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Reformatorische Thätigkeit und persönliches Leben bis 1529.
Unter den besonderen Arbeiten, mit welchen Luther im weitern Verlauf des Jahres 1525, abgesehen von seiner fortgesetzten regelmäßigen Thätigkeit als Professor und Prediger beschäftigt war, haben wir eine, nämlich seine Erwiderung gegen Erasmus des inneren Zusammenhangs wegen schon früher (S. 327) besprochen. Wir finden ihn gegen Ende des Septembers ganz darin vertieft: keinen Satz von Erasmus' Buch wollte er, wie er an Spalatin schrieb, gelten lassen.
Der rücksichtslosen Schärfe gegenüber, mit der er auf jenen hoch angesehenen Gegner sich warf, muß desto mehr die gute Meinung auffallen, mit der er doch um dieselbe Zeit den Groll seiner beiden erbittertsten fürstlichen Feinde, König Heinrichs VIII. und Herzog Georgs, beschwichtigen zu können glaubte und in Briefen sich darum bemühte.
Am 1. September d. J. nämlich wandte er sich in einem demüthigen Schreiben an Heinrich. König Christian II. von Dänemark, der sein Königthum durch sein willkürliches und gewaltthätiges Regiment verscherzt hatte, dann aber als Flüchtling sich an Kurfürst Friedrich wandte, der neuen Lehre sich günstig zeigte und auch selbst nach Wittenberg kam, brachte ihm, ohne daß wir Gründe dafür finden können, den Glauben bei, daß Jener in einem Umschwung seines 373 kirchlichen Standpunkts begriffen sei, und die Hoffnung, daß er selbst, wenn er nur erst die persönlichen Kränkungen gut machte, ihn noch weiter für die Sache des Evangeliums gewinnen könnte. Er berief sich nachher öffentlich hierauf mit den Worten: »Mein gnädigster Herr König machte mich guter Hoffnung so voll des Königs von England halben – ließ auch nicht ab mit Worten und Schriften, schenkt mir so viel guter Wort ein, ich sollte nur demüthiglich schreiben, es würde Nutz schaffen u. s. w., bis ich davon trunken war.« Da warf er denn in seinem Brief sich zu Füßen der Majestät nieder und bat, ihm die Beleidigungen seiner früheren gegen den König gerichteten Schrift zu verzeihen, da er, wie er sagt, von glaubwürdigen Zeugen vernommen habe, daß das dort von ihm bekämpfte königliche Buch in Wahrheit nicht ein Werk des Königs, sondern ein Machwerk des elenden Kardinals von York (E. Lee) gewesen sei. Er erbot sich in einer neuen Schrift öffentlich Widerruf zu Ehren des Königs zu thun. Zugleich aber wünschte er diesem die Gnade Gottes, der ihn ganz zum Evangelium bekehren und sein Ohr gegen die Sirenenstimme der Feinde desselben verschließen möge.
Ueber Herzog Georg hatte er bisher nur vernehmen können, daß derselbe bei seinem Landesherrn immer neue Anklagen gegen ihn erhebe, vom eigenen Land die neue Lehre auf's strengste fern halte und soeben noch von der Niederlage der Bauern zur Erdrückung des Lutherthums, aus dem die böse Frucht erwachsen sei, habe fortschreiten wollen. Dennoch ließ er jetzt durch adelige Herren aus dem herzoglich sächsischen Gebiet sich bereden, daß derselbe in der Sache nicht so übel gesinnt sei und wenigstens zur Milde und Duldsamkeit gegen die Predigt und die Bekenner des Evangeliums sich werde bewegen lassen; er sei nur persönlich zu sehr von Luther verletzt und gereizt. Auch an ihn also schrieb dieser jetzt am 22. Dezember d. J. »Ich bin,« sagt er, »zu Rath worden, Ew. Fürstliche Gnaden noch einmal 374 demüthig und freundlich zu ersuchen mit dieser Schrift, vielleicht zur Letze; denn mich's fast ansiehet, als sollt Gott, unser Herre, bald unser ein Theil von hinnen nehmen, und darauf stehet die Sorge, Herzog Jürge und der Luther müßten auch mit.« Dann bittet er, unterwirft sich und sucht Gnade für Alles, worin er mit Schriften oder Worten am Herzog sich verfehlt habe; nur von seiner Lehre könne er Gewissens halber nicht lassen. Luther beugte sich übrigens hier doch nicht so wie vor Heinrich und hat dem Brief auch seine eigene Schärfe beigegeben. Er versicherte dem Herzog zugleich, daß er es auch schon mit seinen früheren harten Aeußerungen gegen ihn besser als alle seine Schmeichler und Lobredner gemeint habe und verwarnte ihn, daß er nicht nöthige, wider ihn zu Gott zu beten.
Gewiß hat Luther die beiden Briefe, wie er selbst von dem an Heinrich sagt, mit einfältigem und aufrichtigem Herzen geschrieben. Sie zeigen recht, wie viel Gutmüthigkeit und zugleich Mangel an Menschen- und Weltkenntniß in ihm mit dem heftigen, leidenschaftlichen Kampfeseifer sich verband. Georg antwortete ihm sogleich mit Ingrimm und einer, wie Luther sagt, bäuerischen Grobheit. Der an sich nicht unedle Fürst war jetzt so im Haß gegen den Ketzer verbittert, daß er ihm die gemeinsten Motive des Geizes, Ehrgeizes und der Fleischeslust vorwarf: Luther hat auch im Streit mit den schlechtesten Gegnern nie zu dergleichen persönlichen Verlästerungen sich verführen lassen. – Auf eine erst später erfolgte Antwort des Königs und ebenso auf eine Entgegnung des Erasmus werden wir unten noch zu reden kommen.
Nach der anderen Seite hin richteten sich Luther und seine Freunde in diesem Jahre sofort gegen die neu aufgetretene Abendmahlslehre. Zunächst ließ indessen Luther Andere gegen sie vorgehen: Bugenhagen verfaßte einen öffentlichen Sendbrief wider sie an den Freund Heß in Breslau, Brenz in Schwäbisch-Hall veröffentlichte mit einer Anzahl anderer schwäbischer 375 Prediger eine Schrift gegen Oekolampadius. Luther selbst bezog sich zwar seit Februar 1525 auf die Zwingli'sche Auffassung schon wiederholt in Predigten vor seiner Gemeinde, die dann auch gedruckt erschienen, beschränkte sich jedoch im Uebrigen noch darauf, nach Straßburg und nach Reutlingen, von wo aus man in der Frage sich an ihn gewandt hatte, am 5. November d. J. und am 4. Januar des folgenden Jahres briefliche Warnungen vor den Irrlehren, die über das Sacrament sich erhoben haben und vor der »Schwärmgeisterei« überhaupt zu senden. Wir verfolgen später den weiteren Verlauf des Streites.
Alle die Polemik aber lief bei ihm nur neben der positiven Arbeit und Wirksamkeit her. Seine Hauptaufgabe war hier, das begonnene Werk in der eigenen Kirche weiter zu führen. Hiefür durfte er der inneren Theilnahme des neuen Landesherrn gewiß sein und suchte sie nun sobald als möglich auch selbst für die kirchlichen Zwecke in Thätigkeit zu setzen. Während dem Verkehr mit Kurfürst Friedrich Spalatin als Vermittler zu dienen pflegte, trug er Johann seine Anliegen direct und, wenn sich Gelegenheit fand, auch mündlich vor; er that es mitunter in recht dringlicher Weise. Spalatin ging jetzt, wie es schon früher sein Wunsch gewesen war, auf eine Pfarrstelle über: er wurde Nachfolger des nach Nürnberg abgegangenen Link in Altenburg; auch Johann übrigens bewahrte ihm besonderes Vertrauen.
