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Während Ben Hafi seine Handschrift auseinander rollte, sagte der Khalife: Nun, Ben Hafi, hat endlich einer der Grausamen dem Mahal die Thüre geöffnet? Ich dachte seiner, so oft ich nur erwachte. Du hättest dein Märchen da nicht abbrechen sollen. Der Erzähler muß wenigstens seine Leute immer in Sicherheit zu bringen suchen und höchstens nur so viel von Verlegenheit übrig lassen, als dazu gehört, einen neuen Faden an den alten anzuspinnen.
Ben Hafi. Deine Bemerkung macht deinem Herzen Ehre, Herr der Gläubigen.
Zum ersten Mal strafte sich nun Mahal, der immer noch in den Straßen fror und hungerte, seiner Thorheit, das Gebirge verlassen zu haben, wo seine Heerden ihn nährten und er alles Das hatte, dessen er bedurfte.
Da aber nun der Groll nicht sättigte und Gott nicht, nach seinem Wunsche, über die Irader herfiel, die Kälte seinen hungrigen Leib immer mehr durchdrang, so wagte er noch einmal am äußersten Ende der Stadt an der Thür eines kleinen Hauses anzuklopfen. Ein Alter trat heraus und fragte ihn, wer er sei? was er wolle? Mahal erzählte ihm kurz seine Geschichte und brachte seine alte Bitte vor; der Alte gab ihm denselben Bescheid.
Mahal. Werthloses Ding! Kein Mensch! Warum bin ich kein Mensch? Bin ich nicht gebaut wie du? Habe die Glieder, die du hast, bin von dem Geiste belebt, der dich belebt, habe dieselben Bedürfnisse und fühle Hunger und Kälte wie du?
Der Alte. Du Thor, das ist eben dein Unglück, daß du dies fühlst und doch kein Gold hast. Die Thiere fühlen es auch, und darum sagen wir in Irad von Dem, der kein Gold hat, er ist ein Thier, weil er gleich dem Thier des Feldes von dem Raube leben muß. Aber das Thier des Feldes ist noch besser daran; denn das Gesetz tödtet es nicht um des Raubes willen, wohl aber das weit gefährlichere werthlose Ding, das gestaltet ist, wie du es bist, und vom Raube lebt.
Mahal dachte abermals mit einem tiefen Seufzer an die Gebirge, den Sitz der Ruhe und Unschuld. Einige Thränen drangen in seine Augen. Gerührt sagte er zu dem Alten: »Willst du nicht, daß ich von dem Raube leben soll, so gib mir Brod und Obdach. Morgen will ich weiter ziehen und dies grausame Land verlassen. Tödtet mich auch der Hunger, so sollen doch meine Gebeine nicht in diesem harten Boden ruhen.«
Der Alte. Narr! bedarf dieser Boden deiner Gebeine? Wer von uns würde wohl die Kosten tragen wollen, sie zur Erde zu bestatten. Wem nutzt die Leiche eines Todten? – Doch wofür willst du, daß ich dir Brod und Nachtlager geben soll?
Khalife. O Gott! o Gott!
Mahal. Um der Menschheit willen.
Der Alte. Du hörst ja, daß die Irader das Ding, das kein Gold hat, nicht unter die Menschen zählen.
Mahal. Um Gottes willen, der uns alle nährt!
Der Alte. Thor, sieh die Schwielen in meiner Hand, sieh mein verbranntes Angesicht. Die Arbeit nährt uns und sonst nichts. Der Gott in Irad ist das Gold, wir kennen keinen andern, und dieser macht uns zu Allem, was wir sind.
Khalife. Ben Hafi, dies ist ein ängstliches, abscheuliches Märchen, und glücklich ist mein treuer Masul hier (auf den tauben Verschnittenen deutend), daß er es nicht hört.
Ben Hafi. O, wär' es ein Märchen!
Khalife. Es ist's! es soll es sein!
Ben Hafi. Mahal erblaßte bei dieser Lästerung, sein Herz entbrannte, und er sprach abermals dem Menschengeschlecht den Verdammungsspruch.
