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Honolulu

Das Aquarium zu Honolulu gilt mit Recht als eins der Wunder dieser Welt. Dort gibt es Fische, so glänzend wie Juwelen, so seltsam umrissen wie die Gebilde japanischer Groteskenzeichner, bunt und farbenfroh wie Schmetterlinge und Kolibris. Dort lebt im Wasser all die gleißende Pracht, welche sonst nur das Luftreich bevölkert.

Ich bemühe mich, den Sinn dieser Gestaltung zu durchdringen. Biologisch handelt es sich insofern um kein Sonderproblem, als die Farben nicht wirklich extravagant sind; vielfach tragen sie zur Deckung bei. Die tiefblauen, samtglänzenden Fische mit den Vogelschnäbeln müssen in der Tiefe unsichtbar sein, gleichermaßen wohl die gelben; die bunten jedoch, die sich im kahlen Glasbehälter dem Auge fast schmerzhaft aufdrängen, verlieren gewiß, gegen den Hintergrund der Korallen betrachtet, ihren auffälligen Charakter. Sodann bewegen sie sich mit äußerstem Geschick. Als Hauptmerkwürdigkeit der Sammlung gilt ein mondförmiger, zweidimensional schwarzgelb gebänderter Fisch, dessen Rückenflosse sich zur Flagge verlängert. Diese ist so unverhältnismäßig lang, daß sich ihr Träger nur schwerfällig bewegen kann, denn der Wimpel wird zum Spiel jeder Strömung. Nun hält sich aber das schlaue Geschöpf grundsätzlich nur in Felstorwegen auf und bewegt sich darin auf solche Weise, daß das Farbenspiel seiner Schuppen dem Glitzern des Glimmers gleicht, und die Flagge als Cölenteratenfangarm wirkt, dem jeder Räuber behutsam ausweicht. – Soviel liegt auf der Hand. Allein das Problem der lebendigen Gestaltung ist mit dem Hinweis auf deren Zweckmäßigkeit nicht gelöst. Die Farben der hawaianischen Fische sind nicht von allen denkbaren die zweckmäßigsten – das aber müßten sie sein, wenn die Zweckmäßigkeit alles erklären sollte; sie bezeichnen durchaus keine Notwendigkeit, denn auch mit weniger Aufwand hätten Schutzfärbungen erzielt werden können; ja sicherer wäre ein geringerer vorteilhafter gewesen, denn alle die aufgeputzten Wesen, die sich an keinen festen Standort halten, die ihren Hintergrund häufig wechseln, sind in den Wassern des Pazifik kaum weniger sichtbar und gefährdet, als es der Hakengimpel in nordischer Schneelandschaft ist. Der Zweckmäßigkeitscharakter definiert nur die Grenze nach unten zu; das heißt, kein Organismus ist so ausgestattet, daß er nicht fortkommen und sich fortpflanzen könnte. Aber wenn das Leben mancher unter ihnen nicht leichter ist, als das des hilflos Ausgenutzten unter Menschen, sind andere wiederum unverhältnismäßig günstig gestellt. Ich kann mir die Farbenpracht der pazifischen Meeresfauna nur dahin deuten, daß die Natur nicht minder als der Mensch ihre Freude am Phantastischen hat. Indem ich diese Tiere auf mich einwirken lasse, ist mir, als spürte ich den gleichen Geist, der einen Gauguin und einen Robert Louis Stevenson beseelt hat. »Geist« ist ja in allem Lebendigen wirksam; bei den Pflanzen und Tieren besitzt er in der physischen Sphäre noch die Freiheit und Erfindungsgabe, die beim Menschen beinahe ganz auf die psychische beschränkt erscheint. So entstehen jene Wunderwerke der Organisation, gegenüber welchen der Menschenleib so unbefriedigend wirkt, so erklärt sich die vollkommene Angepaßtheit der Tiere an ihre Umgebung, ihre Wandlungsfähigkeit, ihr Regenerationsvermögen; diese Erscheinungen bedeuten in der physischen Sphäre eben das, wie Erfindungen und Kunstschöpfungen in der psychischen. Und wie der Mensch bald rein Praktisches schafft, bald wieder Praktisches, das gleichzeitig gefällt, und auch Gefälliges als Selbstzweck, oszilliert auch die Natur zwischen den Polen des Nützlichen und des Erfreulichen und versagt es sich nicht, wo die allgemeinen Verhältnisse dies gestatten, der Phantasie ein wenig die Zügel schießen zu lassen. Aber um wieviel sicherer sind ihre Instinkte! So phantastisch ihre Einfälle seien – nie setzt sie In-Sich-Unwahres, Lebensunfähiges, Sinnloses in die Welt, sie hat nichts Futuristisches; sie leidet auch nie an der Unart so vieler Künstler, es bei der Skizze bewenden zu lassen. Manche Fische erwecken wohl die Vorstellung, als verdankten sie mehr einer Laune des Augenblicks als einer wurzelhaften Idee ihren Ursprung, als seien es gleichsam Gelegenheitsgedichte; und das sind sie insofern wohl auch, als ihre sinnvolle Daseinsmöglichkeit an eine bestimmte Situation gebunden erscheint, wie der schwarzgelbe Flaggenfisch an enge Felsspalten. Aber als Ausdruck sind sie gleichwohl vollendet; nirgends hat die Ausführung versagt.

