Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

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Sechstes Kapitel.

Die erste Hose

Nach Prospers Ankunft in Melun war sein erstes Geschäft, sich zu dem Notar zu begeben, der ihm geschrieben hatte. Er stellte sich dem Bürger Dumont mit dem empfangenen Schreiben in der Hand vor und sagte zu ihm: »Bürger Notar, hast Du mir wirklich dieses geschrieben, oder ist es nur ein Scherz, den man mit mir treiben wollte?«

Der Notar sah den Brief an und entgegnete: »Dieses Schreiben ist wirklich von mir, Bürger, und enthält die reine Wahrheit; Du bist ohne Zweifel Prosper Bressange, der Pathe von Brillancourt?«

»Der bin ich selbst ... Ich habe auf den Fall, daß Du mir nicht trautest ... meine Papiere mitgebracht ... Außerdem kennt mich die Haushälterin meines armen Pathen sehr wohl, sie kann, wenn es nöthig ist, meine Identität bezeugen.«

»Das ist unnöthig, Bürger, mein Brief in Deinen Händen ist Urkunde genug zur Verabfolgung Deiner Erbschaft ... die überdies nicht beträchtlich ist ... Ei, ei, ei! ich meine, der Pathe hätte sich freigebiger zeigen dürfen!«

Hiemit näherte sich der Notar einem alten Möbel, woraus er die für Prosper bestimmte Hinterlassenschaft hervorzog; er überreichte dem jungen Mann die drei Hosen und brach von Neuem in ein Gelächter aus, welches er mit den Worten endete: »So lange ich Notar bin, habe ich noch nie eine ähnliche Erbschaft auszufolgen gehabt ... wenn man etwa noch in den Taschen jeder Hose einen hübschen Wechsel oder eine gefüllte Goldbörse hineingesteckt hätte ... Diesen Gedanken hatte ich einen Augenblick, und ich gestehe Dir, Bürger, daß es mein erstes Thun war, die Taschen dieser ... unentbehrlichen Kleidungsstücke zu durchsuchen ... allein sie enthielten nichts; keinen rothen Heller; sonst, Du darfst versichert sein, hättest Du Alles redlich wieder gefunden.« – Daran zweifle ich gar nicht. Allein man muß mit dem zufrieden sein, was das Schicksal uns zuwirft. Lebe wohl, Bürger Notar, ich nehme meine Hosen mit. Gruß und Brüderschaft!«

Und Prosper entfernte sich mit seiner Erbschaft unter dem Arm, die er in sein Taschentuch einband und an einem Stocke forttrug, indem er bei sich dachte: »All' diese Leute sehen aus, als ob sie über mich spotten wollten ... und das ekelt mich an ... Alles wohl erwogen, war mein Pathe kein Dummkopf ... und ich werde seine Erbschaft nicht verachten ... Um ihr Ehre anzuthun, will ich gleich eine der mir hinterlassenen Hosen anziehen ... Meine Beinkleider sind gerade schmutzig und abgetragen ... diese werden mich ein wenig herausputzen ... Aber wo soll ich meine Toilette machen? ... ich kann doch meine Hosen nicht auf der Straße wechseln ... ich könnte zwar zu meinem verstorbenen Pathen hingehen ... aber er ist todt, und seine Dienerin liebe ich nicht ... ich werde nie wieder einen Fuß in sein Haus setzen. Wenn ich aber kein gastliches Lager in Melun finde ... so kann ich nicht lange dort verweilen ... denn meine Baarschaft reicht kaum für einen Tag in einem Gasthofe hin ... und wenn ich nur einen Tag dort bleibe, so werde ich nicht gerade Gelegenheit finden, Camilla zu begegnen ... und ihr auf dem Spaziergang nachzugehen! ... Teufel! an All' das hätte ich vor meiner Abreise denken sollen ... Aber wenn ich auch daran gedacht hätte, so hätte ich deßhalb doch keinen Sou mehr bei mir gefunden ... Meine Freunde sind nicht reich! Es gibt nur einen Menschen, der mir hätte einen Dienst leisten können ... und dieser hätte mir ihn nicht verweigert, wenn ich mich an ihn gewandt hätte! Das ist der gute Holländer, der Bürger Derbrouck ... aber er hat mir schon so oft ausgeholfen! und es thut sich nicht wohl, Geld zu entlehnen, wenn man weiß, daß man es nicht mehr zurückzahlen kann.«

Unter diesen Betrachtungen spazierte Prosper mit seinem Stock auf dem Rücken, an dem sein Erbtheil hing, in Melun herum, betrachtete sich die Häuser, Schilde und Gasthöfe, fuhr beim Anblick der Letzteren jedesmal unwillkürlich mit der Hand in seine Hosentasche, fand aber darinnen stets nur einige kleine Münzen, die ihrem Besitzer nicht gestatteten, in Hôtels einzukehren; zuletzt zog die Aufschrift eines Perrückenmacherladens, welche lautete: Hier rasirt man Patrioten und barbirt Aristokraten, die Aufmerksamkeit des jungen Mannes auf sich.

Prosper hatte noch keinen Bart, aber lange, hinten hinabhängende Haare, die nur mit einem Bande in einen Zopf zusammengeknüpft waren. Er trat in den Perrückenmacherladen und schrie mit anmaßendem Tone: »Bürger! ich verlange, daß Du mich auf die revolutionärste Weise, die Du ersinnen kannst, frisirest ... und Höllenwetter! wenn ich nicht zufrieden bin, kündige ich Dir zum Voraus an, daß ich alle Deine Perrücken tanzen lassen werde!«

Der Perrückenmacher war ein kleiner, äußerst zaghafter Mann, der in den einfachsten Begebenheiten außerordentliche Dinge und in allen Fremden, die in seinen Laden kamen, wichtige Personen entdecken wollte.

Er rasirte eben einen dicken, etwa sechzigjährigen Mann, dessen Angesicht höchst gewöhnlich, roth und finnig war, der aber ein Paar kleine graue Augen hatte, worin ein Ausdruck von Freimüthigkeit und Gutherzigkeit lag.

