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Zehnter Abend

Ben Hafi erschien auf den Glockenschlag, rollte seine Handschrift auseinander und begann:

So entfloh Mahal, verlor sich in den Straßen und befand sich nun in einem Theile der Stadt, wo Menschen wohnten, die, obgleich anders gekleidet, wie ihre Oberherrn, die Götter, doch eben so heiter und zuvorkommend zu sein schienen, wie ihre Oberherrn, die Götter. Mahal ging also ganz unbesorgt auf Einen zu und forderte, was ihm jetzt so nöthig war. Der Mann beantwortete seine Bitte mit dem holdesten Lächeln, machte ihm die feinsten Entschuldigungen und wies ihn an einen Andern. So spielte ihn die Höflichkeit so lang aus einer Hand in die andere, bis er endlich über die süßen Redner und lieblichen Lächler ergrimmte.

Khalife. Habe ich dir es nicht vorausgesagt? Nicht gesagt, daß mir ihre allzu große Freundlichkeit verdächtig ist? und daß sie ihren klugen Herren gleichen würden?

Ben Hafi. Das alles hast du gesagt, Herr der Gläubigen. – Mahal trug endlich sein Begehren, nach seiner jetzigen Stimmung, einem Giner etwas trotzig vor. Den wohlerzogenen Giner beleidigte der rohe Ton, und er antwortete ihm: »Mensch, was gehst du mich an? Was geht mich es an, ob du hungerst und kein Obdach hast? Habe ich doch ein Obdach und hungere nicht.«

Wäre nun Mahal aufgeklärt genug gewesen, den Sinn, der in diesen Worten lag, in seinem ganzen Umfang zu fassen, so würde er gleich den Schlüssel zu der Höflichkeit der Giner gefunden und dadurch entdeckt haben, daß die Giner einem Gott dienen, der mit dem der Irader gleichen Ursprungs ist, oder den vielmehr jener mit der Erleuchtung gezeugt hat. So viel begriff er indessen, daß diese Worte für ihn nicht von allzu guter Vorbedeutung waren.

Ein nahestehender Giner, von dem glattesten, geschmeidigsten Aeußern, dabei etwas ältlich, hatte die rauhe Antwort seines Landsmanns gehört und war nun Zeuge der unangenehmen Verlegenheit Mahals. Er nahte ihm sehr liebreich, fragte ihn, woher er käme und wer er sei? Als ihm nun Mahal antwortete, er käme von dem Gebirge, lächelte der Giner noch liebreicher, maß ihn von dem Scheitel bis zur Sohle, betrachtete genau den Umriß seines kräftigen Baues, legte endlich seine Hand unter Mahals Hüfte und befühlte einen Ort, den ich dir, Herr, zu errathen überlasse. Hierauf sagte er ernsthaft: »Wie kann doch ein Mann deines Schlags in Gin verlegen sein? Folge mir, mein Theuerster!«

Mahal wußte nicht, was er von dem Manne, der sonderbaren Betastung und seinen Worten denken sollte. Er hielt es endlich für einen Gebrauch des Landes, eine ihm neue Begrüßungsart, und folgte dem Giner, der ihm so freundlich vertraulich die Hand darreichte.

Der gute Giner führte ihn in ein Bad, ließ ihn waschen, reiben, salben, kleiden, leicht speisen und bat ihn hierauf sehr höflich, ihm weiter zu folgen. Es war nun Abend geworden. Der Giner trat mit ihm in ein großes, wohlausgeschmücktes Haus, ließ durch einen Diener eine Botschaft in das Innre laufen, die Thüren öffneten sich, und der Giner stellte den Mann vom Gebirge einer jungen, schönen, blühenden Wittwe mit einem Lobspruch vor, über den die schöne Wittwe vergnügt erröthete und durch den Mahal sich die Begrüßungsart des Giners erklärte, indem er ihn zugleich verwirrte. Diese Verwirrung gereichte ihm aber bei der Wittwe nicht zum Nachtheil. Sie nahte ihm vertraulich und liebreich und betrachtete ihn mit vielem Wohlgefallen. Indessen erzählte ihr der Giner, was er von Mahal wußte, in welchen Umständen er ihn gefunden und was er bisher mit ihm unternommen hatte. Die Wittwe sagte endlich zu dem Redner: »Ich danke dir, Lieber, daß du meiner gedacht und mir ihn zugeführt hast. In meinem Hause, wenn er sonst leistet, was sein Ansehen verspricht (und daran zweifele ich nicht, da er von deiner Hand mir kommt), soll er, ich schwöre es bei meinem Selbst, gewiß nicht Mangel leiden. Für sein Vergnügen zu sorgen, ist von nun an mein Geschäft; das seinige sei, mir seine Schuld und Dankbarkeit durch Vergnügen abzutragen.«

Nun trat sie mit dem Giner auf die Seite, und Mahal sah sie so ernsthaft mit einander reden, wie Leute, die einen sehr wichtigen Handel mit einander abzuschließen haben, wovon der Eine seine Waare so theuer als möglich an den Mann zu bringen, und der Andere sie so wohlfeil als möglich zu erstehen sucht. Oft stand das Geschäft einige Augenblicke stille, der Giner setzte dann seinen rechten Fuß zum Abmarsch vorwärts, die Wittwe blickte auf Mahal und hielt den Handelsmann am Arme fest. Der Vertrag ward endlich geschlossen, die Wittwe füllte die Hand des Giners mit dem Gott der Irader, den Mahal so sehr verabscheute. Dieser ging, und sie nahte Mahal nun vertraulich und sagte, indem sie über seine Wangen strich, mit derem festen braunen Roth der schwarze lockichte Bart so bedeutungsvoll abstach: »Lieber, ich habe dich theuer von dem Manne erstanden, doch ich hoffe, nicht zu theuer. Wer kann die Freundschaft eines Mannes, wie du mir scheinst, eines Mannes, der von dem seinen Gebirge herkommt und so ganz das Ansehen hat, auf demselben gleich einer unverletzten Eiche aufgewachsen zu sein, zu theuer bezahlen.«

Du kannst leicht denken, Herr der Gläubigen, daß der Mann des Gebirges von allem Diesem sehr wenig begriff: doch die schlaue Wittwe machte ihm das Unverständliche bald verständlich, und wenn ein junges, schönes Weib es über sich nimmt, einem gesunden Manne etwas begreiflich zu machen, so findet sie, wie man sagt, sehr leicht Eingang. Vielleicht aber wunderst du dich über Mahals schnelle Gelehrigkeit? –

Khalife. Ganz und gar nicht.

Ben Hafi. Wenigstens mochtest du erwarten, daß ein Mann von solchem Berufe doch eine Zeitlang Das hätte spielen sollen, was man jetzt hin und wieder vorzüglich Tugend zu nennen beliebt und wodurch man eigentlich der Tugend ein so enges, neues, dünn gewobenes Gewand umhängt! Damit war es vor der Sündfluth ganz ein anderes. Die Handlung, auf welche für das menschliche Geschlecht eine so wichtige Erscheinung erfolgen kann, betrachtete man damals eben so, wie man jetzt das Pflanzen eines guten und nützlichen Gewächses ansieht. –

Khalife. Warum sollte man nicht?

Ben Hafi. Man betrachtete es als ein ergötzliches und verdienstliches Geschäft. Ergötzlich, weil es dem Pflanzer Vergnügen macht, und verdienstlich, weil es einem Wesen Leben gab. Noch unter den Propheten (den Patriarchen) nach der Sündfluth hielt man es so damit, wie man in den alten Schriften von ihnen lesen kann, und ich weiß nicht, woher es kommt oder was das menschliche Geschlecht dabei gewonnen hat, daß einige Schwärmer diese so wichtige, als natürliche Handlung lästern – doch vermuthlich ist dieses die Ursache davon: die Ausübung der wahren männlichen Tugend scheint ihnen zu beschwerlich, und sie suchen sich wenigstens mit einer zu brüsten, die, wenn sie auch weniger kostet, ihnen doch am Ende, vor den Augen Blödsinniger und Heuchler, Ruhm erwirbt. Heldenmuth erfordert es gewiß nicht, und darum nennt man es auch mit Recht die neue Tugend, zum Unterschied der alten.

