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Der Hof hatte auf einige Tage die hohe Sommerresidenz verlassen, und den Palast in der Stadt, das alte Schloß der ehemaligen Landgrafen, bezogen. Von hieraus eröffnete Jerôme den Monat Juli mit einer großen Revue über die Garden: die Garde du Corps, die Chevauxlegers-Garde, die Garde der Grenadiere zu Fuß und die Gardejäger. Das erste Chevauxlegers- und das dritte Linieninfanterie-Regiment wurden mit dazu gezogen. Der König zu Pferd erwartete die Königin auf dem weiten, eirunden Rasenplatze vor dem Orangerieschlosse des Auparks. Sie kam mit prachtvollem Gespann von Isabellen zu Wagen, in Begleitung ihrer Palastdamen, und nun ging die große Feierlichkeit vor sich, indem Katharina in Person, unter dem Zudrange des Volks um das Bowlinggreen, die Binden an die Fahnen und Standarten knüpfte, die der König an die verschiedenen Truppen vertheilte. Bei jeder Uebergabe erinnerte er an die Ehre der besondern Waffengattung, sowie an die Wichtigkeit der Feier, in kurzen französischen Anreden, die der begleitende Adjutant, Oberst Prinz Salm-Salm, auf der Stelle deutsch nachsprach.
Leichtere Zwischenreden kamen bei Besichtigung der einzelnen Truppen vor, und die Antworten der obern Offiziere, die den König begleiteten, fielen oft, besonders nach althessischen Begriffen, freimüthig genug aus, namentlich von Seiten der Franzosen. So beim Anblicke der vier Kanonen, die in den Zwischenräumen der Bataillone der Garde ausgeführt standen und die Morio hatte gießen lassen, rief Jerôme etwas barsch aus:
Voilà de vos canons qui sont bien rouillés, General!
Worauf Morio rasch und kurz erwiderte:
Sire, ce ne sont pas des voitures de la Cour.
Nach der Revue gab der König in einem Saale des Orangerieschlosses ein Gastmahl für zweihundert Gedecke. Er selbst nahm in einem besondern Zimmer das Frühstück ein. Die ausgesprochene Zufriedenheit des Königs mit der Haltung und Uebung der Truppen steigerte noch den frischen Muth und die laute Fröhlichkeit der Gäste, die schon durch eine vorausgegangene Gunst heiter gestimmt waren. Denn Jerôme hatte durch eine frühere Ordre einem jeden Infanterieoffizier 300, und jedem Cavalerieoffizier 500 Francs zur Erleichterung ihrer Equipirung bewilligt.
Auf dies militärische Vorspiel folgte am nächsten Tage, Sonnabend den 2. Juli, die Prachtfeier der Eröffnung des ersten Reichstags. Schon in der Frühe war die Stadt, um die alte Burg und nach dem Authore hin, in Bewegung.
Mit dem Schlage 6 Uhr nahm der Hauptmann der Garde, General du Coudras, Besitz vom Orangerieschloß in der Au. Von hier aus gab er seine Befehle an die Garden. Diese und die Linienregimenter bildeten eine Hecke vom Residenzschloß über den Friedrichsplatz durch das Author hinab an den Orangeriebau.
Dies großartige Gebäude, aus drei hohen Lusthäusern und zwei Flügeln bestehend, bot zwei große Säle, von denen der eine für die heutige Feier prachtvoll eingerichtet war.
Auf erhöhtem Boden, auf einer Estrade, stand der Thronsitz für den König zwischen den etwas abgerückten Ministerbänken rechts und links. Eine Tribüne war für die Königin und ihr Gefolge, eine zweite für das diplomatische Corps und andere ausgezeichnete Personen errichtet. Von der Estrade ab war ein Vorplatz, ein Parquet, gelassen, bis zu den beiderseitigen Bänken hin, die, blau überzogen für den Staatsrath und die Deputirten, und roth beschlagen für die mit Einlaßbilleten begünstigten Zuschauer bestimmt waren.
