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Ich hatte die Genüsse Cooktowns schnell durchkostet und beschloß jetzt, in Australiens Inneres zu gehen. Mir war eine Stellung angeboten als Volontär (ohne Gehalt) auf einem großen Viehranch, und da ich brannte, Kolonialerfahrung zu erwerben, packte ich einige Kleidungsstücke zusammen und begab mich auf den Bahnhof.
Nach ungefähr fünfstündiger Fahrt mit Unterbrechungen kamen wir am Endpunkte der Bahn an. Die Station bestand aus einem Bretterschuppen und einer sehr baufälligen Kneipe, wo ich zum erstenmale in die Geheimnisse der Buschdiät eingeweiht wurde. Das Mittagessen – bei 45 Grad Celsius im Schatten – bestand aus sehr altem, zähem Salzfleisch, einigen ungeheuren Kumalas (einer Art süßer Kartoffeln), und dazu gab's heißen, pechschwarzen Tee. ...
Ihrer Britannischen Majestät Postchaise wartete vor der Tür, zur Abfahrt bereit. Es war ein Viererzug, und der bedauerlichste Viererzug, den ich bis dahin getroffen, wie häßlich ein Buschpferd aussehen kann, wenn Gras verdorrt und Wasser verschwindet, wie elend und klappermager und hoffnungslos es werden kann, ohne dabei seine Brauchbarkeit im großen Maße einzubüßen, ist schier unglaublich. Das müde Auge, das rauhe, schmutzige Fell, die scharf markierten Kippen und das messerähnliche Rückgrat; dazu altes, vielgeflicktes Geschirr und ein bedenklich wackliger Wagen, das Ganze unter dem Oberbefehl eines bärtigen, braungebrannten, hinkenden alten Mannes – nein, die königliche Post imponierte mir nicht.
Ich hatte, dem Kutscher gleich, Buschtoilette gemacht: Ein buntwollenes Hemd, am Halse offen; ein Paar englischlederne Hosen, deren ursprüngliche Weiße alle Farbenschattierungen bis ins Gelbbraune durchmachen muß, ehe sie gewaschen werden, ein breitrandiger Hut und ein paar Stiefel ohne Strümpfe. An hohen Festtagen wird noch ein buntes Taschentuch lose um den Hals geknotet und vielleicht, wenn es regnet, ein Rock angezogen. Im allgemeinen aber trägt der australische Buschmann niemals einen Rock.
Fünfzig Meilen hatten wir auf diesem Marterkasten zu fahren bis zur Endstation, Maytown, das jenseits der großen Wasserscheide im Mittelpunkt des alten Palmer Goldfeldes liegt. Und wahrlich, das Herz wäre mir aus dem Leibe geschüttelt worden, hätte ich nicht glücklicherweise einen bedeutenden Teil des Weges zu Fuß zurücklegen müssen. Dafür gestattete mir der Pächter dieser Verbindung (im Busch wird die Postbesorgung an Privatleute verpachtet), die bescheidene Summe von fünfzig Mark zu entrichten. Nachdem endlich alles in den Wagen gepackt worden war, ging es los, und wir verschwanden in einer Wolke erstickenden Staubes die windende Straße entlang.
Das also war der Busch!
Rechts und links, soweit das Auge reichte, offene Parklandschaft, verdorrte Weide, auf der in gewissen Abständen verkrüppelte, kleine Bäume standen, von der unbarmherzigen Sonne zu gemarterten Verrenkungen zerbrannt, von den glühenden Winden entsaftet und zerfurcht. Es waren alles Eukalypten, und ihr spärliches Laub gewährte keinen Schatten, so daß jeder knorrige Ast, jeder verkümmerte Zweig seine häßliche Blöße zeigte in entblätterter Schamlosigkeit. Mir erschienen diese grotesken Zweige wie ein Heer von gequälten Gespenstern. Mir kam diese starre Landschaft vor wie eine Schreckenskammer des Pflanzenlebens. Die dumpfbrütende Mittagsstille, die Abwesenheit aller Tierlaute, das grelle, unheimlich weiße Licht, die verbrannte, dürstende Erde, und in der Ferne die nackten, mit schwarzen Granitblöcken besäten Hügel vereinten sich zu einer furchtbaren, erdrückenden Harmonie, deren Grundton Alter schien, seelenloses, hoffnungstotes, unsagbares Alter.
