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Viertes Kapitel.
Das Leben der Indianer in den Missionen.

Die Jesuiten haben alles mögliche aufgeboten, damit nicht bekannt werde, wie sie ihre Niederlassungen regierten. Sie hielten diese den Fremden verschlossen, und die Beamten und königlichen Inspektoren, denen sie den Zutritt erlaubten, waren Freunde, von denen feststand, daß sie die Vorgänge und Verhältnisse in den Missionen so ansehen würden, wie sie nach dem Wunsche der Jesuiten angesehen werden sollten. Indes ist doch genügendes Material zur Kennzeichnung des Jesuitenstaats vorhanden. Wir haben die Beschreibungen, welche die Missionare Charlevoix und Funes von den Niederlassungen der Jesuiten gegeben haben, ferner die lobenden Berichte der königlichen Beamten, welche die Missionen zu untersuchen hatten, und endlich die Tatsachen, welche Azara sammelte, der kurz nach der Vertreibung der Jesuiten ihre Niederlassungen besuchen konnte. Genügt das alles auch nicht, um das Leben der Indianer in den Missionen in all seinen Einzelheiten kennenlernen zu lassen, so genügt es doch, eine allgemeine Vorstellung von der inneren Organisation der theokratischen Republik zu geben, die nach den Lehren des Evangeliums gegründet wurde, welche die Gesellschaft Jesu, ohne auf eine hinderliche Aufsicht und auf Widerstand zu stoßen, in die Praxis umzusetzen vermochte. Man darf wohl behaupten, daß sich niemals eine bessere Gelegenheit dargeboten hat, das Ideal des Christentums zu verwirklichen.

Das Menschenmaterial, welches die ehrwürdigen Väter formen sollten, entstammte einer jungen, körperlich und moralisch gesunden Rasse, die, naiv und lenksam, noch nicht korrumpiert worden war durch die Laster der Zivilisation und durch die egoistischen und antisozialen Leidenschaften, welche das Privateigentum und die monogamische Familie erzeugen; in gleicher Weise war sie noch unberührt von den Vorurteilen, welche sich in den alten Gesellschaftsorganisationen im Laufe der Zeiten angesammelt haben. Und die Missionare, welche in diesen jungfräulichen Gegenden die Missionen gründeten, zeigten eine außergewöhnliche, bewunderungswürdige Klugheit, Selbstverleugnung und Geschicklichkeit, die Menschen zu leiten. Man kann nicht genug die jesuitischen Väter bewundern, welche ohne Familie, ohne persönlichen Ehrgeiz ihr Leben oder wenigstens ihre besten Jahre wie in einer Wüste inmitten der Indianer verbrachten, mit denen sie aus bestimmten, wohlerwogenen Gründen absichtlich keine anderen als solche Beziehungen unterhielten, welche sie zur Verwaltung der Niederlassungen unterhalten mußten. Obgleich sich in den Missionen nur 150 oder 200 Jesuiten befanden, gelang es ihnen doch, dem Willen ihres Ordens eine Bevölkerung zu unterwerfen, die nach Funes zur Zeit der Vertreibung der Patres 150 000 Köpfe betrug, die aber während der 150jährigen Herrschaft der Gesellschaft Jesu jedenfalls noch zahlreicher gewesen ist. Es waren unschätzbare Dienste, welche die Missionare von Paraguay dem Orden erwiesen, dessen Befehle sie empfingen und dessen Vorschriften sie befolgten.

*

Die Regierung der Missionen war sehr einfach und wurde von wenigen leitenden Personen besorgt. Jeder Weiler wurde von einem Pfarrer und einem Vikar verwaltet, die unter der Aufsicht eines Superiors standen, der seinerseits dem Provinzial unterstellt war. Der Pfarrer, welcher unumschränkter Herr in der Mission war, hatte deren Besitzstand zu verwalten, gewöhnlich kannte er die guaranische Sprache nicht. Der Vikar dagegen, welcher für das Seelenheil der Mission sorgen mußte, war mit der Sprache der Indianer vertraut, mit denen er ja verkehrte und stete Verbindung unterhielt. Der Pfarrer und der Vikar lebten in dem Kollegium, das in einiger Entfernung von den Wohnungen der Niederlassung gelegen war. Jeder nähere Verkehr mit indianischen Frauen war ihnen auf das strengste untersagt, und ihre Keuschheit ist nie verdächtigt worden. Sie unterhielten nur Beziehungen mit den Männern, deren Dienste ihnen entweder für ihre eigenen Personen oder für die Gemeinde unerläßlich waren. Unter keinerlei Vorwand betraten sie je die Häuser der Indianer, und nur selten kamen sie in die Weiler. Wenn ein kranker Indianer der Mission der geistlichen Hilfe bedurfte, so brachte man ihn in ein zu diesem Zwecke bestimmtes Zimmer, das sich in der Nähe des Kollegiums befand. Der Pfarrer oder der Vikar begaben sich in einer Sänfte dahin, um dem Kranken die Beichte abzuhören und die Sakramente zu erteilen. Die Geistlichen zeigten sich den Indianern nur in der Kirche und erschienen dann wie göttliche Wesen in allem Glanz und Pomp des katholischen Kultus, mit von Gold strahlenden Gewändern angetan, umgeben und bedient von zahlreichen, prächtig gekleideten Sakristanen und Chorknaben, umhüllt von Weihrauchwolken, während der Klang der Orgel, verschiedener Musikinstrumente und frommer Gesänge die Kirche erfüllte und die Wilden berauschte, auf welche, wie es öfters in den »Erbaulichen Briefen« heißt, Musik und Wohlgerüche eine sehr große Wirkung ausübten. Die Kirchen der armen Wilden waren die größten und schönsten der Kolonien. Die der Mission Sankt Franz Xaver konnte 4000 bis 5000 Personen fassen; ihre Mauern waren mit schimmernden Platten aus Glimmer belegt, mit Malereien und Schnitzereien geschmückt, ihre Altäre glänzten von Gold und Silber. D'Orbigny, welcher diese Kirchen im Jahre 1830 besuchte, wo sie doch viel von ihrer ursprünglichen Pracht verloren hatten, war überrascht von ihrer Schönheit und ihrem Glanze. Diese klug berechnete Ausstattung war ein unbedingtes Erfordernis, um unter die despotische Herrschergewalt der zwei Geistlichen – des Pfarrers und des Vikars – die Tausende von Indianern einer Mission zu beugen, »deren Glauben so naiv war,« sagt der Naturforscher d'Orbigny, »daß sie die Geistlichen als die Stellvertreter Gottes betrachteten und ihnen blind gehorchten«.

