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Neuntes Kapitel.

Die Ohrringe.

Herr Rozat macht seinem Freunde Karl häufige Besuche; dieser ist jedoch selten zu Hause, weil ihn der Holländer Vanstouck ganze Tage im Café festhält, wo er ihn, um ein Geschäft zu beendigen, zehn andere versäumen läßt. Leonie empfängt daher den Herrn Rozat. Diese Besuche langweilten die junge Frau, welche sich nicht an den honigsüßen Ton des großen Blondin, an seine Complimente und seine mit Eigenlob vermischten Galanterien gewöhnen konnte; aber sie wagte nicht, einem Freund ihres Gatten böse Miene zumachen. Ist seine Frau bei ihm, so liebkost sie Rozat, ja er küßt sogar seine Celine vor seinen Freunden; Leonie kann es nicht anders, als sonderbar finden, daß Eheleute, welche Muße genug haben, einander unter vier Augen Zeichen ihrer Liebe zu geben, sich vor den Leuten wie junge Liebende benehmen, welche kaum einen Augenblick haben, sich sehen zu können.

Eines Tages sagt Herr Rozat, welcher die geheimen Gefühle Leoniens ausforschen zu wollen scheint, im Gespräch über Karl mit zuckersüßer Stimme zu ihr: »Er ist ein guter Junge; gerne will ich glauben, daß er den Schatz, den er besitzt, zu würdigen weiß; was mich aber wundert, ist, daß er so kalt gegen Sie ist, nie jene galanten freundlichen Worte, jene zärtlichen Liebkosungen, welche ein Beweis von Herzlichkeit sind ...«

»Mein Herr,« versetzt Leonie trocken, »meiner Meinung nach haben Ehegatten Zeit genug, einander ihre Liebe zu beweisen, ohne daß Sie dazu den Augenblick wählen, wo sie in Gesellschaft sind. Denn mag auch ein Mann seine Frau vor den Leuten liebkosen, küssen, so ist mir das kein Beweis, daß er sie im vertrauteren Zusammenleben glücklich macht. Die zärtlichsten Gefühle erheischen das meiste Geheimniß; die öffentlich zur Schau getragenen verlieren in meinen Augen viel von ihrem Werth.«

»Madame,« erwidert Rozat, sich in die Lippen beißend, »Jeder versteht die Liebe auf seine Weise.« Doch will Leonie seit diesem Gespräch weit weniger eheliche Liebkosungen in Gesellschaft bemerkt haben. Leonie schenkt einem Mädchen das Leben, welches von Karl mit Freudentaumel empfangen wird; wie er sein Kind zum erstenmale küßt, ruft er aus: »sie soll alle Talente haben, Musik, Zeichnen lernen und immer wie ein kleiner Juwel gekleidet sein; mit drei Jahren gebe ich ihr eine Uhr.«

Leonie lächelt und sagt zu ihrem Manne: »Was Du ihr hauptsächlich geben mußt, mein Freund, ist eine Mitgift; Du weißt, daß man ohne dies die Mädchen nicht verheirathen kann! Suche demnach Geld zu verdienen und unsern Handel wieder empor zu bringen, der seit einiger Zeit nicht zum Besten geht. – Sei ruhig! es wird kommen; Vanstouck hat mir aufs Neue zwei starke Commissionen versprochen! meiner Tochter werde ich hunderttausend Franken geben, nicht weniger.«

Um zur Mitgift seiner Tochter den Grund zu legen, eilt Karl zu seinen Freunden und kündigt ihnen die Geburt der Kleinen an, und zur Feier dieser glücklichen Begebenheit ißt er mit dem Einen Austern, Kalbsrippchen mit einem Zweiten, spielt mit einem Dritten um den Kaffee, trinkt mit Vanstouck Bier und bringt einen Tag, den er seiner Frau hätte widmen sollen, außer dem Hause zu. Leonie beklagt sich nicht, weil sie sieht, daß ihr Mann sie immer liebt, und eine Frau übersieht demjenigen Manches, der ihr wenigstens Zärtlichkeit bezeugt.

