Adolph Freiherr Knigge
Benjamin Noldmann's Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Adolph Freiherr Knigge

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Fünftes Kapitel

Der Kronprinz erlebt einen verdrießlichen Vorfall,
verläßt die hessischen Dienste und
geht wieder auf Reisen.

Ich habe vorhin gesagt, daß unsre letztre Reise keine lobenswerthe Veränderung in der Gemüthsart und in den Sitten des Kronprinzen von Abyssinien bewirkt hatte und daß dies unangenehme Vorfälle nach sich zog; jetzt komme ich zu der Erzählung dieses Umstandes.

Die Ausschweifungen, denen sich Se. Hoheit ergab, hatten seine Natur geschwächt. Er war nicht mehr so leicht aus dem Schlafe zu wecken als ehemals und mehrentheils übler Laune, wenn er aus dem Bette aufstand. Eines Tages, da sein Kammerdiener vergebens sich bemüht hatte, ihn zu gehöriger Zeit auf die Beine zu bringen, erschien er vor seines Hauptmanns Hause, als die Companie schon nach dem Paradeplatze marschiert war. Der Capitän, ein Herr von Natsmer, der überhaupt den Ruf hatte, ein wenig strenge im Dienste zu seyn, fragte den Prinzen, als er sich endlich bey der Colonnade am Schlosse einfand, warum er so spät käme? Se. Hoheit nahmen dies sehr ungnädig, antworteten etwas naseweis und wurden (es thut mir leid, daß ich es erzählen muß), nachdem man ihnen erst zwanzig derbe Stockprügel hatte zumessen lassen, verurtheilt, einige Stunden krummgeschlossen zu werden.

Sobald ich Nachricht von dieser unehrerbiethigen Behandlung erfuhr, begab ich mich zu dem Herrn General, Commandanten und Obersten der ersten Garde, bat, versprach, drohete sogar mit der strengsten Ahndung von Seiten Sr. Abyssinischen Majestät, mußte aber die Demüthigung erleben, daß auf dies alles nicht geachtet und mir sogar bedeutet wurde, ich sollte mich bescheidner ausdrücken, wenn ich nicht Lust hätte, an mir selber eine kleine Execution vollziehen zu lassen. Was war also zu thun? Der Prinz mußte seine Strafe aushalten.

Wüthend kamen Se. Hoheit aus der Wachstube in ihr Hotel zurück; ich that alles, um den Prinzen zu trösten. »Man muß«, sagte ich, »aus jedem widrigen Vorfalle im menschlichen Leben nützliche Lehren zu ziehen suchen. Unsers allergnädigsten Königs Majestät haben gewünscht, daß Sie mit der militärischen Subordination bekannt werden möchten; und Sie haben diese Bekanntschaft, obgleich freylich auf schmerzliche Art, gemacht. Wer einst befehlen will, muß gehorchen lernen; auch diese Lection haben Ew. Hoheit heute erhalten. Endlich aber kann Sie dieser Vorfall noch auf wichtige Betrachtungen leiten. Sie sind von königlichem Stamme; in ganz Afrika macht man Ihnen das nicht streitig; hier hingegen will niemand Sie für einen Prinzen anerkennen; man behandelt Sie bloß als einen Menschen in den Verhältnissen von Unterwürfigkeit gegen stärkere Menschen. Dies, denke ich, müßte Ew. Hoheit auf den Gedanken führen, daß es doch wohl nicht eigentlich ein allgemeines Naturgesetz ist, was gewisse Sterbliche zu Fürsten macht, sondern daß man die Rücksicht auf den Unterschied der Stände nur der Übereinkunft zu danken hat; daß die Menschen, was in ihrer Macht steht zu geben und einzuräumen, auch wieder nehmen können; daß es also höchst wichtig und nöthig ist, sich Eigenschaften zu erwerben, die nicht von der willkürlichen Bestimmung des größern Haufens abhängen, sondern deren Werth von jedem Erdensohne anerkannt werden muß. Setzen Ew. Hoheit nun den Fall, daß, so wie man hier nichts von Ihrer königlichen Abstammung wissen will, auch die Völker in Afrika plötzlich auf den Einfall kämen, Sie nicht mehr für vornehmer halten zu wollen als jeden andern Bürger im Staate; dann, gnädigster Herr! würden Sie doch wirklich aufhören, Fürst zu seyn, weil Sie nur dadurch Fürst sind, daß man Sie dafür anerkennt, weil nicht die Natur, sondern die Convention Fürsten schafft. – Was würde Ihnen dann übrigbleiben, womit Sie sich Unterhalt, Schutz und Achtung erwerben könnten, wenn Sie nicht dafür gesorgt hätten, sich zu einem bessern Menschen zu bilden? Sie sehen hier, daß man in der Welt Schläge austheilt und Schläge bekömmt, je nachdem die äußern Umstände es mit sich bringen, und daß die Natur es nicht ist, die manche Menschen-Gattungen geboren werden läßt, um ewig geprügelt zu werden, und andre, um immer zu prügeln.«