Khalife. Ich verzeihe es ihm. Ben Hafi. Der Alte schien indessen über etwas nachzudenken. Nach einer Weile zog er Mahal gegen das Licht, betrachtete seinen Bau, seine Hände, befühlte seinen Nacken, maß seinen Rücken und sagte: »Du bist zum Lastthier gut genug gebaut, mir ging eins vor Kurzem ab. Willst du, daß ich dir Brod und Obdach geben soll, so nimm dieses Werkzeug hier. Mein Neffe soll dich auf das nahe Feld führen, der Mond scheint helle, grabe es um, daß ich es morgen besäen kann, und wenn ich dir pfeife, so kehre hierher zurück, dann sollst du essen und darauf auch schlafen. Beim Anbruch des Tags bepacke ich dich und treibe dich zu Markte.
Mahal ergriff die Hacke, sah Das, was ihm widerfuhr, für eine verdiente Züchtigung an, ließ sich von dem Knaben auf den Acker führen und arbeitete unter dessen Anweisung bis zur Mitternacht. Der Alte pfiff ihm, gab ihm Brod und stieß ihn mit den Worten in einen Winkel, der seinem Lastthiere zum Lager diente: »Dinge, die kein Gold haben, sind gefährlich.« Hiermit riegelte er ihn ein.
Als er ihn Morgens mit gefüllten Körben bepackte, sagte er zu ihm: »Sieh, Fremdling, Die kein Gold haben, müssen ihre Hände und ihren Rücken hergeben, daß Die, welche ihren Rücken und ihre Hände brauchen, Gold durch sie erwerben können. Hast du nun gleich kein Gold, so bist du, wie du siehst, doch wie jedes andere nützliche Hausthier des Goldes werth. Und thust du, was du kannst, so soll dir es an Lager und Brod nicht fehlen, denn wir schonen um unsers Vortheils willen des Thiers, das uns nutzt.«
Mahal beugte seinen breiten Rücken, hörte geduldig an, was der Alte sagte, überdachte im Gehen unter seiner Last den Sinn seiner Worte und fand, daß sein neuer Lehrer, der mit einem Prügel hinter ihm herging, den von Ram erlernten Worten Nachdruck und Bedeutung gab. Auch verstand er nun den Wink, den ihm Jener beim Abschied gab, und that auf einmal einen großen Sprung in der Kenntniß des gesellschaftlichen Lebens, ohne es doch für jetzt so bequem zu finden, als in Enoch an des grämlichen Sultans Hofe. Das Gesindel, das Mahal vor dem Alten so rasch und sicher hertraben sah, rief: »Ein gutes Lastthier, das der Alte da gedungen hat. Stark von Nacken und Rücken. Wenn es sonst keine Tücken hat, wird es sein Brod gewiß verdienen.«
So trug nun eine Zeitlang Mahal Morgens die Lasten auf den Markt, und zur Abwechselung bearbeitete er, unter der strengen Aufsicht des Knaben, die Felder. Täglich wurde ihm dabei das menschliche Leben, in einem Punkt wenigstens, klarer; aber auch unerträglicher. Oft seufzte er in seinem Winkel: »Wie schön und erquickend ging mir auf dem Gebirge die Sonne auf, und nun wie trübe und schrecklich in diesem feuchten, schmutzigen Loche! Dort tönte der Gesang der Vögel, das Rauschen des Wassers von den Felsen in mein Morgenlied. Die sanften Winde umsäuselten mein Haupt während meines ruhigen Schlafs. Die reine Milch meiner Heerde nährte mich, und mein Weib, meine Tochter, ergötzten mich mit ihrer Sorge und ihren freundlichen Gesprächen. Ich war glücklich bis auf den Augenblick, da der unruhige Geist der Begierde nach Kenntniß in mir erwachte. Da verstummte der Gesang der Vögel und das Rauschen des Wassers, da sang ich kein Morgenlied mehr dem Gott meiner Väter. In meinem Schlafe sah ich unbekannte Gestalten und bunte, wilde Bilder. Mein Haupt umsausten Stürme, in meiner Brust gezeugt, und die Sorge, die Gespräche der Meinen wurden mir zum Ekel. Gebeugt unter meiner Last gehe ich nun dahin, und hinter mir tritt der strenge Treiber einher und nennt allein sich Mensch. Meine Gebeine erkrachen unter der schweren Last, auf dem Felde treibt die heiße Sonne den Schweiß aus meiner Stirne, daß er in meinen Bart fließt, und meine Thränen werden oft mein Getränk bei lechzendem Durste. Werfe ich mich auf dieses elende Lager hin, so quälen mich Vorstellungen des Vergangenen, Gedanken über die Menschen und ihr Wesen, und ich frage dich, Herr, in meinem Unmuthe, warum sind sie so; aber du antwortest mir nicht.«
Da der Alte mit Mahals Fleiß zufrieden war, so ließ er es ihm wenigstens nicht an gutem Unterrichte fehlen und ertheilte ihn ihm bei jedem magern Bissen, den er ihm reichte. Seine Güte gegen sein Lastthier ging gar so weit, daß er ihn einstmals in der zur Erholung bestimmten Stunde mit seinem Neffen in die Schule der Stadt führte, damit er recht deutlich und klar erkennen möchte, was der Werth des Goldes und wer der Gott der Irader sei.
