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Zürich 1843-1847

An Rudolf Leemann

Landsmann Kellers, Maler, mit dem der Dichter in München häufig zusammen war.

Zürich, den 16. September 1845.

Mein liebster Leemann!

Mit großer Überraschung und noch größerem Vergnügen erhielt ich Deinen Brief vom 2. Juli, und mein Erstes in der Beantwortung desselben sei die Versicherung, daß ich seit meinem Aufenthalt in der Schweiz vielleicht wöchentlich, ja täglich an Dich gedacht, und oft mit andern von Dir gesprochen habe. Dieses ist seit einiger Zeit um so angenehmer für mich geworden, als ich vernehme, daß Dir ebenfalls ein besserer Stern in- und auswendig aufgegangen ist. Möge es der Morgenstern sein, der einer schändlichen Regennacht freundlich zu Grabe leuchtet. Du bist in Deinem schwarzen Habit und mit Deinen schwarzen Haaren die dunkle Gestalt, an die sich meine meisten Erinnerungen an eine graue, kummervolle Zeit knüpfen, an eine Zeit, wo ich Jugend und Leben beinah für verloren hielt, und ich darf Dir jetzt schon sagen, daß ich damals, in meinem Zimmer an der Schützenstraße, manchmal trostlos auf meinem Bette herumgekugelt bin. Ich muß hier dankbarst den Witz und den Leichtsinn hochleben lassen, die uns durch diese greulichen Drangsale hindurchhalfen. Ein guter Witz geht immer für ein Stück Brot, und ein leichter Sinn ersetzt manchen Becher Wein.

Mich und meine Umsattlung anbetreffend, ist die Geschichte kürzlich folgende: Als ich vor nun bald drei Jahren in Zürich ankam, hoffte ich so viel Geld auftreiben zu können, als nötig sei, um wieder nach München zurückzukehren und meine Studien mit besserem Erfolge fortzusetzen. Aber alle Kräfte waren erschöpft. Ich vegetierte den Winter hindurch ziemlich langweilig und elend. Im Frühling 1843 wachte mein Schöpfungstrieb wieder auf; da ich aber im Malen keinen Trost und Erfolg empfand, verfiel ich unwillkürlich und unbewußt aufs Versmachen und entdeckte höchst verwundert, daß ich reimen könne! Ich machte Gedichte die schwere Menge und faßte den Entschluß, sie herauszugeben, damals nur, um eine Summe zu erschwingen, um nach München zu kehren, wohin alle meine Gedanken noch gerichtet waren. Es war aber dummes und schlechtes Zeug, das ich machte, das längst beiseite geworfen ist. Einzelnes davon verschaffte mir aber Aufmunterung, bis ich zuletzt eine Sammlung besserer Sachen beisammen hatte, welche ich kompetenten und einflußreichen Personen mitteilte. Sie wurde hin und her beguckt und geworfen; endlich hieß es, ich sei ein ›Dichter‹, und von da an kam ich in ausgezeichnete ehrenvolle Gesellschaft, und begann literarische Studien. Das Malen ist nun an den Nagel gehängt, wenigstens als Beruf. Was von mir gedruckt wurde, erschien nur als Beitrag in Zeitschriften und Taschenbüchern, und die Hauptexpedition, die Herausgabe eines Buches, wird erst nächsten Frühling stattfinden. Daneben habe ich dramatische und andere Spukereien die Menge im Kopf, und, falls es nicht ein Strohfeuer gewesen ist, eine schöne Zukunft. Diese wird auch teilweise von der Gestaltung der politischen Dinge abhängen, denn Du mußt wissen, daß ich ein erzradikaler Poet bin und Freud und Leid mit meiner Partei und meiner Zeit teile.