In seinem amtlichen Beruf war und blieb Luther vor allem Mitglied der Universität; stets hegte er auch ein hohes Bewußtsein von ihrer Bedeutung für die evangelische Wahrheit, die Kirche und das allgemeine Wohl. Er begann beim Kurfürsten mit Bitten für sie, daß Uebelständen abgeholfen werden möge, welche in den letzten Regierungsjahren des alternden und kränklichen Kurfürsten Friedrich sich eingestellt hatten. Es fehlte namentlich an dem erforderlichen Gehalt für verschiedene Professuren, und Vorlesungen für 376 manche Fächer lagen darnieder. Luther hat da, wie er nachher entschuldigend dem Kurfürsten gegenüber sich ausdrückte, es bei diesem »hart angeregt, die Universität zu ordiniren«, also daß »sein so sorgfältig Treiben den Kurfürsten fast befremdete, als ob er den Zusagen desselben nicht viel glaubte«. Im September nahm eine fürstliche Commission in Wittenberg das Nöthige vor. Die Fürsorge des Fürsten für die Theologie bethätigte sich besonders darin, daß er Melanchthons Gehalt verdoppelte, um ihn desto mehr bei den theologischen Vorlesungen, zu denen er ursprünglich nicht verpflichtet war, festzuhalten.
Dann wandte sich Luther ganz den Bedürfnissen des neuen kirchlichen Lebens zu.
In Wittenberg und von Wittenberg aus war bereits eine Ordnung des Gottesdienstes hergestellt, in welchem die evangelische Wahrheit zum ungetrübten Ausdruck kommen sollte. Der Gemeinde wurde das Gotteswort verkündigt und sie betheiligte sich auch selbst schon mit dem Gesang deutscher Kirchenlieder. Noch aber wurden die zur Liturgie gehörigen Stücke, welche theils der Geistliche, theils ein Chor zu singen hatte, in dem überlieferten Latein vorgetragen. Dagegen stellte Luther jetzt vollends einen ganz deutschen Gottesdienst her, änderte auch sonst noch Einzelnes an den bisherigen Formen. Für die musikalischen Aenderungen, die dabei nöthig wurden, schickte ihm der Kurfürst zwei Musikmeister aus Torgau zur Hülfe. Namentlich mit einem derselben, Johann Walter, hat Luther fleißig zusammen gearbeitet und ist dann fernerhin in Freundschaft und Verkehr mit ihm geblieben; Einzelnes hat er hiebei auch selbst componirt.
Auch über diese neuen Einrichtungen, wie über die früher getroffenen faßte Luther einen öffentlichen Bericht ab. Derselbe erschien zu Anfang des folgenden Jahres: »Deutsche Messe und Ordnung Gottesdiensts zu Wittenberg fürgenommen«. Auch jetzt aber verwahrte er sich von 377 vornherein dagegen, daß aus seiner Ordnung ein nöthig Gesetz gemacht oder jemandes Gewissen damit verstrickt werden sollte. Auch hier ferner wollte er vor allem wieder auf die Schwachen und Einfältigen Rücksicht genommen haben, – auf Diejenigen, die erst noch erzogen und zu Christen herangebildet werden müßten; ja auf ein Volk hatte er es abgesehen, unter welchem, wie er sagte, Viele noch gar nicht Christen seien, sondern die Mehrzahl dastehe und gaffe, um nur etwas Neues zu sehen, gerade als wenn der christliche Gottesdienst mitten unter den Türken und Heiden gehalten würde; es handle sich da erst um eine öffentliche Reizung zum Glauben und zum Christenthum. Er dachte zugleich noch an eine andere und, wie er sagt, rechte Art evangelischer Ordnung, für die er jedoch die Leute noch nicht habe: da müßten nämlich alle die Einzelnen, die mit Ernst Christen sein und sich zum Evangelium bekennen wollten, sich mit Namen einzeichnen und allein unter sich zum Gebet, Lesen des göttlichen Wortes, Spendung der Sacramente und Uebung anderer christlicher Werke zusammenkommen. Für eine solche Versammlung und ihren Gottesdienst nahm er dann nicht etwa noch reichere liturgische Formen in Aussicht, sondern im Gegentheil nur eine »kurze feine« Weise, in dem man hier einfach »alles auf's Wort und Gebet und die Liebe richten« könne, dazu dann aber auch eine regelmäßige Uebung gemeindlicher Zucht und eine christliche Armenpflege nach apostolischem Vorbild. Aber für jetzt erklärte er, eben weil ihm die Personen dazu fehlen, auf eine solche Gemeine verzichten zu müssen; er wolle warten, »bis die Christen, so mit Ernst das Wort meinen, sich selbst dazu finden und anhalten«; sonst möchte eine »Rotterei daraus werden«, wenn er es aus seinem eigenen Kopf betreiben wollte, denn die Deutschen seien ein wild Volk, mit dem nicht leicht etwas anzufangen sei, es treibe denn die höchste Noth. Schon für diese Gottesdienstordnung gab auch der Kurfürst seine Zustimmung und beabsichtigte sie 378 zum Vorbild für die anderen Kirchen seines Landes zu setzen. –
Hier aber eröffnete sich nun überhaupt ein weites und kaum schon im einzelnen übersehbares Gebiet, das einer höheren Fürsorge und der Leitung und Unterstützung durch höhere Gewalten und Autoritäten bedürftig erschien. An vielen Orten war für eine kirchliche Neubildung und Befriedigung der religiösen Bedürfnisse im evangelischen Sinne noch Nichts oder wenigstens nichts Geordnetes und Sicheres geschehen. Es war keine Gesammtkirche und kein höheres kirchliches Amt vorhanden, durch dessen Ansehen und Vollmacht Reformen hätten vollzogen und neue geordnete Zustände hätten hergestellt werden können. Das war ein schwerer Nothstand auch für Orte, wo etwa die gegenwärtigen Geistlichen mit der Mehrzahl oder dem Kern ihrer Gemeindeglieder schon im Bekenntniß zur evangelischen Lehre einig und darüber klar waren. Und bei einer Menge von Gemeinden, ja bei der großen Masse des Landvolkes herrschte vielmehr noch ganz jener Mangel an Erkenntniß, Reife und innerer Theilnahme, den Luther bis jetzt sogar bei einem großen Theil seiner Wittenberger wahrnahm. Die Bischöfe hatten, soweit sie unter Kurfürst Friedrich noch Visitationen in seinen Landen hielten, die neue Lehre dadurch nicht mehr zurückdrängen können und durften sich jetzt hier kein Einschreiten mehr gegen sie erlauben. Diese hatte jedoch, wie Luther selbst am besten wußte, darum keineswegs schon die Seelen durchdrungen. Großentheils erschien die Menge noch stumpf und gleichgültig. Auch unter den bisherigen Geistlichen waren manche so haltungslos, unklar und unfähig, daß sie die Gemeinden nach keiner Seite hin weiter bringen konnten. Es kamen gar solche vor, die je nach Umständen bald die alten, bald die neuen kirchlichen Bräuche auszuüben bereit standen. An einzelnen Orten aber stießen die Neuerungen auch auf Widerspruch: so bei verschiedenen adeligen Herren und bei Geistlichen, 379 die von ihnen abhingen; sollte er gebrochen werden, so konnte dies nur durch die landesherrliche Autorität und Gewalt geschehen. Endlich drohte, von dem Allen abgesehen, dem Kirchenwesen schon dadurch eine fortschreitende Zerrüttung und Auflösung, daß die Mittel zu seinem äußeren Unterhalt versiegten oder verschleudert wurden. Die herkömmlichen Abgaben gingen nicht mehr ein, es wurden keine Gelder für Privatmessen mehr bezahlt, viele Herren, und zwar auch altkirchlich gesinnte, zogen kirchliche Güter an sich. Luther klagte: »Wo hie nicht eine tapfere Ordnung und stattliche Erhaltung der Pfarren und Predigtstühle wird vorgenommen, wird in kurzer Zeit weder Pfarrhöfe, noch Schulen Etwas sein und also Gottes Wort und Dienst zu Grunde gehen.«
Es galt, hier erst noch die Prinzipien für die Begründung eines neuen geordneten Kirchenthums aufzustellen.