Ein lumpichtes Ding, eine wahre Abbildung des Hungers und des Elends, hatte sich als Lastthier diesem Viertel der Stadt auf die Bedingung verkauft, die aufwachsende Jugend für Schutz und schlechte Nahrung in der den Iradern nöthigen Wissenschaft zu unterrichten. Er stand auf einer erhabenen Stelle, die Knaben verschiedenen Alters saßen um ihn herum, hinter ihnen standen die Alten, um selbst von den Fähigkeiten und dem Fleiße ihrer Söhne Zeugen zu sein. Die Wissenschaft der Irader war schon so vollendet und zugerundet, daß sie sich in Gemeinsprüchen vortragen ließ, und glich darin so ziemlich derjenigen, die wir jetzt die Sittenlehre nennen, nur daß die Irader jene praktischer befolgten.
Nachdem sich nun das lumpichte Ding von Menschen lange in Gemeinsprüchen über den einzigen und wichtigen Gegenstand der Kenntniß der Irader herumgetummelt hatte, so legte er den Knaben, einem nach dem andern, folgende Fragen vor, um ihre Aufmerksamkeit zu prüfen und den Alten zu zeigen, wie weit sie unter seiner Leitung gekommen wären.
Was ist das höchste Gut, wornach der Mensch zu streben hat?
– Das Gold.
Warum ist es das Gold?
– Weil dadurch allein der Mensch zu den Mitteln der wahren Glückseligkeit, der Achtung unter seinen Mitbürgern, dem Genusse aller Dinge und der wahren Vollkommenheit gelangen kann.
Was muß also der Zweck eines vernünftigen Wesens in diesem kurzen, mühseligen Leben sein?
Recht gut, mein Sohn. Aber, Folgender, sind, um Gold zu erwerben, auch alle Mittel gleich gut und erlaubt?
Gleich gut sind sie alle, wenn sie den Hauptzweck erfüllen; aber nicht alle erlaubt.
Was hat also der Verständige dabei zu beobachten?
– Wenn er sich durch das Gesetz verbotner Mittel bedient, so muß er darauf sehen, es entweder heimlich oder doch so zu thun, daß das Gesetz in dem ihn betreffenden Fall nicht gelte, wenigstens darauf nicht anwendbar sei. Da dieses oft mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist, so setzt es auch viele Gewandtheit und Erfahrung voraus, erwirbt aber unter den Mitbürgern noch mehr Achtung, als der Gebrauch der geraden und gemeinen Mittel, weil es großen Verstand und listige Verschlagenheit beweiset.
Vortrefflich, mein Sohn. Ein Anderer! – Darf man wohl um des Goldes willen auch Mord begehen?
– Nein, und zwar um seines eignen Besten willen nicht, weil sonst Keiner seines Goldes unter den Mitbürgern lange sicher wäre.
Es gibt eine sehr nöthige Wissenschaft als Hilfsmittel, und ohne welche der Irader nicht bestehen kann, wie heißt die?
– Die Rechenkunst.
Richtig, die Rechenkunst. – Wie hat man sich in Ansehung der Fremden überhaupt zu verhalten?
– Fremde kann man betrügen und muß sie aus Gold- und Vaterlandsliebe betrügen. Auch kann man sie durch Krieg unterjochen, zu Sklaven machen, sie mit so viel Nahrung, als zur Fristung des Lebens hinreicht, zur Arbeit zwingen, und empören sie sich dagegen unter dem Vorwand, es geschehe ihnen Gewalt und Unrecht, so darf man sie als Aufrührer gegen den Staat tödten; doch besser ist es, man tödtet sie durch Arbeit, weil die Arbeit Gold einbringt.