Wenn wir beide also nun anfangen, den äußersten Zipfel eines grünen Zweiges zu erhaschen, so muß ich Dir mit Wehmut melden, daß ein Dritter aus unserer Bekanntschaft beinahe im völligen Zugrundegehen begriffen ist. Müller, der Architekt von Frauenfeld, hat sein Vermögen in kurzer Zeit durch ungeschickte Praktik und Leichtsinn verloren, mußte alles verkaufen, trieb sich in Basel und nachher in Wien herum und ist nun in den elendesten Umständen. Ich kann nichts tun für ihn, obgleich ich es ihm schuldig wäre, denn ich habe zurzeit noch über kein oder nur sehr wenig Geld zu verfügen; Gott helfe ihm empor; denn er ist noch jung. Wenn das Luder nur selbst Hand anlegen wollte!...

Mit Irminger und Ruff bin ich oft am Abend zusammen. Wir lachen und reißen so schlechte Witze, daß sich die Stiefel unter den Tischen schämen. Ruff ist just auf meinem Zimmer, raucht aus einer schmählichen Hundepfeife, die er aus dem Freischarenfeldzug (d.h. als eidgenössischer Soldat) zurückgebracht hat, und läßt Dich grüßen. Ich muß plötzlich abbrechen.

Lebe wohl und schreibe bald wieder einmal!

Dein Keller.

An Johann Salomon Hegi

Zürich, den 28. September 1845.

Lieber Hegi!

Zur Beruhigung meines Gewissens kann ich Dir sagen, daß ich im Begriffe war, Dir zu schreiben, und daß Dein Brief dies nur um zwei oder drei Tage beschleunigt hat. Ein sauberes Imbegriffsein! wirst Du denken, wenn noch zwei oder drei Tage Beschleunigung möglich sind. Es ist nun einmal so, und eher wird der Nordpol zum Südpol werden, ehe ich von meiner Natur und Art ablassen kann; Gott helfe mir! Du willst also nach Paris? Ich wünsche Dir Glück und glaube wirklich auch, es wird sich finden, denn in solchen Situationen halte ich die kühneren Entschlüsse für die klügeren. Deine Mutter ist wirklich ein Muster von Noblesse und gibt der meinigen nichts nach. Gottes Segen komme über alle solche Mütter, wenn auch die Söhne nichts taugen!...

Mich betreffend bin ich immer noch im alten Wogen und Treiben und Vegetieren und mein einziges Trachten ist, meinen ersten Band Gedichte zusammenzubringen, was mit einem Schlage alle meine Verhältnisse ändern wird. Alles Bisherige war nur sicher vorbereitend und ich werde mit jedem Tage strenger und einsichtiger gegen mich selbst, um nichts zu übereilen; denn es ist heutzutage notwendig, wenn man sich über den Kot erheben will...

Lebe wohl und bleibe mir unwandelbar gewogen, wie ich auch Dich über Stock und Stein im Herzen zu tragen hoffe.

Dein
G. Keller.

An Luise Rieter

Verehrteste Fräulein Rieter!

Erschrecken Sie nicht, daß ich Ihnen einen Brief schreibe, und sogar einen Liebesbrief, verzeihen Sie mir die unordentliche und unanständige Form desselben, denn ich bin gegenwärtig in einer solchen Verwirrung, daß ich unmöglich einen wohlgesetzten Brief machen kann, und ich muß schreiben, wie ich ungefähr sprechen würde.

Ich bin noch gar nichts, und muß erst werden, was ich werden will, und bin dazu ein unansehnlicher armer Bursche: also habe ich keine Berechtigung, mein Herz einer so schönen und ausgezeichneten jungen Dame anzutragen, wie Sie sind. Aber wenn ich einst denken müßte, daß Sie mir doch ernstlich gut gewesen wären, und ich hätte nichts gesagt, so wäre das ein sehr großes Unglück für mich, und ich könnte es nicht wohl ertragen. Ich bin es also mir selbst schuldig, daß ich diesem Zustande ein Ende mache; denn denken Sie einmal, diese ganze Woche bin ich wegen Ihnen in den Wirtshäusern herumgestrichen, weil es mir angst und bang ist, wenn ich allein bin.