Die Jesuiten ahmten das von den Spaniern gegebene Beispiel nach. Sie ließen die Indianer selbst ihre Kaziken oder Kriegführer wählen. Gewöhnlich wurden dieselben stets aus der nämlichen Familie genommen, wie dies bei der Mehrzahl der Wilden Sitte ist, die in kommunistischen Clans leben. Gleicherweise gestatteten sie den Indianern, ihre Munizipalbehörden zu wählen, welche aus zwei Alkalden und mehreren Mitgliedern des Gemeinderats bestanden. Allein diese Wahlen, welche alljährlich stattfanden, wurden in Gegenwart des Pfarrers vorgenommen, welcher die Ernennung der Erwählten leitete. Diese selbst standen völlig unter dem Einfluß der beiden Geistlichen, denn niemand in dem Flecken hätte einen wichtigen Beschluß zu fassen gewagt, ohne sich vorher darüber mit dem Pfarrer oder seinem Vikar verständigt zu haben. Die Mönche, welche in der Leitung der Missionen an Stelle der vertriebenen Jesuiten traten, wurden anfangs oft in Verlegenheit gebracht durch die fortwährenden Anfragen und Ratschläge, welche die Munizipalbehörden in betreff der unbedeutendsten Dinge der Verwaltung an sie stellten beziehungsweise von ihnen heischten. Die Gemeindebeamten waren nur die Werkzeuge, deren sich die Missionare zur Durchführung ihrer Absichten bedienten. Antonio de Ulloa versucht diese Tatsache durch die Behauptung abzuschwächen: »daß der beschränkte Geist der bekehrten Indianer es nötig mache, daß sich die Missionare um alle ihre Angelegenheiten kümmern und sie in weltlicher und geistlicher Hinsicht leiten«. Don Antonio de Ulloa, Relacion historical, von Charlevoix zitiert.

Die Indianer waren »wie Kaninchen in einem Gehege« in den Missionen eingeschlossen. Um ihren Verkehr mit der Außenwelt und ihre Flucht zu verhindern, war jeder Weiler mit tiefen Gräben umgeben, die durch Pfähle und starke Palisaden gedeckt wurden. Den Zugang vermittelten nur ein oder zwei Tore, die von Schildwachen gehütet wurden, und die man nur mit schriftlicher Erlaubnis passieren durfte. Das Gebiet jeder Ortschaft war von Gräben begrenzt, und dort, wo man diese überschreiten konnte, standen Wachen, welche hinderten, daß die Indianer aus einer Niederlassung in eine andere gingen. Bei hereinbrechender Nacht wurde die Feierabendglocke geläutet; alle Bewohner einer Mission mußten sich dann in ihre Häuser zurückziehen. Eine Patrouille »von Personen, auf welche man zählen konnte«, sagt Charlevoix, und die sich alle drei Stunden ablöste, streifte durch die Straßen, »um zu verhindern, daß jemand sein Haus verläßt, ohne daß man weiß, was ihn dazu veranlaßt und wohin er geht«. Das in den Missionen durchgeführte System der Unfreiheit entspricht so vorzüglich den Erfordernissen der kapitalistischen Ausbeutung, daß eine französische Aktiengesellschaft – wahrscheinlich ohne eine Ahnung von den Niederlassungen der Jesuiten in Paraguay zu haben – es ihren Arbeitern gegenüber zur Anwendung gebracht hat. Die großen Ausbeutungsgenies finden sich. – Villeneuvette ist ein Flecken, der auf einem Felsen der Cevennen gelegen ist. Das Ortsgebiet und alle Gebäude, von der Mairie und der Kirche an bis zu den Arbeiterwohnungen, sind Eigentum einer Aktiengesellschaft, welche Tuch für die französische Armee fabriziert. Niemand darf ohne Erlaubnis der Unternehmer den Ort betreten oder in ihm wohnen. Dieser ist wie die mittelalterlichen Städte von Gräben umgeben. Die Zugbrücke wird abends aufgezogen. Um 9 Uhr abends muß jedermann zu Bett gehen, und beim Morgenläuten müssen alle aufstehen. Die Zahl der männlichen Einwohner beträgt 400; sie sind sämtlich Weber oder Fabrikbeamte. Die französische Sprache ist in Villeneuvette unbekannt, man spricht nur den in den Cevennen verbreiteten Dialekt. Der Handel mit Lebensmitteln und Kleidungsstücken ruht in den Händen der Aktiengesellschaft. Der Maire und die Gemeinderäte sind Arbeiter, die nur gewählt werden können, wenn ihre Personen den Unternehmern genehm sind. Die Ordnung der Dinge in Villeneuvette, welche aus dem achtzehnten Jahrhundert stammt, besteht noch heutigestags. (Geschrieben 1895. K. K.)

