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Vorzeiten, ehe noch die Feenbrut
Satyrn und Nymphen trieb aus Waldeshut,
Eh König Oberon mit Krongeschmeide
Und Szepter und betautem Blütenkleide
Die Faune und Dryaden ganz vertrieb,
Daß ihnen nicht ein Binsensaal mehr blieb,
Kein Dornendickicht und kein lichter Hain,
Kein Wiesengrund mit gelben Blümelein,
Floh Hermes, neu entbrannt, den goldnen Thron
Und stahl sich fort um süßer Liebe Lohn.
Den Wolken Jupiters nahm er das Licht
Zur Erdenseite fort, damit ihn nicht
Sein hoher Mahner auf der Flucht entdecke,
Und flog dann hin zu dunkler Waldesstrecke
Auf Kretas Inselufer, denn hier war
Ein Nymphlein, dem die ganze Satyrschar
Ergeben kniete; sehnende Tritonen
Versuchten ihre Schönheit zu belohnen
Mit Perlen, die sie ihr zu Füßen legten.
Ganz nah den Quellenbächen, grün umhegten,
Die Bad ihr gaben, und auf jenen Matten,
Die oft schon ihren Schritt getragen hatten,
War manche reiche Gabe ausgestreut,
Den Musen fremd – doch Phantasie gebeut,
Aus ihrem reichen Born nur auszuwählen.
Ach, so viel Liebe läßt sich garnicht zählen!
So dachte Hermes, und ein himmlisch Glühn
Durchflog von den beschwingten Sohlen ihn
Bis aufwärts zu den Ohren – sonst so weiß
Wie klare Lilien, jetzt wie Rosen heiß,
Um die sich dicht die goldnen Locken ballten,
Und ringelnd tief auf nackte Schultern wallten.
Er flog von Tal zu Tal, von Wald zu Wald
Und gönnte keinen Atemzug sich Halt,
Kaum daß die Blumen sein Erglühen fühlten.
An Flüssen hin, die ihre Ufer kühlten,
Flog er, der Nymphe Lager zu erspähn:
Doch nirgends konnte er die Süße sehn.
So hielt er an verlassner Stelle Rast,
Gedankenvoll, von Eifersucht erfaßt
Auf jeden Waldgott, ja auf jeden Baum.
Da hört er eine Stimme wie aus Traum;
So sanfte Stimme, die wohl mildem Herzen
All Leiden fortnimmt, bis auf Mitleidschmerzen.
»Wann werd ich diesem Ringelgrab entsteigen,
Wann mich in süßem Leib dem Leben zeigen,
Der Liebe und der Lust und rotem Streit
Von Herz und Mund? O Arme ich in Leid!«
Der taubenfüßige Gott glitt schweigend fort
Um Busch und Baum, sacht streifte hier und dort
Sein Fuß das Gras und voll erblühte Kraut,
Bis er im Dickicht eine Schlange schaut,
Die, kreisgerollt, wie Glanz im Düster bebt,
Gordischer Knoten, blendend und belebt.
Zinnober, golden, grün und blau gefleckt,
Mit Kreisen wie ein Leopard bedeckt,
Mit Zebrastreifen und mit Pfauenaugen
Und Silbermonden, die beim Atemsaugen
Zerflossen oder strahlender erglänzten,
Mit sanftem Schein den buntern Schmuck umkränzten.
So regenbogenstrahlend lag sie dort,
Wie schmachverflucht durch Zorn und Zauberwort,
Nein, selber schien ein Dämon sie zu sein.
Ihr Haupt umgab ein bleicher Feuerschein,
Von Sternglanz hell, Ariadnes Tiara gleich,
Ihr Haupt war Schlange, doch – wie wunderreich
Und bitter süß! – sie hatte Weibesmund
Mit schimmerschönem vollem Perlenrund.
Und ihre Augen! Konnten solche Augen
Zu andrem als zu heißem Weinen taugen,
Weil sie, so schön, für solchen Leib bestimmt?
Klagt doch Proserpina noch heut ergrimmt
Um ihr Sizilien und um seine Pracht.
Ihr Hals war Schlangenhals, doch lind und sacht
Wie Honig flossen ihre Worte hin,
Und Liebessehnen schenkte ihnen Sinn.
Und Hermes lag, die Schwingen vorgeneigt,
Dem Falken gleich, wenn sich die Beute zeigt.
»O schöner Hermes, holder Himmelsglanz,
Umragt, bekrönt von lichtem Schwingenkranz,
Ich träumte diese letzte Nacht von dir:
Auf goldnem Throne sah ich dich vor mir,
Hoch im Olymp, im frohen Götterkreise.
Nur du warst traurig, taub der sanften Weise
Des Lautenspiels der Musen, taub sogar
Apollos Sang, so süß und weh er war.
Mir träumt', ich sah dich funkenübersprüht
Durch Wolken brechen, hell wie Morgen glüht,
Und dann verliebt wie Phöbus' Pfeil so schnell
Nach Kreta eilen – und du bist zur Stell!
Zu sanfter Hermes, fandest du die Maid?«
Da gab der Stern der Lethe so Bescheid:
»Du Schlange mit dem süßen Frauenmund,
Himmlischer Weisheit bist du sicher kund!