Gegen 11 Uhr fanden sich die Mitglieder der Stände in ihrem Costüm ein. Dies bestand in einem blauen, mit orangegelber Seide gestickten Kleide und einer weißseidenen Schärpe, worüber ein blauseidener, weißgefütterter, reichgestickter Mantel hing, und in der Kopfbedeckung einer schwarzsammetnen, mit Straußfedern verzierten Toque à la Henri IV.
Die Staatsräthe, ebenfalls in großem Costüm sammetner Mäntel mit Schärpen und von Straußfedern umwehten Toquen nahmen die beiden Bänke vor den Abgeordneten ein. Noch früher hatten sich die rothen Bänke mit Zuschauern gefüllt, unter denen sich auch Hermann mit Provençal zeitig eingefunden.
Für die Zuschauer war es unterhaltend genug, die einzelnen Ständemitglieder nach und nach ankommen zu sehen, und zu beobachten, wie sich die einzelnen in das ungewohnte Costüm und in ihr neues Selbstgefühl zu schicken suchten. Dies Selbstgefühl war durch die neue Etiquette nicht wenig herausgefodert. Den Abgeordneten war nämlich das Vorrecht zugestanden, sich vor dem Könige zu setzen und zu bedecken; die Flügelthüre der Schloßsäle öffneten sich vor dem Präsidenten und vor den Abgeordneten, und wo sie in ihrer Galla erschienen, auch wenn sie von den Bauernhöfen der Diemel und der Werra gekommen waren, präsentieren die Wachen das Gewehr und verneigten sich ehrerbietig die Lakaien. Aber das aufgesteifte Bewußtsein fand sich doch nicht sogleich in das spanische Costüm. Die Toque mit Straußfedern stand doch manchem ehrlichen deutschen Gesicht auch gar zu possirlich, und nur wenige Schultern trugen den gestickten Mantel mit Anstand. Manche, wenn sie unter den gespannten Blicken der Zuschauer nach ihren Bänken gingen, schnitten pathetische Gesichter und stolperten; Andere lächelten verschämt und schlugen die Augen nieder, oder spielten mit den Quasten der Schärpe. Nicht Wenige zerrten mit beiden Händen den Mantel von einer zur andern Schulter, oder zogen ihn zu einem kurzen Sack eng um den Leib zusammen. Erst in der Sicherheit ihrer Sitze gewannen sie einen freien Umblick und besannen sich auf den Ausdruck einer hohen Weisheit oder eines stolzen Berufs.
Auch die Ehrentribüne hatte sich vor 11 Uhr mit Herren und Damen in großem Putze gefüllt; denn mit dem Stundenschlag ward Niemand mehr eingelassen. Endlich hörte man auch den Wagen der Königin anfahren. Doch erschien sie noch nicht im Saale, sondern ward von dem Präsidenten mit vier Abgeordneten nach ihrem Empfang an der Thüre in ein anstoßendes Gemach geleitet, um die Ankunft des Königs abzuwarten.
Mit dem Schlage 11 verkündeten einundzwanzig Kanonenschüsse die Abfahrt Jerôme's aus dem Schlosse. Die im Saale Versammelten geriethen in Erwartung und Unruhe. Manchen war es nun leid, daß sie für die Gunst ihrer Eintrittskarte den Vortheil opfern mußten, draußen den prunkvollen Aufzug mitanzusehen.
Eine Cavalerieabtheilung eröffnete den Zug, an dessen Spitze der Gouverneur von Cassel, der junge Brigadegeneral Rewbel, mit seinen Adjutanten ritt.
Vier Staatswagen folgten mit dem Ceremonienmeister und seinen Gehülfen, mit den paarweise fahrenden Ministern, mit dem Obermarschall des Palastes, Herrn Meyronet, und einem königlichen Adjutanten als Stellvertreter des Oberstallmeisters.
Der Wagen des Königs mit Prachtgespann war vom Hauptmanne der Garden, den Adjutanten und Stallmeistern des Monarchen umritten, und hinter demselben folgte der alte Bongars, als Legionschef der Gendarmerie, ebenfalls zu Pferd.
