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Drittes Kapitel.
Die Niederlassungen der Jesuiten.

Der spanische Hof nahm an der Bekehrung der Indianer und an ihrer Zivilisierung lebhaftes Interesse. Da er die fernere Anwendung der brutalen Mittel verbot, deren man sich bis dahin zu diesem Zweck bedient hatte, und statt ihrer Sanftmut und Milde empfahl, mußte er auf die Anregung der Jesuiten hin die Apostel der neuen Methode materiell unterstützen, um ihnen ihr Kulturwerk zu erleichtern. Geistliche Eroberer traten nun an Stelle der weltlichen: nicht nur die Jesuiten, auch zahlreiche andere Geistliche, welche zwar die Sprache und Sitten der Wilden nicht kannten, aber als Zehrpfennig die Subventionen der Madrider Regierung in der Tasche trugen, begaben sich in die Grenzgebiete der Länderstriche, welche von Europäern bewohnt waren. Ein solcher Missionar erbaute eine hölzerne Kirche, sammelte einige Indianer um sich, die er in den Städten aufgelesen hatte und die sich im Einverständnis mit ihm befanden, und kündete die Gründung eines Fleckens an. Wenn die erhaltene Subvention aufgebraucht war, so verschwand der Pfarrer und begann irgend woanders das gleiche Spiel mit dem gleichen Erfolg. Das erbaute Kirchlein fiel bald in Trümmer, und das Dorf hörte auf zu existieren, aber der spanische Hof frohlockte über die Fortschritte, welche Christentum und Zivilisation dank der betätigten Sanftmut machten. In Wirklichkeit wurde seit dem Erlaß der königlichen Ordonnanz vom Jahre 1612 auch nicht ein einziger indianischer Weiler gegründet. Eine Ausnahme machen die Missionen der Jesuiten.

Die Missionare der Gesellschaft Jesu wurden gleichfalls aus der Kasse der Regierung unterstützt, aber sie nahmen es ernst mit der Aufgabe, die Wilden in Ortschaften anzusiedeln, sie des Nomadenlebens zu entwöhnen, sie zur Arbeit und obendrein noch im Christentum zu erziehen. Zu diesem Zwecke machten sie sich zunächst mit den Indianern vertraut, indem sie unter ihnen lebten, ihre Sprache erlernten, ihre Sitten und ihren Aberglauben studierten. Dadurch erlangten sie die Kunst, die Wilden zu regieren. Von 1610 bis 1768 gründeten und leiteten sie dreißig Pueblos, welche zur Zeit der Jesuitenausweisung aus Paraguay gegen 150 000 Einwohner zählten. In der Mission des heiligen Franziskus Xaver, der zahlreichst bevölkerten Jesuitenniederlassung, wohnten 30 000 Indianer, die schwächer bevölkerten Ansiedlungen zählten zwischen 500 und 1000 Bewohner.

26 Niederlassungen gehörten zur berühmten Provinz der guaranisischen Missionen, welche zwischen den Ufern des Paraguay und Uruguay, zwischen dem 26. und 28. Breitengrad und dem 54. und 57. Längengrad westlich von Greenwich gelegen waren. Drei andere Missionen lagen in größerer Entfernung von ihnen. In Wirklichkeit haben die Jesuiten nur 26 Flecken gegründet, ihre anderen Missionen entstanden aus ehemaligen Komtureien. 19 von den 26 Niederlassungen wurden während der ersten Jahre gegründet und mit Wilden vom Stamme der Guarani besiedelt. Für die übrigen sieben Missionen nahm man Indianer aus Ansiedlungen, die seit länger als einem halben Jahrhundert bestanden.

Azara schreibt den Erfolg der Jesuiten während der ersten fünfundzwanzig Jahre ihrer Missionstätigkeit, wo sie so viele Niederlassungen gründeten, nicht ihrer Überredungskunst und der Macht des apostolischen Wortes zu. Seiner Ansicht nach war der Umstand dafür bestimmend, daß in jenen Jahren die Portugiesen und die Mamulucos von Sao Paolo in rücksichtslosester, unmenschlicher Weise die Wilden verfolgten, um sie zu Gefangenen zu machen und als Sklaven zu verkaufen. Die entsetzten und zersprengten Indianer flohen in das Gebiet zwischen den Flüssen Parana und Uruguay und in die Urwälder, in welche die Räuber nur schwer eindringen konnten. In kleinen Gruppen herumschweifend, mutlos und verkommend, allen Entbehrungen und Beschwerden eines flüchtigen Lebens preisgegeben, unterwarfen sie sich sehr leicht dem Einfluß der Jesuiten, die ihnen Lebensmittel und Schutz boten. Der Dechant Funes, welcher jede Behauptung Azaras zu bestreiten sucht, kann gegen die angeführte Ansicht nichts anderes einwenden, als daß die Spanier in Paraguay fast ebenso grausam waren als die Portugiesen und die Halbblutindianer von Sao Paolo. Er bestätigt also Azaras Behauptung, daß die Indianer nur in die Missionen flüchteten, um ihren grausamen Verfolgern zu entgehen. Als die Jagd auf die Wilden etwas nachließ, fanden auch die Jesuiten keine Indianer mehr, welche sich bekehren und zivilisieren ließen.

