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Frau Staar (allein).
Nein, so etwas dergleichen von Ungezogenheit ist mir noch nicht vorgekommen. Sind das die feinen Sitten in der Residenz? Gott behüte und bewahre! Von der Madam will ich gar nichts mehr reden, denn die liegt mir schon tief im Magen. Aber ich weise ihm den Ehrenplatz an zwischen zwei respectabeln alten Frauen, was thut er? er läßt sie sitzen, wie ein paar Wachsbilder in einer Jahrmarktsbude, und pflanzt sich mitten unter das junge Volk! Ei! ei! ei! Nein, da lob' ich mir den Herrn Bau-, Berg- und Weginspectors-Substituten! das ist doch ein Männchen! galant und scharmant, gebiegelt und geschniegelt.
Frau Staar. Frau Brendel. Frau Morgenroth. (Beide nach ihrer Art geputzt.)
Fr. St. Nun Frau Muhme? der liebe bescheidene Gast!
Fr. Br. Der scheint mir ein lockerer Zeisig.
Fr. M. Haben Sie bemerkt, wie er das Brod zu Kugeln drehte, und die Jungfer Muhme damit warf?
Fr. St. Der böse Mensch! die edle Gottesgabe!
Fr. Br. Den rothen Wein hat er auf's Tischtuch verspritzt.
Fr. M. Was wollen Sie sagen! beim Lichtputzen hat er sogar einen Funken darauf fallen lassen.
Fr. St. I du Bösewicht! mein damastnes Tischtuch.
Fr. Br. Das Essen schien ihm auch nicht recht zu schmecken.
Fr. M. Er ließ manche Schüssel ganz vorübergehn. Schickt sich das?
Fr. St. Ich habe ihm doch genug gesagt, wie gut jede Schüssel zubereitet sei, und aus welchen Ingredienzien sie bestehe.
Fr. Br. Ich denke, am Nöthigen haben wir es Alle nicht fehlen lassen.
Fr. M. Er war ja so unverschämt, sich das Nöthigen ganz zu verbitten.
Fr. St. Man sieht, daß er noch wenig gute Gesellschaft frequentirt hat.
Fr. Br. Nicht einmal den Kuchen hat er gelobt, und der war doch vortrefflich.
Fr. M. Außerordentlich mürbe.
Fr. Br. Er zerging auf der Zunge.
Fr. M. Vermuthlich selbst gebacken?
Fr. St. Zu dienen.
Fr. Br. O das merkt man gleich.
Fr. St. Allzugütig.
Fr. M. Der Teig ist wie Schaum.
Fr. St. Sie beschämen mich.
Fr. Br. Darf ich fragen, wie viel Eier die Frau Muhme dazu nehmen?
Fr. St. Ich werde die Ehre haben, das ganze Recept mitzutheilen. Man nimmt Erstens
Herr Staar. Die Vorigen.
Hr. St. Bleibt mir vom Halse mit Eurem vornehmen Gaste! Der kann sich erst aus meiner Lesebibliothek das Sittenbüchlein holen, und solches fleißig studiren.
Fr. Br. Ja wohl, Herr Vicekirchenvorsteher, der ist gar sehr in der Erziehung verwahrlost.
Hr. St. Erst hat er nicht einmal ordentlich sein Tischgebet verrichtet.
Fr. St. Und noch obendrein über die armen Kinder gelacht, die doch ihr »Komm, Herr Jesu, sei unser Gast« recht ordentlich herunter beteten.
Hr. St. Als ich, nach alter scherzhafter Weise, die Gesundheit: Was wir lieben! machte, gleich rief er: was uns wieder liebt und seinem Nachbar einen Kuß giebt.
Fr. Br. (sich verschämt mit dem Fächer wedelnd). Ich hatte das Unglück, ihm an der linken Hand zu sitzen.
Fr. St. Die hübsche Mamsell Morgenroth, die ihm zur Rechten saß, wurde feuerroth.
Hr. St. Die Sabine warf ihm einen grimmigen Blick zu.
Fr. St. Am Ende wollte er ja gar ein heidnisches Lied singen: Freude, schöner Götterfunken! Nein, so verrucht geht es bei uns nicht zu.
Hr. St. Weil er selbst keinen Titel hat, so gibt er auch keinem Menschen seine gebührende Ehre.
Fr. St. Wenn mein Sohn, der Bürgermeister, auch Oberälteste, die wichtigsten Prozesse abhandelte, so saß er und kitzelte mit der Gabel auf dem Teller.
Fr. Br. Und Zucker hat er in den Kaffee geworfen, eine ganze Hand voll!
