Heinrich von Kleist
Briefe
Heinrich von Kleist

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1806

93. An Karl Freiherrn von Stein zum Altenstein

Hochwohlgeborner Freiherr,
Hochzuverehrender Herr Geheimer Oberfinanzrat,

Ew. Hochwohlgeboren unterstehe ich mich, mit diesem wiederholentlichen Schreiben zu behelligen, so vielfach auch, und schmerzhaft vielleicht die Geschäfte sein mögen, die Ihnen in diesen unseligen Augenblicken obliegen.

Ich hoffe immer noch, daß das seit jenem letzten Friedensschluß ausgesprengte Gerücht, wegen Abtretung unsrer fränkischen Provinzen, zu den ungegründeten gehört. Wenigstens wird man, so lange es sich tun läßt, zweifeln müssen, daß unser vortrefflicher König auf einen Vertauschungsplan eingehen werde, der offenbar darauf abzweckt, das geheiligte Band zwischen Fürst und Volk aufzulösen. Jene schönen, herrlichen Länder, sie sind nicht mein Vaterland; aber manche Rücksicht, und der Gedanke, einst wohltätig zu ihrer Entwickelung mitwirken zu sollen, hat sie mir wert gemacht: kurz, schmerzen, innig fast, wie Ihnen, würd es mich, wenn sie um einen Kaufwert geschätzt, und einer fremden Regierung dafür preisgegeben werden sollten.

Was in diesem Falle Ihre Bestimmung sein würde, ist mir unbekannt. Das aber weiß ich, daß ich Ihnen folgen möchte, wohin Sie sich auch wenden, und ich bitte Sie, Verehrungswürdigster: veranlassen Sie, daß ich in der Provinz angestellt werde, die unter Ihre Verwaltung gestellt werden wird.

Die Zeit, welche ich in Königsberg zubringen sollte, um mir die nötige kameralistische Ausbildung zu verschaffen, geht nun zu Ende. Eine fortwährende Unpäßlichkeit aber in den ersten Monaten, und späterhin eine Störung des natürlichen Geschäftsganges, durch die Truppenmärsche, haben meine Entwickelung zurückgehalten, und ich nähre den Wunsch, noch das nächste Sommerhalbejahr hier verweilen zu dürfen, um das Versäumte völlig nachzuholen. Dazu kömmt die jetzige Verwirrung der Dinge, die überdies meine Anstellung schwierig machen dürfte.

Ich ersuche daher Ew. Hochwohlgeb., mich zu belehren, ob ich deshalb meinen besonderen Antrag an das Departement zu richten habe, oder ob sich diese Sache vielleicht durch Ihre gütige Verwendung, ohne weitere Einreichung von meiner Seite abmachen läßt. Meine Schwester würde in diesem Falle zu meinem Schwager, dem Hr. v. Stojentin bei Danzig reisen, von wo ich ihr das Versprechen zu geben wünschte, sie auf den Herbst abholen zu können. Inzwischen bitte ich um eine möglichst baldige Entscheidung hierüber, teils weil diese Reise manche Veranstaltungen notwendig macht, teils weil ich, wegen nur auf ein Jahr gemieteter Wohnung, mir eine neue werde besorgen müssen.

Wenn es mir vergönnt wird, noch diese Zeit über bei der hiesigen Kammer zu arbeiten, so werde ich das Befreiungsgeschäft der Zünfte (mein Lieblingsgegenstand) völlig auslernen. Bisher ist man nur mit Hinwegschaffung der Mißbräuche, und Befreiung der Gewerbe innerhalb der Zunftschranken, beschäftigt gewesen; vor wenig Tagen ist aber ein Reskript eingegangen, das die völlige Auskaufung der Zunftgerechtsame, und gänzliche Wiederherstellung der natürlichen Gewerbsfreiheit eingeleitet hat.

Ich verharre mit der innigsten Hochachtung und Verehrung,

Ew. Hochwohlgeboren, gehorsamster

H. v. Kleist.

Königsberg, den 10. Feb. 1806

*

94. An Karl Freiherrn von Stein zum Altenstein

Hochwohlgeborner Freiherr,
Hochzuverehrender Herr Geheimer Oberfinanzrat!

Es ist mit der innigsten Betrübnis, und nach einem Kampf voll unsäglicher Schmerzen, daß ich die Feder ergreife, um Sie zu bitten, Verehrungswürdigster! mich von der Verpflichtung, die mir obliegt, alle Ihre gütigen Schritte für mich durch Weihung meiner Kräfte für den Dienst des Staates zu rechtfertigen – eine Verpflichtung, die nicht heiliger, als in meiner Brust empfunden werden kann –, wieder loszusprechen.

