Alexander Lange Kielland
Schnee
Alexander Lange Kielland

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Zweites Kapitel.

Der alte baufällige Schuppen lag gerade vor den Fenstern der Wohnstube und des Arbeitszimmers, und die Einfahrt bog dicht um seine schiefe Ecke. Er stand eben allen im Wege, drängte sich stets dem Blicke auf und war von wenig oder gar keinem Nutzen. Der Pächter setzte lieber Heu und Korn in Schober, als daß er es dem alten Gebäude anvertraute, und er konnte den Pfarrer nicht zu einer Reparatur bewegen.

Es verging kaum ein Tag, wo Daniel Jürges nicht den Blick zur Seite wandte, um die Gedanken zu verscheuchen, welche das alte Haus in ihm erweckte. Und selbst wenn es mit der Zeit seltener geschah, daß er sich all den Aerger zurückrief, den ihm das Gebäude bereitet hatte, so stand es doch immer da gerade vor ihm, und selbst, wenn er es nicht sah, kam es ihm nie ganz aus dem Sinn; war er nicht wohl oder verstimmt, so saß er am Fenster und starrte zu ihm hinüber.

Als er vor zehn Jahren hierher berufen wurde, erschien ihm das breite Thal mit den wogenden Aeckern und großen Wäldern wie ein fruchtbares Kanaan verglichen mit der Gegend, die er eben verlassen hatte. Dort oben war alles so kalt und so eng, hier konnte der Sinn sich erweitern, das Auge sich an Sonnenschein und schlankem Wachstum erfreuen nach all jener Verkrüppelung im fernen Norden.

Das erste, was aber sein Auge beleidigte, als er froh und eifrig aus dem Wagen sprang, um von seinem neuen Heim Besitz zu ergreifen, war das alte Gebäude, krumm und vernachlässigt, aber doch trotzig in aller seiner Gebrechlichkeit.

Pastor Jürges konnte nicht begreifen, wie sein Vorgänger ein solches Gerümpel ohne Reparatur gelassen habe: seine erste Frage bei einer Zusammenkunft mit den besten Männern der Gemeinde war auch die, wie es nur möglich sei, daß man ein Gebäude des Pfarrhauses in solcher Verfassung belassen konnte.

Ja, es war zu arg mit dem Schuppen – meinte einer, er hatte so oft gesagt, hier müsse man Hand anlegen; schon lange hätte es geschehen sollen, warf ein zweiter dazwischen; ein dritter hatte sich schon oft gewundert, daß er nicht von selbst zusammenstürzte.

Der Pfarrer wollte aber gern wissen, wem es eigentlich oblag, die Gebäude des Pfarrhauses zu reparieren.

Einer der Aeltesten hub an zu berichten, wie es mit diesen Dingen zur Jugendzeit seines Vaters bestellt gewesen sei; ein andrer erzählte, was er von seiner Muhme gehört hatte, deren Mutter im Pfarrhaus diente, als der Propst Bosse da war – derselbe, den sie den »Stampf-Gunnar« nannten und der am Weihnachtstage von der Kanzel herunterstürzte – dies war aber dem neuen Pfarrer zu langwierig.

Er scheute keineswegs geringe Kosten; sie konnten sich ja beistehen – Pfarrer und Gemeinde – in aller Eintracht – nicht wahr? Er – der Pfarrer – würde schon die Bäume fällen lassen, dann könnte die Gemeinde die Fuhren stellen; war dies nicht Landessitte seit alters her? Sie würden schon einig werden.

Pastor Jürges nickte und sah sich im Kreise um von einem zum andern.

Keiner sagte ja oder nein; sie fanden allerdings, daß es sehr schnell ging. Kaum war man aber nach dem Umzug ein wenig in Ordnung gekommen, so sandte der Pfarrer seine Kätner – ja er ging selbst mit in den Wald und ließ mit Lust und Liebe Holz schlagen, was sich gerade für seinen Zweck am besten eignete.

Wahrend sie in voller Thätigkeit waren, kamen zwei Männer dahergegangen. Der Pfarrer kannte sie und ging ihnen herzlich und frohen Mutes entgegen. Es war ihm etwas Ungewohntes, diese Menge Bäume zur Auswahl zu haben. Der Wald gehörte zum Pfarrhaus oder zum Kirchspiel, die Gerechtsame waren mannigfaltig und verwickelt: die Grenzscheiden weitläufig und unbestimmt – er hat allerlei Dokumente darüber durchstudiert; unmöglich konnte man aber das alles behalten. Der Wald war öffentliches Eigentum, Bäume genug standen da – dies war die Hauptsache.