Das Reiten war den Indianern an allen Tagen verboten, an denen keine militärischen Übungen stattfanden. Die Herden wurden jedoch von Berittenen gehütet. Um die Zahl der Hirten zu vermindern und nicht nötig zu haben, das Vieh zu zeichnen, umgaben die Missionare alle Weideplätze mit Gräben, so daß sie buchstäblich einem eingefriedigten Park glichen. Die Tiere wie die Menschen wurden in den Missionen gefangengehalten.

Innerhalb der Mission war des Pfarrers Wille Gesetz. Es gab keine geschriebenen Gesetze, nur »Vorschriften«, welche man mit den Arbeitsordnungen der kapitalistischen Betriebe vergleichen kann. Der Pfarrer verurteilte Sträflinge zu Gebeten, zu Fasten, zu Gefängnis und zur Auspeitschung, ohne daß er jemand Rechenschaft über seine Entscheidungen schuldig gewesen wäre. Nach dem weiter oben angeführten, von Charlevoix erzählten Vorgang, wie ein Kazike wegen Ungehorsams gegen die Missionare vom Feuer des Himmels verzehrt ward, wäre die Annahme wohl nicht erstaunlich, daß in den Missionen von Zeit zu Zeit Autodafés stattfanden, um unverbesserliche Indianer loszuwerden und ein Exempel zu statuieren.

Ein Korps von Polizisten, welches aus den lenksamsten und ergebensten Indianern gebildet war, überwachte streng die Bewohner der Niederlassung und bestrafte sie, wenn sie bei Fehlern ertappt wurden. Damit die Bestrafung zur sittlichen Hebung des gesamten Gemeinwesens beitrage, mußte der Schuldige das Büßerhemd tragen wie die Ketzer, welche die Inquisition verbrannte. Er ward zur Kirche geführt, wo er öffentlich seine Schuld bekennen mußte, dann auf den öffentlichen Platz der Mission, wo man ihn auspeitschte. Die Jesuiten und ihre Lobredner möchten glauben machen, daß die Indianer diese ebenso schreckliche wie entwürdigende Art der Bestrafung als eine Gnade empfanden. »Nie«, so schreibt Funes, »hat einer von ihnen versucht, seinen Fehler kleiner erscheinen zu lassen oder seiner Strafe zu entgehen. Alle nahmen ihre Bestrafung mit Dankesbezeigungen entgegen. Es gab Indianer, die nur ihr Gewissen als Zeugen ihrer Fehler hatten, aber ihre Verfehlungen bekannten und ihre Bestrafung forderten, um ihre Gewissensbisse zu mildern, die quälender als Strafen waren.« Don Antonio de Ulloa fügt hinzu: »Sie hegen ein so großes Vertrauen zu ihren Seelenhirten, daß auch eine grundlose Bestrafung ihnen verdient erschiene.« Wenn diese Behauptungen der Wahrheit entsprechen – und angesichts des zur Überschwenglichkeit neigenden Charakters der Wilden und der Empfänglichkeit ihrer phantastischen Einbildungskraft würde es durchaus nicht erstaunlich sein, wenn dies der Fall wäre –, so geben sie uns einen Maßstab für die moralische Herrschaft, welche die Jesuiten über die armen Indianer ausübten. Dieser moralische Einfluß hätte sie bestimmen sollen, von grausamen und demütigenden Strafen abzusehen.

Die Jesuiten boten alles auf, um die Indianer geistig noch mehr als materiell in Fesseln zu schlagen. Die ganze Zeit, die nicht der Arbeit und der nötigen Erholung gewidmet war, mußten sie in Gebeten verbringen, damit ihnen nicht eine Minute frei blieb, in der sie über ihre Lage hätten nachdenken können. »Die Kirchen«, berichtet Charlevoix, »sind nie leer. Stets ist hier eine große Anzahl von Personen versammelt, welche ihre ganze freie Zeit in Gebeten verbringen.« Morgens und abends, vor und nach der Arbeit begaben sich alle Bewohner der Mission in die Kirche, um der Messe beizuwohnen und zu beten. Ehe die Frauen das Gotteshaus betraten, lösten sie ihre Haare auf, welche sie gewöhnlich wie die Soldaten des vorigen Jahrhunderts in einen herabhängenden Zopf geflochten trugen. Der ganze Sonntag verstrich unter religiösen Zeremonien: Messen, Abendgottesdienst, Taufen, Verlobungen, Eheschließungen, Ankündigungen von Festen und von Festtagen, Verlesung von Hirtenbriefen des Bischofs und anderer religiöser Schriftstücke usw. Der wöchentliche Ruhetag sollte ganz absichtlich so langweilig als möglich gemacht werden, damit sich die Indianer nach der Arbeit zurücksehnten und sie als eine Zerstreuung betrachteten.

Der berühmte Doktor Ure führt in seiner »Philosophie der Manufaktur« als ein Beispiel, dem »die Freunde der Menschheit« folgen sollten, das philanthropische Vorgehen Stockporter Fabrikanten an. Dieselben hatten 250 000 Franken für den Bau eines Gebäudes ausgegeben, in dem sie allsonntäglich 4000 bis 5000 Arbeiter zusammenpferchten, die fromme Lieder singen und lesen lernen mußten. Die Leute sollten dadurch davor bewahrt werden, »in die Laster zu verfallen, welche die Faulheit erzeugt«, und sich durch »den menschlichen Egoismus fortreißen zu lassen, welcher die Arbeiter geneigt macht, mit neidischem und feindseligem Auge ihren besten Freund zu betrachten: den enthaltsamen und unternehmenden Kapitalisten, der ihnen Arbeit gibt«.