Fr. M. Und statt nach Tische zur gesegneten Mahlzeit die Hand zu küssen, hat er sich ein einziges Mal rings herum verbeugt.
Hr. St. Ich möchte nur wissen, wie der Herr Minister solche Leute empfehlen kann.
Sperling. Vorige.
Sperl. Hochgeehrteste Frau Muhmen, ich wollte, der Fremde läge noch im Steinbruche, denn unter uns gesagt, er hat keine Conduite.
Hr. St. Darüber sind wir einig.
Sperl. Haben Sie wohl das spöttische Lächeln bemerkt, als ich den löblichen alten Leberreim vorschlug?
Hr. St. Von Ihrer schönen Ode auf die braunschweiger Mumme hat er nicht drei Worte gehört.
Fr. Br. Da zwinkert' er immer mit der Jungfer Muhme, die ihm gegenüber saß.
Sperl. Für die schöne Literatur scheint er wenig Sinn zu haben.
Hr. St. Er hat ja nicht einmal den Rinaldo Rinaldini gelesen.
Sperl. Er ist zu bedauern. Es mag ihm nicht an Anlage fehlen, aber keine Ausbildung.
Hr. St. Keine Sitten.
Fr. Br. Keine Moral.
Fr. M. Keine Lebensart.
Fr. St. Keinen Titel.
Sperl. Wenn der bei dem morgenden großen Feste erscheint, geben Sie Acht, der wird zum Kinderspott.
Hr. St. Danken wir dem Himmel, daß in unserer guten Stadt Krähwinkel die liebe Jugend feiner erzogen wird.
Sabine. Vorige.
Fr. St. Gut, Binchen, daß du kömmst. Sag' uns doch ein wenig: gleichen die jungen Herren in der Residenz alle diesem Musje Olmers!
Sab. Alle, die Anspruch auf feine Bildung machen.
Fr. St. So? Scharmant.
Hr. St. Er ist ja ein Grobian.
Fr. Br. Dreht Brodkugeln.
Fr. M. Befleckt die Tischtücher.
Fr. St. Titulirt keinen Menschen.
Sperl. Verhöhnt die Poesie.
Fr. Br. Lobt keinen Kuchen.
Fr. M. Läßt die Hälfte auf dem Teller liegen.
Hr. St. Weiß von keinem Tischgebet.
Fr. St. Will heidnische Lieder singen.
Sperl. Küßt die Nachbarin.
Fr. St. Hat weder deinem Vater noch dem Herrn Pastor loci geduldig zugehört.
Sab. O weh! o weh! der arme Olmers! Liebe Großmutter, in der Residenz verbannt man so viel möglich allen Zwang. Komplimente sind dem, der sie macht, im Grunde. eben so lästig, als dem, der sie empfängt. Man läßt die Leute essen, wovon sie Lust haben, und so viel sie mögen, man nöthigt nie. Das Tischgebet ist nicht mehr gebräuchlich, weil die Kinder nur plappern, und die Erwachsenen nichts dabei denken. Ein anständiger Scherz, ein frohes Lied würzen das Mahl. Der Titel bedient man sich blos im Amte, im geselligen Leben würden sie nur die Freude verscheuchen. Kurz, ein guter Wirth sucht Alles zu entfernen, was die Behaglichkeit seiner Gäste stören könnte. Man kömmt, man setz sich, man steht, alles nach Belieben. Man geht wieder, ohne Abschied zu nehmen.
Fr. St. Hör' auf! Ich bekomme meinen Schwindel.
Fr. Br. Ohne Abschied! Ist das möglich?
Fr. M. Sich nicht einmal zu bedanken für genossene Ehre!
Sab. Wenn die Gäste vergnügt sind, so hält der Wirth das für den besten Dank.
Fr. St. Ach du mein Gott! ist denn die Residenz zu einer Dorfschenke geworden?
Der Bürgermeister. Olmers. Vorige.
Bürg. Wie ich Ihnen sage, Herr Olmers, die Stadtheerde hat seit hundert Jahren das Privilegium, auf den Rummelsburger Stoppel zu weiden
Olm. So?
Bürg. Nun aber hat der Amtmann daselbst noch neuerlich einen Hammel gepfändet
Olm. (zu Sabinen). Meine schöne junge Wirthin ist mir entschlüpft.
Bürg. Einen Hammel, sag' ich, hat er gepfändet
Olm. Zwar kleidet die häusliche Sorge Sie überaus wohl
Bürg. Einen fetten Hammel, sage ich
Sab. (halbleise). So hören Sie doch auf den Hammel!
Olm. Lassen Sie es gut sein, Herr Bürgermeister. Ich bin von den Privilegien Ihrer Stadtheerde sattsam überzeugt. Der Amtmann muß den Hammel herausgeben, das versteht sich.
