Adolph Freiherr Knigge
Benjamin Noldmann's Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Adolph Freiherr Knigge

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Zehntes Kapitel

Nachricht von den Fortschritten, welche indes die Aufklärung in Abyssinien gemacht hatte.

Es ist Zeit, daß wir nun sehen, wie weit das edle Aufklärungsgeschäft in Abyssinien bis zu der Thronbesteigung des neuen Königs vorgerückt war.

Wir haben gehört, daß der gute alte Negus sehr ernstlich darauf bedacht war, Wissenschaften und Künste in seinem Lande blühen zu machen, daß er dabey dem Rathe meines Herrn Vetters folgte und alles auf europäischen Fuß einzurichten sich bestrebte. Die Universität in Adowa kam bald in großen Flor; die von mir nach Abyssinien spedierten Gelehrten und Künstler suchten, jeder in seiner Art, sich Ruhm, Anhang, Schüler und Zöglinge zu verschaffen. Wo sie in den niedern Ständen einen Knaben entdeckten, in dem ein Funken eines höhern Genius loderte, da zogen sie, wie sie das nannten, das verborgne Talent aus dem Staube hervor; der Bauer-Junge lief vom Pfluge weg und setzte sich an den Schreibtisch oder hinter die Staffeley, und der Gärtner warf das Grabscheit in die Ecke, um die Geige zur Hand zu nehmen; der Schuster machte Verse und beschmutzte seine Dichter-Werkzeuge nicht mehr mit garstigem Pechdrahte; Academien der bildenden Künste wurden gestiftet, Preise ausgetheilt, und der alte Negus freuete sich herzlich, in Prosa und Versen als ein zweyter August geschildert zu werden und von einheimischen Künstlern hundertmal sein Antlitz auf Leinwand getragen und in Marmor gehauen zu sehen.

Die schönen Künste haben etwas sehr Verführerisches; bald wurde im ganzen Reiche in allen Ecken gepinselt, gefiddelt, geleyert, gedichtet, und wer auch über diese angenehmen Zeitvertreibe nicht jede bürgerliche und häusliche Beschäftigung aufgab, der theilte doch seine Zeit zwischen nützlicher Thätigkeit und dem Umgange mit den gefälligen Musen. Man fing an einzusehen, daß es zu einer guten Erziehung gehörte, nicht fremd in den schönen Künsten zu seyn, sich angenehme Talente zu erwerben; die jungen Mädchen ließen die einförmige Spindel ruhen und sangen und spielten süße abyssinische Lieder.

Man weiß, welchen Einfluß Poesie und Musik auf das Herz und die Sitten haben; auch in Abyssinien wurde dieser Einfluß sichtbar. Süßes Schmachten und zärtliche Sehnsucht schwammen nun in den Blicken der cultivierten Bürger-Töchter; nun erst sahen sie, welch ein liebliches, holdes Gesicht der bescheidne Mond hätte und wie traulich er auf sie herablächelte, wenn sie der langweiligen Spinnstube entschlichen und Arm in Arm mit den Nachbars-Söhnen in dem stillen Garten umherschlenderten. Der kleine, lose Liebesgott nützte diese glücklichen Stimmungen; der Schalk war aller Orten und ließ den bedächtlichern Hymen zu Hause. Man kam zurück von den altväterischen Begriffen von übertriebner Sittsamkeit und Keuschheit. – Sich des Lebens zu freuen, zu genießen, hier, wo so reiche Fülle ist, die schöne Jugend nicht zu verträumen und eine Handvoll kurzer Jahre nicht mit ernsthaften Grillen zu verderben – das war die bessere Philosophie, welche jetzt die weiser gewordnen, aufgeklärten, gebildeten Abyssinier studierten und in Ausübung brachten.