Mama Darville gab ihrer Enkelin den Namen Laura, und Leonie, welche ihre Gesundheit und Sorge für ihr Hauswesen des Vergnügens, ihre Tochter zu säugen, berauben, trennt sich von derselben, bereits sehnsüchtig dem Augenblick ihrer Rückkunft entgegensehend. Aber die junge Frau gewahrt, daß Karl, so lange sie das Bett hütet, sich keineswegs um den Handel bekümmert; die ihm von Vanstouck verschafften Commissionen waren beinahe alle schlecht ausgefallen; die Korrespondenten führten über die schlechte Beschaffenheit der ihnen übersandten Waaren Klage; mehrere verweigerten deren Annahme; die Zahlungen gehen nicht ein, und die den Lieferanten gegebenen Billets müssen eingelöst werden. Leonie wird unruhig, quält sich, sie beschwört ihren Mann, seinen Geschäften doch mehr Sorgfalt zu widmen; Karl verspricht's, und sein Schwur, nur noch an seine Bereicherung denken zu wollen, ist ganz aufrichtig; sobald er aber außer dem Hause ist, vergißt er das seiner Frau gegebene Versprechen und läßt sich von Vanstouck oder einem Andern verleiten, um seinen Ruf als guter Kerl zu bewahren.

Kaum wieder hergestellt, nimmt Leonie ihren Platz vor dem Schreibtische aufs Neue ein, untersucht die Bücher, in welche ihr Mann nur selten einen Blick wirft. Mit Entsetzen sieht sie, wie viele Verluste ein Jahr schon über ein Haus gebracht hat, welches ihr Oheim so fruchtbringend zu machen wußte. Ihrer Schwiegermutter verbirgt Leonie die Besorgnisse, welche auf sie einzustürmen beginnen, denn Madame Darville würde ihrem Sohn heftige Vorwürfe machen; das könnte Karl nur erbittern, statt ihn klüger zu machen. Allein die junge Frau ist nicht immer im Stande, ihren Kummer zu verbergen, besonders wenn ihr Mann erst spät Abends heimkommt, nachdem er gleich am Morgen ausgegangen war. Karl bleibt still, wenn seine Frau zankt; im Grunde seiner Seele fühlt er wohl, daß sie Recht hat. Höchst selten verhehlt uns unser Gewissen die Wahrheit. Karl fühlt sich seiner Frau gegenüber nicht behaglich, wenn er so eben seine Zeit mit guten Freunden verschlenderte; statt sich aber durch eine Umarmung Leoniens zu entschuldigen, wenn er sie schweigsam und traurig sieht, greift er schnell wieder nach seinem Hut und läuft auf's Neue weg. Diesen Ausweg ergreifen oft die Ehemänner, wenn sie Unrecht haben; der kürzeste zwar, doch nicht der beste.

Das Ende eines Monats erscheint, Leonie soll sechstausend Franken bezahlen und hat nur die Hälfte davon in ihrer Kasse. Schon am Morgen wollte Karl Billete escomptiren lassen und kommt, seiner Gewohnheit gemäß, nicht zum Mittagessen heim. Am Abend machten Herr und Madame Rozat der Frau ihren Besuch, welche sich zu einer freundlichen Miene und Verhehlung ihres Kummers zwingt. Auch Madame Rozat fehlte, wie es schien, etwas; man mußte ihr die Worte auspressen, und ihr eines Auge ist von einem dunkeln blauen Mal umgeben. Herr Rozat hingegen ist süßlich und galant, wie gewöhnlich; er scheint sogar noch weit zuvorkommender gegen seine Frau.

»Wo ist denn der werthe Gemahl,« beginnt der große Blondkopf, »wir treffen ihn selten zu Hause; er geht jetzt sehr häufig aus? – Ja,« antwortet Leonie, mit Mühe einen Seufzer unterdrückend; »seine Geschäfte nöthigen ihn zu Ausgängen. – Wenn's Geschäfte sind, läßt sich nichts dagegen einwenden. Karl macht, wie es scheint, viele. Ihre Handlung geht immer gut? – Ja, mein Herr, sehr gut. Was haben Sie denn aber am Auge, Madame Rozat, wie haben Sie sich zugerichtet! sind Sie gefallen? – Ja,« ruft Herr Rozat aus, ohne seiner Frau Zeit zum Antworten zu lassen, »sie ist gefallen ... ausgerutscht: sie ist viel zu lebhaft, und da sieht man, wohin uns die Lebhaftigkeit führt; das wird ihr aber nicht mehr vorkommen, nicht wahr, mein Täubchen? – Hoffentlich,« versetzt Madame Rozat, ohne die Augen aufzuschlagen, »sonst ... weiß ich wohl, was ich thun werde, und wenn man mich auf's Aeußerste treibt ... – Ach! ja, freilich ... man hat Dich gestoßen, jetzt erst fällt mir's bei ... Nun, laß mich dies Auge küssen, das wird's heilen. – Nein, ist nicht nöthig, das heilt's gar nicht! – Ach! Du bist diesen Abend unartig!«

