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Das schöne schwarze Kleid, das Mongérand mit der Börse des Papa Tigré gekauft hatte, ward verkauft; gegen eine Kappe und fünf Franken baar Geld der neue Hut vertauscht; kurz, von dem glänzendsten Kostüm des Verlobungsballs ist nichts mehr übrig, als die schwarzen Beinkleider, welche mit einem alten Jagdfrack, den der ehemalige Husar trägt, einen seltsamen Contrast bilden; da jedoch Mongérand nicht sehr geduldig aussieht, so erlauben sich Diejenigen, welche seinen Aufzug possirlich finden, doch nicht, ihm ins Gesicht zu lachen.
Karl hatte nicht immer Geld zum Zechen; Justin, der das Verfahren seines Nachbars bemerkte, besorgte häufig selbst den Einkauf der für Leoniens kleine Haushaltung notwendigen Lebensmittel, indem er dieser sagte, es geschehe, um Karl zu verbinden und die Mühe des Ganges zu ersparen. Leonie that, als glaube sie Justin; sie ließ sich jedoch nicht beständig von seinem Vorgeben tauschendem bitteres Lächeln, ein Seufzer, die ihr dann entschlüpften, bewiesen, daß sie einen Theil der Verbindlichkeiten errieth, welche sie dem jungen Arbeiter schuldig war.
Mongérand befand sich in sehr übler Laune, daß er keine Flora mehr zu betrügen, keine Themire mehr spazieren zu führen, über die Börse keines Freundes mehr zu verfügen hatte. Karl langweilte sich, ins Café einzutreten, nur um Journale zu lesen und sich am Ofen zu wärmen, er war unzufrieden mit sich selbst, seiner vergangenen Lebensweise, seiner gegenwärtigen Unthätigkeit, und suchte sich zu betäuben, weil dies für viele Leute bälder geschehen ist, als sich zu bessern.
Eines Morgens geht Mongérand mit heiterer Miene als gewöhnlich auf Karl zu; er hat eine Hand in die Seite gestemmt und in seiner Physiognomie liegt etwas Triumphirendes, so daß Karl zu ihm sagt: »Was ist Dir denn widerfahren?«
»Endlich haben meine Schritte glücklichen Erfolg gehabt! ... wir sind placirt, mein Lieber! – Wie ... wir? ... alle Beide? – Ei freilich, alle Beide ... ich habe sogar noch einen Platz zu vergeben ... Wenn ich einmal anfange, ich, dann geht es gut! – Und wo sind wir denn placirt? – In einem Orchester, zum Henker! – Wirklich? ... bei der großen Oper? – Nicht ganz, man muß doch wohl einen Anfang machen ... In der Courtille.. unterhalb von Belleville ... im Salon zu den zwei Freunden werden wir unser Talent entfalten ... – Ha, wie, bist Du auch Musiker, Du? ... – Das geht Dich nichts an ... sei ruhig ... ich werde das Meinige thun ... – Und in einer Kneipe? – Nun, ja denn! ... was liegt daran? ... wenn man uns nur gut bezahlt ... und dessen habe ich mich versichert ... ich ließ mir ein Haftgeld geben, das wir auf der Stelle verzehren wollen ... Folge mir, die Austern warten schon ... und Du wirst Bekanntschaft mit dem braven Mann« machen, der uns diese gute Lese verschaffte.« Karl folgt Mongérand in eine kleine Winkelschenke, sie treten in ein Zimmer, wo der Tisch gedeckt und die Austern bereits aufgetragen sind: hier sitzt ein guter Alter mit einem Weingesicht voll Finnen, in einen schlechten haselnußfarbenen, mit Flecken von verschiedenen Farben besetzten Wintermantel gehüllt.
»Vater Duhaut,« sprach Mongérand beim Eintritt, »ich stelle Ihnen hier meinen Freund Karl vor, den ersten Violinisten für den Contretanz!«
Der gute Alte zieht seinen Hut ab und verbeugt sich vor einer gegenüberstehenden Tafel.
»Was macht er denn da?« fragt Karl leise. – »Ach! gib darauf keine Acht, er ist blind, was ihn indeß nicht hindert, die Clarinette gleich einem Tiroler zu spielen! Nun, Vater Duhaut, zu Tische! die Austern sind aufgetragen! ...«
»Ah, gerne!« versetzt Vater Duhaut, indem er sich anschickt, auf eine Partie Teller zu sitzen; allein Mongérand faßt ihn beim Arm und geleitet ihn an seinen Platz, wo der alte Spielmann beweist, daß er zum Essen nicht zu sehen braucht, denn seine Hände tappen unaufhörlich auf dem Tische umher, und wenn er nichts mehr in den Schüsseln findet, greift er in die Teller seiner Nachbarn.