Beim Anblick Prospers und nachdem er ihn hatte sprechen hören, sagte Citron, so hieß der Perrückenmacher, dem dicken Mann, den er rasirte, in's Ohr: »Ei der Tausend! ei der Teufel! diesmal ... zum Beispiel, sag' ich ... mit dem ist Etwas los! hm, Bürger Durouleau, was meinst Du?«

Der dicke Mann bog seinen Kopf zurück und schrie: »Ich meine, Du wirst mich in die Nase schneiden, wenn Du Dich nicht in Acht nimmst und solche Faxen mit Deinem Rasirmesser machst!«

Der Perrückenmacher, ohne dem dicken Manne zu antworten, packte ihn, als ob er seine Verrichtung fortsetzen wollte, mit zwei Fingern seiner linken Hand an der Nase, und begrüßte Prosper folgendermaßen: »Gruß und Brüderschaft ... Bürger! ...ich werde Dich frisiren, wie Du, ich darf mir schmeicheln, noch nie frisirt worden bist ... Du hast ohne Zweifel die Bedeutung meines Schildes verstanden: Ich barbire die Aristokraten! das heißt, ich mach' es ihnen, wie sie es verdienen; das will sagen ...« – Citron, laß' doch meine Nase los, wenn Du nicht rasirst!« sprach der dicke Mann, seinen Kopf zurückbeugend, dazwischen. Aber der Perrückenmacher ließ nichts los und fuhr, gegen Prosper gewendet, fort: »Ich wette, Du kommst von Paris, Bürger, und bist vielleicht vom Wohlfahrts-Ausschuß geschickt, um den Geist dieser Gegend zu beobachten ... Du wirst zufrieden sein, ich darf es wohl sagen ...« – Citron, ich bitte Dich, laß meine Nase los! – »Bürger,« fuhr der Perrückenmacher weiter fort, »verlangst Du, daß ich Dich augenblicklich frisire, oder willst Du mir Zeit lassen, den Bart des Bürgers Durouleau, eines der eifrigsten und wärmsten Sansculotten unseres Orts, zuerst fertig zu machen?« – Ja!« rief der dicke Mann aus, dem es endlich gelungen war, seine Nase aus den Fingern des Perrückenmachers zu ziehen, »ja, warm für die öffentliche Sache ... Durouleau, ehemaliger Bierbrauer ... man ist bekannt ... Ich war immer warm ... Es lebe die Republik! ... – »Nimm dem Bürger den Bart vollends ab,« versetzte Prosper, »ich will unterdessen in Deinen Hinterladen gehen und mich ein wenig umkleiden ... Du erlaubst es doch? ... – »Mein Laden steht zu Deinen Diensten,« erwiderte der Perrückenmacher mit einem tiefen Bückling gegen den Jüngling, der eilig in das kleine Gemach im Hintergrunde ging, und dort, nachdem er seine alten Beinkleider ausgezogen hatte, eine unter den drei Hosen auswählte, und die von scharlachrothem Tuche anzog.

Das Kleidungsstück des Pathen war für seinen Täufling etwas zu weit; aber Prosper zog die Schnalle hinten an, schlug die Hosen unter den Knieen ein, band sie mit seinen Strumpfbändern zusammen und zog seine Stiefelstülpen darüber hinauf; dann seine Unaussprechlichen bewundernd, die glänzend roth und noch ganz gut waren, fand er sich allmählig recht hübsch in dem Erbstück seines Pathen.

Während der junge Mann seine Toilette machte, barbirte der Perrückenmacher den ehemaligen Bierbrauer vollends so gut es ging und sagte zu ihm: »Der junge Bursche, der eben kam, ist, ich wette darauf, von den großen Mützen in Paris hierher geschickt worden!« – Du meinst, es sei ein Volksrepräsentant!« rief der dicke Mann mit bestürzten Augen aus; »er ist aber doch zu jung ... – »Er verläugnet sein Alter. Uebrigens behaupte ich nicht, er sei ein Volksrepräsentant, aber ich lege mein Brenneisen, ich will sagen, meine Hand darauf ins Feuer, daß er eine wichtige Person ist. O! ich habe einen richtigen Takt! und das kecke Wesen ... die Sicherheit, mit welcher er bei mir eingetreten ist ... hm? hast Du's nicht bemerkt, Bürger Durouleau?« – »Ja, ich habe bemerkt, daß er mit Dir wie mit seinem Bedienten sprach.« – »Ich wette d'rauf, daß er mit einer geheimen Sendung nach Melun gekommen ist.« – »Mich kann das nicht bekümmern; man kennt mich: ich bin ein Vollblutjakobiner. Jedermann weiß, daß ich die Adeligen, die Aristokraten verabscheue.« – »Und Du hast auch schon elf Personen denuncirt?« – »Vierzehn!« – Vierzehn! ... das ist noch verdienstlicher.« – »Wir brauchen uns zwar nicht zu fürchten; aber dennoch meine ich, wäre es klug, wenn wir diesen jungen Patrioten günstig für uns stimmten ... Ich meines Theils bin entzückt darüber, daß er mich zu seinem Friseur erwählt hat.«

Als Citron diese Worte beendigte, kehrte Prosper aus dem Hinterladen zurück und stolzirte in seiner scharlachrothen Hose herum.

Der dicke Mann und der Perrückenmacher schienen durch den Anblick dieses neuen Kleidungsstücks des Fremden wie geblendet; sie betrachteten sich gegenseitig, und Citron lächelte mit bedeutungsvoller Miene, als ob er hätte sagen wollen: Hm! ... hatte ich es nicht errathen?

»Bist Du mit dem Rasiren des Bürgers fertig?« fragte Prosper in ganz cavaliermäßigem Tone. – »Ja, ja, ich bin fertig ...«

»Er ist fertig!« versetzte Durouleau; »und wenn er auch nicht fertig gewesen wäre, so hätte ich Dir doch meinen Platz abgetreten ... überglücklich, Dir gefällig ... Du verstehst mich?«

»Vollkommen!« rief Prosper aus, indem er sich auf den Stuhl fallen ließ, von welchem der dicke Mann so eben aufgestanden war. »Nun, frisire mich jetzt im besten Style.«

»Sei ruhig ... Du wirst zufrieden sein,« entgegnete Citron, seinen Kamm zur Hand nehmend. »Ich will Dir einen Zopf à la Brutus machen.« – Brutus hat keinen getragen, Bürger. – »Thut nichts! Ich mache doch Zöpfe à la Brutus, und auf der Seite frisire ich Dich à la Guillotine ... Das wird herrlich aussehen.«

Während Prosper seinen Kopf dem Perrückenmacher überließ, spazierte der Exbierbrauer pfeifend und lächelnd im Laden auf und ab; er brannte vor Begierde, den jungen Mann auszufragen, und entschloß sich endlich, die Unterhaltung anzuknüpfen.

