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Der Herausgeber sieht sich genöthigt, fünf Abende aus diesem Buche herauszuschneiden, und Das darum, weil die Begebenheiten, die sie enthalten, einigen Vorfällen unsrer neuern Zeit so ähnlich sind, daß man sagen sollte, Mahal habe seine Reisen im achtzehnten Jahrhundert und zwar nicht in Asien, sondern in dem christlich aufgeklärten Europa gemacht. Auch er mag keine Eulen nach Athen tragen. Das Ausgelassene würde nur dem Einzelnen gleichen, nicht dem Menschengeschlechte; und wer bedürfte auch heute der Erinnerung an das Einzelne, da wir Lebenden Zeugen davon waren, und die Geschichte es den künftig Lebenden genug erzählen wird, wenn es nicht die Folgen des Geschehenen selbst thun.
Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag, rollte seine Handschrift aus einander und wollte eben beginnen, als der Khalife sagte:
»Ben Hafi, du hast mir seit einiger Zeit so widrige und scheußliche Märchen erzählt, daß ich mein Wort so heilig halten muß, als ich zu thun gewohnt bin, um dich ferner anzuhören.«
Ben Hafi. Das Uebel davon ist nur, daß sie wahr sind, und das Gute davon ist, daß sie für die Völker und ihre Beherrscher vielleicht belehrend sein können.
Khalife. Ich hoffe, nach der Sündfluth wird sich so etwas nicht mehr zutragen, und ferner hoffe ich, daß dein heutiges Märchen lustiger sein wird, als die letzten traurigen.
Ben Hafi. Ich stehe für nichts; doch schmeichle ich mir, ein Umstand darin wird dem Herrn der Gläubigen gefallen.
Khalife. So muß es gewiß das Letzte sein.
Ben Hafi. Meine Eigenliebe erlaubt es nicht, dir dieses zuzustehen.
Die Laune Mahals, Nachfolger des Propheten, die eben nicht die sanfteste war, stieg durch diese Erfahrungen und Kränkungen bis zum giftigsten Groll, und in dieser Stimmung lief er nun über die ihm verhaßte Erde hin. Nach seiner Geißelung, nach den Schauspielen, denen er in *** und in *** u.s.w. als Zuschauer und Theilnehmer beigewohnt hatte, schwebten nun ohne Unterlaß Verwünschungen gegen das ganze Menschengeschlecht auf seiner Zunge. Er warf die Menschen insgesammt dem Zorne des Herrn, als dem Verderben völlig gereift, hin und wünschte herzlich den Tag der großen Rache bald zu sehen. Aber leider arbeitete demohngeachtet sein empörter Geist noch immer fort, den sich vor seinen Augen immer mehr verwirrenden Knoten des menschlichen Lebens aufzuwickeln. Und wie gelänge dies dem empörten Geiste des Menschen, da es dem stillen, sanften und bescheidenen nicht gelingt, wenn er aufhört, weise zu sein, und diesem düstern Abgrund naht? Noch immer dünkte Mahal, er habe nur Worte erlernt, alle die tollen Triebe und ihn empörenden Erscheinungen zu benennen, aber keines dieser Worte erklärte ihm das Wie? Warum? Wozu? Daß die Menschen das gedrohte Verderben verdienten, darüber war er völlig einig; aber der Vernünftler wollte auch gern wissen, warum sie dahin kommen mußten? Warum sie Das, was sie von den Thieren unterschiede und so hoch über sie stellte, gerade dazu anwendeten, um unter sie zu sinken? Warum sie ihre Vernunft, ihren Witz, ihre wunderbare, schöpferische Einbildungskraft, die Fähigkeiten, die Künste gerade zum Bösen und, wie es schiene, aus Willkühr zum Bösen –
Khalife. Ich will hierüber nichts mehr hören. Unser Buch beantwortet, wie du weißt, alle diese kühnen Fragen.
Ben Hafi. Allerdings, aber Mahal kannte es nicht.
Khalife. So konnte er doch wissen, daß alles Böse von Eblis, von dem Teufel kommt.
»Gott sagte: wir schufen den Menschen aus getrocknetem Thone und schwarzem Leimen und bildeten daraus seine Gestalt. Vorher hatten wir den Teufel aus seinem Feuer geschaffen. Erinnere dich, daß dein Herr zu den Engeln sagte: gewiß ich gehe damit um, den Menschen aus getrocknetem Tone und schwarzem Leimen zu schaffen und ihm eine Gestalt zu geben: wenn ich ihn ganz gebildet und ihm meinen Geist eingehaucht habe, so sollt ihr niederfallen und ihn verehren. Und alle Engel zusammen verehrten Adam, außer Eblis, der nicht unter den Engeln war. Und Gott sagte zu ihm: Eblis, warum warst du nicht unter Denen, die Adam verehrten? Was hinderte dich, Den zu verehren, den ich mit meiner Hand gebildet habe? Bist du aufgeblasen von Stolze? Oder bist du wirklich von so ausgezeichnetem Verdienste? Eblis antwortete: Ich bin besser als er, du hast mich aus Feuer geschaffen, den Menschen aus trocknem Thone und schwarzem Leimen zur Gestalt gebildet; es ist nicht schicklich, daß ich ihn verehre. Gott sagte; darum gehe von hinnen, denn du sollst mit Steinen vertrieben werden, und ein Fluch soll auf dir liegen bis zum Tage des Gerichts. Der Teufel sagte: O Herr, gib mir Frist bis zum Tage der Auferstehung. Und Gott antwortete: Wahrlich, du bist einer von Denen, denen Frist gegeben sein soll bis zum Tage der bestimmten Zeit. Der Teufel erwiederte: O Herr, weil du mich verführt hast, so will ich gewiß die Menschen auf Erden verführen, und alle will ich verführen, außer diejenigen, die du zu deinen Dienern erwählt hast. Gott sagte: so ist es recht. Wahrlich über meine Diener sollst du keine Gewalt haben, sondern über Die, die sich verführen lassen und dir folgen.«
Ben Hafi. Und der Teufel verführte unsere Mutter durch die Frucht der Erkenntniß, indem er sie glauben machte, sie und Adam würden Engel und unsterblich werden. So löst der Prophet den Knoten, und er ist gelöst. Auch Mahal kannte dieses Bild, gleichwohl löste er sich die ihn quälenden Schwierigkeiten nicht damit und deutet sie an einigen Stellen dieser Handschrift auf den Kitzel des Wissens, wie du weiter hören wirst. Uebrigens scheint der Teufel erst nach der Sündfluth recht in Ansehen gekommen zu sein, und seine Herrschaft muß einst beschränkter gewesen sein, als sie nun ist. Wenigstens muß er damals noch nicht so böse gewesen sein. Du weißt, Herr der Gläubigen, aus dem Buche, daß er noch lange in vier Himmeln erscheinen durfte. Aus dem vierten wurde er nur bei der Geburt des Propheten Jesus verstoßen, und aus den drei übrigen bei der Geburt unsers erhabenen Propheten. Von dieser Zeit her ist er vermuthlich so arg geworden.
Mahal suchte also noch immer die Quelle der Thorheit und Bosheit der Menschen, hielt, wenn er allein war, sehr oft Standreden, die ich dir erlasse, um deine Geduld nicht zu mißbrauchen. Zu was könnte es uns auch nützen? Der Koran sagt uns Alles, und der Zweifler ist gestraft, da ihn immer noch nach der Ueberzeugung dürstet, die wir im Glauben finden.
Bisher, Nachfolger des Propheten, hatte Mahal nur reife Menschen gesehen; aber nun sollte er sie überreif sehen. Menschen, meine ich, die mit der Vernunft und Einbildungskraft so lange schwelgen, bis sie Ungeheuer zeugen. Molche der Geister- oder Verstandeswelt, welche die Einfalt auf der Erde getödtet, die natürliche Glückseligkeit davon verbannt und ein Spiel erfunden haben, das die thätigen Kräfte im Menschen auflöset, die nothwendigen Nebel zu ertragen und zu bekämpfen. Thun die Sultane oft das Böse, ohne zu wissen, auf Antrieb ihrer Diener, so thun es diese aus Ueppigkeit des stolzen vermessenen Verstandes.
Mahal befand sich nun in dem großen Reiche Kopha, das nach Hafa, welches wir eben verlassen haben, den höchsten Grad der Bildung und Erleuchtung erstiegen hatte und recht dazu gemacht war, einen Denker entweder ganz zu vollenden oder ganz zu verwirren.