Da zögerten sie denn auch nicht, den Weg der Überredung aufzugeben und ohne irgendwelche Gewissensbeschwer zu weniger platonischen Mitteln ihre Zuflucht zu nehmen, um ihre drei letzten Niederlassungen zu gründen. Sie rühmten sich derselben nicht gegenüber aller Welt, aber Azara versichert, daß er Kenntnis von ihren Zivilisierungsmethoden durch Indianer erhalten habe, welche unter ihnen gelitten hatten. Die Methode ist typisch, sie verdient es, geschildert zu werden, denn offenbar ist sie in mehr als einem Falle zur Anwendung gelangt. Die Jesuiten sendeten den wilden Guaranis vom Taruma Geschenke durch bekehrte Glieder ihrer eigenen Nation, die ihre Sprache redeten. Nachdem diese Abgesandten das Glück ihres neuen Lebens geschildert hatten, teilten sie mit, daß ein ehrwürdiger Vater, der sie herzlich liebe, unter ihnen wohnen möchte. Er werde kostbare Geschenke mitbringen, unter anderem viele Kühe, damit sie das ganze Jahr zu leben hätten, ohne daß sie sich abplagen und Nahrung suchen müßten. Die Wilden gestatteten das Kommen des frommen Vaters. Der Jesuit ließ sich in Gesellschaft etlicher ausgewählter Indianer unter den Wilden nieder. Nach und nach und unter den verschiedensten Vorwänden, um keinen Verdacht zu erwecken, vermehrte er die Zahl seiner Gefolgschaft. War diese zahlreich genug geworden, so umzingelte man das Lager der Wilden, veranlaßte sie durch Drohungen, Versprechungen und gleißnerische Reden zur Unterwerfung und reihte sie dann den verschiedenen Missionen des Parana ein. Viele Indianer entflohen wieder und kehrten in ihre Heimat zurück, obgleich diese sehr weit entfernt von den Niederlassungen lag. Gewöhnlich wurden sie wieder eingefangen und in entferntere Niederlassungen geschickt.

Dieses brutale Vorgehen erinnert ungemein an dasjenige der Spanier und Portugiesen, welches von den Jesuiten so scharf verurteilt worden war. Allerdings war es nicht immer von Erfolg begleitet. So gelang es den Jesuiten nicht, eine Mission in Sankt Stanislaus zu gründen. Freilich handelte es sich hier um die Bekehrung und Zivilisation von M'bayas, »die mit allen Guaranis der Welt nicht gebändigt werden konnten«. Wie stets, so traten auch hier die Jesuiten als Freunde auf, und unter dem Vorwand der Auslieferung von kriegsgefangenen Angehörigen des Stammes lockten sie die ihnen feindlich gesinnten Krieger nach der Mission von Santo Corazon. Prächtig wurden die M'bayas dort empfangen, unter Musikbegleitung fand ihr Einzug statt, ihr Besuch wurde durch Konzerte, Tänze, Kämpferspiele und eine riesige Schmauserei gefeiert, bei welcher man sie berauschte, was nicht allzu schwer hielt. Man ließ sie getrennt schlafen, und während ihres Schlummers wurden sie gebunden und ins Gefängnis geworfen, wo sie bis zur Vertreibung der Jesuiten aus Paraguay verblieben. Azara erfuhr die Tatsachen, welche er berichtet, von mehreren M'bayas, denen das Unglück widerfahren war, die Loyalität der Jesuiten kennenzulernen.