Recht sehr gut! – Folgender! Was ist die höchste Tugend?
Was das größte Laster? Die schändlichste Schmach?
– Armuth.
Wie nennt man das Ding, das kein Gold hat?
– Werthlos. Man zählt es auch gar nicht unter die Dinge oder Wesen, man nennt es nur ein Werkzeug in den Händen Dessen, der Gold hat. Viele sprechen ihm sogar alle Vernunft ab.
Und das mit Recht, mein Sohn, sagte der Elende seufzend. Was ist nun Der, der Gold hat?
– Alles! Er ist vernünftig, beliebt, schön, witzig, vollkommen. Er ist ein Weiser, ein Sultan unter den Menschen.
So ist es; sucht es zu werden, ihr Kinder, wie eure Väter hier es sind. Nun sage mir ein Anderer: Wem unter allen Geschaffenen gehört die vorzüglichste Achtung?
– Dem Golde.
Warum?
– Weil es das Vollkommenste der Schöpfung ist und allein seinem Besitzer alle Vollkommenheiten ertheilt.
Was ist Gold?
– Der Gott, den wir anbeten.
Der Khalife hielt hier seine Ohren zu.
Warum beten wir ihn an?
– Weil nur er glücklich macht, und der Mensch für das Glück geboren ist, oder wenigstens es sein sollte.
Ja, sein sollte, seufzte der lumpichte Lehrer. – Sage du! gibt's wohl außer ihm noch andere Götter?
– Ja einen, den man den Alten, Unsichtbaren nennt.
Muß man auch ihn verehren?
– Schaden kann es weiter nichts, weil er, wie man sagt, das Gold gemacht hat. Auch sagten unsre Voreltern von ihm, er könne, wenn er wolle, durch seine große Macht zum Besitze des Goldes verhelfen. Vielleicht war es so zu ihrer Zeit, jetzt gibt er Keinem nichts, und Jeder muß das Gold durch Mühe und List zu erwerben suchen. Da übrigens die Achtung, die man ihm erzeigt, weiter nichts als Worte oder höchstens Gedanken kostet, so kann es Jeder halten, wie er will.
Denken die Völker um uns herum, wie wir?
– Alle erleuchtete und aufgeklärte Völker, die fernen und die nahen denken so, handeln auch darnach und dienen nur diesem Gott; aber nicht alle sind sie so aufrichtig, es zu gestehen, wie wir es thun. Sie sind meistens Heuchler, und nur der Irader ist ehrlich genug, zu sagen, wie er denkt.
Vortrefflich, ihr lieben Kinder, ich hoffe, eure werthen Eltern sind mit euch und dadurch mit mir zufrieden. Es thut mir Noth.
Hierauf sprach der lumpigte, von dem Elend und dem Kummer ausgemergelte Lehrer in hoher Begeisterung folgendes Gebet, während welchem er mit Augen voll starrer Entzückung nach dem Wort Gold, das über seinem Lehnstuhl als Inschrift hing, blickte. Die Alten und die Jungen sahen mit tiefer, brünstiger Verehrung mit ihm nach dem bedeutenden Symbol.