Wollen Sie so gütig sein und mir mit zwei Worten, ehe Sie verreisen, in einem Billett sagen, ob Sie mir gut sind oder nicht? Nur damit ich etwas weiß; aber um Gotteswillen bedenken Sie sich nicht etwa, ob Sie es vielleicht werden könnten! Nein, wenn Sie mich nicht schon entschieden lieben, so sprechen Sie nur ein ganz fröhliches Nein aus, und machen Sie sich herzlich lustig über mich! Denn Ihnen nehme ich nichts übel, und es ist keine Schande für mich, daß ich Sie liebe, wie ich es tue. Ich kann Ihnen schon sagen, ich bin sehr leidenschaftlich zu dieser Zeit und weiß gar nicht, woher alle das Zeug, das mir durch den Kopf geht, in mich hineinkommt. Sie sind das allererste Mädchen, dem ich meine Liebe erkläre, obgleich mir schon mehrere eingeleuchtet haben; und wenn Sie mir nicht so freundlich begegnet wären, so hätte ich mir vielleicht auch nichts zu sagen getraut. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antwort. Ich müßte mich sehr über mich selbst verwundern, wenn ich über Nacht zu einer so holdseligen Geliebten gelangen würde. Aber genieren Sie sich ja nicht, mir ein recht rundes, grobes Nein in den Briefeinwurf zu tun, wenn Sie nichts für mich sein können; denn ich will mir nachher schon aus der Patsche helfen. Es ist mir in diesem Augenblick schon etwas leichter geworden, da ich direkt an Sie schreibe, und ich weiß, daß Sie in einigen Stunden dieses Papier in Ihren lieben Händen halten. Ich möchte Ihnen so viel Gutes und Schönes sagen, daß ich jetzt gleich ein ganzes Buch schreiben könnte; aber freilich, wenn ich vor Ihren Augen stehe, so werde ich wieder der alte unbeholfene Narr sein, und ich werde Ihnen nichts zu sagen wissen.

Soeben fällt es mir ein, daß man mir vorwerfen könnte: ich hätte wegen einiger scherzhaften Beziehungen und mir erwiesener Freundlichkeit nicht gleich an ein solches Verhältnis zu denken gebraucht; aber ich habe lange genug nichts gesagt und einen traurigen und müßigen Sommer verlebt, und ich muß endlich wieder in mich selbst zurückkehren. Wenn mich eine Sache ergreift, so gebe ich ihr mich ganz und rücksichtslos hin, und ich bin kein Freund von den neumodischen Halbheiten.

Aber ich muß schließen. Nochmals bitte ich Sie, verehrtes Fräulein, sich nicht an der Verworrenheit dieses Briefes zu stoßen: es ist gewiß nicht Mangel an Dezenz oder Respekt, sondern nur mein Gemütszustand. Im glücklichen Falle werde ich dann schon einen vernünftigen und klaren Brief schreiben, denn ich bin eigentlich sonst ganz vernünftig. Wollen Sie also die Güte haben, ein Zettelchen mit zwei Worten in den Briefeinwurf zu tun und das so bald als möglich; denn, wie gesagt, ohne sich im mindesten zu bedenken, wenn Sie ungewiß zu sein glauben; das Zukünftige wird sich dann schon geben. Leben Sie wohl, und grüßen Sie die verehrte Frau Professor Orelli von mir, und halten Sie einem armen Poeten etwas zugut!

Ihr ergebener
Hottingen, im Oktober 1847.
Gottfried Keller.

An Frau Orelli-Breitinger

Hottingen, den 21. Oktober 1847.

Verehrteste Frau!

Am letzten Samstag mißbrauchte ich Ihre Güte, der Fräulein Luise Rieter einen Brief zukommen zu lassen, dessen Inhalt Ihnen vielleicht bekannt ist, da Fräulein Rieter Sie in ihrer Antwort ihre mütterliche Freundin nennt ...