Als Mahal auf dem Platze der Hauptstadt auf und nieder ging und dem Zufall zu überlassen schien, was er für ihn verfügen wollte, sah er einen reich gekleideten Mann, dem das Wohlleben die Wangen geschminkt hatte, auf sich zukommen. Er glaubte, diesen Mann, trotz der äußern Veränderung, an Gang und Geberde zu erkennen, und irrte sich nicht; es war Ram, sein alter Lehrer aus Enoch, der ihn bei der Felsenbrücke ohnweit Irad so sonderbar verlassen hatte. Ram erkannte ihn gleich, begrüßte ihn jetzt ganz freundlich und hieß ihn willkommen in dem großen Reiche Kopha.
Mahal. Wenn ich dir nicht zuwider bin, wie ich dir es damals schien, als du mich so schnöde verließest, so nimm mich in deinen Schutz. Ich habe des Bösen so viel erfahren, daß ich nun mit Furcht den Fuß in jedes mir neue Land setze. –
Ram. So hoffe ich denn, das menschliche Leben ist dir nach und nach klarer geworden, als es dir in Enoch zu sein schien, und du hast die Quellen springen gesehen, die du in Enoch so eifrig suchtest.
Mahal. Ganz und gar nicht. Je mehr ich Böses sehe und erfahre, je mehr scheinen sie sich vor mir in der Tiefe zu verlieren.
Ram. Glück zu! du bist nun in ein Land gekommen, wo man Alles weiß, weil man weiß, daß man nichts wissen kann. – Indessen denke ich doch, daß sich das Bewundern und Anstaunen ein wenig bei dir gelegt haben wird.
Mahal. So ziemlich; doch habe ich mehr dabei verloren als gewonnen. – Aber in welchem Lande bin ich eigentlich?
Ram. Im Lande der Vernunft! Im Lande der Weisheit! In einem Lande, wo ein Philosoph Um verständlich zu sein, braucht der Uebersetzer dieses angenommene Wort. Das eigentliche arabische bedeutet Denkling; ein Ding, das wohl dem Begriff, aber nicht dem Ausdruck nach in Europa im Gange ist. Sultan ist, zu dem ich gezogen bin und der Leute meiner Art zu schätzen weiß.
Mahal. Nun, so hält er sich gewiß für keinen Gott, wie beinahe die Narren alle, die ich gesehen habe.
Ram. Nichts weniger, er ist ein Philosoph, ein Denkling, mag nur Denklinge um sich leiden, will all seine Unterthanen dazu machen, Gott ganz abschaffen, weil er sich durch seine Schuld nicht begreifen lassen will, und sich an seine Stelle setzen. Das Volk ist schon auf diese Begebenheit vorbereitet, und du wirst die Wunder mit ansehen, welche die Vernunft hier wirkt.
Mahal. So laß mich geschwinde weiter reisen!
Khalife. Ich bitte dich, thue es, Ben Hafi; ich erwarte von diesem Lande, diesem Sultan nichts Gutes, und mir ist leid, daß Mahal diesen Ram hier angetroffen hat.
Ben Hafi. Dieses Märchen, Herr der Gläubigen, wird dich empören, und doch wirst du um eines Umstandes willen damit zufrieden sein.
Ram sprach: Wie, ein Mann, der das Gebirge um der Erkenntniß und des Wissens willen verlassen hat, wollte nun fliehen, da er an ihrer wahren Quelle ist?
Mahal. So sage mir erst, was ist ein Philosoph?
Ram. Ein Ding, wie ich eins bin, ein Mann, der bald nichts, bald Alles weiß und über Alles spottet: doch dies ist Scherz! Ich bin ein Philosoph des Sultans Denkling, befinde mich ganz wohl dabei, und wenn noch etwas aus dir zu machen ist, so sollst du dich bald eben so wohl befinden. Aber du mußt allen Meinungen, die du bisher eingesogen hast, den Krieg ankündigen, mußt bloß den Gesetzen der kalten, reinen Vernunft folgen, sonst können wir dich hier nicht brauchen. Komme nun mit mir in meine Wohnung, damit ich sehe, wie es mit deinem verworrenen Kopfe jetzt aussieht.
Mahal folgte ihm in ein Haus, das eher einem kleinen Tempel der Sinnlichkeit, als der Wohnung der Weisheit glich. »Du siehst, sagte Ram, daß der Sultan Denkling seine Freunde zu schätzen weiß. Nackend am Leibe ward ich in dieses Land geworfen, aber der Geist, den der Sultan in diesem nackten Körper zu finden wußte, hat, wie du siehst, für seine elende Hülle gut gesorgt.«
Ram ließ Erfrischungen auftragen, und Mahal fand bisher Alles gut; nur der einzige Gedanke verbitterte seine Zufriedenheit und erregte sein Mißtrauen, daß der Sultan Denkling, aus einem so besondern Grunde, Gott in seinem Lande abschaffen wollte. Er ließ sein Mißtrauen merken, Ram lächelte spöttisch darüber und verlangte nun von ihm, er sollte ihm seine Geschichte, ohne alle Schminke, von dem Augenblick ihrer Trennung an, erzählen. Mahal erfüllte seinen Wunsch mit der ihm gewöhnlichen Treue; Ram hörte sehr ernsthaft zu und lächelte nur bei jedem für Mahal traurigen und schmerzlichen Vorfall. Besonders ergötzten ihn die Begebenheiten in Irad, der Fall Puhs, das Lesen der Handschriften des Großvizirs in Farak, die Geißelung, die *** der *** u.s.w., und da der Erzähler seine Geschichte mit seinen Zweifeln untermischte, die zu Zeiten wie ein Dampf aus der Erde aufstiegen, in den die Märchenerzähler gewöhnlich ihre Zaubrer zu hüllen pflegen, und dieser Dampf Alles um Mahal her in Nebel hüllte, so faßte ihn Ram am Ende derselben bei der Hand und sagte: »Mahal, du bist der Alte noch, so viel ich sehe; doch der Sultan dieses Landes liebt das Neue und Sonderbare. Ich will dich zu ihm bringen, du sollst ihm deine Geschichte erzählen, vielleicht daß du hier das Ende deiner traurigen Wanderungen findest.«
Mahal. Du weißt, daß sie auf meinem Gebirge endigen müssen; auch weißt du ja, daß mir Gott befohlen hat, dahin zurückzukehren, wenn ich die Quellen der Bosheit und der Thorheit der Menschen entdeckt habe.
Ram. Eben darum kann dein hiesiger Aufenthalt das Ende deiner Wanderungen werden. Geselle dich nur immer zu uns, und selbst Das, was du da gesagt hast, wird dir vielleicht zur Fabel werden.
Mahal. Ich glaube, Ram, ihr hier zusammen seid noch unsinniger, als Alle, die ich gesehen habe.
Ram. Es kann wohl sein, und um so mehr sind wir des Sehens werth. Ich hoffe dem Sultan einen Gefallen zu thun, wenn ich dich ihm bringe, und darum will ich dich mit dem Manne vorher bekannt machen, damit du nicht bei ihm einen deiner Streiche machst, wodurch du in Gefahr kommst, verstümmelt zu werden, und wodurch dir bald ein Dolchstich, bald eine Geißelung, bald ein zwanzig Monden langes Lesen, bald u.s.w. zu Theil wird.
Mahal. Hast du vergessen, daß ich auch deinen Leib in Enoch unter der Geißel bluten sah.
Ram. Nein, Mahal, und du sollst sehen, daß ich's nicht vergessen habe. So höre denn:
Der Vater des Sultans Denkling war ein großer gewaltiger Mann. Er liebte den Heldenruhm und erkaufte sich mit dem Leben vieler Tausende seiner Kopher, die Menschen in Sullah und Mullah zu Unterthanen. Da diese Sullaher und Mullaher nur vieles Blut und wenig Gold kosteten, so hielt es der Sultan für einen sehr guten Handel. Nachdem er nun unumschränkter Herr über diese drei Reiche war und die Einwohner dieser drei Reiche seine Herrschaft sehr geduldig ertragen mußten, so herrschte er ganz erträglich und sorgte als ein guter Vater seiner Völker dafür, daß er ihnen seinen Samen als Erbschaft hinterlassen möchte. Er nahm ein Weib und zeugte drei Söhne, die er alle drei nach den an ihnen entdeckten Eigenschaften ihres Geistes benannte und sich dann entschloß, seine drei Reiche, nach ihren und der Bewohner Eigenschaften unter sie auszutheilen. Hieraus siehst du, daß der gute Sultan auf die Zukunft dachte und keiner der Herrscher war, die da glauben, mit ihnen sterbe Alles, und mit ihrem Tode erfolge der Untergang der Welt.