Über die Gründung der ersten Missionen liegen nur die Erzählungen der Missionare vor, welche einhellig versichern, daß die Wilden einzig und allein mittels sanfter Überredung zur Seßhaftigkeit bewogen wurden. Nichtsdestoweniger suchten die Jesuiten gleich im Beginn ihrer Zivilisationsarbeit um die Bewilligung nach, ihre Anhänger mit Flinten bewaffnen zu dürfen. Sie erhielten die Erlaubnis dazu im Jahre 1636, nach einem Besuch des Paters Montoya in Madrid. Wie sie behaupteten, bedurften die Jesuiten des Rechts der Bewaffnung von Mannschaften, um ihre Niederlassungen gegen die fortgesetzten Angriffe der Wilden verteidigen zu können. Tatsächlich praktizierten die ehrwürdigen Väter die Jagd auf Indianer, allerdings in der Form der Überredung. Die »Briefe der Missionare« enthalten eine große Anzahl erbaulicher Histörchen über ihr Vorgehen. Bekehrte Indianer gingen in die Wälder, um daselbst den neuen, wahren Glauben unter den Götzendienern zu verkünden, und es gelang ihnen auch, Gläubige zu sammeln, welche die göttliche Gnade ergriffen hatte. Gewöhnlich waren die Neubekehrten Frauen und Kinder, die ohne Zweifel geraubt wurden, während sich die Männer der Clans auf der Jagd oder auf Kriegszügen befanden. Kehrten diese dann heim, so forderten sie mit bewaffneter Hand ihre Angehörigen zurück. Zuweilen wurden die Jesuitenniederlassungen auch von Indianern angegriffen, welche sich durch lügenhafte Verheißungen hatten betören lassen, aber, von dem Leben in den Siedlungen gründlich enttäuscht, entflohen waren und sich nun für die üble Behandlung rächen wollten, die sie während ihres unfreiwilligen Aufenthalts in den Missionen erduldet hatten. Wenn man weiß, mit welcher nicht zu brechenden Zähigkeit sich die Wilden ihrer Gewöhnung zu regelmäßiger Arbeit widersetzen – zu der übrigens auch die arbeitende Bevölkerung der zivilisierten Länder unter Schmerzen »erzogen« worden ist –, so begreift man, daß die Jesuiten mehr durch Gewalt als durch Überredung die Arbeiter ihrer Missionen rekrutieren mußten. Sie selbst anerkennen, daß sie gezwungenerweise den erwachsenen Indianern ihre Gewohnheiten als Jäger und Fischer lassen mußten, und daß sie das Dogma der Zwangsarbeit nur den Kindern einprägen konnten, welche sie raubten oder die in ihren Niederlassungen geboren wurden.

Die Gesellschaft Jesu, welche von der spanischen Regierung die nötigen Geldmittel zur Gründung der »Missionen« erhalten hatte, wollte innerhalb dieser als einzige Herrin schalten und walten. Es gelang ihr, einen königlichen Erlaß durchzusetzen, laut dessen es jedem Spanier verboten war, ohne Einwilligung des Ordens sich in den Niederlassungen aufzuhalten. Die Jesuiten behaupteten, daß die Laster der zivilisierten Christen die Herzensunschuld der neubekehrten Indianer und ihr Seelenheil schwer gefährdeten. Sie setzten es ferner durch, daß die jährlichen Inspektionen in Wegfall kamen, welche die Kolonialregierung in den Komtureien der Yanaconas und Mitayos vornehmen ließ. Die Jesuiten legten nur Gott und dem Ordensgeneral und sonst niemand Rechenschaft darüber ab, wie sie die seßhaft gemachten Indianer regierten und wie sie die von diesen erzeugten landwirtschaftlichen und gewerblichen Reichtümer verwalteten. Obgleich sich die Jesuiten über das Gesetz stellten, so erhielten sie doch nach wie vor aus dem königlichen Schatz die Mittel für den Unterhalt und die Existenz eines Missionars für jede Niederlassung. Die hierfür nötigen Summen wurden durch eine Kopfsteuer von 1 Peso und 8 Realen aufgebracht, welche die Indianer der geistlichen Ansiedlungen der Krone bezahlen mußten, während die Indianer der weltlichen Kolonien pro Kopf eine jährliche Abgabe von 5 Pesos zu entrichten hatten.