»Bürger, Du hast eine hübsche Hose?« – Ja, man sieht sie schon von Weitem. – »Ich meine, Du habest sie bei Deiner Ankunft noch nicht angehabt?« – Nein. – »Du wolltest vielleicht bei Deinem Eintritt in die Stadt nicht sogleich bemerkt werden?« – Möglich. – »Du kommst vielleicht in Angelegenheiten ... die nicht Jedem mitgetheilt werden dürfen?« – Dies könnte leicht der Fall sein. – »Ich bin im Reinen ... Es handelt sich um das Wohl der Republik ...« – Das geht Dich nichts an. – »Ganz richtig; verzeih' mir, Bürger. Jedenfalls mach' ich mir ein Vergnügen daraus, Dich zu versichern, daß Du auf mich zählen kannst.« – Schönen Dank.«

»Ich werde mir nicht erlauben, Fragen an den Bürger zu richten,« begann Citron seinerseits. »nur werde ich mir die Freiheit nehmen, mich zu erkundigen, ob er vielleicht wünscht, daß ich ihm einen guten Gasthof nenne, falls er nicht sonst wo logirt?«

»Einen Gasthof,« versetzte Prosper ... »Ach! ja ... in der That, mir ist hier keiner bekannt ... übrigens bin ich nicht gerne in einem Gasthof ... Das sind Häuser ... wo man gar nicht weiß, mit wem man zusammen ist.«

»Vortrefflich gesprochen,« sagte der dicke Mann, dem plötzlich ein Gedanke einzuleuchten schien, und Prosper anblickend, rief er aus: »Bürger, wenn ich es wagen dürfte, würde ich Dir einen Vorschlag machen!« – Wag' es immerhin, Bürger!«

»Du langst in Melun an, weißt nicht, wo Du logiren sollst ... das heißt, es ist Dir widerlich, in einen Gasthof zu gehen ... Wohlan! ich bin Junggeselle, bin allein mit meiner Köchin, meinem Gärtner, der mein Pferd besorgt, und einer Magd. Ich habe ein großes Haus ... Raum genug ... sogar mehr als genug. Willst Du mir die Ehre anthun und bei mir logiren? Ich bin reich ... es soll Dir in meinem Hause an nichts fehlen; und was meine Bürgertugend betrifft ... so erkundige Dich nach Nicole Durouleau, genannt der alte Römer; ich schmeichle mir, Du wirst zufrieden sein.«

»Bürger,« entgegnete Prosper, eine wichtige Miene annehmend, da er gewahrte, daß er es mit zwei leichtgläubigen Menschen zu thun hatte, »Dein Vorschlag rührt mich, aber um mich zu beherbergen, solltest Du wissen, wer ich bin; es hinge nun allerdings nur von mir ab, es Dir zu sagen, aber gerade das will ich nicht.«

»O! das kann man leicht errathen!« erwiderte der ehemalige Brauer; »ich verstehe mich darauf ... und Citron auch! man braucht Dich nur einen Augenblick zu sehen, um sich zu überzeugen, daß Du ein wahrer Sansculotte bist ... obgleich Du eine prächtige Hose anhast; aber sie hat die Farbe der Freiheitsmütze.«

»Ich bin im höchsten Grade erfreut, daß Du von meinen Hosen auf meine Ansichten geschlossen hast,« sagte Prosper, »und wahrlich, wenn ich nicht fürchtete, unbescheiden zu erscheinen ... so würde ich, glaube ich, Dein Anerbieten annehmen!« – Unbescheiden ... zwischen Brüdern und Freunden! Niemals ... Höre, Du gefällst mir ... Hier, schlag' ein ... Abgemacht, Du wohnst bei mir, so lange Du in Melun bleibst, überhaupt, so lange es Dir gefällt. – »Nun, da es einmal abgemacht ist ... so nehme ich's an!«

»Bürger, Du bist frisirt,« sagte der Perrückenmacher, dem Jüngling die Serviette von den Schultern nehmend; dann näherte er sich dem dicken Manne und flüsterte ihm ins Ohr: »Du hast ein ausgezeichnetes Geschäft gemacht, Bürger ... ich will mich bei Dir in Betreff des Repräsentanten ... wenn es einer ist ... empfohlen haben.«

»Was bin ich schuldig?« fragte Prosper, mit der Hand in die Hosentasche langend, den Perrückenmacher. – »Ich hoffe, Bürger, daß Du mich mit Deiner Kundschaft beehrst,« entgegnete Citron mit einem Bückling. »Wir werden dann später abrechnen.« – Gut denn!«

»Wir wollen gehen,« sagte Durouleau; »Du mußt müde und hungrig sein.« – Ich gestehe, daß ich gerne zu Mittag speisen würde; gehen wir also. Ach! fast hätte ich mein Paket vergessen.«

»Wenn Du Dich nicht damit belästigen willst, Bürger,« rief Citron schnell, »so will ich es zu Deinem Wirth hinbringen.« – Nein ... ich danke Dir,« entgegnete Prosper, hastig nach seinem Paket greifend. »Der Inhalt desselben ist zu kostbar, als daß ich mich einen Augenblick davon trennen könnte.«

»Ah! da haben wir's, das sind Papiere ... Instruktionen! Staatsgeheimnisse!« murmelte der Perrückenmacher ganz leise, mit einem Blicke auf den dicken Mann, der jetzt, Prosper seinen Arm reichend, den Laden verließ, indem er triumphirend rings herum sah, und die scharlachrothe Hose Aller Blicke auf sich zog, zuweilen sogar die Vorübergehenden zum Umkehren veranlaßte.

Das Haus des Bürgers Durouleau war eines der schönsten in der Stadt; er hatte es von einem Vormaligen gekauft, der in Voraussicht der revolutionären Stürme seine Liegenschaften verwerthet hatte, so lange den Adeligen noch freie Verfügung darüber gestattet war. Durouleau hatte, was viele Leute einen guten Handel nennen, gemacht, den aber viele Andere ausgeschlagen haben würden, weil es ihr Zartgefühl verletzt hätte.

Der ehemalige Brauer führte Prosper in sein Haus ein mit jenem Vergnügen eines Mannes, der sich durch den Besuch, den man ihm macht, geehrt fühlt. Er geleitete ihn durch mehrere Zimmer, die ohne Geschmack und ohne Ordnung mit Möbeln überladen waren und nichts als die Eitelkeit und Einfalt des neuen Besitzers bewiesen. In einen Speisesaal hatte man einen Bücherschrank mit Glasthüren, drei Theetische, mehrere Gartensessel und drei Badewannen gethan. Im Schlafzimmer standen zwei Schreibtische, zwei Sekretäre und drei Commoden; in einem ungeheuer großen Saale befand sich eine vollständige Garnitur rother Möbeln, eine halbe Garnitur gelber, und Ruhebetten und Lehnstühle, die aus den verschiedensten Zeiten herstammten.