»Gold, du Herrlicher, Trefflicher! Der du unter dem sichtbaren Erschaffnen glänzest, wie die Sonne an dem Gewölbe des Himmels, wenn du sie beim Anbruche des Tages mit deinem schönen, strahlenden Gewande bekleidest! Ohne dich sinkt sie in schwarze Dunkelheit, und sobald du ihr das geliehene Gewand abziehst, hört sie auf, zu sein, und gleicht dem elenden Menschen, der keine Gnade vor deinen Augen gefunden hat. Doch damit wir dich auch bei dunkler Nacht verehren können und dich immer vor Augen haben mögen, übergoldest du die unzähligen Gestirne mit deinem Glanze. Ach, warum können wir nicht zu der Sonne und zu den Gestirnen hinaufsteigen, um ihnen die uns so nöthige und ihnen so unnöthige kostbare Bekleidung zu rauben! König! Oberhaupt der ganzen Natur, vor dem das ganze Menschengeschlecht die Kniee beugt, von dem Sultan bis zum Bettler! Dem Alles, für den Alles lebt! Du ertheiltest alle Tugenden und Vollkommenheiten und überschüttest deine auserwählten Günstlinge mit des Lebens üppigstem Genusse. Ach, ich bin Keiner derselben! Alles, was die Menschen ersinnen und hervorbringen, geschieht nur, weil du bist. Ohne dich lebte der Mensch noch in der Wildheit gleich den Thieren. Du hast die edlen Fähigkeiten seines Geistes, die Triebe seines Herzens, die Kräfte seines Leibes erst recht entwickelt, und dir ist er Das schuldig, was er durch Verstand, Geist und Gunst vermag. Um deinetwillen wacht der Denker die lange Nacht durch, um deinetwillen schwitzt und keucht der Ackermann auf dem Felde, um deinetwillen kämpft der Schiffer mit dem Sturme, um deinetwillen achtet der Krieger selbst seines edlen Lebens nicht, das er doch nur einmal lebt. Deinen Begünstigten umgaukelt die Freude des Lebens. Alles arbeitet, wächst, entsteht und wird hervorgebracht zur Befriedigung seiner Sinne. Du bist sein Gott, und deine Tochter, die Wollust, seine Göttin. Ihm blüht das zarte Mädchen zur Jungfrau auf; im ersten Augenblick der Reise löst er sie von dem Stengel der Unschuld, an dem sie ihm die Mutter, um deinetwillen, auferzogen und bewacht hat. Die Erde trägt ihm Früchte und Gewächse, das dunkle Meer nährt ihm kostbare Fische, der Wald das geschmackvolle Wild, und die Luft ist für ihn mit Vögeln bevölkert. Ach, nur eine Klage bleibt deinen Günstlingen übrig! Daß sie der Sinne nicht mehrere haben, und daß sie durch den Genuß ihren Reiz und ihre Kraft verlieren. Aber auch alsdann noch tröstet sie dein herrlicher, blendender Glanz. Du verleihest ihnen Verstand, Ansehen, Macht und Unsträflichkeit; denn Alles dürfen Diejenigen wagen, welche dich besitzen. Hoch mögen sie die Häupter empor heben; die von dir Verworfnen kriechen im Staube vor ihnen, lassen sich von ihnen mit Füßen treten und sehen von der niedrigen Erde zu ihnen wie zu Göttern hinauf.
»O du Wesen aller Wesen! Du Schöpfer aller Künste und Wissenschaften! Du Triebrad der menschlichen Gesellschaft! großer, mächtiger Zauberer! Gleich dem größten Monarchen der Schöpfung, sitzest du in ihrem Mittelpunkt und ziehest durch deinen Glanz alle durch Verstand, Geist und Kunst gebildete Wesen an! Selbst der rohe Sohn der Unwissenheit, der nur durch den thierischen Instinkt lebt, lächelt, wenn ihn dein Schimmer umstrahlt, das Dunkel der Unwissenheit erheitert sich, und der thierische Trieb verfeinert sich. Alle Wesen der Gesellschaft drehen sich in deinem Kreise herum, und Jeder strebt, dem Andern aus allen Kräften vorzudringen, um deinem Heiligthum der Nächste zu sein.
»Ohne dich, du gewaltiger Zauberer, ständen plötzlich die Triebräder der menschlichen Gesellschaft still, alle Tugenden verschwänden mit den Lastern, und der Tod aller moralischen Kräfte erfolgte bald. O Gold, du mühsame Jagd des Menschengeschlechts! dir verkaufen die Jungfrau und die Matrone die Keuschheit! der Denker die Wahrheit! der Staatsmann seinen Sultan und sein Vaterland! der Richter die Gerechtigkeit! der Herrscher das Glück seiner Unterthanen! Um deines Glanzes willen läßt sich der Verständige von dem Dummkopf verachten und schmeichelt ihm noch! Um deines Glanzes willen beugt der Stolze den Nacken und übt seine Zunge im glatten Spiele der Schmeichelei! Um deines Glanzes willen verkaufe ich den edeln und weisen Bürgern von Irad die Tage meines Lebens, und doch fliehest du mich, und mein Gewinn ist hartes Brod und das bloße, farblose, geschmacklose Wasser.