Bürg. Ei, damit ist's noch nicht gethan.
Olm. Und Strafe dazu, so viel Sie wollen. (Zu Frau Staar.) Nicht wahr, Madam? Sie haben uns so schön bewirthet, daß wir in diesem Augenblicke selbst für den fettesten Hammel uns nicht zu interessiren vermögen.
Fr. St. Es scheint überhaupt, mein Herr, daß vernünftige Gespräche nicht Jedermann interessiren. Zu meiner Zeit wurde das Alter in hohen Ehren gehalten. Betitelte Personen von gesetzten Jahren führten das Wort, die unbetitelte Jugend hörte und lernte. Sintemalen nun aber diese ehrbare Sitte nicht mehr gebräuchlich, so thun ältere Personen wohl, sich der Gesellschaft zu entziehen, und über den Sittenverfall in christlicher Einsamkeit zu seufzen. (Sie verneigt sich und geht ab.)
Olm. Ich will nicht hoffen, daß Madam auf mich zürnt?
Hr. St. Meine Frau Mutter, die Frau Untersteuereinnehmerin, wird in ganz Krähwinkel so hoch respectirt, daß sie auch dann nicht einmal zornig wird, wenn Dieser oder Jener ihr die gebührende Titulatur versagt. (Ab.)
Olm. Mein Gott! die Titel sind hier in der Provinz so lang, und das Studium derselben so beschwerlich
Sperl. Besonders wenn man selbst keinen Titel hat. (Ab.)
Olm. Aus einer frohen Gesellschaft sollte jeder Zwang verbannt sein.
Fr. Br. Da man aber bei einer Gasterei nicht zusammenkömmt, um froh zu sein, sondern um die Gaben Gottes reichlich und mit Anstand zu genießen, so sollte man doch billig auf die respective Würde der Gesellschaft einige Rücksicht nehmen. (Verbeugt sich und geht.)
Fr. M. Zumal, da die guten Sitten nur durch ein ehrbares Ceremoniel in ihrer Reinigkeit erhalten werden. (Verbeugt sich und geht.)
Olm. Bewahre der Himmel.
Bürg. (bei Seite, indem er sich die Perücke zurecht zupft). Wenn nur der Minister nicht wäre, ich wollte es ihm auch schon sagen.
Sab. (leise). Sie sind auf dem besten Wege, es mit der ganzen Familie zu verderben. Reden Sie mit meinem Vater, ehe es zu spät wird. (Ab.)
Olmers und der Bürgermeister.
Bürg. Wiederum auf besagten Hammel zu kommen
Olm. O Herr Bürgermeister! und wenn Sie mir alle Hammel von ganz Tibet versprächen, jetzt hab' ich einen Wunsch, der mir näher am Herzen liegt.
Bürg. So? so?
Olm. Ich liebe Ihre Mademoisell Tochter.
Bürg. Ei, ei.
Olm. Ich wünschte sie zu heirathen.
Bürg. Viel Ehre.
Olm. Ich habe Vermögen, und durch das Wohlwollen des Ministers hoffe ich auch bald ein anständiges Amt zu erhalten.
Bürg. Gratulire.
Olm. Nur Ihre Einwilligung fehlt noch zu meinem Glücke. Darf ich mir schmeicheln?
Bürg. Gehorsamer Diener!
Olm. Als ein ehrlicher Mann hab' ich meine Anwerbung in wenig Worten ohne Schminke vorgetragen. Antworten Sie mir eben so.
Bürg. O ja Sie erlauben nur ich bin paterfamilias meine Pflicht erheischt, die sämmtlichen Vettern und Muhmen zusammen zu berufen, und selbigen Dero Anliegen in geziemenden terminis vorzutragen.
Olm. Thun Sie das. Ich gehe indessen in den Garten und erwarte mit Ungeduld die Entscheidung. (Ab.)
Der Bürgermeister allein.
Ei seht doch! der Mensch fällt mit der Thür ins Haus. Ist das eine Manier zu heirathen? weiß er denn nicht einmal, daß man vorher ein halbes Jahr in einem Hause ab und zu, aus- und eingehen muß, bis die ganze Stadt davon spricht, ehe man zu solchen Extremitäten schreitet? Gott verzeih' mir die Sünde, das sähe ja aus, als müßte die Hochzeit über Hals und Kopf aus gewissen Ursachen beschleunigt werden. (Er geht an die Thür und ruft hinaus.) Margarethe! Bittet geschwind die Frau Mutter, und den Herrn Bruder, und auch die Frau Muhmen herüber; ich hätte etwas Importantes mit ihnen zu überlegen. (Kommt zurück.) Ja wenn nur der Minister nicht wäre, auf der Stelle hätte ich ihn abgefertigt. Aber ich wollte denn doch, daß er das morgende Fest Sr. Excellenz getreulich referirte; drum muß ich ihn schonen.
