Paul de Kock
Chipolata
Paul de Kock

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Das Parterre eines Theaters

Wählet das euch angenehmste Theater, aber ja keines, in dessen Parterre auch Frauen Zutritt haben; denn ein solches wird euch nicht zusagen. Franz I. hat gesagt: »Ein Hof ohne Frauen gleicht einem Frühling ohne Rosen!« Aber in Wahrheit, diese Rosen sind im Parterre eines Theaters sehr übel angebracht, und außerdem, wenn alle Frauen Blumen sind, wie ich gerne glaube, so sind es gewöhnlich nicht die frischesten und lieblichsten, die, um das Schauspiel zu sehen, im Parterre Platz nehmen.

Wir sind also in einem Männer-Parterre.

Wir wollen es zu Anfang des Schauspiels betrachten, ehe es noch ganz voll ist.

Uebrigens haben wir Parterre, die es nie werden, selbst wenn das Stück bereits vorgerückt ist; andere gibt es, die nur an den Tagen einer ersten Aufführung gut besetzt sind.

An diesen Tagen sind sie, gleichsam als ob sie sich für ihre gewöhnliche Einsamkeit entschädigen wollten, vollgestopft, wie ein Omnibus an einem Regentage; es sitzen mehr Leute darin, als hineingehen, oder wenigstens hineingehören. Es versteht sich dabei von selbst, daß die mitten im Haufen befindlichen nicht in den Fall kommen dürfen, sich zu schnauzen, oder ihre Tabaksdose aus der Tasche zu langen; dieses Exercitium ist ihnen verboten, sie müßten denn zufällig der nordische Herkules oder ein Alcides von irgendwoher sein, der mit eisernen Armen die Bewegungen seiner Nachbarn bändigen und zwingen könnte.

Wenn ihr einmal in einem Parterre seid, wo die Menge dicht ist, die Thüren versperrt und alle Ausgänge vollkommen zugepfropft sind, so müßt ihr euch entschließen, nicht mehr herauszugehen, und wenn ihr auch den größten Drang dazu verspüren solltet.

Wenn ihr indessen dem Verlangen, frische Luft zu schöpfen, oder auf einen Augenblick eine minder dicke Atmosphäre einzuathmen nicht wiederstehen könnt, dann müßt ihr, um wieder an euren Platz oder in dieses glückselige Parterre, den Aufenthaltsort der Auserwählten und der Römer (Claqueurs), zu kommen, gewärtig sein, eine kleine Boxpartie mit den an der Thüre eingeklemmten Personen zu bestehen.

Das ist nicht immer angenehm, besonders wenn man zu diesem Spiele nicht eine gewisse Körperkraft hat; kurz, einige Rippenstöße wird es euch wenigstens eintragen.

Desaugiers würde euch gesagt haben: »Um eine Vestalin lohnt sich das schon der Mühe.«

Allein das Stück, das man spielt, lohnt sich vielleicht dieser Mühe nicht. Was thut's, ihr habt euch gebalgt, habt fast gesiegt, d. h. ihr habt euch durch mehrere Personen hindurchgedrängt, die nicht weichen wollten. Und nun, um sich so schnell als möglich eurer Absätze, die ihre Zehen zerquetschen, zu entledigen, hilft man euch hineinzukommen: das heißt so viel, als man stößt euch vorwärts; ihr fallt auf mehrere Köpfe, deren ihr euch als Stützpunkte bedient, um wieder auf euren Sitz zu kommen.

Nachdem ihr so einige Zeit auf lebendigen Fluten geschwommen seid, die gar keine große Freude haben, euch zu tragen, gelangt ihr endlich wieder an euren Platz, den ein Anderer während eurer Abwesenheit eingenommen hat.

Ihr erkennet indessen einen Nachbar und sagt: »Ich war da?«

Der Eindringling, der euren Platz eingenommen hat, gibt keine Antwort und thut, als lorgnettire er Jemanden auf der Galerie.

