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Jenes Begräbnis des armen Selbstmörders riß mich empor zu schaudernder Selbstbesinnung. Kleinmut und Zweifel warf ich von mir. Wiederaufnahme meiner fast vollendeten Hochschulstudien und – Hingabe meiner tiefsten Seele an die keiner Partei dienende, reine und ewige Kunst, im Geiste meines Volkes, das war die Losung und der Schwur, womit ich den Rückweg von diesem Trauergange antrat.

Noch hatte ich einen ungefähr zweijährigen Kampf um dieses Ziel zu bestehen, denn noch waren drei Semester des Hochschulstudiums zu absolvieren. Ein Urlaub mit Bezug meines kleinen Gehaltes zur Ausarbeitung der schriftlichen Hausarbeiten und zur Vorbereitung auf die schriftliche Klausur und mündliche staatliche Lehramtsprüfung war gänzlich ausgeschlossen. Ich durfte diesen Plan nicht einmal vorzeitig verlautbaren, denn hunderte armer Teufel hätten Gott gedankt für meine karge Stelle, und die Direktion hätte einen für ihr Bereich Müßigen mit Recht sofort an die Luft gesetzt. Nachdem ich meine Inskription an der Wiener Alma mater erneuert, wendete ich mich um hilfreichen Rat an meinen vormaligen Lehrer, den Aesthetiker und Philosophen Hofrat Dr. Robert Zimmermann, der durch seinen Geist wie durch seine Herzensgüte mich in meinem Vorhaben aufs freudigste ermunterte und unterstützte. Auch der berühmte Geograph, Professor Dr. Simony kam mir in herzlichster Weise entgegen, sowie der Germanist Professor Dr. Karl Tomaschek. Sie wußten, daß ich nur ein frühes Morgenkollegium und ein spätes Abendkollegium besuchen konnte und im übrigen auf mein persönliches Nachtstudium angewiesen war, wenn meine Kräfte das überwinden konnten.

Als nun aber die drei Semester vollendet waren und ich mich um die schriftlichen Hausarbeiten (aus Geschichte, Geographie und Aesthetik) bewarb, entstand neuerdings die Frage, wie ich, auf einige Wochen zumindest, die nötige Freiheit vom Amte erlangen könnte.

Da rettete mich mein Freund Alois Fallenbichel. Ich litt zufällig an einem hartnäckigen Katarrh, dessen Heilung in kaltfeuchter Jahreszeit unbedingt Schonung und kurzes Fernbleiben vom Amte erforderte. Ein Entschluß mußte rasch gefaßt werden. Eine Entdeckung meiner Absicht, nicht meiner Genesung, sondern meiner Prüfungsarbeit eine längere Zeit zu widmen, wäre bei dem ausgebildeten Spioniersystem der Anstalt, die ihre Untergebenen mißtrauisch und rücksichtslos behandelte, die unmittelbare Ursache meiner sofortigen Entlassung geworden. Ich vertraute daher Fallenbichel meine Absicht und meine Sorge an. Er war ein ebenso kluger als bereitwilliger Helfer. Einen Bundesgenossen fand ich auch in einer seiner Schwächen. Er liebte über alles »ein feines Zigarrl«. Da ich häufig in befreundeten Kreisen geladen war und viel öfter gute Zigarren erhielt, als ich sie selbst rauchte, so gewährte es mir großes Vergnügen, ihn mit solchem Rauchwerk häufig zu beschenken. Das gewann mir sein ganzes Herz. Ab und zu pflegte er mich auch um kleine Münzen anzupumpen, wobei es drollig war, daß er oftmals zur Erzielung neuer kleiner Pumpe eine originelle Abrundungsarithmetik anwendete. Wenn er beispielsweise mir achtzig Kreuzer schuldete, griff er in die Tasche, als wollte er zahlen, sagte dann aber plötzlich: »Achtzig Kreuzer bin ich dir schuldig – gib mir schnell noch zwanzig, dann ist's gerad ein Gulden.« Da ich diese ganz kleinen Gefälligkeiten gerne leistete und niemals an sein Gedächtnis appellierte, war ich seiner blinden Ergebenheit sicher.