Bürgermeister. Frau Staar. Herr Staar. Frau Brendel. Frau Morgenroth.
Fr. Br. Da sind wir auf des Herrn Bürgermeisters Verlangen.
Fr. St. Was begehrst du, mein Sohn?
Hr. St. Was will der Herr Bruder?
Bürg. Es ist eine Familienangelegenheit zu berathschlagen; da hab' ich denn die lieben Angehörigen versammeln wollen.
Fr. Br. und Fr. M. Ei was denn? Herr Vetter, was denn?
Bürg. Etwas Nagelneues.
Fr. Br. Doch nicht wegen der neuen Frau Steuereinnehmerin, die der alten würdigen Frau Muhme beim heiligen Liebesmahl durchaus vortreten will?
Fr. St. Sie soll sich nur unterstehen
Bürg. Nein, das ist es nicht.
Fr. M. Oder wegen Feldscheers Christian, der ihren Gottlieb einen Strohkopf geschimpft hat?
Bürg. Auch nicht. Die Sache ist jetzt vor Einem Hochedeln Rath und kann unter zwei Jahren nicht beendigt werden.
Fr. St. Nun so explicire dich, mein Sohn!
Bürg. Nehmen wir zuvor Platz, um in gehöriger Ordnung zu procediren. Die Frau Mutter, als Familienpräses, in der Mitte; die Stammhalter zu beiden Seiten. Die Frau Muhmen auf dem rechten und linken Flügel. So.
Fr. Br. (indem sie sich setzt). Ich sterbe vor Verlangen.
Fr. M. (eben so). Ich platze vor Neubegier.
Bürg. (räuspert sich). Es ist Ihnen allerseits wohl bewußt, welchergestalt meine älteste eheleibliche Tochter Sabina nunmehro die mannbaren Jahre erreicht hat.
Fr. St. Freilich, sie soll ja heirathen.
Fr. Br. Etwas zu jung möchte sie allerdings noch sein.
Fr. M. Wenn sie nicht meine liebe Muhme wäre, so würde ich sagen, sie sei noch ein wenig naseweis.
Hr. St. Getroffen. Die Bücher aus meiner Lesebibliothek sind ihr alle nicht gut genug.
Fr. Br. Ein ziemliches Weltkind, das die neusten Moden aus der Residenz bekömmt.
Fr. M. Neulich spottete sie gar über unsere Manier, uns zu verneigen.
Fr. Br. Unser alter Tanzmeister war zu seiner Zeit doch ein berühmter Mann.
Fr. M. Freilich wußte er nichts von dem neumodischen Hopsasa!
Fr. Br. Und litt auch nicht, daß man auf der Straße die Schleppe um sich wickelte wie einen nassen Lappen.
Fr. St. Nun, nun, liebwertheste Frau Muhmen, der Jugend muß man etwas zu gute halten. Mein Sabinchen hat doch ein ehrliches Gemüth. Fahre fort, mein Sohn Niclas!
Bürg. Obbesagte meine Tochter Sabine gedenket nunmehro der Herr Bau-, Berg- und Weginspectors-Substitut Sperling als sein eheliches Gemahl heim zu führen.
Hr. St. Ist zur Gnüge bekannt. Nur weiter.
Bürg. Es findet sich aber, daß, ehe noch die sponsalia vollzogen worden, ein Mitbewerber auftritt, welcher gleichfalls christliche Absichten heget.
Alle. Wer? wer?
Bürg. Es ist solches der mir von Sr. Excellenz dem höchst zu verehrenden Herrn Minister das Dringlichste empfohlene Herr Olmers.
Fr. St. Der?
Hr. St. Hm!
Fr. Br. Ei!
Fr. M. Seht doch!
Fr. St. Wirklich?
Hr. St. Curios!
Fr. Br. In der That.
Fr. M. Unvermuthet.
Bürg. Was meinen nun die lieben Angehörigen nach reiflicher der Sache Erwägung.
Hr. St. Je nun
Hr. St. Ich meine
Fr. Br. Was mich betrifft
Fr. M. Ich habe so meine eigenen Gedanken.
Fr. Br. Die Heirathen nach der Residenz gedeihen nicht allzuwohl. Man hat Beispiele.
Fr. St. Ganz recht, Frau Muhme, die Stadtsecretairs Tochter.