Dieses Manöver macht euch ungeduldig, ihr stoßt den Herrn und wiederholt: »Ich war da!«

Darauf wendet dieser sich um und sagt: »Was beweist mir, daß das Ihr Platz war? Haben Sie einen Handschuh zurückgelassen ... Ihr Sacktuch?«

»Daß ich ein Narr wäre ... ich habe nichts zurückgelassen, weil man nicht immer wieder findet, was man in einem Parterre liegen läßt; aber dieser Herr da wird Ihnen sagen, daß ich neben ihm saß.«

Derjenige, den man zum Zeugen aufruft, ist einer jener Menschen, die immer fürchten, sich zu compromittiren, wenn sie für Jemand Partei nehmen. Er erwidert, indem er sich an der Nase kratzt: »Ach! Sie waren da? Wahrlich, es ist möglich. Aber wenn es so voll ist, so kann man nicht alle Personen bemerken, die um einen herum sind!« Mit diesem Allem seid ihr nicht zufrieden; ihr bleibt fest und stoßt euren Usurpator zurück, indem ihr ruft: »Ich will meinen Platz haben!«

Der Usurpator weicht nicht. Im Allgemeinen haben Leute, welche sich an den Platz eines Andern setzen, nicht im Gebrauch, ihm diesen wiederzugeben; ehe sie sich einer so dreisten Handlung schuldig machten, haben sie alle Folgen, alle Gefahren derselben überdacht und sind entschlossen, denselben zu trotzen; sie erinnern sich, daß der Erfolg Alles rechtfertigt: ein Grundsatz, der nicht neu, aber trostlos für die ist, die usurpirt werden.

Die Herren werden warm; es fallen spitzige Worte, der Streit droht ernsthaft zu werden; schon hört man Redensarten wie folgende: »Ich bin ein Franzose! ... Sie sind ein Franzose! ... Das kann nicht so gehen.«

Aber die Nachbarn, die lieber das neue Stück sehen als einen Streit mit anhören wollen, rücken von beiden Seiten etwas zusammen, so daß die beiden Herren sich setzen können; da nun Jeder einen Platz hat, so fällt die Ursache des Streites weg. Man beruhigt sich, wird kalt, und dieser kleine Zwischenfall ist sehr schnell vergessen, um so mehr, als er im Parterre eines Theaters sehr häufig vorkommt.

*

Es gibt einige Parterre, die immer voll sind, selbst wenn kein neues Stück gespielt wird; diese sind die glücklichen des Jahrhunderts, und im Allgemeinen bemerkt man, daß sie nicht die schlechtesten sind.

Warum? das scheint mir ziemlich leicht erklärlich.

Die Theater, in denen immer viele Leute sind, müssen nothwendig die sein, wo sich die Leute am besten unterhalten; nun aber kann man schlecht sein, wenn man glücklich ist (und man ist sehr glücklich, wenn man sich unterhält)? Abermals ein Grundsatz, der nicht neu, aber doch tröstlich ist.

Es ist ein sonderbares Ding um das Parterre eines Theaters! Für den, der beobachten, hören könnte ... welche Studien! wie viele Originale sind da verborgen, die bescheiden unter der Menge sitzen! wie viele geistreiche, seltsame Leute, Esel und Nullen! Und könnte man in den Köpfen aller dieser jungen, alten, reichen, armen, traurigen, fröhlichen, unglücklichen, zufriedenen, ehrlichen, intriguanten Leute lesen, welche der Zufall hier versammelt hat, wie würde man nicht manchmal erstaunen, zwei Personen neben einander sitzen zu sehen, die so wenig geschaffen sind, um beisammen zu sein!

Aber der Zufall, der euch neben Jemand geführt hat, mit dem ihr im Laufe des Abends einige Worte gewechselt habt, kommt vielleicht niemals wieder.