Sie fragen mich wohl, wie ich denn dazu gekommen sei, jenen freien und maßlosen Brief zu schreiben? Da ich in Ihrem Hause mir die Tölpelei habe zuschulden kommen lassen, so erlauben Sie mir gewiß noch einige Worte darüber, obwohl diese Zeilen sich schon nur zu sehr angehäuft haben; Sie können ja, wenn Sie dieselben gütig aufnehmen wollen, dazu beitragen, daß ich die unselige Leidenschaft mit Besonnenheit vergesse und begrabe, und dies liegt wenigstens in einem äußern Interesse Ihrer jungen Freundin. Wenn man mich hingegen nicht hören will und ich das letzte Wort unbarmherzig verschlucken muß, so bin ich noch auf Wochen hinaus zerstört und elend, und überdies sind mir alle Kreise, die im entferntesten an den Ihrigen grenzen, sogar die Schulzische Wohnung, verschlossen. Ich hatte die Nacht schlaflos zugebracht und befand mich am Morgen sogar körperlich unwohl, das Herz war mir fortwährend wie zugeschnürt und der Kopf heiß. Auch der demütigste Mensch glaubt und hofft innerlich immer mehr, als er auszusprechen wagt, und ich bin keiner von den demütigsten, vielmehr habe ich manchmal einen recht sündlichen Hochmut in mir zu bändigen. Ich erging mich an jenem Morgen in den glühendsten Hoffnungen, ich spann einen Roman um den andern aus, und mitten in meinem Rausche erinnerte ich mich gehört zu haben, daß sie heute abreisen und ich sie also auf lange Zeit, vielleicht für immer, aus den Augen verlieren würde. Eine tiefe Angst kam über mich und so entstand der Brief, während meine Gedanken bei ihr waren, schrieb meine Hand die ungeschliffenen Worte. Ich habe lange schon vorausgesehen, daß es mir einst so gehen würde, darum habe ich mich bei den zwei andern Mädchen, die ich in meinem Leben schon liebte, so gesträubt, etwas zu sagen, und es war mein gesunder Takt. Indessen ist der Schlag, der mich aus meinem Himmel warf, nur wohltätig für mich. Eine Menge Eitelkeiten und Oberflächlichkeiten habe ich in diesen bittern Tagen abgelegt und die Erschütterung hat mich aus einem heillosen Schlendrian herausgerissen. Es liegt etwas so unerklärlich Heiliges und Seliges in der Liebe, sie macht so nobel und lauter, daß in demjenigen, der fruchtlos und unglücklich liebt, etwas Unwahres und Unrechtes sein muß, sei es was es wolle, und dieses in mir aufzufinden, ist jetzt eine Beschäftigung für mich, die mich zugleich hebt und beunruhigt. Sie sehen, verehrte Frau, daß ich die Sache schon ziemlich objektiv ansehen kann und ich müßte lügen, wenn ich nicht sagte, daß ich mich bereits auf der Besserung befinde. Im schönen Mai erschien mir Luise Rieter, im Herbst entschwand sie mir für immer und ich kann wohl in jeder Beziehung und ohne alle Ausnahme sagen, daß es trotz allem Leid der schönste Sommer und der lieblichste Traum meines Lebens gewesen ist und ich hoffe, denselben recht lang in ruhiger Seele festzuhalten; aber es wäre kindisch und unvernünftig von mir, im voraus zu behaupten, daß er sich niemals verwischen werde.

Genehmigen Sie, hochverehrte Frau! wenn Sie meine vertrauensvollen Worte nicht mit Ungeduld gelesen haben, die Versicherung meiner innigsten Dankbarkeit, in jedem Falle aber meiner tiefsten und wahrsten Ehrerbietung.

Ihr ergebenster
Gottf. K.


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