Adolph Freiherr Knigge
Benjamin Noldmann's Geschichte der Aufklärung in Abyssinien
Adolph Freiherr Knigge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel

Bruchstücke aus der neuern Geschichte Abyssiniens.

Wir haben gesehen, wie nach und nach sich das Familien-Regiment an der Hand der Zeit, durch natürliche Revolutionen, in eine republicanische, dann in eine monarchische Form ummodelte und endlich in unbegrenzten Despotismus ausartete. Allein bis jetzt wurde von Seiten des Königs dabey nicht eigentlich planmäßig zu Werke gegangen; doch bald kam es auch dahin, daß der Despotismus in ein System gebracht wurde. Aus dem vorhin Erzählten läßt sich leicht schließen, daß die Menschen, welche der König um sich her versammelte, eine Rotte nichtswürdiger, sclavischer Schmeichler ausmachten; denn die, deren Herz und Sitten noch unverderbt waren, flohen den Hof, welcher der Sitz der Schwelgerey, der Üppigkeit und des Müßiggangs geworden war. Jene aber verführten den Despoten zu immer größern Ausschweifungen, Inconsequenzen, Thorheiten und zu dem Mißbrauche seiner Gewalt. Die Schlauesten unter ihnen wurden seine Lieblinge, gaben ihm Anschläge, wie er es anfangen müßte, der Nation noch den letzten Schatten von Freyheit zu rauben, und indem sie ihm behilflich waren, die unumschränkteste Gewalt in seine Hände zu legen, regierten sie den Despoten und suchten sich auf Kosten des Staats zu bereichern.

Nun wurden alle Bedienungen mit den Creaturen der Lieblinge besetzt, Besoldungen und Jahrgelder an Unwissende und Bösewichte ausgetheilt; Partheylichkeit, Ungerechtigkeit und Bestechung herrschten in allen Departements. Man gab willkürlich Verordnungen und Gesetze, deren eines dem andern widersprach, verhing gegen die Übertreter derselben Strafen, die nicht im Verhältnisse mit den Verbrechen standen und die man nach Gutdünken erschwerte, minderte oder nachließ. Freygeborne Menschen wurden wie Sclaven am Leibe bestraft, ja! endlich sogar am Leben.

In den Befehlen, welche der König gab, las man nun die Ausdrücke: Gnade, unterthänigste Befolgung und mehr solcher empörenden Phrasen. Man sprach von der Heiligkeit der Person des Monarchen, von Majestät und dem Verbrechen der beleidigten Majestät.

Rechte, die jedem freyen Manne zukommen, zum Beyspiel die wilden Thiere auf dem Felde, die Vögel in der Luft zu schießen und die Fische im Wasser zu fangen, erklärte man für Regalien oder beschenkte nichtswürdige Günstlinge mit diesen Befugnissen.

Auch Handel und Gewerbe blieben nicht frey. Man ertheilte Privilegien, Monopolia, Exemtionen von gewissen Verordnungen an einzelne Personen und hielt es nicht für Pflicht noch der Mühe werth, der Nation andre Ursachen für dies alles anzugeben, als daß es Seiner Majestät gnädig gefallen habe, es also zu verordnen.

Um jedoch irgendeinen Schein anzunehmen, als wenn diese abscheulichen Eingriffe in die Rechte der Menschheit und der gesunden Vernunft mit Beystimmung des Volks geschähen, versammelte man noch einmal die Repräsentanten der ganzen Nation; allein man wußte durch Bestechungen, Verheißungen und Drohungen die Wahl dieser Repräsentanten so zu lenken, daß nur sclavische und unwissende Menschen sich dort versammelten und alles billigten, was der Despot vorschlug.

Der König bauete sich eine große, prächtige Stadt, die Axum hieß, jetzt aber nicht mehr die Residenz ist, seitdem Gondar gebauet worden. Dort lebte er in asiatischem Puppenglanze, von seinen Sclaven umgeben. Man veranstaltete daselbst das ganze Jahr hindurch Feste, Schauspiele und Feyerlichkeiten, welche die Augen des Volks blendeten, die Sinne reizten, die Vernunft übertäubten und von ernsthaften Betrachtungen ableiteten. Da tanzte und spielte man die Grillen weg und umwand sich die Sclavenketten mit Rosen.