Ihr werdet nie mehr jener Person begegnen, mit der ihr einige Stunden lang geplaudert habt, und deren Bemerkungen und treffende Reflexionen euch die Länge der Zwischenakte haben vergessen lassen.

Ihr bedauert, daß ihr nicht wißt, wer der Herr war; ihr wäret erfreut, wenn ihr ihn wieder irgendwo träfet ... Ihr hoffet, der Zufall werde euch wieder einmal neben ihn setzen. Aber umsonst. Ihr geht fast alle Abend in's Schauspiel, der Herr geht seinerseits eben so oft dahin, und doch trefft ihr euch nie mehr.

Dagegen könnt ihr nie in das Parterre eines gewissen Theaters kommen, ohne daß ein langweiliger, unruhiger, durch sein Geplapper unausstehlicher Mensch, der unglücklicher Weise schon einmal euer Nachbar war, sich neben euch setzt. Das ist ebenfalls der Zufall, der dieses thut, aber er ist uns nicht immer günstig.

Ihr meint vielleicht, derselbe Grund habe alle die Leute, die ihr im Parterre versammelt seht, in diesen Saal geführt: sie seien gekommen, weil das angezeigte Schauspiel ihnen einen vergnügten Abend verspreche? Kommt zur Einsicht.

Unter den Personen, die eigentlich wegen der Stücke, die man aufführt, anwesend sind, wie viele andere befinden sich aus ganz andern Gründen da!

So z. B. hatte jener Herr, den ihr dort hinten in der Ecke erblicket, eine Zusammenkunft mit einem Freunde ausgemacht, um von Anlegung einiger Capitalien mit ihm zu sprechen. Es ist für ihn eine wichtige Sache, aber sein Freund kam nicht. Nachdem er lange Zeit vergeblich gewartet, hatte er in diesem Viertel zu Mittag gespeist, weil es zu spät war, nach Hause zurückzukehren; dann ist er, da er in der Nähe des Theaters war, in dasselbe eingetreten, um sich zu zerstreuen, und ohne nur zu wissen, was aufgeführt wird.

Aber anstatt dem Stück zuzuhören, denkt er immer an seine Geschäfte, an die Anlegung seiner Capitalien, und ich glaube, daß er nach dem Schauspiel sehr in Verlegenheit käme, wenn er sagen sollte, was man gespielt hat.

Jener Andere hat mit einem Freunde bei einem Gastwirthe gespeist; die Herren haben einen kleinen Spitz bekommen und dann zu einander gesagt: »Gehen wir in's Schauspiel!«

Während man spielt, plaudern sie unaufhörlich, lachen, husten, spucken sie aus, es ist ihnen zu heiß, sie sind keine Minute ruhig und gewiß nicht im Stande, das Stück zu beurtheilen, aber von Zeit zu Zeit rufen sie: »Mein Gott, wie schlecht!« Fragt sie nachher, was sie gesehen haben, was man gespielt hat, und sie werden in derselben Verlegenheit sein wie jener Herr mit der Capitalanlage.

Dort steht ein Zuschauer, der sehr aufmerksam scheint und aussieht, als verliere er kein Wort von dem Stücke. Es ist ein Mann von etwa dreißig Jahren, sehr gut gekleidet, ziemlich hübsch, aber dessen Gesicht ernst, ja sogar streng ist. Ihr meint, dieser werde im Stande sein, Abends eine vernünftige Kritik über das Stück zu geben, das man aufführt! Ihr täuscht euch.

Der Herr ist verheirathet; er hat eine Frau, die hübsch und kokett ist. Es ist sehr selten, daß sich das Eine ohne das Andere findet, jedoch sehen wir auch häßliche Frauen, die kokett sind. Der Herr ist eifersüchtig, das ist ein Unglück, ja mehr als ein Unglück: es ist eine Krankheit; es ist mehr als eine Krankheit: es ist eine Schwäche. Wenn man eifersüchtig ist, so ist man unglücklich und schwach, und manchmal auch noch etwas Anderes. Der eifersüchtige Gemahl ist bälder als gewöhnlich nach Hause gekommen: das ist ein Fehler. Wenn man verheirathet ist, muß man nichts an seinen Gewohnheiten ändern; die Damen lieben das nicht.