Fr. Br. Das war ein Juchhe und eine Herrlichkeit, wie sie den Journalenschreiber heirathete.
Fr. M. Drei neue Kleider auf Einmal wurden angeschafft.
Hr. St. Aber es dauerte kein Jahr, so kam sie mit einem Würmchen zurück.
Fr. Br. Sitzt nun da und nagt am Hungertuche.
Fr. M. Die seidenen Fähnchen sind verkauft.
Fr. St. Natürlich, wo soll es herkommen!
Fr. Br. Das Leben wird alle Tage theurer.
Fr. M. Ja wohl, Frau Muhme, die Butter hat auf dem letzten Markttage wieder einen Groschen mehr gekostet.
Fr. St. Wo will das hinaus?
Fr. Br. Die Frau Rentkammerschreiberin Wittmann tractirt doch alle Tage.
Fr. M. Ich höre ja, sie hat gestern wieder Kuchen gebacken?
Fr. St. Was Sie sagen!
Fr. Br. Ihr Mann ist doch nur Supernumerarius.
Fr. St. Wo nehmen nur die Leute das Geld her?
Fr. M. Ja, wenn ich reden wollte
Fr. St. und Fr. Br. O reden Sie, liebe Frau Muhme, reden Sie.
Bürg. Ein anderes Mal, wenn ich unmaßgeblich bitten darf. Wiederum auf meine Sabine zu kommen
Hr. St. Wo denkt der Herr Bruder hin? Der Mensch hat ja gar keine Familie.
Fr. Br. Man weiß ja nicht einmal, wie er geboren ist?
Fr. M. Ob man Hoch- oder Wohledel an ihn schreibt?
Fr. Br. Sie wissen. daß die Honoratioren unserer Stadt seit undenklichen Zeiten Alle untereinander verwandt sind.
Fr. M. Der Familie wegen werden ja eben die Heirathen gestiftet.
Hr. St. Das hilft sich einander in den Hochweisen Rath.
Fr. Br. Der Herr Vetter wissen das selber am besten.
Fr. M. Ein Fremder ist eine Raubbiene in unserm netten Bienenkorbe.
Hr. St. Weiß nichts von unsern alten ehrwürdigen Gebräuchen
Fr. Br. Macht sich lustig über unsere ehrbaren Sitten
Fr. M. Vergiftet die liebe Jugend, die ohnehin täglich schlimmer wird
Fr. St. Ja wohl, Frau Muhme! zu unserer Zeit
Fr. M. Ei ja wohl! ja wohl!
Fr. St. Ich wundre mich nur, wie Sie die Hauptsache vergessen können! Der Mensch ist ja gar nichts, nicht einmal ein Supernumerarius, oder so etwas dergleichen. Seht doch! das gefällt mir nicht übel. Die Tochter eines Bürgermeisters auch Oberältesten! Die Enkelin eines Untersteuereinnehmers! Die Nase steht ihm hoch.
Bürg. Das Conclusum dieser Berathschlagung fiele also dahin aus
Fr. St. Nein, er bekömmt sie nicht.
Alle. Er bekömmt sie nicht.
Bürg. Bene! Optime! Das ist auch meine Meinung. Nur stehet annoch zu erörtern, wie man auf eine glimpfliche Weise ihm solches insinuiren möge? Denn aus schuldigem Respect vor Sr. Excellenz dem Herrn Minister muß solches mit besonderer Schonung tractiret werden.
Fr. St. Wenn er alle Tage zu Gaste geladen wird, so kann er schon zufrieden sein.
Bürg. Das wäre etwas.
Fr. Br. Der Herr Vetter können ihm ja von Rathswegen den Ehrenwein schenken.
Bürg. Nein, Frau Muhme, das wäre zu viel.
Fr. M. Oder bei der nächsten Kindtaufe, welche in der Familie vorfällt, könnte man ihn zu Gevatter bitten.
Bürg. Das läßt sich hören.
Hr. St. Wie wär' es da es ihm doch hauptsächlich darauf ankömmt, sich hier in Krähwinkel zu etabliren wenn man ihm eine andere Frau proponirte?
Bürg. Da hat der Herr Bruder einen gesunden Einfall.
Fr. St. Ja, aber wen?
Hr. St. Deine Ursula. Sie geht ins neunte Jahr. Er kann warten; kann unterdessen mit Hülfe des Ministers ein ordentlicher, honnetter Mensch werden; kann in unsern Gesellschaften Lebensart lernen, durch meine Lesebibliothek sich ausbilden, und dann wieder zufragen.
Fr. St. Recht. Man bliebe dann noch immer Herr zu thun oder zu lassen.