»Alles lehrst du ertragen! Durch dich wird der Feige tapfer, der Träge thätig! Du entfernst selbst die schwarzen Schrecken des Todes, das scheußliche Loos der Menschheit, den auf ihr liegenden unabänderlichen Fluch, welchem allein, nebst seinen Vorläufern und Gefährten, den häßlichen Seuchen, deine Günstlinge nicht entfliehen können, und säßen sie auch in dem Mittelpunkt deiner Herrlichkeit. Sie müssen sterben, wie wir Elende es müssen, und, von deinem Glanze geschieden, in die dunkle Finsterniß wandeln. Trotz dem furchtbaren Gespenste thut gleichwohl der Mensch, die Augen auf dich geheftet, Thaten, welche die Nachwelt bezweifelt. Er trägt Leiden und Gefahren, die wir schaudernd bewundern und doch aufsuchen.
»Herrlicher, Glänzender! Erhabener! Sieh gnädig auf dein auserkornes Volk herab! Umleuchte nur uns mit deinem strahlenden Glanze. Fliehe unsre Nachbarn, sei ausschließend unser Gott! Kein Volk auf Erden verehrt dich, wie wir dich verehren! Der Irader sucht durch dich die Herrschaft über alle Völker und wird sie gewiß erhalten, wenn du ihm gnädig bist. Gieße dich, Mächtiger, Erhabener! da wir doch einmal den Tod und seine Gefährten, die Seuchen, nicht durch dich besiegen können, wenigstens so lange wir leben, auf uns herab und verbleibe dann Denen hold und getreu, die wir verlassen müssen, denen wir hinterlassen müssen, was du uns von deinem göttlichen Wesen ertheilt hast!« –
Khalife. Alles, was dieses lumpigte Ungeheuer da sagt, ist so abscheulich, daß mir ganz finster vor den Augen und ganz weh um das Herz geworden ist.
Ben Hafi. Ich glaube es dir gerne, Herr der Gläubigen; aber noch abscheulicher ist es, daß an dem Abscheulichsten, was man von dem Menschen dichten oder sagen mag, immer mehr wahr ist, als Einem lieb ist.
Khalife. Leider habe ich in meiner langen Regierung diesen Durst nach Gold nur allzu sehr bemerkt, und ich erstaunte oft, wenn ich um seinetwillen den Besten zu dem Schlechtesten werden sah.
Großvizir. Dies alles kommt von dem in den Menschen eingewurzelten Bösen her, darum muß man sie mit einem eisernen Scepter regieren und zum Guten peitschen.
Khalife. Gott allein weiß es. Er sieht in der Tiefe des Meeres den Keim der Muschel sich bilden, und in dem Herzen des Menschen die fernste Anregung zum Bösen. So sagt ein Ausleger des Buchs.
Ben Hafi (dazwischen für sich). Dies ist eben das Sonderbare und Bedenkliche von der ganzen Sache.
Khalife (fortredend). Er kennt Alles, Ben Hafi, und kennte sich der Mensch, sagt der Ausleger – kennte sich der Mensch – wie sagt er, doch? Er braucht ein Gleichniß.
Ben Hafi. Das mir unbekannt ist. Vielleicht sagt er so, Nachfolger des Propheten: kennte sich der Mensch, so fände er mehr in sich, als er zu sein scheint, oder er hielte sich vielleicht gar bei dem plötzlichen Schrecken über die unerwartetete Selbsterkenntniß für gar nichts.
Khalife. Dieses kann nur dem Ungläubigen widerfahren, nicht dem Schüler des Propheten. Auch ist, was du sagst, kein Gleichniß, und ich suche, wie du hörst, ein Gleichnis. (Er sinnet nach und siehet eine Weile eine brennende Wachskerze an.) Mir fällt statt des seinigen ein Gleichniß ein, das ich, weil ich es selbst gefunden habe, mein Eigenthum nennen kann. Kennte sich der Mensch, sage ich, er würde gewiß eben so erstaunen, wie diese brennende Wachskerze, wenn sie auf einmal ihr uns erleuchtendes Licht so schön und deutlich denken könnte, als wir es sehen und denken. Aber was ihr zweiter Gedanke sein würde, das gebe ich dir und euch allen zu errathen auf.
Der Großvizir und die Hofleute versicherten den Khalifen, es sei ihnen unmöglich, seinen tiefen Sinn zu erforschen. Ben Hafi schwieg aus einem andern Grunde.