Sein erster Sohn Fakim (Denkling) hatte sich diesen bezeichnenden Namen dadurch erworben, daß er, wie sein Vater von ihm erzählte, Alles, was man ihm zur Unterhaltung in die Hände gab, sogleich in Stücke schlug und riß, über die zerschlagenen und zerrißnen Fetzen so lang nachsann, sie so lange auf verschiedne Art zusammensetzte, bis er den Mechanismus des Machwerks entdeckt zu haben glaubte, oder etwas anders, sei es auch noch so sonderbar oder verzerrt gewesen, draus geschaffen hatte. Aber nie versuchte er, ein Ding wiederum in seinen vorigen Zustand herzustellen; alles Dieses bewies nun eben sowohl seine Eigenheit, als seinen tiefen, rastlosen Forschungsgeist. Darum nun bestimmte ihn schon der weise Vater in der Kindheit zum künftigen Beherrscher der tiefsinnigen, verdrießlichen und launichten Kopher. Der Name thut oft viel; denn da der kleine Mann sich immer Herrscher und Denkling nennen hörte, so glaubte er, er sei beides schon, und setzte aus den zwei Begriffen ein ganz artiges Ungeheuer zusammen. Die Lehrer, die man ihm gab, versäumten natürlich nicht, diesem Ungeheuer Glätte, Schmuck und Gestalt zu geben, sie überzeugten ihn dabei so sehr von seinem tiefen Forschungsgeist, daß er nun der größte, tiefste Denker in seinem Reiche wirklich geworden ist und so viel Genuß in dem Denken findet, daß er nichts weniger will, als alle seine Unterthanen zu solchen ungeheuern Denkern machen, als er sich zu sein glaubt. Er wird sich dann nur für ganz glücklich halten, wenn er ein Denkling über Denklinge herrscht. Mit dem Hofe hat er es schon ziemlich weit darin gebracht, und selbst die traurigen Kopher benehmen sich ganz artig dabei. Sie werden auf der einen Seite witziger und auf der andern dümmer. Das Einzige, was uns bisher einige Narren vorwerfen können, ist der unbedeutende Umstand, daß die Kopher, seitdem sie der Sultan zu so großen Denklingen gemacht hat und sie so viel von moralischen Maximen und reinen Beweggründen ihrer Handlungen sprechen, so gar viel über Gott und die Welt vernünfteln, viel schlechtere Arbeiter und noch schlechtere Menschen geworden sind. Doch Dieses alles wird sich schon geben, wenn sie nur erst die Sittengesetze, die mit so feiner Schrift in die Vernunft aufgezeichnet sind, recht deutlich werden lesen können. Diese Sittengesetze sind die Erfindung unseres Sultans Denkling, und du wirst erstaunen, wenn du sehen wirst, wie leicht es ist, die Menschen damit zu der lange gewünschten, lange gesuchten nützlichen Vollkommenheit zu leiten. –
Mahal. Könntest du mir diese merkwürdigen Gesetze nicht im Voraus mittheilen?
Ram. Sehr gerne. Sieh, es sind nur einige Zauberformeln, die auf einmal das ganze Menschengeschlecht von allem moralischen Uebel, aller Unruhe des Geistes, aller Ungerechtigkeit, aller Habsucht, aller Zweifelsucht heilen werden, die Alles auf einen ganz einfachen Grundsatz zurückführen und die Menschen zu so reinen vollkommenen Wesen machen müssen, als die nur immer werden können, die auf zwei Beinen gehen und von irdischer Speise und irdischem Tranke leben.
Merke wohl auf!
Die erste Formel lautet: Keine unsrer Erkenntnisse und Begriffe erstreckt sich über die Erfahrung unsrer fünf Sinne. Das heißt: Alles, was du nicht riechen, schmecken, hören, befühlen und sehen kannst, das ist nicht für dich, ist für dich gar nicht da, und Alles, was du je gedacht hast, je denken wirst und jetzt denkst, muß von den Eindrücken herkommen, die sie erhalten haben, die du bemerkt und unterschieden hast.
Die zweite Formel lautet schon erhabener: Du mußt immer so handeln, daß der Beweggrund deiner Handlungen ein allgemein verbindendes Sittengesetz für alle Menschen werden kann.
Die dritte Formel, die eine Folge der zweiten ist, lautet so: Der Beweggrund deiner Handlungen muß aus einem freien Willen fließen, die thierische Lust und Unlust, der thierische Schmerz und das thierische Vergnügen müssen auch nicht den geringsten Einfluß darauf haben. Alles, was du thust, muß ohne Furcht vor der Strafe, die auf deine Handlung erfolgen könnte, ohne alle Hoffnung auf Lohn, die deine Handlung verdienen könnte, geschehen, muß bloß darum geschehen, weil die Handlung gut ist und weil das Gesetz der reinen unbestochenen Vernunft sie gebietet.
Dieses erhabene Princip der Moral steht wahrlich nicht hier, um verspottet zu werden. – Nimm es in Rücksicht, wie die Menschen handeln sollen, so ist es das Erhabenste, was die erleuchtete Vernunft aufgestellt hat; hältst du es gegen die Erfahrung, so ist es freilich die giftigste Satire gegen die Menschen, und Lucian, Rabelais und Swift konnten ihrer nicht grausamer spotten, als es diese wenigen Worte thun. – Neu ist es eben so wenig, denn von den alten Philosophen bis zum platonischen Shaftesbury haben es sehr viele aufgestellt, und Niemand kräftiger, als das Weib in Damas, das der Gesandte Ludwigs des Heiligen auf der Straße sah, indem es in der einen Hand Feuer und in der andern Wasser trug. Der Gesandte fragte es um die Ursache, und es antwortete im Geiste dieses Princips: »Mit dem Feuer will ich das Paradies verbrennen, mit dem Wasser das Feuer der Hölle auslöschen, damit die Menschen Gott um seinetwillen und nicht wie Tagelöhner verehren.« – Damit aber dieses Princip allgemein praktisch werde, so erfordert es weiter nichts, als daß dieses und jenes geschehe, bis dahin (und warum sollte es nicht einst in Erfüllung gehen, da es nicht vom Können, sondern vom Wollen abhängt und der Wille so leicht, wie theoretisch erwiesen ist, zu rectificiren ist) kann es einstweilen zum Probestein der Würdigung menschlicher Tugenden und Handlungen dienen. Den Beobachter, der ihn recht zu brauchen weiß, wird man nicht leicht durch den Schimmer von heuchlerischen und tagelöhnerischen Scheintugenden blenden. Damit er aber als ein gerechter, billiger Mann verfahre und selbst dabei gewinne, so fängt der Schätzer und Beobachter am besten bei sich selbst an. Dann wird er auch leicht finden, wo es ihm und den Nachbarn eigentlich dazu fehlt.
Mahal. Ob ich gleich dieses so ziemlich begreife, so erinnere ich mich doch, daß ich auf meinen unglücklichen Wanderungen keinen Menschen gefunden habe, der nach diesen Zauberformeln, wie du sie nennst, gehandelt hätte. Jeder that immer gerade so, als wäre er allein in der Welt.
Ram. Du wirst es auch hier so finden; doch ist es gut und nützlich, den Menschen recht oft zuzurufen, wie sie sein sollten. – Die einzige Schwierigkeit, die wir hier vor uns finden, ist nur diese, daß wir die Kopher noch nicht ganz von dem Gefühl der Lust und Unlust heilen können; daß sie noch immer fürchten und hoffen. Doch eben daran arbeitet unser Sultan Denkling aus allen seinen Kräften, und unterstützt seine Arbeit mit aller Macht, die ihm der Thron verleiht.
Außerdem finden sich noch einige kleine Widersprüche, die aber so unbedeutend sind, daß ihrer der Sultan nur lacht. Zum Beispiel, wir sagen: der Mensch ist frei, hängt nur von den Gesetzen ab, die ihm die Vernunft, folglich er sich gibt. Da nun die Vernunft sein eigentliches Ich ausmacht, so ist der Mensch natürlich sein eigner Gesetzgeber. Dagegen lautet eine andere Formel: Der Sultan ist unumschränkter Herr, sein Wille ist euer Gesetz, dieses müßt ihr befolgen, vertrüge es sich nach eurer Meinung auch nicht mit den Gesetzen eurer Vernunft.