Bürg. Wenn er aber nicht so lange warten will? Denn ich kenne die jungen Herren, wenn sie einmal das Heirathen anwandelt, so geht es über Hals und Kopf.
Hr. St. I nu, ich wollt' ihm auch wohl eine reife Schönheit vorschlagen.
Alle. Wen denn?
Hr. St. Da unsere Frau Muhme, die Frau Oberfloß- und Fischmeisterin.
Fr. Br. (verschämt) Ah! Sie spaßen.
Hr. St. Sie ist schon acht Monat Wittwe.
Fr. Br. Bald neun Monat, Herr Vicekirchenvorsteher, bald neun Monat.
Hr. St. Sie hat Vermögen, kann ihm irgend einen Titel kaufen, sie sind wohlfeil zu haben. Ein hübscher Mensch ist er doch nun einmal.
Fr. Br. Ja, hübsch ist er, das muß man gestehn.
Hr. St. So käm er denn doch in die Familie.
Fr. St. Und darum scheint es ihm besonders zu thun.
Bürg. Ja wie wär' es, Frau Muhme?
Fr. Br. (sich hinter den Fächer versteckend). Ach lassen Sie doch den lieben Gott walten.
Olmers. Vorige.
Olm. Verzeihen Sie der Ungeduld der Liebe, die mich rastlos umhertreibt. Ich sehe Sie versammelt. Vielleicht ist mein Schicksal schon entschieden. Darf ich mir schmeicheln, bald mit in diesen Kreis zu gehören?
Bürg. (verwirrt und umständlich). Ja ja Se. Excellenz der Herr Minister haben Dieselben allerdings so dringend empfohlen wenn ich gewisse Wünsche nicht gerade angebrachtermaßen
Fr. St. So gäb' es denn doch noch Mittel
Hr. St. Mit einigen Modificationen
Fr. Br. Ach ich bitte! schweigen Sie.
Fr. M. Die Familie ist, dem Himmel sei Dank, groß
Fr. Br. Sie machen, daß ich glühe.
Olm. Was soll ich aus diesen abgebrochenen Sätzen schließen? Ich bitte, Herr Bürgermeister, erklären Sie sich deutlich.
Bürg. Meine Frau Mutter ist das Haupt der Familie, ihr kömmt es zu, das Wort zu führen. (Ab.)
Olm. Von Ihren Lippen, Madam, erwart' ich also den Ausspruch.
Fr. St. (nießt).
Alle (außer Olmers). Zur Gesundheit! Gott stärke Sie!
Fr. St. (bei Seite). Nicht einmal Prosit sagt der Unmensch. (Laut.) Nein, mein Herr, die Madam hat hier nichts auszusprechen. Rede du, mein Sohn, du kennst meine Gedanken. (Ab.)
Olm. O geschwind, mein Herr, lassen Sie mich nicht länger in dieser marternden Ungewißheit.
Hr. St. Eine delicate Sache. Heirathen und Nähnadeln müssen die Frauenzimmer einfädeln. Bitte daher, sich an die Frau Muhmen zu halten. (Ab.)
Olm. Sie also, meine Damen?
Fr. M. Das Herz eines Jünglings, mein Herr, weiß nicht immer, was es wünscht. Oft wähnt es sich fern vom Ziele, indessen Amor durch einen glücklichen Tausch es zu beseligen im Begriff steht.
Olm. Was soll das heißen?
Fr. M. Fragen Sie nur die Frau Gevatterin. (Ab.)
Olm. Werden Sie mir endlich diese Räthsel lösen?
Fr. Br. (minaudirend). Die Familie hat Absichten Sie glaubt Ihnen Ersatz schuldig zu sein man thut Vorschläge man entwirft Pläne aber Sie fühlen wohl, mein Herr, daß es unschicklich wäre, wenn eine junge Frau sich auf etwas einlassen wollte, die erst seit zehn Monaten Wittwe ist. (Ab.)
Olmers allein.
Was Teufel soll das bedeuten? – Man ist doch wahrhaftig übel daran, wenn man sein ganzes Leben in einer großen Residenz zugebracht hat. Führt Einen der Zufall dann in eine kleine Stadt, so steht er da, wie eine Eule auf der Stange; die Krähen flattern rings umher und ärgern sich über den Fremdling.
Sabine und Olmers.
Sab. Sind Sie endlich allein?
Olm. Ja wohl, aber nicht in der besten Laune.
Sab. Ich habe Ihnen tausenderlei zu sagen.
Olm. Ich Ihnen nur Einerlei.
Sab. Daß Sie mich lieben? nicht wahr?
Olm. Getroffen.