Ein Gram, über den ich nicht Meister zu werden vermag, zerrüttet meine Gesundheit. Ich sitze, wie an einem Abgrund, mein edelmütiger Freund, das Gemüt immer starr über die Tiefe geneigt, in welcher die Hoffnung meines Lebens untergegangen ist: jetzt wie beflügelt von der Begierde, sie bei den Locken noch heraufzuziehen, jetzt niedergeschlagen von dem Gefühl unüberwindlichen Unvermögens. – Erlassen Sie mir, mich deutlicher darüber zu erklären. Stünd ich vor Ihren Augen, so würd ich Sprache finden, Ihnen deutlicher zu sein, Ihnen! Obschon ich es niemandem in der Welt bin –

Vergebens habe ich mich bemüht, mich aus diesem unglücklichen Zustand, der die ganze Wiederholung eines früheren ist, den ich schon einmal in Frankreich erlebte, emporzuarbeiten. Es ist, als ob das, was auf mich einwirkt, in eben dem Maße wächst, als mein Widerstand; wie die Gewalt des Windes in dem Maße, als die Pflanzen, die sich ihm entgegensetzen. Ich bin seit mehreren Monden schon mit den hartnäckigsten Verstopfungen geplagt. Nicht genug, daß ich bei der Unruhe, in welche sie mich versetzen, unfähig zu jedem Geschäft bin, das Anstrengung erfordert: kaum, daß ich dazu tauge, die Seite eines Buches zu überlesen. Ich bin schüchtern gewesen, schon durch den ganzen Winter, wenn die Reihe des Vortrags mich traf: der Gegenstand, über den ich berichten soll, verschwindet aus meiner Vorstellung; es ist, als ob ich ein leeres Blatt vor Augen hätte. Doch jetzt würde ich zittern, wenn ich vor dem Kollegio auftreten sollte. Es ist eine große Unordnung der Natur, ich weiß es; aber es ist so.

Die wenigen Arbeiten, die ich bei diesem Zustande zu Hause zu übernehmen imstande bin, reichen nicht hin, mir die Masse von Unterricht über die Verhältnisse des bürgerlichen Lebens zu geben, deren ich nach meinem Gefühl noch bedürftig bin. Meine außerordentliche Unbekanntschaft damit verführt mich zu Mißgriffen, die nur die Güte eines so vortrefflichen Chefs, als der Herr Geh. Ob. Fin. Rat v. Auenwald ist, ungetadelt lassen kann. Und eine Bitte um noch längeren Aufenthalt in Königsberg, da Sie die Güte gehabt haben, mir eine solche Bitte schon einmal zu erfüllen, wäre, bei so wenig Hoffnung, mich ihrer würdig zu bezeigen, zu unbescheiden, als daß ich sie wagen sollte.

Überzeugen Sie sich, Verehrungswürdigster, daß es nur das Gefühl der Unmöglichkeit ist, Ihren Erwartungen ganz zu entsprechen, und ein unüberwindlicher Widerwille, es halb und unvollständig zu tun, was mich zu einem Schritte bewegen kann, der mich in eine ganz zweideutige Zukunft führt.

Erlauben Sie mir, daß ich zu meinem Schwager Stojentin in der Gegend von Danzig aufs Land gehen darf, wohin meine Schwester schon zu Anfange dieses Frühjahrs vorangegangen ist, und wo sie sich auch vielleicht ankaufen wird. Ich halte diese Versetzung meiner aus meinem hiesigen isolierten Zustande unter meine Verwandte für notwendig zu meiner Wiederherstellung. Ich nehme Ihre Güte auf gar keine andre Art in Anspruch: fern sei auch nur der Gedanke von mir!

Würdigen Sie mich, Verehrungswürdigster, bald, und einer unstrafenden, Antwort. – Ich neige mich auf Ihre Hand, und küsse sie, und weine! – Und so lang ich lebe bin ich mit der innigsten Ehrfurcht und Liebe,

Verehrungswürdiger Herr Geheimer Ob. Fin. Rat,

Ihr ergebenster          
H. v. Kleist.