So sehr sich auch der Sultan dem Gesetze seiner Vernunft unterwirft, so kann er doch gleichwohl nicht vergessen, daß er Sultan ist, und ein Sultan, guter Mahal, muß Manches befehlen, das der Vernunft zuwider ist, und daher kommt es vermuthlich ganz allein, daß nichts Schwereres für einen Sultan ist, als zugleich ein Philosoph zu sein, weil sein sonderbares Amt und die daraus fließenden Ansprüche und Forderungen sich so hart mit der Philosophie vereinigen lassen. Auch braucht jeder Sultan die Fabel der Lust und Unlust, des Schmerzes und des Vergnügens, die, ob sie gleich alles Böse in der Gesellschaft verursachet, sie gleichwohl bisher im Gang erhalten haben, und ohne deren Ertrag wir es wohl nicht der Mühe werth hielten, mit dem Sultan Denkling zu philosophiren. Indessen Dieses alles wird sich schon geben, wenn wir nur erst einmal mit der Ausrottung des Unkrauts fertig sind, das neben der Vernunft aufwächst.
Mahal. Ram, ich verstehe von Dem allem nichts.
Ram. Brauchst du das! Und glaubst du, es lohne wohl der Mühe, zu philosophiren, wenn Leute wie du sogleich verständen, worüber wir so lange gebrütet haben!
Mahal. Wozu sagst du mir es denn?
Nam. Um dich zu einem größern Narren zu machen, als du schon bist, und um dich neue Worte zu lehren. Den zweiten Sohn nun nannte der alte Sultan Gripik. – Dies heißt in der gemeinen Sprache, Herr der Gläubigen, Schönling. So paraphrasirt der Araber, und der Uebersetzer braucht dieses Wort, weil es, wenn auch nicht gebräuchlich, doch verständlich ist. – Diesen Namen, sagte Ram zu Mahal, gab ihm der Vater darum, weil er Alles, was ihm unter die Hände kam, verschönerte, es mochte die Verschönerung vertragen oder nicht. Alles beschmierte er mit glänzenden Farben, Menschen und Thiere, sein belebtes oder unbelebtes Spielzeug. Dabei schnitt und schnitzelte er an Allem und suchte Allem, was er vorfand, eine schönere Form zu geben, als die Natur oder die Hand des Künstlers ihm gegeben hatte. Auch sprach er, von frühster Kindheit an, in wohlgeordneten klingenden Worten, liebte und suchte jeden Ausdruck, der über die gemeine Vorstellung hinüberschoß, hüllte Alles, was er sprach, in große, erhabene Bilder ein und schien ganz Einbildungskraft zu sein. Der Vater wählte ihm Lehrer dieser Art, und unter ihrer Leitung bildete er sich in dem geistigen Genusse des Schönen, Guten und Erhabenen so aus, daß ihm alles Alltägliche und Gemeine unerträglich ward. Er ist von dem zartesten Gefühl, dem feinsten Geschmack und von so erhabenem Sinne, daß ihm Alles, was man ihm in der nackten Wahrheit vorstellt, zur Marter wird. Jeder geht an seinem Hofe auf feierlichen Stelzen und spricht in Bildern und Figuren. Ihm bestimmte der Vater die Sullaher zu Unterthanen, ein sehr leichtes, munteres Volk, ganz der Freude und Wonne ergeben. Es soll nun in Sullah herrlich hergehen, Alles im Genusse des Schönen und Guten leben, mit der Einbildungskraft schwelgen, alle Tugenden, und besonders die Tugenden des Sultans Schönling trefflich besingen, und sie sollen in Sullah sogar von Gott in ihren Gedichten reden, weil er als ein großer, prächtiger, geheimnißvoller, dichterischer Gegenstand zu brauchen ist. Unsere Philosophen sagen zwar, die Sullaher verlören nicht allein, bei ihrem angenehm und erhaben Fühlen, allen Sinn für Wahrheit, sondern sie vergäßen auch über dem Kitzel der Einbildungskraft, Das zu thun, was das Feuer dieser schönen Zauberin unterhält, und man fühle schon die Folgen der Dichterwuth in Sullah. Doch Denklinge sprechen selten gut von Schönlingen, und Schönlinge eben so selten von Denklingen.
Khalife. Wie wahr spricht doch der Prophet von den Dichtern: »Der Sinne beraubt, laufen sie in den Thälern herum und sprechen, was sie nicht thun.«
Ben Hafi. Gerade so war es in Sullah vor der Sündfluth, und ist, wie der Prophet beweiset, noch nach der Sündfluth so. –
Den dritten Sohn, fuhr Ram gegen Mahal fort, nannte der Sultan Pah! das heißt im gemeinen Arabischen: der Einfältige.
Khalife. Dieses Wort ist malerisch genug; weißt du wohl warum, Ben Hafi?
Ben Hafi. Gern lerne ich von dir.
Khalife. Weil sich der Einfältige über Alles wundert.
Ben Hafi. So ist es, und dann ruft er in dieser Silbe aus. – Dieser Pah nun, fuhr Ram fort, war so gemeinen Schlags, daß er weder tief zu denken noch schön zu empfinden schien, sondern alle nöthigen Verrichtungen des menschlichen Lebens so gerade weg machte, wie jedes andere Menschenthier. Es schien ihn gar nicht zu bekümmern, womit und wodurch er dieses that, ob durch seinen freien Willen, ob durch die Nothwendigkeit, das Gesetz der Vernunft oder den Trieb der Lust oder Unlust; aber Alles, was man ihm zu thun auftrug, das that er so eifrig und so treu wie ein Lastthier, dessen Vorzüge, mein lieber Mahal, du dich wohl erinnern wirst. Da der Sultan Vater sah, daß an dem Knaben so wenig war, so überließ er ihn weislich seiner angebornen Einfalt und gab ihm außer ihr keine andern Lehrer. Ihn bestimmte er zum Sultan der Mullaher; ein wildes, ungesittetes Volk, das aber in einem Punkte Das ist, wozu unser Sultan die Kopher erleuchten will. Sie wissen nichts mehr von Gott, haben ihn ganz vergessen, sie pflanzen, säen, ernten, jagen, fischen, essen und trinken, schlafen bei ihren Weibern, wissen nicht, woher sie kommen, wohin sie einst gehen werden, und fragen auch nicht einmal darnach. Es ist ein dummes, gesundes, glückliches, starkes Volk, das selbst den Tod nicht fürchtet, und will sie der Gott, mit dem du gesprochen haben willst, mit uns feinern, ausgebildetern Leuten verderben, so verdirbt er wahrlich Menschen, die, da sie von ihm nichts wissen, ihn auch nicht beleidigen können.
Khalife. Ben Hafi, laß den Menschen schweigen.
Ben Hafi. Ich kann nicht, Herr, es führt zum Zweck. – Ram fuhr fort: doch dies ist ja seine Sache, nicht die meine. Wie, Mahal, du erblassest – sei nur ruhig, dein Ohr wird sich schon gewöhnen; dein Blut wird bald an deinem Herzen fester sitzen bleiben und nicht so leicht nach deinen Wangen fliegen, wenn du uns besser kennen lernen wirst. –
Khalife. Warum mußte Mahal diesen Ram antreffen!
Ben Hafi. Kann ich's ändern? Gedulde dich, Herr, du wirst am Ende zufrieden mit diesem Märchen sein.
Khalife. Keine Zufriedenheit kann mir die Angst bezahlen, die ich bei den Aeußerungen dieses Menschen leide. Ich wette, Ben Hafi, es ist einer der bösen Geister oder Eblis selbst, der in der Gestalt dieses Rams den armen Mahal zum Abfall von Gott verführen will.