Das Thermometer stand auf nahezu 50 Grad Celsius. Aber mich schauerte.
Der Kutscher hatte sich herabgelassen, erklärende Randbemerkungen zu diesem stummen Trauerspiele beizutragen, so oft er nicht damit beschäftigt war, den Fluch der Himmels in blutroter Farbe auf seine strauchelnden Gäule herabzurufen. Nun jedoch fuhr er im Schritt durch ein sandiges, trockenes Flußbett.
»Sehen Sie den alten Stamm dort!« sagte er, auf einen gefallenen Baumriesen mit der Peitsche deutend. »Dort ist es, wo wir voriges Jahr einen armen Kerl gefunden haben. Und hier,« fügte er hinzu, die Zügel anziehend unter dem Schatten eines enormen Leichhardtbaumes (eines der wenigen Schattenbäume im Busch, der nach dem verschollenen deutschen Entdeckungsreisenden genannt ist), »hier haben wir ihn begraben. Sehen Sie, das ist das Datum und der Name!«
»Tantalus, 15. 12. 1890«, las ich in tiefen, schon verwachsenden Schnitten in die weiche Rinde gemeißelt.
»Tantalus?« wiederholte ich erstaunt.
»Komischer Name das!« bestätigte der Kutscher. »Aber der Reisende, den ich damals mit mir hatte, schnitt es da hinein. Den Vornamen wußte er nicht. Aber ein schreckliches Ende hat der Arme gehabt.« Und ohne weitere Aufforderung hub er an zu erzählen, während er sich gemütlich den schwarzen Stangentabak zerschnitt und seine kurze Pfeife füllte.
»Well, eines Tages, gerade in solchem Wetter wie heuer, kommen wir langsam den Weg entlang, als die Pferde plötzlich scheuen und durchzugehen versuchen.« –
Ich blickte mit etwas ungläubiger Miene auf das Gespann und lächelte. Aber der Kutscher übersah meine stumme Ironie. – »Himmel! Was ist das?« rief mein Fahrgast aus. Ich schaute mich um. »Das« war der Leichnam eines jungen Mannes, die Beine festgeklemmt unter jenem gefallenen Stamme. Wir sprangen vom Wagen. Nicht weit von dem Körper lag eine Winchesterbüchse und ein langes Messer in einer Lederscheide. Natürlich ein Känguruhjäger, sagte ich mir. Hat sich hier in den Schatten gelegt, und der Baum ist auf ihn gefallen. Das war klar genug.
Aber neben ihm lag eine Art rohes Lasso, offenbar streifenweise aus seinem Hemde gerissen und zusammengeknotet. wozu mochte er das gebraucht haben?
Plötzlich ging uns ein Licht auf. »Sehen Sie,« – und der Kutscher wandte sich an mich mit einem grimmen Lächeln, »der arme Kerl saß fest mit gebrochenen Schenkeln, ohne Wasser, ohne Hilfe. Die Sonne erreichte ihn, als es Mittag wurde, und die Ameisen, – ja, die Ameisen!«
Der Erzähler schauderte, spuckte zornig in den Sand und zertrat mit ganz unnötigem Nachdruck einige der winzigen, schwarzen Insekten, die zu Millionen überall am Boden herumkrochen. »Da hat er denn dieses Lasso gemacht und versucht, die Büchse oder das Messer an sich zu ziehen. Ganz nahe lagen die, aber doch aus seinem Bereiche. Und wie lange er sich da abgequält, den erlösenden Tod zu haschen, bis der Durst und der Schmerz und die Ameisen ihn umgebracht, das weiß natürlich niemand. Aber er sah nicht sehr nett aus, als wir ihn fanden; denn diese verdammten Ameisen –« und er spuckte mehreremal heftig aus.
»Wir suchten und fanden sein Zelt. Doch da waren keine Auskunftspapiere. Und so zogen wir ihn denn unter dem Baum hervor und scharrten ihn lose ein. Die Regierung bezahlt einem hundert Mark für eine solche Arbeit,« und der Alte schmunzelte. »Und da ich ihn selbst nicht kannte, so schnitt mein Passagier das ausländische Wort da in die Rinde. Das wäre sein Familienname, sagte er. Aber er grinste dabei, und ich glaube, er hat mich aufziehen wollen. Haben Sie je so einen Namen gehört?« setzte er hinzu, die Peitsche knallend.