Um die bösen Neigungen ihrer Arbeiter zu zügeln, verfügten die Missionare über geistige Mittel, welche der Protestant Ure und die philanthropischen Ausbeuter Englands nicht kannten. Sie hatten für die Männer, für die Frauen und für die mehr als zehn Jahre alten jungen Leute zahlreiche Brüderschaften und Schwesterschaften gegründet, welche »unter dem direkten Schutz des Herrn der Heerscharen und der Mutter Gottes standen«. In Frankreich bemühen sich gegenwärtig (1895) die katholischen Unternehmer, die Grundsätze des christlichen Sozialismus zu verwirklichen. Sie organisieren ihre Arbeiter und Arbeiterinnen in den Vereinen »Unserer lieben Frau von der Fabrik« ( Notre-Dame de l'Usine) und des »Heiligen Joseph«. Die Namen der Indianer wurden in die Listen der Brüderschaft beziehungsweise Schwesterschaft eingetragen, und die Streichung eines derselben bedeutete eine Strafe. Als Belohnung erhielten die Vereinsmitglieder das Recht, beim Gottesdienst mitsingen zu dürfen und, geschmückt mit prächtigen Gewändern und ehrenvollen Abzeichen, die sie nach der Zeremonie wieder zurückgeben mußten, an Ehrenplätzen zu sitzen.

Ein so einförmiges, der Arbeit und dem Gebet gewidmetes Leben konnte Wilden nicht behagen, deren Vorfahren frei die Wälder durchstreift und sich von den Beschwerden der Jagd und den Mühen eines primitiven Ackerbaues durch Feste und Tänze erholt hatten. Die Guaranis, welche den bei weitem größten Teil der Einwohnerschaft der Jesuiten-Niederlassungen ausmachten, liebten, wie alle wilden Völker, den Tanz leidenschaftlich. Die Jesuiten »erlaubten ihnen von Zeit zu Zeit Erholungen,« berichtet Charlevoix, »und dies ebensowohl, um ihre Gesundheit wie auch eine Fröhlichkeit zu erhalten, welche, weit entfernt, der Tugend zu schaden, diese lieben macht.« Heine schildert in einem seiner beißenden Gedichte einen Schiffskapitän, welcher Sklavenhandel trieb. Von den gleichen lobenswerten Gründen wie die Jesuiten in Paraguay bewegt, ließ der philanthropische Händler mit Menschenfleisch täglich seine Ladung Ebenholz auf Deck kommen und zwang die Ärmsten durch Peitschenhiebe zu Gesang und Tanz. Durch dieses hygienische Verfahren verhinderte er, daß seine Neger vor Langeweile und Verzweiflung über ihre verlorene Freiheit starben.

Jede Mission hatte ihren besonderen Schutzheiligen, dessen Namen sie trug. Sein Fest war das große Freudenfest der Bewohner. Mit Ungeduld ward seine jährliche Wiederkehr erwartet, und lange im voraus wurden eifrigst Vorkehrungen zu seiner Feier getroffen. Das Fest dauerte drei Tage. Die Bildsäule des Heiligen ward dann durch die Straßen getragen, die mit Teppichen und Fahnen geschmückt waren; Matten und duftende Blumen bedeckten den Boden; über die öffentlichen Plätze und Straßenkreuzungen spannten sich mit frischen Laubgewinden bekränzte Triumphbogen, um die Vögel flatterten, die an den Füßen angekettet waren; hier und da wurden Jaguare und andere reißende Tiere in Ketten gezeigt sowie in großen Bassins schwimmende Fische; »mit einem Worte, alle lebenden Geschöpfe wohnten gleichsam durch Vertreter dem Feste bei, um dem Gottmenschen ihre Huldigungen darzubringen,« heißt es in den »Erbaulichen Briefen«. In den Straßen wurden geschlachtete Tiere ausgestellt, deren Fleisch zusammen mit einem Glase Wein pro Indianer zur Verteilung gelangte. Die Gemeindebeamten und die Personen, welche bei den Zeremonien des Festes figurierten, trugen prächtige Gewänder aus Europa, die sie nach der Feier wieder zurückgeben mußten. Diese kirchlichen Feste übten einen so nachhaltigen Eindruck auf die Indianer aus, daß sie dieselben noch 1830 feierten, als d'Orbigny die Missionen besuchte. Allerdings begingen sie die Feste damals mit größerer Freiheit, denn die Bewohner der benachbarten Weiler strömten in Menge herbei, um teilzunehmen an den Festlichkeiten, Tänzen, Ballspielen – bei denen der Ball mit dem Kopfe geworfen wurde – und anderen ungewöhnlichen gymnastischen Übungen.