Königsberg, den 30. Juni 1806

*

95. An Hans von Auerswald

Hochwohlgeborner Herr,
Hochzuverehrender Herr Geheimer Oberfinanzrat,

Ein fortdauernd kränklicher Zustand meines Unterleibes, der mein Gemüt angreift, und mich bei allen Geschäften, zu denen ich gezogen zu werden, das Glück habe, auf die sonderbarste Art ängstlich macht, macht mich, zu meiner innigsten Betrübnis, unfähig, mich denselben fernerhin zu unterziehen. Ich bitte Ew. Hochwohlgeboren untertänigst, mich fortdauernd gütigst von den Arbeiten zu dispensieren, bis ich von dem Hr. Geh. Ob. Fin. Rat v. Altenstein, dem ich meine Lage, und den Wunsch, gänzlich davon befreit zu werden, eröffnet habe, näher beschieden sein werde. Niemand kann den Schmerz, mich der Gewogenheit, mit welcher ich von Ew. Hochwohlgeboren sowohl, als von einem verehrungswürdigen Kollegio aufgenommen zu werden, das Glück hatte, so wenig würdig gezeigt zu haben, lebhafter empfinden, als ich. Nur die Unmöglichkeit, ihr so, wie ich es wünschte, zu entsprechen, und der Widerwille, es halb und unvollständig zu tun, können diesen Umstand entschuldigen. Ich statte Ew. Hochwohlgeboren meinen innigsten und untertänigsten Dank ab für jede Gnade, deren ich hier teilhaftig geworden bin, und werde die erste Gelegenheit, da es mir mein Zustand erlaubt, benutzen, Ew. Hochwohlgeboren von meiner unauslöschlichen Dankbarkeit, und der Ehrfurcht zu überzeugen, mit welcher ich die Ehre habe, zu sein

Ew. Hochwohlgeboren, gehorsamster

Heinrich v. Kleist.

Königsberg, den 10. Juli 1806

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Auerswald an Kleist

An d. H. v. Kleist Hochwohlgeb.

Es tut mir gewiß sehr leid, daß Ew. Hochwohlgeb. Ihre Ansichten Ihre künftige Laufbahn betreffend geändert haben, und ich werde also auch, wenn Ihre Kränklichkeit gehoben, und dadurch ein anderweiter Entschluß bei Ihnen bewirkt werden sollte, gewiß mit Vergnügen dazu die Hand bieten.

Auerswald.

Königsberg, den 12. Juli 1806

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96. An Karl Freiherrn von Stein zum Altenstein

Ich küsse Ihnen voll der innigsten Rührung und Liebe die Hände, mein verehrungswürdigster Herr Geheimer Oberfinanzrat! Wie empfindlich für fremde Leiden macht das eigene! Wie sehr haben Sie dies in Ihrem mir ewig teuren Briefe gezeigt, wie sehr ich es, als ich ihn las, gefühlt! Ach, was ist dies für eine Welt! Wie kann ein edles Wesen, ein denkendes und empfindendes, wie der Mensch, hier glücklich sein! Wie kann er es nur wollen, hier, wo alles mit dem Tode endigt! Wir begegnen uns, drei Frühlinge lieben wir uns, und eine Ewigkeit fliehen wir wieder auseinander! Und was ist des Strebens wert, wenn es die Liebe nicht ist! O es muß noch etwas anderes geben, als Liebe, Ruhm, Glück usw., x, y, z, wovon unsre Seelen nichts träumen. Nur darum ist dieses Gewimmel von Erscheinungen angeordnet, damit der Mensch an keiner hafte. Es kann kein böser Geist sein, der an der Spitze der Welt steht: es ist ein bloß unbegriffener! Lächeln wir nicht auch, wenn die Kinder weinen; Denken Sie nur, diese unendliche Fortdauer! Millionen von Zeiträumen, jedweder ein Leben, und für jedweden eine Erscheinung, wie diese Welt! Wie doch der kleine Stern heißen mag, den man auf dem Sirius, wenn der Himmel klar ist, sieht? Und dieses ganze ungeheure Firmament, das die Phantasie nicht ermessen kann, nur ein Stäubchen gegen den unendlichen Raum! O mein edler Freund, ist dies ein Traum? Zwischen je zwei Lindenblättern, abends, wenn wir auf dem Rücken liegen, eine Aussicht, an Ahndungen reicher, als Gedanken fassen, und Worte sagen können! – Wenn ich doch nur einen Nachmittag an Ihrer Seite sein könnte! Denn – wo soll ich anfangen? Wie soll ich es möglich machen, in einem Briefe etwas so Zartes, als ein Gedanke ist, auszuprägen? Ja, wenn man Tränen schreiben könnte – doch so – – Ich ging mit dem Entschluß – Wunsch wenigstens (denn so etwas läßt sich nicht beschließen) zum Hr. Gh. Ob. Fin. Rat v. Schön: ich wollte mich ihm anvertrauen. Denn wer hätte ein größeres Recht darauf, als derjenige, auf den Sie mich als Ihren Freund zu verweisen, würdigen? Doch – es teilten sich so viele andere, die ihm aufwarten wollten, in seine Aufmerksamkeit; und mein unbescheidnes Herz wäre mit seiner doppelten kaum zufrieden gewesen – Wären Sie doch selbst gekommen! Ich höre, daß Sie nahe dabei gewesen sind, diesen Entschluß zu fassen! – Mein verehrungswürdigster Herr Geheimer Ob. Fin. Rat! Ich mache von Ihrem gütigen Anerbieten, mir Urlaub zu bewilligen, Gebrauch! Ich sende heute einen Brief an den Hr. Staatsminister v. Hardenberg ab, in welchem ich mir einen sechsmonatlichen Urlaub erbitte. Ist diese Bitte zu unbescheiden, so bin ich mit einem fünf- auch viermonatlichen zufrieden. Ich wünsche im Innersten meiner Seele, mich Ihrer Güte einst noch würdig zeigen zu können. Nur jetzt bin ich dazu unfähig. Daß ich auf Diäten, während dieser Zeit, keine Ansprüche mache, glaube ich, mein verehrungswürdigster Freund! gar nicht erklären zu müssen. Auch selbst, ob ich die rückständigen noch empfangen soll, wird ganz von Ihrer Güte abhängen. – Übrigens befinde ich mich jetzt allerdings weit besser, und genieße sehr oft, und mit Heiterkeit, des Vergnügens, im Hause des Hr. Präsidenten eingeladen zu werden. Die Frau Präsidentin, diese vortreffliche Dame, zeigt eine Güte für mich, die mir auf eine unbeschreibliche Art wohl tut. Wie viel bin ich Ihnen schuldig! – Ihre Verfügungen über alle diese Bitten werde ich noch hier erwarten, und verharre inzwischen mit der innigsten Ehrfurcht und Liebe, Ew. Hochwohlgeb. ergebenster