In dem kurzen Zeiträume von drei Wochen gelang es mir, die drei Arbeiten zu bewältigen. Fallenbichel gebrauchte die List, sich als »Lockspitzel« im Amte anzubieten, als welcher er mich häufig und unerwartet besuchen wolle, ob ich auch wirklich leidend zu Hause sei. Er wußte seine mißtrauischen anfänglichen Bemerkungen so geschickt in wachsende Bedenken über meinen Zustand und mein wenig Gutes versprechendes Aussehen zu verwandeln, daß ich vor jedem anderen »Besuche« gesichert war und täglich meine Arbeiten in der k. k. Hofbibliothek emsig betreiben konnte. Längst waren dieselben approbiert und ich wieder im alten Joche, als endlich die unabweisbare Notwendigkeit an mich herantrat, zur Bewältigung der Vorbereitung auf die abschließenden Prüfungen mir mindestens ein halbes Jahr freie Zeit von jeder Amtspflicht zu verschaffen. Wie sollte ich aber leben ohne Gehalt, da ich ohne irgendwelche andere Hilfe war und meine guten Eltern, gänzlich verarmt, jetzt selbst der Hilfe bedurften?

In dieser schweren Zeit, da der innere Kummer auch deutlich auf meiner Stirne geschrieben stand, trat eines Tages ein Wesen, das ich jahrelang nicht mehr gesehen hatte, meine Base Josefine Gläser, die Tochter meines Vaterbruders, auf mich zu und sagte schlicht und herzlich: »Ich glaube zu wissen, daß du unglücklich bist und deine Studien vollenden möchtest. Darf ich dir, solange du es nötig hast, monatlich hundert Gulden anbieten? Nimm sie an und vollende deine Prüfungen. Solltest du – es wäre ja möglich – durchfallen, so wird kein Mensch erfahren, daß ich dir dieses Anerbieten gemacht habe.«

Dankbar ergriff ich diese rettende Hand und ich darf wohl sagen, daß von diesem Tage an mir der Weg zum ersehnten Ziele einer würdigen Lebensstellung eröffnet war. Fröhlich steuerte ich darauf los, ermuntert von meinen Lehrern, freundlichst, jedoch ohne Gehalt auf neun Monate beurlaubt von meiner Direktion und neugeboren in meinem Herzen durch die Empfindung, jetzt ein freier, der Bildung und Wissenschaft hingegebener Mensch zu sein. Josefine wurde die Retterin meines Lebens und meiner Kunst. – Und bis zum Tage, wo ich dies niederschreibe, ist sie in Leid und Freude mein Schutzgeist geblieben.

Die Prüfung ging glücklich vorüber. Ich kehrte pünktlich nochmals in das alte Joch zurück, nicht wissend, wohin ich mich wenden würde. Ich war damals an einer Entzündlichkeit der Augen infolge der ihnen zugemuteten Anstrengungen erkrankt, aber bereits wieder arbeitsfähig, als eines Tages ein junger Freund von der Hochschule (der spätere Lemberger Universitätsprofessor und Literarhistoriker Hofrat Dr. Werner) in meine Stube trat und mir die frohe Botschaft brachte, der berühmte Hochschulprofessor Hofrat von Hartel wolle mir, wenn ich noch keine Stelle in Aussicht hätte, Empfehlung und Weisung erteilen. Werner begleitete mich zum Hörsaal, aus dem der Bezeichnete liebenswürdig auf mich zutrat und nach kurzer Frage mir seine Karte einhändigte, die mich an den Landesausschuß Dr. Lustkandl als Kandidaten für die freigewordene Stelle eines Supplenten an der Landes-Oberrealschule (nachmals dem Obergymnasium) der Stadt St.-Pölten in Niederösterreich wärmstens empfahl.

Es ist aber nicht der Zweck dieser Erinnerungen, den bescheidenen Lauf meines bürgerlich gesicherten, beruflich stillen Daseins in der Sphäre eines Professors an der Mittelschule einer Kleinstadt in der Nähe Wiens zu verfolgen, wo mir jetzt die persönliche Freiheit und die freudige Tätigkeit des Jugendbildners zuteil ward; ein Leben, wie es Tausende führen, die von der Schulbank auf dafür vorherbestimmt sich fühlen, deren Denken und Streben, reich an Mühen und Sorgen, streng im Pflichtbewußtsein, reicher oft noch im Entsagen, nur im Bannkreis der Schule dahinfließt.