»Mein lieber Karl,« nimmt Mongérand das Wort, indem er die Gläser mit schlechtem weißen Weine vollgießt, der die Austern hinabschwemmt, »Du siehst in dem Vater Duhaut einen der besten Musiker der Courtille; seit fünfundvierzig Jahren spielt er dort zum Tanze! nicht wahr, alte Clarinette? – Meiner Treu, ja! denn ich habe ungefähr im zehnten Jahre angefangen! ... Wo ist mein Glas? ... – Da, Ihr habt es! ... auf Eure Gesundheit! ... Vater Duhaut ist blind geworden, das hat ihm jedoch nichts von seiner Geschicklichkeit benommen! ... – Meiner Treu, nein! ... ich glaube, daß ich im Gegentheil ein feineres Gehör bekommen habe! – So fein, daß Vater Duhaut, welcher mit gutem Grund das Vertrauen aller Traiteurs besitzt, welche tanzen lassen, vom großen Saint Martin bis zur Ile-d'Amour, den Auftrag erhielt, das Orchester des Balls zu reformiren. – Meiner Treu, ja! weil die Musiker, aus denen es bestand, der Conscription verfallen sind, ei! ei! – Wie, bist Du auch der Conscription verfallen. Du, meine arme Clarinette? – O! bei mir ist's schon lange vorbei! ... Sind keine Austern mehr da? – Nein, Vater Duhaut ... und ich benachrichtige Euch, daß Ihr in diesem Augenblick meine Schalen nehmt! ... aber hier sind Kalbsrippchen mit Essiggurken, die Ihr gerne eßt, wie ich glaube! – Meiner Treu, ja! ... ei! ei! ... ich bin gut hier! – Kurz, Karl, nachdem ich Gelegenheit gehabt habe, die Bekanntschaft des ehrenwerthen Vater Duhaut zu machen, wie er eines Abends von der Courtille zurückkommend, hartnäckig auf seinen Hund losprügelte, der sich einfallen ließ, verliebt zu sein, so sprach ich ihm von Dir, von Deinem seltenen Talent auf der Violine, von der originellen Art, wie Du das Trallala zu einem Walzer arrangirtest; er wünschte Dich kennen zu lernen, zu verwenden; allein ich machte ihm begreiflich, daß du Chef des Orchesters sein wolltest; nunmehr bietet er Dir an, die Musik der beiden Freunde zu leiten, wovon er selbst ein Mitglied sein wird ... Nicht wahr, alte Clarinette, Du wirst dabei spielen? Meiner Treu, ja! um so mehr, als ich für den Augenblick frei bin! – Nehmt Euch in Acht, Vater Duhaut, Ihr kommt mit Euern Fingern in die Schüssel! ... – Ich suche mein Brod! ... – Ihr habt Alles gegessen, ich will Euch aber anderes geben ... Ah! Donnerwetter, die Clarinette läßt sich's schmecken! – Ha so! hört einmal, meine Kinder! zu einem guten Orchester müssen wir unserer viere sein! – Das werden wir auch ... – Die erste Violine ... man braucht nur eine ... – Das ist Karl! – Eine Clarinette ... – Das seid Ihr. – Eine Baßgeige. – Die habe ich für Euch; ich habe Einen unter der Hand, der eben aus dem Conservatorium kommt. – Und endlich eine Pauke. – O! die übernehme ich! ... Ihr werdet sehen, wie ich spiele ... man soll eine Kanone zu hören glauben! ... Und sechs Franken für die Person, nicht wahr? – Ja, und zwanzig Sous außerdem für den Chef des Orchesters. – Sehr gut, Alter! ... Du hast mir bereits fünf Franken gegeben, folglich bist Du uns noch vierzehn Franken schuldig! – Der Unternehmer des Balls wird bezahlen! ... er war so gefällig, mir die hundert Sous vorzustrecken, weil ich mich verbürgte, ihm für heute Abend ein Orchester zu bekommen. – Sehr gut! ... Ha so, die Instrumente werden hoffentlich dort sein? denn ich habe zu Hause ebensowenig eine große, als kleine Trommel! – Die Baßgeige und die Pauke sind im Orchester des Ballsaals! Die kommen nie daraus weg! – Nun, das laß ich mir gefallen; was Karl betrifft, der wird seine Violine mitbringen! ... er hat eine ganz ausgezeichnete.