Der Wagen mit dem Oberkammerherrn und dem ersten Almosenier nebst mehren Wagen der Hofbeamten machten den Schluß des Zuges.
Am Eingang in den Bau empfing den König der Präsident der Stände, Graf Schulenburg-Wolfsburg, an der Spitze einer Deputation von acht Ständemitgliedern. Jetzt eröffnete sich für die Insassen des Saales das politische Schauspiel.
Die Königin besteigt mit ihren Damen die rechte Tribüne im Augenblick, als die Empfangsdeputation, von den beiden ständischen Huissiers angeführt, den Saal betritt. Hinter den Huissiers des Königs folgen die Pagen, die Ceremonienmeister, die königlichen Adjutanten, die Minister, der Obermarschall und der Viceoberstallmeister. Die einundzwanzig Kanonenschüsse wiederholen sich aus der Ferne, und der König, von den Großbeamten des königlichen Hauses begleitet, erscheint in einem festlichen Gewand von weißer Seide mit einem Mantel von Purpur; der Federhut ist mit Diamanten besetzt, die weißseidenen Schuhe haben weiße Schleifen und rosenrothe Absätze.
Bei seinem Eintritt erhebt sich die ganze Versammlung. Er schreitet über das Parquet und die Estrade nach seinem Sessel, und nun gruppirt sich in feierlicher Entfaltung das zahlreiche Personal um den Thronsitz.
Die beiden Huissiers des Königs stellen sich an die beiden Ecken der Estrade; die Pagen bilden Hecke für das Gefolge. Das Ceremonienpersonal tritt zu beiden Seiten auf die erste Stufe der Erhöhung. Ueber diese hinweg schreiten die Minister nach ihren Bänken. Der Gardecapitän tritt hinter den Thronsessel, und neben ihn rechts und links der Obermarschall und der Oberstallmeister. Der Gouverneur mit den Adjutanten, der Almosenier und der Gendarmeriechef vertheilen sich hinter den Bänken der Minister. Vor denselben steht der Stuhl für den Oberkammerherrn.
Wie der König sich niedergelassen hat, setzen sich die Mitglieder der Stände und des Staatsraths und bedecken sich. Dem Throne gegenüber, auf einem erhöhten und von den ständischen Huissiers umstandenen Stuhle sitzt der Präsident. Die Pagen lassen sich jetzt auf den Stufen der Estrade nieder, sodaß in der Mitte ein Durchgang bleibt.
Zuerst tritt der Oberkammerherr, als Oberceremonienmeister handelnd, auf, der Graf T.-W. Zum ersten mal erblickt Hermann den Gemahl seiner Gönnerin, einen schönen Mann von aristokratischem Strich, mehr leicht und fein von Anstand, als feierlich und umständlich in der Art und Weise, wie er sich gegen den König bewegt, um dessen Befehle zu empfangen, und wie er dann diese Befehle dem Minister des Innern und der Justiz überliefert.
Der Minister Simeon erhebt sich, tritt vor den König, und bittet mit lauter Stimme um die Erlaubniß, Sr. Majestät die Abgeordneten vorzustellen.
Dem bedächtigen Herrn, einem würdigen, wohlgesinnten Manne des Rechts, begegnete in dem spanischen Hofcostüm ein kleines Misgeschick, nicht zwar in seinen guten Abbé-Beinen und Waden, aber an seinem noch altfranzösisch zugestutzten und gepuderten Haare. Er trug es – nämlich noch in einen langen dünnen Zopf gewickelt, den er im spanischen Costüm, als einen Ausländer und Ungläubigen, hinter den gestickten Kragen des Kleides einzustecken pflegte. So lange der würdevolle Mann den Kopf steif hielt, hatte es gut gethan. Indem er sich nun aber mit altfranzösischer Feierlichkeit tief verneigte, und den Kopf rechts und links wendete, entschlüpfte der Gefangene, und fuhr, etwas gekrümmt, mit dem verwirrten Haarbüschel auf dem Mantel hin und her. Es sah aus, als ob der an seinem hergebrachten Recht Gekränkte gegen den Justizminister selbst an die Oeffentlichkeit appellire. Das ganze Gewicht des feierlichen Augenblicks war nöthig, einen Ausbruch des Lachens so vieler Zuschauer zu unterdrücken und es unter verbissenen Mienen zurückzuhalten.