Du prächtiger Kranz mit schwermutvollem Blick,
Dein sei das allerseligste Geschick,
Nur sage mir, wo meine Nymphe ruht,
Wohin sie floh?« »O Gott, du redest gut,«
Die Schlange sprach, »doch gib des Schwures Siegel!«
»Ich schwöre,« sagte Hermes, »bei dem Spiegel,
Der deine Augen sind, bei deinem Glanz,
Bei meinem Stab und seinem Schlangenkranz!«
Die ernsten Worte flohn ihm leicht vom Munde
Und glitten sanft in blütenbunte Runde.
Und wieder drauf das schöne Weib und Tier:
»Zu schwach dein Herz! Denn höre nun von mir:
Die Nymphe gleitet unsichtbar wie Luft
Hier durch die Wildnis, frei wie zarter Duft
Genießt sie ungesehen ihre Tage,
Kaum daß ihr flüchtiger Fuß das Gras im Hage
Und zarte Blumen streift. Von schweren Zweigen,
Gebognen Ranken, die sich lastvoll neigen,
Pflückt sie ganz ungesehn die süße Frucht,
Sie badet ungesehn in Bach und Bucht,
Und meine Macht ist's, die die Schöne hütet,
Daß dreiste Gier umsonst in Blicken wütet,
Und Faune und triefäugiger Silen
Umsonst zu ihr in tiefen Seufzern flehn.
Bleich wurde die Unsterbliche vor Leid,
Um aller dieser Wilden Dreistigkeit;
Da gab ich ihr aus Mitgefühl den Rat,
Ihr Haar zu tauchen in ein Zauberbad,
Dann könne sie in Freiheit ungesehn
Und unbehelligt rings durchs Grüne gehn.
Du sollst sie schauen, Hermes, du allein,
Willst du, dem Schwur getreu, mir dankbar sein.«
Da schwur der Gott, verzückt, noch einen Eid.
Die Schlange fühlte tiefe Seligkeit,
Als warm und bebend seine Worte klangen,
So voll von Glut und Liebe und Verlangen.
Sie hob ihr Kirke-Haupt beglückt empor
Und hauchte selig nah dem Gott ins Ohr:
»Ich war ein Weib, – laß mich noch einmal haben
Die Weibgestalt und Weibes Reiz und Gaben.
Ich liebe einen Jüngling aus Korinth,
Mach mich zum Weib und führ mich schnell wie Wind
Hin wo er weilt – nun, Hermes, beug dich nieder,
Ich hauche – und du siehst die Nymphe wieder.«
Er schloß die Schwingen halb und neigte sich,
Und über seiner Brauen Bogenstrich
Ging leis ihr Atem, und sogleich erschien
Die Nymphe beiden sichtbar nah im Grün.
Es war kein Traum – doch sagt so, wenn ihr wollt;
Der Götter Traum ist Wirklichkeit, und hold
Entrollt wie ewiger Traum ihr ewiges Leben.
Ein Augenblick gab Glühen und Erbeben:
Der Nymphe Schönheit warf den Gott fast nieder;
Nun trat er hin ins Grün und blickte wieder
Zur bleichen Schlange her und regte sacht
Den Arm und übte seines Zaubers Macht.
Dann schickte er den Blick zur Nymphe hin,
Verehrung stand in Tränenschrift darin,
Und schritt zu ihr. Wie Mond erbleicht und sinkt,
Wenn hell im Ost der neue Morgen blinkt,
Verging sie vor dem Gott, versteckte sich
Und schluchzte auf und seufzte bitterlich.
Wie Blume war sie, die sich fest verschließt,
Wenn Abend seine kühlen Schatten gießt.
Doch sanft nahm er die kalt erschreckte Hand,
Bis still an seiner Glut ihr Zagen schwand;
Da hob sie ihrer Augenlider Flor,
Und wie die Blüte in den Tag hervor,
Wenn Morgen seinen Bienenschwarm ergießt,
Den süßen honigvollen Kelch erschließt,
So bot sie selig ihren Honig dar.
In grünste Waldestiefen floh das Paar
Und schien nicht irdisch Liebenden zu gleichen,
Die, krank in Sehnsucht, welken und erbleichen.
Allein gelassen fing die Schlange an
Sich zu verwandeln; durch den Körper rann
Ihr Blut wie toll, und Schaum troff ihr vom Mund
Und machte Gras und Kräuter welk und wund;
Die Augen starrten schwer in Angst und Qual
Und glänzten auf wie überhitzter Stahl
Und gluteten in grellem Phosphorschein,
Und keine Träne kühlte ihre Pein.
Die Farben ihres Leibes schossen Flammen
Und krampften sich in Purpurschmerz zusammen;
Und tiefes sattes Gelb verwischte ganz
Der anmutvollen Silbermonde Glanz;
Wie Lava eine bunte Wiese leckt,
So war ihr Kleid von Düster überdeckt,
Die Streifen, Flecke, Monde, Sterne blichen,
Und schon nach wenig Augenblicken wichen
Die blauen, grünen, amethystnen Ringe;
Und all die silber-roten Schmetterlinge,
Die sie geziert, verblichen Stück für Stück,
Nichts blieb als Schmerz und Häßlichkeit zurück.
Noch glomm die Krone, doch auch sie entglitt,
Und da verschwand sie selber plötzlich mit.