Früheren Aeußerungen zu Folge, wie sie Luther besonders in der Schrift an den deutschen Adel gethan, möchte man etwa erwarten, daß dasselbe nach seinem Sinn, um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen, von unten her sich hätte aufbauen sollen, nämlich auf Grund des allgemeinen Priesterthums aller getauften Christen, die jetzt selbst, nachdem sie das evangelische Wort vernommen und angenommen, in neuen gemeindlichen Formen sich hätten organisiren müssen. Schon dort übrigens hatte Luther, wie wir sahen, der Obrigkeit Pflichten auch mit Bezug auf's kirchliche Leben zuerkannt, und jetzt sprach er das stärkste, schmerzlichste Bewußtsein davon aus, daß die große Menge eben noch nicht aus wirklichen Christen bestehe, sondern erst noch der öffentlichen Reizung zum Christenthum bedürfe. Weiter tritt uns dann jene Idee seiner »deutschen Messe« von einer besonderen Sammlung echter, freiwillig sich einigender Christen entgegen; sie war von ihm auch schon drei Jahre früher in einer Predigt ausgesprochen worden. Man könnte denken, daß wenigstens von hier eine selbständige Gemeindebildung 380 hätte ausgehen können. Kurz darauf, im October 1526, nahm auch wirklich eine hessische Synode, die Landgraf Philipp in Homberg abhielt, einen Verfassungsentwurf an, wonach die zu Gottes Wort sich bekennenden Christen sich freiwillig als Glieder christlicher, evangelischer Gemeinden einschreiben lassen, durch die Gemeindeversammlungen die geistlichen Hirten und Bischöfe gewählt, endlich allgemeine Synoden für die Landeskirche aus diesen und aus Abgesandten der Gemeinde gebildet werden sollten. Aber wie Luther dort erklärt hat, daß es an den Personen fehle, so sprach er in einem Gutachten für Philipp aus, daß er nicht so kühn sein könne, einen solchen Haufen von Gesetzen vorzunehmen, und daß die Leute wohl nicht so dazu geschickt seien, wie diejenigen meinen, die da sitzen und die Gesetze machen. Ganz unerträglich wäre überdieß für ihn der Gedanke daran gewesen, daß die Masse der draußen Bleibenden, die dann nach dem Ausdruck des Homberger Entwurfs für Heiden anzusehen waren, ohne eine geregelte Predigt des göttlichen Wortes und namentlich ohne Taufe und christliche Erziehung der Kinder ihrem Schicksal überlassen werden möchte. Dazu hat er, wie wir längst bemerkten, gewisse kirchliche und religiöse Verpflichtungen der Obrigkeiten, Fürsten und Magistrate stets mit der ganzen damaligen Christenheit fest gehalten. Er wollte schon in jenen früheren Schriften, daß sie das Treiben der dem Evangelium feindlichen Pfaffen mit Worten und im Nothfall mit Gewalt verbieten. Jetzt wandte er besonders den Begriff äußerer, götzendienerischer Gräuel auf den päpstlichen Gottesdienst und sein Meßopfer an: ihnen habe die über das äußere Leben gesetzte Obrigkeit zu steuern, ohne daß hiedurch Jemand zum Glauben genöthigt oder den Seelen Gewalt angethan würde; so forderte er es damals namentlich den katholischen Mitgliedern des Altenburger Stiftes gegenüber. Andererseits fielen ja in das Gebiet des äußeren Lebens und äußerer Ordnungen auch die materiellen Mittel 381 für den äußeren Bestand der Kirche. Und nur ein Schritt weiter war es dann, wenn die Obrigkeit jede öffentliche Verkündigung von Lehren, die sie im Widerspruch gegen Gottes Wort fand, verwehrte und Prediger eben für dieses Wort bestellte, ja wenn sie endlich überhaupt die Herstellung und Wahrung der kirchlichen Ordnung, sofern es eben eine äußere und nothwendige und durch keine andere Macht herstellbare Ordnung sei, in die Hand nahm. Kurfürst Johann selbst hatte schon am 16. August 1525 in seiner bisherigen Residenz Weimar der gesammten Geistlichkeit des Amtskreises angekündigt, »daß man das lauter rein Evangelion ohn menschliche Zusatzung predigen solle«.
Aus diesen Verhältnissen und aus diesen Anschauungen heraus bewog Luther jetzt seinen Landesherrn zu umfassenden Maßregeln für die Kirche. Sobald er die Angelegenheiten der Universität erledigt und seine Ordnung des deutschen Gottesdienstes fertig sah, strebte er nach einer allgemeinen »Reform der Parochien«: das, sagte er in einem Brief zu Ende Septembers, sei der Steinblock, an dem er jetzt wälze. Dem Kurfürsten trug er am Jahrestage seiner 95 Thesen, dem 31. October 1525, vor: es seien jetzt, nachdem die Ordnung der Universität und die des Gottesdienstes hergestellt sei, noch zwei Stücke, welche Sr. Kurfürstlichen Gnaden als weltlicher Obrigkeit Einsehen und Ordnung fordern; das eine sei, daß die Pfarren allenthalben so elend darnieder liegen: das andere sei, daß der Kurfürst, wie Luther davon auch schon zuvor in Wittenberg mit ihm geredet habe, auch das weltliche Regiment seiner Räthe und Amtleute visitiren ließe, über welches allenthalben in den Städten und auf dem Land viele Klage sei. Ueber das erste erklärte er sich dann, nachdem er eine gnädige Antwort erhalten hatte, weiter dahin, daß die Leute, welche evangelische Prediger haben wollten, zu einer etwa erforderlichen Ergänzung ihres Einkommens auch selbst angehalten werden müßten, und schlug vor, das Land in vier 382 oder fünf Districte zu theilen, deren jeder durch zwei fürstliche Commissäre visitirt werden möge. Sein Absehen ging zunächst eben auf jene äußere Erhaltung des Pfarrstandes mit den dazu nöthigen Mitteln. Er sprach aber auch schon von Anweisungen für die Pfarrer – daß alte oder zum Predigen untüchtige, doch sonst fromme Pfarrherren verpflichtet werden sollten, die Evangelien mit der Predigtpostille vorzulesen oder lesen zu lassen. Ueber Leute, denen ein evangelischer Prediger gleichgültig oder gar zuwider wäre, äußerte er sich hier nicht; bei den weiteren Rathschlägen und darauf folgenden Verordnungen aber ist vorausgesetzt, daß ein evangelisches Predigtamt überall aufgerichtet werden müsse. Daß der Kurfürst auch zu diesem ganzen kirchlichen Dienst sich von Gott als treues Werkzeug gebrauchen lassen möge, begründet ihm Luther damit: »weil Euer Kurfürstl. Gnaden dazu durch uns und durch die Noth selbst, als gewißlich von Gott, gebeten und gefordert wird.«
So hingebend Kurfürst Johann auf Luthers Worte und Mahnungen hörte, so schwer wurde es doch, die beantragte große Unternehmung in Gang zu bringen. Luther wußte, wie er gegen Johann selbst äußerte, wohl, daß wichtige Dinge bei Hof leicht »durch überflüssige Geschäfte verzogen würden« und daß Herrenhöfe viel zu thun haben und ein anhaltendes Ersuchen bei ihnen noth thue. Er kannte seinen Fürsten, daß derselbe beim besten Willen seiner Umgebung gegenüber nicht energisch genug sei, und unter dieser Umgebung waren ihm Manche wegen kirchlicher und religiöser Gleichgültigkeit und Eigennutzes verdächtig. Die Aufgabe, die hier vorlag, war aber auch schwieriger und verwickelter, als Luther selbst beim Erfassen und ersten Vortrag seiner Idee wohl gedacht hatte.