Ben Hafi. Es könnte wohl sein, und die Larve eines Philosophen schickte sich am besten dazu; aber in diesem Märchen geht Alles gar zu natürlich her; und dieser Ram ist leider ein Mensch. – Es gibt einige Leute hier, sagte nun Ram, die da behaupten, der alte Sultan würde besser gethan haben, den tiefen Denker über die muntern Sullaher, den anmuthigen Geist über die tiefsinnigen, launichten Kopher als Sultane einzusetzen. Andere gehen gar so weit (und es sind nicht die Dümmsten), zu sagen, er würde am besten gethan haben, dem Sultan Einfalt die drei Reiche allein zu hinterlassen, weil er mit den Menschen ihren angewöhnten Gang in aller Ruhe fortgegangen wäre; doch dies wissen wir Philosophen besser. Und sieh nur, Mahal, so stumpf und blödsinnig sind die Menschen, daß nun viele aus diesen beiden erleuchteten Reichen davon laufen, sich bei den wilden Mullahern niederlassen und keiner der wilden Mullaher zu uns herüber in die Schule kommt. Der Sultan Denkling meint, es würde sich noch Alles geben, und wer von uns wird ihm wohl die Freude verderben wollen?
Der alte Sultan lag auf dem Sterbebette, die drei Erben seiner Throne standen um ihn herum. Er hielt eine sehr lange Rede und legte nun, wie Sultane manchmal thun, ein Bekenntniß seiner Fehler ab, die er nun erst bereute, begangen zu haben. Dieses ist ein recht guter Gebrauch der sterbenden Sultane; es ist nur Schade, daß er zu nichts mehr nutzet, daß sie das Geschehene nicht mehr ungeschehen machen oder verbessern können, und ihre Erben, während des Bekenntnisses, gewöhnlich an etwas ganz anders denken, als aus dem Bekenntnisse nützliche Warnungen und Lehren für sich zu sammeln. So ging es auch hier. Einfalt heulte wie ein ganz roher natürlicher Mensch über den nahen Verlust des Vaters, Schönling setzte dem Sterbenden in seinem Geiste eine schöne Leichenrede zusammen, und Denkling spottete des armen Tropfs von Sultan, der von Sünden gegen sein Volk und ein Wesen sprach, das er als überflüssig schon damals abzusetzen dachte. Auch meinte er, es sei einmal hohe Zeit, daß der Mann, der so wenig von den Gesetzen der Vernunft wußte, ihm, der ganz nach diesen Gesetzen herrschen wollte, Platz mache. Damit ihm nun die Zeit nicht lang würde, nahm er sich vor, genau acht zu geben, was seinen Vater bei dem Verscheiden verlassen würde, ein Nichts oder ein sichtbares Körperchen. Schönling lief bei den ersten Todeskrämpfen davon, um nichts von dem häßlichen Tod zu sehen. Einfalt heulte immerfort, und Denkling ärgerte sich innerlich über den gemeinen Menschen und kann ihm sein damaliges Betragen noch heute nicht vergeben. Einige Augenblicke vor dem Hinscheiden sagte der Alte: »Für meine zwei Aeltesten bin ich unbekümmert, der eine hat Verstand, der andere Gefühl; aber Einfalt! Einfalt!« Einfalt küßte seine Hände, legte ihm ein Polster unter das Haupt, der alte Sultan sank in seine Arme, verschied, und Einfalt allein blieb bei ihm und weinte über seine Leiche. Sieh Dies alles hat mir Sultan Denkling mit sehr viel philosophischem Stolze erzählt und dabei gesagt: »da er nichts seinen Vater beim Verscheiden habe verlassen sehen, so müsse auch wohl nichts in ihm gewesen sein.«
Nachdem nun Schönling seine lange, schöne Rede abgelesen, Einfalt genug geweint und Denkling über Beide genug gespottet hatte, folgte jeder seiner Bestimmung. Jeder setzte sich auf seinen goldnen Thron, und Alles geht so herrlich, wenigstens bei uns in Kopha, daß ich dir Glück wünsche hergekommen zu sein. Nun gehe ich zum Sultan, um dich ihm als ein recht ungeheures, der Bildung aber recht fähiges Menschenthier anzumelden. Noch einmal, hüte dich vor einem rohen Gebirgsstreich, und damit er dir nicht entwische, will ich dir zur Seite sitzen.
Mahal war während der langen Rede Rams nicht wohl zu Muthe, und er fühlte die ängstlichste Beklemmung, als er ihm von dem wilden Volke in Mullah sprach; aber die aufgeklärten Kopher sollten ihm ganz andere Bangigkeiten verursachen.
Ram meldete ihn dem Sultan an, und der Sultan verordnete, man sollte ihn bei der ersten Versammlung in den Saal der Vernunft einführen. Es waren in dem Palaste des Sultans drei Versammlungssäle, der Saal der Vernunft, der Saal der Wahrheit, der Saal des Lichts; doch hörte man in diesen drei Sälen nie etwas Vernünftiges, nie etwas Wahres, nie etwas Klares, und darin gleichen ihnen die philosophischen Hörsäle oft noch nach der Sündfluth, ob sie gleich nicht so prächtig ausgeziert, auch nicht in den Palästen der Sultane zu suchen sind. Bis dahin führte Ram seinen Gast bei einigen seiner philosophischen Freunde auf, und weil Mahal ihnen nur zuhorchte, so faßten sie keine schlechte Meinung von ihm und versicherten ihn sogar ihres Schutzes. Die Meinung aber, die Mahal von ihnen faßte, war so vortheilhaft nicht, denn der Sohn des Gebirgs fühlte, daß sein eben nicht sehr heller Geist in ihrer Gesellschaft immer dunkler ward, und ein ängstliches Beben überfiel ihn jedes Mal, wenn sie den Knoten so rasch zerhieben, an dem er so furchtsam nagte.
Der Tag erschien nun, an welchem Mahal vor dem Sultan in dem Saal der Vernunft erscheinen sollte. Ram führte ihn ein. Sultan Denkling saß unter seinen Brüdern, ohne alles Zeichen seiner Macht. Hier herrschte allgemeine Gleichheit, und der Werth des Menschen ward nur nach dem Maße der Vernunft gemessen. An der Hauptwand des Saals waren die obigen Zauberformeln, in goldnen Zeichen, eingegraben. Sultan Denkling war eine lange hagere Gestalt, mit einem sehr blassen Angesicht, das stolze Genügsamkeit des Geistes und kalte Selbstsucht ganz gut ausdrückte. Mahal mußte sich gegen ihm über niederlassen und ohne weitere Umstände seine Geschichte anfangen. Ram saß neben ihm. Die Gesellschaft hörte ihn eine Zeitlang sehr aufmerksam an, nickte ihm sogar Beifall zu, als er seinen heißen Durst nach Kenntnissen und Wissen beschrieb; als er aber ganz unbefangen erzählte, wie ihm Gott erschienen sei, so brach der Sultan Denkling in ein lautes, schallendes Gelächter aus. Die Versammlung wieherte ihm nach, und der Saal der Vernunft erscholl von dem sausenden Gelächter der Philosophen, während Mahal wie ein Mann da saß, den man plötzlich überfällt und mit Fäusten schlägt.
Ram, der diese Wirkung voraussah und mit unbeschreiblichem Verlangen den Augenblick erwartete, lächelte nun und sagte zu dem Sultan: »Habe Mitleiden mit dem Armen und laß ihn lieber die Schärfe deines Verstandes und den Stachel deines Witzes empfinden.«
Mahal wollte reden; aber Ram stieß ihn an und sagte: »Ich bringe dich, wie du siehst, auf guten Weg. Schweige und reize ja diese Denker hier nicht; wahrlich, du würdest nicht so gut davon kommen, wie in Gin, Farak u. s. w.«
Sultan Denkling schien eine Zeitlang tief nachzudenken; die ganze Versammlung saß gleich ihm in tiefsinnigem Schweigen. Endlich öffnete er seine blassen Lippen, warf sich in die Stellung eines zermalmenden Denkers, und alle seine Brüder richteten ihren Blick auf ihn.
Sultan Denkling. Fremdling, du sagst, du habest Gott gesehen?
Mahal. Das habe ich!
Sultan Denkling. Nun, so hast du ihn doch wohl in menschlicher oder in einer andern Gestalt gesehen; hast ihn mit einer menschlichen oder sonst einer dir verständlichen Sprache reden hören?
Mahal. Ganz gewiß?