Und durch die Lüfte läutete ihr Wort:
»O Lycius, lieber Lycius!« Schwebte fort
Mit hellen Nebeln, die um Höhen flogen –
Sie war aus Kretas Wäldern fortgezogen.
Wohin floh Lamia, eine Schönheit nun,
Wo wird ihr lichter Weibesleib jetzt ruhn?
Sie floh in jenes Tal, das der betritt,
Der von Kenchreas' Ufern lenkt den Schritt
Hin nach Korinth, und hielt erst rastend an,
Als sie das wilde Hügelland gewann,
Wo Bäche sich durch rauhe Schluchten drücken,
Und jenen andern Grat mit zackigem Rücken,
Den Nebeldunst und Wolkenwulst bedeckt
Und der südwest sich bis Kleone streckt.
Sie stand, wie junges Vöglein flattert, schön,
Auf grünem Hang der moosbewachsnen Höhn
Vor eines klaren Bächleins Spiegel da,
Entzückt, daß sie ihr Bildnis also sah,
Entronnen jener schreckensvollen Zeit.
Narzissen küßten sanft ihr Mädchenkleid.
Glück, Lycius, dir! denn schöner war wohl nie
Ein Zöpfe flechtend Mädchen, ach, als sie,
Ein schämig Mädchen, das mit Seufzern bang
Durch blumige Wiesen schritt beim Vogelsang.
O Jungfrau, der, so schuldlos auch ihr Mund,
Doch alle tiefste Liebesweisheit kund,
Nicht eine Stunde alt, doch voll Verstehen,
Daß Lust und Leiden nah zusammengehen,
Und klug, die zarten Grenzen zu erkennen
Und eins vom andern immer wohl zu trennen,
Als habe dich Kupido selbst belehrt,
Wie man mit List und Schlichen sich bewehrt –
Und du, die lieblich lässige Schülerin,
Du hieltst voll Sehnsucht alles wohl im Sinn!
Weshalb das schöne Wesen es erwählt
Am Weg zu warten, sei euch bald erzählt;
Erst aber sei gesagt, wie sie versonnen
So manchen wundersamen Traum gesponnen,
Als sie in Schlangenleib gefangen war.
Ihr Geist war frei und sah und hörte klar,
Was sie nur hören oder sehen wollte:
Wie dort, wo grüne Wogenlocke rollte,
Die Nereide über Perlenstiegen
Hinglitt, in Thetis' Schattensaal zu liegen,
Wie Bacchus, seligen Becher in der Hand,
Traumfreudig unter harziger Pinie stand,
Und wie die Gärten Plutos Schönheit tragen,
Wo Mulcibers metallne Säulen ragen.
Und in die Städte glitt ihr Träumen auch,
Um mitzutun bei frohem Festesbrauch.
Und so, als einst ihr Traum bei Menschen weilte,
Da sah sie Lycius, der vorübereilte
Auf schwankem Wagen und zum Ziele jagte.
Wie junger Jupiter, so blühend ragte
Der Jüngling mit geruhigem Angesicht –
Da traf die Liebe sie mit Erzgewicht.
Nun wußte sie, daß heut, wenn Dämmrung kam,
Er diesen Weg vom Strande heimwärts nahm,
Hin nach Korinth, denn Ostwind blies daher.
Und eben jetzt schob sich sein Schifflein schwer
Mit erznem Schnabel an der Mauer fort,
Um in Kenchreas wohlgeschütztem Port
Zu ankern; von Äginas Inselland,
Wo hoch für Jupiter ein Tempel stand,
Kam Lycius nun zurück, vom Gott erhört,
Der, was er wünschte, gnädig ihm gewährt.
Denn irgend eine Laune fügt' es so,
Daß er die Nähe der Gefährten floh,
Ermüdet wohl von zu geschwätzigem Wort,
Und einsam ging er gen Korinth hin fort.
Gedankenlos zunächst, doch als zur Nacht
Am Himmelsdom der Abendstern erwacht,
Verstieg sein Träumen sich zu fernen Matten
Im sanften Dämmerlicht platonischer Schatten.
Ihn konnte Lamia näher, näher sehen,
In trübem Gleichmut dicht vorübergehen –
Sein sanfter Schritt durchfegte Moos und Grün –
Er sah sie nicht, sah nicht ihr Auge sprühn;
Er ging vorbei, geheimnisvolles Bild,
Sein Geist gleich ihm in Mantel eingehüllt.
Sie wandte fürstlich weiß den Hals ihm nach,
Bis sie »o hehrer Lycius!« bittend sprach,
»Du läßt mich auf dem Hügel hier allein?
O blicke Mitleid mir ins Herz hinein!«
Er tats, verwundert nicht und nicht voll Weh,
Er sah wie Orpheus auf Eurydice;
So süß die Worte, die sie liebend sang,
Ihm war, er liebte sie schon sommerlang.
Sein Auge trank die Schönheit auf voll Glück,
Ließ keinen Tropfen in dem Kelch zurück,
Doch blieb verwirrend voll der Kelch – indessen
Er bang, die schuldige Ehrung zu vergessen,
Bevor sie schwände, Anbetung begann.
Scheu sah ihr Blick ihn ganz in ihrem Bann.
»Allein dich lassen! Göttin, sieh mich hier,
Wie könnt' mein Aug sich wenden je von dir!