Es verstrich ein volles Jahr, ehe an die Sache im Großen die Hand angelegt wurde. Nur innerhalb des Amtskreises Borna wurden schon im Januar 1526 durch Spalatin und einen weltlichen Beamten des Fürsten die Pfarreien 383 besichtigt und ebenso während der Fastenzeit innerhalb des thüringischen Amtes Tenneberg, wobei Luthers Freund Friedrich Mykonius in Gotha, seitdem eine der hervorragendsten reformatorischen Persönlichkeiten Thüringens, thätig war. Indessen erhielt die Geistlichkeit insgemein vom Landesherrn die Weisung, im Gottesdienst nach Luthers »Deutscher Messe« sich zu richten.
Im Laufe des Sommers entwickelten sich dann auch die allgemeinen Angelegenheiten des deutschen Reiches dahin, daß jenes reformatorisch kirchliche Wirken der Obrigkeit zu einer rechtlichen Grundlage in demselben gelangte. Soeben noch war hier die Lage der Dinge für die Evangelischen bedrohlicher geworden als je seit dem Tage von Worms. Denn Kaiser Karl hatte den Krieg mit Frankreich, während dessen er sein Edict hatte ruhen lassen müssen, durch einen glänzenden Sieg zu Ende gebracht, und in dem Frieden, welchen er mit dem gefangenen König Franz im Januar 1526 zu Madrid abschloß, bezeichneten es die beiden Fürsten als Zweck desselben, die gemeinsamen christlichen Waffen jetzt auf die Vertreibung der Ungläubigen und auf die Ausrottung der lutherischen und anderen Ketzereien hinrichten zu können. Der Kaiser erließ auch eine Mahnung an deutsche Fürsten, hiefür vorzuarbeiten, und eine Anzahl derselben pflog darüber gemeinsame Berathung. Dem gegenüber war von den Evangelischen jener Bund in Torgau geschlossen. Aber sobald König Franz wieder frei in seinem Frankreich war, zerriß er den Frieden, den er auf's Feierlichste beschworen hatte. Papst Clemens, dem dort so schöne Aussichten auf die Reinigung und Einigung der Christenheit gemacht waren, legte mehr Werth auf die politischen Interessen und weltlichen Besitzungen in Italien, über welche zwischen ihm, dem Kaiser und dem König eifersüchtig gestritten wurde. Erschrocken vor der Uebermacht des Kaisers gebrauchte der heilige Vater seine göttlichen Vollmachten dazu, den König seines Eides zu 384 entbinden, und schloß selbst mit ihm ein kriegerisches Bündniß gegen Jenen, das sie die »heilige Liga« nannten. Mykonius hat dazu bemerkt: »denn was die Päpste thun, muß alles das allerheiligste heißen, weil er so heilig ist, daß auch Gott, Evangelium und Alles unter seinen Füßen liegen müssen.« Zugleich drang von Osten her der Türke gegen Deutschland heran. So wurde es möglich, daß ein Reichstag zu Speier, der ursprünglich zur endlichen Durchführung des Wormser Beschlusses berufen schien, auf den Reichsabschied vom 27. August 1526 hinführte, worin ausgesprochen wurde, daß, bis ein allgemeines christliches Conzil oder wenigstens ein deutsches Nationalconzil zu Stand komme und entscheide, ein jeder Reichsstand in Sachen, so das Wormser Edict belangen, für sich also leben, regieren und sich halten möge, wie ein Jeder solches gegen Gott und kaiserliche Majestät hoffe und vertraue zu verantworten.
Luther wandte sich jetzt, nachdem er »Sr. Kurfürstl. Gnaden lange nicht Supplication gebracht habe«, am 22. November 1526 auf's neue an Johann: die Bauern seien so zuchtlos und undankbar gegen Gottes Wort, daß er wohl geneigt wäre, sie ohne Prediger wie die Säue weiter leben zu lassen, aber wenigstens für die arme Jugend müsse man sorgen. Er sprach hiebei gewichtige Grundsätze über die Aufgabe der Obrigkeit und des Staates überhaupt aus: der Fürst sei der oberste Vormund der Jugend und Aller, die es bedürfen; die Städte und Dörfer, welche Vermögen dazu haben, seien zu zwingen, daß sie Schulen und Predigtstühle halten, gleichwie man sie zu Abgaben für Brücken, Wege und andere Landesnoth mit Gewalt zwingt. Er berief sich hiefür auf Gottes Gebot und zugleich auf eine allgemeine Noth und Nothwendigkeit, da, wenn man jene Pflicht versäume, das Land voll wilder, loser Leute werde. In Betreff der Klöster und Stifte erklärte er, daß sie, nachdem es mit der persönlichen Ordnung im Land aus sei, dem Fürsten, als dem obersten Haupt, in die Hände fallen und 385 hiemit auf ihn auch die Pflicht und Beschwerde komme, solche Dinge zu ordnen, da ihrer Niemand sonst sich annehmen könne. Besonders warnte er den Fürsten noch davor, daß man nicht den Adel die Klostergüter an sich reißen lasse – »wie man denn schon sage und auch Etliche thun«. Zum Gottesdienst seien sie gestiftet, was daneben übrig bleibe, möge der Fürst zur Landesnothdurft oder für arme Leute verwenden. Freunden gegenüber äußerte sich Luther auf's bitterste und schmerzlichste über solche dem Kurfürsten nahe stehende Herren, die nie von Evangelium und Frömmigkeit etwas haben hören wollen, nun aber über die gute Beute und evangelische Freiheit lachen.
Jetzt sollte die Sache ernstlich in's Werk gesetzt werden. Der Kurfürst ließ in Wittenberg durch seinen Kanzler Brück, Luther und Andere die nöthigen Maßregeln berathen. Im Februar 1527 wurden Visitatoren ernannt, darunter Melanchthon. Sie fingen auch schon die Arbeit im Kurkreis, zu dem Wittenberg gehörte, an, doch ist uns über ihren Verlauf hier nichts mehr bekannt. Im Juli kam es zu einer größeren Visitation in Thüringen.