Durouleau betrachtete seinen Gast, um die Wirkung zu beobachten, welche der Anblick seines Mobiliars auf ihn mache; aber Prosper warf sich auf ein Kanapee hin und rief aus: »Bist Du Möbelhändler, Bürger?« – Nein ... warum? – »Weil Du einen hübschen Vorrath davon in Deinem Hause zu haben scheinst.« – Allerdings, es soll mir nichts abgehen ... ich will mit Möbeln versehen sein ... zudem denke ich an Alles ... Ich habe drei Sekretäre, damit man, wenn einer zerbricht, sich gleich eines andern bedienen kann! – »Ganz richtig! aber ein Sekretär bricht nicht so leicht zusammen, wie ein Teller! Doch, Du schreibst vielleicht viel?« – Ich? ... nie. Ei, nun lasse ich Dich einen Augenblick allein ... Du erlaubst ... – »Bist Du nicht daheim? auch sind mir die Complimente verhaßt!« – So geht mir's auch ... Ich will Dir ein Zimmer einrichten lassen, und Anordnungen treffen wegen unseres Mittagessens ... ich habe vortreffliche Weine ... die rühren noch von mehreren Vormaligen her, die Geld brauchten ... Ich habe sie billig erhandelt, gib Acht! wir werden die Pfröpfe springen lassen ... Stellst Du Deinen Mann? – »Es geht hinunter wie bei einem Tempelherrn!« – Diese Herren kenne ich nicht! – »Nun also, ich saufe wie ein Loch, wenn Du das besser verstehst!« – O! ja, das versteh' ich! Ich will einige Freunde zu unserem Essen einladen lassen! ... lauter brave, eifrige, feurige Republikaner ... die Dir gefallen werden, ich bin dessen gewiß. – »Deine Freunde sollen auch meine Freunde sein; geh jetzt und lasse mich ausruhen.« – Ach! entschuldige mich, Bürger ... wäre es vielleicht unbescheiden, Dich um Deinen Namen zu befragen? Ich möchte ihn nur wissen ... um Dich nennen zu können, wenn ich mit Dir spreche. – »Mit dem Familiennamen heiße ich Prosper Bressange ... aber diese Namen stehen nicht in Einklang mit dem neuen republikanischen Kalender, daher lasse ich mich Carotte nennen.« – Carotte, ganz gut! auf Wiedersehen, Bürger Carotte!«

Durouleau entfernte sich und Prosper blieb allein, über seine Lage nachdenkend, in dem Saale seines neuen Wirthes zurück! er hatte wohl eingesehen, daß ihn der dicke Mann und der Perrückenmacher, trotz seiner Jugend, für einen Abgesandten der Regierung hielten; seine kecke Miene, sein anmaßender Ton und die scharlachrothen Hosen seines Pathen, hatten schon ihr Wunder gethan; er sann über die Vortheile nach, die er aus seiner neuen Stellung ziehen könnte; er dachte besonders an Camilla, welcher er von Nutzen sein wollte, und entschloß sich, alles Mögliche zu thun, um seinen Wirth und dessen Freunde in der Meinung, die sie von ihm gefaßt, zu befestigen.

Um seine Rolle mit Nachdruck durchzuführen, streckte er sich der Länge nach auf einem Canapé von Utrechter Sammet aus, legte seine schmutzigen Stiefel auf die Kissen, stützte seinen von Citron pomadisirten Kopf auf die Lehne, begann ein patriotisches Lied zu pfeifen und erwartete in dieser Position die ihm angekündigte Gesellschaft.

Nach einiger Zeit kehrte Durouleau mit zwei Männern zurück; der eine derselben war groß, dürr und gelblich, und in seinen tiefliegenden Augen lag immer ein verstörter Ausdruck; er hatte einen schwarzen, sehr abgeschabten Rock an und trug eine ungeheure Mütze von Otternfell mit einem langen Zipfel auf dem Kopfe. Der andere, mit einer Carmagnole angethan, hatte ein gutmüthiges vergnügliches Aussehen und eine bedeutend mit Finnen versehene Nase.

»Da sind schon zwei!« begann Durouleau, mit seinen beiden Freunden in den Saal tretend. »Es werden gleich noch mehrere kommen, und während dessen wird unsere Tafel bestellt. He! he!«

Beide Männer begrüßten Prosper, der jedoch, ohne sich von der Stelle zu bewegen, nur den Kopf nach ihnen umdrehte und sie mit unverschämter Miene von oben bis unten maß.

»Laß Dich nicht stören, Bürger Carotte,« fuhr Durouleau fort, »meine Freunde wissen, was sie Dir schuldig sind?« – Ich laß mich auch durchaus nicht stören,« entgegnete Prosper, und fing die Melodie vom Marlborough zu pfeifen an.

Auf den dürren Mann zeigend, fuhr Durouleau fort: »Das ist mein Freund Ducornard. Ach! nein, so heißt Du jetzt nicht mehr. Wie heißt Du doch, Ducoruard?« – Ich bin jetzt Cornelius Nepos. – »Ach! richtig, Nepos; das ist ein Gelehrter, er schriftstellert, er schreibt Dinge, die man zum Wohl des Staates drucken wird; nicht wahr, Nepos, Du wirst gedruckt?« – Ich schmeichle mir damit. Uebrigens soll der Bürger mein Werk sehen; ich werde ihm Auszüge daraus vorlesen. – »Und das ist Benedikt, der Gewürzkrämer ... eine ehrliche Haut, ein wackerer Patriot.« – Meinen Gruß, Bürger, Du befindest Dich wohl und ich auch, reich' mir die Hand und sei meiner Achtung versichert.«

Mit diesen Worten hatte der Mann mit der vergnüglichen Miene Prospers eine Hand genommen und sie beinahe braun und blau gedrückt. Um diese liebenswürdige Manier passend zu erwidern, beeilte sich der Jüngling dem Gewürzkrämer einen tüchtigen Tapps auf den Bauch zu versetzen, der auch über diese Höflichkeit entzückt schien und leise zu Durouleau sagte: »Der junge Bursche ist kostbar! er pfeift ausgezeichnet!«