Sultan Denkling. Gut! – Hast du Gott in menschlicher Gestalt gesehen, mit menschlicher Stimme reden hören, so hast du nicht Gott gesehen, nicht eine göttliche Stimme gehört, sondern eine menschliche Gestalt gesehen und eine menschliche Stimme gehört. Wir hier wissen nichts von Gott, weil er nicht wollte, daß wir etwas von ihm wissen sollten. Wir alle sind überzeugt, daß wir ihn mit diesen unsern Sinnen nicht begreifen können, und was wir mit unsern Sinnen nicht begreifen können, Das lassen wir dahin gestellt sein. Denken wir uns etwas unter diesem Begriff, oder bilden wir uns ein, wir dächten etwas darunter, so sagen wir nach dem Maße unserer Sinne vergleichungsweise: er ist unendlich unermeßlich, dem Auge des Menschen unerreichbar und unsichtbar. Du siehst, Dieses alles sind Gegensätze unsers eigenen Wesens! Wir nennen ihn auch wohl den Schöpfer und Erhalter aller Dinge, ohne doch etwas darunter klar zu denken, weil unsre Sinne davon nichts fassen können, und was unsre Sinne nicht fassen können, ist nach der ersten Formel dort nichts für uns und kann uns nie Wahrheit werden.
Mann vom Gebirge, hast du nun nach deiner Aussage Gott in einer Gestalt gesehen, so hast du ihn in dieser Gestalt eingeschlossen und eingeschränkt gesehen; hast du ihn in dieser Gestalt eingeschlossen und eingeschränkt gesehen, so war er damals weder unendlich, noch unermeßlich, noch allmächtig, noch dem Auge unsichtbar und unerreichlich, sondern er war in diesem Augenblick meßlich, endlich, erreichbar, sichtbar und in seiner Macht beschränkt, wie wir alle hier, die wir in Körper eingeschlossen sind. Nun sagt man ferner, sein Geist durchdringe Weltgebäude nebst Allem, was auf und in ihnen ist und lebt. Diese Weltgebäude müßten also in dem Augenblick seiner Einschränkung in die endliche begrenzte Gestalt zusammengefallen sein. Da sie nun nicht in dem Augenblick, als du Gott in menschlicher Gestalt sahest, zusammenfielen, und wir mit allen diesen Weltgebäuden noch da sind, so konnten wir und sie diesen Augenblick ohne seine Einwirkung bestehen; konnten wir und sie, während deiner Unterredung mit ihm, ohne seinen Einfluß bestehen, so konnten wir und Alles auch ohne ihn entstehen. Oder willst du lieber sagen, nur ein Theil von ihm habe sich in der Gestalt verborgen, so hebst du abermals sein Wesen auf, indem du ihn theilbar denkst. Du hast also Unsinn gesagt; oder du hast ein Traumgesicht gesehen.
Ein allgemeiner Ausruf der Bewunderung erscholl, als der Sultan Denkling zu reden aufhörte, den Zeigefinger über seine Nase legte und dem verwirrten, glühenden, bebenden Mahal ganz kalt in die Stirne sah. Stürmend wollte dieser losbrechen; aber Ram stieß ihn noch heftiger an und sagte: »Schweig; noch einmal sage ich dir, dieser Sultan Denkling und seine Freunde sind noch weit gefährlicher als alle die Götter von Sultanen, die du bisher gesehen hast. Du bist nun auf dem Wege, dein Glück zu machen, sieh vorwärts und laß hinter dir liegen und fallen, was da will.«
Der Khalife erhob begeistert seine Stimme, indem er rund um sich herblickte; Gesegnet sei Gott der Allmächtige! Ihr glaubet, und Ihr werdet sterben, und Ihr werdet auferstehen. Sehet, da ist ein Mann, der streitet über Gott, ohne Kenntniß und Weisung eines offenbaren Buchs, er windet sich in seinem Geiste, daß er die Menschen von dem Wege des Herrn locke. Schande wird sein Lohn in dieser Welt sein, und an dem Tage, da die Mutter den vor Durst lechzenden Säugling zu stillen vergessen und sein Wimmern nicht hören wird, an dem Tage der Auferstehung, soll er die Qual des Feuers empfinden. Gott ist gerecht! Mit glühenden Gewändern sollen die Ungläubigen bekleidet werden. Kochendes Wasser soll über ihre Häupter gegossen werden, daß sich ihre Haut, ihre Eingeweide auflösen, und mit eisernen Keulen sollen sie zerschlagen werden.«
Ben Hafi. Dieses wird ihr Lohn sein! – Ohngeachtet der Vermahnung Rams unterließ doch Mahal nicht, seine bebenden Lippen zu öffnen: »Damals sah ich kein Traumgesicht; aber nun sehe ich ein Gesicht, scheußlicher, als mir der Unsinn der Menschen bisher gezeigt hat. Ihr Gottesleugner –«
Der Sultan Denkling fuhr auf: »Freund! deine Geschichte. Wir hier leugnen deines Gottes Dasein nicht und bejahen es auch nicht. Was nicht erkannt sein will, nicht erkannt werden kann, ist für uns nicht da. Das, was du von ihm sagtest, ist Wahnsinn, und Wahnsinn muß sich nicht erkühnen, in dem Saale der Vernunft laut zu werden. An der Tafel magst du mich damit ergötzen.«
Khalife. Ben Hafi, könntest du dein Märchen nicht erzählen, ohne mich mit diesen ungeheuren Menschen ferner zu quälen?
Ben Hafi. Und wie sollt' ich zu dem Hauptumstand gelangen, den es enthält? Wie mit meinem Märchen zu Ende kommen? Sind es doch eben diese Menschen hier, die es zu Ende bringen.
Khalife. Hundert Derhem, und mehr, sind dein dafür. Fordere!
Ben Hafi. Ich nehme hundert Derhem mit Dank an und entwerfe dir nur ein Gerippe von meinem Märchen, mir doch vorbehaltend, es schriftlich nach der Handschrift Mahals weiter auszuführen und es dir dann mit allen kleinen Umständen, Beschreibungen und Reden zu überliefern. Groß ist das Opfer, das ich dir bringe; denn nun erst habe ich die rechte Gelegenheit gefunden, all mein unnützes Wissen anzubringen – und unnützes Wissen, Herr der Gläubigen, bringt man am liebsten an.
Khalife. Auch bei der Kürze des Unsinns ist Gewinn für Den, der ihn anhören muß, und auch diese Thoren predigen wider ihren Willen Gottes Macht. Ich hoffe, die Engel, die mir heute zu Seite stehen, werden die kühnen Worte dieser Lästerer von meinen Ohren wegblasen und sie zu meinem Herzen nicht kommen lassen. Für diesen armen Mahal aber ist mir bange.
Ben Hafi. Mahal fuhr nun in seiner Geschichte fort, berührte seine Sendung, welche die Gesellschaft, als eine Allegorie, so ziemlich ergötzte. Dann erzählte er seine Begebenheiten an den verschiedenen Höfen, die den Sultan sehr unterhielten. Und obgleich Denkling alle diese Sultane für Thoren hielt, so hielt er sie doch darin für klug, daß sie sich als Götter aufgestellt hätten. Er sagte: »Der Mensch bedarf einer sinnlichen Darstellung der Macht und Gewalt über ihn; da nun der Begriff von Gott über alle Fassung geht und in Unsinn ausartet, so kann man das Nützliche davon nicht besser versinnlichen, als unter dem Bilde eines herrschenden Sultans, und darauf denken wir!«
Nachdem nun Mahal seine Erzählung geendigt hatte, warf er folgende Fragen auf: »Nun ihr, die ihr, wie ihr sagt, so viel und so wenig wisset, die ihr meinen Verstand durch Das, was ihr sprecht, noch mehr verwirrt habt, erleuchtet mich doch in einer Sache und sagt mir: Warum der Mensch nicht besser ist, als ich ihn hier finde und anderwärts gefunden habe? Warum er sogar böse ist? Wo wohl die Ursache sitzen mag? Ob außer oder in ihm? Und zeigt mir deutlich, wo die Quelle seines Unsinns und seiner Bosheit springt?«
Khalife. Abermals die unerträgliche, alte Frage, die doch so leicht zu beantworten ist.
Ben Hafi. So leicht! freilich nach dem Koran –
Khalife. Auch aus der Vernunft, der ganz gemeinen Vernunft.
Großvizir (für sich). Dies alles kommt von dem in den Menschen eingewurzelten Bösen her, darum muß man ihn mit einem eisernen Zepter regieren und zum Guten peitschen.
Khalife. Ben Hafi, es ist gerade mit dem Bösen, wie mit dem Durst. Gott, von dem Alles kommt, gab ihn dem Menschen, damit er nicht austrocknen und des Vergnügens zu trinken genießen möchte. Das Böse ist darum in der Welt, damit der Mensch nicht einschlafen, das Vergnügen genießen möchte, Gutes zu thun und sich vor Gott Verdienst zu erwerben. Wie könnte er nun dieses, wenn er gut sein müßte?