Khalife. O des Geschwätzes! Ben Hafi, der Mann muß wenig Werth haben, der keinen andern als diesen vorzeigen kann, und damit genug.

Ben Hafi. So ist es! – Mahal fand seinen gegenwärtigen Dienst bei der jungen Wittwe weit lustiger, als bei dem strengen Alten in Irad.

Khalife. Ich glaube es gerne.

Ben Hafi. Die Wittwe war vollkommen mit ihm zufrieden, überhäufte ihn mit Schmeicheleien, ließ die besten Leckerbissen für ihn zubereiten, und er lebte, ohne daran zu denken, das wahre Leben der Götter in Gin, das er anfangs doch so anstößig gefunden hatte. Da es nun der Wittwe nicht an Verstand und Witz gebrach, so machte sie ihm den eingeschränkten Aufenthalt in ihrem Hause ohne viele Mühe sehr angenehm. Sie übernahm es sogar, seinen Geist etwas mehr auszubilden, und er lernte in ihrer Schule Manches, von dem ihm nicht geträumt, das er schwerlich unter Männern erfahren hätte. Doch in so rohen Zeichen, als er sich bedient, lassen sich solche feine Dinge nicht so glücklich ausdrücken, wie in unsrer hochausgebildeten arabischen Mundart. Um der Langenweile, die am Ende doch immer zwei Personen beschleicht, die zusammen leben, zuvorzukommen, lud die schöne Wittwe oft Gäste beiderlei Geschlechts ein, und Mahal fand immer mehr Ursache, mit dem Lande und seinen Bewohnern zufrieden zu sein; ja, er wagte es sogar, die Giner von den Völkern auszunehmen, die nach seiner Meinung den Zorn des Herrn verdienten. Die Enocher, Irader nebst den Schiffern übergab er seiner Rache, ohne allen Vorbehalt: »aber warum,« sagte er, »willst du diese feinen, wohlthätigen, wohlerzogenen Leute, deren Weiber so schön und zuvorkommend, deren Männer so höflich und artig sind, verderben? Sieh, sie leben in Eintracht dem Vergnügen ihrer Sinne, der angenehmen gesellschaftlichen Unterhaltung, und ich sehe sie gar nichts Böses thun.«

In dieser guten Laune that Mahal oft die naivsten Fragen; eine Zeitlang ergötzte sich die Gesellschaft daran. Da aber das Naive, weil es allzu natürlich ist, gebildeten Leuten gar bald kindisch und einfältig vorkommt, so hielt es die Wittwe für nöthig, ihm, um des Tons der Gesellschaft willen, etwas von dieser allzu großen Naivität zu benehmen. Um ihm nun den ersten Unterricht zu geben, versammelte sie zu einem Abendessen eine ganz auserwählte, ganz eingeweihte Gesellschaft, und da kam es denn sehr bald heraus: »Das Reich Gin sei ein Land voller Freundschaft und Liebe. In Gin lebe Jeder, von dem Sultan bis auf den Letzten, sich und seinem Vergnügen. Das Ich, das Selbst sei der angebetete Gott des Landes, und das Ganze halte nur dadurch so fest zusammen, weil jedes weisen Giners Ich des Ichs der andern Giner zu gewissen unentbehrlichen Bedürfnissen und Bequemlichkeiten benöthigt wäre. Das eigne Ich sei also der Grund aller Handlungen der Giner, und die Giner seien darum das allerverfeinerteste Volk der Welt, weil sie diese Beweggründe des menschlichen Thuns so fein und artig zu verbergen wüßten, daß man in keinem Lande vor der Sündfluth so viel von Aufopferung, Großmuth, Uneigennützigkeit, Freundschaft und Liebe redete, als in Gin, davon man aber selten etwas in der Wirklichkeit sähe, es müßte denn einmal ein roher, unerzogener, wilder Mensch den thierischen Trieben seiner Natur folgen. Jeder Giner nähme aber, dem Aeußern nach, diese Worte, um durch Höflichkeit und Sittlichkeit dem gesellschaftlichen Leben einen schönen, glänzenden Firniß zu geben, für baare, echte Münze an, und Der, welcher den Andern merken ließe, er zweifelte an ihrer Echtheit, gälte für einen Menschen ohne Lebensart, sei untauglich für die Gesellschaft und den Verkehr des Lebens. Doch hätte dieses keinen Einfluß auf die wirklichen Handlungen, und darum thäte gewöhnlich jeder Giner das Gegentheil von Dem, was er dem andern zusagte, und selten frage ein Giner den andern, warum er seinen Worten nicht gemäß gehandelt hätte. Jeder wisse zu gut, was und wie viel es erforderte, um einen von ihnen dazu zu bewegen.«

So spricht zum Beispiel, setzte ein sehr feiner Mann hinzu, der sich besonders zum Lehrer Mahals aufwarf, ein Giner zu einem, der ihn um Hülfe anfleht und von dem sein Ich weder etwas zu fürchten noch zu hoffen hat: »Ich bedaure von Herzen, mein Theurer, daß ich dir nicht dienen kann!« Dies heißt auf gut Arabisch: was geht dein leidendes Ich mein Ich an, das sich jetzt ganz wohl befindet und dem du nichts Böses noch Gutes thun kannst.

So spricht der Sultan laut: Ich habe das Glück, über die Giner um ihretwillen zu herrschen. In seinem Herzen sagt er: Ich herrsche über die Giner um meinetwillen, sie sind mein Eigenthum.

So sagen die Erhabenen, Auserwählten, die als Götter um des Sultans glänzenden Thron stehen. –

Mahal (fuhr auf). Götter! Götter! Wie könnt ihr, sonst ganz vernünftige Leute, doch so rasend sein, diese sogenannten Götter für etwas anders zu halten, als was sie wirklich sind, Menschen, wie ihr es seid?

Die ganze Gesellschaft erblaßte, erbebte und sah sich so furchtsam um, als ständen die verderbenden Götter mit den flammenden Schwertern hinter ihnen. Die schöne Wittwe blickte Mahal zum ersten Mal voll Ingrimm an und schrie: »Du rasender Rohling! sage, willst du, daß ich mit dir an das Kreuz geschlagen werden soll! Wage nur noch einmal ein solches Wort, und ich überliefere dich den erzürnten Göttern, so lieb du mir auch bist; denn noch lieber ist mir mein Leben und mein Haus, mein Hab und Gut!

Die Freunde trösteten die Erzürnte, indem sie sagten: »Kein Diener ist gegenwärtig, und wir haben nichts gehört.«

Alle schärften nun dem rohen Gebirgsmann ein, nie mehr zu wagen, von diesen Göttern zu reden, deren Gewalt so groß, deren Rache so schrecklich wäre und die, dieses abgerechnet, sonst so gütig und großmüthig wären, jeden Menschen nach seinen Lüsten leben zu lassen, so reich zu werden, als er werden könnte, die Alles erlaubten, wenn man ihnen nur gäbe, was ihnen zukäme, und sich nie einfallen ließe, daran zu zweifeln, daß sie Wesen höherer Art seien und daß die Wesen niederer Art darum geboren würden, um für sie zu arbeiten und von ihnen beherrscht zu werden.

Nachdem man nun dem stumm gewordnen Mahal genug hierüber gesagt hatte, fuhr der Lehrer fort: »Besser ist es, von den Göttern ganz zu schweigen und sie weder zu loben noch zu tadeln. Weiter: der Großvizir sagte laut –«

Großvizir. Hm, Ben Hafi, was soll nun der Großvizir?

Khalife. Wie? Folgt er nicht auf den Sultan? Soll er von dem Sultan zu dem letzten Giner überspringen und die Rangordnung beleidigen, die im Staate so große Wunder wirkt? Was sagt der Großvizir, Ben Hafi, ich bin begierig zu hören, welchen blauen Dunst er den Ginern, die, wie ich sehe und höre, ein Pack Betrüger sind, vormacht?

Ben Hafi. Er sagt, fuhr der Giner fort: »Ich diene dem Sultan, dem Staate. Dies heißt in gemeiner Sprache: Was geht mich der Sultan und der Staat an, ich diene mir.«

Khalife. Glaube mir, Ben Hafi, dergleichen geschieht auch noch nach der Sündfluth.