Ich klammerte mich vorbereitend an die Lehne meines Sitzes. »Ja,« antwortete ich leise. »Das ist sogar eine sehr weit verbreitete Familie.«
»Den Teufel auch!« rief der Kutscher. Aber natürlich, hier zu Lande kennt man die meisten Leute nur bei Vornamen.«
Und dann fuhren wir weiter.
*
Ein letzter Höhenzug, schräg über den Berg geschoben wie eine Kulisse, und wir sahen vor uns im verzaubernden Lichte der Abendsonne das Palmer Goldfeld liegen.
Nun war ich nahe dem Ziele meiner Fahrt.
Ich kam in Maytown, dem verkommenen Mittelpunkt eines verkommenen Industriezentrums, unter Peitschenknallen und vielem Staube an. Zwanzig weißgestrichene, einstöckige Holzhäuser mit Wellblech bedeckt, eine breite, weißstaubige Straße entlang gebaut; ein einsamer Neger auf dem Rücken im Schatten eines Schuppens liegend; drei herzverzweifelte Hunde und ein (unvermeidlicher) Ziegenbock, der sich von den Etiketts der überall umherliegenden Bierflaschen nährt – das ist Maytown!
*
Die Postverhältnisse im Innern Australiens sind dürftiger Natur. Eine wöchentlich einmalige Verbindung mit der Küste ist ein wenig verbreiteter Vorzug. Aber auf der anderen Seite kann man von der Regierung der weniger volkreichen Kolonien kaum bessere Einrichtungen verlangen, als die bestehenden. Queensland allein setzt jedes Jahr etwa eine Million Mark an seinem Postdienst zu.
Die Regel ist, gewisse Strecken im Innern vorzuzeichnen und sie dann meist- (oder vielmehr geringst-) bietend zu versteigern. Ein Mann, der im Besitze vieler Pferde ist, nimmt sich dann einen Postreiter, nachdem er mit den Behörden einen Jahresvertrag abgeschlossen. Der wirtschaftliche Niedergang während der letzten Jahre hat die Konkurrenz allerdings sehr scharf gemacht. Und obwohl Pferde so billig sind und sich ihr Futter selber suchen müssen, und der Reiter wohl nur 20–30 M die Woche erhält und während der Tour auf die Gastfreundlichkeit der verschiedenen Stationen angewiesen ist, so bringt doch das Geschäft wenig oder nichts ein.
Die Postsachen werden, nachdem der betreffende Beamte der Abfertigungsstation sie zusammengepackt, auf ein Saumpferd geschnallt, und dann geht es los, 30, 40, 50, ja oft 80 Meilen den Tag, bis zum nächsten Bestimmungsort; und von da immer weiter, bis der Reiter im großen Bogen nach einer, zwei oder auch drei Wochen an den Ausgangspunkt zurückkehrt.
Wrotham Park, die Viehstation, nach der ich mich begab, hatte dem Mailman (Postreiter) ein Sattelpferd für mich mitgegeben und ihm aufgetragen, mich sicher durch die Wildnis zu geleiten. Da die Frau des Mailmans in Palmerville lebte, 30 Meilen von Maytown und auf einer seiner Poststationen, so bestand er auf einen frühen Aufbruch. Ich hatte mein Bündel auch auf das Packpferd geschnallt, und es wurde von uns beiden getrieben. Außerdem folgten uns zwei ziemlich ruppige Köter. Ohne den Hund kann der Buschmann gewöhnlich nicht leben; auf ihn verschwendet er das ganze Bedürfnis der Liebe.
*
Es begann eben hell zu werden, als wir uns in den Sattel schwangen und aufbrachen. Noch war der Busch kühl von seiner Nachtruhe, und das zarte Farbenspiel vom vorigen Abend wiederholte sich. Aber es schwamm ein kaum bemerkbarer, frischer Lebensodem in der Luft, der, wenn auch nur entfernt, an die Frühlingsherrlichkeit eines gesegneteren Klimas erinnerte.
Die Pfeife schmeckte, und die Unterhaltung ward rege. Sie drehte sich meistens um das Pferd. Das Pferd wird vom Australier vergöttert. Und wie das ja auch anderen, hauptsächlich chinesischen, Göttern geht, wird es häufig schlecht behandelt.