Indessen scheinen alle Gebete und religiösen Zeremonien die Indianer nicht gerade zu einem Christentum erster Güte erzogen zu haben. Wenigstens kann man zu diesem Schluß gelangen, dafern man den Behauptungen der Mönche Glauben schenkt, welche in der Leitung der Missionen an die Stelle der Jesuiten traten. Allerdings wollten diese letzteren nicht die Liebe zu Gott, sondern die Liebe zur Arbeit entwickeln. Die Religion war für sie nur ein Werkzeug der Herrschaft, und ihre Gegner klagten sie deshalb unter anderem auch an, das Geheimnis des Beichtstuhls nicht zu achten und es zu mißbrauchen, um die Bewohner der Missionen auszuhorchen. Die Jesuiten haben gegen den Vorwurf dieses Verbrechens wider die Religion energisch protestiert. Aber es ist gewiß, daß sie sich zwar verpflichtet hatten, die Wilden zu unterrichten, allein den bekehrten Schäflein diesen Unterricht nur in dem Maße zuteil werden ließen, als er ihnen selbst nützlich und einträglich war. Sie lehrten den Kindern Spanisch und Lateinisch lesen, obgleich diese auch nicht ein Wort dieser Sprachen verstanden. Man brachte ihnen also die Kunst bei, Worte von Idiomen zu entziffern, die ihnen ihr Leben lang vollständig fremd bleiben sollten. Dafür konnten sie bei der Messe als Chorknaben funktionieren, lateinisch dem Geistlichen die festgesetzten Antworten beim Gottesdienst geben und lateinische und spanische Manuskripte abschreiben, welche als Beweise ihrer wunderbaren Fortschritte dem Madrider Hof zugeschickt wurden. Mit der spanischen Sprache waren nur sehr wenige, sorgfältigst ausgewählte und geprüfte Indianer vertraut, welche zum Zwecke des Verkaufs der Vorräte und Erzeugnisse der Ortschaften in die Städte gehen mußten. Das Schreiben wurde nur einer sehr kleinen Anzahl bekehrter Indianer gelehrt, welche darin bewandert sein mußten, um die Bücher und Abrechnungen der Gemeinde führen zu können. Dafür ließen sich die Missionare angelegen sein, den Indianern Handwerke zu lehren und ihre technische Geschicklichkeit zu entwickeln. Jede Mission erzeugte alles, was ihre Bewohner bedurften, sogar Musikinstrumente und die Waffen, mit denen die Truppen ausgerüstet waren.

Funes sagt, daß es in jeder Mission Werkstätten gab, in denen die verschiedensten Gewerbe getrieben wurden. Es gab Schmieden, Waffenschmieden, Gerbereien, Schuhmacherwerkstätten, Webereien, Tischlereien, Kunsttischlereien, Werkstätten für Bauarbeiten, für Uhrmacher, Vergolder, Maler und Bildhauer, Werkstätten, in denen das Wachs der wilden Bienen gereinigt und gebleicht wurde usw. Obgleich 1830 die Bevölkerung der Missionen bedeutend zurückgegangen war, fand d'Orbigny doch, daß unter ihr alle Handwerke weiter betrieben wurden. Zu ihnen waren unter Dr. Francia (der nach dem Sturz der spanischen Herrschaft Diktator von Paraguay wurde und es von 1814 bis zu seinem Tode 1840 blieb) neue Industriezweige und Beschäftigungsarten getreten, z. B. die Kultur des Zuckerrohrs. Der Staat, welcher an die Stelle der Jesuiten trat, war nun der einzige Grundeigentümer.

Die gewerbliche Ausbildung der Indianer begann frühzeitig und wurde mit vollendeter Geschicklichkeit geleitet. »Sobald ein Kind alt genug war, um zu arbeiten,« schreibt Charlevoix, »führte man es in die Werkstätten und teilte es dem Handwerk zu, für welches es die meiste Neigung zu haben schien, weil man der Überzeugung ist, daß die Kunst von der Natur geleitet werden muß.«

Mit Ausnahme der Kaziken waren alle Indianer zur Arbeit verpflichtet. »Der oberste Gemeindebeamte ( corrogidor) und die Mitglieder des Gemeinderates nebst ihren Frauen mußten die ersten in der Werkstatt sein,« sagt Funes, und Charlevoix fügt hinzu: »Die Aufgabe war den Kräften angemessen, und wer sie nicht erfüllte, wurde bestraft.« Die Näharbeiten wurden von den Musikern, Küstern und Chorknaben ausgeführt, damit die Frauen ausschließlich Baumwolle spinnen konnten. Die bestimmte Quantität Rohbaumwolle, welche diese erhielten, mußten sie am Ende der Woche gesponnen abliefern, sonst wurden sie geprügelt. »In jeder Ortschaft gab es ein ›Asyl‹, wo in Abgeschlossenheit jene Frauen wohnten, welche kein Kind nährten und deren Männer abwesend waren, ferner Witwen, Kranke, Greise und Krüppel. Man nährte und kleidete sie und wies ihnen eine Arbeit zu, die ihren Kräften und übrigen Fähigkeiten entsprach.« (Funes.)

Man warf den Jesuiten vor, daß sie die Gütergemeinschaft eingeführt hätten und jeder Familie alles zuteilten, was zu ihrem Unterhalt nötig war. Charlevoix wäscht sie von dieser schwerwiegenden Anklage rein. »Es kann wohl etwas Ähnliches gegeben haben,« sagt er, »als die neu angesiedelten Indianer noch nicht imstande waren, durch ihre Arbeit selbst für ihre Bedürfnisse zu sorgen, und als sie noch nicht in gesicherten Ortschaften seßhaft und endgültig eingerichtet waren. Aber seitdem sie nicht mehr zu befürchten brauchen, daß sie ihren Wohnsitz wechseln müssen, hat man jeder Familie ein Stück Grund und Boden zugeteilt, das, wenn es der erhaltenen Unterweisung gemäß bebaut wird, ihnen den nötigen Lebensunterhalt liefert. Dank der Art und Weise, wie man sie erzieht, darf man hoffen, daß sie nie den Überfluß kennenlernen werden.« Die von den Jesuiten befolgte Taktik war eine äußerst geschickte. Um die freien Indianer zu veranlassen, sich in den Ortschaften niederzulassen, und um sie hier festzuhalten, gaben sie ihnen im Anfang Lebensmittel und ließen ihnen eine gewisse Freiheit. Jedoch sobald ihre Kinder ein gewisses Alter erreicht hatten, verurteilten sie dieselben zur Arbeit und zwangen sie, für ihren Unterhalt selbst dadurch zu sorgen, daß sie ein ihnen angewiesenes Grundstück bebauen mußten. Die unterworfenen zivilisierten Indianer durften nur an zwei Tagen der Woche für sich selbst arbeiten, die übrige Zeit mußten sie der Arbeit für »das Eigentum Gottes« widmen. Das Getreide, das ihnen für die Bestellung der Felder oder zur Nahrung in Jahren des Mißwachses vorgeschossen ward, mußten sie bei der nächsten Ernte zurückerstatten, oder sie wurden ausgepeitscht. Alle Bewohner der Niederlassung, mit Ausnahme derjenigen, die die Gemüse und andere Produkte zu verkaufen hatten, waren verpflichtet, ihre Lebensmittel selbst zu produzieren; die Ländereien der Indianer, die mit dem Handel der Mission betraut waren, wurden von der Gemeinschaft bestellt.