– Wenn wir diesen Morgen eine kleine Probe halten könnten? Nein, Vater Duhaut, das ist unnöthig, Künstler wie wir haben keine Probe nöthig! es wird besser gehen, als wir nur wünschen. – Meiner Treu, ja, in der That! ... Gibt's nichts mehr zu essen? – Nein, Vater Duhaut, denn, Donnerwetter, Ihr verschlingt Alles wie ein Haifisch! – Alsdann will ich wieder in die Courtille zurück; ich habe unten einen Gesellschafter! ... Auf diesen Abend um sechs Uhr zu den » zwei Freunden ...« – Geht, meine arme Clarinette, rechnet auf uns!«
Vater Duhaut geht mit seinem Hund am Arm eines Freundes; Mongérand bezahlt und verläßt mit Karl die Schenke; unterwegs beginnt der erstere: »Nun denn! Du bist hoffentlich zufrieden? – Aber ... in einer Kneipe spielen ... – Ei! Donnerwetter, für das Talent gibt's keine unbedeutenden Orte! ... die großen Schauspieler, welche der Bühne Ehre machen, haben beinahe alle auf den kleinen Theatern der Boulevards zu spielen angefangen. Zudem hatten wir Geld nöthig! ... Wir haben sonach noch vierzehn Franken zu theilen! – Nein! weil Du den Baß noch bezahlen mußt. – Ah! Du bist doch immer ein guter Kerl! Du glaubst, ich werde da so Jemanden sechs Franken geben, damit er auf einer groben Saite Brr, Brr mache? so dumm bin ich nicht! ich will einen Baßgeigenspieler finden, dem ich zehn Sous bezahle, das ist genug! – Pah! wahrhaftig! – Sieh, das kleine Kerlchen, das vor Deiner Thüre sitzt ... Stiefel wichst und Commissionen besorgt, der paßt für mich! ... hier wären wir nahe bei ihm, Du sollst sehen, wie ich ihn für zehn Sous anwerbe!«
Mongérand winkt dem kleinen, an Karls Wohnung lebenden Savoyarden; das Kind beeilt sich zu fragen, was man von ihm wolle.
»Du besorgst Commissionen, Kleiner, nicht wahr? – Ja, Moussier. – Doch am Abend mußt Du nichts zu thun haben. – Nein, Moussier. – Willst Du diesen Abend zehn Sous verdienen, und vielleicht noch Erfrischungen dazu? – Ja, Moussier, gerne. – So bleibst Du heute Abend von sechs bis zwölf Uhr bei uns. – Ja, Moussier, und was soll ich machen? – Sei ruhig, das ist nicht schwer. Sei um drei Viertel auf sechs Uhr bereit; Du folgst diesem Herrn, wenn er aus seinem Hause geht. – Ja, Moussier. – Adieu, Karl: heute Abend an unserem gewöhnlichen Zusammenkunftsort ... und vergiß nicht den Contrebaß mitzubringen.«
Mongérand entfernt sich. Karl steigt in seine Wohnung hinauf; er ist ganz munter und aufgeräumt, reibt sich die Hände und nimmt beim Eintritt in sein Zimmer sogleich die Violine herab.
Leonie war aufgestanden; seit drei Tagen begann sie ihr Bett während einiger Stunden zu verlassen, sie schleppte sich bis zu einem Sessel am Kamin, wo es durch Justins Sorgfalt nie an Holz fehlte. Hier machte die Wiedergenesende, betrübt, noch nichts arbeiten zu können, Plane für die Zeit, wo sie ihre Kräfte wieder erlangt hätte, und sprach, während sie ihre Tochter küßte und liebkoste, unaufhörlich von ihrem Sohn.