»Schaut her, meine Freunde!« rief Pastor Jürges und streckte den beiden Männern die Hände entgegen; »jetzt soll der alte baufällige Kasten schon ein andres Aussehen bekommen! Seht nur, was für wundervolle Bäume ich mir ausgesucht habe.«

Die Bauern sagten erst »Guten Tag«, »Gott segne die Arbeit«, »Schönes Wetter« und manches andre – das war nun ihre Art, ein Gespräch zu beginnen, und sie ließen sich durch die schnelle Redeweise nicht beeinflussen. Pastor Jürges, der die Bauern gründlich kannte, achtete nicht viel auf ihr Gemurmel, sondern fuhr fort von seinen Balken zu reden.

Indessen sollten seine Leute einen neuen Baum in Angriff nehmen: sie zauderten aber, machten sich mit den Aexten zu schaffen und schienen auf etwas zu warten.

»Nun,« rief der Pfarrer, »frisch an die Arbeit – ihr Leute! Nehmet jene Tanne dort am Felsblock, die ich euch vorhin zeigte – nicht wahr? – Ein prächtiger Baum – von passender Größe!«

O ja, daran fehlte es nicht: der Baum war gut genug. Es gab sonst – meinte der eine der beiden Männer – einen Platz weiter östlich im Walde, wo die Pfarrersleute zu hauen pflegten; wenn nun der Herr Pastor – eh – mitgehen wollte, so würden sie ihm zeigen –. O keineswegs! Sie sollten sich wahrlich seinetwegen nicht bemühen; er würde schon das finden, was er brauchte. Und je näher dem Pfarrhause, je leichter für die Gemeinde, welche die Fuhren stellen sollte; Bäume gab es ja – Gott sei Dank – genug.

»Ja, das war ein wahres Wort, Bäume gibt es hier genug,« sagte der eine, und kurz darauf sagte der andre dasselbe.

Sie blieben stehen, bis die Kätner des Pfarrers nach wiederholten Befehlen desselben die Tanne zu fällen begannen. Darauf sagte der eine: »Ja, dann müssen wir uns so langsam auf den Heimweg machen – wir beide.«

»Ja, das müssen wir wohl,« meinte der andre.

Der Pfarrer nahm von ihnen herzlich Abschied, sandte Grüße an ihre Frauen und rief ihnen zuletzt nach: »Laßt mich nun sehen, daß ihr auch Sorge tragt, das Bauholz fortzuschaffen, wenn wir genug Schnee haben.«

»Ja, die beste Zeit, Holz zu fahren, ist die, wenn der Schnee lose liegt,« sagte der eine. »Es ist gleichsam leichter sowohl für das Pferd wie für den Mann,« fügte der andre hinzu, und damit gingen sie.

Der Schnee fiel in reichlicher Menge, und täglich wartete der Pfarrer auf den langen Zug dampfender Pferde, der ihm das Holz bringen sollte. Er wollte gleich damit anfangen, das Gebäude inwendig zu stützen, wenn die Tage ein wenig länger wurden.

Anfangs lachte er leise vor sich hin bei dem Gedanken an die zähen Bauern, die nie in Trab zu bringen sind. Und wenn der Vogt, welcher in der Gegend wohlbekannt war, sie mit den schlimmsten Scheltworten bedachte, so verteidigte der Pastor in aller Gutmütigkeit seine Pfarrkinder: es nahm zwar ein wenig Zeit, am Ende würde es aber doch früh genug da sein.

Als aber der Winter verging und der Landvogt zu Ostern frohlockend fragte, ob das Bauholz gebracht sei, da schien es dem Pfarrer doch zu arg; alles hatte seine Grenzen! Und zum erstenmal ließ er seinem Zorn freien Lauf bei einer Sitzung des Gemeinderates, indem er sich erhob, erst ihre unverzeihliche Trägheit und Langsamkeit rügte und dann mit Bestimmtheit verlangte, man solle augenblicklich die nötigen Fuhren stellen.