Das »Eigentum Gottes« bestand aus Ländereien, deren Ertrag den Jesuiten gehörte. In den weltlichen Komtureien, von denen im zweiten Kapitel die Rede war, und die von den ersten Missionaren wegen der dabei üblichen Ausbeutung der Indianer aufs schärfste angegriffen wurden, mußten diese nur zwei Monate im Jahre für ihre weltlichen Herren arbeiten und verfügten nach Belieben über die übrige Zeit. Die guten Jesuiten kehrten das Verhältnis um, und dies unter dem Vorwand, die Arbeit zu vermindern, welche die Indianer für andere leisten mußten. Bei der Kultivierung des »Eigentums Gottes« zeigte sich die ganze Geschicklichkeit der frommen Väter: Der Arbeit wurde der Charakter eines Festes aufgedrückt, wie dies bei der Bestellung der Felder der Sonne, des Gottes der Inka von Peru, der Fall gewesen war. Man versammelte sich in einer Schar auf dem öffentlichen Platze der Ortschaft, die Statue der Jungfrau Maria oder eines Heiligen wurde auf eine Tragbahre gestellt, und unter Vorantritt eines Musikkorps und dem Gesang frommer Lieder bewegte man sich im Zuge nach den Feldern des Herrn. An Ort und Stelle der Arbeit angekommen, errichtete man einen Altar von Zweigen, auf den die Statue gestellt ward, vor deren Augen man pflügte und erntete. War die Arbeit beendet, so stellte man den Heiligen wieder auf die Tragbahre und zog in feierlicher Prozession, laut singend und unter den Klängen der Musik in die Mission zurück.

Die Indianer durften nicht über den Ertrag ihrer Felder verfügen und über die Erzeugnisse, welche sie während der zwei ihnen freigelassenen Tage herstellten. »Man weiß, was ihm sein Grundstück trägt,« sagt Charlevoix, »und seine Ernte stand unter der Aufsicht derer, die das meiste Interesse daran hatten, darüber zu wachen ... Und wenn man nicht sehr fest die Hand darauf hielte, würde der Indianer sich bald ohne Nahrungsmittel finden.« Der Indianer besaß nur seinen elenden Werktagsanzug, denn die Kleider, welche die Offiziere während der militärischen Übungen und die Gemeindebeamten Sonntags und bei religiösen Zeremonien trugen, wurden, wie die Waffen, in den Magazinen der Gemeinde aufbewahrt. Die Geistlichen regelten alles, sogar die Kinderzeugung. Es wird versichert, daß nachts die Kirchenglocke Männern und Frauen die Stunde verkündete, welche sie den Freuden der Venus widmen durften. Um die Indianer zu veranlassen, sich zu vermehren, verboten die Jesuiten Männern und Frauen, das Haar lang wachsen zu lassen, ehe sie Kinder gezeugt hatten. Dieser Gebrauch hat sich noch nach der Vertreibung der Jesuiten erhalten. »Die jungen, kurzgeschorenen Paare ( pelados y peladas)«, sagt d'Orbigny, »geben sich alle Mühe, die Erlaubnis zu verdienen, langes Haar tragen zu dürfen.«

Funes selbst muß zugeben, daß es in dieser christlichen Republik an Freiheit fehlte. »Wir geben zu,« sagt er, »daß die Freiheit dieser Indianer in betreff der Verfügung über ihr Eigentum nicht die Freiheit war, die dem Ideal einer Republik entspricht. Nichts wäre törichter gewesen, als eine Freiheit zu gewähren, welche mit dem Charakter und den Lebensbedingungen dieser Indianer unvereinbar war. Durch die Barbarei, in der sie lebten, daran gewöhnt, sich nur von dem augenblicklichen Wunsche leiten zu lassen, ohne je über die Gegenwart hinauszublicken, sich nur zu entscheiden unter dem Drucke einer zwingenden Notwendigkeit und unter der steten Herrschaft der Leidenschaft, nie der Vernunft gemäß zu handeln, mußten sie einige Jahrhunderte sozialer Kindheit durchleben, ehe sie jene Reife erlangten, welche die Voraussetzung des vollen Gebrauchs der Freiheit ist. Der Zeitpunkt, ihnen diese zu geben, war noch nicht gekommen, und die Indianer mußten deshalb durch Einrichtungen regiert werden, ähnlich denen, wodurch ein Vater seine Familie regiert.« Azara scheint diese Entschuldigungen vorausgesehen zu haben, denn er erinnert daran, daß die freilebenden Indianer ihre Vorräte einteilten, damit sie das ganze Jahr hindurch reichten. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Jesuiten legen die Indianer sogar eine sehr große Voraussicht an den Tag. Morgan erzählt in seiner »Urgesellschaft« nach dem Pfarrer Gorman von den Indianern der Dörfer von Laguna (Neumexiko), daß sie ihre Vorräte in gemeinsamen Speichern unterbringen, die von Frauen verwaltet werden. »Diese betätigen mehr Sorge für die Zukunft als ihre spanischen Nachbarn; sie richten es ein, daß ihre Vorräte das ganze Jahr hindurch reichen; erst wenn es zwei Jahre nacheinander Mißwachs gegeben hat, leiden die Ortschaften Hunger.« Die Jesuiten gewöhnten die Guaranis ihrer Missionen absichtlich daran, nicht an die Zukunft zu denken, damit sie die Wilden leichter regieren und ihnen als eine Vorsehung entgegentreten konnten, die für alle ihre Bedürfnisse aufmerksam sorgte.