H. v. Kleist.

Königsberg, den 4. August [1806]

*

97. An Otto August Rühle von Lilienstern

Mein liebster Rühle,

Wenn ich bisher mit meinen Antworten über die Maßen zögerte, so tatest Du wohl ein übriges, und ergriffst von selbst die Feder, um den auseinander gehenden Kranz unsrer Freundschaft zu umwickeln, auch wohl ein neues Blümchen noch obenein hinzuzutun; doch diesmal läßt Du gewähren, und Deinethalben, scheint es, könnt er auf immer auseinander schlottern. Nun, mein guter Junge, es hat nichts zu sagen, und ich küsse Dich. Dieser Kranz, er ward beim Anfang der Dinge gut gewunden, und das Band wird schon, auch ohne weiteres Zutun, so lange aushalten, als die Blumen. Wenn Du Dich im Innern so wenig veränderst, als ich, so können wir einmal, wenn wir uns früh oder spät wiedersehen, zu einander: guten Tag! sagen, und: wie hast du geschlafen? und unsere Gespräche von vor einem Jahre, als wären sie von gestern, fortsetzen. Ich habe durch die Kleisten den letzten Teil Deiner Liebens- und Lebensgeschichte erhalten. Liebe, mein Herzensjunge, so lange Du lebest; doch liebe nicht, wie der Mohr die Sonne, daß Du schwarz wirst! Wirf, wenn sie auf oder untergeht, einen freudigen Blick zu ihr hinauf, und laß Dich in der übrigen Zeit von ihr in Deinen guten Taten bescheinen, und stärken zu ihnen, und vergiß sie. Der Gedanke will mir noch nicht aus dem Kopf, daß wir noch einmal zusammen etwas tun müssen. Wer wollte auf dieser Welt glücklich sein. Pfui, schäme Dich, möcht ich fast sagen, wenn Du es willst! Welch eine Kurzsichtigkeit, o Du edler Mensch, gehört dazu, hier, wo alles mit dem Tode endigt, nach etwas zu streben. Wir begegnen uns, drei Frühlinge lieben wir uns: und eine Ewigkeit fliehen wir wieder auseinander. Und was ist des Strebens würdig, wenn es die Liebe nicht ist! Ach, es muß noch etwas anderes geben, als Liebe, Glück, Ruhm usw., x, y, z, wovon unsre Seelen nichts träumen.