Diese Blätter sollen mir vielmehr Tage und Jahre in Erinnerung rufen, welche für mein Dasein noch viel höhere Bedeutung gewannen, weil sie mich, wenn auch unter harten Kämpfen mit der Ungunst der Zeit und der Menschen, meiner eigentlichen Herzensgöttin, der dichterischen Kunst, immer wärmer, immer freudiger in die Arme führten. Und da muß ich noch einmal zurückgreifen in meine Wiener Leidenszeit, um den Werdegang meines poetischen Seelenlebens in seinen ersten Offenbarungen mir zurückzurufen.

Die jungen Männer von heute, die mir da bis zu dieser Stunde häufig und oft bis zur Zudringlichkeit ihre ersten poetischen Versuche ins Haus schicken, sind ein ganz anderer Schlag von Menschen, als ich mir seinerzeit einen wahrhaften Kunstjünger vorstellte. Sie sind so ganz und gar von ihrer Berufung, ja oft von ihrer Auserwähltheit eingenommen, daß ich mir längst abgewöhnt habe, ein Urteil auszusprechen.

Halbe Kinder schreiben Romane, Novellen, Tragödien. Es fällt ihnen nicht ein, zu warten, bis sie das zu Schildernde aus der Erfahrung ordentlich kennen gelernt haben. Wenn solch ein Junge Freude oder Leid empfindet und es reimt, so glaubt er, nun ist er ein Dichter. Das Zeitungslesen verwirrt und erhitzt ihm den Kopf. Statt in die Kunst gerät er in die Streberei. Wer die Kunst aber als etwas Hohes und Heiliges erachtet, gleichsam als etwas Prophetisches, der wird sich nur nach strenger und werktätiger Prüfung in ihren Dienst begeben. Leute von der Feder, die sich mit Vergnügen bemerklich machen wollen, schließlich die Feder als nicht zu verachtendes Handwerkszeug, ja selbst als einträgliches Erwerbsinstrument betrachten, endlich nicht zuletzt als literarische Klapper zum Ostertag der eigenen, wohlvorbereiteten Auferstehung; solche Leute, sie mögen die einflußreichsten Plätze in der Literaturwelt erobert haben – sind keine Dichter von Gottes Gnaden. Sie beherrschen, solange sie an der Arbeit sind, die blinde Tagesmeinung, den Markt, die Mode, das Geschäft; – aber sie sind tot, sobald sie die Feder aus den Händen legen, den Kontorstuhl der herrschenden Firma verlassen, denn ihr Werk ist ein Mechanismus, dem die ewige Seele fehlt.

Wehe dem Kunstjünger, der diese Marktschreier mit den berechtigten, wahren Führern der Kunst verwechseln würde!

Ebensogut wie heute gab es auch damals angemaßte und selbstbewußte Scheingrößen. Die wahren geistigen Führer, stolz auf sich selbst zurückgezogen, wie Grillparzer, vom Lebenskampf erschöpft oder krank, wie Otto Ludwig, von der Dummheit der Öffentlichkeit nicht begriffen, von der Gemeinheit der Gegner mit Unflat beschmutzt, von den Witzblättern in den Kot gezogen, wie der große, heute die ganze Welt beherrschende Richard Wagner – solche Führer waren nur in weniger Menschen Geist lebendig. –

Wien, das liebe, oberflächlich lustige, börsenspielvergiftete, seiner alten Schlichtheit beraubte, von keinem eigenen, ursprünglichen Ideal belebte, von Tag zu Tag weiterduselnde Wien, tanzte beim Maskenspiel und sang in allen Gassen Offenbachs:

»Ich bin der Pascha von Rhododendron,
Bin ein Lichtentaler Hausherrnsohn!«

Ich darf wohl sagen: das Herzweh und die Empörung gegen diese ideallose, für mich trostlose Welt hat mich zum Dichter gezwungen.

Hatte ich bisher alle Eingebungen glücklicher Augenblicke mutlos von mir gewiesen, alle flüchtigen Pläne im Joche des Alltags vergessen, mich selbst im Hochmut der Verzweiflung grausam verleugnet, so brach jetzt – nach der Vergiftung meines Amtskollegen, wie ich bereits angedeutet – plötzlich und allgewaltig die Macht der Poesie aus mir hervor.