Die Jesuiten waren so klug und geschickt gewesen, ihre Missionen unmittelbar unter die Krone zu stellen. Dadurch waren sie der Überwachung durch die Kolonialregierung entzogen, und ihre Bewohner blieben von der Fronarbeit in den Bergwerken und allen Abgaben befreit. Damit niemand als sie selbst einen Heller Steuer von den bekehrten Indianern erheben konnte, ließen sie sich durch einen königlichen Dispens der Verpflichtung entheben, den Bischöfen der Kolonie einen Zehnten zu zahlen, »weil die Missionen«, so erklärt Charlevoix, »zu arm waren, um diese Last tragen zu können«. Der Hof von Madrid überhäufte die Jesuiten mit Vergünstigungen. Er setzte nicht nur ihre Steuern herab und schaffte dieselben schließlich ganz ab, sondern als sie 1636 trotz des Widerspruchs der Kolonialregierung das Recht erhielten, die Indianer ihrer Niederlassungen auf europäische Art zu bewaffnen, lieferte ihnen sogar der königliche Schatz die Mittel für die Beschaffung eines Teils der Kriegsmunition.

Nachdem sie die Erlaubnis erhalten hatten, die Indianer mit Flinten und Kanonen auszurüsten, ließen sie sich angelegen sein, eine reguläre Armee zu organisieren, angeblich um die Einfälle der Portugiesen und Mamulucos abzuwehren, in Wirklichkeit, um die Missionen gegen die Spanier zu schützen, mit denen die Jesuiten allzeit in offener Feindschaft lebten. Im Notfall wollten diese auch eine Macht gegen die Kolonialregierung zur Verfügung haben, welche die Vertreterin der spanischen Krone war. So erklärt es sich, daß die Jesuiten, als sie sich im Besitz einer ansehnlichen bewaffneten Macht befanden, angeklagt wurden, einen unabhängigen Staat bilden zu wollen. Vielleicht hegte die Gesellschaft Jesu tatsächlich den hochfliegenden Plan, eine theokratische Republik gründen zu wollen, welche einen Teil Südamerikas umfaßte. Die Missionen, welche sie in Brasilien längs des Amazonenstroms, in Peru und im Norden Paraguays gründete, sollten sich entwickeln und ausdehnen und die Mittelpunkte bilden, um welche sich die verschiedenen Teile dieses Jesuitenreichs gruppierten.

Nur mit großer Mühe war es den Jesuiten gelungen, das Recht zu erlangen, die Indianer ihrer Missionen mit Feuerwaffen ausrüsten zu dürfen. Die spanische Regierung hatte es sich zur Regel gemacht, bei den kriegerischen Indianerstämmen dieses Teils der Neuen Welt nicht Waffen einzuführen, deren Besitz diese zu gefürchteten, wenn nicht zu unbezwingbaren Feinden gemacht hätte. Schon mit ihren unvollkommenen Waffen fügten sie den Spaniern großen Schaden zu. Die oben erwähnte Bewilligung europäischer Ausrüstung der Eingeborenen wurde den Jesuiten erst gewährt, nachdem der ehrwürdige Vater Montoya nach Madrid gereist war und versichert hatte, daß die Indianer der Missionen gutgläubige Katholiken und getreue Diener des Königs von Spanien seien. Sobald die Jesuiten die nachgesuchte Bewilligung erhalten hatten, machten sie sich sofort mit dem Aufgebot ihres Organisationstalents und ihrer zähen Ausdauer daran, eine Armee zu bilden. Bereits im Jahre 1641 konnten sie über ein Heer von 4000 Leuten verfügen, die mit Flinten und Kanonen bewaffnet waren und unter der Führung von 300 eingeborenen Offizieren standen, deren Oberbefehl als General der Kazike Abiaru führte. Sie konnten ein Heer von 7000 bis 12 000 Leuten aufbringen, mittels dessen sie Antequera und Ramon bekämpften und besiegten. Diese Truppen wurden jedoch von höheren europäischen Offizieren befehligt.

Jeder Flecken, so berichtet Charlevoix, unterhielt ein Korps Infanterie und ein Korps Kavallerie. Die Fußtruppen waren ausgerüstet mit der Makana, das heißt der Keule, mit Bogen und Schleuder, sowie mit Schwert und Flinte. Die Reiter führten Lanze, Säbel und Muskete und kämpften, wenn es sein mußte, wie die Musketiere zu Fuß. Die Oberleitung der Missionen nahm auch eine Abteilung abiponischer Reiter in ihren Dienst, die wegen ihres Mutes und ihrer Geschicklichkeit, Pferde zu lenken, berühmt waren.