Ben Hafi. Vielleicht hier und dort. Mahal rief seinem Lehrer zu: »Sage mir doch, ist der Großvizir nicht einer Dieser, die ich nicht nennen soll?« Sein Lehrer sagte: Allerdings. Wer in Gin kann sonst ein Amt verwalten, als sie, die Auserwählten? Ihre Väter hinterließen ihnen, mit ihrem Geiste, die Macht über Gin als Erbschaft, und so gehört ihnen das ganze Reich eigen zu, mit Allem, was darauf lebt, wächst und ist. Sie borgen uns nur den Boden, damit wir ihn für sie und uns bebauen. Doch was geht uns dieses an? Ob wir gleich nur Menschen sind, so leben wir doch, mit ihrer Erlaubniß, so vergnügt wie sie, unser eignes Selbst ist unser Gott, wie ihr hohes Selbst der ihrige ist, und beten wir zu dem alten Gott, so geschieht es bloß darum, daß er es unserm Selbst wohl ergehen lasse und dem zarten, vielgeliebten ja nicht wehe thue.

Der Giner ging in der Entwickelung seiner Lehre immer weiter. Mahal hörte ihm lange sehr beklommen zu und that nun auf einmal die sehr naive oder sehr rohe Frage an seine schöne Wittwe: »Wenn ihr Giner, wie ihr sagt, Alles um eures Selbst willen thut, warum hast denn du mich in dein Haus aufgenommen, da ich dir gar nichts bin? Warum nährst du mich, den Fremdling, so gut und reichlich?«

Die Wittwe antwortete, um den angefangenen Unterricht befördern zu helfen, eben so naiv: »Weil du der rohe Neuling vom Gebirge –«

Leibarzt (dazwischen). Da haben wir den Neuling an seinem rechten Orte; ich habe es längst gesagt.

Ben Hafi fuhr fort: »vom Gebirge mir sehr willkommen warst. Du warst mir sehr willkommen, weil du stärker und muthiger bist, als die zarten, feinen Giner. Weil mir nun deine Stärke und dein Muth Vergnügen machen, so suche ich sie durch eine gute Tafel und Ruhe zu unterhalten. Bleibe du nur fernerhin bei den Kräften, die ich an dir kenne, und mein Ich wird immer mit deinem Ich zufrieden sein.« –

So endigte für einen Augenblick die für Mahal so neue, lehrreiche und schmerzliche Unterhaltung. Sie war darum schmerzlich für ihn, weil der Umgang mit der schönen, freundlichen Wittwe und ihren artigen Gästen sehr viele feine, versteckte Empfindungen in dem rohen Sohne des Gebirges gezeugt, erweckt und entwickelt hatte. Doch kaum sind es Empfindungen, und besser nennt man sie Kitzeleien der Eigenliebe, des Wahns, des Wohlgefallens an sich selbst, die, wie wir sehen, nur der Umgang mit der hochgebildeten Welt entwickelt und wozu jeder Erdensohn die Anlage, wie zum Bösen, mehr oder weniger mit sich auf die Welt bringt. Mahal hatte sich beinahe schon für Das gehalten, wofür ihn die schöne Wittwe in Stunden der Begeisterung zu halten schien; auch schrieb er die ihm von ihr erzeigte Achtung ganz andern Verdiensten zu, als er nun auf einmal das Glück oder Unglück hatte, wahrzunehmen. Er war noch roh genug, bestürzt zu werden, zu schmollen und bei sich zu murren: »So bin ich denn auch hier ein Lastthier, nur anderer Art, nur daß ich besser gefüttert werde und besser gebettet bin. Doch dies geschieht ja nicht um meinetwillen. Dort pflügt' ich des strengen Alten Aecker, und hier –« die Wittwe legte ihm in diesem Augenblick einen Leckerbissen vor.

Lange schwieg indessen Mahal still und hing seinen Betrachtungen nach. Die Wittwe merkte wohl, wo es den Rohling drückte, unternahm es daher, ihn mit sich selbst bekannt zu machen und ihm seine Thorheit ohne alle Schonung aufzudecken. Plötzlich wandte sie sich mit der Frage an ihn: »Mahal, warum verbleibest du in meinem Hause?«

Mahal. Die Frage ist leicht zu beantworten; weil du mich als Lastthier gedungen oder gar gekauft hast!

Die Wittwe und die Gäste hielten die Ohren zu, als sie die rasche, ungeschminkte, mit einem mürrischen, knurrenden Tone vorgebrachte Antwort vernahmen. Mit einem beißenden Tone sagte nun die Wittwe: »Wie oft, du Wilder, habe ich dir schon gesagt, daß ich den Unterhändler nur darum bezahlt habe, weil er dich mir vor allen Andern zugeführt hat, und daß ich dich weder gekauft noch gedungen habe. Oft sagte ich dir, du kannst mein Haus verlassen, wenn und wie du willst; da du bliebst, so verdanke ich deiner Liebe dein Verbleiben. Sage mir nun, warum verweilst du demohngeachtet bei mir?«

Mahal. Weil es mir bis hierher bei dir wohlgefiel.

Wittwe. Warum gefiel dir es bisher bei mir?

Mahal. Weil es mir Vergnügen machte.

Wittwe. Und was ist es eigentlich, das dir hier Vergnügen macht?

Mahal. Der Genuß deines schönen Leibes, deine Artigkeit, dein Zuvorkommen, deine Schmeicheleien, deine gute Tafel, die Ruhe, die Unterhaltung. –

Wittwe. Sieh nun, ist etwas anders in diesem deinem Bekenntniß hörbar als dein eignes Ich? Verbleibst du, nach deinem eigenen Geständnisse, nun um meinetwillen oder um deinetwillen in meinem Hause?

Mahal (betreten). Mich dünkt beinahe, um meinetwillen; aber doch bist du es nur, die mir es angenehm macht.

Wittwe. Und wenn sich nun diese Schönheit, deren Genuß dir Vergnügen macht, in Häßlichkeit verwandelte, wenn ich mit dir keifte, anstatt dich zu liebkosen, und wenn diese gute Tafel, die dir so wohl zu schmecken scheint, auf einmal aufhörte, gemeine, rohe, harte Speise dein Tägliches würde – was würdest du denn thun?

Mahal. Mich dünkt, ich würde davon laufen.

Wittwe. Und worüber zürnst du denn, da du mehr eingestanden hast, als ich? Bekennest du nicht selbst, daß dein Ich dein Gott ist, wie mein Ich der meine ist. Daß du Alles, was du in meinem Hause thust, bloß um deines Selbst willen thust. Wollte nun ich mit dir schmollen, daß du nicht Alles aus bloßer Liebe zu meinem Ich thust, würdest du nicht meiner spotten?

Mahal. Ich weiß nicht, was ich thun würde, und freilich scheint Alles so, wie du sagst, auch kann ich weiter keine Antwort darauf finden, es sei denn, ich sagte: Es ist vielleicht nicht recht, daß ich in dieser Lage mit dir bin. Ueberdies widerspricht ein dunkles Gefühl in meiner Brust Allem, was ich heute höre, und es erniedrigt mich, zu denken, die Menschen seien nur durch ein so unreines Band verknüpft. Vielleicht auch ist dies die Ursache, warum ich davon laufen würde, da mich kein reineres an dich bindet.

Wittwe (für sich). Das rohe Ungeheuer! Alles sagt er gerade heraus, und nie wird er der feinen Bildung fähig werden; doch man muß ihn nehmen, wie er ist, und vielleicht verlöre ich, wenn er anders würde.

Der vorige Giner, der sich als Lehrer aufwarf: »Sahst du ein reineres Band, mein Lieber?«

Mahal. Außer auf dem Gebirge leider nicht.