Wenn der Buschmann der jungen Generation zum erstenmal in die Großstadt kommt, nachdem er Zeit seines Lebens nichts als Vieh und Pferde und Koppeln und Wüste gesehen, so geht er gleichgültig an den Wundern einer großartigen Zivilisation vorüber und straft elektrische Straßenbahnen und Wachswerk-Schreckenskammern mit der gleichen Verachtung; er eilt schnurstracks nach Pferdebörsen oder Viehmärkten, sitzt halbe Tage lang nachdenklich auf dem obersten Geländerbaum und verzehrt sozusagen Pferdefleisch. Dann geht er gesättigt nach Hause. Auf sein Geistesleben prägt das Pferd seinen Stempel so unauslöschlich ein, daß keine Leidenschaft ihn auszuätzen versteht. Selbst nicht der Rum.
Doch muß ich offen gestehen – und hoffentlich sieht er diese Zeilen nicht –, daß die Anekdoten und Schnurren des Postreiters in keiner Weise unterhaltend waren. Ich zolle meine Anerkennung einer wirklich geschickten Lüge genau so gern, wie jeder andere empfängliche Mensch. Aber der Mailman log dumm, und das ist ein Verbrechen zugleich gegen die Gesetze des Himmels und der Welt. Ich versenkte mich daher in Beobachtung des Packpferdes, das wir vor uns hertrieben, und das, uns verstohlen bewachend, bummelte, aber stets den genauen Augenblick abpaßte, wenn wir in Peitschenbereich gekommen waren, und sich mit einem Ruck in Galopp versetzte. Das Packpferd kannte die Länge der Peitschenschnur bis auf den Bruchteil eines Zolles. Glücklicherweise verschloß die Hitze, die sich bald sehr fühlbar machte, meinem Gefährten den Mund, und er verlor sich in der geduldigen, nichts denkenden Erstarrung, die dem Buschmann eigentümlich ist.
Im Innern reist man zu Pferde und zu Fuß und neuerdings auch zu Rad und zu Kamel. Im ersteren Falle begnügt sich der Durchschnittsbuschmann mit einem Pack- und einem Sattelpferd. Manchmal muß er dann das erstere führen, doch wenn es gut eingebrochen ist, folgt es wie ein Hund, und der Reisende, in sich zusammengesunken, mit losen Zügeln und an seiner ewigen Pfeife saugend (es ist nicht unbedingt nötig, daß die Pfeife gestopft sei), überläßt sich gänzlichem Stumpfsinn. Gewöhnlich kann das Pferd, das er reitet, den Weg besser finden, als er – und wenn es dennoch mal auf einen anderen Pfad gerät, so tut das auch nicht viel. Übereilung ist schädlich in einem heißen Klima und außerdem auch unnötig in einem Lande, das so gut wie gar keinen Zeitbegriff kennt.
Hinter uns erhob sich eine Staubwolke, und im raschen Trabe unter Peitschenknall und vielfarbiger Beredsamkeit näherte sich ein Reiter, zwei Eingeborene im Laufschritt vor sich hertreibend.
»Donner – ja! Jack!« rief er atemlos, »warum rückten Sie so früh aus Maytown aus? Ich wollte doch mitreiten.«
Der Postreiter schüttelte leicht seinen Kopf – das ist die anerkannte Begrüßungsformel – und antwortete höflich: »Das wußte ich ja gar nicht, Herr Musgrove!«
Ich war erstaunt über das »Herr«, »Wer ist denn das?« fragte ich leise.
»Ein Squatter, von Mt. Musgrove Station.«
Darum also! Denn der Squatter, der Ranchbesitzer, ist, was der Junker früher war – und noch etwas mehr. (Beiläufig gesagt, im Nordwesten ist er jetzt meistens zum schlechtbezahlten Aufseher herabgesunken, und der Besitzer heißt Isaak Salomon Cohn und wohnt in Melbourne.)
Jetzt besah ich mir näher die zwei Schwarzen. Beide waren jung, einer ein Kind nur von ungefähr 10 Jahren. Sie waren staubig und schweißbedeckt, und einige verräterische Schwielen, von denen mein Auge unwillkürlich zur schweren Peitsche des Treibers schweifte, zeichneten ihren Rücken.