Leonie bemerkt Karls heitere Miene, sie sieht ihn seine Geige herabnehmen und sagt daher: »Du hast wieder Beschäftigung gefunden? – Ja, meine liebe Freundin! – Ah ! der Himmel erbarmt sich unserer. – Diesen Abend bin ich Kapellmeister. – Und wo denn? – Bei einem Ball ... – Einem Gesellschaftsball? – Ja ... bei einer öffentlichen Gesellschaft ... – Und wer verschaffte Dir das? – Jemand ... den Du nicht kennst.« –
Karl war verlegen. Leonie gewahrte es, sie hört nun auf, ihn zu befragen. Als er sich ihr jedoch nähert, spricht sie: »Du hast in der Stadt gefrühstückt. – Nun gut, weiter? – Mit wem? – Ah! zum Henker! ... mit wem! ... Was macht Dir das, ich kann also nicht einmal eine Artigkeit von Jemanden annehmen. – Karl, Du bist Dein eigener Herr, allein Du weißt, daß es eine Person gibt, welche Du nicht mehr sehen wolltest ... – Geh, genug davon, laß mich einstudiren auf diesen Abend; ich leite ein Orchester, und es liegt mir daran, daß es gut gehe.«
Leonie schweigt, Karl spielt seine Contretänze wieder durch, um halb sechs Uhr schickt er sich zum Fortgehen an, mit seiner Geige unter dem Arm, seine Frau sagt zu ihm: »Aber Du hast keine frische Wäsche angelegt ... Du bürstest Dich nicht einmal ... – O! ich bin so ziemlich sauber! ... Adieu, ich nehme meinen Schlüssel mit, denn man soll bis zwölf Uhr tanzen ... Ermüde Dich nicht ... lege Dich zu Bett, schlafe ... das wird Dir gut thun.«
Karl ist fort. An der Hausthüre angelangt, gibt er dem kleinen Savoyarden einen Wink, der ihm sogleich folgt, und nicht lange, so treffen sie mit Mongérand zusammen, der bei ihrem Anblick ausruft: »Sehr gut ... Ach, Donnerwetter, welchen Teufels-Sabbath werden wir im Verein mit der alten Clarinette machen! – Ich bin nicht so ruhig, wie du ... Versteht der Kleine den Contrebaß zu spielen? ... – Wenn ich Dir sage, es ist hinlänglich, daß er den Fiedelbogen auf den Saiten hin und her spazieren läßt ... gleichviel auf welcher Seite ... glaubst Du denn , die Leute, denen wir zum Tanze aufspielen, hatten ein so zartes Ohr? ... Nicht bloß ein-, sondern zehnmal sah ich auf Dorftänzen die Baßgeige von einem Straßenjungen gestrichen, der keinen Begriff von der Musik hatte. Ueberdies bin ich da mit meiner Pauke ... ich übertäube euch Alle, wenn ihr nicht richtig spielt! ... bum! ... bum! ... Ah! wie ich drauf losschlagen will. Vorwärts ... Kleiner, Du marschirst hinter uns d'rein!«
Man langt in der Courtille an; Vater Duhaut prügelte gerade seinen Hund vor der Thüre der Schenke, deren Orchester er gebildet hatte.
»Hier sind wir, alte Clarinette, führet uns ein! – Ah! meiner Treu, ja ... wir wollen hinauf ... Seid ihr alle Drei da? ... Ja, ja. – Der Herr, der die Baßgeige spielt, ist dabei? – Ja doch, wir sind Alle da. – Nun gut, so folgt mir, ich kenne Alles im Hause.«
Vater Duhaut tritt ein und gewinnt die Treppe, welche zum Salon führt. Der Herr des Etablissements, der gerade an seinem Einnahmetisch sitzt, ruft ihm zu: »Nun, bringt Ihr mir ein Orchester, Vater Duhaut? – Ja, ja, die Herren sind es, die mir folgen. – Ah! gut! ... Ei, der Tausend, es ist ein Kind unter Euren Herren. – Dieses Kind hat das Genie der Kunst!« entgegnet Mongérand, stolz vor den Traiteur tretend, »und ich denke, Ihr werdet nicht oft Künstler bekommen, wie wir sind!«
»O! mein Herr, ich bin ganz ruhig,« antwortet der Traiteur, auf welchen Mongérands Versicherung ihren Eindruck nicht verfehlt. »Nur hinauf ... meine Herren, und fangt gefälligst sogleich an! es sind schon viele Tänzer oben.«
Unsere Künstler begeben sich in den Tanzsaal; in der Mitte desselben ist ein großes Orchester aufgerichtet, welches bequem zehn Musiker fassen könnte; durch eine kleine, hinten angebrachte hölzerne Stiege gelangt man dahin. Vater Duhaut klettert wie ein Eichhorn hinauf. Karl folgt ihm, Mongérand desgleichen, wobei er dem kleinen Kerlchen zuruft, ebenfalls nachzukommen. Hier ist die große Trommel nebst dem mächtigen Schlegel aufgehängt, etwas weiter unten lehnt die Baßgeige. Inzwischen geht Mongérand auf und ab, indem er ausruft: »Ah! Donnerwetter, hier also sollen wir uns versuchen!«