Es kann kein böser Geist sein, der an der Spitze der Welt steht; es ist ein bloß unbegriffener! Lächeln wir nicht auch, wenn die Kinder weinen? Denke nur, diese unendliche Fortdauer! Myriaden von Zeiträumen, jedweder ein Leben, und für jedweden eine Erscheinung, wie diese Welt! Wie doch das kleine Sternchen heißen mag, das man auf dem Sirius, wenn der Himmel klar ist, sieht? Und dieses ganze ungeheure Firmament nur ein Stäubchen gegen die Unendlichkeit! O Rühle, sage mir, ist dies ein Traum? Zwischen je zwei Lindenblättern, wenn wir abends auf dem Rücken liegen, eine Aussicht, an Ahndungen reicher, als Gedanken fassen, und Worte sagen können. Komm, laß uns etwas Gutes tun, und dabei sterben! Einen der Millionen Tode, die wir schon gestorben sind, und noch sterben werden. Es ist, als ob wir aus einem Zimmer in das andere gehen. Sieh, die Welt kommt mir vor, wie eingeschachtelt; das kleine ist dem großen ähnlich. So wie der Schlaf, in dem wir uns erholen, etwa ein Viertel oder Drittel der Zeit dauert, da wir uns, im Wachen, ermüden, so wird, denke ich, der Tod, und aus einem ähnlichen Grunde, ein Viertel oder Drittel des Lebens dauern. Und grade so lange braucht ein menschlicher Körper, zu verwesen. Und vielleicht gibt es für eine ganze Gruppe von Leben noch einen eignen Tod, wie hier für eine Gruppe von Durchwachungen (Tagen) einen. – Nun wieder zurück zum Leben! Solange das dauert, werd ich jetzt Trauerspiele und Lustspiele machen. Ich habe der Kleisten eben wieder gestern eins geschickt, wovon Du die erste Szene schon in Dresden gesehen hast. Es ist der zerbrochene Krug. Sage mir dreist, als ein Freund, Deine Meinung, und fürchte nichts von meiner Eitelkeit. Meine Vorstellung von meiner Fähigkeit ist nur noch der Schatten von jener ehemaligen in Dresden. Die Wahrheit ist, daß ich das, was ich mir vorstelle, schön finde, nicht das, was ich leiste. Wär ich zu etwas anderem brauchbar, so würde ich es von Herzen gern ergreifen: ich dichte bloß, weil ich es nicht lassen kann. Du weißt, daß ich meine Karriere wieder verlassen habe. Altenstein, der nicht weiß, wie das zusammenhängt, hat mir zwar Urlaub angeboten, und ich habe ihn angenommen; doch bloß um mich sanfter aus der Affäre zu ziehen. Ich will mich jetzt durch meine dramatische Arbeiten ernähren; und nur, wenn Du meinst, daß sie auch dazu nicht taugen, würde mich Dein Urteil schmerzen, und auch das nur bloß weil ich verhungern müßte. Sonst magst Du aber über ihren Wert urteilen, wie Du willst. In drei bis vier Monaten kann ich immer ein solches Stück schreiben; und bringe ich es nur à 40 Fried.dor, so kann ich davon leben. Auch muß ich mich im Mechanischen verbessern, an Übung zunehmen, und in kürzern Zeiten, Besseres liefern lernen. Jetzt habe ich ein Trauerspiel unter der Feder. – Ich höre, Du, mein lieber Junge, beschäftigst Dich auch mit der Kunst? Es gibt nichts Göttlicheres, als sie! Und nichts Leichteres zugleich; und doch, warum ist es so schwer; Jede erste Bewegung, alles Unwillkürliche, ist schön; und schief und verschroben alles, sobald es sich selbst begreift. O der Verstand! Der unglückselige Verstand! Studiere nicht zu viel, mein lieber Junge. Deine Übersetzung des Racine hatte treffliche Stellen. Folge Deinem Gefühl. Was Dir schön dünkt, das gib uns, auf gut Glück. Es ist ein Wurf, wie mit dem Würfel; aber es gibt nichts anderes. – Und nun noch eine Kommission. Ich verliere jetzt meine Diäten. Die rückständigen sollen mir aber noch ausgezahlt werden. Sei doch so gut, und gehe auf die fränkische Salarienkasse, bei Hardenberg, und erinnere, daß man sie schickt. Aber tu es gleich. Adieu. Grüße Schlotheim. Was macht der Pfuel? H. K.

[Königsberg,] den 31. [August 1806]