Aus Mitleid trüge nicht dies trübe Herz –
O bleib! Entschwebst du, brichts in Todesschmerz.
Ob du Najade auch aus fernen Flüssen,
Dir werden sie auch fern gehorchen müssen!
O bleib! Und wären grünste Wälder dein,
Den Regen trinken können sie allein!
Und wenn Plejaden deine Schwestern wären,
Wird ihrer keine leiten deine Sphären?
An deinerstatt harmonisch silbern scheinen?
Dein süßer Gruß, er kam so süß zu meinen
Entzückten Ohren, – schwändest du mir nun,
Das Deingedenken ließe nie mich ruhn,
Zu einem Schatten bliche ich dahin –
Aus Mitleid, steh!« – »Und hätte ich im Sinn,«
Sprach Lamia, »länger hier im Lehm zu stehn,
Mit wundem Schritt durch Stachelkraut zu gehn,
Was tätest du, das soviel Reize hätte,
Daß ich darum vergäß die Heimatstätte?
Soll ich mit dir durch Tal und Höhen streifen,
Wo Tod und Trauer ist, vorüberschweifen?
Lycius, du bist gelehrt, und weißt du nicht,
Daß eure Erdenluft zu schwer und dicht
Für zartre Seelen ist? – Ach, armer Knabe,
Welch reinere Luft bringst du als Schmeichelgabe
Verführend dar? Welch lichtere Paläste,
Für alle meine Sinne Freudenfeste,
Da hundert Wünsche dann erfüllt sich sehen?
Es kann nicht sein – lebwohl!« – Und hoch auf Zehen
Reckt sie sich auf, die Arme weit gebreitet;
Er, krank vor Ängsten, daß sie ihm entgleitet,
Sank hin in Ohnmacht, bleich in Liebesschmerz.
Sie zeigte für sein Weh kein liebend Herz,
Doch ihre Augen, die so strahlen konnten,
Noch strahlender an seinem Bild sich sonnten,
Ihr neuer Mund an seinen Lippen hing,
Das Leben, das in ihrem Netz sich fing,
Ihm neu zurückzugeben; doch erwacht,
Umfing ihn wiederum nur Angst und Nacht.
Da hub sie, die in Glück und Liebe so
Und Glanz und Schönheit überirdisch froh,
Ein Liebeslied zu singen an, so süß,
Daß jeder Stern sein flimmernd Atmen ließ
Und selig lauschte ihrem Himmelssang.
Dann wieder sprach sie Flüsterwort so bang
Und innig, wie nur die einander sagen,
Die sich allein nach vielen Trennungstagen
Beisammensehn und mehr denn Blicke geben;
Sie bat ihn sacht, das liebe Haupt zu heben,
Den Zweifel abzutun: sie sei ein Weib,
Und Blut durchpulse ihren Menschenleib,
Ihr schwaches Herz sei ganz dem seinen gleich,
An Liebesseligkeit und -Schmerzen reich.
Dann sprach sie ihr Verwundern aus, daß er
Sie nie gesehen in Korinth bisher,
Wo, sagte sie, ihr Leben heiter fließe,
So schön, als es mit Gold sich leben ließe;
Zwar ohne Liebe, doch in stillem Frieden,
Bis ihn zu sehn ihr eines Tags beschieden,
Beim Venustempel im Vorübergehn;
Da sah sie ihn an einer Säule stehn,
Tief in Gedanken; rings im Kreise standen
Viel Körbe voll von Blumen und Guirlanden,
Wars doch der Abend vor Adonis' Fest.
O wie sie da die Augen zugepreßt,
Sein Bild zu halten, und wie Tränen kamen
Und ihres Herzens süßen Frieden nahmen.
Und Lycius wachte auf, und staunend sah
Die Wundersame er noch immer nah
Und hörte ihren herzlich lieben Sang.
Da wich Bestürzung, und Entzücken rang
Sich ihm durchs Herz, als er ihr Wort vernahm,
Das so aus tiefster Weibesliebe kam.
Und jedes ihrer Worte lockte sacht,
Bis er zu vollstem Glücksgefühl erwacht.
Ja, mögen Dichter noch so gerne singen,
Daß Feen nur und Peris Freude bringen, –
Sie alle, die in Grotte, See und Fluß
Sich bergen, schenken niemals den Genuß,
Wie echtes Weib, dem alle Ahnen kamen
Aus Pyrrhas Kieseln oder Adams Samen.
Auch Lamia hatte listig jetzt erkannt,
Daß Lycius ihr, in Ehrfurcht festgebannt,
Nicht Liebe schenken könne; also ließ
Die Göttin sie beiseite und verhieß
Ihm größre Lust, indem sie Mensch sich nannte
Und ihn allein durch Mädchenschönheit bannte,
Die, wo sie niederwirft, auch Hoffnung spendet,
Daß alle Sehnsucht in Erfüllung endet.
Beredte Antwort gab ihr Lycius dann,
Der jedes Wort mit Seufzern heiß umspann;
Und nach Korinth hinzeigend fragte er,
Ob ihrem zarten Fuß der Weg zu schwer.
Wie kurz war der, da Lamias Zauber wachte,
Der Schritte nur aus langen Meilen machte.
Doch Lycius merkte dieses Wunder nicht:
Blind machte ihn ihr strahlend Angesicht.