Ueber Luther aber brach jetzt schweres persönliches Leiden und auch häusliche Drangsal herein, während zugleich die Visitation und das akademische Leben zu Wittenberg einer Störung unterlag.
Glücklich hatte Luther das erste Jahr seines Ehestandes verlebt; wenn auch, was seine leiblichen Zustände betrifft, schon damals bei ihm Steinbeschwerden sich zeigten, die in späterer Zeit sehr peinlich und gefährlich für ihn werden sollten.
Am 7. Juni 1526 brachte ihm, wie er seinem Freund Kühel meldete, »seine liebe Käthe von großer Gottesgnaden einen Hansen Luther«, einen gesunden Erstgeborenen. Froh und dankbar lernten sie, nach der Aeußerung eines anderen Briefs, hier die Frucht und Freude des Ehestandes kennen, deren der Papst mit seinen Leuten nicht werth sei.
386 Unter den verschiedenartigen theologischen und kirchlichen Arbeiten und den Vorbereitungen zur Visitation nahm er an Sorgen des Hauswesens theil, legte den Garten an, der zur Wohnung des Klosters gehörte, ließ einen Brunnen bauen, bestellte sich Sämereien aus Nürnberg durch Freund Link, auch Rettige aus Erfurt. Zu gleicher Zeit schrieb er an Link um Werkzeuge zum Drechseln, was er mit seinem Diener Wolf oder Wolfgang Sieberger betreiben wolle: denn die Wittenberger Barbaren seien darin zu weit zurück; und er wolle, falls die Welt ihn als Diener des Wortes nicht mehr ernähren möchte, sich seinen Unterhalt auch mit der Hand verdienen lernen.
Schon in der ersten Hälfte des Januars 1527 aber befiel ihn plötzlich ein heftiger Andrang des Blutes gegen das Herz, der ihn fast tödtete, indessen noch schnell vorüber ging.
Ein Krankheitsanfall mit schweren Beengungen und Anfechtungen der Seele und mit langen Nachwirkungen erfolgte am 6. Juli. Am Morgen dieses Tages ergriff ihn eine Seelenangst, in der er seinen treuen Freund und Beichtvater Bugenhagen herbeirief, sich von ihm Trost aus Gottes Wort zusprechen ließ und mit anhaltendem Gebet sich und die Seinigen Gott anbefahl. Auf Bugenhagens Zureden ging er dann doch zu einem Frühmahl, zu welchem ihn der kurfürstliche Erbmarschall Hans Löser geladen hatte. Er genoß hier wenig, zeigte sich jedoch gegen die Tischgenossen möglichst heiter, suchte dann Erholung im Garten des Jonas und im Gespräch mit diesem, lud ihn auch mit seiner Frau auf den Abend in sein Haus ein. Als sie aber zu ihm kamen, klagte er über ein Brausen und Klingen wie Meereswellen im linken Ohr, das weiter mit unerträglichem Schmerz wie eine Windsbraut ihm durch den Kopf drang. Er wollte sich zu Bett legen, wurde aber auf der Schwelle der Schlafkammer ohnmächtig, indem er noch nach Wasser rief. Mit kaltem Wasser begossen, kam er wieder zu sich, fing laut 387 zu beten und über geistliche Dinge zu reden an und fuhr damit fort, obgleich ihn dazwischen noch einmal eine kurze Ohnmacht überkam. Der herbei gerufene Arzt Augustin Schurf ließ ihm den ganz kalt gewordenen Leib erwärmen. Auch Bugenhagen wurde wieder herbeigeholt. Luther dankte dem Herrn, der ihm die Erkenntniß seines heiligen Namens verliehen habe; Gottes Wille möge geschehen, ob er ihn nun sterben lassen wolle, was ihm selbst Gewinn wäre, oder noch länger im Fleisch leben und arbeiten lassen. Die Freunde rief er zu Zeugen auf, daß er bis an sein Ende gewiß sei, recht nach Gottes Befehl gelehrt zu haben. Seine Frau versicherte er tröstend, daß sie trotz allen Geredes der blinden Welt sein Weib sei und ermahnte sie, nur an Gottes Wort sich zu halten. Er fragte auch: »Wo ist denn mein allerliebstes Hänschen?« Das Kind lachte den Vater an, und er befahl es mit der Mutter dem Gotte, der ein Vater der Waisen und Richter der Wittwen sei. Als einzigen irdischen Besitz, den er den Seinigen hinterließ, bezeichnete er seiner Hausfrau einige silberne Becher, die ihm geschenkt worden waren. Nachdem ein Schweiß bei ihm ausgebrochen war, wurde ihm besser und er konnte am folgenden Tag zur Mahlzeit aufstehen. Er äußerte nachher, daß er unter den Händen seiner Frau und seiner Freunde schon zu sterben gemeint habe, daß jedoch jene vorangegangene geistige Anfechtung etwas weit Schwereres für ihn gewesen sei.
Luther klagte dann fernerhin über Schwäche des Kopfes, und die inneren Beklemmungen und Stürme der Seele wiederholten und steigerten sich. Er berichtete am 2. August dem bei der Thüringer Visitation beschäftigten Melanchthon, daß er über eine Woche lang in Tod und Hölle umhergeworfen worden sei und in Folge davon noch jetzt in seinen Gliedern zittere.
Während es ihm selbst so erging, hörte man, daß eine Pest Wittenberg nahe, ja schon in der Stadt ausgebrochen sei. Es ist bekannt, wie die furchtbare Krankheit wiederholt 388 in Deutschland gewüthet hatte und schon durch den Schrecken, der vor ihr herging und sie begleitete, verderblich wurde. Die Universität wurde jetzt aus Furcht vor ihr nach Jena verlegt.
Luther aber beschloß, mit Bugenhagen, dem er ja noch im Predigtamt zur Seite stand, bei der Gemeinde, die jetzt mehr als je geistlicher Hilfe bedurfte, auszuharren, wiewohl sein Fürst selbst ihm schrieb: »Wir wollten aus viel Ursachen und Euch selbst zu gut nit gern sehen, daß Ihr Euch von der Universität trennen sollet; – thut uns daran zu Gefallen!« – Er schrieb an einen Freund: »Wir sind hier nicht allein, sondern Christus und eure und aller Heiligen Gebete sind mit den heiligen Engeln bei uns.«
Die Seuche war wirklich ausgebrochen, wenn auch nicht mit der Wuth, die der allgemein verbreiteten Angst vor ihr entsprochen hätte. Bald zählte Luther 18 Leichen, die in der Nähe seiner Wohnung beim Elsterthore bestattet wurden. Die Krankheit rückte aus der sogenannten Fischervorstadt in die Mitte der Stadt vor: hier verschied das erste von ihr hingeraffte Opfer, die Frau des Bürgermeisters Tilo Dene, beinahe in den Armen Luthers. – An die Freunde draußen schickte Luther beruhigende Berichte und schnitt alle übertreibende Angaben ab. Sein Freund Heß in Breslau befragte ihn, »ob einem Christenmenschen gezieme zu fliehen in Sterbensläuften«: er antwortete in einem öffentlichen Sendschreiben, welches sich über das ganze rechte Verhalten der Christen darin verbreitete. – Von den Studenten waren doch wenigstens einige in Wittenberg geblieben. Für sie begann er jetzt eine neue Vorlesung.