Allein noch gab es eine Anzahl fester, von der allgemeinen Corruption weniger angesteckten Männer, die endlich des Unwesens müde wurden, sich laut und kräftig den Tyranneyen und Bedrückungen widersetzten und sich weigerten, willkürliche, thörichte und verderbliche Verordnungen zu befolgen. Die Besitzer nämlich der größern Güter, die Häupter der Stämme, die des Hofs nicht bedurften, nach keinen Pensionen angelten, keine Bedienungen suchten, sondern fern von der Residenz auf dem Lande lebten und sich, wie billig, als Mitregenten und Stellvertreter ihrer ärmern Nachbarn ansahen, hielten lange Zeit dem Despotismus die Stange. Dies war der eigentliche Adel des Reichs. Es war eine mächtige Partey, die man schonen mußte; und wirklich sah sich der Despot gezwungen, einige seiner Verordnungen zurückzunehmen, um einem allgemeinen Aufruhr vorzubeugen. Freylich wurden viele von ihnen auch nach und nach des ewigen Protestierens müde, liebten die Ruhe und ließen manches geschehen, was grade nicht unmittelbar sie und ihre Unterthanen traf; doch blieb diese Partey noch immer mächtig genug, um den Despoten in die Nothwendigkeit zu setzen, auf andre Mittel zu denken, sich auch diesen Stand unterwürfig zu machen. Hierzu nun bediente man sich schlauer Kunstgriffe. Man ertheilte einigen von ihnen wichtige Bedienungen, lockte sie in die Residenz, verführte ihre Kinder, erweckte in ihnen den Hang zur Pracht, zu eiteln Vergnügungen, zum Flitterstaate. Da ließen sie nun ihre Besitzungen in den Händen eigennütziger Verwalter und Pächter, verzehrten, was ihnen diese gaben, in der Stadt, richteten sich durch unnützen Aufwand zu Grunde und verarmten. Als man viele so weit gebracht hatte, schoß man einigen Geld vor und machte sie dadurch abhängig vom Hofe. Andern that man den Vorschlag, gegen gewisse Summen, die man ihnen schenkte, ihre Güter für ein Eigenthum des Königs zu erklären und sich von ihm zu Lehn zu nehmen. Wenn die Familien ausstarben, ertheilte man diese Lehne an Creaturen des Hofs. Man reizte die Eitelkeit von andern, erfand unnütze Hof-Bedienungen, Titel und dergleichen, die man ausschließlich dem Adel zusicherte, maßte sich das Recht an, diesen Adel zu ertheilen und erblich werden zu lassen. Man gewöhnte die Menschen, Werth auf kleine, elende äußere Auszeichnungen zu legen, auf Bänder und Ketten, die man ihnen umhing, auf gewisse Kleidungen, die man ihnen zu tragen erlaubte, auf Stellen, die einen gewissen Rang gaben. Da rissen sich dann die Leute um die Ehre, dem Könige den Sonnenschirm nachtragen zu dürfen oder den Schlüssel zu seinem heimlichen Gemache in Verwahrung zu haben, ihm die Braten zu zerlegen, seine Livree zu tragen, ihm die Schuhe zu küssen und dann wieder seine eignen Knechte zu ähnlichen niederträchtigen Diensten zwingen zu dürfen. Diese Vorrechte aber wurden nur dem Adel ertheilt, und die Idee, daß hierin wirklich wahrer Werth beruhe, ging unmerklich in alle Stände über; jeder rang darnach, ein Ämtchen, wobey er müßiggehen konnte, ein Titelchen, einen Adelsbrief oder dergleichen zu erhaschen. Nun fehlte es dem Despoten nicht an Mitteln, das Volk zu fesseln, und der Adel, welcher ehemals eine Vormauer gegen die Eingriffe des Tyrannen gewesen war, wurde nun das Werkzeug zu gänzlicher Unterjochung der Nation.

Seitdem der König sich das Recht zu verschaffen gewußt hatte, nach Belieben seine Einkünfte zu vermehren, die Staats-Cassen als die seinigen anzusehen, Lehne einzuziehen, Regalien zu erfinden etc., war er freylich sehr reich geworden; allein der ungeheure Luxus, welcher am Hofe herrschte, die Verschwendung aller Art und dabey die unordentliche und betrügerische Verwaltung der Staats-Einkünfte erschöpfte doch die Cassen. Davon war nun gar nicht mehr die Rede, daß man dem Volke Rechnung von Verwendung der Gelder thun müsse. Dem Könige war jedermann Rechenschaft schuldig; er niemand. Allerley neue Regalien, die man erfand, Handlungs-Operationen, neue Anlagen von Bergwerken, Marmor-Gruben, Zölle, Geld-Strafen und viel andre Mittel hatte man schon versucht; doch war man noch nicht so kühn gewesen, das bestimmte Privat-Vermögen der Unterthanen unmittelbar anzugreifen und sie mit Auflagen zu belästigen; jetzt kam auch daran die Reihe. Man forderte Abgaben, Steuern; um aber gegen alle Widersetzungen sicher zu seyn, befreyete man den Adel und andre Stände, die Einfluß auf das Volk hatten, von diesen Steuern und wälzte die ganze Last derselben auf den ärmern Theil der Nation, der nun, um das Geld herbeyzuschaffen, wovon Müßiggänger, Hofschranzen, Geiger, Pfeifer und Huren besoldet wurden, vom frühen Morgen bis spät in die Nacht, im Schweiße seines Angesichts arbeiten mußte. Da verlor dann der niedergebeugte Unterthan allen Muth, allen Lebens-Genuß, alle Hoffnung, ein wenig wohlhabender zu werden, für seine Kinder etwas zu sammeln. – Ja! man fing an, genau zu berechnen, wieviel man dem Bauer erlauben dürfe zu besitzen; wieviel man ihm jährlich von seinem eignen, selbst erworbnen Vermögen lassen dürfe, ohne daß er übermüthig würde, das heißt: ohne daß er fühlte, daß er ein Mensch wäre, und damit er doch auch nicht verhungerte, auch Kräfte genug behielte, um wieder so viel herbeyzuarbeiten, als man ihm im folgenden Jahre nehmen wollte.