Durchs Stadttor schritten sie so sacht und leis –
Er ging wie einer, der von Traum nur weiß.
Und wie des Träumers wirres Wortetasten,
So murmelte Korinth mit all dem Hasten
Belebter Straßen, rühriger Paläste,
Durchwogter Tempel und verruchter Feste:
Wie Sturmwind nähersummt aus weiten Fernen,
So sprach Korinth hinauf zu Nacht und Sternen.
Denn Mann und Weib und Arm und Reich belebte,
Sobald der kühle Abend niederschwebte,
Die weißen Straßen, und erst jetzt erwachte
Die Plauderlust; und aus dem Dunkel sachte
Glomm Licht um Licht und warf bewegte Schatten,
Die seltsam tanzten über Marmorplatten,
In Tempelwinkel sich zusammenduckten
Und geisterhaft um Säulenschäfte zuckten.
Er barg das Antlitz tief in Mantelfalten,
Um ungesehn zu sein; und doch, wie krallten
Sich seine Finger fest um ihre Hand,
Als unerwartet Einer nahe stand
Und näher schlürfte über den Granit,
Den seine Tracht als Philosoph verriet:
Mit scharfen Augen, grauem Lockenbart,
Das mächtige Greisenhaupt fast unbehaart.
Lycius verbarg sich tiefer, als er kam;
Es war, als ob ihm Angst den Atem nahm;
Und Lamia bebte; flüsternd fragte er:
»Geliebte, sag, was schauderst du so sehr?
Weshalb schmilzt deine Hand in Furcht dahin?«
Und Lamia sagte: »Weil ich müde bin.
Doch sage mir, wer ist der alte Mann,
Auf den ich mich nicht recht besinnen kann?
Weshalb verbargst du dich, als er uns sah?«
»'s ist Apolonius,« sagte Lycius da,
»Mein weiser Lehrer; heute Nacht doch scheint
Er wie ein Geist, der reines Glück verneint.«
Noch sprach er so, da kamen beide vor
Gedeckter Säulenhalle hohes Tor,
Wo einer Silberampel Phosphorschein
Auf Stufen schwamm von reinstem Marmorstein
Wie mild ein Stern im Wasser; denn die Farbe
Des Steines war so ohne Fleck und Narbe,
Und wie durch Wasser rannen dunkle Adern
Durch den krystallnen Schliff der Marmorquadern:
Für Götterfuß gefügt! Aus Angeln klangen
Äolische Töne, als die Flügel sprangen
Und Raum enthüllten, den noch keiner fand –
Auf Zeitlang diesen beiden nur bekannt
Und einer fremden persischen Dienerschar:
Man sah sie auf den Märkten jenes Jahr;
Wo wohnten sie? Die Neugier ward betrogen,
Die ihren Spuren heimlich nachgezogen.
Der fledermausbeschwingte Vers allein
Muß – selbst im spätern Leid – wahrhaftig sein,
Wenngleich es manchem Herz wohl mehr gefiel,
Man ließ die rohe Welt hier aus dem Spiel.
Asche und Staub ist – Liebe, o vergib –
In karger Siedlerhütte alle Lieb',
Im Schlosse mag sie wohl noch schwerer lasten –
Qualvoller noch als Eremitenfasten.
Dies ist ein Stückchen aus dem Märchenland,
Unfaßbar für gewöhnlichen Verstand.
Hätt Lycius selbst erzählt, was er erlebt,
Stirnrunzelnd hätte die Moral gebebt;
Zu kurz doch war ihr Glück, um Niedertracht
Zu brüten, die die Stimme zischen macht;
Auch rauschte schreckhaft nachts mit Feuerflügel
Die Liebe wachend um der Türe Riegel,
Voll Eifersucht auf so vollkommnes Paar,
Das mehr als alle ihrer würdig war.
Dies alles mußte enden. Seit' an Seit'
Auf liebem Lager um die Abendzeit,
Dem Vorhang nah, der luftig leicht gewebt
Von goldner Schnur herab ins Zimmer schwebt
Und halb geöffnet Sommerhimmelpracht
Zwischen zwei Säulen leuchtend sichtbar macht –
So ruhten sie, wie oft, in Glück und Hoffen,
Die Lider zu – doch schmalen Spalt noch offen,
Durch den die Liebe, immerwährend nah,
Bis in den Traum hinein den andern sah:
Da tönt vom Wall der Vorstadt plötzlich schrill
Trompetenschall – die Schwalben schweigen still –
Lycius fährt auf – die Klänge sind verrauscht.
Doch tönt es in ihm fort – er sinnt und lauscht:
Zum erstenmal, seit er im Schlosse thront,
Wo süße Sünde Tag und Nacht ihn lohnt,
Entfloh sein Geist, den keine Grenze hält,
Hinweg in fast vergeßne laute Welt.
Doch sie, die immer sorgend wachsam war,
Sah dies mit Schmerz; sie ahnte die Gefahr,
Daß eine Macht, der ihren überlegen,
Ihn rufe – fort aus ihren Lustgehegen.
Und sie begann zu seufzen und zu klagen.
Sie wußte, leicht ist Liebe zu verjagen,
Ist oft so kurz wie einer Glocke Schlag.
»Was seufzest du?« sprach er, der bei ihr lag.