Alle Montage waren der militärischen Erziehung gewidmet, nichts, was diese zu fördern geeignet war, wurde vernachlässigt. Die Truppen wurden im Turnen, Fechten, Kriegstänzen, Massenbewegungen und im Kleinkrieg geübt. Das erweckte bei den Indianern wieder die Heldentugenden ihrer Rasse. Sie legten bei den Kampfesspielen und Manövern solch leidenschaftlichen Eifer an den Tag, daß die Jesuiten die Parteien oft trennen mußten, damit es nicht Blutvergießen und zahlreiche Opfer gab. Die Jesuiten bedienten sich ihrer Truppen nicht nur zur Verteidigung ihrer Missionen. Sie beeilten sich, dieselben auch der Kolonialregierung zur Verfügung zu stellen, und dies zu dem doppelten Zweck, die Eingeborenen an die Kriegführung zu gewöhnen und den Spaniern durch die bewaffnete Macht zu imponieren, welche sie aufmarschieren lassen konnten.

Kaum waren die bekehrten Indianer bewaffnet und diszipliniert, so wurden sie 1637 gegen die Carracas-Indianer gesendet, welche die Einwohner einer spanischen Kolonie niedergemetzelt hatten. Sie belagerten dieselben auf ihrer Insel, töteten einen Teil von ihnen und führten den anderen als Gefangene fort. Aufständische Indianer hatten 1641 Assuncion eingenommen, die Stadt, in welcher der königliche Statthalter von Paraguay seinen Sitz hatte. Die Missionare sendeten ihm ihre Truppen zur Hilfe, welche die Rothäute schlugen und vertrieben und die Spanier retteten. 1653 befreiten sie abermals Assuncion und 1660 retteten sie wieder den Statthalter, der in einer Kirche von Wilden belagert ward; diese wurden von den Truppen der Jesuiten aus der Stadt vertrieben, deren sie sich bemächtigt hatten. Zweimal, 1667 und 1671, stellten die Jesuiten ihre Fahrzeuge der Regierung zur Verfügung, um spanische Soldaten auf dem Rio de la Plata von Corrientes nach Buenos Aires zu transportieren, das von den Engländern blockiert wurde. Diese konnten nur durch die Hilfe der Jesuiten zurückgeschlagen werden, deren Militärmacht anfing, gefürchtet zu werden.

In dem Maße, als die Niederlassungen der Gesellschaft Jesu zahlreicher und größer wurden, wuchs auch der Haß und die bittere Feindschaft, welche sie von Anfang an erregt hatten. Sie zogen sich den Zorn der gesamten spanischen Kolonie zu.

Der Umstand, daß das Gebiet der Missionen Spaniern jedes Standes verschlossen war, und daß diese nur nach erhaltener Erlaubnis als Gäste und nicht länger als drei Tage sich dort aufhalten durften, erweckte den Verdacht und den Neid der Europäer. Die Goldsucher bildeten sich unbegründeterweise ein, daß die Jesuiten reiche Minen von Edelmetallen entdeckt hätten, die sie allein ausbeuten wollten. Und da es vorkam, daß sie den Besuch ihrer Missionen Bischöfen und hohen Staatsbeamten untersagten, deren feindselige Stimmung ihnen bekannt war, bezichtigte man sie, den Staatsschatz dadurch zu betrügen, daß sie nicht die genaue Anzahl der Einwohner ihrer Flecken angaben, um nicht die ihnen auferlegte Kopfsteuer entrichten zu müssen.