Leonie schenkt dem Zwiesprach der beiden Eheleute wenig Aufmerksamkeit; sie lauscht, denn sie hört Jemand, bald ruft sie voll Freude aus: »Ach! da ist Karl!«

Karl, der mit Vanstouck zu Mittag gespeist, ist röther als gewöhnlich, und schreit, als ob er's mit Taubohrigen zu thun hätte. Leonie steht auf den ersten Blick, daß ihr Mann etwas angetrunken ist; ihre Stirne legt sich in Falten. Herr Rozat reicht seinem Freunde boshaft lächelnd die Hand, während Celine zwischen den Zähnen murmelt: »wie hübsch!«

»Hier bin ich,« schreit Karl mit lustiger Miene. »Guten Abend, Rozat, guten Abend, Madame. Ich konnte nicht zum Essen heim kommen, weil ich mit Vanstouck von einem Brüssler aufgehalten, zu Grignon geführt und köstlich traktirt worden bin.«

»Du kennst also diesen Brüssler?« nimmt Leonie kalt das Wort. – »Nein, ich sah ihn zum erstenmal; aber er ist ein sehr angenehmer Mann, so gerade aus, zudem ein vertrauter Freund Vanstoucks.«

»Und die Freunde unserer Freunde sind unsere Freunde,« lacht Rozat. – »Wahrhaftig, wenn die Leute uns dringend einladen, fällt das Abschlagen schwer; ich wollte indeß heimkommen, ich wußte, daß Du mich erwartetest. – Doch hast Du wenigstens die Angelegenheiten ins Reine gebracht, derentwegen Du ausgingst? – Sei ruhig, beunruhige Dich nicht. – Ich beunruhige mich nicht, aber ... – Aber, aber Madame, ich will Ihnen beweisen, daß ich an Sie gedacht habe, immer an Sie denke ...«

Bei diesen Worten zieht Karl ein Schächtelchen aus der Tasche, auf welches die Augen der Madame Rozat bereits haften, während Leonie ruhig sagt: »Wie, mein Freund, abermals ein Geschenk?«

Karl öffnet das Schächtelchen und langt ein paar herrliche, mit Diamanten reich besetzte Ohrringe daraus hervor, welche er seiner Frau mit den Worten überreicht: »Als Du vor acht Tagen mit mir im Palais-Royal spazieren gingst, nöthigte ich Dich, vor einer Bude stehen zu bleiben, fragte Dich, was Dir am meisten gefiele, da wiesest Du auf diese Ohrringe, ich bringe sie Dir hiermit.«

»Ausnehmend galant!« rief Herr Rozat, »einer der Züge, wie ich sie liebe, sie öfters mache.«

»Habe noch nie etwas davon bemerkt!« sagt Madame Rozat halblaut.

Leonie nahm die Ohrringe, schien aber durch dieses Geschenk nicht sehr erfreut, und mit einigem Zögern erwidert sie: »Mein Gott, lieber Freund, ich hatte gesagt, ich fände diese Ohrgehänge hübsch, weil Du durchaus meinen Geschmack wissen wolltest; das war jedoch kein Grund, sie mir zu kaufen; ein so kostbarer Schmuck ... ist eine Tollheit!«

Eine noch dunklere Flamme steigt in Karls Gesicht auf; er weicht einige Schritte zurück und ruft zornig: »Da mache man seiner Frau Geschenke, damit sie auf diese Weise aufgenommen werden! wahrlich, das ist widrig; da möchte der friedliebendste, sanfteste Mann wüthend werden; die Frauen verdienen unsere Aufmerksamkeit für sie nicht.«

Noch nie hatte Leonie ihren Mann aufgebracht gegen sie gesehen; sie erblaßt: große Tropfen rinnen ihr aus den Augen; Rozat beißt sich in die Lippen, und seine Frau murmelt abermals: »Wie hübsch!«

»Nun, nun, lieber Karl,« sagt Rozat mit einer Miene von Gutmüthigkeit, »Sie sagen da nicht, was Sie denken ... die Frauen verdienen stets unsere Huldigung, unsere Aufmerksamkeit und unsere Verehrung! ...«

Noch ehe Herr Rozat ausgesprochen hat, erhob sich Leonie von ihrem Sitze, warf sich hastig ihrem Gatten in die Arme und barg ihren Kopf an seiner Brust, indem sie hervorstotterte: »Ach! bester Freund, sei nicht böse; ich hatte Unrecht und bitte Dich um Verzeihung!«

Bei Karl ist der Zorn nicht von langer Dauer, er blickt seine Frau an und küßt sie zärtlich.