Nach einer langen Stille begann einer: »Von alters her war es nun hier bei uns Sitte, zwei Männer zu ernennen, welche zeigen, was gehauen werden muß und wo gehauen wird; und dann ist es weiter so, daß –«

»Aber davon ist ja hier nicht die Rede,« unterbrach ihn der Pfarrer, »das Holz ist ja gehauen und liegt fertig hart an der Fahrstraße.«

»Und es wurde vielleicht von den dazu ermächtigten Männern gezeichnet?« fragte eine friedfertige Stimme: »du warst vielleicht mit und zeigtest es dem Herrn Pfarrer – du, Hans? – denn es waren ja du und Eiwind, denen der Auftrag zuerteilt wurde.«

»Ja, wir waren da, alle beide – jawohl, das waren wir,« sagte der eine der beiden Männer, welche damals in den Wald gekommen waren.

Ein Weilchen nachher versetzte der andre: »O ja, wir waren da – ja! – alle beide.«

»Und dann habt ihr wohl die Bäume angegeben, welche der Pfarrer hauen sollte?« fragte dieselbe friedfertige Stimme.

Der Pfarrer unterbrach sie aber wieder etwas ungeduldig: »Darum handelt es sich doch gar nicht mehr; Bäume sind genug da, und ich nahm die paar, die wir nötig haben, dort, wo man sie am leichtesten fortschaffen kann.«

»Aber – aber – ob es doch nicht hätte ordentlich angewiesen werden müssen.«

»Es ist wohl möglich; ich bin ja noch wenig in diese Sachen eingeweiht, finde aber nicht, daß es sich verlohnt, deswegen Aufhebens zu machen.«

»Aber,« nahm einer wieder das Wort, »wenn es sich nun gerade so traf, daß sie zur Stelle waren – die beiden damit beauftragten Männer – gewillt, dem Herrn Pfarrer alles zu zeigen, obgleich sie nicht gerufen waren –«

»Zeigen – zeigen?« rief der Pfarrer ärgerlich, »Keiner sprach ein Wort von diesem Auftrag. Ich entsinne mich jetzt, ein paar Worte mit Hans und Eiwind gesprochen zu haben; sie erhoben aber keinen Widerspruch dagegen, daß ich hauen ließ, wo es mir beliebte.«

»Es ist nun – eh –« begann Hans langsam mit etwas zitternder Stimme, »es ist nun so, daß wir zwei Zeugen aufweisen können – außer mir selbst und dem Eiwind.«

»Zeugen? – Zeugen? – Wovon?« rief Pastor Jürges.

»Zwei recht gute Zeugen,« sagte Eiwind. Alle saßen nun gespannt und blickten vor sich nieder. Ob der neue Prediger es so weit treiben würde, noch gegen das Zeugnis zweier Männer zu leugnen?

Hans fuhr fort: »Es ist nun so, daß sowohl der alte Aslag wie sein Sohn, welche für den Herrn Pfarrer arbeiteten, gewillt sind, es eidlich zu bestätigen, daß der Herr Pfarrer sich zähe weigerte, mit nach der Halde zu gehen, wo die Pfarrersleute seit alters her ihr Holz geholt haben.«

»Das that er – ja; das ist ganz gewiß,« sagte Eiwind.

»Aber du lieber Gott! – Ihr Leute! Ich weiß nicht, ob ich über euch weinen oder lachen soll. Ist dies der Grund, daß ihr keine Fuhren stellt? Nicht wußte ich an jenem Tage, daß Hans und Eiwind im Auftrage kamen, ebensowenig teilten sie mir dies mit. Und dies Gerede – ich weiß gut, daß davon die Rede war, östlicher zu hauen – das nahm ich alles für einen wohlgemeinten Rat; und wenn ich ihn nicht befolgte, so geschah es ausschließlich aus Rücksicht auf die Gemeindemitglieder, welche die Fuhren stellen sollten; mir konnte es ja gleichgültig sein.«

Wer seine Leute nicht kannte, würde nicht aus den kurzen schielenden Blicken, welche die Männer wechselten, erraten haben, wie erbärmlich sie alle diese Ausrede fanden. Und die freundliche Stimme sprach in die Luft hinaus etwas davon, daß es immer am besten sei, nachzufragen, dann komme man nicht auf Irrwege.