Sab. Dazu ist jetzt nicht Zeit. Der verdammte Sperling sitzt mir überall auf der Ferse. Ach mein Gott! da ist er schon wieder!
Sperling. Vorige.
Olm. (leise). Soll ich ihn zur Thür hinauswerfen?
Sab. (leise). Ums Himmelswillen! verderben Sie nicht Alles.
Sperl. Da bin ich, da bin ich, mein reizendes Sabinchen, treu und folgsam wie die Schleppe an Ihrem Kleide.
Olm. Da stehen Sie in Gefahr getreten zu werden.
Sperl. Ach! aber ach! das Mädchen kam,
und nicht in Acht das
Veilchen nahm,
Zertrat das arme Veilchen
Olm. Die Grausame!
Sperl. Hat nichts zu bedeuten. Nicht wahr, mein Binchen? Wir wissen schon, wie wir mit einander stehen.
Olm. Nur nicht vor dem Altare.
Sperl. Bald! bald!
Die Myrtenkron' im blonden Haar
Führ' ich die Holde zum Altar.
Olm. (der nur mit Mühe noch an sich hält). Wie aber, mein Herr Bau-, Berg- und Weginspectors-Substitut, wenn Sie sich vorher noch mit einem Nebenbuhler den Hals brechen müßten?
Sperl. Ei, ei, wie das?
Olm. (rückt ihm näher). Wenn man Ihnen kurz und rund sagte
Sperl. (retirirt). Ei was denn? was denn?
Sab. (tritt zwischen sie). Ja, Herr Olmers, Sie haben Recht, es wird am besten sein, diesen Herrn um Rath zu fragen.
Sperl. Worin denn?
Sab. (Olmers winkend). Er versteht sich darauf, das dürfen Sie mir sicher glauben.
Sperl. Worauf denn, mein Engel?
Sab. (zu Sperling). Sehn Sie nur, dieser Herr hier steht im Begriff, einen Roman zu vollenden.
Olm. Ich einen Roman?
Sab. (leise). Ei so schweigen Sie doch!
Sperl. Einen Ritterroman?
Sab. Ja ja, es ist so eine Art von Ritterroman. Um nun die Katastrophe vorzubereiten, ist es durchaus nothwendig, daß der Ritter mit einem Mädchen eine geheime Unterredung habe.
Olm. Ja, mein Herr, das ist durchaus nothwendig.
Sperl. Wohl, wohl, ich begreife das.
Sab. Nun ist aber das arme Mädchen den ganzen Tag von lästigen Augen bewacht. Bald der Vater, bald die Mutter, bald der Nebenbuhler
Sperl. Aha! ist auch ein Nebenbuhler dabei? vermuthlich eine widerliche Kreatur?
Olm. Ja wohl, mein Herr, ein unerträglicher Narr!
Sperl. Ich verstehe, hä! hä! hä! hä! hä!
Sab. Es muß also eine List ersonnen werden, um der Dirne Gelegenheit zu verschaffen unbemerkt mit ihrem Ritter zu schwatzen, denn (mit Beziehung) sie hat ihm höchst wichtige Dinge zu sagen.
Sperl. Die der Nebenbuhler nicht hören darf?
Sab. Nun freilich.
Sperl. Ich verstehe. Und nun ist der Herr da in Verlegenheit, wie er das Ding einfädeln soll?
Olm. Allerdings. Wenn Sie die Güte haben wollten, mir mit gutem Rath beizustehn
Sperl. Herzlich gern. Nichts leichter auf der Welt. (Er sinnt nach.) Sehen Sie zum Exempel am Tage darf die Zusammenkunft schon nicht geschehn, denn da geht der abgeschmackte Nebenbuhler dem Mädchen nicht von der Seite.
Olm. So ist's, mein Herr.
Sperl. Also bei Nacht! und zwar in der Geisterstunde! um Mitternacht!
Sab. Das möchte bedenklich sein, weil das Mädchen zwar munter und muthwillig, aber doch sehr sittsam geschildert worden.
Olm. Das hätte doch so viel nicht zu bedeuten, da der Ritter ohnehin schon halb und halb ihr Bräutigam ist.
Sab. Nein, Herr Olmers, die Ehre Ihrer Heldin ist mir zu lieb. Um Mitternacht wird nichts daraus. Allenfalls den Abend.
Sperl. Wohl, wohl, den Abend. Vermuthlich ist der Nebenbuhler eine Schlafmütze, die früh zu Bette geht?
Sab. Getroffen.
Sperl. Nun, so bleiben wir bei dem Abend. Da ist denn ein langer, einsamer Gang in der Burg, von einem Lämpchen schwach erleuchtet
Sab. Nein, nein, das Local ist bereits sehr umständlich geschildert. Da ist kein solcher Gang.