Die Großen des Hofs und überhaupt die Edelleute, die Affen des Monarchen, die ehemals sich's fast zu einer Ehre rechneten, nicht lesen und schreiben zu können, affectierten nun, wie Er, Beschützer der Gelehrten und Künstler zu seyn; Landjunker forderten von einem Manne, den sie als Verwalter annehmen wollten, daß er auch ein bißchen Baßgeige spielen mußte, schickten ein Fuder Korn in die Stadt und gaben ihrem Advocaten Auftrag, für das daraus zu lösende Geld Bücher für ihre Weiber und Töchter zu kaufen, die nun auch anfingen, von Wonne und Lebensgenuß und Mondenschein zu reden, Cicisbei zu halten und Romane zu spielen.

Als die Leute merkten, daß der Stand eines Gelehrten und Künstlers in Abyssinien in Ansehen kam und etwas dabey zu gewinnen war, da wollte nun jedermann studieren; der Schneider schämte sich seiner Nadel und schickte seinen Tölpel von Jungen in die Stadt-Schule, um einst die Ehre zu haben, ihn einen Degen tragen zu sehen, und der Bauer verkaufte einen Theil seines Erbguts, um seinen Knaben nach Adowa zu senden, damit dort in den gelehrten Treibhäusern die Keime des Genius aus seiner bäurischen Natur hervorgejagt würden.

Die Folgen von diesem allgemeinen Drange zur sogenannten Gelehrsamkeit wurden nach zehn Jahren, ja! schon, als ich nach Abyssinien zurückkam, sehr sichtbar. Man wird sich hierüber um so weniger wundern, wenn man sich erinnert, daß ich im elften und zwölften Kapitel des ersten Theils dieses Buchs erzählt habe, wie weit es damit schon gekommen war, ehe wir Deutsche in Abyssinien unser Wesen trieben. Die nützlichsten Stände im Staate, die erwerbenden Classen der Bürger, kamen in Verachtung und Abnahme und die glänzendere, verzehrende Classe in Flor. Da jetzt auch sehr viel mittelmäßige und schiefe Köpfe sich in die Studien warfen, so verlor man nach und nach die Idee, daß ein Mann, der sich einen Gelehrten nennte, gründliche Kenntnisse in seinem Fache haben müßte; und so erntete denn oft der unwissende Schwätzer und Windbeutel den Preis ein, zog die Vortheile, die dem wahren Verdienste gebührten. Die Menge der jungen Gelehrten, die sich zu den öffentlichen Ämtern drängten, war so groß, daß, um auf der Versorgungsliste in die Reihe zu kommen, man früher anfangen mußte, als der Verstand reif war, und ein Vater, um noch in seinem Alter die Freude zu erleben, seinen Sohn in einer Bedienung zu sehen, sich gezwungen sah, ihn ohne Vorkenntnisse auf Universitäten zu schicken und beynahe ebenso unwissend von da zurück in ein Amt zu rufen. Daraus entstand dann eine stillschweigende Convention, keine gründliche Kenntnis zu einzelnen Fächern zu fordern, sich mit oberflächlichem Wortkram zu begnügen; aber dagegen auch in allen Zweigen der Gelehrsamkeit herumzupfuschen. – Doch, ich habe ja schon den größten Theil dieser Verkehrtheiten beschrieben, als ich von dem Zustande der Wissenschaften bey meiner ersten Ankunft in Gondar redete, und füge also nur hinzu, daß dies alles im höchsten Grade zugenommen hatte, seitdem die Regierung die sogenannten Gelehrten und Künstler vorzüglich zu unterstützen, Aufklärung zu befördern, Academien, Buchdruckereyen und Buchläden anzulegen und Preßfreyheit einzuführen anfing.

Nun wetteiferten die Bücherschreiber in Abyssinien miteinander um den Preis, wer die größte Menge von Geistes-Producten liefern könnte, um die Wuth aller Stände nach täglich neuer Lectur zu stillen. Man kann sich wohl einbilden, was für Zeug dann zum Vorschein kam; allein die unbeschreibliche Veränderlichkeit der literarischen Moden, die eine sichere Folge des Mangels an gründlichen Kenntnissen und an echtem Geschmacke ist, bewirkte gewisse Perioden, wovon ich doch einige namhaft machen will.