»Meiner Treu, ja,« sagt Vater Duhaut, sein Instrument aus der Tasche ziehend. »Ha so, was sagte denn aber der Wirth so eben ... sieht der Contrabassist wie ein Kind aus? – Ah! ... von ferne ... weil er etwas klein ist ... Stimmet an, meine Freunde!«
Während Vater Duhaut Karln den Ton angibt, setzt Mongérand den kleinen Savoyarden vor die Baßgeige, gibt ihm den Bogen in die Hand und belehrt ihn: »Sieh, Alles, was Du zu thun hast, ist. Deinen Bogen auf diesen Saiten, gleichviel auf welcher, hin und her spazieren zu lassen ... da es jedoch deren drei hat, so spielst Du, damit es schöner ist, bald auf der einen, bald auf der andern. – Ja, Moussier. – Wenn ich Dich ansehe, streichst Du zwei zugleich, und aus Leibeskräften, verstehst Du? – Ja, Moussier. – Versuch's ein wenig vor mir.«
Der Savoyard fährt mit seinem Bogen auf den Saiten des Instruments hin und her, statt dies aber mit dem Roßhaar zu thun, nimmt er die Holzseite, was einen unendlich unangenehmen Ton hervorbringt, und zwar so sehr, daß die gewöhnlichen Tänzer des Balls »der beiden Freunde«, die doch gerade keine zarten Nerven haben, zu schreien anfangen: »Ach! welche Hundemusik!«
Mongérand gibt dem kleinen Kerlchen einen Tritt und dreht ihm den Bogen mit den Worten um: »Das soll Dich lehren, musikalisch zu werden! ... Gib Achtung, Schlingel!«
Das kleine Kerlchen reibt sich unter Gesichterschneiden an dem gezüchtigten Theil; Vater Duhaut tritt näher und spricht: »Was hat er denn? – Nichts, Clarinette, die Baßgeige stimmt. – Ah! laßt hören, gebt mir gefälligst Euer A an.«
Mongérand winkt dem Kleinen, mit seinem Bogen zu spielen, und zufällig trifft er die verlangte Note.
»Ihr seid zu hoch!« bemerkt der Blinde.
»So sehe ich mich auf den Boden, Moussier,« erwiedert das gute Kerlchen. – »Wie? Ihr wollt Euch fetzen ... was sagt denn der Contrebaß da? ... – Vorwärts, Vater Duhaut ... laßt uns anfangen ... Ihr verliert eine unendliche Zeit mit dem Stimmen, und das ist hier überflüssig ... man wird da unten ungeduldig.«
Wirklich hatten auch die gewöhnlichen Gäste bereits ihre Damen aufgefordert, stellten sich auf und riefen: »Die Musik! die Musik!«
Vater Duhaut zog eine Rolle mit Musikblättern aus der Tasche, welche er Karl mit den Worten darreicht: »Nicht wahr, Ihr werdet diese spielen? ... fangt bei der ersten Quadrille an.«
»Das werde ich nicht spielen,« versetzt Karl, »ich lese die Noten nicht vom Blatt weg ... sie zu lernen, brauche ich acht Tage; ich spiele, was ich weiß. – Ah! meiner Treu, das ist sauber!« versetzt Vater Duhaut, zornig mit dem Fuße stampfend. »Wie soll ich meine Partie machen, wenn ich nicht weiß, was Ihr spielen werdet? ... Wie, ein so berühmter Violinist kann keine Noten, lesen ... Wenn ich das gewußt hätte!«
»He, alte Clarinette, macht nicht den Bösartigen!« fällt Mongérand ein, den Blinden zum Sitzen nöthigend; »mach' Du Deinen Theil oder mach' ihn nicht! da scher' ich mich nichts drum ... aber brumme nicht, sonst nehme ich Dich zu meiner Pauke.«
Brummend setzt Vater Duhaut seine Clarinette an, Karl macht mit seiner Violine den Anfang, Mongérand paukt auf die große Trommel los, als wollte er sie entzwei schlagen, der kleine Savoyarde streicht, Mongérand erschreckt anblickend, auf seinen drei Saiten herum. Zum Glück kennt Vater Duhaut die von Karl gespielten Contretänze, was ihm seine gute Laune wieder gibt; er bläst seine Partie mit aller Kraft seiner Lungenflügel, um es Mongérand gleich zu thun. So geht die Quadrille ohne Hinderniß zu Ende, nur rufen die Tänzer zuweilen: »Die große Trommel nicht so stark.« Doch Mongérand, entzückt über den Lärm, den er macht und der ihn selbst betäubt, hörte die Bemerkungen der Tänzer nicht.
