiner Muhme, der Frau Stadtaccisecasseschreiberin Morgenroth, und sprecht: die Frau Untersteuereinnehmerin lasse sich der Frau Oberfloß- und Fischmeisterin und der Frau Stadtaccisecasseschreiberin ganz gehorsamst empfehlen, und wenn die Frau Oberfloß- und Fischmeisterin und die Frau Stadtaccisecasseschreiberin die Güte haben wollten, die Frau Untersteuereinnehmerin auf einen Augenblick zu besuchen, so würde die Frau Untersteuereinnehmerin solches mit großem Dank erkennen, sintemal etwas sehr Wichtiges vorgefallen sei.

Die Magd (ab).

Fr. St. (allein). Nun muß ich auch noch meine geblümte Contusche anziehn – und eine andere Haube aufsetzen – aber der Perückenmacher! – daß Gott erbarm! – der kömmt nur an Sonn- und Feiertagen – in der Woche geht er auf dem Lande umher und frisirt den Pastoren ihre Perücken. – Was ist anzufangen? – ich könnte mich freilich von der Sabine – aber die jetzigen Moden sind so lüderlich, so pudelmäßig – da ist nichts Geklebtes, nichts Geschniegeltes – weder Pommade noch Kammstrich! – Mein Sohn Niclas denkt auch an gar nichts. Hätte er den vornehmen Herrn noch ein paar Stunden im Steinbruche zappeln lassen, so könnte man ihn mit der gehörigen Gravität empfangen.

 

Zwölfte Scene.

Frau Staar und Frau Brendel.

Fr. Brendel. Da bin ich, liebwertheste Frau Muhme. Ich bin gelaufen, ich habe keinen Athem mehr – ich war eben erst bei meiner siebenten Tasse Caffee, aber ich habe Alles stehn und liegen lassen –

Fr. St. Sehr verbunden, hochgeschätzte Frau Muhme. Wissen Sie schon? –

Fr. Br. Ach ich weiß Alles! Meine Magd war im Fleischscharren, da hat der Fleischer erzählt, sein Nachbar, der Leineweber, habe gehört, wie der Rathsbote zu seiner Tochter gesagt hat: Mieke, hat er gesagt, draußen im Steinbruche liegen ein paar Grafen, die haben Arme und Beine gebrochen und werden gleich hier sein. Der Thürmer wird blasen, die Kinder werden Blumen streuen, der Magistrat in corpore wird ihnen entgegen ziehn, und die Glocken werden geläutet.

Fr. St. Es ist nur Einer, Frau Muhme, Einer liegt draußen im Steinbruch, vermuthlich ein vornehmer Herr. Bei uns wird er logiren. Der Minister hat selber geschrieben, und hat meinen Sohn um Gotteswillen gebeten. Nun können Sie denken, Frau Muhme, was für ein Rumor hier im Hause ist. Und Alles liegt auf mir! Alles auf mir!

 

Dreizehnte Scene.

Frau Morgenroth. Die Vorigen.

Fr. Morgenroth. Gehorsame Dienerin, meine theuerste Frau Muhme! sehn Sie nur, wie ich schoffirt bin. Ich komme doch nicht zu spät? Mit Erlaubniß zu reden, ich war fast noch im Hemde, singe mein Morgenlied und kämme den Mops. Beim dritten Verse stürzt Ihre Magd herein, je du mein Gott! ich denke, das Haus brennt. Da bin ich aufgesprungen, der Mops ist mir vom Schooße gefallen, das Gesangbuch in die Kohlpfanne, wo ich meinen Caffee wärmte, der Caffee ist in die Kohlen geflossen, und von dem Liede: wach auf mein Herz und singe! sind zwei Verse verbrannt.

Fr. St. Ich bedaure unendlich, werthgeschätzte Frau Muhme. –

Fr. M. Hat nichts zu bedeuten. Ich weiß schon Alles. Draußen im Steinbruche liegen drei oder vier Prinzen, der Eine ist todt, der Andere schnappt nur noch ein Bischen. Der Kutscher hat den Hals gebrochen, und die Pferde strecken alle Viere von sich. Der Herr Amtsadvocat Balg ist mir auf der Straße begegnet, der hat es von seiner Köchin, die weiß es von der Frau Lotterieinspectorin, der hat ihres Mannes Balbier Alles umständlich erzählt.

Fr. St. Nun, nun, so gar gefährlich ist es doch nicht. Vor einer kleinen Weile kam ein Bauer von Rabendorf –

Fr. Br. Ich weiß, der hat einen harten Thaler zum Trinkgelde bekommen.

Fr. M. Nicht doch, Frau Gevatterin, ein Louisd'or soll es gewesen sein.

Fr. St. Der war gelaufen was er konnte. –

Fr. Br. Er soll das Milzstechen bekommen haben.

Fr. M. Auch Nasenbluten.

Fr. St. Ein vornehmer Herr hat den Wagen gebrochen.

Fr. Br. Ein Graf –

Fr. M. Etliche Prinzen.