Am fruchtbarsten waren die Romanschreiber. Anfangs nannte man einen Roman ein Buch, in welchem die Sitten guter und böser Menschen aus verschiednen Ständen so, wie sie in der wirklichen Welt beschaffen zu seyn pflegen, durch Erzählung und lebhafte Darstellung ihres Betragens in erdichteten, aber wahrscheinlichen, doch nicht immer alltäglichen Begebenheiten zum Beyspiele, zur Warnung und überhaupt zu Vermehrung der Menschenkenntnis geschildert wurden. – Und so war dann ein Roman ein nützliches Buch für junge Leute, die in die große Welt treten wollten und noch unbekannt waren in dem, was die Menschen, mit allen ihren Leidenschaften und Thorheiten, in derselben treiben, wirken, wünschen und begehren. Allein bald waren ihnen die gewöhnlichen, wirklichen oder möglichen Begebenheiten zu gemein und die mit Wahrheit dargestellten Menschen zu alltäglich. Da schafften die Herren Romanschreiber für ihr Publicum eine neue Welt, arbeiteten ins Wunderbare hinein, stellten Ideale von Menschen dar, wie sie nun freylich der Schöpfer nicht zu liefern im Stande ist, und ließen ihre Helden die unerwartetsten, unerhörtesten Schicksale, Freuden und Leiden erleben. Nun wurde die Phantasie der Jünglinge und Mädchen hoch über die gewöhnliche Welt hinaus erhoben; nun war alles, was sie umgab, ihnen zuwider; alles ekelte sie an; der gemeine Gang der Dinge war nichts für sie. Ein Mädchen hielt sich für verloren, wenn sie, ohne vorhergegangne Entführung, mit Beystimmung ihrer braven Eltern, einem ehrlichen Kerl die Hand als Gattin reichen sollte, und ein Jüngling, in dem der Geist der Aventüre in Brand gerieth, lief ohne bestimme Ursache in die weite Welt hinein, um zu sehen, was die wohlthätigen Feen da für ihn thun würden.

Als die Ideale, welche auf diese Weise den jungen Leuten in den Kopf gesetzt waren, sich nirgends realisiert finden wollten, da ging das Winseln über die erbärmliche Alltagswelt los. – So nannte man die Welt, welche der Schöpfer selbst recht gut fand, als er sie fertig hatte! Nun schrieben die Herren Büchermacher nur klägliche, rührende Geschichten; alles jammerte, empfindelte, seufzte. Diese empfindsame Periode griff dann die Nerven gewaltig an; jedermann klagte über Kränklichkeit und Vapeurs, beschwor seinen Freund, ihm einen Dolch in das Herz zu stoßen, um dem Leben voll Jammers ein Ende zu machen, und beschwor die Sterne, mitleidig auf das Elend dieses Erdenlebens herabzublicken.

Aber bald erwachte der Geist andrer Schriftsteller voll Drang und Kraft. Diese sprachen der Jugend Muth ein, ermunterten sie, nicht zu verzweifeln, sondern das Übel mit der Wurzel auszureißen. Die leidigen Conventionen und Regeln und Moralien – das waren die Fesseln, in denen die freye Menschheit seufzte und die man brechen mußte. – Fort also mit dem Zwange, den sogenannter Anstand, unnatürliche Gesetze, eingebildete Regeln auflegen! Dem Herzen, der Natur, den innern Trieben gefolgt und umgestürzt, was dem Genusse, für welchen wir geschaffen sind, und der Entwicklung größerer Kraft entgegen ist! – Das war die Parole, mit welcher nun das Reich des Geniewesens anfing. Nun trotzte der Jüngling kühn den langweiligen Vorschriften des Sittenpredigers, warf das Joch des bürgerlichen Zwanges und der feinern Lebensart weg, ließ die Haare um den Kopf hängen, nahm seinen Knotenstock in die Hand und ging, wohin ihn zu gehen gelüstete, wäre es auch in das Ehebette seines Bruders und Freundes gewesen. Er folgte seinen Trieben, und die Schriftsteller bewiesen ihm, daß kein Mensch anders handeln könne, als er handelt, daß oft der, welchen die ganze Welt für einen Bösewicht, Verwüster und Zerstörer der öffentlichen Ruhe gehalten hätte, ein größerer Mann gewesen als der hochgepriesene Wohlthäter des Menschengeschlechts, und daß alles gut und groß sey, wozu Kraft gehörte. Vergebens suchten einige ernsthafte Männer zu beweisen, daß Auflodern nicht erwärmendes Feuer, Stoß nicht Kraft genannt werden dürfe; daß wahre Kraft und Festigkeit und Muth im Ausdauern, in consequentem, regelmäßigem, bestimmtem Fortrücken zu reinen, verständigen Zwecken besteht. – Man spottete der Pedanten und rasete darauf los. Auch in den Wissenschaften und Künsten warf man alle Regeln zur Seite und verschrie die Vorschriften, welche aus der Natur geschöpft waren, als schändliche Fesseln des höhern Genies.