*

98. An Ulrike von Kleist

Meine teuerste Ulrike,

Wie schrecklich sind diese Zeiten! Wie gern möcht ich, daß Du an meinem Bette säßest, und daß ich Deine Hand hielte; ich fühle mich schon gestärkt, wenn ich an Dich denke! Werdet Ihr flüchten? Es heißt ja, daß der Kaiser den Franzosen alle Hauptstädte zur Plünderung versprochen habe. Man kann kaum an eine solche Raserei der Bosheit glauben. Wie sehr hat sich alles bestätigt, was wir vor einem Jahre schon voraussahen. Man hätte das ganze Zeitungsblatt von heute damals schon schreiben können. Habt Ihr Nachrichten von Leopold und Pannwitz? Vom Regiment Möllendorff sollen ja nur drei Offiziere übrig geblieben sein. Vierzig tausend Mann auf dem Schlachtfelde, und doch kein Sieg! Es ist entsetzlich. Pfuel war, kurze Zeit vor dem Ausbruch des Krieges, Adjutant bei dem General Schmettau geworden, der bei Saalfeld geblieben ist. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Auch von Rühlen habe ich seit drei Wochen keine Nachrichten erhalten. Sie standen beide bei dem Korps des Prinzen Hohenlohe, das, wie es heißt, eingeschlossen und von der Elbe abgeschnitten ist. Man kann nicht ohne Tränen daran denken. Denn wenn sie alle denken, wie Rühle und Pfuel, so ergibt sich keiner. Ich war vor einiger Zeit willens, nach Berlin zu gehen. Doch mein immer krankhafter Zustand macht es mir ganz unmöglich. Ich leide an Verstopfungen, Beängstigungen, schwitze und phantasiere, und muß unter drei Tagen immer zwei das Bette hüten. Mein Nervensystem ist zerstört. Ich war zu Ende des Sommers fünf Wochen in Pillau, um dort das Seebad zu gebrauchen; doch auch dort war ich bettlägrig, und bin kaum fünf oder sechsmal ins Wasser gestiegen. Die Präsidentin hat mir noch ganz kürzlich etwas für Dich aufgetragen, mein Kopf ist aber so schwer, daß ich Dir nicht sagen kann, was? Es wird wohl nicht mehr, als ein Gruß gewesen sein. Sie hat durch den Kriegsrat Schaffner etwas von Dir erfahren, von dem Du, glaub ich, eine Anverwandte gesehen und gesprochen hast. Übrigens geht es mir gut. Wenn ich nur an Dir nicht Unrecht getan hätte, mein teuerstes Mädchen! Ich bin so gerührt, wenn ich das denke, daß ich es nicht beschreiben kann. Schreibe mir doch, wenn Ihr, wie ich fast glaube, nach Schorin gehen solltet. Denn Minette wird doch schwerlich die Franzosen in Frankfurt abwarten. Vielleicht käme ich alsdann auch dahin. Kein besserer Augenblick für mich, Euch wiederzusehen, als dieser. Wir sänken uns, im Gefühl des allgemeinen Elends, an die Brust, vergäßen, und verziehen einander, und liebten uns, der letzte Trost, in der Tat, der dem Menschen in so fürchterlichen Augenblicken übrig bleibt. Es wäre schrecklich, wenn dieser Wüterich sein Reich gründete. Nur ein sehr kleiner Teil der Menschen begreift, was für ein Verderben es ist, unter seine Herrschaft zu kommen. Wir sind die unterjochten Völker der Römer. Es ist auf eine Ausplünderung von Europa abgesehen, um Frankreich reich zu machen. Doch, wer weiß, wie es die Vorsicht lenkt. Adieu, meine teuerste Ulrike, ich küsse Dir die Hand. Zweifle niemals an meiner Liebe und Verehrung. Empfiehl mich allen meinen teuren Anverwandten, und antworte mir bald auf diesen Brief. H. v. Kleist.

[Königsberg,] den 24. [Oktober 1806]

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99. An Marie von Kleist

Möchte doch der Genius der Freundschaft diese wenigen Zeilen glücklich durch das Getümmel begleiten, das der Krieg so fürchterlich plötzlich zwischen uns eingewälzt hat! O meine teuerste Freundin! Leben Sie noch? Haben Sie so viele Schrecknisse, gleichzeitig auf Sie einstürzend, ertragen können? Ich schrieb Ihnen zweimal, um die Zeit des Ausbruchs des Krieges etwa, doch ohne von Ihnen Antwort zu erhalten. Darunter ist mir besonders der erste Brief wichtig, in welchem eine Einlage an Fr. v. N. war. Ihr letzter Brief war noch nach Pillau adressiert, traf mich aber schon in Königsberg. Gleich darauf war ich willens, nach Berlin abzureisen, traf auch schon alle Anstalten dazu; doch als ich auf die Post kam, war der Kurs schon unterbrochen. Wie glücklich wären wir schon gewesen, wenn wir so viel Unglück nur hätten miteinander empfinden, und uns wechselseitig trösten können. Was haben Sie denn für Nachrichten von unsern unglücklichen Freunden? Von Kleist? Rühle? Pfuel? Und meinem Bruder? Und den übrigen? Pfuel ist von Brause, der sich hier befindet, in Küstrin noch gesehen worden, von wo er sich zum Hohenlohischen Korps begeben, und bei Prenzlow wahrscheinlich das Schicksal des Ganzen gehabt hat. Von Rühle, Kleist, und den andern, weiß er nichts. Schlotheim, der mit dem Münzkabinett nach Stettin gegangen war, schrieb mir von dort, daß er nicht müßig sein könne, und bei den Fußjägern des Hohenlohischen Korps Dienste suchen wolle, das gleich darauf gefangen ward. Ob er das Unglück gehabt hat, anzukommen, weiß ich nicht. Ach, meine teuerste Freundin! Was ist dies für eine Welt? Jammer und Elend so darin verwebt, daß der menschliche Geist sie nicht einmal in Gedanken davon befreien kann. Ich bin diese Zeit über noch immer krank gewesen, litt am Fieber, Verstopfungen usw. und empfand die Wahrheit des D'Alembertschen Grundsatzes, daß zwei Übel, zusammengenommen, zu einer Tröstung werden können; denn eines zerstreute mich vom andern. Eine Zeitlang gab ich der Hoffnung Raum, daß ich das unsägliche Glück haben würde, Sie hier zu sehen; ich glaubte, weil alles flüchtet, Sie würden vielleicht der K[önigin] folgen; doch ein Tag verging nach dem andern, ohne Erfüllung. Morgen ist nun der allerletzte Termin; denn morgen kommen er und sie hier an. Versuchen Sie doch auch einen Brief, meine liebe Freundin, es läßt sich nicht denken, wer dabei ein Interesse haben sollte, das bürgerliche Leben, und die stillen, unfeindseligen Verbindungen desselben zu stören. Ich möchte so gern einige Nachrichten von meinen Freunden haben, in einer solchen Ungewißheit gelten sie mir für halbtot, und ich leide soviel, als wären sie es ganz.