Sehr kräftige dauernde Eindrücke machte diese meine Predigt nun wohl nicht auf den Prinzen; aber ich tröstete mich damit, meine Pflicht erfüllt zu haben; übrigens war doch auch mir dieser Vorfall sehr ärgerlich, und da ohnehin nie zu erwarten war, daß Se. Hoheit in Deutschland zu höhern militärischen Ehrenstellen hinaufrücken würden, so glaubte ich es verantworten zu können, daß ich den Prinzen seinen Abschied fordern ließ, welcher ihm, seiner Capitulation gemäß, nicht verweigert werden durfte. Die Begebenheit selber aber berichtete ich, mit einiger Vorsicht, nach Abyssinien und meldete dem Könige, daß wir nun unsre Reise durch Deutschland fortsetzen und auch die Höfe besuchen würden.

Von dieser Reise werde ich, wie von der vorigen, keine weitläufige Beschreibung liefern, sondern wiederum nur einzelne Bemerkungen mittheilen, die meine Abyssinier über die Sitten und Einrichtungen in Deutschland machten, und hie und da irgendeinen Vorfall erzählen, der uns begegnete. Wir durchstreiften übrigens diesmal den größten Theil der westlichen und südlichen Provinzen meines Vaterlandes und nahmen dann, wie man hören wird, den Rückweg durch die preußischen Staaten.

Äußerst auffallend war meinen Reisegefährten die Menge und Mannigfaltigkeit der Gesetze, die Verschiedenheit des Münzfußes, des Maßes, des Gewichts, der Regierungsform, der Lebensart und der Gebräuche. Sie meinten, auf unsern Reichstagen, wo doch wohl manche wichtige Dinge verhandelt würden, möchte es der Mühe werth seyn, diese Buntscheckigkeit endlich abzuschaffen. »Für Fremde und Einheimische ist das alles gleich unbequem«, sagte Manim, »in manchem deutschen Staate, der kaum drey Quadrat-Meilen groß ist, gibt es mehr zum Theil sich widersprechende Verordnungen, als ein Mensch, erreichte er auch Methusalems Alter, im Gedächtnisse fassen kann. Jeder Stand, jeder Ort hat seine eignen Sitten, und mit der feinen Lebensart, mit welcher man in Einer Gesellschaft allgemein gefällt, gilt man in der andern für einen abgeschmackten Menschen. Die Verschiedenheit des Maßes, Gewichtes und Münzfußes macht unbeschreibliche Verwirrung und Erschwerung im Handel. Ihr rechnet nach Geld-Sorten, die gar nicht existieren. Der Kaufmann, der sein Hauptbuch schließen will, muß sich den Kopf zerbrechen, um die Procente mit courenten, mit den Species-, mit den Banco-Thalern, leichten und schweren Gulden, Kreuzern, Stübern, guten Groschen, Marien-Groschen, Albus, Dreyern, Batzen, Pfennigen, Hellern, lübischen, dänischen, flämischen Schillingen und Groten, Petermännchen und Gott weiß! mit welchem Zeuge zu vergleichen, seine Agio-Rechnung und seinen Abschluß zu machen. Post-Anstalten, Meilen-Berechnung, Wege, Zölle, alles ist unendlich verschieden. Man verliert Geduld, Zeit und Geld dabey.«