Dabey herrschte in der Residenz und in den übrigen Städten das allgemeinste Verderbnis der Sitten. Die unnatürlichsten, unmenschlichsten Laster wurden öffentlich getrieben; man rühmte sich seiner Verbrechen; die abscheulichsten Ausschweifungen zu begehen, das gehörte zu dem Ton der großen Welt. Von den schändlichsten Krankheiten wurden ganze Familien angegriffen. Man erreichte nicht mehr die Hälfte des ehemals gewöhnlichen Menschenalters; häusliche Glückseligkeit, Treue und Glauben, Menschenliebe und Gesundheit fand man nur in den Hütten der Armen.

Die Vornehmen hielten sich berechtigt, nicht unter dem Zwange der Gesetze zu stehen, und konnten sie sich ihnen auch nicht ganz entziehen, so war doch mit einer Hand voll Geld alles wiedergutzumachen, und es gab andre Strafen für den Reichen als für den Armen, andre für den Edelmann als für den Bauer. Wenn dieser ein Jagd-Thier schoß, so wurde er lebendig gespießt; wenn jener einen Knecht tötete, so wurde er zu einer mäßigen Geld-Buße verurtheilt. – Ein Gesetz aber, dem der König unterworfen gewesen wäre, gab es gar nicht.

Nun wirkten in allen Ständen nur drey Triebfedern zu allen Handlungen: Eitelkeit, sinnlicher Genuß und Geldgier. Um Gewinst war es dem Richter bey Verwaltung der Justiz zu thun. Gerechtigkeit wurde eine Wissenschaft; die Menge der unbestimmten, schwankenden, sich widersprechenden Gesetze erforderte bey jedem einzelnen Falle eine besondere Auslegung. Man stellte Sachwalter an, welche die Kunst, diese Gesetze auf allerley Seiten zu drehen, zu einem eignen Studium machten. Gesunde Vernunft und klare, kurze mündliche Darstellung wurden aus den Gerichtshöfen verbannt. Die einfachsten Processe wurden Jahre lang herumgezerrt, bis beide Parteyen soviel an Gerichtsgebühren und Proceßkosten ausgegeben hatten, als der ganze Gegenstand des Streits werth war. Falsche Beredsamkeit, Bestechung, Gunst und Chicane lenkten das Unheil zu ihrem Vortheile.