Fr. St. Das wissen wir noch nicht. Vornehm muß er sein, denn er logirt nicht in der goldenen Katze, sondern bei uns, auf ausdrückliches hohes Begehren. Nun, da mein Sohn, der Bürgermeister auch Oberältester, die Erste Person in der Stadt gleichsam repräsentirt, so begreifen Sie wohl, liebwertheste Frau Muhme, daß er seinem Range Ehre machen muß.

Fr. Br. Ein Schmauß auf dem Rathhause –

Fr. M. Ein Tanz auf der Schützengilde.

Fr. St. Morgen ist das große Fest, wie Sie wissen.

Fr. Br. Ach ja das Weib, das vor 9 Jahren die Kuh stahl –

Fr. M. Morgen steht sie am Pranger. Ich freue mich ungemein darauf.

Fr. Br. Ich habe mir eine ganz neue Roberonde dazu machen lassen.

Fr. St. Da ist nun ohnehin schon Allerlei zu dieser Feierlichkeit veranstaltet. Aber heute ruht die Ehre der Stadt auf uns allein; heute müssen wir tractiren, und das wollen wir denn auch mit Gottes Hülfe. Die Tische sollen sich biegen unter Gottes Segen. Meine werthgeschätzten Frau Muhmen sind auch dazu eingeladen.

Fr. Br. Ist mir eine große Ehre –

Fr. M. Werde nicht ermangeln.

Fr. St. Nun wünscht' ich aber doch den fremden Herrn mit den Honoratioren unserer Stadt bekannt zu machen. Da hab' ich mir denn nun Ihren guten Rath erbitten wollen, wer etwa noch einzuladen wäre.

Fr. Br. (nachdenkend). Je nun, ich dächte –

Fr. M. Sie könnten etwa –

Fr. Br. Den Herrn Geleits- und Landacciscommissarius Kropf –

Fr. St. Nein, Frau Muhme, der hat neulich an seiner Mutter Geburtstage einen Schmauß gegeben, und hat uns nicht dazu gebeten.

Fr. Br. Ah so!

Fr. M. Etwa den Herrn Supernummerarius-Rentkammerschreiber Wittmann?

Fr. Br. Nein, Frau Muhme, mein seliger Mann hatte einen Proceß mit seinem Schwiegervater wegen einer Dachrinne.

Fr. M. Ah das ist ein Andres.

Fr. St. Ich denke den Herrn General-Postgüterbeschauer Holbein?

Fr. M. Um Gotteswillen nicht, Frau Muhme! der hat eine unausstehliche Frau! fast alle Sonntage ein neues Kleid. Das rauscht an den Kirchenstühlen vorüber –

Fr. Br. Das trägt die Nase so hoch –

Fr. M. Und man kennt sie doch noch recht gut –

Fr. Br. Ja wohl, wie sie das graue Leibchen mit der grünen Schürze trug.

Fr. M. Man munkelt auch Allerlei, woher sie es nimmt.

Fr. Br. Nein, da möcht' ich lieber den Herrn Kreis-, Trank-, Schock- und Quatembersteuer-, auch Imposteinnehmer Runkel vorschlagen.

Fr. St. Mit dem bleiben Sie mir vom Leibe, Frau Muhme; der ist ein Grobian! Glauben Sie wohl, daß er uns ordentlich besucht hat? Der Naseweiß! eine Karte hat er abgegeben, eine Visitenkarte. – Eher könnte man den Herrn Floßstrafbefehlshaber Weidenbaum bitten.

Fr. Br. Ja nicht, Frau Muhme, ums Himmelswillen nicht! Sie wissen doch, daß der böse Mensch dreimal mit meines Schwagers Stieftochter gesprochen hat, und daß er sie folglich heirathen wollte? Nun ist er weggeblieben, und hat das arme Mädchen ins Gerede gebracht.

Fr. St. Ja du lieber Gott! wen sollen wir denn aber bitten?

Fr. M. Da kömmt der Herr Vetter Sperling.

 

Vierzehnte Scene.

Sperling (mit einem großen Blumenstrauß). Die Vorigen.

Sperl. Frau Untersteuereinnehmerin Frau Oberfloß- und Fischmeisterin Frau Stadtaccisecasseschreiberin allerseits gehorsamster Diener! Ich war in meinem Garten der Herr Vicekirchenvorsteher hat den Rathsboten nach mir geschickt ich bin gelaufen wie ein Sonnenstrahl! Kaum hab' ich mir so viel Zeit genommen, diese Kinder des Frühlings zu pflücken.

Die drei Frauen. Wissen Sie schon?

Sperl. Alles weiß ich. Ein berühmter Gelehrter umgeworfen das Nasenbein gequetscht Empfehlungsschreiben vom Minister

Fr. St. Ein Gelehrter, sagen Sie?

Fr. Br. Nur ein Gelehrter?

Fr. M. Ei du mein schöner Caffee! der in die Kohlen lief.

Fr. St. Glauben Sie's nicht, Frau Muhme. Ich habe alle mein Lebtage gehört, daß die Minister sich wenig um Gelehrte bekümmern. Nein, nein, es hat eine andere Bewandtniß.