Der Herr ist also zu bald nach Hause gekommen: er hat einen seiner Freunde bei seiner Frau getroffen, dessen Freundschaft für ihn seit einiger Zeit in ungewöhnlicher Zunahme begriffen ist, der aber dabei doch immer Gelegenheit findet, ihm nur dann einen Besuch abzustatten, wenn er abwesend ist. Bei seiner Ankunft hat der Freund etwas verlegen geschienen, die Frau ist in Bestürzung gerathen, und ein Sessel stand ganz nahe bei einem Sopha. Der Herr hat nichts merken lassen, aber er hat Verdacht; er hat nichts zu seiner Frau gesagt, aber eine sehr auffallende Grimasse an sie hingeschnitten; zuletzt ist er Abends, verfolgt von jenen unglücklichen Gedanken, die sich immer wieder auf's Neue in dem Kopf eines Eifersüchtigen einnisten, von Hause fortgegangen. Er hat das Schauspiel besucht, in der Hoffnung, dort seine Schmerzen zu vergessen. Ihr meint, er höre aufmerksam dem Stücke zu, aber er versteht kein Wort von dem, was die Schauspieler sprechen, er denkt unaufhörlich an jenen Sessel, der so nahe bei dem Sopha stand. Dann sagte er zu sich: »Gewiß quäle ich mich unnöthig; meine Frau hat wohl das Recht, sich auf einen Sopha zu setzen und mein Freund neben sie auf einen Sessel, das ist immerhin besser, als wenn Beide auf dem Sopha gesessen waren! und dann ist meine Frau unfähig ... ich habe Unrecht.«

Armer Mann! und in den Stücken, die man gegeben hat, hörte er nur stets die Worte: »Frau, Mann, Liebhaber!« an seine Ohren schlagen.

Jener junge Mann, der in einem fort die Nase in die Höhe streckt und im Saale herumsieht, statt auf die Bühne zu sehen, sucht eine Dame, die ihm Hoffnung gemacht hat, daß sie ins Schauspiel kommen werde. Er sucht sie überall, seine Augen sind durch alle Logen, über alle Reihen der Galerien hingeschweift, aber er sieht sie nirgends! Der arme junge Mann ist trostlos; um diese Dame zu sehen, ist er in dieses Theater gegangen; was kümmern ihn die Stücke, der Geist des Verfassers und das Talent der Schauspieler; er ist verliebt! ... Während man spielt, fragt er sich, welches Hinderniß die Dame habe abhalten können, ihr Versprechen zu erfüllen, und in den komischsten Momenten des Stücks stößt er seine tiefsten Seufzer aus.

Etwas entfernter ist ebenfalls ein verliebter junger Mann; aber er ist es in eine Schauspielerin auf diesem Theater, die in dem Stücke, das gegeben wird, spielt, und sich in diesem Augenblicke auf der Bühne befindet. Aber, seht auch, welches Feuer in den Blicken dieses Herrn strahlt, wie er sich auf seinem Platze bewegt; man könnte meinen, er wolle sich auf die Bühne stürzen. Er lacht und schwatzt mit sich selbst; dann blickt er manchmal um sich, wie wenn er Gesichter suchen wollte, die seinen Enthusiasmus theilen, er wendet sich an Jedermann und ruft aus: »Wie gut gespielt! ... Wie sie das gesagt hat! Sie ist herrlich ... hinreißend ... die beste Schauspielerin von Paris!«

Da er aber nur wenige Leute trifft, die seine Meinung theilen, so bemüht er sich, seine Bewunderung zu concentriren, und so lange die Schauspielerin auf der Bühne ist, verliert er sie nicht aus dem Auge. Aber kaum ist sie hinter der Coulisse verschwunden, so wendet er sich auf's Neue an einen Nachbar und sagt: »Man hat ihr Engagement auf drei Jahre verlängert, sonst hätte sie uns Bordeaux abgeführt.