Auf den Bänken des Volksgartens, besonders unter der alten Platane, nahe dem Theseustempel, überfiel mich förmlich das Fieber der Konzeption meiner »Sulamith«. Es überfiel mich so plötzlich, daß von einer Planskizze des Stückes, einer vorhergesehenen Gliederung der Handlung bei dieser Schnellgeburt meiner Phantasie anfangs gar keine Rede war. Um nicht die überschwengliche Stimmung wieder, wie so oft, zu verlieren, hielt ich das Allerlebendigste fest, das mir auf meinen einsamen Wandelgängen blitzschnell aufleuchtete. Und dieses Lebendigste, das ich fliegend und abgerissen niederschrieb, war die Verzweiflung und der Todessprung der Sulamith. Mit Staunen erkannte ich, als ich es wieder las, daß ich da das Fragment, ja den Abschluß einer Tragödie in Händen hatte, einen fünften Akt, wenn ich so sagen darf, der halbausgesprochen, dunkel angedeutet, die Elemente seiner noch ungeschriebenen Vorläufer vollständig in sich enthielt. Als ich kurz darauf, ganz gegen meine sonstige und bis heute noch festgehaltene Gewohnheit, das Fragment einem befreundeten Landsmann mitteilte und dieser ohne mein Wissen dasselbe dem Germanisten der Hochschule, Professor Dr. Tomaschek mitteilte, der es lobte, aber dazu die Bemerkung machte, ein dramatisch Veranlagter hätte nicht bloß ein Finale, sondern etwas Ganzes, ab ovo erschaffen müssen, da erwachte in mir das fröhliche Gefühl meiner Kraft und ich vollendete, streng nach dem Gesetze der Entwicklung der Charaktere und der jetzt in Hellem Lichte mir aufgehenden Handlung, tapfer von rückwärts nach vorwärts arbeitend, den 4., den 3., den 2. und endlich den 1. Akt. Welch ein Gefühl der Freude, als mein Schmerzenskind nun vollendet vor mir lag! – Aber wie viele Berge gab es da noch zu übersteigen! In wessen Hand sollte ich es legen? Wo den Direktor finden, der sich Zeit nahm, das Stück zu lesen, der bereit war, es auf die Bühne zu bringen?

Laube stand damals zwar nicht mehr im Zenit seiner Macht; er war im Burgtheater durch Dingelstedt ersetzt, auf dem Umwege über Leipzig wieder nach Wien gekommen und hatte die Leitung einer neugegründeten Bühne, des auf seine Anregung hin entstandenen Wiener Stadttheaters übernommen. Es sollte eine Trutzanstalt gegenüber dem Burgtheater werden. An Laubes Arbeitskraft hat es nicht gefehlt. Aber das Haus krankte im vorhinein an seiner materiellen Gründung. Die Aktionäre hatten sich ganze Sitzreihen frei vorbehalten. Mit der Kasse stand es bedenklich; das Haus war belastet, und die Künstler, unter welchen sich allererste Talente hervortaten, konnten in ihrer Gesamtheit die damals noch ungebrochene Phalanx der Größen des Burgtheaters nicht in den Schatten stellen, so geschickt auch Laube die große Presse für sein Haus zu interessieren wußte. So kam das Jahr des großen Börsenkrachs heran, der vollends alles erschütterte und Laube zwang, die schlüpfrigste Mache der Pariserbühnen und die in Berlin emporgekommene, neue, streberische Mittelmäßigkeit in seinen Spielplan vorwiegend einzustellen. Alles zusammen keine Ermunterung für den alten Bühnenleiter, das eben schüchtern eingereichte Schauspiel eines von niemand gekannten, von keiner Seite befürworteten Romantikers auch nur zu lesen, geschweige denn einer praktischen Beachtung zu würdigen.

Aber darin unterschied sich der Alte von seinen Gegnern wie ganz besonders von seinen Nachfolgern, daß er – bei all der schweren Not der Zeit – trotz aufgezwungener Zugeständnisse an den Tag, sein dramaturgisches Gewissen unverdrossen sich bewahrte, und Neuheiten gegenüber, die nicht der Schablone anzugehören schienen, niemals fragte: wer steht hinter dem Werke und dem Autor? sondern: ist es gut oder schlecht gemacht?

Und so kam es, daß nach allerdings langem Zögern, langem Zweifeln und nicht geringen Bedenken wegen der Kosten der Ausstattung des orientalisch kolorierten Stückes, er mir die Annahme zusagte, allerdings mit dem Beding, daß ich noch recht viel Geduld haben müßte, bis eine Aufführung zu ermöglichen sei.