»Eine herrliche Gruppe, eine Gruppe zum malen!« rief Rozat, indem er sein Taschentuch hervorzog, um sich zu schneuzen; »nicht wahr, mein Täubchen, man sieht's mit Vergnügen?«

Das Täubchen, ganz in Betrachtung und Schätzung des Werths der Ohrringe versunken, welche Leonie auf dem Tische ausgebreitet hat, antwortet: »O! sehr schön! Prächtig, voll Feuer!«

Ihrem Gatten Freude zu machen, legt Leonie die Ohrgehänge sogleich an; Madame Rozat kann mit Lobeserhebungen über die Schönheit des Geschenks gar nicht fertig werden; Herr Rozat behauptet, Madame Darville überstrahle Alles, das Feuer ihrer Augen thue den schönsten Diamanten Eintrag, aber die Augen der armen Leonie sind noch durch die eben vergossenen Thränen verdunkelt. Karl ist wieder so lustig und lärmend geworden wie zuvor, und in voller Bewunderung seiner Frau ruft er aus: »Ich wußte wohl, daß sie ihr wunderhübsch stehen würden ... o! ich will, daß meine Frau nur das Beste trage. Sei ruhig, ich werde mich darnach einrichten.«

»Ich denke, wie Karl,« nimmt Rozat das Wort, »meine Frau soll nur Schönes tragen, und da ich einen sehr guten Geschmack habe, kaufe ich nur das Auserlesenste. Ich habe ein Paar herrliche Girandolen in Petto, noch schöner als diese hier, und an einem der nächsten Morgen, mein Täubchen, bringe ich sie Dir zum Frühstück.«

Dabei fährt Herr Rozat seiner Frau mit der Hand über den untern Theil des Gesichts, kitzelt sie leicht am Kinn, aber Madame Rozat verzieht die Miene nicht. Endlich verabschieden sich die beiden Eheleute von Karl und seiner Frau.

In der Straße angelangt, sagt Madame Rozat seufzend: »Herr Darville verdient, wie es scheint, viel Geld, um seiner Frau solche Geschenke zu machen.«

»O! das ist kein Beweis! er ist diesen Abend betrunken. Nun, sind Sie bald mit dem Zurückschlagen Ihres Kleides fertig, und entschließen Sie sich, meinen Arm zu nehmen? – Wenn er auch betrunken ist, so liebt er doch jedenfalls seine Frau, sucht ihr Freude zu machen. Daß man sich bei der Tafel vergißt, kann man verzeihen; aber nicht, daß man sich dem Zorn überläßt und in Wuth ausbricht, wie ein Schuhflicker! – Eine sanfte Frau muß man lieben, eine Frau, welche ihren Gatten um Verzeihung bittet, wenn sie Unrecht zu haben glaubt, wie Madame Darville so eben that. Aber eine zänkische, störrische Frau hat man bald dicksatt! – Der Ausdruck ist hübsch und von gutem Geschmack, ich mache Ihnen mein Compliment. – Jedenfalls so gut als Ihr Schuhflicker, mit dem Sie mich gerade bedachten. – Nehmen Sie sich in Acht, mein Herr, Sie bespritzen mich mit Koth. – Ist's Ihnen nicht recht, so gehen Sie allein. – O! recht gerne!«

Alsbald läßt Madame Rozat den Arm ihres Gatten los, und so kehren sie, jedes einer andern Seite der Straße folgend, nach Hause zurück.

Allein mit ihrem Manne, sagt Leonie, die Ohrgehänge aufs Neue bewundernd, schüchtern: »Ich wollte Dich nicht böse machen, Freund, als ich sagte, dieses Geschenk sei eine Tollheit; ich fürchtete nur, es möchte sehr hoch kommen. – Ach nein, fünfzehnhundert und fünfzig Franken. Eine Kleinigkeit. – O! ich sage nicht, sie seien nicht sehr schön; aber in diesem Augenblicke, wo wir so viel zu zahlen haben, wo so viele Billets protestirt wurden ... Du weißt, es fehlten uns für übermorgen tausend Thaler, Du hast sie also aufgetrieben? – Ja, ja, ich habe sie, es fehlen nur die fünfzehnhundertfünfzig Franken, welche ich für diesen Schmuck gab.«

Leonie erwidert nichts, sie unterdrückt einen Seufzer, welcher ihren Mann ärgern würde. Am andern Tage ist sie jedoch genöthigt, die zu ihren Zahlungen nöthige Summe zu borgen, weil Karl ihr Diamant-Ohrgehänge bringen wollte.


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