Dabei hatte Luther über jene Anfechtung, die in seinem Innern fortwogte, auch in den folgenden Monaten und noch bis zum Uebergang ins nächste Jahr immer wieder auf's schmerzlichste zu klagen. Er sagte, sie sei ihm schon von seiner Jugend her nicht unbekannt; er hätte jedoch nicht erwartet, daß sie so stark werden könnte: er fand sie 389 also jenen Zuständen und Kämpfen, die er als Jüngling durchzumachen hatte, wenigstens gleichartig. Die Eindrücke der Pest und die Trennung von allen nahen Freunden außer Bugenhagen mußte bei ihm zur Steigerung derselben noch beitragen.
Er wurde jetzt auch durch die Nachricht von der Hinrichtung eines treuen Glaubensgenossen, des bairischen Geistlichen Leonhardt Käser oder Kaiser, der am 16. August 1527 in der Stadt Scherding den Feuertod erlitt, sehr tief ergriffen und bewegt. Aehnlich wie nach Heinrichs von Zütphen Märtyrerthum brach er in die Klage aus, wie wenig er selbst im Vergleich mit einem solchen Helden und Blutzeugen werth sei. Er gab auch einen Bericht über ihn und sein Ende, den ihm Michael Stiefel zugesandt hatte, mit einem Vorwort und Schlußwort heraus. Um dieselbe Zeit verfaßte er für die Evangelischen zu Halle a. d. Saale, deren Prediger Winkler schon im vorangegangenen April ermordet worden war, eine hierauf bezügliche tröstliche Schrift.
Zugleich kam ihm im Herbst eine neue Streitschrift des Erasmus gegen ihn zu, die er nicht mit Unrecht ein Schlangenproduct nannte, und er stand mitten im Kampf mit Zwingli und Oekolampad. Er rief einmal in einem Brief an Jonas aus: »O daß doch Erasmus und die Sacramentirer (Zwingli u. s. w.) nur eine Viertelstunde lang das Elend meines Herzens verspüren könnten: ich bin gewiß, daß sie sich dann aufrichtig bekehren würden; jetzt sind meine Feinde stark und leben und häufen auf mich, den Gott zerschlagen hat, Schmerz über Schmerz.«
Die Krankheit drang auch an die Seinigen heran. Die Frau des Arztes Schurf, der damals im gleichen Haus mit ihm wohnte, wurde von ihr ergriffen und erholte sich zu Anfang Novembers erst langsam wieder. Im Pfarrhause lag die Frau des Kaplan oder Diakonus Georg Rörer darnieder und starb am 2. November, worauf Luther 390 Bugenhagen und dessen Familie aus dem vom Schrecken erfüllten Hause zu sich in seine eigene Wohnung herüber nahm. Schon aber zeigten sich auch bei einer Freundin, Margarethe Mocha, die damals in Luthers Familie sich aufhielt, die gefährlichen Symptome und sie wurde wirklich auf den Tod 391 krank. Seine Frau sah eben jetzt einer Entbindung entgegen: er war für sie um so mehr besorgt, da Rörers Frau in der gleichen Lage erkrankt und gestorben war; sie selbst jedoch blieb, wie er sagt, fest im Glauben und zugleich gesund am Leib. Zur selben Zeit endlich, in den letzten Octobertagen, wurde sein Hänschen krank und wollte zwölf 392 Tage lang nichts mehr essen. Als damals der Jahrestag der 95 Thesen wiedergekehrt war, meldete Luther dem Amsdorf von diesen Drangsalen, in denen er sich befand, und schloß dann: »So sind draußen Kämpfe, inwendig Schrecken; – Ein Trost ist, den wir dem Wüthen des Satans entgegen stellen, daß wir das Wort Gottes haben, die Seelen der Gläubigen zu retten, ob auch jener die Leiber verschlingt; – betet für uns, daß wir die Hand des Herrn tapfer ertragen und des Teufels Macht und List überwinden, sei's durch Tod oder Leben, Amen. Wittenberg, am Tag Aller Heiligen, am zehnten Jahrestag, nachdem der Ablaß zertreten ist, deß zum Gedächtniß wir in dieser Stunde getröstet einen Trunk thun.«
Kurze Zeit nachher konnte Luther über die Krankheiten in seinem Hause dem Jonas schon etwas günstiger berichten, seufzte aber selbst noch unter dem tiefsten inneren Drucke: »Ich trage Gottes Zorn, weil ich vor ihm gesündigt habe; der Papst und Kaiser, die Fürsten, die Bischöfe und die ganze Welt hassen mich, und nicht genug daran, müssen auch meine Brüder (er meint jene Sacramentirer) mich quälen; meine Sünden, der Tod, der Satan mit seinen Engeln wüthen ohn' Ende; und was sollte mich noch trösten, wenn mich auch Christus verließe, um dessen Willen jene mich hassen? aber er wird den armen Sünder nicht verlassen bis an's Ende.« Darauf folgen die schon vorher angeführten Worte über Erasmus und die Sacramentirer.
Gegen Mitte Dezembers hörte die Pest allmählich auf. Aus seinem Hause meldete Luther am zehnten des Monats: »Mein Söhnchen ist wieder gesund und vergnügt, Schurfs Frau wieder hergestellt, Margarethe dem Tod unverhofft entronnen; wir haben für die Kranken fünf Schweine hingegeben, welche uns gestorben sind.« Und als er an diesem Tage vor Tisch von seiner Vorlesung nach Hause kam, genas seine Frau glücklich eines Töchterchens, das den Namen Elisabeth erhielt.
393 Ueber die eigenen inneren Leiden erhob er sich mit der Gewißheit, daß dennoch sein Herr und Heiland auch unter ihnen bei ihm sei, und daß Gott auch sie zu seinem und anderer Besten, nämlich zu seiner eigenen Zucht und Demüthigung, über ihn kommen lasse. Es gelte, sagt er, von ihm, was Paulus sage: »Als die Sterbenden, und siehe, wir leben;« ja er wolle von seiner Last nicht frei werden, wenn sein Gott und Heiland dadurch verherrlicht werde.
Luthers Lied »Ein' feste Burg ist unser Gott« erschien, wie neuerdings wenigstens mit großer Wahrscheinlichkeit nachgewiesen worden ist, wohl bald nach Beginn des nächsten Jahrs zum ersten Mal in einem Gesangbüchlein.Ganz sicher ist, daß das Lied, wenn nicht dort, so doch jedenfalls schon in einem Wittenberger Gesangbuch des Jahrs 1529 stand, irrig also die weitverbreitete Annahme, daß Luther es erst während des Augsburger Reichstags 1550 gedichtet habe. Wir dürfen so in ihm wohl ein Erzeugniß eben jener für Luther so schweren Zeit sehen. Namentlich die Worte Luthers an jenem Jahrestage der Reformation klingen mit ihm zusammen.
Für die Hebung der psychischen Drangsale scheint dann bei Luther neben dem Aufhören der Seuche und der Rückkehr seiner Freunde auch eine heilsame Krisis in seinem leiblichen Zustande, der unter Stockungen des Blutumlaufs litt, einen günstigen Einfluß seit dem Beginne des neuen Jahres geübt zu haben.
Inzwischen wurde nach dem Ausbruch der Pest auch die Arbeit in der Kirchenvisitation eingestellt. Melanchthon jedoch, der sich nach Jena zur Universität begab, erhielt den Auftrag, einstweilen für ein weiteres Handeln in dieser Sache Ordnungen und Weisungen zu entwerfen, und Luther bekam die von ihm aufgesetzten Artikel noch im August zur Durchsicht und Prüfung.