Ben Hafi. Herr der Gläubigen, mit diesen wenigen Worten hast du mehr Wahres gesagt, als du von diesen Weisen hören wirst.
Khalife. Davon weiß ich nichts; so laß sie schweigen, denn ich wünsche nun nichts, als daß ich sie nicht hören müßte. Ben Hafi. Ein Denkling sagte ganz kalt: »Freund, der Mensch ist weder gut noch böse.«
Mahal. So wünscht' ich, du hättest meine Wanderungen gemacht, wärst in Enoch in Gefahr gewesen, zum Richter verstümmelt zu werden, wärst in Irad ein Lastthier gewesen, man hätte dir in Gin einen Dolchstich beigebracht, du hättest in Farak zwanzig Monat des dortigen Großvizirs ungeheure Bücher lesen müssen und zur Veränderung so viele Ruthenstreiche bekommen, als ich dort bekam.
Der Denkling. Und was bewiese dies? Das, was dir dort widerfuhr, schien dir zwar böse, aber es war es nur in Bezug auf dich; Denen, die es gegen dich ausübten, war es gut, nützlich und heilsam. Wärst du weiser, als du mir zu sein scheinst, so würde dir selbst die Erfahrung nützlich geworden sein. Da nun Das, was dir böse scheint, ein Gut für Andere werden kann, und Das, was dir gut scheint, ein Uebel für Andere werden kann, so siehst du doch wohl ein, daß Bös und Gut nur zwei Worte sind, die Das bezeichnen, was uns, einzeln betrachtet, schädlich oder nützlich ist.
Ein anderer Denkling. Leider hat diese abscheuliche Lehre die Erfahrung für sich und scheint sogar wirklich der Beweggrund aller menschlichen Handlungen zu sein; aber der weise Denker geht nicht von dem Menschen aus, der im Schlamme des Eigennutzes versunken liegt, er zeigt dem ganzen Menschengeschlecht den hohen, erhabenen Standpunkt an, auf dem es eigentlich stehen sollte, auf dem es stehen kann, einst stehen wird. Nach dieser, abscheulichen Lehre, die du diesem Fremdling da aufgestellt hast, ist unser erhabener Sultan und Keiner von uns seines Guts und seines Lebens sicher. Denn ein Kopher darf nur ein Verbrechen gegen ihn oder Einen von uns für ausführbar halten, ohne daß er Gefahr laufe, entdeckt zu werden, und deine Lehre der Nützlichkeit wird ihn sehr leicht dazu verleiten. Würde nicht das Böse, das er dem Sultan oder Einem von uns zufügte, ein Gut für ihn? Ich sage, der Mensch ist böse, weil er sich von Lust und Unlust hinreißen läßt, weil er nach ihren Anregungen, ihren dunkeln und thierischen Trieben handelt; weil er seine Handlungen nicht nach dem Gesetze der Vernunft, den Tafeln der Sittlichkeit, die sie selbst sich vorzeichnet, erwägt, bestimmt und nach ihrem Ausspruch, ohne Furcht und ohne Hoffnung handelt. Ram. Lieber! Mahal könnte noch immer fragen, woher dies komme, und ich zweifle so wenig an der Antwort, die du geben könntest, als an der, die du schon gegeben hast. Aber um dieses Menschenthier zu unterrichten, frag' ich dich nun, wo kommen diese Tafeln her? Wer hat sie beschrieben?
Der obige Denkling. Der höchste, oberste Gesetzgeber.
Der erste Denkling. So gibt es wahrlich keinen Gesetzgeber und keinen Schriftsteller, dessen Gebote und Vorschriften schlechter befolgt werden, als die seinigen. Alle, und selbst du, handeln nach dem Triebe des Fleisches, der Anregung zur Lust, dem Eigennutz, dem Gefühl des Schmerzes oder des Vergnügens, und nur dieses bringt das menschliche Leben auf einen klaren, bestimmten, einfachen Satz zurück, der allein von unsern Sinnen sich fassen läßt und, wie du selbst sagst, mit der Erfahrung übereinstimmt. Außer ihm ist nichts als Zweifel, Widerspruch oder Schwärmerei. In welch einem scheußlichen Lichte erscheint dann erst der Mensch, wenn er, wie du sagst, solche von seiner Vernunft anerkannte, von dem Obergesetzgeber eingegrabene, klare, lesbare Tafeln mit sich herum trägt, sie stündlich sehen und lesen kann und doch so handelt, als kenne er kein Gesetz, außer dem Gesetz des Eigennutzes und der Selbstsucht. Entweder sind diese Gesetze der Vernunft nicht so ganz klar und leserlich geschrieben, das Auge, das sie sehen soll, nicht recht dazu gebildet, oder der sie lesen soll, versteht die Sprache nicht, in der sie abgefaßt sind; oder die stärkern, mächtigern, gemeinen thierischen Triebe ziehen einen Dunst vor diesen Tafeln in dem Augenblick, da sie über die vorhabende Handlung entscheiden sollen. Ist es so? Wessen ist die Schuld? Sollte der Mensch nach den Gesetzen dieser in seiner Vernunft aufgehangenen Tafeln leben, so mußten auch sie und nicht die Sinne herrschen!
Der andere Denkling. Dein Widerspruch ist klarer Unsinn. Das Gesetz der Vernunft ist da und klar und redet laut und ist darum gegeben, Lust und Unlust so zu ordnen, daß ihnen Keiner zum Nachtheil des Andern Genüge leiste, nicht sie aufzuheben.
Der Denkling. In der Welt lebt Alles auf Kosten des Andern, sie selbst lebt von ihrem eigenen Stoffe, nährt und zerstört sich, um zu leben.
Sultan Denkling. Wir reden hier von Menschen, nicht von Thieren. Freilich sind die Menschen nicht mehr und nicht weniger, als sie sein können; doch Weise und ihre Herrscher können viel aus ihnen machen, wozu sie nicht geschaffen zu sein scheinen, und eben darum ist der Mensch das Wunder der lebenden Natur. Immer von Lüsten und Begierden getrieben, schmieden wir ihn in die zwar kalte, aber glänzende Kette der Vernunft, fesseln ihn an das in ihm vorhandene Gesetz, wodurch er Alles außer der Nothwendigkeit besiegen kann; aber auch zappelnd und knirschend unter der Nothwendigkeit lästigem Joche, entspringt er ihr durch seine Vernunft so weit, daß sie ihn zwar zerschlagen, doch nicht zwingen kann, gegen das Gesetz seiner Vernunft zu handeln. Dieses ist nun freilich nicht so leicht und erfordert Männer, wie wir zu werden streben, wozu wir die Kopher zu bilden willens sind. Männer höherer Art, die das Gute um des Guten willen thun, die Pflicht um der Pflicht willen erfüllen, die aus reinem Willen handeln und die Tafeln der Sittlichkeit nie aus den Augen verlieren. Haben wir es nur einmal so weit gebracht, so haben wir den Sieg über das Böse davon getragen und sind Dem gleich, was man sich unter Göttern denkt.
Der Denkling. Und auch das Gute ausgerottet! Denn was wäre es ohne das Böse? Würde das Gute zur Nothwendigkeit, wie es nun das Böse leider zu sein scheint, wo bliebe dem Guten sein Verdienst? Laß den Augenblick kommen, der noch ziemlich ferne ist und wohl nie kommen wird, so sinken wir zu der kalten Gleichgültigkeit herab, in welcher Diejenigen leben mögen, von welchen zu Zeiten die Dichter an dem Hofe deines Bruders, Sultans Schönling, schwärmen, um ihre klingenden, leeren Verse mit Bildern auszufüllen. Sultan Denkling. Desto besser, so werden wir, was ich eben sagte, Götter in menschlicher Gestalt.