»Was grübelst du?« gab zärtlich sie zurück;
»Du nahmst mich fort aus meinem stillen Glück –
Wo bin ich nun? In deinem Herzen nicht,
Da Trauer deine Braue düster flicht.
Nein, nein! Du bist mir fern, und ich entgleite
Von deiner Brust in heimatlose Weite.«
Er beugte sich zu ihren Augen nieder,
Sie spiegelten sein Bild getreulich wider:
»Mein Silberstern von Abend und von Morgen,
Was brütest du so kummervolle Sorgen,
Da ich um dich versuche, meinem Herzen
Aus tiefrer Glut zu wecken tiefre Schmerzen,
Um deine Seele enger noch zu binden,
Mit innigerer Fessel zu umwinden
Und sie in Labyrinthe einzuspinnen
Wie Duft in Rosenknospe – ohn' Entrinnen!
Ah, küsse mich! – Du siehst, dein Leid hat Macht.
Doch du willst wissen, was ich jetzt gedacht?
So höre! Welcher Mann tat solchen Fang,
Der andre neidisch machte, wirr und bang,
Und führte nicht mit Stolz die edle Beute
Zuweilen triumphierend vor die Leute?
Wie würde der Triumph mich doch beglücken,
Mit deiner jungen Schönheit mich zu schmücken
Und Freunde jubeln, Feinde fluchen lassen,
Wenn durch Korinths durchlärmte heisere Gassen
Dein Brautgefährt die blinken Speichen dreht.« –
Wie wird ihr Antlitz bleich, als sie versteht!
Sie bebt, erhebt sich, wankt und sinkt ins Knie
Und sagt kein Wort – doch ach, wie weinte sie!
Bis ihre Angst dann endlich Sprache fand
Und sie beschwörend preßte seine Hand,
Ihn umzustimmen; doch nur mehr und mehr
Verstärkt ihr scheues Bangen sein Begehr.
Und überdies – trotz Liebe – fand sein Herz
Ein seltsam Wohlgefühl an ihrem Schmerz,
An dieses Weibes demutvollem Bild;
Und seine Leidenschaft ward heiß und wild,
Blutdürstig fast – soweit dies ihm gegeben,
Dem Wut und Raserei noch fern im Leben.
Wie schön war sein verhaltnes Zürnen, gleich
Apollos Glut, bevor sein nerviger Streich
Die Schlange schlug. – Die Schlange! Ah, sie war
Nicht Schlange mehr – nein, aller Listen bar
Gab sie in Demut nach, den Tag zu wählen,
Sich dem Geliebten bräutlich zu vermählen.
In Mittnachtstille flüstert er ihr zu:
»Welch süßen Namen, sage, führest du?
Ich frug noch nie, denn meinem Herzen ist,
Als ob du nicht von irdischen Eltern bist,
Nein, Himmelstochter! Sag, wie nennt man dich?
Hast du auf Erden Eltern, Freunde – sprich,
Zu teilen unser hochzeitliches Fest?« –
»Nicht einen Freund,« sagt Lamia da gepreßt;
»Korinth, das große, weiß von mir wohl kaum.
Der Eltern Staub füllt nur noch kleinsten Raum
In dunkler Urne, und kein Opferrauch
Verehrt den Ort nach liebevollem Brauch,
Da ihr Geschlecht verstorben bis auf mich,
Und ich vergaß die heilige Pflicht – um dich.
So bitte
deine Freunde denn zu Gast –
Doch wenn du irgend Liebe für mich hast,
So halt den alten Apollonius fern,
Vor seinen Blicken hüte meinen Stern.«
Lycius, von solchem kühnen Wort betroffen,
Frug nach dem Grund; vergebens doch sein Hoffen,
Sie täuschte Schlummer vor, bis bald die Schatten
Des Schlafs ihn selber eingefangen hatten.
Die Sitte forderte, daß man die Braut,
Wenn sanfte Abendröte niederschaut,
Mit prächtigem Wagen ihrem Heim entführte;
Und viel Gepränge solchem Zug gebührte,
Wie Fackellicht und Liedes Süßigkeit –
Dies fremde Weib doch hatte kein Geleit.
So harrte sie, indessen Lycius eilte,
Den Kreis zu sammeln, der die Freude teilte.
Und da sie wußte, daß wohl nimmermehr
Sein töricht Herz entsagte dem Begehr,
Die Hochzeit laut und pomphaft zu begehen,
So wollte denn auch sie das Fest versehen
Mit allem, was ihr zu Gebote stand.
Doch was für Kräfte sie dazu verwandt,
Woher sie kamen, die ihr Hilfe brachten
Und Tagesarbeit in Minuten machten –
Das weiß man nicht. Es war, als rauschten Schwingen
Durch Tor und Hallen, alles zu vollbringen.
Der Festsaal schimmerte in lichter Pracht,
Und Festmusik durchtönte lind und sacht
Das weite Haus mit seltnem Weh und Klagen,
Als habe sie das Zauberdach zu tragen
Und fürchte, alles könne plötzlich schwinden.
Und stolze Zedern, die von Laubgewinden
Viel Schnitzwerk trugen, stellten Feigenbaum
Und Palme dar und reihten durch den Raum
Sich aneinander bis zu jener Stelle,
Wo hoch der Brautsitz stand in Strahlenhelle;
Denn reihenweis durchfloß ein breiter Strom
Von Lampenlicht des Saals gewaltigen Dom.