Die Missionare betrieben mit den landwirtschaftlichen und gewerblichen Produkten, welche in ihren Niederlassungen erzeugt wurden, einen ansehnlichen Handel. Sie verkauften in den größeren Städten Paraguays und auch in Buenos Aires Tabak, grüne Gemüse, rohe und gesponnene Baumwolle, gegerbtes Leder, Schuhe, Wachs und hauptsächlich die Yerba del Paraguay, den Paraguaytee, gewöhnlich Maté genannt, der in Südamerika sehr viel statt des Kaffees genossen wird. Die Jesuiten allein verkauften mehr Maté als alle übrigen Landwirte zusammen. Nach Charlevoix betrug der jährliche Umsatz der Jesuiten an diesem Produkt durchschnittlich 12 000 Arrobas, ungefähr 184 000 Kilo. Jede Niederlassung produzierte ungefähr 2000 Arrobas Baumwolle, so daß die 30 Missionen zusammen einen Produktionsertrag von 921 000 Kilo Rohbaumwolle erzielten. Die Interessen aller europäischen Ansiedler wurden durch die Konkurrenz geschädigt, welche ihnen die Jesuiten auf dem Gebiete der Industrie und des Handels machten. Daher erhoben sie gegen diese die nämlichen Anklagen, welche die frommen Väter früher gegen sie geschleudert hatten. Sie behaupteten, daß die Indianer durch die Jesuiten eine stärkere Ausbeutung und härtere Behandlung erführen, als sie ihnen je in den weltlichen Komtureien zuteil geworden sei. Sie beschuldigten sie ferner, eine beträchtliche Anzahl von Eingeborenen jährlich dadurch dem Tode zu überliefern, daß sie diese 100 und 200 Meilen weit von ihrer Heimat ausschickten, um das Paraguaygras einzubringen. Während der langen und beschwerlichen Züge, die zu diesem Zwecke stattfanden, erlagen sehr viele Indianer dem Hunger und der Überanstrengung. Durch diese hohe Sterblichkeit sollte es sich nach der Ansicht der europäischen Ansiedler erklären, daß die Bevölkerung der Missionen nur eine schwache Zunahme zeigte. Zur Begründung ihrer Behauptung, daß die Jesuiten die Indianer aufs schonungsloseste ausbeuteten, verwiesen die Spanier darauf, daß bei der Übernahme der Komtureien der Mitayos die Missionare die Vorschrift abschaffen ließen, welche den weltlichen Komtureien verbot, die Eingeborenen mehr als zwei Tage in der Woche arbeiten zu lassen. Ferner machten sie geltend, daß die Jesuiten die Abschaffung der Inspektion durchgesetzt hatten, welche jährlich durch Abgesandte der Regierung vorgenommen ward. Infolge dieser Umstände könnten sie ganz nach Belieben die Neubekehrten ihrer Missionen mit Arbeit belasten und überbürden.

Die Geistlichkeit war den Missionen gleichfalls feindlich gesinnt. Die Bischöfe konnten es den Jesuiten nicht verzeihen, daß sie unter dem Vorwand, die Niederlassungen seien zu arm, keinen Zehnten bezahlten. Dom Bernadino, der Bischof von Assuncion, klagte sie an, die christliche Religion zu verfälschen, um sie dem Geschmacke der Wilden anzupassen, diesen zu gestatten, den Gott der katholischen Christen unter dem Namen des indianischen Gottes Tupa zu verehren, und bei der Übertragung des Katechismus in die guaranische Sprache die Lehren der Kirche entstellt zu haben. Er warf ihnen außerdem vor, daß sie das Beichtgeheimnis brächen, das in ihren Händen zu einem Werkzeug der Herrschaft geworden sei. Die Jesuiten bewirkten, daß Dom Bernadino in eine andere Kolonie versetzt wurde. Die Gesellschaft Jesu verfolgte in Paraguay die gleiche Taktik, die sie in China anwendete, wo sie das Kreuz abschaffte, weil es den Proselyten als ein schmachvolles Marterwerkzeug erschien. Pascal und die Gegner der Jesuiten haben sich über solchen Opportunismus weidlich entrüstet. Sie vergessen dabei, daß das Christentum nur durch ähnliche Konzessionen bei den zivilisierten Völkern und den Barbaren der Alten Welt festen Fuß fassen konnte. Die Isländer bekehrten sich im zehnten Jahrhundert erst zum Christentum, nachdem sie in einer Volksversammlung gewisse Bedingungen aufgestellt hatten. Sie forderten, daß sie im geheimen ihre alten Götter und deren Bildnisse weiter verehren dürften, deren öffentlicher Kultus mit Verbannung bestraft werden sollte; ferner, daß die alten Gesetze, welche die Aussetzung von Kindern, den Genuß von Pferdefleisch und andere Gebräuche gestatteten, die nicht im Widerspruch mit dem Christentum standen, auch künftighin noch Geltung behielten. Nach der Annahme dieser Bedingungen, kraft deren ein Vater über Leben und Tod seiner Kinder bestimmen konnte, führte Thorgeir, der Gesetzgeber Islands, das Christentum als anerkannte Religion im Lande ein.

Die Kolonialregierung fuhr fort, beim Madrider Hofe gegen das Recht der Jesuiten zu protestieren, die Indianer bewaffnen und Streitkräfte organisieren zu dürfen, deren gute Zucht und Tapferkeit sie bei manchen Gelegenheiten schätzen gelernt hatte. Aber die Gesellschaft Jesu beherrschte die schwachen, kleinmütigen Nachfolger Philipps II. durch den Beichtstuhl, und es gelang ihr stets aufs neue, die Angriffe und Forderungen des Statthalters der Kolonie zurückzuschlagen. Sie fühlte sich so stark, daß sie den Kampf mit Don José Antequerra, dem Statthalter von Paraguay, aufnahm. Sie schlug ihn und ließ ihn enthaupten. Während des Krieges gegen Antequerra und gegen Ramon, welcher nach dem erstgenannten die Partei der Städte, die Partei » de los communeros« organisierte, benutzten viele Indianer die Gelegenheit, um ihre Freiheit zurückzuerlangen, aus den Missionen zu entfliehen und in die Wälder zurückzukehren. Im Verlauf dieser Kämpfe brachten die Jesuiten 12 000 Mann auf den Fuß, welche mit Flinten und Kanonen ausgerüstet waren und von hohen Offizieren europäischer Abstammung befehligt wurden.