Der für die Menschheit so wohlthätige Stand eines Arztes verlor nicht weniger als der des Richters von seiner Würde. Zu ihm durfte nicht mehr der Arme seine Zuflucht nehmen, wenn der Tod drohete, sechs unmündige Kinder zu Waisen zu machen, die, sobald sie ihrer einzigen Stütze, ihres Vaters, beraubt wurden, von dessen Erwerbe sie lebten, betteln mußten; sondern der Arzt war nun nur für reiche Kranke sichtbar. Wie sollte er es anfangen, wenn er mit seiner Familie leben, und was man nennt anständig leben, wollte? Und anständig, das heißt: mit einigem Aufwande mußte er leben, wenn es ihm um Praxis zu thun war, denn sonst nannte man ihn den Bettel-Doctor, und niemand vertrauete sich ihm an; denn, wenn der Kerl etwas verstünde, sprach man, so würde er nicht so armselig leben müssen. Der Staat besoldete ihn nicht; also mußte er sich bei den Großen und Reichen einzuschmeicheln suchen, des Morgens seine theure Zeit bey ihnen verlieren, um ihre Klagen über eingebildete oder solche Übel anzuhören, die sie sich selber durch Unmäßigkeit zugezogen hatten. Aber er mußte auch dabey ein Schmeichler, ein angenehmer Gesellschafter seyn, mußte Stadt-Anecdoten zu erzählen wissen. Seine Arzeneyen sollten leicht und angenehm zu nehmen, durften nicht zu wohlfeil seyn, und da man immer nach neuen, unerhörten Dingen haschte, so mußten seine Methoden auch neu seyn oder wenigstens neue Namen haben. Er durfte keine strenge Diät vorschreiben, und das Publicum mußte einige glückliche Haupt-Curen von ihm zu erzählen wissen. Da war denn keine Art von Charlatanerie, zu welcher sich die Söhne Äsculaps nicht herabließen, um Geld in ihren Beutel zu spielen, ihre Amtsbrüder herabzuwürdigen und sich zu erheben. Bey den unbedeutendsten Übeln schüttelten sie bedächtlich den Kopf, um nachher ihre Mühe und ihr Verdienst desto theurer anrechnen zu können; gegen eine Unpäßlichkeit, die durch das einfachste Mittel, vielleicht nur durch Lebensordnung, zu überwinden war, zogen sie mit ganzen Heeren von Quacksalbereyen zu Felde. Sie suchten Einer den Andern zu verleumden und zu verfolgen, statt brüderlich in Gemeinschaft zu arbeiten, um ihre Kunst auf feste Grundsätze zu bringen. Sie verkauften Arcana, Wunder-Essenzen, von deren Nichtigkeit sie selbst überzeugt waren; sie machten an armen Leuten allerley Proben und Curarten und erhoben die, an welchen die wenigsten Schlachtopfer starben, als neu erfundne, unfehlbare Heilungsmittel. Da herrschten dann allerley Moden in der Arzeneykunst, und was man in diesem Jahre in einer Krankheit für Gift hielt, wurde im folgenden als ein unfehlbares Mittel in derselben Krankheit angepriesen.

So wie mit der Heilkunde, so ging es auch mit den übrigen Wissenschaften. Die Begierde zu allem, was unbekannt, wunderbar, unerhört war, brachte eine Frivolität, Bizarrerie und Neuerungssucht in alle Fächer, die der wahren Gelehrsamkeit unendlichen Schaden thaten; und da ernsthaftes Nachdenken über denselben Gegenstand lange Weile machte, so wurde alles nur oberflächlich behandelt, von der lustigen Seite angesehen. – Witz und Persiflage spielten den Meister über gründliche Darstellung; man bezahlte sich mit wohlklingenden Worten, ohne Sinn und ernsthaftes Studium; Bestimmtheit in Begriffen und Ausdrücken hieß Pedanterey. Jedermann wollte alles wissen, um von allem reden, über alles lachen zu können; ein Mann, der nur in einem Fache groß war, galt für einen beschränkten Kopf. Der Stutzer plauderte über Staatswirthschaft; in dem Zirkel um den Nachtstuhl einer Dame her wurden philosophische Probleme aufgelöset. Comische Gegenstände wurden metaphysisch; wichtige, der ganzen Menschheit interessante Materien in Marionettenspielen abgehandelt. Man prägte neue Worte für Dinge, womit man gar keinen Begriff verband; man appellierte an das Gefühl, wo die Vernunft zu ungeschmeidig war, sich von der Phantasie nicht wie ein Freudenmädchen wollte behandeln lassen. Man schwätzte, wo man wirken sollte; man spannte ohne Unterlaß die Einbildungskraft an, interessierte sich für eine Ideenwelt, indes man in der wirklichen alles gehen ließ, wie es ging. Man fand Genuß, Wonne darin, nie aus einem fieberhaften Zustande zu kommen, und machte sich eine Ehre daraus, an Leib und Seele kränklich zu scheinen. Männliche, ernste Beredsamkeit verwandelte sich in zierlichen, schallenden Wortprunk; die schönen Künste arbeiteten nur zu dem Zwecke, die Nerven zu kitzeln; die Dichter feuerten nicht mehr durch erhabne, geistreiche Gesänge zu großen Thaten an, sondern sangen im Posaunenton das Lob der Großen und Reichen, beleyerten unwichtige, kleine Gegenstände oder erhitzten durch üppige Bilder die Einbildungskraft feuriger Jünglinge und geiler Schwelger; und als auch dies Gewürz den Gaumen nicht mehr kitzelte, suchte man durch Darstellung riesenmäßiger Zauber-Scenen und schändlicher Greuel die verwöhnten, immer nach unerwarteten Eindrücken schnappenden Herzen aufzurühren. Eine natürliche, gesangvolle Melodie ermüdete die Ohren; man forderte ein Gewühl von Tönen. Ein einfacher Plan, kunstlos, mit Wahrheit und Würde ausgeführt, machte lange Weile; man forderte Verwicklung, Überspannung, buntes Guckkasten-Spiel.


 << zurück weiter >>