»Nun gut! Vater Duhaut, ich glaube, das war ganz ordentlich gebrummt?« sagte Mongérand nach beendigtem Contretanz.
»Ja ... diese kenne ich ... aber der Baß macht ... – Desto besser, ich wollte, er machte uns auf der Stelle eine Torte, denn ich habe Hunger. Ha so, theilt man hier keine Erfrischungen unter die Musiker aus? – Ah! doch, freilich ... eine Flasche für den Abend. – Eine Flasche für Alle? Meiner Treu, ja. – Wie großmüthig! ... Holla, Kellner! Wein, Gläser, vier Flaschen sogleich.
Der Kellner sieht Mongérand verwundert an und erwiedert: »Vier Flaschen ... so viel gibt man der Musik nie. – Gib uns schnell, was ich verlange, Dickkopf, und mach' keine Einwendungen, denn das mißfällt mir.«
Der Kellner geht und fragt seinen Herrn um Rath. »Bring' ihnen, was sie verlangen,« sagt dieser, »was sie zu viel nehmen, ziehe ich ihnen an ihrer Einnahme ab.«
Man bringt dem Orchester Wein, Mongérand schenkt die Gläser voll; er theilt davon dem kleinen Savoyarden, Vater Duhaut und Karl mit. Inzwischen ist der Wirth in den Tanzsaal heraufgekommen und ruft den Musikern zu:
»Vorwärts doch, Orchester! Ihr belustigt euch mit Trinken und spielt nicht, so geht's nicht an.«
Mongérand begnügt sich, dem Wirth ins Gesicht zu lachen, und führt einen Schlag auf die große Pauke als Zeichen des Anfangs. »Welche Contretänze spielt ihr?« fragte Vater Duhaut.
»Die nämlichen!« antwortet Mongérand, seine Halsbinde stolz bis zur Nase hinaufziehend. »Sie sind zu gut, als daß man sie nicht aufs Neue spielen sollte. – Ja,« ruft Karl, bereits etwas erhitzt, aus, »die nämlichen mit Variationen.«
Die nämlichen Contretänze werden gespielt: nur fährt diesmal der kleine Savoyarde, der den Wein nicht gewohnt und schon benebelt ist, wie ein Besessener mit seinem Bogen hin und her, damit er noch größern Lärm mache, was ihm von Zeit zu Zeit einen Blick des Beifalls von Seiten Mongérands einträgt.
Während der Pauker nach der Quadrille die Gläser seiner Collegen füllt, nähert sich der Wirth dem Orchester mit den Worten:
»Man beklagt sich, daß die große Trommel zu viel Lärm mache ... man hört die übrigen Instrumente nicht.«
»Wer beklagt sich darüber?« fragt Mongérand, sich mit seinem Glas in der Hand über das Geländer des Orchesters herabbeugend.