Nach einer Weile kam ein kleiner Mann in einer Mütze, mit einer Lederschürze, die Hemdärmel bis über die Ellbogen aufgestreift und mit Holzschuhen an den Füßen. Die Haut in seinem Gesicht sah aus wie ein Kastrol und seine Hände wie Kohlen; er hüpfte ins Zimmer herein und gab sich einen Schlag auf sein Hintertheil, indem er ausrief: »Gruß der Gesellschaft auf Leben und Tod; man sagt, man wolle sich's hier wohl sein lassen! Das jagt mir den Sporn ordentlich in den Leib! die Republik verbietet den Appetit nicht, nicht wahr Durouleau, alter Römer? Wo hast Du Deinen jungen Sansculotten? ist er ein ordentlicher Kerl? Wenn's kein ordentlicher Kerl ist, so kann er mir gestohlen werden!«

»Du wirst mich nicht stehlen lassen, Bürger,« sagte Prosper, den Kopf nach dem Neuangekommenen wendend. »Hier, siehst Du diese Hand? das ist die Hand eines Mannes, der sich vor nichts fürchtet und Dir sein Messer in den Leib bohren würde, wenn er glauben könnte, daß Du an seinen Gesinnungen zweifeltest.«

»Bravo! bravo!« rief der kleine Mann, indem er sich wiederholt auf sein Hintertheil klopfte: »Du sprichst wie eine kreuzfidele Haut! ich muß Dich küssen! Auf Leben und Tod!«

Und Ducroquet, so hieß der Ehrenmann mit den Holzschuhen, eilte, Prosper zu küssen, der ihm gerne diesen Beweis seiner Zuneigung geschenkt hätte, allein es geschehen lassen mußte.

Eine weiter hinzukommende Person machte die Gesellschaft vollständig; es war ein schlau und tückisch aussehender Mann, welcher einen langen Oberrock trug, der ihm beinahe bis an die Fersen ging. Trappeur, so nannte man ihn, begrüßte Prosper wie die Andern, küßte ihn aber nicht, sondern richtete nur einen Gruß an ihn, der etwas besser gedrechselt war, als die Redensarten seiner Genossen, und Durouleau sagte hierauf dem Jüngling ins Ohr: »Das ist ein vormaliger Abbé, der, wie man sagt, die Kutte in die Rumpelkammer geworfen hat, und nun einer der eifrigsten Anhänger der Revolution ist; er beabsichtigt, die Annahme eines Gesetzes zu bewirken, wodurch den Franzosen gestattet werden soll, zu gleicher Zeit zwei Frauen oder mehrere ... oder auch gar keine Frau, sondern nur ... nun, Du verstehst mich? ...«

»Vollkommen. und der Particulier mit der Lederschürze, welcher mich geküßt hat?«

»Ah! das ist Ducroquet, ein Rothgerber; er hat einen großen Einfluß in der Gegend, weil er gescheit ist ... O! er schwätzt Stunden lang ohne aufzuhören und hat Haare auf den Zähnen! ... ein Meister im Faustkampf; übrigens ein wahrer, zuverlässiger Sansculotte vom reinsten Wasser.«

In diesem Augenblicke machte ein junges, großes, braunes, ziemlich hübsches Bauernmädchen, deren muntere Augen Anlagen zu vielerlei Dingen verkündeten, die Thüre auf und rief herein: »Wenn man essen will, es ist aufgetragen!« – Bürger!« sagte Durouleau, »ihr hört es ... die Schüsseln sind warm! Kommt zu Tische, dort lernt man sich am besten kennen! – »Zum Essen!« rief Benedikt aus, »ich stimme dafür, das wir lange dabei verweilen! – Gut gesprochen,« versetzte Ducroquet, »Benedikt, Du hast zuweilen erhabene Gedanken ... Ich will trinken ... Ich will einen Hieb von dem Wein des alten Römers bekommen! O alter Römer ... ich verehre Dich! Dich und besonders Deinen Keller! ... auf Leben und Tod! ...«

Prosper entschloß sich endlich, vom Canapé aufzustehen, und begab sich, während er sich herablassend auf die Schulter seines Wirthes stützte, den Andern vorgehend, in den Speisesaal; Durouleau ließ den jungen Mann neben sich sitzen und die Uebrigen nahmen nach Belieben Platz, sodann ging man mit solcher Lust und so übereinstimmendem Eifer an Essen und Trinken, daß man längere Zeit nichts als das Geklirre der Bestecke, der Flaschen, der Gläser und das Arbeiten der Kinnladen hörte.

»Es wird allmählich hübsch!« begann Benedikt, nachdem er schon fünfmal Brod abgeschnitten und zwei Flaschen geleert hatte. – »Ich werde auch sobald nicht aufstehen!« rief Ducroquet aus. – »So lange der Magen noch mit Lust empfängt, so lange hat es keine Gefahr, ihn vollzustopfen! ...« versetzte Cornelius Nepos, ein ungeheures Maul aufreißend, in das er beinahe einen ganzen wälschen Hahnenschlägel auf einmal schob, worüber der Bürger Trappeur lächelte und ihm entgegnete: »Es scheint Ihr Magen empfängt noch mit Lust?«

Prosper gab keinen Laut von sich, speiste aber für viere und trank für noch mehr; jeden Augenblick leerte er sein Glas, hielt es dann seinen Nachbarn hin und schrie mit einer Stentorstimme: »Zu trinken, potz Donnerwetter! zu trinken!«

Und die Tischgenossen betrachteten sich gegenseitig mit staunender Miene, und Durouleau flüsterte seinen Freunden zu: »Ich habe euch nicht betrogen ... ihr seht, es ist ein eifervoller Sansculotte!« – Hm!« sagte Benedikt, »in Worten gibt er sich eben nicht zu erkennen, aber er trinkt wacker. – »Er wird sich erst beim Nachtisch zu erkennen gehen, dann muß man seine Gesinnungen hören!« brummte der Bürger Trappeur, nachdem er gerade geschluckt hatte.

Prosper, der bemerkte, daß gezischelt wurde, füllte selbst sein Glas bis an den Rand und erhob sich mit den Worten: »Bürger, ich trinke auf die Gesundheit der Republik, auf Frankreichs Wohlergehen, auf das Glück unserer Waffen! ... und wer nicht sein Glas mit mir ganz austrinkt, dem werfe ich das meinige ins Gesicht! ...« – Bravo!« versetzte Ducroquet, »das heißt gesprochen. – »Und das ist auch der Ausdruck meiner Gesinnung!« sagte Durouleau mit stolzer Miene. – »Nun hat er sich zu erkennen gegeben, und ich achte ihn hoch,« sprach Benedikt.