Inzwischen hatte der Oberkammerherr durch einen Ceremonienmeister ein Mitglied der Stände ausfodern lassen, sämmtliche Deputirte vorzurufen. Man hatte den Gerichtspräsidenten von Strombeck aus Einbeck dazu erlesen. Dieser trat jetzt in die Mitte des Parquets zwischen dem Thron und den Sitzen hervor, und rief die Abgeordneten departementsweise und in alphabetischer Ordnung auf. Die Gerufenen schritten entblößten Hauptes vor die Stufen der Estrade, wo sie, vom Minister dem Könige noch einmal genannt, den Eid in französischer und deutscher Sprache ableisteten.
Nach diesem durch eine hundertmalige Wiederholung etwas ermüdenden Vorgang entblößte die Versammlung auf den blauen Bänken ihre Häupter, und der König sprach seine Rede.
Diese, den ersehnten Tag begrüßend und dem Minister des Innern eine Darstellung über die Lage des Reichs vorbehaltend, hob sofort zwei Hauptgegenstände eines gemeinsamen Bestrebens hervor. Zuerst die Vereinbarung der so abweichenden Gesetze aus den verschiedenen Bestandtheilen des Reichs. – Das Fehlerhafte und Verwickelte soll aufhören, hieß es; was in einem Lande gut war, soll allgemein werden, und sich aus den französischen Einrichtungen durch Dasjenige ergänzen, was ein Theil von Europa aus dem Code Napoleon anzunehmen eilt und was mit der Verfassung von Westfalen die meiste Verwandtschaft hat. Das Zweite betraf eine Verschmelzung der Schulden der einzelnen Provinzen zu einer gemeinsamen, öffentlichen – einer »Nationalschuld«. Die bisher getrennten Landeseinwohner sollten eine Nation von Gemeingeist und gemeinschaftlichem Interesse bilden, – stark durch solche Einheit, durch ihren Credit und ihre Finanzen, stark auch in den Waffen durch jene Eigenschaften, die den Vorvätern längst zum Ruhm und zur Auszeichnung gereicht haben. An der Unterstützung dieser Absichten zum Wohl des Allen am Herzen liegenden Reichs wolle der König die Ergebenheit der Abgeordneten seines Volks erkennen. Und so schloß die Rede mit den Worten:
Nous y travaillerons de concert: Moi en Roi et pèra, vous en Sujets fidèles et affectioné.
Ein hundertstimmiges »Es lebe der König, es lebe die Königin!« erscholl, als Jerôme geendigt hatte und sich erhob.
Der Zug bildete sich wieder in der Anordnung, wie er gekommen war, und sobald er sich in Bewegung setzte, verließ die Königin mit ihren Damen die Tribüne. Draußen fielen wieder einundzwanzig Kanonenschüsse.
Hinter dem Zuge her leerte sich der Saal. Um Störung und Verwirrung zu vermeiden, mußten die Abgeordneten, die Staatsräthe und wer sonst zu Wagen zurückkehrte, den Umweg nördlich an der Fulda hin nehmen und den Weg durch das hohe Author für den königlichen Zug frei lassen.
Im Gedränge verlor Hermann den Generalsecretär Provençal und stieß auf den Baron Rehfeld, der Tags vorher, von einer geheimen Reise nach Berlin zurückgekehrt, sich noch eine Einlaßkarte verschafft hatte. Beide nahmen den kürzern Weg über die zum Author emporführende gewundene Treppe, um von oben den Prachtzug mitanzusehen, der sich langsam die Windungen der Höhe heraufbewegte. Der Zudrang und Jubel des Volks um das Thor und auf dem Friedrichsplatze war groß. Die Menge flutete besonders neben dem Wagen des Königs her, und verlief sich erst, als das Gepränge unter dem nachhallenden Donner des Geschützes zwischen den Wällen der alten Burg verschwunden war.