Wieder einmal führen meine Betrachtungen zu einem abfälligen Urteil über das Menschentum. Natürlich verkörpern wir reichere Möglichkeiten als die Tiere, aber wie wenige haben wir bis heute in Wirklichkeitswerte umgesetzt! Wir wirken als reine Barbaren den Fischen der Südsee gegenüber. Uns eignet die Gabe der Selbstbestimmung: wer nützt sie aus? Bei Benares sah ich einmal dem Heimtreiben einer Perlhuhnherde zu: der Hirt, einen Wedel in der Hand, fegte sie buchstäblich vor sich her, und genauer paßt sich kein Segel der wechselnden Windrichtung an, als seinen Kapricen diese hundertköpfige Vogelschar. Sind wir Menschen irgendwie anders? Insofern vielleicht, daß uns nicht jeder führen kann; steht kein Berufener an unserer Spitze, dann tun wir selbständig genug. Aber auch die Perlhühner hätten nicht so gute Ordnung gehalten, wenn kein Mensch, sondern ein Hund hinter ihnen her gewesen wäre. Sobald der richtige Mann die Führerschaft übernimmt, verzichten neunundneunzig unter Hundert begeistert auf ihre Autonomie ... Wie kläglich überschätzt sich der Mensch! Die Dichter glauben ein Monopol darauf zu besitzen, dem Sinn der Dinge Ausdruck zu verleihen: tatsächlich hat es vom Altertum an bis zum heutige Tage noch keine zehn gegeben, die einer beliebigen Rose hierin gleichgekommen wären. Wohl ließe sich in der Sphäre des Psychischen mehr erreichen, als in der schwerfälligeren, unbiegsameren Körperwelt, aber wird es erreicht? Nur zu selten.

Doch ich kehre noch einmal zur Frage der Zweckmäßigkeit zurück. Es ist lehrreich, unter den seltsamen Wesen, die dieses Aquarium bevölkern, einer Gestalt zu begegnen, die nicht naturgemäß wirkt. In einem der Glasbehälter sind japanische Zierfische untergebracht. Die sind ebenso herangezüchtet worden, wie gefüllte Nelken; es sind Produkte der menschlichen Phantasie. Lieblich genug schauen sie aus den schöngeschwungenen Vasen, in denen sie in Japan zur Schau gestellt werden, aber in eine weitere Umgebung passen sie nicht hinein. Ihre Schwänze taugen nicht mehr zum Steuern, sind zu kraftlosen Anhängseln ausgewachsen; ihre Augen sind müde und übergroß, wie die von Schoßhündchen; die allzu gerundeten Leiber können kaum mehr das Wasser zerteilen. Wie hilflos benehmen sich solche Wesen schon in einem Meer en miniature! Die können nur durch Kunst erhalten werden; sich selbst überlassen, stürbe ihr Geschlecht in wenigen Wochen aus. Diese Anschauung macht einem recht deutlich, was es mit dem Ideal der Naturgemäßheit für eine Bewandtnis hat. Freilich sollen wir nicht »zurück« zur Natur, denn sie selbst bleibt ja nimmer stehen; aber wir sollen nur in solcher Richtung vorwärts schreiten, die in keine Sackgasse ausläuft. Bei den Vorfahren der japanischen Zierfische war letzteres der Fall.

 


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