Die beständigen Anklagen, welche von allen Klassen der spanischen Gesellschaft gegen die Jesuiten erhoben wurden, mußten schließlich doch den Hof von Madrid beunruhigen. Er wollte in Erfahrung bringen, inwieweit sie auf Wahrheit beruhten, und ordnete deshalb eine Untersuchung an. In äußerst geschickter Weise ließen die Jesuiten ihren Einfluß spielen, so daß diese Untersuchung Männern anvertraut wurde, welche ihnen vollständig ergeben waren und das Wirken der Missionen überschwenglich verherrlichten. Einer unter ihnen, Dom Pedro Faxardo, Bischof von Buenos Aires, erklärte, daß die Niederlassungen der ehrwürdigen Väter eine ideale christliche Republik bildeten, in welcher die vollkommenste Herzensunschuld herrschte und »wo vielleicht im Laufe des Jahres auch nicht eine einzige Todsünde begangen werde«, und daß die Missionare so wunderbare Erziehungsresultate erreicht hätten »mit Wilden, die zu allen Lastern geneigt waren«. Aus dem Briefe, der 1721 an Philipp V. gerichtet wurde und den Charlevoix anführt.

Trotzdem sah man in Madrid nicht gerade mit freundlichem Auge auf die Gütergemeinschaft, welche nach den Behauptungen der spanischen Ansiedler alle von den Indianern erzeugten Reichtümer den Jesuiten zur Verfügung stellte. Die Missionare ihrerseits versicherten, daß einzig und allein eine kommunistische Ordnung der Dinge es ermögliche, den Unterhalt für die bekehrten Indianer zu beschaffen, die, sorglos und leichtsinnig wie Kinder, völlig außerstande seien, ihren Besitz zu verwalten und die Ernteerträgnisse so einzuteilen, daß ihre Existenz für das ganze Jahr gesichert würde, und daß die Niederlassungen nichts weniger als reich, vielmehr außerordentlich arm wären. »Was die Indianer durch ihre Arbeit erwerben,« schrieb der Bischof von Buenos Aires, »reicht nur hin, um ihnen täglich etwas Fleisch, Mais und Gemüse, schlechte und grobe Kleider und die Mittel zu verschaffen, welche für den Unterhalt ihrer Kirche nötig sind.« Die Missionare behaupteten außerdem, daß der Kommunismus in den Niederlassungen nicht vollständig durchgeführt sei, weil jeder Familie ein kleines Feld überwiesen ward, auf dem sie ihre Nahrungsmittel produzierte.

Mit Staunen erfuhr der spanische Hof, daß, behufs völliger Absonderung der Indianer von den Spaniern, letzteren nicht nur der Zutritt zu den Missionen verboten war, sondern daß auf diesen auch die spanische Sprache nicht gelehrt ward. Jede Möglichkeit eines Verkehrs zwischen den Bekehrten und den europäischen Ansiedlern sollte abgeschnitten sein, damit erstere durch letztere nicht sittlich verderbt würden. Die holländische Regierung, welche sich um das Seelenheil der Eingeborenen ihrer Kolonien nicht kümmert, befolgt in ihren Besitzungen auf der Insel Java die nämliche Politik. Die europäischen Verwaltungsbeamten sind gezwungen, die javanesische Sprache zu erlernen, damit sie mit ihren Untergebenen sich verständigen können, welchen bloß die Sprache des Landes geläufig ist und die keine europäische Sprache erlernen dürfen. Die spanische Regierung, weniger als die holländische vom Handelsgeist beherrscht, war der Überzeugung, daß sie diesen Stand der Dinge nicht dulden dürfe. Ein Erlaß vom 28. Dezember 1743 bestimmt, daß die Indianer der Missionen Spanisch lernen müßten, weil sie Untertanen der Krone seien. Eine Bemerkung Charlevoix' gibt zu verstehen, daß die Jesuiten entschlossen waren, dem königlichen Befehl nicht Folge zu leisten. Ihrer Auffassung nach unterstanden die Indianer zunächst der Gesellschaft Jesu und dann erst dem spanischen König, der damals ein Bourbone war, Philipp V., Enkel Ludwigs XIV. von Frankreich.