Herr Musgrove bemerkte mein Erstaunen und erklärte: »Oh, diese Jungen sind mir von der Station durchgebrannt und ich habe sie erst in der Nähe von Maytown wieder eingeholt. Waren zu ihrem Stamm zur Corroborri (Eingeborenen-Tanzfestlichkeit) gelaufen. Aber ich will ihnen schon zeigen, was tanzen heißt. Auf da! ihr verfluchten Hunde!« Und er knallte das kurzstielige, mit einer fast 20 Fuß langen, aus Känguruhleder geflochtenen Peitsche versehene Marterinstrument.
Ich war starr. War ich denn plötzlich in eine arabische Sklavenkarawane oder unter die Greuel aus »Onkel Toms Hütte« versetzt?
»Sie wollen doch diese Unglücklichen nicht bis nach Palmerville treiben?« Das war 30 Meilen.
Er lachte kurz. »Ja, natürlich; und noch fünfzig Meilen weiter nach Mt. Musgrove, morgen. Und ich kann Ihnen sagen,« setzte er grimmig grinsend hinzu, »sie werden etwas traben müssen.«
Ich schwieg. Meine Entrüstung kämpfte mit der Furcht, mich als verweichlichter Neuling lächerlich zu machen; und zu meiner Schande muß ich gestehen, daß die letztere siegte. Später habe ich mehr gehört und erlebt, wie es dem Ureinwohner, dem erblichen Eigentümer dieses Bodens, unter dem weißen Eroberer geht.
Wenn ein Squatter, dem weiße Cowboys zu teuer sind, ein oder zwei Schwarze braucht, so fängt er sie einfach ein nach der Methode, die er auf sein Vieh verwendet. Solch ein armer, von Natur fauler Mensch, vor allem wenn er jung eingefangen, wird oft ein ausgezeichneter Reiter, und wenn er auch stets der Oberaufsicht bedarf, ein sehr nützlicher Cowboy. Dafür kriegt er hier und da mal ein Hemd und eine Hose, wird in schlechtem Tabak und schlechterem Essen gehalten, und wenn er ein guter Boy ist, so treibt ihm sein wohlgesonnener Herr irgend ein Mädchen aus einem benachbarten Stamme in derselben summarischen Weise ein, gibt sie ihm zum Weibe und macht ihn seßhaft. Einfach, billig und landesüblich!
So sind denn auch die Australneger überall im Aussterben begriffen. »Aus angeborener Faulheit und natürlicher Ungeeignetheit«, wird amtlich erklärt. Ich möchte es anderen Ursachen zuschreiben; darunter: Bleivergiftung (die Dosis aus einem Büchsenlauf eingegeben), Schnaps, Opium und Sklavenhandel. Wie oft sind nicht große Treibjagden auf sie veranstaltet worden; wie oft hat nicht ein reisender Buschmann, dem sie Kleinigkeiten gestohlen, einfach einige Pfund Mehl (mit Arsenik vermischt) ganz zufällig stehen lassen! Durch Verführung zu der schrecklichen Opiumsucht weiß noch jetzt der australische Arbeitgeber sich die völlige Abhängigkeit seiner Neger zu verschaffen.
*
Um Mittag machten wir halt an dem einzigen Wasser zwischen Maytown und Palmerville. Gewöhnlich trägt man auf langen Wüstenstrecken einen Wassersack aus Segeltuch mit sich, den man einfach um den Hals des Packpferdes wie eine Glocke hängt; oder man trägt ihn am Reitsattel. Der meinige, den ich in letzterer Art befestigt, war bald leer.
»Ja!« rief der Postreiter; »kein Wunder – wenn Sie ihn so tragen!«
»Ich trage ihn doch genau wie Sie!« wehrte ich ab.
Der Postreiter zuckte hoffnungslos die Achseln, aber der Squatter hatte Mitleid mit mir und erklärte: »Sie müssen ihn auf die Schattenseite hängen!«
Ich starrte ihn verwundert an. Rings lag die öde Hügellandschaft gebadet in grelles, weißes Licht, und nirgends ein Geviertmeter, den die Sonne nicht zerkrümelte.
»Auf die Schattenseite Ihres Gaules natürlich!« erklärte der andere. Und dann blinzelte er dem Postreiter in vielsagender Weise zu, und beide lachten. Ich ärgerte mich. So stiegen wir ab, um einen Imbiß und einen Trunk Tee zu uns zu nehmen.