»O, ein großer Schaden ist nun nicht geschehen,« entgegnete der Pfarrer scharf; die friedliche Stimme gefiel ihm nicht. »Ein andermal werde ich mit Vergnügen nach Anweisung hauen; an der Thatsache läßt sich aber jetzt nichts ändern: das Bauholz liegt fertig da, und ihr müßt es nun an Ort und Stelle schaffen – und das so schnell wie möglich, schmilzt erst der Schnee, dann sind ja die Wege unfahrbar.«

Wieder wurde es still, bis einer sagte: »Es ist kaum anzunehmen, daß zum Hauen noch vor Frühlingsanfang Zeit ist.«

»Hauen? – Noch einmal hauen? Ihr wollt doch nicht, daß ich noch einmal hauen soll?« rief Pastor Jürges.

Als er aber die unerschütterliche Ruhe der Gesichter bemerkte, verging ihm die Geduld.

»Ihr seid recht – hm! – recht sonderbare Menschen! Ihr macht euch einen kleinen Formfehler meinerseits zu Nutzen, um einen Zank vom Zaun zu brechen. Ist das freundlich gegen euren Pfarrer gehandelt? Ist das christlich gegen einen Bruder? Bedenkt nur, wenn wir in dieser Weise miteinander ins Gericht gehen würden – oder denkt daran, wie es wäre, wenn unser Herr Gott mit uns so streng vorginge.«

Der gespannte Ausdruck der Gesichter wich jetzt dem gewöhnlichen kirchlichen Ernste; sie erwarteten eine Predigt und eine Strafrede, und dessen waren sie gewohnt.

Sobald der Pfarrer innehielt, schickte der eine und der andre sich zum Fortgehen an, und in dem Wahne, daß sie sich jetzt beschämt fühlten, fragte dieser ernst, aber vertrauensvoll: »Laßt mich also hören, welchen Tag ihr das Holz vorzufahren gedenkt; ihr wißt alle, wo es liegt; viel ist es ja nicht.«

O nein, gar so viel sei es nicht, meinte einer.

Nein, was das beträfe, so sei die Sache wahrlich nicht der Rede wert, pflichtete ihm ein andrer bei.

Darauf versicherte einer, er mache sich anheischig, den ganzen Kram an einem Tage mit eignen Pferden zu fahren – mehr sei es nicht.

»Ja, ja, sprechen wir nicht mehr davon. Am Montag beginnt das Anfahren der Balken, und ich denke,« fügte der Pfarrer lächelnd hinzu, »Knud wird der Erste sein, dessen Gespann ich erblicke.«

Knud war der Mann mit der friedlichen Stimme, der sah sich aber nur kurz im Kreise um und erwiderte dann still und kalt: »Ich zweifle daran, daß sich in der Gemeinde ein einziger Mann findet, der dem Gesetze zuwiderhandeln wird – stellt sich auch der Pfarrer an die Spitze.«

Und darin stimmten ihm alle bei – das war deutlich zu sehen. Da wurde aber der Pfarrer ernstlich böse, und er las ihnen ordentlich den Text; die Sitzung schloß mit einer Art Gewitter, aus welchem der Pfarrer in heller Wut hinwegstürzte ohne Versöhnung und Abschied.

Der Vogt lachte laut und rieb sich die Hände, als er den Vorgang erfuhr: waren dem Pfarrer endlich die Augen aufgegangen? Sah er jetzt ein, daß dies Gesindel sich nicht schämte, jede Gelegenheit zu ergreifen, die es ihm ermöglichte, Zänkereien zu beginnen und der Erfüllung seiner Pflichten aus dem Wege zu gehen?

»Nein, nein, Herr Pastor! – Die hiesigen Bauern sind andre Kerle als jene armen Fischer dort im Norden; hier sind sie, hol' mich der Teufel, klüger als Bischof und Pfarrer zusammen – vom Vogt nicht zu reden – dem Aermsten!«

In der Gemeinde rief dieser erste Streit mit dem Prediger eine gewisse Erregung hervor. Da die Pfarre groß und gut war, wurde sie stets einem Geistlichen zuerteilt, der nach den mageren Jahren auf ein gemächliches, sorgenfreies Leben Anspruch erheben konnte. Es waren erfahrene, gestrenge Herren. Allgemein hieß es daher, dies Kirchspiel habe wenig Glück mit seinen Predigern.

Und dieser neue hatte nicht gut begonnen.