Zu jener Zeit wurde in Europa die Gesellschaft Jesu allgemein bekämpft. Dem Einfluß der bourbonischen Höfe gelang es, durchzusetzen, daß die Jesuiten 1759 aus Portugal, 1762 aus Frankreich und 1767 aus Spanien vertrieben wurden, und daß der Papst Klemens XIV. 1773 den Orden aufhob.

Unter den Dokumenten, die bei der Vertreibung der Jesuiten aus Paraguay beschlagnahmt wurden, befindet sich ein Brief des ehrwürdigen Vaters Rabayo, der beweist, daß man in Madrid ihnen nichts weniger als wohlgesinnt war. Der Pater sagte im wesentlichen, die gegen die Missionare erhobenen Klagen seien so zahlreich, schwerwiegend und schlimmer Natur, daß er unmöglich ihre Wirkung hindern könne, obgleich er in seiner Eigenschaft als Beichtvater des Königs auf diesen einen bedeutenden Einfluß ausübte. Die spanische Regierung, so meint Azara, war von starkem und lebhaftem Argwohn gegen die christliche Republik erfaßt worden, weil fast alle Jesuiten in den Missionen Engländer, Italiener und Deutsche waren und die wenigen unter ihnen befindlichen Spanier keinen hervorragenden Einfluß ausübten. Aber sie wagte nicht, die Jesuiten offen und direkt anzugreifen, da sie fürchtete, daß sie auf Widerstand stoßen und sogar eine Niederlage erleiden würde. So zog die Regierung ein vorsichtiges und mildes Vorgehen vor. Sie forderte die allmähliche Befreiung der Indianer, die seit mehr als einem Jahrhundert unter jesuitischer Vormundschaft standen. Die Jesuiten bewilligten alles, was man von ihnen verlangte, aber sie hüteten sich wohl, irgendeine Konzession durchzuführen.

Die Zwistigkeiten, welche zwischen Portugal und Spanien über die Grenzen ihrer südamerikanischen Kolonien ausbrachen, beschleunigten die Lösung des Konflikts. 1750 hatte der spanische König an Portugal einen Teil Uruguays abgetreten. Die portugiesische Regierung befahl den Jesuiten, welche auf dem abgetretenen Gebiet sieben Missionen besaßen, sich samt ihren bekehrten Indianern aus dem Staube zu machen. Letztere weigerten sich, den Missionaren zu folgen. Manche von ihnen benutzten die Gelegenheit, um ihre Freiheit zurückzuerlangen und wieder die Ländereien zwischen dem Uruguay und dem Parana zu durchschweifen, andere blieben in den gegründeten Weilern ansässig. Auf das Anstiften der Jesuiten ergriffen sie die Waffen, um den von ihnen tief verabscheuten Portugiesen Widerstand entgegenzusetzen. Don Pablo Bucareli y Ursa, der den Frieden wiederherstellen wollte, warf den Missionaren vor, daß sie die Zwietracht schürten und einen Krieg angezettelt und unterhalten hätten, dessen erster und einziger Zweck gewesen sei, ihnen den Besitz von sieben Missionen zu erhalten. Am 2. Januar 1768 unterzeichnete der spanische König Karl III., der Sohn Philipps V., einen Erlaß, durch welchen die Jesuiten aus den drei Provinzen Paraguay, Rio de la Plata und Tucuman vertrieben wurden. Bucareli, der diesen Erlaß durchzuführen hatte, hielt es für klug, die nämliche Taktik anzuwenden, welche Mithridates gebraucht hatte, um die in seinen Staaten lebenden Römer niederzumetzeln. Am 7. Juni schickte er den Statthaltern der einzelnen Gebiete ein versiegeltes Schreiben zu mit dem Befehl, es erst am 21. Juli zu öffnen. Am 22. Juli erschienen gleichzeitig und unversehens in allen Missionen bewaffnete Reiterschwadronen, welche den Befehl hatten, die in den Niederlassungen anwesenden Jesuiten ohne jeden Aufschub fortzuführen. 150 Missionare wurden aufgegriffen und nach den Städten Corrientes, Cordova, Santa Fé, Montevideo und Buenos Aires gebracht. Am 3. August 1768 waren alle Jesuiten aus den spanischen Kolonien vertrieben.


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