Sperl. Und ich bleibe dabei, der Mann mit der gequetschten Nase ist ein Gelehrter, kömmt aus Egypten oder aus Weimar, hat die Säule des Pompejus gemessen, oder doch Wieland aus dem Fenster gucken sehn. Kurz, wir haben keine Zeit zu verlieren. Hier sind die Blumen, schaffen Sie mir nur geschwind die Kinder herbei. Kinder muß ich haben! dann mag er kommen und sehn, was in Krähwinkel geschieht!

Fr. St. Nun, nun, sie sollen gleich hier sein. (Ab.)

Sperl. (steht seitwärts und probirt pantomimisch den Empfang).

Fr. M. Haben die Frau Gevatterin wohl bemerkt, wie lächerlich die alte Frau Muhme sich geberdet?

Fr. Br. Ja wohl, Frau Gevatterin, sie bläht sich wie ein Teig am Ofen.

Fr. M. Lieber Gott! ihr Mann war doch nur Untersteuereinnehmer.

Fr. Br. Wie er starb, blieb er einen Rest in die Casse schuldig.

Fr. M. Und was wird das für ein Tractament werden? wissen Sie noch vor acht Wochen den Braten? er war ja ganz verbrannt.

Fr. Br. Und wie sie aussieht! was wird sie anziehn?

Fr. M. Sie hat ja nur drei Kleider.

Fr. Br. Ganz recht, das braune

Fr. M. Und das weiße

Fr. Br. Und das stoffene

Fr. M. Das hat sie machen lassen, wie der Bürgermeister zum ersten Male taufen ließ.

Fr. Br. Um Vergebung, Frau Gevatterin, das wurde gemacht, als der Vicekirchenvorsteher seine zweite Frau heirathete.

Fr. M. Die auch eine Närrin war.

Fr. Br. Ja wohl, ja wohl.

 

Funfzehnte Scene.

Frau Staar mit zwei Kindern, die große Butterbrode essen. Die Vorigen.

Fr. St. Da sind die Kinder.

Sperl. Her damit!

Fr. St. Verneigt euch erst vor den lieben Frau Muhmen. So! Nun gebt eine Patschhand. So!

Fr. Br. (indem sie sich die Butter von den Fingern wischt). Allerliebste Püppchen! Gott behüte sie!

Fr. M. (eben so). Der lieben Frau Muhme wie aus den Augen geschnitten.

Fr. Br. Haben doch die Pocken schon gehabt?

Fr. St. Noch nicht. Mein Sohn wollte immer inoculiren lassen, aber das leide ich nicht. Man muß dem lieben Gott nicht vorgreifen.

Fr. M. Jetzt will man die Kinder gar unter das Vieh stecken.

Fr. Br. Man nimmt die Materie von den Bestien.

Fr. St. Es ist ein gottloses bestialisches Wesen.

Sperl. (der sich indessen mit den Kindern beschäftigte). Kinder, legt die Butterbrode bei Seite.

Die Kinder. Ne, ne.

Sperl. So nehmt wenigstens die Blumen in die Eine Hand.

 

Sechszehnte Scene.

Herr Staar. Der Bürgermeister. Sabine. Einer nach dem Andern. Die Vorigen.

Hr. St. (eilig). Eben fährt er zum Thore herein. Die ganze Straße ist voll Jungen. Sie rufen neben dem Wagen her und gaffen ihm ins Gesicht.

Bürg. (eilig). Er kömmt! er kömmt! Der Thürmer steht auch schon unten mit seiner Trompete.

Sperl. Du lieber Gott! die Kinder sind noch so dumm

Hr. St. Streut nur Blumen, und werft sie ihm ins Gesicht.

Sabine (eilig). Olmers! Olmers! er ist da! (Ein verstimmter Trompetenstoß).

Bürg. Allons! ihm entgegen!

Hr. St. Die Kinder voraus!

Sperl. (reißt ihnen die Butterbrode aus den Händen und wirft sie auf den Tisch). Laßt die Butterbrode so lange hier.

Hr. St. (schiebt hie Kinder zur Thüre hinaus). Fort! fort!

Die Kinder (schreien). Mein Butterbrod! mein Butterbrod!

Bürg. (ihnen folgend). Wollt ihr die Mäuler halten?

( Sperling und Herr Staar folgen.)

Sabine (steht am Fenster und wirft Küsse hinab).

Fr. St. Frau Oberfloß- und Fischmeisterin, Sie werden die Güte haben, voran zu spazieren.

Fr. Br. Das wird nimmermehr geschehn, Frau Stadtaccisecasseschreiberin, ich bitte gehorsamst

Fr. M. Frau Untersteuereinnehmerin, Ihnen gebührt die Ehre.

Fr. St. Bewahre der Himmel! ich bin in meinem eigenen Hause.

Fr. Br. Ich kenne meine Schuldigkeit.

Fr. M. Ich gehe nicht von der Stelle.

Alle Drei (fangen plötzlich an zu reden und zu complimentiren).

 

(Der Vorhang fällt.)

 


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