Die christliche Republik, welche die Jesuiten in Paraguay gründen konnten, ohne daß irgendein äußeres Hindernis sich der vollkommenen Durchführung der Grundsätze des Evangeliums entgegenstellte, entpuppt sich als eine kluge und einträgliche Verquickung von Hörigkeit und Sklaverei. Wie die Leibeigenen waren die bekehrten Indianer gezwungen, ihren Lebensunterhalt selbst zu erzeugen; und wie die Sklaven waren sie jedes Eigentums beraubt.

Diese Familienväter, wie Funes die Jesuiten nennt, gaben den Indianern nur ihre Kleidung, und die war armselig genug. Alle Indianer gingen barfuß, obgleich es in den Missionen Gerbereien und Schuhmacherwerkstätten gab, deren Erzeugnisse in den Städten verkauft wurden. Die Frauen trugen nur ein Hemd aus grober Leinwand, das ärmellos war und um die Hüften von einer Schnur zusammengehalten wurde. Die Männer waren mit Hemd und Hose aus der gleichen Leinwand bekleidet; sie trugen eine baumwollene Mütze; die Frauen gingen barhäuptig. Jede Frau erhielt jährlich 5 Vara (4½ Meter) und jeder Mann 6 Vara (5 Meter 40 Zentimeter) Stoff zur Kleidung. Die Leinwand, aus der diese hergestellt wurde, wurde von den Indianern gesponnen und gewebt.

Diese wohnten ebenso jämmerlich, als sie schlecht gekleidet waren. »Die Häuser«, sagt Charlevoix, »wurden anfangs aus Rohr gebaut, das einen Lehmbewurf erhielt; sie hatten weder Fenster noch Schornstein; der Herd befand sich in der Mitte, und der Rauch zog durch die Türe ab. Jetzt hat man begonnen, steinerne Häuser zu bauen, die mit Schiefer gedeckt sind.« Charlevoix schrieb im Jahre 1757, elf Jahre vor der Vertreibung der Jesuiten und anderthalb Jahrhunderte nach der Gründung der Missionen. Funes führt in betreff der Wohnungen etliche ergänzende Tatsachen an. »Die Häuser hatten weder Fenster noch eine Vorrichtung, welche den freien Durchzug der Luft ermöglichte; sie enthielten keine Möbel; alle Einwohner der Missionen setzten sich auf die Erde und aßen auf dem Boden; sie hatten keine Betten und schliefen in Hängematten.« Später baute man regelrechtere Häuser, die aber nicht besser ausgestattet wurden. Alle Indianer, welche denselben Kaziken anerkannten und folglich dem gleichen Clan angehörten, bewohnten eine Galerie oder langes Gemach, das in Einzelzimmer von 2 bis 3 Meter abgeteilt wurde; in jedem Zimmerchen schlief eine Familie ohne Betten und ohne Möbel. Diese von den Lobrednern der Jesuiten, Charlevoix und Funes, sowie von Azara berichteten Einzelheiten zeigen uns, daß die Indianer der Missionen wie im wilden Zustand in gemeinsamen Häusern beieinander wohnten, die den von Morgan beschriebenen » long houses« (langen Häusern) der Irokesen entsprachen. Die Missionare kümmerten sich blutwenig darum, die materiellen Verhältnisse der Indianer zu heben, deren Zivilisation sie herbeiführen wollten, ihnen kam es nur darauf an, sie zur Arbeit zu »erziehen«.

Der Gesundheitszustand in den Missionen war geradezu ein jämmerlicher. Charlevoix erzählt, daß die Einwohnerschaft der Niederlassungen häufig gelichtet wurde durch Pockenepidemien, Fleckfieber, das bösartige Fieber und eine vierte Epidemie, von der er weiter nichts sagt, als daß sie von äußerst stechenden Schmerzen begleitet sei. Trotzdem fügt er hinzu: »In keiner Ortschaft, auch nicht einmal in einem ganzen Kanton hatte man ein Hospital oder auch nur eine gute Apotheke eingerichtet, wie dies für die Moxos geschehen war, unter denen die Jesuiten von Peru eine Republik nach dem Muster derjenigen der Guaranis gegründet hatten. Allerdings hatte dort die öffentliche Wohltätigkeit die Mittel dafür aufgebracht, die man in Paraguay zu finden nicht erwarten darf, weil es hier keine wohlhabenden Leute gibt.« Die guten jesuitischen »Familienväter« hatten wie die Kapitalisten kein zwingendes Interesse an der Erhaltung des Lebens ihrer Arbeitskräfte, die sie ja nicht wie die Sklavenhalter zu kaufen brauchten. So verausgabten sie keinen Pfennig für die Indianer, welche ihnen Reichtümer schafften.