So überwölbt lag reich ein wartend Mahl
Und schickte dampfend Düfte in den Saal;
Und Lamia schritt in fürstlichem Gewand –
Und wie sie schweigend ging und stille stand
In blasser Ruh, die ihre Unruh deckte,
Trieb sie die Geisterschar, die wohl versteckte,
Zu immer neuem Überschwange an,
Bis jeden Winkel Pracht und Prunk umspann.
Die Wände waren breite Marmorplatten,
Die Jaspistäfelung zum Schmucke hatten,
Und hingemaltes zartes Baumgerank
Stand zwischen breiten Zedern licht und schlank.
Sie sah zufrieden hin; dann glitt sie fort,
Entschwebte und verschloß den Feierort,
Der fertig und bereit zum wilden Feste
Der ihr so unwillkommnen lauten Gäste.
Die Stunde kam. O unbedachter Mann,
Was zogst du diesen rohen Schwarm heran!
Was mußtest du dein süß verschwiegnes Fest,
Der Liebestunden warm gebettet Nest,
Der andachtlosen Neugier so entdecken!
Die Menge nahte, und mit Hälserecken
Bestaunten sie das Tor und traten näher.
O Wunder, Wunder hier für jeden Späher!
Von Kind auf hatten sie den Ort gekannt,
Auf dem jetzt plötzlich solche Pforte stand
Zu stattlich hohem, fürstlich stolzem Haus.
Da eilte Neugier jedem Schritt voraus
Und trieb sie an und machte alle kühn.
Nur einer war, der ernst und düster schien
Und würdig und gedankenvoll sich nahte.
Ihm war, als ob er ein Problem errate,
Als löse sich ein Rätsel, das schon sehr
Den Geist ihm fesselte, nun mehr und mehr
Und schwinde hin und werde sonnenklar –
Wie listig klug doch Apollonius war!
Im Vorraum bei den Gästen traf er bald
Den jungen Schüler. »Lycius,« sprach er kalt,
»Verzeih, daß in dem Schwarm der jüngern Gäste
Ich ungebeten nahe deinem Feste,
Und dennoch muß ich dieses Unrecht tun.«
Lycius ward rot vor Scham und führte nun
Den Alten durch weitoffne innre Pforten.
Er war verwirrt und suchte sehr nach Worten,
Um mit geziemender Ergebenheit
Zu mildern des Gelehrten Dreistigkeit.
Der Festsaal war von reichem Prunk erfüllt,
In grellen Glanz und schweren Duft gehüllt;
Vor jedem Lager licht ein Becken stand,
Myrrhen und Würzholz füllten's bis zum Rand,
Von schlank geschweiftem Dreifuß hochgehalten
Hob jedes sich aus weichen Teppichfalten:
Aus fünfzig Räucherbecken wob ein Flor
Von fünfzig Rauchgewinden sacht empor,
Und rings in Spiegelwänden sah man Reigen
Von Zwillingswölkchen mit zum Dache steigen.
Zwölf hohe runde Tische hoben sich
Auf Leopardentatzen wunderlich
Und trugen schwer, wie Erntefeld an Korn,
Das Goldgerät und Frucht aus Ceres' Horn,
Ein Strom von Wein stand dort zum Trunk bereit,
Aus düstrer Tonne jetzt ans Licht befreit.
Und jeden Tisches Gold und Mahl und Wein
Schloß mitten eines Gottes Bildnis ein.
Nachdem ein jeder Gast den Schwamm gefühlt,
Mit dem ihm Sklaven Hand und Fuß gekühlt,
Und jedes Haupt nach feierlicher Art
Mit duftigen Ölen übergossen ward,
Betraten sie in weißem Kleid den Saal
Und legten sich zum auserlesnen Mahl
Aufs seidne Lager, und mit leisem Raunen
Gab Ausdruck man dem übermäßigen Staunen.
Sanft goß Musik die lieblichleisen Wellen,
Sanft war der Griechensprache klangvoll Schwellen,
Solang der Wein noch nicht in Strömen rauschte
Und man befangen Frag' und Antwort lauschte.
Doch als der frohe Saft das Hirn erwärmte,
Ward kühner man und jubelte und lärmte
Zum mächtigeren Freudeschall der Töne.
Die prächtigen Stoffe, Farben – all das Schöne:
Des hochgespannten Saales stolzer Raum,
Die edlen Sklaven – Lamia schön wie Traum –
Dies alles schien nicht mehr so wunderbar,
Nun man vom süßen Weine trunken war;
Denn nicht zu schön und nicht zu göttlich dünkt
Dem das Elysium, der begeistert trinkt.
Bald steht Gott Bacchus leuchtend im Zenith,
Und jede Wange, jedes Auge glüht.
Man brachte Kränze von jedwedem Grün,
Drein jeder süße Duft geflochten schien
Beraubter Täler, Höhn und sanfter Hänge.
Aus breiten Körben quoll die bunte Menge,
Um goldne Henkel selbst hing grüne Last,
Daß nach Geschmack sich kröne jeder Gast,
Das Haupt bekränze mit erwähltem Grün,
Das seinem Wesen anzustehen schien.
Für Lamia welchen Kranz? Für Lycius dann?
Und welcher steht dem Apollonius an?