Der Giner. Wir sprechen von Menschen, Guter, nicht von Thieren – was sich in deiner Brust gegen die Wahrheit empört, die wir dich hier lehren, ist deine beleidigte Eigenliebe, und nur dieses läßt auf die Zukunft noch etwas von dir hoffen. Auch verdankst du dies Gefühl nur unserm Umgang. Sieh, mein Theurer, wir machen es alle so, der Große und der Kleine. Ein Jeder von uns, den die Erfahrung noch nicht genug belehrt hat, möchte gar zu gerne, daß man das Spiel, das er doch gegen Alle spielt, nicht gegen ihn selber spielte. Jeder dieser Thoren möchte gerne, daß die andern ihr Ich dem seinen aufopferten, und Derjenige, der seinem Selbst am meisten fröhnt, sieht es oft als den größten Fehler, den schwärzesten Flecken in Andern an, wenn sie ihn zu deutlich merken lassen, der Keil, der ihn treibt, treibe auch sie. Den Widerstand gegen das Selbst erträgt nur der Weise mit Geduld, und Alles, was er in dem unvermeidlichen Kampfe der Ichheiten thut, besteht darin, nicht beleidigt zu werden; von dem Ich der Mitkämpfenden alle den Vortheil zu ziehen, den sein Verstand ausfindet, und den Beweggrund seines Handelns so schön und glänzend zu schmücken, als Höflichkeit, Glätte, Feinheit und Beredtsamkeit nur gewahren können. Die größte Kunst besteht hauptsächlich darin, seinen Vortheil so zu berechnen, daß die andern den ihrigen dabei finden, und dann ist man Herr des Spiels. Sieh, so ist Ichheit oder Selbstheit jedes Menschen Gott!

Mahal. Ein Afterdienst, der, wie ich nun höre, bei euch nicht versäumt wird, und so begreife ich auch Alles, was mir hier widerfahren ist. O meine Gebirge! meine Heerden! meine Felsen! meine murmelnden Bäche! meine Ruhe! meine glückliche Unwissenheit!

Die Gäste sahen Mahal betreten an; einer von ihnen befühlte seinen Puls.

Mahal (fortredend). Das Menschengeschlecht hat nur mit der Unschuld den wahren Gott verlassen! den Stand verlassen, zu dem er sie geschaffen hat! Alles rennt nun nach einem Ziele, jung und alt; Jeder will nun der Erste sein; selbst den Lastern hat ihr Geist glänzende Namen gegeben. Von der List, dem Betruge, der Heuchelei, der Goldbegierde und dem Morde begleitet, sah ich sie auf dem Kampfplatz zum Streite gerüstet! Welches Zerreiben! Welches fürchterliche Gewühl! Welches Mordgeheul! Welches Wehklagen! Welches Freudengeschrei! Welches Gelächter des Hohns und der Schadenfreude! Stoße sie vorwärts, Wahnsinn! Versammelt um den Altar des Afterdienstes, des Goldes und des Wahns, ergreife sie der Zorn des Herrn, daß ich sie um ihn her zerschmettert liegen sehe!

Die Giner belachten diese Standrede aus vollem Halse, und Mahal ward noch zorniger.

Der Giner. Worüber zürnest du doch und sprichst so viele thörichte Worte, Mann vom Gebirge! Was kann der Mensch dafür, daß er so gebildet ist?

Mahal. Unmöglich! Ist er so, so hat er sich selbst dazu gemacht; wodurch, dies weiß ich nicht.

Der Giner. Sollte er nicht so sein, so hätte er nicht so werden können. Sei er so gebildet, oder habe er sich dazu gemacht, gleichviel. Hast du nicht unsrer schönen Wirthin zugestanden, es geschähe nur um deinetwillen, daß du ihr gewisse Dinge zu Gefallen thust? Was treibt dich nun dazu?

Mahal. Mit mir und ihr mag es so sein; aber Gott hat den Menschen gewiß nicht so gemacht, daß er sich einzeln denken soll und die Andern alle bloß als um seinetwillen geschaffen.

Der Giner. Da Dies aber Alle denken, so wird dadurch das Spiel des Lebens befördert, und Alles ruht dadurch auf einem so einfachen Grund, der gleich in die Sinne eines Jeden fällt, das ganze Geheimniß enthüllt und alle Schwierigkeiten löset. Der Mensch ist nicht weniger und nicht mehr, als er sein kann. Der Glücklichste ist Der, der seinem Ich am besten thun kann, am besten zu thun versteht, der aller andern Ich zum besten seines Ich's zu gebrauchen weiß. Der Geliebteste ist Der, der dieses Spiel am feinsten zu übertünchen gelernt hat. Ist es nun Gott, der uns so gemacht hat, was können wir dafür, da nicht die Umstände und Veranlassungen von uns abhängen, sondern wir von ihnen? Da sich Das entwickeln muß, was in uns gelegt ist? Wir empfingen diese Lehre von unsern Vätern und hinterlassen sie unsern Kindern, weil wir uns dabei gut befunden haben. Wir können diese Triebe in uns so wenig hindern, als wir den Stein aufhalten können, den ein Entfernter in die Höhe schleudert. Fallen muß er, bis ihn ein anderer Körper hindert oder zum Absprung zwingt. So ist es mit dem Ich des Menschen: es geht in gerader Linie fort, bis ihm das Ich eines Andern in den Weg tritt; kann es des Andern Ich überwinden, so unterwirft es sich dasselbe und zieht es in seinem eigenen Wirbel mit sich fort. Muß es dem andern Ich weichen, so macht es einen Umweg; wird es von dem Ich des Andern verschlungen, so bewegt es sich mit so viel Gewinnst als möglich in dem Wirbel des Ichs des Andern, bis es sich gewaltsam losreißen, oder klüger – sanft von ihm ablösen kann.

Khalife. Höre, Ben Hafi, du und deine Giner, ihr seid beide unerträgliche Schwätzer, und du gar, du mißbrauchest in seinem Namen den Vertrag, den ich so großmüthig als unüberlegt mit dir gemacht habe. Wozu Dies alles? Ist doch nichts leichter zu beantworten, als die einfältige Frage, warum der Mensch sein eignes Ich mehr liebt, als eines Andern Ich?

Ben Hafi. Beschenke mich mit dieser Beantwortung, Herr der Gläubigen, und ich lasse meinen Giner schweigen.

Khalife. Auf diese Bedingung herzlich gerne. Nun, der Mensch liebt sein eignes Ich mehr als das Ich der Andern, weil ihm nichts so nahe verwandt ist, als sein eignes Ich. –

Ben Hafi. Wahrlich, die Antwort ist so einfach, daß sie gar keinen Widerspruch verstattet; doch, Herr der Gläubigen, entschuldigst du dadurch nicht Alles, was er zum Besten dieses geliebten Verwandten thut?

Khalife. Ganz und gar nicht, denn darum gab Gott dem Menschen das Gewissen und durch seinen Propheten Gesetze, damit er seinen Vortheil nicht in dem Nachtheil des Andern suche.

Ben Hafi. Aber wie, wenn die allzu große Vorliebe zu dem Ich das Gewissen nun erstickt oder das Gesetz so listig zu umgehen weiß, daß der Richter den heimlichen Verbrecher nicht in Anspruch nehmen kann?

Khalife. »Dem Herrn bleibt nichts verborgen, und der Tag wird kommen, an welchem die Erde verwandelt werden wird. Dann werden sich die Menschen aus ihren Gräbern erheben, um vor dem einzigen, dem mächtigen Richter zu erscheinen. An diesem Tage sollt ihr die Bösen und die Ungerechten in Ketten sehen, das Gewand, das sie bekleidet, wird von Pech sein, Feuer wild ihr Angesicht decken, und Gott wird jede Seele belohnen und bestrafen, nachdem sie verdient hat.«

Ben Hafi. Wird dies Die trösten, die durch die Bösen und Ungerechten leiden?