Der Nachbar zuckt mit den Achseln und begnügt sich, zwischen den Zähnen zu murmeln: »Was kümmert das mich? Möge sie Bordeaux oder Rhabarber abführen, das ist mir ganz gleichgültig! Ich weiß nicht, was der Herr immer will!«

Etwas entfernter noch bemerken wir einen Herrn in mittleren Jahren, der mit wahrhaft lächerlicher Prätension gekleidet ist: er hat einen Riesen-Camee im Knoten seiner Halsbinde stecken, eine zerzauste Perrücke auf dem Kopfe, eine Lorgnette, deren man sich als Teleskop bedienen könnte, zeisiggrüne Handschuhe und ein Gesicht, welches vollkommen mit den Handschuhen harmonirt. Dieser gibt sich Mühe, immer am Orchester zu sitzen; in jedem Zwischenakte lehnt er sich auf die Brüstung, dreht der Bühne den Rücken, belorgnettirt alle Damen, wirft ihnen verliebte Blicke zu, erlaubt sich sogar zuweilen ein Lächeln des Einverständnisses, und während dieses für die Zuschauer sehr unterhaltenden Verfahrens macht er ganz laut seine Bemerkungen: »Jene Braune dort unten wäre gar nicht übel, wenn sie Zähne hätte, aber Schade, daß ihr diese fehlen. Lachen Sie nicht, Madame, ich bitte Sie, damit man glauben könnte, Sie haben Zähne.

»Ach! jene kleine Blondine auf der Galerie dort läßt ihre Schultern recht sehen; sie meint wohl, sie seien schön! Man könnte einen osteologischen Cursus darüber lesen. Ich ziehe etwas Anderes vor.

»Wie, sehen wir einmal in jene Parterreloge. Eine kleine Haube, die ziemlich pikant ist ... aber nur die Haube; was den Kopf anbelangt, der darin steckt ... hm! ... so glaube ich, hat er gescheidt daran gethan, sich in den Schatten zu setzen!«

Und dieser Herr, der dem Anschein nach so schwer zu befriedigen ist, hat die Tasche voll kleiner Liebesbriefe, eine Art Circular, das er beim Hinausgehen aus dem Schauspiel allen den Frauen, die er eben critisirt hat, zustecken wird, in der Hoffnung, daß bei ihrer Menge wenigstens auf eine seiner Erklärungen eine Antwort erfolgen werde.

Nun, in dieser Absicht geht besagter Herr in's Schauspiel. Er will durchaus einen Mann vorstellen, der Glück bei den Damen macht; er behauptet, daß seine Mittel es ihm erlauben.

Aber da dringt eine neue Person in's Parterre: es ist ein Vierziger, der aber älter aussieht als er ist, Dank seinem Schafsgesicht, das von zwei großen, ganz runden Augen flankirt wird, die einen stark ausgesprochenen Ausdruck von Dummheit haben, und seinem krausen Haar, das beinahe bis zu den Augenbrauen herabgeht; denkt euch dazu noch eine plattgedrückte Nase, eine Cravatte, die ihn zu erdrosseln scheint, und einen Halskragen, der bis über die Mitte der Ohren reicht, und ihr habt einen Begriff von diesem Herrn.

Er steigt über eine Bank, dann über eine zweite, sieht sehr verlegen aus, einen Platz zu finden, und deren gibt es doch überall.

Endlich seht er sich, aber vor ihm ist ein sehr dicker Mann, der ihn genirt; er steht wieder auf und setzt sich wo anders nieder. Da bemerkt er, daß der Handgriff des Contrebasses gerade gegenüber von ihm ist, und er verändert abermals seinen Platz.