»Holen Sie etwas Wasser in diesem Topf,« sagte der Squatter, »während Jack den Pack abnimmt und ich ein Feuer mache.«
Ich ging, vor mir lag ein kleines, trockenes Bachbett, und in eine der vielen Windungen hatte der Strudel ehemaliger Überschwemmungen ein tiefes Loch in den roten Lehm gebohrt. In diesem Loche hielt sich eine dicke, gelbliche Masse auf, an Farbe nichts in der Welt so sehr als einer guten Erbssuppe ähnelnd. In der Erbssuppe lagen zwei tote und halbverweste Ochsen und das Gerippe eines wilden Hundes. Die Luft umher war auch dick. Aber nach Erbssuppe roch sie nicht.
»Solches Wasser können wir doch nicht trinken!« bemerkte ich mit Entsetzen.
»Nicht trinken? Donnerwetter, wenn Sie so mäklig sind, dann kommen Sie nicht weit im Westen. Das Wasser hat Nährwert. Geben Sie mal den Topf her!«
Der Squatter nahm das Geschirr, stieg in das Loch hinab und dann, einen der verewigten Ochsen als Trittbrett benutzend, holte er sich eine Menge des flüssigen Düngers heraus, gerade wo ehemals der Magen des Tieres gewesen war.
Bald kochte der Topf, und dann wurde das siedende Wasser fleißig abgeschäumt, bis es sich ziemlich geklärt hatte. Eine Handvoll Tee und eine andere braunen Zuckers hinein – und das Mahl war fertig. Etwas kaltes, gekochtes Salzfleisch und ein Stück Aschbrot bildeten den Speisezettel, die Pfeife den Nachtisch. Das Gebräu war pechschwarz und von einer in allen Regenbogenfarben schillernden Schicht überzogen; aber es erfrischte uns. Denn es ist Tatsache, daß nach einem heißen Vormittag, wenn die Sonne im Zenit steht, nichts in gleicher Weise den Durst löscht und den erschlafften Körper anregt, als dieser selbe heiße Tee. Natürlich ist er ein Nervengift ersten Grades.
Die beiden Schwarzen kriegten jeder eine Stulle; aber sie genossen das Wasser roh. –
Erst gegen 3 Uhr nachmittags kamen wir nach Palmerville, wo wir übernachten mußten.
Die »Stadt« besteht aus einer baufälligen Kneipe, wo die Frau des Postreiters wohnte, und vielen langen, parallelen Reihen von gleichmäßig abgesägten Stümpfen. Diese sahen geheimnisvoll aus und erinnerten mich an die Marskanäle und ihr Rätsel. Man erklärte mir, daß auf ihnen früher einmal die Häuser der Goldsucher und Geschäftsleute gestanden. Aber bis auf die Stümpfe ist alles verschwunden. Außerdem gab's natürlich Ziegen und leere Flaschen; auch, ehe ich's vergesse, in einiger Entfernung eine Art vorstädtischer Villa aus alten Kisten und Petroleumbüchsen gezimmert, das Eigentum eines gewissen Ah-Sin-Fu.
Herr Ah-Sin-Fu versuchte mir einen Hut aus den Fasern des berühmten Cabbage(Kohl)baumes gefertigt für fünfundvierzig Mark zu verkaufen. Das war nämlich sein Geschäft, und die Hüte, dem besten Panama sehr ähnlich, sind den Preis wohl wert. Jedoch, ich war auf meiner Hut.
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Unsere Pferde hatten wir losgelassen, nachdem wir ihnen die Vorderfesseln durch zwei Riemen und eine verbindende Kette von 6-12 Zoll Länge zusammengebunden. Eins von ihnen bekam eine Glocke um den Hals geschnallt, und dann hüpften sie munter los, in den Busch hinein, auf der Suche nach spärlicher Nahrung.