Khalife. Gott sagte zu der Biene: »Bereite deine Wohnung auf den Gebirgen und in den Bäumen. Esse von jeder Art der Früchte und Blumen und laß, was du issest, durch die von dem Herrn zugerichteten Wege gehen.« So ißt nun die Biene bittere Pflanzen, bereitet sie in ihren Eingeweiden zu süßer Speise, und so wird der Mensch, der, unter dem Druck der Ungerechten, auf dem harten und mühsamlichen Pfade seines Lebens das bittre Brod des Elendes unter Thränen und Seufzern ißt, sich süße Speisen in den Gärten des Propheten zubereiten. Der Herr sagt durch seinen Apostel: »Die, die mich fürchten, die um meinetwillen leiden, die das Gute thun, sollen in den Gärten wohnen, zwischen frischen, nie versiegenden Quellen, schattigten, immer grünenden Bäumen. Die Engel werden zu ihnen sagen: Tretet herein: ihr sollt hier in Sicherheit und Frieden leben. Wir wollen jede Qual, jede Pein aus eurer Brust nehmen. Gleich Brüdern werden die Gerechten einander gegenüber gelagert sitzen, kein Ermüden fühlen und ewig in den blühenden Gärten wohnen. Es ist nur ein Gott, der einzige wahre Gott, er zeuget nicht, er hat nicht gezeugt, und da ist Keiner, der ihm gleich wäre.«

Ben Hafi. Herr der Gläubigen, du heilest nicht das Haupt des Zweiflers, du zerschlägst es!

Khalife. Wehe dem Zweifler! Wer zweifelt noch als der Thor, da Gott das Gesetz durch seinen Apostel gegeben hat? Doch es ist Gottes Sache, und er hat bestimmt, wer auf dem geraden Wege einhergehen soll, und hat fest bestimmt, wer irren soll.« Er wird über Beide richten. Friede sei mit euch!

Ben Hafi. Die Lehren der Giner hatten Mahals Verlangen zu dem Abendessen, wie zu seiner schönen Wittwe für heute verdorben. Man ließ endlich den rohen Dummkopf sitzen und lächelte der Wittwe zu, als wollte man sagen: »Er ist nur dazu gut, zu dem er sich verkauft zu sein glaubt.« Mahal setzte die ganze Nacht die verschiedenen alten und neuen Worte, die er erlernt hatte, in mancherlei Formen zusammen, dachte sie bald verbunden, bald einzeln. Schon wollte er durch das letzt Erlernte die verschiedenen, verworrenen Fäden zusammenreihen und in einen Knoten schürzen, schon schwebte ein neuer Verdammungsspruch gegen Enocher, Irader, Giner auf seinen Lippen, als ihn die warmen, sanften Lippen der schönen Wittwe wegküßten und ihm sein eigenes Ich sehr lebhaft fühlbar machten. Gewiß wäre es auch der schönen Ginerin gelungen, ihn nach und nach mit dem System ihrer Landsleute auszusöhnen, für jetzt aber waren seine Nerven noch viel zu stark, und bevor sie dieselben so geschmeidig machen konnte, um seine kräftige Ichheit auf dem sanften Throne der Weichlichkeit, Wollust und Verfeinerung einzuschläfern, trug sich ein Vorfall zu, der aller seiner Bildung, in ihrem Hause wenigstens, ein Ende machte.

Vor Mahals Ankunft in Gin hatte die schöne Wittwe mit einem der Götter des Landes in einer sehr menschlichen Verbindung gestanden. Dieser Göttersohn fiel durch ein Versehen bei dem Oberhaupte der Götter, dem Sultan, in Ungnade. Man versetzte ihn zur Strafe an die Grenze des Reichs, gab ihm einen wichtigen Posten, damit er dort seine üble Laune an den Menschenkindern ausbrausen möchte. Da aber die eng verbundenen Götter des Landes selten einen ihrer Art lange unter der Ungnade des Sultans schmachten ließen, so ward er zurückgerufen, ohne daß es die schöne Wittwe erfuhr. Auf einmal erschien er vor ihr, fand sie mit dem Menschensohne Mahal allein, und das in einer Vertraulichkeit, zu welcher nur er sich berechtigt zu sein glaubte. Er machte der Wittwe in zierlichen Worten Vorwürfe, und dem Menschensohne wies er verächtlich und gebieterisch die Thüre. Der rohe Mahal rührte sich nicht. Bald kam es zum Wortwechsel, und Mahal sagte ganz derbe: »Versuche nur deine Götterheit mit meiner Menschheit, damit wir sehen, wer hier Sieger bleibt!« Der Göttersohn wagte nicht, sich so tief zu erniedrigen, und ging erzürnt davon. Nun rang die schöne Wittwe in Verzweiflung die Hände, zerraufte ihr langes Haar und schimpfte Mahal in den wildesten Ausdrücken. Mahal wunderte sich sehr, wie seine schöne Wittwe auf einmal so häßlich und rauh werden könnte, und fragte sie um die Ursache. »Rohling, Ungeheuer von einem Berg- und Thiermenschen, und du fragst noch! Wie konntest du, Staub, es wagen, einen der hohen Götter des Landes zu beleidigen, der mir vor allen Töchtern der Menschen die Ehre anthut, seine Götterheit bei mir auf einige Stunden zu vergessen! Du hättest dich vor ihm demüthigen, bei seiner Erscheinung tief gebeugt dich entfernen sollen, und ich würde ihn sehr leicht besänftigt haben. Du hast mir nun das grüßte Unglück zugezogen, das einen Menschen treffen kann. Soll ich um deinetwillen zu Grunde gehen! Fliehe! daß man dich ja nicht in meinem Hause finde! daß ich mich noch rette und dem Kreuze entgehe, dem du nicht mehr entgehen kannst.«

Der starrsinnige Mahal rührte sich nicht. Die ergrimmte und vor Furcht bebende Wittwe rief ihre Leute zusammen, diese stießen den mit ihnen kämpfenden Wilden zum Hause hinaus. Voller Wuth stand er eine Zeitlang vor demselben; er hatte auch nicht die Zeit, über das Geschehene vernünftig nachzudenken, als ihn eine Schaar unter der Leitung des beleidigten Göttersohns ergriff und ihn in sichere Verwahrung brachte. Diese Nacht nun hielt Mahal den Ginern und den Menschen überhaupt eine sehr schlechte Lobrede. Bei dem Anbruche des Tages brachte man ihn vor ein Gericht der Götter, die schon vor seiner Erscheinung entschieden hatten, ihn an das Kreuz zu schlagen: doch nahm man ihn sehr höflich auf, schilderte ihm mit den ausgesuchtesten, schonungsvollsten Ausdrücken sein schwarzes Verbrechen, geruhte mit vielem Bedauern über die Nothwendigkeit den Verdammungsspruch auszusprechen und fragte dann erst: was er zu seiner Vertheidigung und Entschuldigung vorzubringen hätte?

Mahal wußte nichts vorzubringen, als seine Geschichte, und dachte, er wollte am Ende derselben seine Sendung nutzen, um ihnen ihren Unsinn recht deutlich zu machen. Es kam nicht so weit: kaum sagte er, er stamme von Seth, als sich alle Gesichter aufheiterten. Der Oberkadi sprach: »Sohn Seths, ferne sei es von uns, einen Unsersgleichen zu verdammen, du gehörst uns an, da wir alle von den Töchtern und Söhnen Seths abstammen. So gewiß es ist, daß kein gemeiner Mensch in Gin es wagen kann, einen der Götter zu beleidigen, so gewiß mußt du einer der Götter sein! Wir gewinnen viel dabei, daß dieser für uns immer höchst verdrießliche Handel einen solchen Ausgang nimmt!«

Der Oberkadi und alle Beisitzer, der Ankläger selbst umarmten ihn, und Mahal sagte bei sich: »Es sei doch besser, jetzt sein Leben ihrem Unsinn zu danken, als ihn durch Aufdeckung desselben noch mehr zu reizen!«

Der Oberkadi. Man muß sogleich diese Begebenheit in Gin öffentlich bekannt machen, damit ja das Volk einsehe, daß Keiner aus ihm das Verbrechen habe begehen können, einen von uns zu beleidigen. Unser Wohl und Dasein hängen von dieser Meinung ab. Den Sohn Seths hier, unsern Bruder, wollen wir dem Sultan vorstellen und seinen Namen in das Götterbuch eintragen lassen.