Sperl. Oder ein Garten, wo zwischen düstern Taxushecken
Sab. Sie vergessen, Herr Sperling, das sittsame Mädchen geht nicht zwischen die düstern Taxushecken.
Olm. Mich dünkt doch, dahin könnte man sie immer gehen lassen.
Sab. Ei bewahre! das thut sie nicht.
Sperl. So könnte der Ritter sich kurz und gut in ihr Schlafzimmer schleichen?
Sab. Behüte der Himmel! das thut sie noch weniger.
Olm. Es scheint fast, sie hat kein Vertrauen zu ihrem Geliebten.
Sab. Das wohl. Aber was würden die Recensenten von der Moralität sagen? Nein, auf solche Dinge läßt sie sich durchaus nicht ein.
Sperl. Ja, dann sind wir doch wirklich in einiger Verlegenheit. Ich wollte, weiß Gott! herzlich gern die Sache befördern. Schade, mein Herr, daß Sie den Charakter des Mädchens fast ein wenig zu streng und sittsam angelegt haben.
Olm. Sie haben Recht. Ich sehe wohl, sie wird am Ende doch noch dem albernen Nebenbuhler zu Theil werden.
Sperl. Nein, nein, nein! Das muß nicht geschehn. Nein, durchaus nicht! Das wollen wir zu verhüten suchen. (Nachsinnend.) Wie wenn das Einzige, wozu das Mädchen sich allenfalls verstehen könnte, wäre etwa, vor Schlafengehn, eine kurze Unterredung vor der Hausthür. Da wäre denn noch Alles rings umher wach es gingen Leute vorüber, der Nachtwächter und dergleichen. Was meinen Sie dazu?
Olm. Ein herrlicher Einfall.
Sab. Recht schicklich kommt es mir freilich auch nicht vor
Sperl. Seien Sie ganz ruhig, das nehm' ich auf mich. (zu Olmers.) Veranstalten Sie in Gottes Namen die Zusammenkunft auf diese Weise; dagegen kann Niemand etwas einwenden.
Sab. Nun ja, Herr Olmers, wenn es Ihnen so gefällt
Olm. (zu Sperling). Ich befolge Ihren Rath mit Freuden.
Sperl. (reibt sich sehr zufrieden die Hände). Na, so hätten wir denn doch dem armen sittsamen Mädchen aus der Klemme geholfen.
Sab. (macht einen Knix). Dafür muß sie sich bedanken.
Sperl. Ist gern geschehn. Vielleicht könnte man es auch so einrichten, daß der Nebenbuhler dabei auf eine lächerliche Weise hinter das Licht geführt würde?
Sab. Allerdings.
Sperl. Wenn er nämlich dumm genug dazu ist?
Olm. O ja, dafür steh' ich Ihnen.
Sab. Wie, wenn das Mädchen in Gegenwart des Nebenbuhlers ihr Rendezvous mit dem Geliebten veranstaltete?
Sperl. Bravo! bravo! Da gibt es etwas zu lachen.
Sab. Man könnte ihn sogar selbst mit lachen lassen.
Sperl. Immer besser! immer besser! (Er lacht von ganzem Herzen).
Sab. Horch! die Gäste brechen auf. Gute Nacht, meine Herren! Morgen wollen wir mehr darüber lachen, denn vermuthlich wird Herr Olmers noch diesen Abend Alles in Richtigkeit bringen.
Olm. Ganz gewiß.
Sab. Nun dann, auf Wiedersehn! (Ab.)
Sperl. Sie wollen noch heute daran arbeiten?
Olm. Ja, das erste Feuer muß man nutzen.
Sperl. Sie haben Recht. Hören Sie wenn Ihr Roman fertig ist darf ich mir wohl ein Exemplar davon ausbitten?
Olm. Er soll Ihnen dedicirt werden. (Ab.)
Sperling (allein).
Zu viel Ehre, mein Herr! allzuviel Ehre! – Kam es mir doch beinahe vor, als ob er sich lustig über mich machte? der Herr Romanenschreiber!
Er bläht sich auf gleich Superintendenten!
Hofft Ehr' und Geld nun nun, der Himmel geb's!
Daß sein Roman von zwanzig Recensenten
Gelästert wird, gebt Achtung, ich erleb's.
Zwar half ich ihm mit eigenen Talenten;
Er ohne mich ging rückwärts wie ein Krebs:
Das Mägdelein hinunter auf die Straßen
Dies große Wort hab' ich ihm zugeblasen!
(Ab).
(Der Vorhang fällt.)