Auch wenn Sie es möglich machen können, mir das Geld, das Sie noch für mich im Vorrat haben, zuzuschicken, soll es mir lieb sein, denn der meinige geht nachgerade aus. Doch empfehle ich Vorsicht deshalb, und schlage einen Wechsel, oder eine Anweisung vor. Adieu, adieu tausendmal, bis auf bessere Zeiten, lassen Sie bald etwas Erfreuliches von sich hören. H. v. Kl.

[Königsberg,] den 24. Nov. [1806]

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100. An Ulrike von Kleist

Königsberg, den 6. Dezb. 1806

Meine liebe, vortreffliche, Ulrike,

Dein Brief vom 9. Novbr., den ich erst, Gott weiß, wie es zugeht, heute erhalten habeEs stand darauf: ist gefangen genommen; zurückgeschickt. – Du mußt das Quartier bezeichnen Löb[enichtsche] Langg. 81., hat mir, so isoliert wie ich von allen meinen Freunden lebe, gleich, als ob sie alle untergegangen wären, ganz unendliche Freude gemacht. Liebe, Verehrung, und Treue, wallten wieder so lebhaft in mir auf, wie in den gefühltesten Augenblicken meines Lebens. Es liegt eine unsägliche Lust für mich darin, mir Unrecht von Dir vergeben zu lassen; der Schmerz über mich wird ganz überwältigt von der Freude über Dich. Mit meinem körperlichen Zustand weiß ich nicht, ob es besser wird, oder ob das Gefühl desselben bloß vor der ungeheuren Erscheinung des Augenblicks zurücktritt. Ich fühle mich leichter und angenehmer, als sonst. Es scheint mir, als ob das allgemeine Unglück die Menschen erzöge, ich finde sie weiser und wärmer, und ihre Ansicht von der Welt großherziger. Ich machte noch heute diese Bemerkung an Altenstein, diesem vortrefflichen Mann, vor dem sich meine Seele erst jetzt, mit völliger Freiheit, entwickeln kann. Ich habe ihn schon, da ich mich unpäßlich fühlte, bei mir gesehen; wir können wie zwei Freunde mit einander reden. An unsere Königin kann ich gar nicht ohne Rührung denken. In diesem Kriege, den sie einen unglücklichen nennt, macht sie einen größeren Gewinn, als sie in einem ganzen Leben voll Frieden und Freuden gemacht haben würde. Man sieht sie einen wahrhaft königlichen Charakter entwickeln. Sie hat den ganzen großen Gegenstand, auf den es jetzt ankommt, umfaßt; sie, deren Seele noch vor kurzem mit nichts beschäftigt schien, als wie sie beim Tanzen, oder beim Reiten, gefalle. Sie versammelt alle unsere großen Männer, die der K[önig] vernachlässigt, und von denen uns doch nur allein Rettung kommen kann, um sich; ja sie ist es, die das, was noch nicht zusammengestürzt ist, hält. Von dem, was man sonst hier hoffen mag, oder nicht; und was man für Anstalten trifft; kann ich Dir, weil es verboten sein mag, nichts schreiben. Der Gen. Kalkreuth nimmt den Abschied. Der Gen. Rüchel, der dem Könige, daß er hergestellt sei, angekündigt, und seine Dienste angeboten hat, hat seit acht Tagen noch keine Antwort erhalten. Auch Hardenberg, hör ich, will dimittieren. Altenstein weiß noch nicht, ob er wieder in fremde Dienste gehen, oder sich, mit einem kleinen Vermögen, in den Privatstand zurückziehen soll. Brause habe ich zu meiner größten Freude hier gesprochen. Pfuel hat er in Küstrin noch gesprochen, von Rühle weiß er nichts, Leopold war nicht unter den Toten und Blessierten, die er mir nannte. Deine Nachrichten wären mir noch weit interessanter gewesen, wenn ich sie nicht so spät erhalten hätte. Versäume nicht, mir, sobald Du etwas von den Unsrigen erfährst, es mitzuteilen. Besonders lieb wäre es mir, wenn Du mir etwas von der Kleisten sagen könntest, die ich für tot halten muß, weil sie mir nicht schreibt. Nach Schorin komme ich, sobald es mir möglich sein wird. Vielleicht habe ich doch den besten Weg eingeschlagen, und es gelingt mir, Dir noch Freude zu machen. Das ist einer meiner größten Wünsche! Lebe wohl und grüße alles. H. v. Kleist.