Die Gläser wurden gefüllt und sorgfältig geleert, besonders von Cornelius und Trappeur, auf welche Prospers Worte einen ziemlich starken Eindruck des Entsetzens gemacht zu haben schienen.

Die Köpfe erhitzten sich allmählig, man sprach über Politik, Jeder schlug Gesetze zur Befestigung der Republik vor, Jeder wollte nach seiner Weise die Regierung einrichten; dann kam endlich der Augenblick heran, wo man sich gegenseitig nicht mehr verstand, weil Alles zugleich sprach.

Inmitten dieses Tumultes beherrschte Prospers Stimme stets die übrigen; er schrie lauter, als alle Andern, er wußte aus Erfahrung, daß bei Vielen derjenige, der den ärgsten Lärm macht, der die beste Lunge, das schallendste Organ hat, es ist, dem man am meisten Verdienst zuerkennt. Von Natur mit einer vorzüglichen Brust und einer jener biegsamen Stimmen begabt, die man nach Willkür schwellen und steigern kann, verstand er es, diesen Vorzug geltend zu machen; er setzte seine Zuhörer in Staunen, betäubte sie und brachte sie außer Fassung; Ducroquet selbst war gegenüber von ihm nur ein Knabe; wenn der Rothgerber die Stimme ein wenig erhob, so erstickte Prosper seine Worte in einem Meere von Schreien, mit Flüchen, Gesängen oder Ausbrüchen von Gelächter. Auch that der Wein bei ihm, wie bei den Andern, seine Wirkung; er schwatzte was ihm in den Kopf kam, da aber seine unbedeutendsten Worte mit einem so gebieterischen Ton und einer solchen Kraftfülle ausgesprochen wurden, daß der Gesellschaft beinahe das Trommelfell zersprang, so war sein Auditorium entzückt; man lachte hell auf über seine Scherze, billigte alle seine Vorschläge und würde ihn nach jedem Glas geküßt haben, wenn er nicht erklärt hätte, er küsse nur Frauenzimmer.

Indessen drang mitten unter dieser Flut von Worten, diesen angefangenen und abgeschnittenen Gesprächen, diesem Geschrei und diesen Toasten der Name Camilla's von Trevilliers zu Prospers Ohren; da schlug er mit der Faust wüthend auf den Tisch und schrie mit Donnerstimme: »Wer hat von der jungen Camilla Trevilliers gesprochen? – Ich,« antwortete Trappeur mit einschmeichelnder Miene. – »Und was hast Du über dieses junge Mädchen gesagt? laß hören, oder ich werfe Dir diesen Teller ins Gesicht.«

Durch Prospers Ton, dessen Augen jetzt Blitze schleuderten, erschreckt, entgegnete der Bürger Trappeur zögernd: »Ich habe gesagt ... das heißt, ich habe gedacht ... da sie die Tochter eines Emigranten ... eines Vormaligen ist ... so könnte man sie in Verhaft nehmen ...« – Ei, beim Kuckuk! er hat Recht!« rief Ducroquet aus, »deßhalb braucht er die Augen nicht niederzuschlagen ... Die kleine Camilla muß verhaftet werden ... Ich werde sie morgen angeben. – »Das verbiete ich Dir!« sprach Prosper vom Stuhl aufstehend und den Rothgerber mit drohender Miene betrachtend. – »Das verbietest Du mir!« entgegnete Ducroquet, sich ebenfalls erhebend und seine Hemdärmel weiter zurückstreifend. »Ei was, junger Bürger, Du nimmst einen Ton ... eine Miene an ... mit welchem Recht verbietest Du mir, eine Vormalige einsperren zu lassen? – »Weil ich mich selbst, ich allein, verstehst Du? mich hier mit diesem jungen Mädchen beschäftigen muß, weil ich beauftragt bin, jeden ihrer Schritte, die geringste ihrer Handlungen auszuspähen, da sie im Verdacht steht, eine verbrecherische Korrespondenz mit dem Auslande zu unterhalten, und wenn sie verhaftet wird, so hört die Korrespondenz auf und man entdeckt nichts ... während, wenn man thut, als ob man gar kein Aug' auf sie habe, und doch insgeheim ihr geringstes Thun überwacht, man das ganze Gewebe der Verschwörung ... wenn eine solche stattfindet ... entdecken kann. Hm? begreifst Du jetzt?« – Ah! Bravo!« riefen alle Tischgenossen. – »Nun, das ist ein Unterschied, und jetzt verstehe ich Dich,« versetzte Ducroquet. – »Er hat sich abermals zu erkennen gegeben,« sagte Benedikt zu Durouleau. – »Ich habe es doch errathen; er ist hierher gesendet worden, um die Aristokraten, die Verdächtigen auszuspähen.«

»Nun laßt uns trinken!« rief Prosper. Und während seine Blicke auf einen schönen türkischen Säbel fielen, der an der Wand aufgehängt war, trat er vom Tische weg, betrachtete den Säbel und endigte damit, ihn an seinen Gürtel zu hängen, indem er sprach: »Sackerlott! Bürger Durouleau, das ist ein hübscher Säbel ...« – Ja, er stammt von einem Marquis, der behauptete, seine Ahnen hätten ihn aus Palästina mitgebracht ... – »Und das sind auch schöne ... prächtig damascirte Pistolen,« fuhr Prosper fort, ein paar Pistolen zur Hand nehmend, die auf einem Bücherschranke lagen. – »Sie stammen aus dem gleichen Hause wie der Säbel!«

Prosper steckte die Pistolen in seinen Hosengürtel, und rief, nachdem er sich in seinen Waffen bewundert hatte, aus: »Bürger Durouleau, ich entlehne diesen Säbel und diese Pistolen von Dir.« – Ich thue mehr, als Du verlangst,« erwiderte der dicke Mann, »ich schenke Dir diese Waffen. – »Da hast Du ebenso Recht, denn ich hätte sie Dir nie zurückgegeben.« – Deine Freimüthigkeit entzückt mich, und ich schätze mich glücklich, Dir dienen zu können. – »Halt, da sehe ich auch eine hübsche Pelzmütze, die mir, glaub' ich, ebenfalls nicht übel stehen würde ...«

Mit diesen Worten hatte der junge Mann eine ungeheure Mütze aufgesetzt, deren hornförmig gestalteter Zipfel bis auf die Schultern herabfiel, und die, da sie für Prospers Kopf ein wenig zu weit war, ihm beinahe die Augen bedeckte.