Man führte Mahal in ein Seitenzimmer, entkleidete ihn, warf ihm ein weißes, verbrämtes, mit dem flammenden Schwerte geziertes Gewand um, nahm ihn in die Mitte und zog mit ihm in den Palast des Sultans. Mahal murmelte bei sich: »Diese Göttersöhne sind wahrlich noch toller, als sie böse sind; doch was soll Mahal unter ihnen? Gestern ein wohlgenährtes Lastthier in dem Dienste einer schönen Wittwe, die mich aus dem Hause werfen ließ, weil ich einen dieser wahnsinnigen Thoren beleidigte, und heute bin ich selbst einer davon. Ach, was soll, was wird, was kann aus Mahal werden, und was kann Mahal thun, daß nicht Das aus ihm werde, wozu er gewaltsam fortgestoßen wird! Soll ich nun wahnsinnig mit den Wahnsinnigen sein, oder dieses schimpfliche Kleid zerreißen und mich an jenes hohe Kreuz lebendig schlagen lassen! Ach, Herr, was sind die Menschen? Wo fehlt es ihnen? Was soll Mahal unter ihnen? Warum begab sich Mahal unter sie? Täglich erfahre ich mehr; aber da das Erfahrne so wenig taugt, so verdunkelt sich mein Verstand immer mehr, anstatt sich aufzuhellen. Ach, nur Worte lerne ich, ihr Geist scheint immer weiter von mir zu fliehen, je mehr ich ihrer lerne!«

Mahal ward nun dem Sultan Lom, dem Herrscher der Giner, durch die Götter, die stolz um seinen prächtigen Thron her standen, vorgestellt. Die fürchterliche, große und erhabene Vorstellung, die sich Mahal auf dem Gebirge von den Gewaltigen der Erde gemacht hatte, und welcher nach seiner Aussage nichts entsprach, als ihre bösen Thaten, war nun durch die Erfahrung so ziemlich verwischt worden; er war demnach sehr zufrieden, einen Mann vor sich zu sehen, der vor allen seinen höflichen Hofleuten oder Göttern durch seine geistreichen Blicke, sein sanftes, bescheidenes und doch hohes Wesen, den melodischen Klang seiner Stimme angenehm auf seine Sinne und sein Herz wirkte. Er sagte bei sich selbst: »Schade, daß dieser Mann kein Mensch heißen will, da er ihn doch so gut und schön vorstellt!«

Auf die Vorstellung der Götter, und weil Mahal von Seth herstammte, ließ ihm der Sultan sogleich einen Bezirk zum Unterhalt anweisen, und so ward er einer der Götter des Landes und lebte gleich ihnen von dem Schweiße der Giner, die als Menschen verpflichtet waren, das Stück Land zu bebauen, das ihm der Sultan von dem seinigen zugetheilt hatte. Doch war er von dem Wahnsinn weit entfernt, sich für mehr zu halten, als er war; auch erinnerte er sich oft der Unterredung bei der Wittwe, und die Unterlage, die sein Geist der Glattheit, Höflichkeit und Geschmeidigkeit Derer unterschob, mit denen er leben mußte, machte ihm Alles verdächtig, was er sah und hörte. Er sah überdem diese Götter solche menschliche Dinge begehen, daß er oft im Begriff war, seinen weißen Kaftan zu zerreißen und den Göttern zu sagen, sie seien erbärmliche, böse Menschen und Betrüger. Nur das hohe Kreuz, das er täglich sah, kühlte seinen heißen Eifer etwas ab; und wahr ist es, es gibt kein besseres Mittel, den Enthusiasmus und das Wahrheitsgefühl abzukühlen.

Der Sultan Lom ließ sich eines Tages Mahals Geschichte von ihm erzählen, und so langweilig sie auch der Herr der Gläubigen in meinem Munde findet, so wirkte sie doch in dem Munde Mahals so mächtig, daß ihn der Sultan Lom von demselben Augenblicke an seinen Hof aufnahm und ihm eine Stelle gab, die ihn seiner Person sehr nahe brachte.

Großvizir. Ich glaube es nicht.

Khalife. Ich glaube es wohl, denn warum sollte ich es nicht glauben; aber wenn er so wie du erzählt hat, so möchte ich doch wissen, wie und warum dieser weise Sultan den Erzähler einer solchen Ehre würdig finden konnte.

Großvizir (für sich). Ja wohl! Es ist eine Lüge, deren Zweck leicht zu errathen ist; doch wir wollen schon dafür sorgen.

Ben Hafi. Herr der Gläubigen, wo nannte ich diesen Sultan den Weisen? Indessen mag es so sein. Mahal sagt nicht, wodurch er so besonders auf den Sultan Lom gewirkt hatte, und so muß es in jedem Falle der Inhalt seiner Geschichte gethan haben; doch wenn es dir gefällt, so will ich dir nach einigen versteckten Deutungen meine Muthmaßungen über diesen sehr wichtigen Punkt mittheilen.

Khalife. Du hast mich einmal in deiner Gewalt, da mir mein gegebenes Wort so heilig ist, als ein Eid auf das Buch der Bücher.

Ben Hafi (verbeugt sich). Mahal sprach mit vieler Bitterkeit von den Sultanen Puh und Zobar und sagte gerade heraus, sie bewiesen durch ihre Thorheit und ihren Wahnsinn nur allzu sehr, daß das Menschengeschlecht zu dem Verderben, womit es Gott bedrohte, völlig reif wäre. Der Sultan Lom ließ sich diese Worte erklären, und ob er gleich den Verdammungsspruch über das ganze Menschengeschlecht etwas hart fand, so sah er ihn doch für gerechter an als Mahal, worüber sich dieser ein wenig wunderte. Da nun der Sultan Lom weiter vernahm, daß Mahal einst wieder auf das Gebirg zurückkehren sollte, um dem erzürnten Herrn der Welt Bericht von Dem abzustatten, was er gesehen und gehört hätte, so hielt er es für gut und weise, sich einem Manne von so wichtigem Beruf so zu zeigen, daß er in seinem Denkbuch eine bessere Rolle spielen möchte, als der grämliche Puh und der wilde, blutdürstige Zobar. Khalife. Hm – mit diesem weisen Manne da muß es nicht ganz richtig stehen; denn sieh, Ben Hafi, käme dieser Mahal oder sonst Einer an meinen Hof, unter allen diesen Umständen, ich würde ihn, um besser als alle die Thoren und Bösewichter, die er aufgeführt hat, in seinem Buche zu stehen, weder scheuen noch darum aufnehmen. Denn Gott wird am letzten Tage eines Jeden Buch aufschlagen, in welchem all unser Thun und Denken aufgezeichnet ist nebst Allem, was wir öffentlich und heimlich gesagt haben. Dann soll eines Jeden Seele für sich antworten, und einem Jeden soll bezahlt werden, was er Böses gethan hat, und Keines Seele soll Unrecht leiden.« Was würde es mir vor den Augen Dessen, der Alles sieht, helfen, wenn ich besser in den Büchern der Menschen stände, als er mich kennt? Die Sünde der Heuchelei würde die Schale meiner Schuld noch schwerer machen, und vielleicht die Schmeichelei die ihrige. Zwiefach sündigte ich dann, da ich noch zu Sünden reizte. Wer besser scheinen will, als er wirklich ist, wird vor den Augen Gottes und des Mannes, der ihm in den Busen blickt, um eben so viel schlechter, als er sich besser dünkt.

Ben Hafi. Da der Sultan Lom von des Herrn der Gläubigen edlen Gesinnungen sehr weit entfernt war und das heilige Buch nicht kannte, so wollte er doch sehr gerne, ob er sich gleich für einen Gott hielt, gut in dem Denkbuch Mahals stehen. Ob Mahal seine sehr menschliche Absicht bemerkt hat, weiß ich nicht; bisher lautet sein Bericht von diesem Sultan noch immer gut. So sagt er zum Beispiel hier auf dieser Stelle und mit diesen Zeichen:

»Der Sultan Lom habe weit mehr Verstand gehabt, als alle die Götter, die um seinen Thron herstanden, seine Befehle ausführten und das ganze Land in seinem Namen beherrschten. Er sagte und dachte, fährt Mahal fort, ganz vortreffliche Dinge, drückte sich oft so erhaben, so menschlich gut und groß aus, daß ich, in Bewunderung verloren, vor dem seltenen Sultan stand – dabei war er so mild und großmüthig – und nur der einzige traurige Umstand war, sagt Mahal, daß er von allen den großen, schönen und erhabenen Sachen, von denen er beständig sprach, auch nie eine ausgeführt hat.«

Khalife. He, Ben Hafi, was sprichst du da? Und warum hat er es bloß beim unnützen Reden gelassen?