Was die Post betrifft, so hatten wir damit einen sonderbaren Vorfall. Einer unsrer Bedienten hatte, ich weiß nicht mehr wo, der öffentlichen fahrenden Post einen Koffer, worin seine sämtliche Wäsche war, weil kein Raum mehr dafür auf unserm Bagage-Wagen gewesen, anvertrauet. Der Adresse nach sollten wir ihn in Frankfurt finden; allein es kam die Nachricht, der Koffer sey vom Wagen gestohlen worden, und man könne ihm nichts dafür vergüten, weil in dem Lande, wo er ihn auf die Post gegeben, eine Verordnung statthabe, nach welcher man nur dann den Werth der von dem Postwagen gestohlnen Sachen ersetzte, wenn dieser Werth von dem Eigenthümer vorher wäre angegeben worden. Wir stellten dagegen vor: es sey albern, von einem Fremden zu verlangen, daß er jede Verordnung eines Landes kennen sollte, besonders solche Verordnungen, die gegen alle Begriffe von Billigkeit und Recht stritten. Ein Landesherr sollte überhaupt, soviel er kann, für die Sicherheit der Heerstraßen einstehen und selbst dann, wenn die Post mit Gewalt angefallen und bestohlen würde, den Schaden ersetzen, weil die Post ihm eine Revenüe gewährte, weil man theures Porto bezahlen müßte, weil es einem Reisenden in diesem Lande nicht einmal freygestellt sey, ob er mit der Post oder mit anderm Fuhrwerke reisen wollte; allein diesmal sey gar nicht der Fall einer gewaltsamen Beraubung gewesen, sondern man hätte denen Leuten den Koffer unter den Händen weggestohlen, welchen er anvertrauet gewesen. Die Post-Direction sey doch also wenigstens gewiß als ein negotiorum gestor anzusehen und müsse für dasjenige haften, was durch Vernachlässigung ihrer Leute verlorenginge. Die Verordnung, daß der Werth der Sachen vorher angegeben werden müßte, sey dem Fremden, bey Ablieferung des Koffers, nicht bekanntgemacht worden; woher sollte er sie also wissen? Man könne sich leicht einbilden, daß, wenn er sie gewußt hätte, er, da es nicht wohl möglich sey, seine Wäsche u. d. gl. genau zu taxieren, den Werth zehnmal höher würde angegeben haben, da dies doch nichts mehr kostete; und wäre das geschehen, so müßte sie nun mehr bezahlen, als gerecht wäre. Diese ebenso unbillige als zwecklose Verordnung könne also nur dazu dienen, die Postknechte zu verleiten, daß sie unerfahrne Reisende bestöhlen, und Fremde zu bestimmen, ein Land zu fliehen, wo man seines Eigenthums nicht sicher sey, wenn man nicht zehntausend Verordnungen in der kurzen Zeit seines Aufenthalts durchstudieren könne. – Alle diese Vorstellungen halfen nichts, und der arme Bediente erhielt keine Vergütung für seinen Verlust.

In einer Stadt, die ich nicht nennen will, waren wir Zeugen einer Scene, die mich innigst rührte, weil sie mir bewies, daß noch nicht alle Stände in Deutschland den Sinn für Tugend und Keuschheit verloren hatten. Dem regierenden Fürsten daselbst, der ein sehr ausschweifendes, sittenloses Leben führte, war einst die Tochter eines Bürgers begegnet; sie hatte ihm gefallen, und er hatte ihr den Antrag thun lassen, seine Buhlerin zu werden. Das Mädchen verwarf mit Würde diesen entehrenden Antrag, und ihr Vater, ein nervichter Bierbrauer, warf den Unterhändler zur Thür hinaus. Kurz darauf starb das ehrliche Mädchen; und nun beeiferte sich jedermann, ihren Sarg mit atlassnen Kissen, mit Kronen und Blumen zu schmücken, und vor des Fürsten Schloß vorbey führte man den Leichenzug, dem unzählige gutgesinnte Einwohner aus allen Ständen folgten. Wir hatten das Glück, grade um diese Zeit in der Stadt zu seyn, und ich nützte die Gelegenheit, um meinem Prinzen eine kleine Lection zu geben, die aber leider! auf seinem polierten Fürsten-Herzen abgleitete.