Diese Periode erhielt sich bis zu der größern Revolution, wovon ich in der Folge reden werde, und schien auch in der That äußerst passend für die Abyssinier, wie sie jetzt waren. Weichlichen, verzärtelten Menschen, mit äußerst reizbaren Nerven und dabey gewöhnt an Üppigkeit und Wohlleben und sinnlichen Kitzel, deren Phantasie immer mit der gesunden Vernunft davonlief und die dabey jede dauernde Anstrengung flohen, solchen Menschen war freylich ein System willkommen, nach welchem ihre Ausschweifungen gerechtfertigt wurden, ihre Fieber-Wuth für Kraft, ihre Unverschämtheit und Regellosigkeit für angeborne natürliche Freyheit und ihr polyhistorisches Geschwätz für Gelehrsamkeit galt.

Es ist nun Zeit, auch zu sagen, wie sich die Priester hiebey betrugen. Aus der neuern Geschichte von Abyssinien, die ich im ersten Theile dieses Buchs vorgetragen habe, wird man sich noch erinnern, daß das Ansehen der Geistlichkeit und der edeln Orthodoxie unter der Regierung des zuletzt verstorbnen Negus nicht eben sehr groß war. Als nun die Aufklärung so mächtige Fortschritte machte, man allen Zwang abschüttelte und eine gewisse Kühnheit in Grundsätzen und Handlungen allgemein wurde, da kam denn auch die Reihe an das Kirchen-System. Die Zeiten waren vorbey, wo man sich mit unnützen Grübeleyen über Glaubenslehren abgab; aber auch die Zeiten waren vorbey, wo man sich von dem Priesterstande vorschreiben ließ, was man glauben und denken sollte. Jetzt, da es auf alle Weise, wegen des unangenehmen Gedränges, in welches zuweilen die jetzige Moralität mit dem Religions-Systeme kam, bequemer war, auch dieses wegzuwerfen, machte man dazu Anstalt. Allein es war dem Genius des Zeitalters zuwider, dies mit einigem Forschungsgeiste zu unternehmen; leichter war es, auch in diesem Fache, wie in allen übrigen, mit Spott und Persiflage das anzugreifen, was zu mühsam mit Gründen zu bekämpfen war, und da der alte Negus die Pfaffen nicht schätzte und selbst immer aufgeklärter und toleranter wurde, so mußten die geistlichen Herren dies wohl geschehen lassen. Um jedoch nicht allen Einfluß zu verlieren, dreheten die Feinsten unter ihnen den Mantel nach dem Winde, fingen selbst an, Duldung zu predigen und die Glaubenslehren nach Zeit und Umständen zu modificieren. – Wie consequent dies gehandelt war und ob nicht die wenigen eifrigen Zeloten weiser handelten, die auch nicht Ein Tittelchen ausgelöscht haben wollten und, in Erwartung besserer Zeiten, nicht aufhörten, die Kanzel zu pauken, den Unglauben zu anathematisieren, Verderben und Untergang zu prophezeyen und mit Feuer vom Himmel zu drohen – das überlasse ich dem geneigten Leser zu entscheiden.


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