Ben Hafi. Ich spreche nicht, Nachfolger des Propheten, Mahal spricht und fährt fort:

»Die Götter des Landes hatten ihm durch gewisse Vorspiegelungen, die sie mit einigem Anschein von Wahrheit zu übertünchen wußten, von frühester Jugend seinen eigenen, sehr hellen Verstand so verdächtig gemacht, daß er sich ihnen in Allem, was sie wollten und was er nicht wollte, unterwerfen mußte, und wenn er es auch mit Händen hätte greifen können, daß nur er es sei, der in der vorhandenen Sache das Wahre und das Nützliche wollte.«

Khalife. Beim Propheten! gerade so machen sie es mit mir, und ersinne ich etwas Gutes und Nützliches, so fährt Alles auf, mir es auszureden. Der Eine spricht von Gefahr für mich und den Staat, der Andere von Verletzung durch Herkommen ehrwürdiger Gebräuche, der Dritte von gänzlicher Unmöglichkeit der Ausführung, und der Vierte gar von den großen Uebeln, die durch die Heilung eines kleinen Uebels entstehen könnten. Dann setzen sie Alle hinzu, wie nachtheilig es für den Herrscher über Menschen wäre, wenn er sich gezwungen sähe, einmal gegebene Befehle zurückzunehmen; loben, was ich vorbringe, mit den ausgesuchtesten Worten; setzen seufzend hinzu, wie sehr es zu bedauern sei, daß ein so guter Sultan, wie sie mich dann nennen, nicht über Menschen herrsche, die des Guten und Großen, das ich zu ihrem Glück ersänne, nicht so fähig und würdig wären, als sie es selber wünschten. Hört man ihnen zu, so sollte man wirklich glauben, ein Sultan könnte und sollte nichts Gutes thun, sei nur darum da, um Böses zu thun, und die Menschen seien so schlecht, daß man sie nicht anders in Ordnung zusammenhalten könne als durch Gewalt und Schrecken.

Der Großvizir hörte Ben Hafi mit gespannter Aufmerksamkeit zu, und während der Khalife sprach, sah er sehr ernsthaft auf den Boden. Doch konnte er am Ende der Rede des Khalifen ganz fest und heiter um sich blicken. Der taube Verschnittene allein verwandte kein Auge von ihm. Ben Hafi sah in seine Handschrift und sagte dann:

Sonderbar! – Du hast dir nun, Herr der Gläubigen, die Antwort auf deine an mich ohnlängst gethane Frage selbst gegeben.

Khalife. Auf welche Frage?

Ben Hafi. Du beliebtest mich vor einigen Tagen zu fragen, woher es wohl komme, daß die Vizire so schnell gehorchten, wenn ihnen die Sultane etwas Dummes oder Böses anbeföhlen, und warum sie so träge wären, so viele Schwierigkeiten ersännen, wenn man ihnen etwas Kluges, Nützliches und Gutes auftrüge. Du setztest die Frage noch hinzu: Wie sie es wohl machten, daß ihnen die Sultane am Ende immer glaubten und sie, die Vizire, wenigstens in dem vorhandenen bestrittenen Punkte, immer für erfahrner und klüger hielten, als sich selbst. Hier hast du nun die Antwort darauf, die sich der Herr der Gläubigen nur selber geben durfte.

Khalife. Ben Hafi, du hast mich überrascht und, so viel ich sehe, alle deine Zuhörer. Hundert Derhem zahle ich dir dafür.

Großvizir. Mich hat er nicht überrascht. Das, was er da erzählt, mag sich wohl vor der Sündfluth zugetragen haben, und ich bezweifle es auch gar nicht, aber nach der Sündfluth ist so etwas unerhört.

Khalife. Warum sollte es nach der Sündfluth so unerhört sein? Geht es doch beinahe bei mir so her, und an euch liegt es wahrlich nicht, daß mein Divan dem Divan des Sultans in Gin nicht ganz und gar gleiche.

Großvizir. Dies ist ganz unmöglich, und wenn du es erlaubst, Herr der Gläubigen, so will ich dir es so klar beweisen –

Khalife. Großvizir, ich mag deines Beweises nicht, weil ich nun gerade keinen Beweis davon hören will, wie du am Ende immer Recht behältst.

Großvizir. Ich sehe dich gerne in guter Laune und schweige.

Khalife. Du thust wohl daran; und hierüber fällt mir eine Fabel ein, die mir mein treuer, guter Masul mit vielen andern in meiner Kindheit sehr oft erzählt hat, und der ich mich, wie Alles, was er mir erzählt hat, mit vielem Vergnügen erinnere. Du glaubst nicht, Ben Hafi, welch ein guter, scharfsinniger, munterer Erzähler mein Masul war und noch ist; aber leider weiß ich beim Anfange jeder seiner Erzählungen gleich das Ende, da ich sie oft gehört habe und er keine neue sammeln kann, weil er taub ist, oder sammeln will, weil er nur Das liebt, was er in glücklichern jüngern Tagen zu erzählen pflegte. Die Fabel nun lautet so:

»Ein junger Krieger ging mit gespanntem Bogen im Felde umher, um sich im Schießen zu üben. Auf einem Baume saßen ein Rabe und eine Taube. Der Rabe sagte zu der Taube: Ich will dem auf seine Sprache stolzen Menschen zeigen, daß wir Vögel auch eine Stimme haben und vernünftig und vernehmlich sprechen können. Er sprang auf einen entblätterten Ast und krächzte. Der junge Krieger schoß, und als der Rabe sterbend niederfiel, sagte die erschrockene Taube, indem sie in die Luft sich schwang: Armer Schwätzer! nicht selten ist der Schweigende der Weiseste.«

Großvizir. Merke dir die Lehre, Ben Hafi.

Ben Hafi. Herr, wenn ein Weiser eine Fabel dichtet, so denkt er sich die Großen und die Kleinen als Zuhörer. Khalife. Und der Große muß um so mehr aufmerken, weil seine Thorheit Mehreren schaden kann.

Ben Hafi. Ich danke dir, Herr der Gläubigen, für die hundert Derhem, und damit ich dir dafür nichts schuldig bleibe, so beliebe weiter mich anzuhören. Doch bemerke, Mahal spricht, nicht ich.

»So nun vernichten sie in den Sultanen dadurch, daß sie ihnen ihren eigenen Verstand verdächtig machen, allen Willen, vernichten die Kraft des Wollens selbst in ihnen, und der klügste Sultan handelt wie der schlechteste Kopf, sagt Mahal, weil es ihm an Willen, an Kraft, zu wollen, fehlt. Nur der starke Willen, meint Mahal, mache den Sultan, wenn es übrigens mit seinem Gehirne und seinem Herzen gut bestellt ist, und nicht die ausgeschmücktesten Reden, nicht die erhabensten Gesinnungen hülfen hier zu etwas, weil, wie Mahal sagt, der schönste Sprecher, der erhabenste Denker im wirklichen Leben oft die dümmsten, einfältigsten, ja bösesten Handlungen, ohne es zu ahnen oder zu wissen, begeht und begehen läßt.« – Vielleicht bemerkst du, Herr der Gläubigen, daß dieser rohe Mahal auf einmal als ein so welterfahrener Mann spricht, und dies kommt vermuthlich von dem Geiste des Kaftans her, den er jetzt trägt. Du weißt, der Rock wirkt viel auf den Verstand des Mannes. Anders begreife ich es nicht, es müßte denn sein, daß ihn einer der Götter in die Schule genommen hätte. Dem sei nun, wie ihm wolle, er entdeckte bald, sagt er: daß der treffliche, verständige Sultan Lom von den Göttern, die um seinen prächtigen Thron her standen, so unterjocht war, daß ihm weiter nichts mehr übrig blieb, als in dem Zauberkreise, den sie um ihn gezogen hatten, auf dem Throne zu sitzen, sich äußerlich verehren, bewundern, anbeten zu lassen, Befehle zu geben, die man ihm einzuflößen wußte, und weiter nicht zu fragen, wie und ob sie ausgeführt würden, ob es Denen nutzte oder schadete, die sie betrafen. Reden ließ man ihn darüber so viel, so lange und schön er wollte, bewunderte auch Alles, was er sagte, und nun, spricht Mahal, hatte der Sultan Lom zu viel Verstand, um den Grund des Spiels nicht einzusehen, das man mit ihm spielte und ihn spielen ließ.