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101. An Ulrike von Kleist

Ich muß dich bitten, meine teuerste Ulrike, sogleich an die Kleisten zu schreiben. Ich schicke Briefe ohne Ende an sie ab, und weiß nicht mehr, ob sie lebt, oder tot ist. Die Kleisten besitzt 30 Louisdor von mir, Pension von der K[önigin], für die verflossenen Monate April bis Septbr. Hiervon hat sie zwar 10 Louisdor, wie sie mir kurz vor dem Kriege schrieb, an Rühlen geliehen; doch diese 10 Louisdor sind einkassiert, oder es sind doch wenigstens 20 Louisdor bei ihr in Kassa. Ich brauchte dies Geld bisher nicht, teils, weil ich im Frühjahr von ihr 20, vom Dezember vorigen Jahres bis März gesammelte, Louisdor erhielt, teils auch, weil ich noch einige Monate lang Diäten vom fr[änkischen] Departement zog. Nun aber setzt mich dieser Krieg, der uns auf eine so unglaubliche Art unglücklich überrascht, in große Verlegenheit. Nicht sowohl dadurch, daß nun vom Oktober aus wahrscheinlich diese Pension ganz aufhören wird: denn ich hatte nicht so darauf gerechnet, daß sie zu meinem Fortkommen ganz unerläßlich gewesen wäre. Da sie mich ein Jahr lang durchgeholfen hat, so hat sie gewissermaßen ihre Wirkung getan. Aber dadurch, daß der Postenkurs gestört ist, und ich weder dies Geld, noch auch Manuskripte, die ich nach Berlin geschickt hatte, oder ihren Wert, erhalten kann. Ich bitte Dich also, der Kleisten zu sagen (wenn sie noch lebt! ich weiß nicht, was ich für eine unglückliche Ahndung habe) – daß sie mir dies Geld, durch Anweisung oder durch einen Wechsel, in die Hände schaffe. Wie wäre es, wenn sie es nach Schorin schickte? Oder nach Frankfurt? Sollte Stojentin nicht dort eine Zahlung haben? Könnte er nicht das Geld in Stolpe, oder in Danzig, zahlen? Oder in Falkenburg, da Borks aus Falkenburg hier sind, und sie vielleicht eine Anweisung von ihm, aus Gefälligkeit, respektieren würden? Oder gibt es irgend eine andere Art, mir dazu zu verhelfen, da die direkte Überschickung auf der Post unmöglich ist? Interessiere Dich ein wenig für diese Sache mein liebstes Ulrikchen. Ich habe auf das äußerste angestanden, Dich damit zu beunruhigen, indem ich von Tage zu Tage auf Nachrichten von der Kleisten wartete; doch die Not ist jetzt dringend, und dieser Schritt nicht mehr auszuweichen. Wenn ich inzwischen das Geld nicht in vier bis sechs Wochen spätstens erhalten kann, so ist es mir lieber, wenn es bleibt, wo es ist, indem ich mich alsdann schon hier durch den Buchhandel werde geholfen haben: obschon dies auch, bei seinem jetzigen Zustande, nicht anders, als mit Aufopferungen geschehen kann. Mache Dir nur keine Sorgen, es wäre zu weitläufig, Dir auseinander zu setzen, warum Du ruhig sein darfst, ich versichre Dich, daß ohne diese zufälligen Umstände, meine Lage gut wäre, und daß ich Dir, wenn der Krieg nicht gekommen wäre, in kurzem Freude gemacht haben würde. Ich gebe es auch jetzt noch nicht auf, und bin Dein treuer Bruder Heinrich.

[Königsberg,] den 31. Dezb. [1806]

 

Schicke diesen ganzen Brief der Kleisten, damit sie doch endlich einmal wieder etwas von meiner Hand sieht.


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