Dieselben faßten die Grundzüge der evangelischen Lehre zusammen, wie sie fortan in den Gemeinden eingehalten 394 werden sollten: vorzugsweise mit Rücksicht auf den »gemeinen groben Mann«, der großentheils noch der ersten Erziehung zu christlichem Glauben und Leben bedürftig erschien, und mit Rücksicht auf viele Bekenner der neuen Lehre, die nicht mit Unrecht, wie Melanchthon anerkannte, der Vorwurf traf, daß sie das Wort vom seligmachenden Glauben zu einem Ruhekissen oder gar zu einem Deckmantel sittlicher Leichtfertigkeit werden lassen und ihre Predigten mehr mit Ausfällen gegen den Papst, als mit erbaulichem Inhalt ausfüllen. Melanchthon sprach darin aus: »Die haben den Papst nicht überwunden, die sich dünken lassen, daß sie den Papst überwunden haben.« Und während er lehrte, daß die um ihre Sünde Bekümmerten nur an die Vergebung um Christi willen glauben sollen und durch diesen Glauben vor Gott gerecht werden und Trost und Frieden finden, wollte er doch mit besonderem Nachdruck die Leute daran gemahnt haben, daß dieser Glaube nicht sein könne ohne ernstliche Reue und Schrecken vor Gott, daß der Trost nur da, wo solcher Schrecken sei, gefühlt werden könne und daß hiezu das göttliche Gesetz mit seinen Forderungen und Drohungen auf die Seelen wirken wolle.
Daß jener heilbringende Glaube durch Gottes frohe Gnadenbotschaft nur in einem durch Gottes Gesetz gebeugten und zerschlagenen Herzen entstehe und weiter sich in Früchten der Buße bethätigen müsse, hatte Luther selbst, und zwar auf Grund der eigenen Lebenserfahrungen, sehr klar gelehrt, wenn er auch bei einer Darstellung der Lehre, wie sie hier zu entwerfen war, das auf die eine und andere Seite der Sache gelegte Gewicht vielleicht nicht ganz so wie Melanchthon vertheilt hätte. Aus der Mitte der katholischen Gegner aber erhob sich jetzt ein Geschrei, daß dieser die lutherische Lehre schon nicht mehr aufrecht zu halten wage: war's doch in ihrem Interesse, auf die lutherische Lehre selbst den vorhin erwähnten Vorwurf recht dreist laden zu können. Und, was weit bedenklicher war, aus dem bisherigen nächsten 395 Freundeskreise selbst richtete sich ein Angriff gegen Melanchthon: Agricola in Eisleben nämlich (vgl. oben S. 323) wollte nichts von einer Buße hören, die aus jenen Eindrücken des Gesetzes und aus Furcht vor der Strafe erwachse, sondern die ganze heilsame Umwandlung des Sünders nur von der frohen Botschaft der göttlichen Liebe und Gnade ausgehen lassen; nur daraus gehe auch eine rechte Gottesfurcht hervor, welche Gott nicht der Strafe wegen, sondern um seiner selbst willen fürchte: es war eine Unterscheidung, die er in Melanchthons Schrift vermißte. Dies war das erste Mal, daß unter denen, die bis dahin wirklich gemeinsam auf dem Boden der lutherischen Lehre standen, ein dogmatischer Streit auszubrechen drohte.
Luther dagegen stimmte dem Entwurf bei und fand nur wenig an ihm zu ändern. Das Gerede der Gegner bewegte ihn nicht; er beruhigte den Kurfürsten darüber: wer etwas Göttliches vornehme, müsse dem Teufel das Maul lassen, dawider zu plaudern und zu lügen. Wohlgefällig nahm er eben das auf, daß von Melanchthon dort Alles »für das Pöbel auf's einfältigste gestellet sei«. Da fand auch er die feineren Unterscheidungen und Lehrbestimmungen nicht am Platze. Den Agricola, der lutherischer als er selbst sein wollte, brachte er noch zum Schweigen.
Nachdem Melanchthons Arbeit reiflicher und vielseitiger Berathung und Erwägung durch den Kurfürsten unterworfen worden war, trat sie auf seinen Befehl mit einer Vorrede Luthers im März 1528 in die Oeffentlichkeit – als »Unterricht der Visitatoren an die Pfarrherren im Kurfürstenthum zu Sachsen«. Im Vorwort sprach Luther davon, wie wichtig und nöthig für die Kirche eine solche Aufsicht und Visitation sei. Daß jetzt der Kurfürst dieses Amtes sich annahm und Visitatoren aussandte, begründete er damit, daß, nachdem die Bischöfe und Erzbischöfe ihrer Pflicht untreu geworden, sonst Niemand einen besonderen Beruf oder gewissen Befehl dazu gehabt habe: deshalb sei der Fürst des 396 Landes als die von Gott verordnete weltliche Obrigkeit darum angegangen worden, aus christlicher Liebe, indem er als weltliche Obrigkeit es nicht schuldig gewesen wäre, dem Evangelium solchen Dienst zu thun. Aehnlich hat Luther später einmal die evangelischen Landesherren »Nothbischöfe« genannt. Zugleich führte eben jetzt die Visitationsordnung für die kleineren Bezirke das Amt der Superintendenten als ständiges Aufsichtsamt ein.
Im Laufe des Sommers wurde vollends eine große, das ganz Land umfassende Visitation vorbereitet. Ursprünglich war die Absicht gewesen, durch Eine Commission die verschiedenen Kreise nach einander vorzunehmen. Das hätte, wie man richtig erkannte, viel Verzögerung und andere Nachtheile mit sich gebracht. Statt dessen ergriff man jetzt die großartigere Maßregel, zu gleicher Zeit verschiedene Commissionen in den verschiedenen Kreisen wirken zu lassen. Jede derselben bestand aus einem Theologen und einigen weltlichen Mitgliedern, Juristen und fürstlichen Räthen oder Amtleuten. Für den Kurkreis wurde an der Spitze der Commission Luther ernannt. In den einen Kreisen wurde indessen doch früher als in den andern begonnen. Den Anfang machte der Kurkreis, am 22. October, und hier wohl zuerst der Wittenberger Bezirk.
Luther hatte schon seit dem zwölften Mai eine neue Arbeitslast freiwillig übernommen. Bugenhagen war nämlich da nach der Stadt Braunschweig abgereist wo er nach dem Wunsch des Magistrats die kirchliche Reform durchführte und von wo er im October und bis zum folgenden Juni zu demselben Zwecke nach Hamburg ging. Ihn vertrat Luther jetzt im Pfarramt; er predigte da regelmäßig drei bis vier Mal in der Woche. Dennoch nahm er jetzt auch seinen Antheil bei der Visitation auf sich; das ihm zugewiesene Gebiet führte ihn ja auch nicht weit von Wittenberg ab. So wurde er dort zunächst in den folgenden Monaten und dann mit verschiedenen Unterbrechungen noch 397 bis ins Frühjahr hinein thätig. Seit Ende Januars 1529 litt er in Wittenberg auch wieder einige Wochen an Schwindel und Sausen im Kopf: er wußte nicht, ob es Ermüdung oder eine Anfechtung des Satans sei, und bat Freunde um ihre Fürbitte, damit er im Glauben tapfer bleibe.