Khalife. Es ist doch ein gar begreifliches Ding. Ihr zweiter Gedanke würde gewiß eine Klage über den wenigen Rauch sein, der von ihrem Licht ausgeht, und gleichwohl kann die kleine, schöne, leuchtende Flamme ohne den wenigen Rauch nicht sein.
Ben Hafi. Beim Propheten, es ist überraschend tief und schön gedacht.
Khalife. Daß ich nicht wüßte, es scheint mir so leicht als natürlich, und Jeder von euch möchte es sagen, der diese Kerze in demselben Augenblick angesehen hätte, da ich sie ansah. – Wie betrug sich dein Mahal bei diesem abscheulichen Unterricht?
Ben Hafi. Da er nicht so lange wie du über Menschen geherrscht hatte, so fand er ihn noch abscheulicher. Anfangs hörte er mit ängstlichem Erstaunen zu, dann mit Schmerz, endlich gar mit Wuth. Sie brach aus, und er donnerte den Iradern in kräftigen Ausdrücken ihren Unsinn, den Zorn des Allmächtigen, seine Sendung und ihren nahen Untergang in die Ohren.
Die Zuhörer schrieen: Raset das Lastthier? Wie waget das werthlose, nichtsnützige Ding zu rasen, das nichts als die Sprache und Gestalt von Menschen hat? Es raset Ketzerei und verdirbt unsre Jugend. (Zum Lehrer.) Du Schatten von Menschen! gib Ruthen her, daß wir dieses tolle Ungeheuer vor den Knaben züchtigen. Es soll lernen, wie es sich unter Menschen zu betragen hat. (Zu dem Alten.) Wie unterstehst du dich, dein nichtswürdiges Lastthier unter uns zu bringen?
Der Lehrmeister brachte Ruthen, die Knaben fielen über Mahal her, entrissen ihm unter Spott und Muthwillen sein Gewand, und so eben wollte das lumpigte Ungeheuer anfangen, ihm seinen breiten Rücken zu zerhauen, als ein Eilbote des Sultans Zobar hereinfuhr und Mahal zu dem Sultan aufforderte.
Khalife. Das ist mir lieb, Ben Hafi, denn ich mag keinen Menschen, auch nicht in einem Märchen, geißeln sehen; ich fühle alle die Streiche, die man einem gibt.
Ben Hafi. Friede sei mit deinem Herzen, du Freund des Menschen! aber ich erinnere mich deines Mitleids nicht, da Ram gegeißelt wurde und ich dir beschrieb, wie Mahal dabei litt.
Khalife. Das ist ein Andres; Ram scheint mir ein böser Mensch zu sein, der Gott Hohn spricht. Er griff, wie es scheint, die Stütze des Throns des Sultans in Enoch an und war bei ihm in Ungnade gefallen. Gleichwohl hätte ich ihn nicht geißeln sehen mögen, und hätte er mir es selbst gethan, wäre er in meine Ungnade gefallen. Wir, Ben Hafi, müssen nur Freudenthränen sehen, wenn wir uns zeigen, und keine Thränen des Schmerzes; könnten wir dies nur immer, ja, dann wären wir zu beneiden!
Ben Hafi. Dieser Wunsch allein macht dich des Thrones würdig, auf dem du sitzest.
Khalife. Was thu' ich als meine Pflicht, der Prophet will es, ich bin sein und Omars Nachfolger. Und wollt' ich anders, mein Herz würde es nicht können. Wer möchte wohl hart sein, da das Gutsein so viel Vergnügen macht?
Ben Hafi. Herr der Gläubigen, ich kann nach Diesem, was du mir sagst, nichts mehr vorbringen, das heute des Hörens noch würdig wäre. Die einzige Gnade, um die ich dich bitte, ist, mir zu erlauben, den Saum deines Gewandes mit meinen Lippen zu berühren und mich dann zu beurlauben.
Khalife. Thue es, wenn es dir gefällt.
Ben Hafi berührte ehrfurchtsvoll mit seinen Lippen den Saum des Gewandes des Khalifen, rollte seine Handschrift zusammen und ging.
Khalife (zu den Andern). Es ist ein guter Mensch. Langweilig sind seine Märchen, das ist wahr; aber da sie denen, die ich bisher gehört habe, so wenig gleichen und immer etwas Besonderes an sich haben, so muß ich sie doch bis an das Ende anhören, geschäh' es auch bloß darum, den guten Mann nicht verdrießlich zu machen.