Auf der benachbarten Universität hielten wir uns einige Tage auf und besuchten da einige berühmte Männer, von denen ich hier keine Schilderung entwerfe, weil ich es für unverschämt halte, dem Beyspiele unserer neuern Reisenden zu folgen, die sich in die Studierzimmer der Gelehrten eindrängen, ihnen da eine Menge platter Schmeicheleyen vorsagen, und wenn dann die gutmüthigen Männer das für bares Geld annehmen, in froher Herzens-Ergießung irgendein nicht ganz weises Wort fallenlassen oder in Augenblicken der Zerstreuung und Überraschung ein wenig unzusammenhängend reden oder das Unglück haben, nicht grade so zu seyn und auszusehen, wie es den Reisenden gefallen hat, sich den Mann zu denken, das Unglück erleben müssen, eine schiefe Schilderung von sich oder eine wörtliche Wiederholung ihrer vertraulichen Gespräche in irgendeinem Journale gedruckt zu lesen.

Man behandelte uns sehr ehrenvoll auf dieser Universität, und ich beschloß, mit meinem Prinzen sechs Wochen dazubleiben und einigen Vorlesungen beyzuwohnen.

Einst hatte ich mit einem Professor der Statistik ein Gespräch über die Sitten einiger wilden Völker. Ich wagte es, zu behaupten, daß nicht eigentlich die Natur, sondern nur gewisse, durch Vorurtheil erzeugte Begriffe uns einen so großen Abscheu gegen das Essen des Menschenfleisches einflößten. Ob Menschenfleisch ein appetitlicher Bissen sey, sagte ich, das wüßte ich nicht; aber das glaubte ich nicht, daß ein allgemeiner Instinct in uns einen größern Ekel gegen das Fleisch eines frisch getöteten Menschen erzeugte als gegen das Fleisch irgendeines andern Thiers. Dies war eine Hypothese, die ich nur so hinwarf; aber ich war nicht wenig verwundert, als ich kurz nachher in einer historischen Zeitschrift, die dieser Professor herausgab, die Nachricht las, daß die Abyssinier Menschenfresser wären.

Man that kurz vor unsrer Abreise von da dem Kronprinzen den Antrag, die Doctorwürde in der Rechtsgelehrsamkeit anzunehmen. Ich hatte Mühe, Sr. Hoheit begreiflich zu machen, wozu eigentlich diese pedantische Posse dienen könnte; und als es ihm deutlich wurde, da konnte ich doch weder ihn noch einen von seinen Hofleuten bewegen, diese Farce mit sich spielen zu lassen, welche sie wirklich als ein Überbleibsel der Barbarey und als eine Satyre auf die wahre Gelehrsamkeit ansahen. Der einzige Soban entschloß sich endlich, diese Mummerey mit sich vornehmen zu lassen. Zu diesem Endzwecke schrieb ich ihm eine sehr gelehrte Dissertation. Ich wählte einen Gegenstand aus der Lehre von den Testamenten und bewies, wie philosophisch, billig und vernünftig das Gesetz in Ansehung der Quadrigae wäre. Dies Gesetz nämlich, welches vielleicht manchen meiner Leser unbekannt ist, verordnet, daß, wenn jemand in seinem Testamente einem Freunde einen Zug von vier Pferden vermacht und indes eines von den vier Pferden stirbt, der Freund – gar nichts bekömmt, weil der Erblasser ihm nicht drey, sondern vier Pferde habe schenken wollen. In der That kann man nichts Weiseres ersinnen als dies Gesetz; auch fand meine Disputation allgemeinen Beyfall; der Ritter und Hofnarr Soban wurde Doctor juris darüber, las Reden und Antworten her, die ich ihm aufgesetzt hatte; ich und der Reise-Stallmeister opponierten, und alles ging vortrefflich von Statten, denn bey dem Examen wurde alter Rheinwein herumgereicht. Zwey Tage nach dieser Feyerlichkeit reiseten wir weiter.


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