Die Jesuiten jammerten stets über die Armut der Missionen; ihren Behauptungen nach hatten die seßhaften Indianer, welche sechs Tage in der Woche arbeiteten, »kaum so viel, um sich täglich ein wenig Fleisch, Mais, etwas Gemüse, schlechte und grobe Kleider verschaffen und für die Mittel aufkommen zu können, welche für den Unterhalt ihrer Kirchen erforderlich sind«. Und dies, obgleich der natürliche Reichtum Paraguays ein erstaunlich großer ist. Man erntete hier zweimal im Jahre Mais, seit der Diktatur von Dr. Francia auch zweimal Weizen. Die »Erbaulichen Briefe« erzählen, daß es im Lande einen außerordentlichen Überfluß gab an »Früchten, deren Mannigfaltigkeit wunderbar ist, und die man nur zu pflücken brauchte. Im Lande gab es mehr als zehn Arten wilder Bienen, von denen manche einen köstlichen Honig liefern .. Seen und Flüsse voller Fische, deren Fleisch zart und nahrhaft war und von denen ein einzelner mancher Arten für die Mahlzeit von fünf Personen ausreichte ... Wälder und Ebenen voll von Hirschen, Rehen, wilden Ziegen, wilden Schweinen, Utias (einer Hasenart) und einer ungeheuren Menge wilder Pferde und Rinder ... Im Jahre 1730 konnte man zu Buenos Aires ein Pferd für zwei Nähnadeln einhandeln, einen Ochsen für den gleichen Preis ... Die Wachteln und Rebhühner, welche fast Huhngröße erreichten, waren so zahlreich, daß man sie mit Stöcken totschlug.« Der ganz ungewöhnliche natürliche Reichtum des Landes wurde noch vermehrt durch die Arbeit der Indianer, deren Erzeugnisse die Gesellschaft Jesu in den Stand setzten, einen blühenden Handel zu treiben mit Maté, Rohbaumwolle, gesponnener Baumwolle, gegerbten Häuten, Schuhen, Wachs, Tabak, Getreide, frischen und getrockneten Gemüsen.

In dem von der Natur so wunderbar reich bedachten Lande verurteilten die Jesuiten ihre Arbeiter der Missionen zu einer elenden Lebenshaltung und machten ihnen noch einen Vorwurf aus dem wenigen, das sie verzehrten. Wie die Kapitalisten ihre Arbeiter als Trunkenbolde hinstellen, so ziehen die Jesuiten die Indianer beständig der Leckerhaftigkeit und Gefräßigkeit. Die ersten Reisenden, welche mit ihnen in Berührung kamen, bewunderten dagegen ihre Mäßigkeit und schilderten das Erstaunen der Wilden darüber, daß ein Europäer bei einer einzigen Mahlzeit so viel verzehren könne. D'Orbigny, der dem Einsammeln des wilden Honigs durch die Indianer der Mission von Santa Ana beiwohnte, berichtet, daß diese gegen zwanzig Tage in den Wäldern verbrachten und während der Zeit keine andere Nahrung hatten als etliche Maiskolben und ein aus Honig bereitetes Getränk. Unsere Herren Kapitalisten bezeichnen die Proletarier, welche ihnen zu Millionen über Millionen verhelfen und die Wunder der Zivilisation schaffen, als Dummköpfe und Faulpelze. Die Jesuiten, die ihnen in allem zum Muster dienen wollten, warfen den Indianern vor, »faul zu sein« (Charlevoix), »zu allen Lastern geneigt zu sein« (Fascardo, Bischof von Buenos Aires), »beschränkten Geistes zu sein, wodurch die Väter gezwungen waren, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen« (Ulloa).

Funes anerkennt dagegen, daß »das Talent dieser Indianer für Nachahmungen jeder Art wunderbar war; glänzend war ihr Erfindungstalent«. Charlevoix selbst muß zugeben, daß die Indianer einen sehr hohen Grad von »Talent für Nachahmung besitzen: man braucht ihnen nur Kreuze, Leuchter, Weihrauchbecken zu zeigen, damit sie diese nachmachen, und oft hat man Mühe, ihre Arbeit von dem Muster zu unterscheiden. Sie erzeugen ihre Feuerwaffen, Flinten und Kanonen, ihre Musikinstrumente, Orgeln der kompliziertesten Art, nachdem sie dieselben nur einmal gründlich betrachtet und untersucht haben, ebenso astronomische Instrumente, Teppiche nach Art der türkischen, und das Schwierigste, was es auf dem Gebiet der Weberei gibt.« Die ersten Kirchen der Missionen wurden wegen Mangels an Steinen sehr roh aus Balken zusammengezimmert, welche man mit Lehm bekleidete. An ihrer Stelle entstanden neue Gotteshäuser aus Stein, mit Malereien, Holz- und Steinbildhauereien geschmückt, welche das Werk der Indianer mit »beschränktem Geiste« waren. »Diese Verzierungen«, sagt Charlevoix, »würden die schönsten Kirchen Spaniens nicht verunstalten.«

Funes protestiert dagegen, daß Raynal behauptet, die Jesuiten hätten »die nämlichen Methoden angewendet, mittels deren die Inkas ihr Reich regierten und ihre Eroberungen mehrten«. Funes hat recht. Die christliche Republik, »welche den Lehren des Evangeliums und dem Wandel der ersten Gläubigen entsprechend gegründet worden war«, war keineswegs eine kommunistische Gesellschaft, in welcher alle Glieder an der Erzeugung landwirtschaftlicher und industrieller Produkte teilnahmen und gleicherweise Anspruch hatten auf die erzeugten Güter. Sie war vielmehr ein kapitalistischer Staat, in dem Männer, Frauen und Kinder, zur Zwangsarbeit und zur Peitsche verurteilt und aller Rechte beraubt, in dem gleichen Elend und der gleichen Verkommenheit dahinvegetierten, wie kräftig auch Ackerbau und Industrie emporblühten, wie groß auch der Überfluß der Güter war, die sie erzeugten.


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