»Ei, wer sonst, als die Tänzer? – So sagen Sie ihnen, sie sollen sich um ihre Beine bekümmern und uns in Ruhe lassen ... ich werde etwas stärker spielen und damit Punktum. – Aber erlauben Sie mir, mein Herr, mir scheint, daß ich hier der Herr bin ... und wenn ich Ihnen sage, Sie sollen weniger stark spielen, so müssen Sie auf mich hören. – Das wäre närrisch! wir sind Herren in unserem Orchester; gehen Sie nur in Ihre Küche, dort mögen Sie glänzen ... Auf Ihre Gesundheit, lieber Freund!«
Höchst mißvergnügt über den Ton von Mongérands Antwort, flüstert der Wirth der Clarinette heimlich zu: »Vater Duhaut! Ihr habt mir da sehr störrische Musiker gebracht ... sie wollen nicht auf mich hören.«
Vater Duhaut, durch die vielen ihm zu Theil gewordenen guten Schlucke weich gestimmt, antwortet aber kopfschüttelnd: »Ach, meiner Treue! ... es sind sehr liebenswürdige Künstler ... Sie regaliren mich seit diesem Morgen!«
»Voran doch, Musik!« schreit ein kleiner Mann im Stutzfrack, ein alter Kunde des Hauses, der während der Zwischenakte des Tanzes seine Beine und Schenkel beständig bewegt, um sich in Athem zu erhalten. »Das geht ja gar nicht da oben! ... die Musiker trinken nur, statt zu spielen!«
»Wer hat da von den Musikern gesprochen?« fragt Mongérand, sich rittlings auf seine Pauke setzend. »Wenn man uns etwas zu sagen hat, so bin ich da, um Antwort zu geben! ... auch um drein zu schlagen, wenn es nöthig ist.«
Die Gäste, sowohl Tänzer als Trinker, sahen Mongérand verwundert an; ein Murren läßt sich vernehmen; man findet das Benehmen des Paukers höchst unverschämt, und da es unter den Hausgästen Kerls gibt, welche eben solche Streitköpfe sind, wie Mongérand, so ist schon davon die Rede, in das Orchester hin, aufzusteigen und den Musiker, der sie zu verhöhnen scheint, daraus zu vertreiben. Vater Duhaut hat einige der unter den Tänzern gewechselten Reden gehört, er tappt daher nach dem Hintergrunde ihrer Estrade und sagt zu dem kleinen Savoyarden: »Man muß nicht gleich Alles so übel nehmen und die Tänzer herausfordern ... es ist hier nicht gut, sie zum Zorn zu reizen ...«
»Ich, Moussier, ich habe gar nichts genommen! ... Ich habe nur die zwei Gläser getrunken, die man mir einschenkte.– Wer ist denn da?« ruft der Blinde mit dem Fuße stampfend, »läßt man denn Fremde in unser Orchester herauf?«
Der Herr des Hauses bemüht sich, die Gäste zu beruhigen und sie glauben zu machen, daß der Pauker mit den Worten, ich bin da um drein zu schlagen, nur von seiner großen Trommel sprechen wollte. Diese Erklärung besänftigt die Gemüther, und diesen Augenblick ergreifend, läuft der Wirth schnell zur Musik und sagt zu Karl: »Herr Violinist, ich fordere Sie auf, den Contretanz augenblicklich anzufangen.«
Karl hält es für klug, diesem Verlangen zu willfahren, denn die Blicke der Tänzer sind nichts weniger als beruhigend. Er nimmt seine Violine und sagt zu Vater Duhaut: »Den nämlichen mit andern Variationen!«
Die Quadrille wird angefangen; Mongérand bleibt rittlings auf seinem Instrument, was ihn nicht hindert, mitzumachen, indem er gewandt zwischen seinen Füßen hinabpaukt. Doch kaum sind zwei Figuren zu Ende, als mehrere Tänzer ausrufen: »Ha so, das ist immer die nämliche Leier! ... Machen sich die da oben über uns lustig? ... Holla ho! ... Musik! andere Contretänze ... und schneller als diese! ... Etwas Neues ... Hübsches! ...«
»Ja, etwas Zierliches! ...« bemerkt der kleine Mann im Stutzfräckchen. »Glauben Sie denn, wir werden es nicht tanzen können? ... – He da, he da! andere Contretänze!«
Karl hielt inne, er wendet sich dem Vater Duhaut zu, der sehr geschäftig nach seinem Glase sucht, das er nicht mehr auf dem Boden findet, weil der kleine Baßgeiger sich erlaubte, es während einer Pause zu nehmen und auszutrinken.
»Nun bist Du schön in Verlegenheit,« sagte Mongérand, »spiel' ihnen tra la la! ... – O nein, ich weiß andere Contretänze ... Aber werdet Ihr mitmachen können? – Geh doch! geh doch! ich bin meiner Sache sicher. – Und Ihr, Vater Duhaut?«
»Ich hatte es unter meinen Sessel gestellt und finde nun nichts mehr! ...« antwortet der Blinde, in seinem Suchen fortfahrend. Karl will die Tänzer nicht länger warten lassen; er fängt eine andere Quadrille an, Mongérand geht mit seinem Instrument den alten Gang fort; der kleine Savoyarde, nunmehr total besoffen, ist nicht mehr im Stande, den Bogen zu führen; Vater Duhaut nimmt seine Clarinette in den Mund, da er aber das von Karl angefangene Stück nicht kennt, so spielt er die Kreuz und Quer kleine Weisen, welche mit der Violine nicht im mindesten zusammenstimmen. Karl thut es in den Ohren weh; zornig blickt er auf den Blinden und ruft ihm zu: »Das geht nicht! ... Seid lieber still!« Allein Vater Duhaut will durchaus accompagniren, Karl ist ganz außer sich, er hält inne; die Clarinette macht's ihm nach; der Contrebaß ist eingeschlafen; Mongérand allein fährt fort, und die Tänzer sind darauf hingewiesen, bei den Soli's der großen Trommel zu figuren.