Die Nothstände und Aufgaben, die bei der Visitation sich vollends eröffneten, entsprachen dem, was Luther erwartet hatte. Im Kurkreis stand es übrigens verhältnißmäßig noch günstig: für die Pfarreien war hier von guter Wirkung, daß über ein Dritttheil derselben den Kurfürsten zum Patron hatte, und in den Städten hatten die Magistrate schon theilweise das Ihrige gethan. Die Mehrzahl der Geistlichen genügte wenigstens den milden Ansprüchen, auf die man unter den gegebenen Umständen sich beschränken mußte. Schlimmer war es in manchen anderen Landestheilen. Ein crasses Beispiel der groben Unwissenheit, die nicht blos beim Landvolk, sondern auch bei seinen Geistlichen weit verbreitet war, fand sich schon in einem Dorfe bei Torgau: der alte Pfarrer dort konnte kaum das Vaterunser und Glaubensbekenntniß hersagen, während er in weitem Umkreise als Teufelsbanner geschätzt und thätig war. Absetzungen von Geistlichen mußten besonders wegen grober Unsittlichkeit, Trunksucht, wilder Ehe u. s. w. erfolgen; manchen mußte auch verboten werden, Schenkwirthschaft und andere weltliche Gewerbe zu treiben. Dagegen hören wir kaum von einer Anhänglichkeit einzelner Geistlicher an das römische Kirchenthum, die den Visitatoren Schwierigkeit bereitet hätte. Armuth und Mangel fand Luther, wie er berichtete, überall. Das Schlimmste war die Rohheit des Volkes auf dem Lande und theilweise auch in den Städten. Es wird von einem Orte berichtet, wo die Bauern kein Gebet kannten, von einem andern, wo sie sich weigerten, das Vaterunser zu lernen, weil es zu lang sei. Dorfschulen waren im ganzen Lande nur sehr wenige zu finden. Man mußte auch jetzt noch zufrieden sein, wenn die Kinder nur 398 wenigstens Vaterunser, Glaubensbekenntniß und die zehn Gebote beim Küster lernten. Von der Bekanntschaft mit diesen wurde auch die Zulassung zum Abendmahl abhängig gemacht.
Luther selbst ging bei der Visitation mit seiner praktischen und volksthümlichen energischen und traulichen Weise in persönlichen Verkehr mit den Leuten ein.
Den Geistlichen, die ein Vorbild für's Predigen bedurften, und den Gemeinden, denen ihre Geistlichen wegen eigener Unfähigkeit fremde Predigten vortragen mußten, konnte zu diesem Zwecke nichts Passenderes als Luthers Kirchenpostille dargeboten werden. Ihr Gebrauch wurde, wo es nöthig war, anbefohlen. Sie war auch kurz zuvor vollends fertig geworden: nachdem nämlich Luther im Jahre 1525 noch das Winterhalbjahr in ihr zum Abschluß gebracht hatte, gab im Jahre 1527 sein Freund Roth von Zwickau auch ein Ganzes von Predigten für die Sonntage des andern Halbjahrs und die sämmtlichen Fest- und Feiertage aus früheren Einzeldrucken und Nachschriften heraus.
Die dringendste Aufgabe aber, der Luther jetzt endlich selbst nachkommen zu müssen meinte, war die Abfassung eines Katechismus, welcher recht für's Volk und vor Allem für die Jugend paßte. Schon vier Jahre früher war er bemüht, Freunde zu einer solchen Arbeit anzuregen. Seine »Deutsche Messe« 1526 sprach aus: »Auf's erste ist im deutschen Gottesdienst ein grober, schlechter, einfältiger, guter Katechismus von nöthen«; und weiter sagte Luther dort, er wisse solchen christlichen Unterricht nicht besser zu stellen, als in den alten drei Hauptstücken der zehn Gebote, des Glaubens und des Vaterunsers: denn darin stehe schlecht und kurz fast Alles, was einem Christen zu wissen noth sei.
Jetzt arbeitete er zunächst, noch unter den Geschäften der Visitation, in den ersten Monaten des Jahres 1529 eine größere Schrift aus, welche die Pfarrer belehren sollte, wie sie im Unterricht und in Predigten den Inhalt jener 399 Hauptstücke und ferner der Lehre von Taufe und Abendmahl zu verstehen und darzulegen hätten. Es ist sein sogenannter großer Katechismus, ursprünglich einfach betitelt »Deudsch Catechismus«.
Kurz darauf folgte der »Kleine Katechismus« (auch Enchiridion genannt), der jenen Inhalt kurz, wie es für Kinder und Einfältige passen sollte, in Fragen und Antworten faßte. Im Eingang erklärt Luther: »Diesen Katechismum oder christliche Lehre in solche kleine, schlechte, einfältige Form zu stellen hat mich gezwungen und gedrungen die klägliche, elende Noth, so ich neulich erfahren habe, da ich auch ein Visitator war; hilf, lieber Gott! wie manchen Jammer habe ich gesehen, daß der gemeine Mann doch so gar nichts weiß von der christlichen Lehre, sonderlich auf den Dörfern, und leider viel Pfarrherren fast ungeschickt und untüchtig sind zu lehren.« Darum bittet er die Brüder im Pfarramt, sie möchten sich des Volkes erbarmen, den Katechismus in die Leute und sonderlich ins junge Volk bringen helfen und dazu, wenn sie es nicht besser vermögen, diese seine Tafeln und Formen vor sich nehmen und dem Volk von Wort zu Wort vorbilden.
Für den Gebrauch der Pastoren fügte er diesem Katechismus auch ein Traubüchlein und bei der zweiten gleich darauf folgenden Auflage auch den neuen Abdruck eines schon von ihm vor drei Jahren herausgegebenen Taufbüchleins bei.
Der Katechismus selbst ist dem Bedürfniß der Einfältigen und des allgemeinen täglichen und christlichen Lebens getreulich nachgekommen, indem er an jene Hauptstücke auch noch Gebete für's Aufstehen, zu Bett Gehen und Essen anreiht und schließlich eine Haustafel aufstellt mit biblischen Sprüchen für alle Stände und mit dem Schlußwort »Ein jeder lern seine Lection, So wird es wohl im Hause stohn.«
Vor Allem an die Geistlichen hat Luther sich gewendet, daß sie so dem Volk die christliche Wahrheit einprägen 400 möchten. Er wollte aber, wie die Ausführung sagt, auch jeden Hausvater anweisen, wie derselbe jenes alles »seinem Gesinde einfältiglich vorhalten« und sein Gesinde lehren soll, zu beten, sich zu segnen und Gott Dank zu sagen.
Im Inhalt beschränkte sich der Katechismus auf die höchsten, einfachsten und durchweg praktisch bedeutsamen christlichen Grundwahrheiten, ohne jeden polemischen Zug. In der Fassung benutzte er auch Altüberliefertes: so bei seiner Erklärung des Vaterunsers und in den beigefügten kleinen Gebeten. Wie trefflich er mit seiner Originalität und Schlichtheit, seiner Tiefe und Einfalt nicht blos den damaligen, sondern allgemeinen und bleibenden Erfordernissen entsprach, hat sein Gebrauch im Lauf der Jahrhunderte und bei so verschiedenartigen Bildungsstufen bewährt. Abgesehen von der Bibelübersetzung ist diese kleine Schrift Luthers seine für unser Volk wichtigste und wirksamste.
Die Visitationen gingen, als die Katechismen herauskamen, zu Ende, obgleich sie noch nicht zu allen Gemeinden gedrungen waren. Anderweitige Angelegenheiten und drohende Gefahren nahmen den Landesherrn und die Reformatoren weiterhin überwiegend in Anspruch.