Gefüttert wird das gewöhnliche Buschpferd überhaupt nicht. Tags muß es arbeiten und nachts hat es frei. Da kann es schlafen oder fressen (wenn etwas zu fressen da ist). Morgens geht man dann aus, um seine Gäule wieder zum Lager zu bringen. Wenn man in der Nähe eines Platzes ist, den sie kennen, kann man mit Gewißheit darauf rechnen, wo sie hingehen. Aber in fremdem Gebiet packt sie manchmal die Erinnerung an ihre Zuchtheimat (denn ihr Ortssinn ist wunderbar), und trotz der kürzesten Fesselketten hüpfen sie oft in einer Nacht 20 oder 50 Meilen in gerader Linie darauf zu und nehmen etwaige fremde Pferde mit sich. Denn im allgemeinen schließen sich Pferde, die zusammen arbeiten, einander an und haben auch bald einen Führer, dem sie alle folgen.
Dann hat man am Morgen das Vergnügen, den Tag lang ihren Spuren zu Fuß zu folgen. Und oft verliert man sie überhaupt und hört jahrelang oder nie wieder etwas von ihnen. Ich selbst besitze noch drei gute Pferde in Queensland. Aber Queensland ist groß und – ein bescheidenes Angebot seitens irgend eines Sportsmans wird von mir nicht verschmäht werden.
Hat man jedoch seine Pferde ordentlich im Zug und behandelt sie anständig, so hat man selten Schwierigkeiten. Die Grenze zwischen Tier und Mensch ist nicht so schroff, als der Mann in der Straße glaubt. Und der Umgang mit Pferden in der Einsamkeit des Busches lehrt einen bald, daß ein Tier einen Charakter hat, schlechte und gute Eigenschaften, Launen selbst, die man lernen und benutzen muß. Im allgemeinen aber bezahlt es sich, ein Stückchen Steinsalz mit sich zu führen und es abends am Zelteingang hinzulegen. Dann weckt einen morgens die Glocke des Leitpferdes, ehe noch die Sonne über dem Horizont erschienen ist. ...
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Des Postreiters Frau verkaufte zwar Grog, aber ein Nachtlager gab es nicht im Palmerville Hotel.
Ich beschloß daher, im Freien zu schlafen. Nach dem üblichen Tee und Salzfleischessen verließ ich das Hotel und richtete mich auf meine erste Nacht unter freiem Himmel ein. Eine Zeltdecke war unnötig, denn Regen oder selbst Tau sind unbekannt um diese Jahreszeit. Ich warf einige dünne, blattreiche Zweige auf den hartgebrannten Boden, nachdem ich erst mit dem Messer mir ein Loch für die Hüfte gegraben, und dann polsterte ich das Ganze mit ausgerissenem, getrocknetem Gras. Hierüber kam eine Decke, und mit dem Bündel als Kopfkissen und einer zweiten Decke über mir – fertig war ich!
Aber ich hatte nicht mit den Moskitos gerechnet!
Die Qualen, die das kleine Säugetier dem friedlichen Neuling bereiten kann, der sich ohne Netz in seinen Bereich gewagt, spotten der Beschreibungsfähigkeit.
Mit zufriedenem Lächeln sitzt er und betrachtet den Sonnenuntergang. Da erscheint der erste Moskito auf dem Schlachtfeld. Sssss! tönt es schrill durch die abendliche Stille, und eiligst greift der Geängstigte zur Pfeife, um durch dichte Rauchwolken den Störenfried zu vertreiben. (Ich spreche jetzt nur von den Nichtraucher-Moskitos. Einzelne Abarten scheinen Tabak einfach zu vergöttern.)
Und wieder wird es still, bis die Pfeife ausgebrannt ist und – Sssss! Sssss! beginnt aufs neue die Musik. Nun entsteht ein eigenartiger Wettkampf: Der Geplagte ist schnell, aber der Moskito ist schneller. (Anmerkung: Ich habe in einer langen Laufbahn der ernstesten Moskitoverfolgung noch nie mit völliger Gewißheit den Tod eines dieser Tiere von menschlicher Hand feststellen können.)
So geht es nicht. Schon schmerzen Gesicht und Arme von einzelnen Stichen, und kleine Schwellungen werden an den unglaublichsten Körperteilen wahrnehmbar. Also wieder zur Pfeife. Rauch ist das einzige Mittel, und der Verteidiger raucht und raucht den schweren, schlechten amerikanischen Stangentabak, bis er seekrank die Pfeife von sich wirft und hilflos die erneuten Angriffe abwartet.
Und seine Peiniger erscheinen schnell wieder. Er springt empor und eilt auf und ab. Aber die Tagesarbeit hat ihn ermüdet. Zu Bett also!