Endlich hat er einen gefunden, der ihm ansteht. Er lacht, sieht seine Nachbarn an, nimmt seinen Hut ab, langt sein Sacktuch heraus, setzt seinen Hut wieder auf. schnauzt sich, nimmt seine Dose und sieht sich noch einmal um. Er hat große Lust, eine Unterhaltung mit Jemand anzufangen, und entscheidet sich für seinen Nachbar zur Linken, einen jungen Mann von höchstens zwanzig Jahren; er bietet ihm seine Dose mit zaghafter Miene und den Worten an: »Nehmen Sie eine Prise?«

Der junge Mann sieht ihn spöttisch an, fängt an zu lachen und entgegnet: »Ach! warum nicht gar ... Rauchtabak, den lasse ich mir gefallen. Man raucht zwar noch nicht in den Theatern, aber das wird schon kommen ... es muß kommen ... denn das Jahrhundert des Lichts verlangt das! ... Ach! welches Vergnügen, wenn man ein Stück rauchend wird ansehen können! ... wenn man eine Wolke wohlriechenden Tabaks ausstoßen wird, während man eine hübsche Schauspielerin lorgnettirt! ... Dann erst wird man sich in dem Theater gut unterhalten und sie werden immer voll sein!« – Ja voll Rauch, das ist richtig. Aber die Damen ... glauben Sie, daß sie sich an den Tabaksrauch gewöhnen werden? – »Ob sie sich gewöhnen werden? ... sie werden stärker rauchen als die Herren.« – Ah! dann ist es etwas Anderes. Mein Herr, hat das Stück, das man spielen wird, schon angefangen?«

Der junge Mann betrachtet seinen Nebensitzenden mit höhnischer Miene und sagt: »Wenn man es erst spielen wird, denke ich, kann es auch noch nicht angefangen haben.« – Drum haben wir viel davon sprechen hören ... meine Frau und ich, und da meine Frau viel Geist hat, so kann sie die schlechten Stücke nicht leiden; dann schickt sie mich, sie zuerst zu sehen, damit ich mir eine Meinung darüber bilde. Sie hat zu mir gesagt: »›Geh' und sieh' diese Komödie an. Du wirft Dir eine Meinung darüber bilden und bringst sie mir sodann‹« – »Die Komödie?« – Nein, meine Meinung. Kennen Sie sie? – »Ihre Meinung?« – Nein, die Komödie.«

Der junge Mann fängt an zu lachen und murmelt: »Ach! ich will nur sehen, ob das nicht aufhört?«

Dann steht er auf und wendet dem Herrn den Rücken zu, der zu sich sagt: »Offenbar hat er das Stück auch noch nicht gesehen ... da kann er mir auch seine Meinung nicht sagen.«

Man läutet dreimal, das Orchester spielt die Ouvertüre, der Vorhang geht auf und das Stück fängt an.

Der Herr mit dem Kragen über den Ohren hört mit der größten Aufmerksamkeit zu und reißt seine großen Augen auf, wie wenn er dann besser verstehen würde.

Mitten im Akte wendet er sich an einen großen Herrn, der ihm zur Rechten ist und sagt: »Finden Sie Bewegung darin? ... Drum hat mich meine Frau hergeschickt, um mir eine Meinung über das Stück zu bilden ... und wenn die Schauspieler türkische Kleider tragen, so meine ich, sei es noch viel schwerer zu verstehen ... und Sie?« – Ah! zum Henker, mein Herr, halten Sie Ihr Maul und lassen Sie mich zuhören!« entgegnet der große Herr mit einer Bewegung der Ungeduld.

Unser Mann wagt nichts mehr zu sagen: er hört nun stillschweigend zu und begnügt sich, in seiner Tabaksdose zu stören, wo er vielleicht eine Meinung zu finden hofft.