Ein allgemeines Murren erhebt sich im Saal; Aller Blicke sind auf das Orchester gerichtet; ein Mezgerknecht aus der Umgegend ruft Mongérand zu: »Hör einmal, großer Lümmel! ... statt daß Du Dich belustigst, als Bacchus auf Deiner Trommel zu spielen, schweig lieber und laß die Violine und die Clarinette fortmachen ... He da! Fiedler! ... schläfst Du! ...«
»Ich bin hier, um die Pauke zu schlagen, und werde nicht schweigen,« antwortete Mongérand, indem er zu den Schlägen auf das Fell der Pauke noch Fußstütze auf das Holz derselben fügt.
Diese Rufe werden von drohenden Geberden, Flüchen und Fußstampfen begleitet; man umgibt das Orchester, setzt den Fuß an, um hinaufzusteigen. Karl nimmt seine Violine unter den Arm, der Blinde tappt nach der Treppe umher, der kleine Savoyarde, vom Lärm aufgeweckt, versteckt sich hinter der Baßgeige; Mongérand fährt fort, auf sein Instrument loszuschlagen, indem er dazu singt: » V'là le batringue, que va commencer!« (Nun wird der Lumpentanz den Anfang nehmen!)
Der Wirth kam herbei, macht sich Platz durch die Menge, tritt ans Orchester und ruft Mongérand zu: »Ich verbiete Euch, auf diesem Instrument fortzuspielen, und befehle Euch, fortzugehen.«
»Ach! ich soll nicht mehr auf Deiner Pauke spielen!« versetzt Mongérand; »nun gut, so soll auch kein Anderer mehr darauf spielen.«
Mit diesen Worten thut der alte Husar einen so kräftigen Fußtritt auf die große Trommel, daß das Fell durchlöchert wird, und sich beinahe im nämlichen Augenblick umwendend, tritt er mit einem zweiten Stoß auch die andere Seite des Instruments ein.
Ein allgemeines Geschrei erhebt sich in dem Saal; die gewöhnlichen Tänzer und der Wirth selbst kennen sich nicht mehr; die Einen wollen das Orchester von vorn mit Sturm nehmen, die Andern versuchen, durch die kleine Treppe von hinten einzudringen; Mongérand bietet allen Vorderen die Stirn, indem er sich des Holzwerks der Pauke wie einer Keule bedient; Alle, die heraufzusteigen versuchen, treibt er zurück und wirft sie hinab; Karl ruft er zu: »Vertheidige die andere Seite! nimm die Baßgeige als Barrikade und den Vater Duhaut als spanischen Reiter!«
Karl versucht Wohl, den Uebergang über die Treppe streitig zu machen, allein Vater Duhaut will nicht als spanischer Reiter dienen. Die Angreifer, von vorn abgetrieben, stürzen sich in Masse auf die hintere Seite; die Baßgeige wird zertrümmert; Mongérand packt den Vater Duhaut und schiebt ihn vor die Treppe mit den Worten: »Haltet den Andrang aus!« Der Blinde schreit, brüllt, indem er ohne Unterschied um sich her schlägt; die Treppe wird erstürmt, Vater Duhaut zurückgeworfen, das Orchester forcirt, und Mongérand so wie Karl in dem Augenblicke arretirt, wo der kleine Savoyarde, an der einen Brüstung des Orchesters hinaufkletternd, auf den Boden hinunter rutscht.
Die Kellner und Aufwärter hatten die Polizei zu Hülfe gerufen, damit die Ruhestörer festgenommen würden; die Wache kam herbei, ein Korporal läßt Karl und Mongérand greifen; man führt sie fort auf den Posten, während der kleine Savoyarde durch die Menge sich hinschleicht, die Thüre gewinnt und entrinnt.