Er zieht die Decke über den Kopf und versucht zu schlafen. Er nickt auch wirklich ein, aber ein böses Alpdrücken plagt ihn. Er träumt, er sei gewaltsamerweise in einem türkischen Bade eingesperrt und werde nun bis zu seiner bald voraussichtlichen gänzlichen Auflösung gefangen gehalten. Mit einem erstickten Schrei erwacht er, wirft die Decke weit von sich, und findet sich in Schweiß gebadet. Denn bei 35 Grad Wärme läßt sich schlecht unter einer wollenen Decke schlafen.
Begierig saugt er die frische Luft ein, denn ein geringer Windhauch ist gnädiglich erwacht und kühlt für einige Minuten die nasse Stirn. Da beginnt sie wieder, die höllische Musik; es klingt, als übe ein Anfänger die höchsten Töne auf der Violine.
Sssss! – Klatsch! Sssss! – Klatsch! – vorbeigeschlagen natürlich. Und rastlos tobt der Kampf. Dem uneingeweihten Zuhörer muß sich das Ganze wie ein Lied mit Beckenbegleitung anhören. Das Gesicht beginnt bedenklich anzuschwellen unter dem doppelten Einfluß der Stiche und der Backpfeifen.
Mit einem Wutschrei springt der Verzweifelte endlich auf und rennt wie irr umher; aber hinter ihm drein braust das unbarmherzige Heer. Und er stürzt zusammen, hoffnungslos, und überläßt seinen Körper den Hyänen der Nacht.
*
Soweit war ich gekommen. Da erschien, wie ein rettender Engel, der Postreiter im Nachtanzuge auf der Bildfläche.
»Wollte mal sehen, wie Sie sich zurecht finden,« bemerkte er grinsend.
Der ganze Stolz war aus mir herausgesogen worden. Ich ergriff des Mailmans Hand und klagte ihm mein Leid.
»Eh – Oh – Ah! – Da kann Ihnen bald geholfen werden, hätten sich aber ein Moskitonetz mitnehmen sollen.«
Er netzte seinen Zeigefinger im Munde und hielt ihn hoch.
»Wind kommt von Westen. Also da –« und er zog einen Strich auf der linken Seite meines Lagers in den Sand – »da legen Sie jetzt mal schnell etwas Kuhmist entlang und stecken ihn hier an diesem Ende an!«
Ich wagte nicht zu staunen oder zu fragen. Er half mir den getrockneten Dünger, der in Menge umherlag, zu sammeln, dann baute ich eine Mauer und steckte sie an einem Ende an. Sie begann wie Zunder zu glimmen und verursachte einen scharfen dichten Qualm, der von der leichten Brise gerade über meine Lagerstätte getrieben wurde.
»Und wird das Zeug die ganze Nacht hindurch brennen?« fragte ich.
Der Postreiter maß die Linie mit ausgestreckter Hand ab und erklärte dann im Tone der Gewißheit, nachdem er seine Uhr zu Rate gezogen: »Bis ein Viertel nach 6 Uhr wird es brennen. Und dann sind wir schon beim Frühstück.«
Dann, ehe er wegging, machte er noch ein paar Querstriche in regelmäßigen Abständen neben der Linie in den Sand und prägte mir ein: »Sehen Sie, wenn das Feuer bis dahin gekommen ist, ist's Mitternacht. Hier ist's zwei – hier vier! Also, wenn Sie nachts aufwachen, wissen Sie immer, was die Zeit ist, ohne ein Streichholz anzustecken und nach der Uhr zu sehen.«
Dann empfahl er sich.
Beiläufig: der Buschmann ist ein schrecklicher Geizhals mit Streichhölzern. Gewöhnlich, wenn er seine Pfeife abends gefüllt hat, steht er lieber aus seiner gemütlichen Lage auf, geht an die Hitze des Lagerfeuers, verbrennt sich die Finger mit glühenden Kohlen, und nach vielen Anstrengungen bugsiert er ein rotes Stück auf den Tabak: nur um ein Schwefelholz zu sparen. Käme im selben Augenblick ein Trödler vorüber mit einer heimlichen Flasche Grog, so würde er eine Mark für den Schluck Gift bezahlen, ohne mit den Wimpern zu zucken.