Khalife. Soll ich dir ihn sagen? Ben Hafi. Wenn es dir so gefällt.

Khalife. Die sogenannten Götter da, die in diesem Punkte wenigstens keine Thoren waren, verehrten ihn als das Oberhaupt ihrer tollen und sträflichen Götterheit, damit er nicht über sie und die Giner als Mensch herrschen möchte. Habe ich's getroffen?

Ben Hafi. Ganz!

Khalife. O, die heutigen Großen gleichen deinen Narren von Göttern nur allzu sehr. Sie verehren ihr Oberhaupt so lange, bis es, wenn es sie nicht durchsieht und sich vor ihnen hütet, vor lauter Verehrung es zu sein vergißt.

Ben Hafi (für sich). Weise wie Salomo! es soll schon wirken. (Laut.) Herr der Gläubigen, du darfst sagen, was der kleine Ben Hafi nur zu denken wagt.

Der Sultan Lom fühlte es mit vielem Kummer, fährt Mahal fort, denn da er, wie gesagt, Verstand hatte, so sah er wohl ein, welches Spiel sie mit ihm und Denen trieben, die sie Menschenthiere nannten. Was aber das Allerstärkste ist, das man von einem Sultan sagen kann, er war von dem Betrug seiner und ihrer Götterrolle völlig überzeugt und hätte ihm gerne ein Ende gemacht, um über die Giner insgesammt als Mensch zu herrschen.

Khalife. Und warum that er es nicht?

Ben Hafi. Nicht weil es ihm an Verstand, sondern an Willen und der rechten Kraft, zu wollen, gebrach. Dies Wollen nun wollte der Mann vom Gebirge in ihm erwecken. Er sprach zu ihm:

»Sultan Lom, du hast mir nun alle deinen Kummer vertraut, und ich, ein treuer Verehrer des wahren einzigen Gottes, vor dem wir alle Staub sind, ergreife mit Freuden die Gelegenheit, dich zum wahren Herrn der Giner zu machen, um sie und dich von diesem schändlichen Afterdienst zu bekehren. Wolle nur recht, und es geschieht. Es gibt verschiedene Wege, dich von dem Druck und der Unterjochung dieser sogenannten Götter zu befreien. Wähle einen. Der einfachste wäre: du bewiesest diesen Göttern ihren Unsinn dadurch, daß du dich zeigtest, was du so trefflich bist, ein Mensch, der ihres Betrugs müde ist; ob aber dieser sehr einfache Weg der klügste und sicherste ist, dieses mußt du erwägen. Wenigstens mußt du ihn vorbereiten, bevor du ihn betrittst. Ein künstlicherer wäre, wenn du so Viele von deinem Volke oder denen, die sie Menschenthiere nennen, zu Göttern machtest, daß es nicht mehr der Mühe lohnte, einer davon zu sein, weil alsdann jeder der Götter, der weiterhin leben wollte, zu einem nährenden Werkzeuge greifen müßte. Oder du forderst im Stillen die Menschen in Gin auf, deren du Tausende gegen einen der Götter zählen kannst, und sagst ihnen, du wolltest durch sie der Tyrannei dieser Götter ein Ende machen. Sei überzeugt, daß die Giner, die diese Götter so kostbar ernähren müssen, sie mit Freuden zu Dem machen werden, was sie wirklich sind. Alsdann nur wirst du alles Das ausführen können, worüber du so schön und herrlich sprichst.«

Khalife. Es soll mir lieb sein, wenn es gut geht; aber ich zweifle sehr daran.

Großvizir (in Bart murmelnd). Es kann, es soll nicht gut gehen.

Ben Hafi. Dem Sultan Lom gefiel Mahals Vorschlag; er überlegte ihn nach seiner an diesen Göttern gemachten Erfahrung und fühlte eine starke Beklemmung in der Brust bei dem Gedanken der Ausführung.

Khalife. Es thut mir leid; aber ich dachte es wohl.

Großvizir (für sich). Ich auch!

Ben Hafi. Er glättete nach und nach den rohen Vorschlag Mahals, machte ein Mittelding daraus, und indem er ihm das Kühne nahm, machte er ihn zu Dem, was jedes Mittelding am Ende wird. Er wollte Schritt vor Schritt gehen und seine Schritte dabei so weise leiten, daß er sie entweder zurückthun oder doch übertünchen könnte. Er that nun den ersten bedeutenden Schritt, die Götter wachten auf, ohne es sich merken zu lassen. Er that den zweiten, sie lobten ihn; er that den dritten, sie sagten kein Wort, und Alles, was geschah, bevor er den vierten thun konnte, war, daß Mahal in einem Gange des Palastes, nicht ferne von seiner hohen Person, einen Dolchstich empfing, worüber er ohne Bewußtsein zu Boden sank.

Als sich Mahal von seiner Ohnmacht erholte, befand er sich in einem fremden Hause, unter den Händen der Aerzte, die ihm mit vieler Ehrfurcht seine Wunde in der Brust verbanden. Keiner der Aerzte noch Umstehenden sprach ein Wort mit ihm; auch beantwortete Niemand seine Fragen. In dieser peinlichen, langweiligen Lage brachte er einige Monate zu. Als er nun genesen war und aufstand, um sich zu dem Sultan zu begeben, trat einer der Götter zu ihm und sagte im Namen des Sultans Lom:

»Der Sultan bedaure seinen Unfall gar herzlich; auch habe er dem Göttersohn, der ihn nicht weit von seiner hohen Person verwundet hatte, einen sehr rauhen Verweis gegeben. Ihm riethe er nun, sich aus Gin zu entfernen, damit er aufs Künftige solchen Gefahren nicht mehr ausgesetzt wäre. Er möge gleich das Land mit einem der segelfertigen Schiffe verlassen, und es freue übrigens den Sultan höchlich, daß er an seiner Wunde nicht gestorben wäre. Noch versichere er ihn, als einen wahren Enkel Seths, aller seiner Achtung.«

Mahal wollte reden. Der Göttersohn sprach: »Mein Bester, sprich lieber nicht. Es würde uns um den Sultan leid thun, an dir das Herkommen verletzen zu müssen und einen unsers Geschlechts, gleich einem gemeinen Menschenthier, an das Kreuz zu schlagen.«

Hierauf legte er ihm mit vieler Artigkeit ein Säckchen voll des Gotts der Irader in die Hand. Mahal warf es ihm zu Füßen, zerriß sein verbrämtes Gewand und forderte eins von denen, welche die Menschenthiere trugen. Der Göttersohn bemitleidete seinen Wahnsinn, bedauerte, daß er seinem erhabenen Ursprunge so schlecht entspräche, erfüllte seinen Willen und ließ ihn eilends zu Schiffe bringen. Hieraus siehst du, Herr der Gläubigen, daß es oft ein großes Wagestück ist, einem Sultan zu zeigen, wo es ihm fehlt, oder wie er sich aus einer Lage, die ihn hindert, Gutes zu thun, retten müßte. – Mahals Lohn beweist das Uebrige.

Großvizir (für sich). Und mit Recht.

Khalife. Wäre ich in diesem Fall, oder könnte ich in diesen Fall je kommen, beim Propheten, es sollte so nicht gehen.

Ben Hafi (für sich, indem er seine Handschrift zusammen rollt). Ich nehme deine Worte für eine gute Vorbedeutung. Und wer wollte es um deinetwillen nicht wagen?

Khalife. Habe ich es doch immer gedacht, daß es dem armen Mahal unter diesen glattzüngigen Ginern übel ergehen würde; doch es hätte noch schlimmer ausfallen können, und es ist mir lieb, daß er so davon gekommen ist. Ich wette, er wird in Zukunft behutsamer an den Höfen sein. Friede sei mit euch!


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