Ram. Nicht dir zu widersprechen, Herr, rede ich, sondern um deinen Verstand auf meine Kosten leuchten zu lassen. – Ja, Götter werden wir und Götter, denen ihre Menschheit ein tiefes Geheimniß bleibt, die nicht einmal wissen, was sie unter diesem Worte, sobald sie es auf ihre Bestimmung anwenden und die sich widerstrebenden, widersprechenden Mittel, die dahin leiten sollen, erwägen, denken sollen. Umsonst fragt man, warum der Mensch böse ist? Ob das Böse eine Nothwendigkeit seiner Natur sei, oder aus seinem verderbten Willen stieße? Vielleicht ist beides wahr, vielleicht keines von beiden. In jeder Schale liegt die Wahrheit, aber auch die Zweifel und die Widersprüche; in welche wir nun greifen, fassen wir keines ohne das andere. Der Mensch ist zur Dunkelheit, wenigstens zum Helldunkel geboren, und nie wird er etwas Gewisses von seinem Ursprunge, seiner Bestimmung erfahren, da wir Den nie begreifen werden, von dem sie beide, nach der Meinung Vieler, abhängen. Da wir nun den Trieb zum Bösen fühlen und von Gott, der, wie Viele sagen, die Bösen strafen und die Guten belohnen soll, nichts nach der Weise, wie der Mensch erkennt, zu erkennen vermögen, so kann uns, auf der Erde gezeugt, von ihr genährt, von den uns und ihr anhängenden Plagen gemartert, nichts anders verbinden, als Das, was das Thier verbindet, das, wie wir, von ihr lebt und endlich auf ihr stirbt. Der geschwindeste Fresser, der beste Jäger unter ihnen ist der Fetteste. Was uns in der menschlichen Gesellschaft dazu macht, brauch' ich Männern, die sich im Saale der Vernunft versammeln, nicht zu entwickeln. Um aber auf den Hauptpunkt, von dem Alles am Ende abhängt, zurückzukommen, so hat es Thoren und Weise gegeben, gibt vielleicht noch, die sich durch etwas in ihnen, das sie ebenso wenig begreifen, weil es sich nicht sinnlich denken läßt, mit einer andern Welt in Verbindung setzten und sogar behaupteten, daß Diejenigen, die nach diesen Tafeln der Vernunft, gegen die ich weiter gar nichts habe, als daß sie ihr Dasein der Kunst verdanken, ihre Handlungen auf dieser Erde eingerichtet hätten, wohl nach dem Tode Licht sehen, vollendet, das Wesen Gott erkennen und Alles erfahren würden, was uns schon hier zu wissen sogar nöthig wäre.
Khalife. O daß ich so taub wie mein treuer Masul wäre!
Ben Hafi. Ram fuhr fort: Es kann wohl sein; denn wer kann sagen, was sein und nicht sein kann? Ich aber frage, wie werden sie das Wesen Gottes erkennen? Ganz oder stückweise? Werden sie so vollkommen werden, daß auch kein dunkles Fleckchen in ihrem lichten Geiste kleben bleibt? Erkennen sie das Wesen Gottes ganz, so müssen sie ihm gleich werden, und das Endliche, Begrenzte muß dann unendlich unbegrenzt werden, sonst ist das Maß seines Erkennens des Unendlichen immer noch zu kurz. Zum Theil, stückweise; so bleibt die alte Qual, die uns auf Erden martert. Denn das kleine dunkle Fleckchen, das unerleuchtet bleibt, wird einen finstern Schatten über die hellen Theile werfen und diese der Vollkommenheit so Nahen nach dem Fehlenden, um menschlich zu reden (können wir anders?), ebenso lüstern machen, als wir es in unsrer gänzlichen Dunkelheit zu sein das Glück oder Unglück haben.
Wollt ihr eine Stufenleiter annehmen, wie wir im Reiche des Geschaffenen thun und sagen, die Kette der Geister geht auf- und abwärts, so habt ihr die sinnliche Leiter dort wie hier, von dem ausgebildetsten Geist, wie zum Beispiel unser erhabener Sultan ist, bis zum Wurme herab, und Der, welcher zunächst an dem Throne des uns unbekannten, geheimnißvollen Wesens steht, muß vergleichungsweise in einer noch weitern Entfernung von ihm stehen, als wir von unserm Sultan. Faßten sie den Unsichtbaren, und wir unsern sichtbaren Sultan ganz, so wären sie dem ihren, wir dem unsern gleich, und sie fänden an dem ihren nichts mehr zu bewundern, wie wir an dem unsern. Und was sollte der Herr des Himmels mit Geistern um sich, die an ihm nichts mehr zu bewundern fänden? Er müßte sie so langweilig finden, als ein sichtbarer Sultan seine Großen, die sich in dieser Lage gegen ihn befänden. Was man mit allem Diesem will, das begreife ich nicht. Es liegt etwas Ungeheures in dem Gedanken, daß dies Wesen, dem Alles sein Dasein und seine Erhaltung zu danken haben soll, gehüllt in Dunkelheit, in völliger Genügsamkeit und Selbstgenuß da sitzt und sich uns entzieht, da wir doch von brennendem Durst zu ihm, der Quelle unsrer Kenntniß, getrieben werden.
Khalife. »Glaubet, Kinder des Apostels! Wenn der unvermeidliche Tag des Gerichts einbricht, so werden Einige erniedrigt, Andere erhöhet werden. Wenn die Erde erbeben wird von einem gewaltigen Stoße und die Gebirge in Stücken zerschlagen werden und in Staub verfliegen, werdet ihr in drei verschiedene Theile geordnet werden! In die zur Rechten (wie glücklich werden die zur Rechten sein!), in die zur Linken (wie elend werden die zur Linken sein!), und in die, die Andern im Glauben vorgegangen sind. Diese sollen euch im Paradiese vorgehen. Sie sollen Gott am nächsten sein und in den Gärten des Vergnügens wohnen. Auf Betten, mit kostbaren Steinen und Gold geschmückt, sollen sie einander gegenüber ruhen. Immer blühende Jünglinge sollen um sie herumgehen, ihnen aufwarten und ihnen Kelche voll duftenden Weins darreichen. Von diesem Weine soll ihr Haupt nicht beschwert und ihre Vernunft nicht verwirrt werden. Sie sollen ihnen die Früchte darreichen, die sie wählen werden, und das Fleisch der Vögel, nach dem ihnen gelüstet. Jungfrauen mit großen schwarzen Augen, weiß, wie das Ei des Straußes, der Perle gleich in der Muschel verborgen, sollen ihre Gesellschafterinnen sein, als eine Belohnung für ihre Thaten. Dort sollen sie kein eitles Geschwätze, keinen Vorwurf der Sünde hören, sondern nur den Gruß: Friede! Friede!« Strebet, Kinder des Apostels, den Andern im Glauben vorzugehen. Und die auf der rechten Hand (wie glücklich sind die auf der rechten Hand!) sollen wohnen unter Lotus-Sträuchen ohne Dornen, unter Akazienbäumen ohne Dornen, immer beladen mit ihren Blumen von dem Fuße bis zum Wipfel. An immer fließendem Wasser, unter breiten kühlen Schatten, unter nie mangelnden Früchten, die sie nach Gefallen sammeln mögen, sollen sie sitzen und auf hohen Betten ruhen. Wahrlich, wir haben die Jungfrauen des Paradieses erschaffen, und Moschus ist der Stoff, aus dem wir sie gebildet haben. Und wir haben sie zu Jungfrauen geschaffen, geliebt zu werden von den ihnen Vermählten, die gleiches Alters mit ihnen sind. Und sie sollen nur Den anblicken, der ihnen vermählt ist, und in großen, prächtigen Gezeiten wohnen.« Glaubet, daß dies euer Loos werde!
Ben Hafi. Wir glauben. – Mahal sagte zu Ram: »Du bist der Abscheulichste unter allen Diesen.«
Ram. Schweige, es sitzen Thoren um mich her, und du bist wahrlich der kleinste nicht.
Er erhob abermals seine Stimme:
Khalife. Genug des Wahnsinns! genug der Lästerung! Ich kann heute nichts mehr hören, und morgen, Ben Hafi, laß diese Rasenden schweigen; oder ich breche zum ersten Mal mein Wort!
Ben Hafi. Nur dies, während ich meine Handschrift zusammenrolle. Beim Aufbruch sagte Mahal zu Ram: »Ich habe heute unter euch die Quelle der Verderbniß, der Thorheit und des Wahnsinns gefunden, nach der ich so lange geforscht habe; es ist das Wissen.« Ram antwortete lächelnd: »Halte dich indessen immer daran, sie fließt breit, stark und voll, und du kannst auf ihr nach der Entdeckung der andern kühnlich schiffen. Aber warum haben wir es und den Trieb dazu? Das Kind, das aus dem Mutterleibe kommt und das Licht empfindet, legt schon den ersten Grund zum Wissen. – Kann es dafür?«
Khalife. Ben Hafi, Friede sei mit dir!