Des Weibes wehe Stirne sei umschlungen
Von schlankem Weidenzweig und Natterzungen,
Und für den Jüngling soll die Rebe sein,
Daß seiner Augen allzuwacher Schein
Hintauche in Vergessen; und des Alten
Gehässige Stirn soll Speergras scharf umfalten
Und kriegerische Distel stechend drücken;
Denn flieht nicht aller Zauber vor den Tücken
Nüchterner Denkungsart? Da war einmal
Ein Regenbogen hehr am Himmelssaal:
Jetzt kennt man sein Gewebe, seinen Bau,
Die Wissenschaft erklärte ihn genau
Und rubrizierte ihn wie andre Dinge.
Philosophie wirft ihre kecke Schlinge
Um Engelsschwingen und um Zauberpracht
In Luft und Bergesschoß und Meeresnacht,
Zerreißt die Wunder, wie sie auch erzwang
Der zarten Lamia Not und Untergang.
Wie ragend sie bei ihrem Lycius saß,
Der alles andre tief verzückt vergaß,
Bis er gewaltsam sich dem Traum entwand,
Den Becher nahm, der perlend vor ihm stand,
Und weit den heißen Blick hinüberschickte –
Ob nicht sein alter Lehrer freundlich blickte.
Der Philosoph und Kahlkopf aber starrte
Zur schönen Braut, die regungslos verharrte.
Mit Brauenrunzeln blickte er sie an,
Zwang ihren süßen Stolz in seinen Bann.
Lycius nahm ihre Hand und hielt sie fest.
Die lag so bleich aufs Lager hingepreßt
Und war so kalt, daß es sein eigen Blut
Durchschauerte, – dann wieder so voll Glut,
Daß heiße Woge ihm zum Herzen schoß,
Darein sie Angst und tiefes Grauen goß.
»Lamia, was soll das? Sag, was ficht dich an?
O gib mir Antwort: Kennst du jenen Mann?«
Arm Lamia sagte nichts. Er spähte tief
Ins Auge ihr, ob nicht ein Blick ihn rief.
Doch nichts verriet ein Grüßen und Erkennen –
Umsonst sein Blick, sein sehnendes Entbrennen!
»Lamia!« so schrie er auf. Doch sie blieb stumm,
Und stumm ward auch die Gästeschar ringsum.
Das Jauchzen der Musik verstummte ganz,
Und Myrthe welkte in jedwedem Kranz,
Und Stimme, Flöte und Vergnügen schwand,
Bis Totenstille schwer im Saale stand;
Gespenstisch schien sie, wild und wahrnehmbar
Und setzte Schrecken jedem Mann ins Haar.
»Lamia!« so kreischte er, und nur sein Ruf
Im toten Schweigen sich ein Echo schuf.
»Hinweg, du Traum!« so schrie er angstvoll laut
Und spähte neu ins Antlitz seiner Braut,
Wo keine blaue Ader mehr belebte
Die edle Schläfe, und kein Rot erbebte
Auf zarter Wange; keine Leidenschaft
Verlieh dem fernen Blick Gefühl und Kraft:
Und nicht mehr schön und jung und liebereich
Saß Lamia da – erstarrt und totenbleich.
»Schließ, schließ die Augen, unbarmherziger Mann!
Blick fort, du Unhold! Sonst soll dich der Bann
Der Götter treffen, deren Zorn entsiegelt
Sich schattenhaft in diesen Bildern spiegelt;
Dein Auge soll ihr scharfer Zorn durchstechen,
Den frechen Blick in Schmerz und Blindheit brechen,
Daß du in Zittern und in ewigem Bangen
In Reue und Gewissensnot gefangen
Vor ihnen fliehst, die du so schwer verletzt,
Da du dich frevelnd über sie gesetzt.
Korinther! Seht ihr den graubärtigen Wicht
Und die Besessenheit, die aus ihm spricht
Und seine wimperlosen Lider weitet
Und wie ein Dämon seine Blicke reitet?
Korinther, seht, wie meiner süßen Braut
So namenlos vor seinen Blicken graut!«
»Narr!« sagte der Sophist in leisem Ton.
Die Stimme bebte in zufriednem Hohn. –
Von Lycius nur ein banger Seufzer kam,
Der seinen letzten Lebensatem nahm.
Er stürzte nieder mit gebrochnem Herzen,
An seiner Seite kämpften Lamias Schmerzen.
»Narr, Narr!« rief jener, während seine Augen
Noch immer reglos an den ihren saugen,
»Vor allem Übel schützt' ich dich bis heute –
Und ließe einer Schlange dich zur Beute?«
Da atmet Lamia Tod; der Blick des Weisen
Durchbohrte grausam sie wie scharfes Eisen.
Sie bat ihn, still zu sein, so gut die Hand
Noch schwach die Bitte kundzutun verstand.
Umsonst; er blickte, blickte wieder –: nein!
Und nochmals: »Einer Schlange!« – Gelles Schrei'n –
Und sie verschwand, und niemand sah sie mehr.
Und Lycius' Arm war von Entzücken leer,
Leer wie sein Leib von Leben. Stumm und kühl
Lag vor den Freunden er auf hohem Pfühl,
Sein Puls stand still, es ging kein Atemzug –
Tot war der Leib, der Hochzeitskleider trug.