Nach dem ersten Akte will er abermals mit dem jungen Mann zu seiner Linken sprechen, aber dieser dreht ihm lachend den Rücken zu, sobald er ein Wort an ihn richtet.

Nun wendet er sich an einen kleinen, magern, trockenen, gelben Herrn mit einer blauen Brille, der vor ihm steht. Er bietet ihm seine Dose an: dieses Mal wird sein Anerbieten angenommen.

Der Mann mit der Brille fährt mit seinen Fingern hinein, stopft sich die Nase voll, niest, spuckt aus, hustet, räuspert sich, und trillert zwischen den Zähnen Etwas, das di tanti palpiti vorstellen soll, und während dessen hat unser Herr Zeit gefunden, ihm zu sagen: »Sind Sie zufrieden mit dem Akte, den man aufgeführt hat? ... Drum mochte ich mir gerne eine Meinung bilden ... weil meine Frau mich darnach fragen wird, wenn ich nach Hause komme.«

Der Herr mit der Brille gibt sich ein wichtiges Ansehen und entgegnet: »Meiner Treu', ich komme nur sehr selten in solche Theater wie dieses; es ist ein seltener Zufall, wenn man mich hier trifft. Fragen Sie mich über die italienische Oper, mein Herr; ja! fragen Sie mich darüber ... da will ich Ihnen Rede stehen ... Seit zwanzig Jahren habe ich keine ihrer Vorstellungen versäumt! Das ist ein Theater, Musik, Sänger! ... Haben Sie die Pasta gehört?« – Bitte um Entschuldigung, mein Herr ... ich wollte Sie um Ihre Meinung fragen über den Akt, den man eben aufgeführt hat, um dann ... – »Ach, die Pasta, mein Herr, die Pasta! welche Stimme, welches Metall!« – Sie wollen mir also nicht sagen, was Sie von dem ersten Akt der Komödie denken, welche ... – »Und die Malibran! Herr, die Malibran! ... Vor lauter Bewunderung derselben habe ich mir das Gesicht verdorben ... O diva! diva

Unser Mann sucht mit den Augen, ob er nicht noch jemand Anderem Tabak anbieten könne. Aber der zweite Akt beginnt.

Nun bleibt unser Mann einige Zeit lang stille und hört zu. Endlich hat er das durch und durch wohlwollende Gesicht eines alten Herrn entdeckt, der hinter ihm sitzt; er wendet sich um und sagt ganz leise: »Sind Sie zufrieden? ... Drum will meine Frau, daß ich mir eine Meinung über dieses Stück bilden soll ... und da es Türken sind, so komme ich nicht recht daraus.«

Der alte Herr lächelt und entgegnet stotternd: »Man muß wa ... war ... wart ... muß warten ... wie ... wie es ... wei ... wei ... weiter geht!«

Unser armer Mann stößt einen tiefen Seufzer aus und sagt zu sich: »Der alte Herr da wird es nie dahin bringen, mir seine Meinung ganz sagen zu können. Ich habe Unglück! ... er war der Einzige, der eine sprechlustige Miene zeigte.«

Endlich ist das Stück zu Ende. Unser Mann ist nun ganz Ohr, denn Jedermann äußert jetzt laut seine Meinung.

»Es ist k ... kö ... kost ... köstlich!« ruft der alte stotternde Herr.

»Es ist erbärmlich!« sagt der Herr mit der Brille.

»Es ist sehr geistreich!« murmelt der große Herr zur Rechten.

»Es ist entsetzlich dumm!« ruft der junge Mann zur Linken.

Nun kehrt unser armer Mann, der diese verschiedenen Urtheile gehört hat, nach Hause zurück und denkt bei sich selbst: »Was soll ich nun meiner Frau sagen, wenn ich heimkomme und sie mich um meine Meinung fragt? ... Meiner Treu', sie wollte nur eine einzige, und ich bringe ihr vier! Nun, sie mag sich eine nach Belieben davon auswählen.«


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