»Behalte nur auch die Mütze, sie wird Dir warm geben,« sagte Durouleau. – »Meinen Dank dafür. Und nun, Bürger, kann diesen Abend nichts mehr für das Wohl des Staates in der Stadt geschehen?«

Bei diesen Worten hatte Prosper den Säbel gezogen und schwang ihn mit feuersprühenden Blicken über seinem Haupte, so daß Cornelius und Trappeur ihn nicht mehr anzusehen wagten, während die Andern ihn mit Bewunderung betrachteten.

»Wahrhaftig,« sagte Benedikt, »ich sehe nicht ein, was wir diesen Abend draußen machen sollten ... es ist jetzt Nacht ... Man sitzt hier so gut bei Tische.«

»Wißt Ihr,« versetzte Ducroquet, »daß der Wind diesen Morgen den Freiheitsbaum umgerissen hat, den man auf dem Marktplatze aufgepflanzt hatte?«

»Der Freiheitsbaum ist umgerissen!« rief Prosper aus, »und Ihr bleibt hier wie Vielfraße um diesen Tisch sitzen! Ha! beim Donner! ich will ihn wieder aufrichten den Baum der Freiheit, und die wahren Patrioten werden mir folgen!«

»Der Bürger Carotte hat Recht,« sprach Durouleau, »das ist ein schöner Gedanke, und wir werden ihm Alle folgen!«

»Aber es ist dunkel!« brummte Cornelius, sein Glas leerend.

»Es ist nie dunkel, wenn der Ruhm uns leuchtet! Vorwärts, man zünde Fackeln an, und dann auf den Weg! Es lebe die Freiheit!« rief Prosper.

»Jetzt hat er sich ganz zu erkennen gegeben,« sagte Benedikt.

Prospers Befehle wurden sogleich befolgt. Durouleau hatte Pechfackeln holen lassen, man zündete sie an, gab Jedem der Gesellschaft eine davon, und verließ schreiend und patriotische Lieder singend, das Haus.

Prosper marschirte mit einer brennenden Fackel in der einen und dem gezogenen Säbel in der andern Hand an der Spitze der Truppe; er schrie, brüllte und küßte alle Frauen, die ihm auf dem Wege begegneten. Sein Anblick hatte etwas Fürchterliches, denn die Dünste des Weines verliehen seinen Augen einen ungewöhnlichen Glanz, und die Sonderbarkeit seines Kostüms, seine Bewaffnung, sein Geschrei, seine Geberden, kurz, Alles zusammengenommen bildete ein Ganzes, das wohl geeignet war, Eindruck zu machen.

Bald drängte sich die Menge hinter Prospers Schritten, man zeigte sich denselben mit den Fingern, und wenn ein ängstlicher Vorübergehender zu fragen wagte, was es gebe, so antwortete man ihm: »Das ist der Mann mit der rothen Hose, der den Freiheitsbaum aufpflanzt.«

Inzwischen waren Durouleau's Tischgenossen auf dem Platze angelangt, wo der umgestürzte Freiheitsbaum lag. Prosper verlangte mit großem Geschrei eine Hacke und eine Schaufel; kaum hatte er seinen Wunsch ausgesprochen, so wurde ihm das Verlangte gereicht; man wollte ihm bei seiner Arbeit behülflich sein, aber er wies die ihn Umgebenden barsch zurück; er will allein den Freiheitsbaum wieder aufrichten, allein die Ehre dieser Verrichtung genießen. Mit kräftigem Arme durchwühlt er die Erde, in kurzer Zeit hat er sein Geschäft vollendet, und der versammelten Menge den Baum zeigend, ruft er aus: »Diesmal, stehe ich dafür, wird ihn der Wind nicht mehr umreißen!«

Beifallklatschen ertönte von allen Seiten und das Geschrei: Es lebe der Mann mit der rothen Hose! ließ sich darunter vernehmen. Endlich reichte man sich die Hand. Prosper ging mit seinem Beispiel voran, er stimmte das famose Lied: Ca ira! an, und man tanzte rings um den von ihm aufgerichteten Freiheitsbaum.

Nachdem man lange getanzt hatte, trennte man sich endlich, und Prosper kehrte unter den Glückwünschen des ganzen versammelten Volkes und unter den Händedrücken seiner Tischgenossen, welche nunmehr die größte Hochachtung für ihn empfanden, zu Durouleau zurück.

Am folgenden Morgen ging Prosper aus und begab sich zu dem einzelnstehenden Hause, worin Fräulein von Trevilliers wohnte; er spazierte den ganzen Tag davor auf und ab und lauerte, ob Niemand herauskomme. Aber Camilla verließ die Wohnung ihrer Gouvernante nicht; sie erschien einen Augenblick am Fenster, als sie aber den fürchterlich bewaffneten Mann mit der rothen Hose und der enormen Pelzkappe sah, der vor ihrer Thüre Schildwache zu stehen schien, erkannte sie Prosper nicht, fürchtete sich, und wagte es nicht, sich im Freien zu zeigen.

Prosper kam erst gegen Abend wieder zu Durouleau zurück, sehr verdrießlich, Camilla nicht davon haben unterrichten zu können, daß er über sie wache, und nicht im Geringsten ahnend, daß er selbst die Ursache sei, daß die Tochter des Grafen nicht ausgehe.

Mehrere Tage verstrichen auf diese Weise. Da Durouleau wußte, daß sein Gast unaufhörlich um das von der Tochter des Emigranten bewohnte Haus herumstrich, so sagte er zu seinen Freunden: »Der Bürger Carotte hat uns nicht belogen; er überwacht die Tochter des Emigranten fortwährend.«

Und wenn sich Prosper wieder in Gesellschaft von Durouleau's Freunden befand und den Namen einer Person aussprechen hörte, welche man für verdächtig hielt und die angegeben werden sollte, so legte er die Hand an den Griff seines Säbels und rief mit gerunzelter Stirne aus: »Ich verbiete Jedem, wer es auch sei, diese Person anzugeben! Ich bin hier, um die Verdächtigen zu überwachen, ich allein kann sie, wenn der passende Moment gekommen ist, verhaften lassen, und dem ersten, der sich um mein Geschäft bekümmert, renne ich diesen Säbel in den Leib!«

»Er hat Recht,« sagte Durouleau, »da er hier ist, um die Schuldigen zu fassen, so brauchen wir ihm nicht ins Gehäge zu kommen.«

Und Trappeur sagte leise Cornelius ins Ohr: »Ich weiß nicht, ob er hier ist, um Jemand zu verhaften, aber wie mir scheint, verhaftet er Niemand.«

Vierzehn Tage verflossen auf diese Art; eines Morgens, als es schönes mildes Wetter war, wagte es Camilla, welche Niemand in der Nähe ihres Hauses bemerkt hatte, auszugehen, um mit ihrer Gouvernante einen kleinen Ausflug aufs Land zu machen.