Ein junger Schauspieler, Alexander Rosen, dem Laube besonderes Vertrauen schenkte (er mußte die Stimme des Publikums bei jeder Erstvorstellung im Theater erlauschen und den Alten informieren) vermittelte die Botenberichte des damals oft sehr übelgelaunten Bühnenlenkers an mich.

Während ich so zwischen Furcht und Hoffnung schwebte, schien plötzlich das ärgste Unheil eingetreten zu sein. Die Finanznot und Laubes Zank mit den Hauptaktionären veranlaßte den alten Herrn auf ja und nein von der Leitung des Stadttheaters zurückzutreten. Rosen brachte mir die Hiobspost. Ein Brief Laubes teilte mir mit, daß er die Tragödie mit einer eigenhändig geschriebenen Empfehlung und Einleitung der Buchhandlung Rosner zum Drucke übergeben habe.

So erschien 1875 mein Erstlingswerk als Buch.

Im Oktober dieses Jahres trat meine Berufung ins Lehramt ein, ich schied von Wien nach St.-Pölten.

Neue Pflichten, ein neuer Lebenskreis, frische Luft, kleinstädtische Behaglichkeit, eine freie Natur, drollige, mitunter urwüchsige Gesellschaft, vor allem sehr viel Arbeit umgab mich.

Menschenbeobachtung, mit Seele, Aug und Stift, gab mir in kurzer Zeit die verlorene Heiterkeit.

Mein Anstaltsdirektor, Wilhelm Henke, ein gewissenhafter, herzensguter, höchst feinsinniger Mann, der mir in jeder Weise den Uebergang vom Phantasten zum vorschriftumgürteten, inspektionsbedrohten Schulmann aufs liebevollste erleichterte, behandelte mich wie ein Freund und Vater.

Meine Kollegen waren berufseifrige, friedfertige Gesellen – wenn sie nicht am grünen Tisch saßen, in der Konferenz, wo der Ehrgeiz des Fachmännischen und die Pünktlichkeit des Pädagogischen zu meinem Erstaunen oft die sanftesten Lämmer in Tiger und Leoparden gegeneinander verwandelte, wenn es sich um die richtige Erklärung einer etwas dunklen höheren Vorschrift handelte.

Mit Freude sah ich mich hier in einen ernsten, verantwortlichen Pflichtenkreis gestellt, unter Genossen, die nur in die Welt gesetzt zu sein schienen, um bis zum Jüngsten Tage Schulmeister zu bleiben. Das gefiel mir, wenn ich auch nicht geneigt war, jede Formalität für einen Zuwachs meiner Menschenwürde zu halten. Dadurch lernten wir uns gegenseitig bald kennen und ich durfte mir, weil man mich verstand, und durchaus eine gemütliche Harmonie herrschte, manches freie und heitere Wort erlauben. Man forderte mich des öfteren auf, den einen oder den anderen unserer Kollegen zu zeichnen in seiner charakteristischen Eigentümlichkeit. So entstanden mit Feder und Pinsel zahlreiche Bildchen, die mir alle abgenommen wurden und zum Teile die Heiterkeit befreundeter Kreise erweckten. Unser Kollege Kalchhauser, ein urwüchsiger, wohlbeleibter, seelensguter Mann, Religionsprofessor, der mich wohl leiden mochte, aber die Geduld verlor, wenn ich ihn »du Linienschiff der Gerechtigkeit« nannte, pflegte, wenn ihm die notwendigen schlagenden Argumente fehlten, stets mit den Worten zu schließen: »Du bist a Narr!«

So lebte ich denn unter seltsamen Originalen, bei regelmäßiger Arbeit, an meiner Weiterbildung nicht untätig, viel in der freien Natur, bald auch, obwohl widerstrebend, in die geselligen Kleinstadtzirkel gezogen. Als ich aber nun gar im Fasching den Ball des bürgerlichen Kasinos besuchte, wo mein Kollege Lindenthal (von mir genannt der blonde Pepi) sich als galanter Löwe im Reigen schwang und jeder Tänzerin ins Ohr flüsterte: »Ach, wie Sie heute wieder reizend sind!« – Da wagte ich mich auch unter das tanzlustige Volk und – lernte ein siebzehnjähriges, dunkeläugiges Fräulein kennen, das Kind eines hochgeachteten Hauses, welches anderthalb Jahre später meine liebe Frau geworden ist.


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