Jedes Kind – oder wenigstens jeder Erwachsene wußte, wie gefährlich es sei, ungesetzlich Holz zu hauen, wenn es erst zur Sprache gebracht wird, und wie viele für weniger als dies in Ungelegenheiten gekommen seien. Mußte nun nicht der Pfarrer, der so viel gelesen hatte und selbst alle Bücher besaß, noch besseren Bescheid darüber wissen? Und handelte er doch den klaren Worten des Gesetzes zuwider, so war es, weil er sich ein ebenso mächtiger Pfaffe dünkte wie der Propst Bosse in eigner Person.

Dann trat aber die Aussage des Pfarrers hinzu, er habe so nah am Pfarrhaus hauen lassen, damit es die Gemeinde bequemer habe – dies stimmte nicht, denn der alte Bosse war nicht dumm. Es war aber dumm, ihnen dergleichen einbilden zu wollen. Die Beamten konnten verschieden sein, einige waren schlimmer als die andern; aber niemand konnte einer Rede Glauben schenken, die keinen Sinn hatte. Sie vermochten sich deshalb nicht darüber zu einigen, was der Pfarrer gemeint habe, sie verstanden ihn nicht: daß aber etwas dahinterstecke, das begriffen sie sehr gut. Daher war es geraten, sich strikt an den Buchstaben des Gesetzes zu halten und sich nicht in Weitläufigkeiten einzulassen. Daß sich der Pfarrer für seine Person durch seine Handlungsweise Unannehmlichkeiten zuziehen könne, fiel ihnen nicht im entferntesten ein – ein Anwalt, der einen Pfarrer wegen ungesetzlichen Baumfällens unter Anklage stellte – das war ja zum Lachen.

Sie hatten aber oft das Gesetz blind und stumpf an Personen und Dingen vorübergleiten sehen, welche ihres Erachtens mitten im Wege lagen, um sich dann wieder mit seinen entsetzlichen Krallen anderswo anzuklammern, wo sie dazu gar keinen Anlaß erblickten.

Sie kannten sie recht gut – diese Juristen, welche gemeinsam ankamen und alle unter einer Decke steckten, mochten sie auch des Vormittags Komödie spielen mit Ankläger, Verteidiger und allerlei Kram. Thaten sie sich zusammen, dann konnten sie, was es auch sei, verschwinden machen und auch alles, was sie wollten, zwischen den Zeilen lesen oder es den Zeugen entlocken.

Nein – nein! Sicher war nur eins: mit keiner Fingerspitze irgend etwas zu berühren, worin sich etwas Ungesetzliches verbarg – und selbst dies Vorgehen konnte unter Umständen seine Gefahren haben.

Daher hegten sie alle die unerschütterliche Meinung, sie dürften um keinen Preis nachgeben. Sie kannten die Beamten und wußten, nichts sei weniger angebracht als eine derartige Handlungsweise.

Der Vogt sagte aber zum Pastor: »Eins möchte ich Sie aber bitten: geben Sie nicht nach! Merken jene erst eine Spur von Schwäche –«

»Seien Sie ruhig; ich werde keine Schwäche zeigen,« entgegnete der Pfarrer. Er kannte die Bauern und wußte, nichts sei verkehrter als dies.

Dieser unglückliche Anfang hatte das Verhältnis zwischen Prediger und Gemeinde bestimmt, obwohl der Zank allmählich im Sande verlief.

Der Prediger hatte sich selbst und jedem, der es hören wollte, gelobt, eher sollten die Balken verfaulen und das Gebäude von selbst zusammenstürzen, ehe er noch einmal nach Anweisung hauen ließe und sich ihrer bäurischen Starrköpfigkeit füge.

Und die Gemeinde gab sanftmütig zur Antwort, die beiden dazu ernannten Männer stünden zu Diensten, welchen Tag und welche Stunde es dem Herrn Prediger genehm sei – aber gegen das Gesetz handeln – nein, das wollten sie nie und nimmermehr.

Im übrigen gestaltete sich das Verhältnis äußerlich recht freundschaftlich. Die Bauern behandelten den Pfarrer und seine Familie mit ausgesuchter Höflichkeit – wie es die Sitte gebietet. Sie wußten jetzt, was in ihm wohnte; und sie waren froh, solange er nicht aus der Haut fuhr.


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