Kaum waren die Damen dreihundert Schritte von ihrer Wohnung entfernt, so begegnete ihnen der Mann mit der rothen Hose und versperrte ihnen den Weg. Camilla stieß einen Schreckensschrei aus und wollte fliehen, aber eine wohlbekannte Stimme hielt sie zurück und sagte zu ihr: »Mein Gott, Fräulein, Sie gestatten mir also nicht mehr, mit Ihnen zu sprechen?«

»Was höre ich! ... ist es möglich? ... Sie sind's, Herr Prosper? ... Sie ... in dieser Kleidung ... mit diesen Waffen?« – Ja, Fräulein ...«

»Ach, ganz Melun spricht nur von Ihnen ... Jeder zittert bei Ihrem Anblick ... man bezeichnet Sie nur als den Mann mit der rothen Hose! man hält Sie für einen wüthenden Terroristen, einen Septembermörder.«

»Das war gerade mein Zweck, Fräulein, denn dadurch hoffe ich in den Stand gesetzt zu werden, Sie zu retten ... Man glaubt, ich sei beauftragt, Ihre Handlungen auszuspähen ... und gibt Sie wenigstens nicht an, so lange man mich fortwährend Ihre Schritte verfolgen sieht.«

»Wäre es möglich? was, Herr Prosper, um meinetwillen ... um mir nützlich sein zu können, thun Sie das Alles!«

Bei diesen Worten ließ Camilla einen Blick voll Dankbarkeit auf Prosper fallen; dieser Blick war so sanft, daß der junge Mann, um ähnliche zu verdienen, sich in die größten Gefahren gestürzt hätte, und er stammelte, sie mit Zärtlichkeit anblickend: »Sie erlauben mir also, Ihnen zu folgen, wenn Sie ausgehen? es ärgert Sie nicht, wenn ich unaufhörlich um Ihre Wohnung herumstreiche?« – Nein, gewiß nicht; da ich nun weiß, daß Sie es sind ... fürchte ich mich nicht mehr ... ich bin im Gegentheil beruhigt.«

Prosper war trunken vor Entzücken und die Zeit des Spaziergangs schien ihm sehr kurz. Am nächsten, am nächst darauffolgenden und an allen übrigen Tagen sah er Camilla wieder, und wenn er sie nicht sah, so blickte er nach ihrem Hause, ihrem Zimmer, ihren Fenstern hin und verbrachte ganze Stunden auf seinem Posten.

Und Durouleau sagte alle Abende beim Anstoßen zu ihm: »Sackerlott, Bürger Carotte, wenn Dich die Regierung für die Bewachung der Tochter des Emigranten bezahlt, so muß man gestehen, daß sie ihr Geld nicht umsonst ausgibt.«

Und die große Jeanette, das Dienstmädchen mit den kecken Augen, war ganz erstaunt, daß es dem jungen Manne mit der rothen Hose noch nicht eingefallen war, sie zu küssen, mit ihr zu scherzen und kurz, die Liebesblicke zu erwidern, welche sie ihm zuwarf.

Beinahe einen Monat war Prosper in Melun, als er eines Morgens beim Durchsehen der öffentlichen Blätter, die sein Wirth eben erhalten hatte, die Namen der zuletzt durch das Urtheil des Revolutionstribunals in Paris hingerichteten Personen las.

Plötzlich wurde sein Antlitz blaß, wie der Tod, ein Schleier bedeckte seine Augen und er schwankte, während er flüsterte: »Derbrouck! ... ist es möglich ... dieser gute Holländer, mein Wohlthäter ... todt! ... todt! ... vorgestern in Paris hingerichtet! ...«

»Was Hast Du denn, Bürger Carotte?« fragte der dicke Durouleau, über den Schrecken und die Blässe seines Gastes ganz erstaunt.

Ohne ihm zu antworten, stand Prosper auf, setzte seine Mütze auf den Kopf, gürtete sein Schwert um, steckte seine Pistolen zu sich, und die Hand seines Wirthes schüttelnd, sprach er zu ihm: »Lebe wohl, ich gehe nach Paris.« – Nach Paris? ... Wie ... warum denn so schnell? ... Hast Du Befehle erhalten? ... Etwas gelesen, was Dich betrifft? ... – »Ja ... ich muß augenblicklich nach Paris gehen ... die Pflicht ruft mich dorthin.« – Ah! wenn Dich die Pflicht ruft ... Aber Du wirst doch wieder zurückkommen? – »Ich hoffe.« – Meiner Treu, sieh, ich habe Dich lieb gewonnen, Du bist ein wackerer Sansculotte und säufst nach Noten! Ich habe mich so an Dich gewöhnt ... kurz. Deine Gesellschaft gefällt mir. – »Meinen Dank, Bürger ... Ich werde suchen, bald wieder zurückzukommen.« – Aber wie steht's während Deiner Abwesenheit um die Tochter des Vormaligen, die kleine Aristokratin? – »Du wirst über sie wachen ... Du stehst mir mit Deinem Kopfe für sie.« – Mit meinem Kopfe! ... Aber, ich habe nur den einen ... – »Und würdest auch keinen so passenden mehr bekommen, Bürger Durouleau ... Beaufsichtige mir daher die kleine Aristokratin aufs Beste und schwöre mir, daß ich Camilla bei meiner Rückkehr wieder antreffen, und noch Herr ihres Geschickes sein werde.« – Ich schwöre es Dir auf alte Römertreue.«

»Leb' wohl. Du hast ein Pferd ... ich requirire es, um schneller nach Paris zu kommen ... Aber sei beruhigt, ich bring' es Dir wieder zurück, es wäre denn, daß es unterwegs krepirte.«

Der dicke Mann betrachtete Prosper mit verwunderter Miene; dieser aber entfernte sich ohne Weiteres rasch, warf sich auf das Pferd, das im Stalle war und jagte nach Paris.


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